© 2017 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 024/17 Schwangerschaftsabbrüche aufgrund einer Behinderung oder vorgeburtlichen Schädigung des Kindes in Deutschland seit 1996 Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 2 Schwangerschaftsabbrüche aufgrund einer Behinderung oder vorgeburtlichen Schädigung des Kindes in Deutschland seit 1996 Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 024/17 Abschluss der Arbeit: Datum: 31. Mai 2017 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Bundesrechtliche Grundlagen der statistischen Erfassung von Schwangerschafts- abbrüchen bei einer Behinderung oder vorgeburtlichen Schädigung des Kindes 4 1.1. Wegfall der embryopathischen Indikation als Rechtfertigungsgrund eines Schwangerschaftsabbruchs seit dem 1. Oktober 1995 4 1.2. Erhebungskriterien für die statistische Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes 5 2. Reformbemühungen zur Verbesserung der statistischen Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen bei einer vorgeburtlich diagnostizierten Fehlbildung des Embryos bzw. Fötus 6 2.1. Die in den beiden Gesetzentwürfen vorgesehenen Erweiterungen der Erhebungsmerkmale nach § 16 Abs. 1 Satz 1 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes 6 2.2. Stellungnahmen von Sachverständigen anlässlich der Anhörung im Familienausschuss am 16. März 2009 7 2.2.1. Gemeinsame Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. 8 2.2.2. Stellungnahmen von Einzelsachverständigen 9 2.3. Ergebnis der abschließenden Beratung der beiden Gesetzentwürfe und die Beschluss- empfehlung des Familienausschusses in seiner Sitzung vom 6. Mai 2009 10 2.4. Ablehnung des Statistikteils in Art. 1 Nr. 4 des zusammengeführten Gesetzentwurfs im Plenum des Deutschen Bundestages in seiner Sitzung am 13. Mai 2009 12 2.4.1. Ablehnende Stellungnahmen zu dem Statistikteil des gemeinsamen Gesetzentwurfs 12 2.4.2. Zustimmende Stellungnahmen zu dem Statistikteil des gemeinsamen Gesetzentwurfs 13 2.5. Kritische Stellungnahmen in der Literatur zur Ablehnung des Statistikteils in Art. 1 Nr. 4 des zusammengeführten Gesetzentwurfs durch das Plenum des Deutschen Bundestages 15 3. Datenlage 15 3.1. Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt 16 3.2. „Geburtenregister Mainzer Modell“ 17 3.3. Studien und weitere Beiträge, die Hinweise auf die Häufigkeit von Schwangerschafts- abbrüchen aufgrund einer Behinderung oder vorgeburtlichen Schädigung des Kindes geben 18 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 4 1. Bundesrechtliche Grundlagen der statistischen Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen bei einer Behinderung oder vorgeburtlichen Schädigung des Kindes 1.1. Wegfall der embryopathischen Indikation als Rechtfertigungsgrund eines Schwangerschaftsabbruchs seit dem 1. Oktober 1995 Nach der bis zum 30. September 1995 geltenden Rechtslage war der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 Abs. 3 Satz 1 Strafgesetzbuch (StGB) alter Fassung (a. F.)1 nicht rechtswidrig, wenn nach ärztlicher Erkenntnis dringende Gründe für die Annahme sprachen, dass das Kind infolge einer Erbanlage oder schädlicher Einflüsse vor der Geburt an einer nicht behebbaren Schädigung seines Gesundheitszustandes leiden würde, die so schwer wog, dass von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden konnte. Dies galt gemäß § 218a Abs. 3 Satz 2 StGB a. F. allerdings nur, wenn die Schwangere dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 3 Satz 2 StGB a. F. nachgewiesen hatte, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hatte beraten lassen, und wenn seit der Empfängnis nicht mehr als 22 Wochen verstrichen waren. Mit Inkrafttreten von Art. 8 Nr. 3 des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes (SFHÄndG) vom 21. August 19952 mit Wirkung zum 1. Oktober 19953 ist die embryopathische Indikation als Rechtfertigungsgrund eines Schwangerschaftsabbruchs entfallen. Die im Schwangeren - und Familienhilfegesetz (SFHG) vom 27. Juli 19924 noch vorgesehene und im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 19935 gebilligte embryopathische Indikation wurde nicht als rechtfertigender Grund für einen Schwangerschaftsabbruch in die durch Art. 8 Nr. 3 des SFHÄndG erfolgte Neufassung der Absätze 1 bis 3 des § 218a StGB aufgenommen, um Befürchtungen insbesondere der Behindertenverbände und der Kirchen Rechnung zu tragen, eine derartige Regelung beeinträchtige das Lebensrecht eines geschädigten Kindes6. Die bisherige Regelung der embryopathischen Indikation habe – so wird in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ausgeführt7 – seit jeher auf der Erwägung beruht, dass sich in solchen Fällen eine unzumutbare Belastung für die Schwangere ergeben 1 In der Fassung des Art. 13 Nr. 1 des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes vom 27. Juli 1992 (BGBl. I S. 1398); die Bestimmung des § 218a Abs. 3 StGB a. F. war anwendbar ab dem 16. Juni 1993 gemäß Abschnitt II Nr. 1 nach Maßgabe der Nrn. 2 bis 9 der Entscheidungsformel gemäß der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 – 2 BvF 2/90 u. a. (vgl. BVerfGE, 88, 203ff.). 2 BGBl. I S. 1050. 3 Vgl. Art. 11 Satz 2 SFHÄndG. 4 Gesetz zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft , für Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangerenund Familienhilfegesetz) vom 27. Juli 1992 (BGBl. I S. 1398). 5 BVerfGE 88, 203 (257). 6 Vgl. die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 28. Juni 1995, in: BT-Drs. 13/1850, S. 18 und 25f. 7 Vgl. BT-Drs. 13/1850, S. 26. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 5 könne. Durch die Formulierung der sozial-medizinischen Indikation in § 218a Abs. 2 StGB in der Fassung von Art. 8 Nr. 3 des SFHÄndG soll diese Fallkonstellation aufgefangen werden. Damit wird nach Auffassung des Gesetzgebers klargestellt, dass eine Behinderung niemals zu einer Minderung des Lebensschutzes führen, also als rechtfertigender Grund für einen Schwangerschaftsabbruch dienen kann8. Im Hinblick darauf, dass bei der – seit dem 1. Oktober 1995 unverändert geltenden – sozial-medizinischen Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB auch die gegenwärtigen und künftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren zu berücksichtigen sind und dass nach der Intention des Gesetzgebers auch die erst nach der Geburt drohende Beeinträchtigung ihres seelischen Gesundheitszustandes relevant ist9, wird die sozial-medizinische Indikation regelmäßig bejaht, wenn die zu erwartende, nicht behebbare Schädigung der Leibesfrucht nach Art und Schwere10 so erheblich ist, dass die Pflege und Erziehung des kranken Kindes auch bei voller Anerkennung seines Lebensrechts eine zeitlich, kräftemäßig oder wirtschaftlich unzumutbare Überforderung der Schwangeren bedeuten würde11. 