WD 9 - 3000 - 024/19 (28. März 2019) © 2019 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Der kommunale Jugendhilfeausschuss nimmt gemäß § 70 Achtes Buch Sozialgesetzbuch – Kinder - und Jugendhilfe (SGB VIII)1 zusammen mit der Verwaltung des Jugendamtes die Aufgaben der behördlichen Einheit Jugendamt wahr. Die Verwaltung des Jugendamtes stellt dabei den behördlichen Teil, der Jugendhilfeausschuss den politischen Teil der Arbeit dar.2 Der Ausschuss ist ein bundesrechtlich geregeltes Kommunalorgan, das als Teil der zweigliedrigen Behörde Jugendamt die Besonderheit in seiner Zusammensetzung aufweist, „dass er nur teilweise die politischen Mehrheitsverhältnisse der Vertretungskörperschaft widerspiegelt und im Übrigen von Vertretern der freien Jugendhilfe und sachverständigen Bürgern besetzt wird“.3 Mit dieser Organisationsstruktur sollen die Fachlichkeit sowie die Beteiligung der Bürger an den Entscheidungen in der Kinder- und Jugendhilfe sichergestellt werden.4 Die Einzelheiten der Zusammensetzung des Jugendhilfeausschusses finden sich in § 71 SGB VIII. Nach § 71 Absatz 1 Nummer 1 SGB VIII sind drei Fünftel der stimmberechtigten Mitglieder aus der Vertretungskörperschaft (Kreistag, Stadt- oder Gemeinderat, Bezirksversammlung) oder von 1 Das Achte Buch Sozialgesetzbuch – Kinder und Jugendhilfe – in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2696) geändert worden ist. 2 Gallep, Sabine, Jugendhilfeausschüsse – wichtiger denn je! in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für Öffentliche und Private Fürsorge (NDV), 2015, S. 375. 3 Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 18. Juni2004 - 8 B 41/04 - juris Rn. 9. 4 Wiesner in: Wiesner , SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 70 Rn. 5; Winkler in: BeckOnline, SGB VIII, 51. Ed. mit Stand 1. Dezember 2018, § 70 Rn. 1; vgl. auch, Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts, (Kinder- und Jugendhilfegesetz — KJHG), Bundestags-Drucksache 11/5948 vom 1. Dezember 1989, S. 95. Die Organisationsstruktur wird teilweise kritisiert. So sieht z. B. die Monopolkommission einen Interessenkonflikt und eine Minderung der Entscheidungsqualität, wenn Vertreter anerkannter Träger der freien Jugendhilfe an Entscheidungen beteiligt sind, von denen sie mitunter in erheblichem Maße selbst tangiert werden: Monopolkommission, Auszug aus Hauptgutachten XX (2012/2013), Kapitel I, Aktuelle Probleme der Wettbewerbspolitik, Wettbewerb in der deutschen, Kinder- und Jugendhilfe, S. 155, abrufbar unter: https://www.monopolkommission.de/images/PDF/HG/HG20/1_Kap_5_A_HG20.pdf (zuletzt abgerufen am 26. März 2019). Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Zur Besetzung der Jugendhilfeausschüsse mit Jugendorganisationen der politischen Parteien Kurzinformation Zur Besetzung der Jugendhilfeausschüsse mit Jugendorganisationen der politischen Parteien Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 ihr gewählte Frauen und Männer, die in der Jugendhilfe erfahren sind. Zwei Fünftel der stimmberechtigten Mitglieder werden auf Vorschlag der anerkannten Träger der freien Jugendhilfe von der Vertretungskörperschaft gewählt (§ 71 Absatz 1 Nummer 2 SGB VIII). Voraussetzung für das Vorschlagsrecht der anerkannten Träger ist, dass sie im Bereich des öffentlichen Trägers tätig sein müssen, um so den örtlichen Bezug sicherzustellen.5 Das Vorschlagsrecht steht nicht nur den klassischen Jugend- und Wohlfahrtsverbänden, deren Vorschläge angemessen zu berücksichtigen sind, zu, sondern allen anerkannten freien Trägern der Jugendhilfe. Es ist als subjektives Recht von den anerkannten freien Trägern einklagbar. Ein Anspruch auf Wahl eines Vorgeschlagenen besteht allerdings nicht.6 Als freier Träger der Jugendhilfe kann eine juristische Person oder Personenvereinigung nach § 75 SGB Absatz 1 VIII anerkannt werden, wenn sie auf dem Gebiet der Jugendhilfe tätig ist, gemeinnützige Ziele verfolgt, auf Grund der fachlichen und personellen Voraussetzungen erwarten lässt, dass sie einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Erfüllung der Aufgaben der Jugendhilfe zu leisten imstande ist und die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bietet. Nach § 75 Absatz 3 SGB VIII sind die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie die auf Bundesebene zusammengeschlossenen Verbände der freien Wohlfahrtspflege anerkannte Träger der freien Jugendhilfe. Überdies hat einen Anspruch auf Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe unter den genannten Voraussetzungen, wer auf dem Gebiet der Jugendhilfe mindestens drei Jahre tätig gewesen ist (§ 75 Absatz 2 SGB VIII). Jugendorganisationen politischer Parteien sind nach überwiegender Meinung7 nicht als freie Träger der 5 Schäfer/Weitzmann in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Auflage 2019, § 71 Rn. 6. 