1.2. Erhebungskriterien für die statistische Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes Seit dem 1. Januar 1996 werden Erkenntnisse über die in Deutschland vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche aufgrund der Bundesstatistik gewonnen, die gemäß § 15 Satz 1 des „Gesetzes zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten – Schwangerschaftskonfliktgesetz “ (SchKG)12 über die unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche geführt wird. Die Statistik wird vom Statistischen Bundesamt erhoben und aufbereitet (§ 15 Satz 2 SchKG). Über das SchKG hinaus ist auch das Bundesstatistikgesetz13 als gesetzliche Grundlage einschlägig. Die Erhebung wird auf das Kalendervierteljahr bezogen durchgeführt und erfasst im Rahmen des § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SchKG Schwangerschaftsabbrüche lediglich unter dem Erhebungskriterium „rechtliche Voraussetzungen des Schwangerschaftsabbruchs (Beratungsregelung oder nach Indikationsstellung)“. Aufgrund des Wegfalls der embryopathischen Indikation mit Wirkung vom 1. Oktober 199514 ist die statistische Erfassung einer Behinderung oder vorgeburtlichen Schädigung des Kindes im 8 Vgl. BT-Drs. 13/1850, S. 26. 9 Vgl. dazu Otto, Die strafrechtliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs, in: Jura, Zeitschrift, 1996, 135 (141). 10 Vgl. Kröger, in: Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, herausgegeben von Burkhard Jähnke, Heinrich Wilhelm Laufhütte und Walter Odesky, 11. Auflage, § 218a Rn. 50. 11 Vgl. BT-Drs. VI/3434, S. 24; BVerfGE 39, 1 (49) und 88, 203 (256) und Kühl/Heger, in: Strafgesetzbuch, Kommentar, 28. Auflage 2014, § 218a Rn. 14. 12 BGBl. I 1992, S. 1398, Überschrift in der Fassung des Art. 1 Nr. 1 des „Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes (SFHÄndG)“ vom 21. August 1995 (BGBl. I S. 1050). Geändert wurde das SchKG zuletzt durch Art. 14 Nr. 1 des Gesetzes vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722). 13 Gesetz über die Statistik für Bundeszwecke – Bundesstatistikgesetz, neugefasst durch Bekanntmachung vom 20. Oktober 2016 (BGBl. I S. 2394). 14 Vgl. hierzu näher oben zu Gliederungspunkt 1.1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 6 Rahmen der Bundesstatistik über Schwangerschaftsabbrüche nach derzeitiger Rechtslage nicht mehr möglich15. Da bei der sozial-medizinischen Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB im Rahmen des § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SchKG nicht nach der zugrunde liegenden Diagnose gefragt wird – und auch nicht danach, ob eine Pränataldiagnostik durchgeführt wurde – ist aufgrund dieser Statistik folglich nicht ersichtlich, ob eine Erkrankung der Schwangeren oder eine zu erwartende Behinderung des Kindes vorlag und daher auch nicht, welche Art von Behinderung, zum Beispiel das Down-Syndrom (Trisomie 21), festgestellt wurde. 2. Reformbemühungen zur Verbesserung der statistischen Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen bei einer vorgeburtlich diagnostizierten Fehlbildung des Embryos bzw. Fötus Vor dem Hintergrund der durch das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz (SFHÄndG) vom 21. August 1995 mit Wirkung zum 1. Januar 1996 geschaffenen Rechtsgrundlagen für die bundesstatistische Erfassung der unter den Voraussetzungen § 218a Abs. 1 bis 3 StGB vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche wurden im Jahr 2008 zwei – jeweils auf fraktionsübergreifenden Gruppeninitiativen beruhende – Gesetzentwürfe zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes in den Deutschen Bundestag eingebracht. Beide Gesetzentwürfe verfolgten unter anderem das Ziel, die Erhebungsmerkmale nach § 16 Abs. 1 Satz 1 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes um etwaige vorgeburtlich diagnostizierte Fehlbildungen des Embryos zu erweitern. Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens haben sich diese Reformvorschläge letztlich jedoch nicht durchsetzen können. 2.1. Die in den beiden Gesetzentwürfen vorgesehenen Erweiterungen der Erhebungsmerkmale nach § 16 Abs. 1 Satz 1 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes Der von den Abgeordneten Volker Kauder, Renate Schmidt (Nürnberg), Johannes Singhammer, Dr. Peter Ramsauer, Ilse Frank, Dr. Norbert Lammert, Dr. Maria Böhmer und weiteren Abgeordneten als fraktionsübergreifende Gruppeninitiative eingebrachte Gesetzentwurf zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes vom 26. November 200816 sah vor, den Regelungen in § 16 Abs. 1 Satz 1 SchKG unter anderem eine Nummer 8 mit dem Erhebungsmerkmal „vorgeburtlich diagnostizierte Fehlbildung des Embryos oder des Fötus oder Auffälligkeiten im Genom“ anzufügen 17. Nach der Entwurfsbegründung18 sollte dieses Erhebungsmerkmal Aufschluss darüber geben, ob im Kontext der Feststellung einer sozial-medizinischen Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB ein pathologischer Befund des ungeborenen Kindes diagnostiziert wurde. Bei diesem Erhebungsmerkmal sei nach häufig pränatal diagnostizierten Erkrankungen oder Behinderungen des 15 Vgl. hierzu auch die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hubert Hüppe, Monika Brudlewsky, Norbert Geis und weiterer Abgeordneter zu dem Thema. „Tötung ungeborener Kinder, staatliches Schutzkonzept, Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht“, in: BT-Drs. 13/5364 vom 29. Juli 1996, S. 8. 16 Vgl. BT-Drs. 16/11106. 17 Vgl. Art. 1 Nr. 6 Buchstabe b des Gesetzentwurfs, in: BT-Drs. 16/11106, S. 5. 18 Vgl. BT-Drs. 16/11106, S. 10. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 7 Embryos oder des Fötus zu klassifizieren. Dabei sei auch anzugeben, ob der primär festgestellte pränataldiagnostische Befund nach dem Schwangerschaftsabbruch bestätigt werden konnte19. Nach dem von der Abgeordneten Ina Lenke, Sibylle Laurischk, Ulrike Flach und weiteren Abgeordneten eingebrachten – ebenfalls auf einer fraktionsübergreifenden Gruppeninitiative beruhenden – Gesetzentwurf zur Änderung der Schwangerschaftskonfliktgesetzes vom 4. Dezember 200820 sollten die Erhebungsmerkmale nach § 16 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes mit einer neu einzufügenden Nummer 6 um das Merkmal „Erkrankungen des Fetus“ ergänzt werden21. In der Begründung dieses Gesetzentwurfs wurde geltend gemacht, die amtliche Statistik zur Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen bedürfe im Sinne einer verbesserten Beobachtung und Bewertung einer Präzisierung22. Mit der neuen Nummer 6 des § 16 Abs. 1 Satz 1 SchKG werde die statistische Aussagekraft zum rechtlichen und medizinischen Hintergrund von Schwangerschaftsabbrüchen erhöht23. 2.2. Stellungnahmen von Sachverständigen anlässlich der Anhörung im Familienausschuss am 16. März 2009 Die vorgenannten Gesetzentwürfe wurden in der 196. Sitzung des Deutschen Bundestages am 18. Dezember 2008 dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur federführenden Beratung sowie dem Rechtsausschuss und dem Ausschuss für Gesundheit zur Mitberatung überwiesen . Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend führte zu den bis dahin vorliegenden Vorlagen in seiner 81. Sitzung am 16. März 2009 eine öffentliche Anhörung durch, in der als sachverständige Verbände unter anderem die Bundesärztekammer und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. sowie eine Reihe von Einzelsachverständigen angehört wurden. Die von den vorgenannten Verbänden und zwei Einzelsachverständigen in ihren schriftlichen Stellungnahmen zur Verbesserung der statistischen Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen vertretenen Positionen werden nachfolgend jeweils zusammenfassend wiedergegeben . Ergänzend wird auf das Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in seiner 81. Sitzung am 16. März 2009 verwiesen24. 19 Vgl. BT-Drs. 16/11106, S. 10. 20 Vgl. BT-Drs. 16/11330. 21 Vgl. Art. 1 Nr. 5 Buchstabe c) des Gesetzentwurfs, in: BT-Drs. 16/11330, S. 3. 22 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/11330, S. 5. 23 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/11330, S. 6. 24 81. Sitzung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 16. März 2009 zu den Gesetzentwürfen auf den Drucksachen 16/11106, 16/11347 und 16/11330 und den Anträgen auf den Drucksachen 16/11342 und 16/11377, in: Deutscher Bundestag, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Protokoll Nr. 16/81; abrufbar im Internet unter: http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileTo- Load=1247&id=1134 (abgerufen am 30. Mai 2017). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 8 2.2.1. Gemeinsame Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. Der im Gesetzentwurf der Abgeordneten Volker, Renate Schmidt (Nürnberg), Johannes Singhammer und weiterer Abgeordneter enthaltene Vorschlag, die Erhebungsmerkmale nach § 16 Abs. 1 Satz 1 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes um die „vorgeburtlich diagnostizierte Fehlbildung des Embryos oder des Fötus oder Auffälligkeiten im Genom“ zu ergänzen25, wurde von der Bundesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. in deren gemeinsamer schriftlicher Stellungnahme nachdrücklich unterstützt26. Schon in ihrer „Erklärung zum Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik“ und in ihrem „Vorschlag zur Ergänzung des Schwangerschaftsabbruchsrechts aus medizinischer Indikation“ hätten die Bundesärztekammer und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. die Unvollständigkeit der statistischen Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen aufgrund einer Behinderung oder vorgeburtlichen Schädigung des Kindes kritisiert und eine Ergänzung der entsprechenden Erhebungsmerkmale angeregt. Diesbezüglich sei stets die Auffassung vertreten worden, dass auf eine explizite statistische Erfassung nicht verzichtet werden könne. In dem „Vorschlag zur Ergänzung des Schwangerschaftsabbruchsrechts aus medizinischer Indikation“27 hatten die Bundesärztekammer und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie undGeburtshilfe e. V. zur Notwendigkeit einer Verbesserung der statistischen Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen bei einer vorgeburtlich diagnostizierten Fehlbildung des Embryos geltend gemacht, das Bundesverfassungsgericht habe dem Gesetzgeber die Pflicht zur Beobachtung und zur Nachbesserung aufgegeben, falls sich erweise, dass die geltende Regelung im Schwangerschaftsgesetz den Lebensschutz für das Kind nicht hinreichend gewährleiste. Die bisherigen statistischen Erhebungen, deren Umfang durch § 16 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes vorgegeben seien, hätten sich für die Erfüllung dieses Auftrags als unzulänglich erwiesen . Deshalb seien konkretisierende Ergänzungen der Erhebungsmerkmale zur Klassifizierung bei medizinischer Indikation erforderlich, um die statistische Aussagekraft zum rechtlichen und medizinischen Hintergrund von Schwangerschaftsabbrüchen zu erhöhen. Wesentlich sei deshalb eine konkretere Dokumentation der Konfliktlage bei der medizinischen Indikation, da nach Wegfall der embryopathischen Indikation im Jahr 1995 dieses Indikationsspektrum unter die medizinische Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB falle. Die durch Pränataldiagnostik festgestellten Auffälligkeiten des Fetus bildeten häufig den Ausgangspunkt für eine schwere Konfliktlage der Frau. Insofern sei davon auszugehen, dass der größte Teil der Schwangerschaftsabbrüche bei medizinischer Indikation durch Konflikte begründet sei, die aus spezifischen, pränatal festgestellten 25 Vgl. BT-Drs. 16/11106, S. 5 und 10. 26 Vgl. die Gemeinsame Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. zur gesetzlichen Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes vom 12. März 2009 anlässlich der öffentlichen Anhörung im Familienausschuss am 16. März 2009, in: Deutscher Bundestag, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ausschussdrucksache 16(13)439f S. 31f; abrufbar im Internet unter: http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileToLoad=1247&id=1134 (abgerufen am 30. Mai 2017). 27 Der „Vorschlag der Bundesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. zur Ergänzung des Schwangerschaftsabbruchsrechts aus medizinischer Indikation“ findet sich im Anhang der Gemeinsamen Stellungnahme zur gesetzlichen Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes vom 12. März 2009 anlässlich der öffentlichen Anhörung im Familienausschuss am 16. März 2009. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 9 Auffälligkeiten des Fetus resultierten. Die fetalen Erkrankungen – sowohl pränatal als auch postmortal festgestellte Befunde – würden gleichwohl bisher nicht erfasst. Der vom Bundesverfassungsgericht angemahnten Nachbesserungspflicht könne mit der Dokumentation der Gründe, die den Abbruch bei medizinischer Indikation maßgeblich veranlasst hätten, Rechnung getragen werden28. 