6 Weißenberger in: Schlegel/Voelzke, JurisPraxiskommentar, SGB VIII, 2. Auflage 2018, § 71 SGB VIII Rn. 13; Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf, Beschluss vom 6. Dezember 2004, - 1 L 3340/04 BeckRS 2005, 25092 Rn. 12. 7 Vgl. Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg, Urteil vom 17. März 1988 – 14 OVG A 55/88, BeckRS 9998, 26942 sowie Winkler in: BeckOnline, SGB VIII, 51. Ed. mit Stand 1. Dezember 2018, § 75 Rn. 8; Trésoret in: Schlegel/Voelzke, JurisPraxiskommentar, SGB VIII, 2. Auflage 2018, § 75 Rn. 36; Happe, Anmerkung zum Urteil des OVG Lüneburg in: Jugendwohl 1989, S. 195. Vgl. zur Praxis auch die Grundsätze für die Anerkennung von Trägern der freien Jugendhilfe nach § 75 SGB VIII der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesjugendbehörden vom 7. September 2016, Ziffer 2.1.5, abrufbar unter: https://www.blja.bayern.de/service/bibliothek/fachlicheempfehlungen /grundsaetze_anerkennung_trager.php (zuletzt abgerufen am 26. März 2019). In der Literatur wird darauf verwiesen, dass eine Anerkennung parteinaher Jugendorganisationen im Einzelfall in Betracht kommen kann, wenn diese Organisationen nach ihrer Satzung und in ihrer Praxis nicht auf parteipolitische Betätigung beschränkt sind: Kunkel/Kepert bzw. Schindler/Elmauer in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGV VIII, 7. Auflage 2018, § 71 Rn. 4 bzw. § 75 Rn. 7; Busch/Fieseler in: Fieseler/Schleicher/Busch, Kinder- und Jugendhilferecht, 2005, § 71 Rn. 17. Kurzinformation Zur Besetzung der Jugendhilfeausschüsse mit Jugendorganisationen der politischen Parteien Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Jugendhilfe anzusehen und können daher auch kein Vorschlagsrecht ausüben. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass die politische Bildung nach § 11 Absatz 3 Nummer 1 SGB VIII eine wesentliche Aufgabe der Jugendarbeit als Teil der Jugendhilfe ist. In der Rechtsprechung ist nach wie vor ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg von 19888 einschlägig, das sich noch mit Regelungen des Jugendwohlfahrtsgesetzes auseinandersetzte , dem Vorläufer des SGB VIII. Damals wertete das Gericht die Jugendarbeit9 bei Jugendorganisationen politischer Parteien zum einen nur als Nebeneffekt, der ihre Tätigkeit nicht präge. Vielmehr seien diese Organisationen primär bestrebt, Einfluss auf ihre jeweiligen Mutterparteien zu nehmen und damit parteipolitisch zu wirken. Zum anderen sei die parteipolitische Bildung nicht vom Begriff der politischen Bildung im Sinne des Jugendwohlfahrtsgesetzes umfasst. Denn das Gesetz verstehe darunter die von Objektivität und Toleranz geprägte allgemeine Einsicht in die Gestaltung gesellschaftlicher Ordnung auf der Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung. Da sich die Aufgabe der politischen Bildung entsprechend auch im SGB VIII findet, wird in der juristischen Literatur zu dieser Frage nach wie vor auf das Lüneburger Urteil verwiesen. Zu den vorgeschlagenen Personen äußert sich das SGB VIII nur insofern, als dass Frauen und Männer repräsentiert sein müssen. Die Vorschläge müssen sich nicht auf Personen beziehen, die bei einem der vorschlagsberechtigten Träger tätig sind, so dass es im Ermessen der anerkannten freien Träger steht, welche konkreten Personen sie vorschlagen.10 Gewählt werden können nur vorgeschlagene Personen. Nach § 75 Absatz 5 Satz 1 SGB VIII wird Näheres durch Landesrecht geregelt. Dies betrifft etwa den Status und die Anzahl der Mitglieder, ihre Wählbarkeit oder auch ob und in welcher Anzahl beratende Mitglieder dem Jugendhilfeausschuss angehören.11 *** 8 OVG Lüneburg, Urteil vom 17. März 1988 – 14 OVG A 55/88, BeckRS 9998, 26942. 9 Jugendarbeit wurde im Rahmen des dem SGB VIII vorangegangenen Gesetzes, dem Jugendwohlfahrtsgesetz mit Geltung bis Ende 1990, als Jugendpflege bezeichnet. 10 Wiesner in: Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 71 Rn. 8. 11 Als beratende Mitglieder werden in den meisten Ausführungsgesetzen Vertretungen der Familiengerichte, der Schulen, der Gesundheitsämter, der Arbeitsämter, der Polizei, der Kreisjugendringe und der Kirchen sowie kommunale Gleichstellungsbeauftragte genannt. Vgl. z. B. Artikel 19 Absatz 1 bayrisches Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze, abrufbar unter: http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayAGSG/true?AspxAuto- DetectCookieSupport=1 (zuletzt abgerufen am 26. März 2019).