2.2.2. Stellungnahmen von Einzelsachverständigen Die Einzelsachverständige Privatdozentin Dr. Christiane Woopen, Leiterin der Forschungsstelle Ethik im Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universitätsklinik Köln, vertrat in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 11. März 200929 die Auffassung, eine ausreichend differenzierte statistische Erhebung und Ausweisung der Schwangerschaftsabbrüche durch das Statistische Bundesamt sei für den Gesetzgeber vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Beobachtung und Überprüfung seines Schutzkonzeptes im Rahmen des § 218a StGB „unerlässlich“30. Zu den im Bereich der Bundesstatistik aus ihrer Sicht erforderlichen Änderungen des Schwangerschaftskonfliktgesetzes verwies die Sachverständige auf den zuvor31 dargelegten „Vorschlag der Bundesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. zur Ergänzung des Schwangerschaftsabbruchsrechts aus medizinischer Indikation“, der detaillierte Vorschläge zu wünschenswerten Änderungen im Bereich der Statistik enthalte32. 28 Vgl. die Ausführungen im „Vorschlag der Bundesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. zur Ergänzung des Schwangerschaftsabbruchsrechts aus medizinischer Indikation“ zu Gliederungspunkt II. 4. (Unvollständigkeit der statistischen Erfassung), S. 20 f. und 27. 29 Vgl. Woopen, Christiane, Stellungnahme vom 11. März 2009 für die öffentliche Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Thema „Konfliktsituationen während der Schwangerschaft“ am 16. März 2009, in: Deutscher Bundestag, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ausschuss drucksache 16(13)439c; abrufbar im Internet unter: http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileTo- Load=1247&id=1134 (abgerufen am 30. Mai 2017). 30 Vgl. Woopen, Christiane, Stellungnahme vom 11. März 2009 für die öffentliche Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Thema „Konfliktsituationen während der Schwangerschaft“ am 16. März 2009, in: Deutscher Bundestag, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ausschussdrucksache 16(13)439c, S. 11. 31 Vgl. hierzu die Ausführungen unter Gliederungspunkt 2.2.1. 32 Vgl. Woopen, Christiane, Schriftliche Stellungnahme vom 11. März 2009 für die öffentliche Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Thema „Konfliktsituationen während der Schwangerschaft“ am 16. März 2009, in: Deutscher Bundestag, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ausschuss Drucksache 16(13)439c, S. 11. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 10 Der Einzelsachverständige Prof. Dr. G. Duttge vom Institut für Kriminalwissenschaften, Abteilung für strafrechtliches Medizinrecht und Bioethik der Universität Göttingen, wies in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 13. März 200933 unter Bezugnahme auf die einhellige Auffassung aller Teilnehmer des 3. Göttinger Workshops zum Medizinrecht vom 26. Februar 200834 darauf hin, die bisherigen Erhebungsmerkmale des § 16 Abs. 1 Satz 1 Schwangerschaftskonfliktgesetz würden inzwischen von vielen als nicht ausreichend kritisiert35. Der Vorschlag der Bundesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe enthalte deshalb konkrete Vorschläge für eine Erweiterung der Statistik. Der dort vorgesehenen statistischen Erfassung des Anteils an Schwangerschaftsabbrüchen nach embryopathischem Befund könne nicht das Argument entgegengehalten werden, dass dies einer „verdeckten Einführung der embryo-pathischen Indikation“ gleichkomme, da es lediglich um die „Aufdeckung der Ursachen für Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a Abs. 2 StGB“ gehe. Die im „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes“36 enthaltenen Ergänzungen zu § 16 SchKG seien „allesamt nachdrücklich zu begrüßen“ und im Hinblick auf das „verfassungsrechtliche Gebot der verläss-lichen Datenerhebung zwecks Beobachtung der Entwicklung“ geradezu „unumgänglich“. Datenschutzrechtliche Bedenken könnten hiergegen nicht geltend werden. Der „hohe Rang des in Frage stehenden Rechtsguts“ rechtfertige „die erforderlichen Datenerhebungen, -speicherungen und (anonymisierten) -offenbarungen“ und die Intensität des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bleibe wegen des „Verbots der individualisierten Datenpreisgabe“ deutlich beschränkt. Sinn eines „wohlverstandenen Datenschutzes“ sei es nicht, auf erforderliche Informationen zu verzichten und „die Augen vor dem tatsächlichen Geschehen zu verschließen “37. 2.3. Ergebnis der abschließenden Beratung der beiden Gesetzentwürfe und die Beschlussempfehlung des Familienausschusses in seiner Sitzung vom 6. Mai 2009 In seiner 87. Sitzung am 6. Mai 2009 beriet der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Vorlagen abschließend und stellte fest, dass wegen des Vorliegens fraktionsübergreifender Gruppenvorlagen eine Abstimmung im Ausschuss lediglich Zufallsergebnisse hervorbringen würde. Er bereitete deshalb die Vorlagen lediglich so weit auf, dass das Plenum in der 33 Vgl. Duttge, Gunnar, Stellungnahme vom 13. März 2009 zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Thema: „Konfliktsituationen während der Schwangerschaft“ am 16. März 2009, in: Deutscher Bundestag, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ausschussdrucksache 16(13)439j; abrufbar im Internet unter: http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileTo- Load=1247&id=1134 (abgerufen am 30. Mai 2017). 34 Vorträge publiziert in: Verantwortungsbewusste Problemlösungen bei embryopathischem Befund, herausgegeben von Eva Schumann, Göttingen 2008. 35 Vgl. Duttge, Gunnar, Stellungnahme vom 13. März 2009 zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Thema: „Konfliktsituationen während der Schwangerschaft“ am 16. März 2009, S. 15. 36 BT-Drs. 16/11106. 37 Vgl. Duttge, Gunnar, Stellungnahme vom 13. März 2009 zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Thema. „Konfliktsituationen während der Schwangerschaft“ am 16. März 2009, S. 15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 11 Fassung, die sie durch die jeweiligen Änderungsanträge gefunden hatten, einen Beschluss fassen konnte. In diesem Sinne empfahl der Ausschuss einvernehmlich unter anderem die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/11106, 16/11347 und 16/11330 zusammenzuführen und darüber in der aus der Anlage 1 zur Beschlussempfehlung ersichtlichen Fassung Beschluss zu fassen. Da unter den Mitgliedern dieser drei Gruppen kein Einvernehmen über die Regelungen des Statistikteils in Art. 1 Nr. 4 des zusammengeführten „Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes“ bestand, empfahl der Ausschuss dem Plenum hierüber eine getrennte Abstimmung38. Der Statistikteil in Art. 1 Nr. 4 dieses zusammengeführten Gesetzentwurfs sah vor, den Regelungen in § 16 Abs. 1 Satz 1 SchKG unter anderem eine Nummer 8 mit dem Erhebungsmerkmal „vorgeburtlich diagnostizierte Fehlbildung des Embryos oder des Fötus oder Auffälligkeiten im Genom“ anzufügen39. In der Begründung zum Statistikteil des zusammengeführten Gesetzentwurfs 40 wurde dargelegt, grundsätzliches Ziel einer Erweiterung der Erhebungsmerkmale für die statistische Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen sei es, eine „Beobachtung der statistischen Entwicklung des Abbruchgeschehens in Bezug auf die unter § 218a Abs. 2 StGB fallenden Gruppen der rein medizinischen und der medizinisch-sozialen Indikation und ihrer Subgruppen “ zu ermöglichen. Die ermögliche es dem Staat zu erkennen, „ob bereichsspezifisch Sonderregelungen zur Unterstützung von Frauen in besonderen Gefährdungssituationen notwendig werden, Maßnahmen zur Gefahrenabwehr für Schwangere mit und ohne körperliche oder seelische Grunderkrankungen sowie zur Eindämmung der durch nicht ausreichende psychosoziale und sonstige Unterstützung der Schwangeren sich im Einzelfall ergebenden Benachteiligung von ungeborenen Kindern mit Behinderung zu entwickeln oder zu verstärken“. Den Erfordernissen des Datenschutzes werde dadurch Rechnung getragen, dass durch die Beschränkung der Erhebung auf gruppenbezogene Daten eine Rückverfolgung des Datensatzes auf den Einzelfall ausgeschlossen sei. Die derzeit geltende Regelung der Meldung von Schwangerschaftsabbrüchen nach Indikationen – so die Begründung des Gesetzentwurfs – „ermögliche es dem Gesetzgeber nicht, gesundheits- und behindertenpolitisch notwendige Entscheidungen zu treffen“41. Das Erhebungsmerkmal einer „vorgeburtlich diagnostizierten Fehlbildung des Embryos oder des Fötus oder Auffälligkeiten im Genom“ solle Aufschluss darüber geben, ob im Zusammenhang mit der Feststellung einer Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB ein pathologischer Befund des ungeborenen Kindes diagnostiziert worden sei. Bei diesem Erhebungsmerkmal sei – analog zu dem gesetzlich bereits geregelten Erhebungsmerkmal „beobachtete Komplikationen“ in § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SchKG – nach häufig pränatal diagnostizierten Erkrankungen oder Behinderungen des Embryos oder des Fötus zu unterscheiden, wobei – soweit möglich – auch anzugeben sei, ob 38 Vgl. die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in: BT-Drs. 16/12970, S. 6f und 20. 39 Vgl. die Anlage 1 zu Nummer I der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in: BT-Drs. 16/12970, S. 8f. 40 Vgl. die Ausführungen in Anlage 1 zu Nummer I der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in: BT-Drs. 16/12970, S. 26f. 41 Vgl. die Ausführungen in Anlage 1 zu Nummer I der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in: BT-Drs. 16/12970, S. 26. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 12 der zunächst festgestellte pränataldiagnostische Befund nach dem Schwangerschaftsabbruch bestätigt werden konnte42. 2.4. Ablehnung des Statistikteils in Art. 1 Nr. 4 des zusammengeführten Gesetzentwurfs im Plenum des Deutschen Bundestages in seiner Sitzung am 13. Mai 2009 Auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 6. Mai 2009 beriet das Plenum des Deutschen Bundestages in seiner 221. Sitzung am 13. Mai 2009 die vorgenannten Regelungen des Statistikteils in Art. 1 Nr. 4 des zusammengeführten „Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes“ und stimmte hierüber – getrennt von den Artikeln außerhalb des Statistikteils – in zweiter Lesung namentlich ab43. Bei insgesamt 561 abgegebenen Stimmen und 3 Enthaltungen stimmten 256 Abgeordnete mit „Ja“ und 302 Abgeordnete mit „Nein“, womit der Statistikteil dieses Gesetzentwurfes im Ergebnis mehrheitlich abgelehnt wurde44. In der Plenardebatte äußerten sich die Abgeordneten Kerstin Griese, Wolfgang Spanier, Sibylle Laurischk, Renate Schmidt (Nürnberg) und Johannes Singhammer – sowie der Abgeordnete Hubert Hüppe in einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung – zu der in Art. 1 Nr. 4 dieses Gesetzentwurfs vorgesehenen Verbesserung der statistischen Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen bei einer vorgeburtlich diagnostizierten Fehlbildung des Embryos oder des Fötus im Wesentlichen wie folgt: 2.4.1. Ablehnende Stellungnahmen zu dem Statistikteil des gemeinsamen Gesetzentwurfs Die Abgeordnete Kerstin Griese (SPD) vertrat in der Debatte die Auffassung, bei dem Statistikteil des Gesetzentwurfs gehe es „nicht um eine Verbesserung der Hilfen für Frauen, sondern nur um eine genauere statistische Erfassung“. Damit sei „nicht den Frauen, sondern nur der Statistik geholfen“. Sie empfehle deshalb, dem zweiten Teil des Gesetzentwurfs zur präziseren statistischen Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht zuzustimmen45. Ähnlich kritisch zu diesem Teil des Gesetzentwurfs äußerte sich auch der Abgeordnete Wolfgang Spanier (SPD), der hierzu ausführte, er betrachte den sog. Statistikteil als „besonders problematisch “. Wie die diesbezügliche Begründung des Gesetzentwurfs deutlich mache, solle unter anderem auch erfasst werden, wie häufig Abbrüche nach einer medizinischen Indikation vorgenommen würden. Er bezweifle aber, dass das Parlament diese Informationen überhaupt benötige, wenn es „um die Hilfe und Unterstützung“ der betroffenen Frauen gehe. Deswegen habe er sich 42 Vgl. die Ausführungen in Anlage 1 zu Nummer I der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in: BT-Drs. 16/12970, S. 26f. 43 Vgl. den Stenografischen Bericht der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Mai 2009, in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/221, S. 24213 (C). 44 Vgl. den Stenografischen Bericht der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Mai 2009, in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/221, S. 24216 (C). 45 Vgl. den Stenografischen Bericht der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Mai 2009, in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/221, S. 24198 (A). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 13 nicht gewundert, dass selbst die Abgeordnete Kerstin Griese als eine der Verfasserinnen dieses Gesetzentwurfs dem Parlament empfohlen habe, seinen zweiten Teil abzulehnen46. Die Abgeordnete Sibylle Laurischk (FDP) begründete ihre Ablehnung des Statistikteils in dem zusammengeführten Gesetzentwurf damit, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 28. Mai 1993 dem Gesetzgeber zwar aufgegeben habe, aus Gründen des Schutzes des ungeborenen Lebens die weitere Entwicklung des Konzepts zu beobachten und gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen47. Die Abgeordneten der FDP, die den gemeinsamen Gesetzentwurf im Übrigen unterstützten, seien allerdings – zumindest in Teilen – kritisch, soweit es um den Statistikteil des Gesetzentwurfs gehe. Sie wollten nämlich nicht, dass hier eine „Plattform für weitere Diskussionen aufgemacht“ werde48. 2.4.2. Zustimmende Stellungnahmen zu dem Statistikteil des gemeinsamen Gesetzentwurfs Die Abgeordnete Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD) erklärte in der Plenardebatte, sie werde (auch) dem Statistikteil zustimmen, weil „die Anonymität gesichert“ sei und es – was durch den Bundesdatenschutzbeauftragten bestätigt worden sei – „keinerlei datenschutzrechtliche Probleme “ gebe. Das Parlament müsse „mehr wissen“, wenn es „helfen“ wolle und komme damit auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben nach49. Der Abgeordnete Johannes Singhammer (CDU/CSU) führte in der Debatte aus, der Gesetzgeber benötige eine Verbesserung der statistischen Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen, weil der Politik sowie den Experten und Ärzten „keine belastbaren Zahlen“ zur Verfügung stünden. Das habe beispielsweise die Bundesärztekammer bei der Anhörung im Familienausschuss erklärt und darauf hingewiesen, dass es noch „Lücken“ gebe, die präzise Aussagen verhinderten. Zudem habe die Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung in den letzten Tagen noch einmal „eindringlich dafür geworben, klare Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche Zahlen zutreffen“ würden und „welche Dimension“ die Problematik habe. Aus diesen Gründen werbe er für die im Gesetzentwurf vorgesehene Verbesserung der rechtlichen Grundlagen für die statistische Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen50. 46 Vgl. den Stenografischen Bericht der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Mai 2009, in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/221, S. 24203 (A). 47 Vgl. den Stenografischen Bericht der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Mai 2009, in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/221, S. 24203 (C). 48 Vgl. den Stenografischen Bericht der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Mai 2009, in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/221, S. 24203 (D). 49 Vgl. den Stenografischen Bericht der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Mai 2009, in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/221, S. 24209 (B). 50 Vgl. den Stenografischen Bericht der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Mai 2009, in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/221, S. 24212 (A). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 14 Der Abgeordnete Hubert Hüppe (CDU/CSU) legte in seiner Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung 51 dar, er stimme der im Plenum des Bundestages getrennt zur Abstimmung gestellten Verbesserung der Bundesstatistik für Schwangerschaftsabbrüche zu und würde es „außerordentlich bedauern, wenn diese Initiative keine Mehrheit fände“. Zur Begründung seines Abstimmungsverhaltens wies er darauf hin, dass der deutsche Gesetzgeber bislang nicht wisse, „wie viele Kinder etwa mit Down-Syndrom abgetrieben“ würden, „weil die einer medizinischen Indikation möglicherweise zugrunde liegenden pränataldiagnostischen Befunde für die Bundesstatistik nicht erfasst“ würden. Hierzu könne „der deutsche Gesetzgeber allenfalls Schätzungen auf der Basis ausländischer Studien anstellen, die bei pränatal diagnostiziertem Down-Syndrom 92 Prozent Abtreibungen benennen“ würden. Der deutsche Gesetzgeber wisse derzeit nicht, „wie vielen der unter medizinischer Indikation gemeldeten Abtreibungen überhaupt ein pränataldiagnostischer Befund zugrunde“ liege. Dem deutschen Gesetzgeber sei – umgekehrt – auch nicht bekannt, bei „wie vielen der unter medizinischer Indikation gemeldeten Abtreibungen eine schwere Erkrankung, ein Unfall oder eine andere direkte Lebens- oder Gesundheitsgefahr für die Mutter ausschlaggebend“ sei, „aber kein auffälliger pränataldiagnostischer Befund“ vorliege52. Ergänzend führte der Abgeordnete Hubert Hüppe in seiner Erklärung aus, dass der geforderten Verbesserung der Bundesstatistik mitunter zwar entgegengehalten werde, dies würde „angesichts der geringen Zahl der Fälle Rückschlüsse auf die Person der betroffenen Schwangeren ermöglichen “. Dieser „möglichen Befürchtung“ sei der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in seinem Schreiben an den Familienausschuss vom 1. April 200953 jedoch „deutlich entgegengetreten“54. Abschließend wies auch der Abgeordnete Hubert Hüppe darauf hin, der Gesetzgeber habe eine „Beobachtungspflicht für die Wirkung seiner Gesetze, die gegebenenfalls eine Nachbesserungspflicht“ auslöse. Dies habe das Bundesverfassungsgericht „unmissverständlich zum Ausdruck gebracht“. Ein „Recht auf Nichtwissen hinsichtlich des unter seiner gesetzgeberischen Verantwortung stattfindenden Geschehens“ könne und dürfe der Gesetzgeber für sich gerade nicht beanspruchen. Daher werde er der heute zur Abstimmung gestellten Verbesserung der Bundesstatistik für Schwangerschaftsabbrüche zustimmen55. 51 Vgl. den Stenografischen Bericht der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Mai 2009, in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/221, S. 24294 (B) – 24296 (B). 52 Vgl. den Stenografischen Bericht der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Mai 2009, in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/221, S. 24295 (B). 53 Zum Inhalt des Schreibens des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, vom 1. April 2009 an den Familienausschuss vgl. im Einzelnen den Stenografischen Bericht der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Mai 2009, in Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/221, S. 24295 (D) – 24296 (A). 54 Vgl. den Stenografischen Bericht der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Mai 2009, in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/221, S. 24295 (C). 55 Vgl. den Stenografischen Bericht der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Mai 2009, in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/221, S. 24296 (A) und (B). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 15 2.5. Kritische Stellungnahmen in der Literatur zur Ablehnung des Statistikteils in Art. 1 Nr. 4 des zusammengeführten Gesetzentwurfs durch das Plenum des Deutschen Bundestages Die mehrheitliche Ablehnung des Statistikteils in Art. 1 Nr. 4 des zusammengeführten „Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes“ durch das Plenum des Deutschen Bundestages in seiner Sitzung vom 13. Mai 2009 ist in der Literatur auf – zum Teil heftige – Kritik gestoßen. So ist etwa der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht a. D. Bernward Büchner der Ansicht, die „Weigerung des Bundestages, Schwangerschaftsabbrüche nach der medizinisch-sozialen Indikation statistisch umfassender und präziser zu erfassen“, erscheine „schlichtweg skandalös“56. Dadurch „stehle sich der Gesetzgeber aus seiner Verantwortung für den Lebensschutz Ungeborener . Offenbar interessiere ihn die Frage gar nicht, ob die beschlossene Gesetzesänderung diesen Schutz tatsächlich gewährleiste“. Die Abgeordnete Sibylle Laurischk (FDP) habe den „Grund für die Ablehnung des Statistikteils im Gesetzentwurf deutlich ausgesprochen“, indem sie wörtlich festgestellt habe: „Wir wollen nämlich nicht, dass hier eine Plattform für weitere Diskussionen aufgemacht wird“57. Die Beobachtungspflicht des Gesetzgebers schließe jedoch ein, dass er „für verlässliche Statistiken über die Praxis der Schwangerschaftsabbrüche mit hinreichender Aussagekraft“ sorge. Mit den „vorgeschobenen datenschutzrechtlichen Gründen“ lasse sich der Verzicht auf eine verbesserte Statistik nicht rechtfertigen58. Auch der Medizinrechtsexperte Rainer Beckmann, stellvertretender Vorsitzender der Juristenvereinigung Lebensrecht e. V. (Köln) und langjähriger Schriftleiter der Zeitschrift für Lebensrecht , ist der Auffassung, dass die mit dem „Gesetz zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes “ vom 26. August 200959 am 1. Januar 2010 in Kraft getretene Reform „in keiner Weise Ausdruck einer wachsenden parlamentarischen Sensibilität für das Recht auf Leben“ sei. Dass eine genauere Statistik nicht durchgesetzt werden konnte, zeige, „dass der Gesetzgeber gar nicht wissen wolle, wie oft und weshalb ungeborene Kinder im fortgeschrittenen Stadium der Entwicklung im Mutterleib getötet werden“60. 3. Datenlage Regelmäßig aktualisierte statistische Angaben zur Zahl der Schwangerschaftsabbrüche aufgrund von Behinderungen oder vorgeburtlichen Schädigungen der Kinder gibt es derzeit nur in 56 Vgl. Büchner, Bernward, Lebensrecht nach Maßgabe der Selbstbestimmung anderer? – Zum Gesetz zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, in: Zeitschrift für Lebensrecht (ZfL), 2009, Heft 2, S. 38 (42). 57 Vgl. zu dieser Äußerung der Abgeordneten Sibylle Laurischk in der Plenardebatte vom 13. Mai 2009 bereits die Ausführungen oben zu Gliederungspunkt 2.4.1. 58 Vgl. Büchner, Bernward, Lebensrecht nach Maßgabe der Selbstbestimmung anderer? – Zum Gesetz zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, in: Zeitschrift für Lebensrecht (ZfL), 2009, Heft 2, S. 38 (42). 59 BGBl. I S. 2990. 60 Vgl. Beckmann, Rainer , Der Beweis, in: Zeitschrift für Lebensrecht (ZfL), 2009, Heft 2, S. 37. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 16 Sachsen-Anhalt und in der Stadt Mainz61. Die Daten aus den dort geführten Registern werden regelmäßig an EUROCAT übermittelt, einer internationalen Organisation, die europaweit tätig ist und epidemiologische Daten erhebt und in einem Fehlbildungsregister erfasst62. Eine weitere international tätige Organisation, die sich mit der Erfassung von Zahlen vorgeburtlicher Fehlbildungen befasst, ist ICBDMS, das International Clearinghouse for Birth Defects Monitoring Systems, das 1974 als weltweit tätiges Surveillance-Programm der WHO gegründet wurde63. 3.1. Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt Die Registrierung von Fehlbildungen bei Neugeborenen wurde an der Kinderklinik der Medizinischen Akademie Magdeburg (Prof. Steinbicker) in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre aufgebaut, um die vorgeburtliche Diagnostik weiter auszubauen und fehlbildungsvorbeugende Maßnahmen zu entwickeln. Die Anregung hierzu kam aus Ungarn, dort wurden schon seit Mitte der siebziger Jahre Fehlbildungen bei Neugeborenen erfasst64. Nach dem Beginn der Erfassung in Magdeburg 1979 wurde diese in den darauf folgenden Jahren auf weitere Landkreise erweitert. Seit Beginn der neunziger Jahre wird das Fehlbildungsmonitoring von der Landesregierung unterstützt und ist heute Teil der Gesundheitsberichterstattung Sachsen-Anhalts. Aktuell steht der Jahresbericht 2015 zur Verfügung: Jahresbericht des Bundeslandes Sachsen- Anhalt zur Häufigkeit von congenitalen Fehlbildungen und Anomalien sowie genetisch bedingten Erkrankungen 201565. Der Bericht enthält unter Punkt 2 eine Übersicht zur Zahl der Lebendgeborenen, Totgeborenen sowie der Schwangerschaftsabbrüche (Spontanaborte sowie induzierte Aborte). Allgemeine Ausführungen zur Fehlbildungserfassung folgen in Kapitel 4. Darin wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Datenqualität, d.h. eine aussagekräftige Statistik, mangels einer Meldepflicht ganz wesentlich von einer hohen Bereitschaft zur Meldung und von korrekten Diagnosebeschreibungen abhänge66. Die aktuelle Datenbank enthalte eine Stichprobe von 10,4 Prozent aller im Jahr 2015 in Sachsen-Anhalt Geborenen. Kapitel 14 des Berichts widmet sich der Analyse fehlbildungsbedingter Abortinduktionen. Bezogen auf unterschiedliche Fehlbildungen werden hier die unterschiedlichen Altersgruppen der Mütter erfasst, es wird nach dem Alter der Feten zum Zeitpunkt der ersten Diagnosestellung differenziert und dem zum Zeitpunkt des Schwangerschaftsabbruchs. Die höchste Zahl an 61 S. Antwort der Bundesregierung (Bundeministerium für Gesundheit) vom 7. April 2015 auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hüppe u. a. zur vorgeburtlichen Blutuntersuchung zur Feststellung des Down-Syndroms (BT-Drs 18/4406 vom 20. März 2015), BT-Drs 18/4574, S. 4. 62 http://www.eurocat-network.eu/ (abgerufen am 26. Mai 2017). 63 S. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23511960 (abgerufen am 30. Mai 2017). 64 S. hierzu: 25 Jahre Fehlbildungserfassung in Sachsen-Anhalt, Pressemitteilung des Klinikums der Otte-von- Guericke-Universität Magdeburg vom 8. April 2004, http://www.med.uni-magdeburg .de/fme/prst/pmi2004/30.shtml (abgerufen am 30. Mai 2017). 65 Autoren: Götz, Dorit, Köhn, u. a., der Jahresbericht ist online abrufbar unter: http://www.angeborene-fehlbildungen .com/monz_mm/Dokumente/Jahresberichte/Bericht2015_WEB.pdf. (beigefügt als Anlage). 66 S. 12 des Jahresberichts 2015. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 17 Schwangerschaftsabbrüchen geht auf Chromosomenaberrationen zurück (44,1 Prozent), gefolgt von Fällen der Fehlbildung des Zentralnervensystems (23,5 Prozent). Im Verhältnis zu den Vorjahren wird ein Rückgang an Schwangerschaftsabbrüchen festgestellt. In nur 1,95 Prozent der Abbrüche seien Fehlbildungen des Fetus ursächlich gewesen67. Das Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt wurde u. a. von der früheren Gesundheitsstaatssekretärin in Sachsen-Anhalt, Freudenberg-Pilster „als ein wichtiger Baustein in der Gesundheitsvorsorge“ gewürdigt68. 3.2. „Geburtenregister Mainzer Modell“ Seit 1990 wird in Mainz das sog. Geburtenregister Mainzer Modell geführt69. Ziel ist die „Ermittlung populationsbezogener Fehlbildungsprävalenzen und gegebenenfalls zeitlicher/ räumlicher Trends (und die) Ursachenforschung zur Entstehung angeborener Malformationen“70. Über die Arbeitsweise des Registers berichtete deren Leiterin, Dr. Annette Queißer-Wahrendorf. Danach werden alle Neugeborenen und Feten in der ersten Lebenswoche untersucht. Im Falle von Schwangerschaftsabbrüchen und Totgeburten werden die pathologischen Befunde ausgewertet 71. Im Zeitraum 1990 bis 2011 habe man fast 70.000 Neugeborene (in Rheinhessen und in Mainz) erfasst. In 6,3 Prozent der Fälle habe mindestens eine große Fehlbildung vorgelegen72. Der Aufbau der Statistik in Mainz wird auch im Zusammenhang mit der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 gesehen: Nach dem Reaktorunfall war in verschiedenen Regionen in Deutschland , wie auch in Berlin, ein deutlicher Anstieg von Trisomie 21-Fällen festgestellt worden, dies 67 Jahresbericht 2015, S. 72. 68 25 Jahre Fehlbildungsmonitoring in Sachsen-Anhalt, Pressemitteilung des Ministeriums für Arbeit und Soziales Sachsen-Anhalt vom 14. April 2004, http://presseservice.pressrelations.de/pressemitteilung/25-jahre-fehlbildungsmonitoring -in-sachsenanhalt-153208.html (abgerufen am 30. Mai 2017). 69 http://www.mainzermodell.de/content/Fehlbildungen.43.0.html?&L=0 (abgerufen am 26. Mai 2017), Vgl. Queißer-Luft, Spranger, Fehlbildungen bei Neugeborenen, in: aerzteblatt.de https://www.aerzteblatt.de/archiv /52795/Fehlbildungen-bei-Neugeborenen (abgerufen am 26. Mai 2017)- 70 https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-2006-948684 (abgerufen am 26. Mai 2017). 71 S. hierzu auch den Bericht der Leiterin des Geburtenregisters Mainzer Modell, Dr. Annette Queißer-Wahrendorf, Aktuelle Daten aus dem Geburtenregister Mainzer Modell (MaMo), Fehlbildungen – Häufigkeiten und Risikofaktoren , in: Kinder- und Jugendarzt 2016, S. 668-672. 72 Details zu Schwangerschaftsabbrüchen auf Grund einer diagnostizierten Fehlbildung des Fetus werden erfasst, sind aber nicht Gegenstand der hier zitierten Quelle. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 18 hätten die Fachleute zunächst mit der ionisierenden Strahlung in Zusammenhang gebracht, was aber in der Folgezeit nicht bestätigt worden sei73. Seit der Einführung des Geburtenregisters wurde auch das Mainzer Modell – wie bereits das Fehlbildungsmonitoring von Sachsen-Anhalt – als Vorbild für weitere denkbare statistische Erfassungen gesehen, so z. B. vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer im Jahr 1994, der gemeinsam mit dem damaligen Leiter des Mainzer Projekts, Prof. Spranger, gefordert hat, man solle in Deutschland zehn regionale Fehlbildungsregister einrichten74. 3.3. Studien und weitere Beiträge, die Hinweise auf die Häufigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen aufgrund einer Behinderung oder vorgeburtlichen Schädigung des Kindes geben In Presseberichterstattungen finden sich mehrere Hinweise auf eine sehr hohe Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen nach einer pränatalen Diagnose über Trisomie 21. „In der Öffentlichkeit kursiert die Zahl, dass sich 90 Prozent der Eltern gegen eine Fortsetzung der Schwangerschaft entscheiden, wenn die Diagnose Down-Syndrom feststeht“75. Hierbei wird zum Teil auf das Fehlbildungsmonitoring von Sachsen-Anhalt verwiesen, dort festgestellte Zahlen könnten verallgemeinert werden76. Nach einer Studie, die zu Trisomie 21 von Januar 2009 bis Dezember 2014 an der Charité Berlin durchgeführt wurde77, liegt die Rate der dort analysierten Schwangerschaftsabbrüche deutlich unter 90 Prozent. In die Studie waren 112 Frauen einbezogen. 67,9 Prozent der Frauen hatten sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden. Auch eine an der University of South Carolina durchgeführte Studie, die weitere Studien in den USA evaluiert hatte, kam – allerdings für die USA - 2012 zu dem Ergebnis, dass die Zahl 73 Vgl. hierzu Queißer-Luft, Spranger, Jürgen, Fehlbildungen bei Neugeborenen, in: aerzteblatt.de 2006, S. 7/11, https://www.aerzteblatt.de/archiv/52795/Fehlbildungen-bei-Neugeborenen (abgerufen am 30. Mai 2017). 74 S.: Görlitzer, Klaus-Peter, Und wieder sind die Eltern schuld – Experten fordern ein flächendeckendes Fehlbildungsregister ,in: taz.archiv vom 11. April 1994, https://www.taz.de/Archiv-Suche/!1568010&s=&SuchRahmen =Print/ (abgerufen am 30. Mai 2017), darin Hinweis auf ein aktuelles Medieninteresse auf Grund einer Berichterstattung des WDR-Magazins Monitors zu einer Häufung von angeborenen Fehlbildungen an der deutschen Nordseeküste. 75 So der Bericht von Fischer, Ralf, Prätests zwischen Fortschritt und Selektion, Bayerischer Rundfunk, 18. Mai 2017, http://www.br.de/nachrichten/trisomie-21-praenataldiagnostik-schwangerschaftsabbruch- 100.html (abgerufen am 26. Mai 2017). 76 So z. B. Schade, K, Rißmann, A, führt der DNA-Test aus mütterlichem Blut zur stärkeren pränatalen Selektion des Down-Syndroms, in: Ärzteblatt Sachsen-Anhalt Fachartikel 03/2015, https://www.aerzteblatt-sachsen-anhalt .de/ausgabe/fachartikel/220-fachartikel-03-2015/959-fuehrt-der-dna-test-aus-muetterlichem-blut-zur-staerkeren -praenatalen-selektion-des-down-syndroms.html (abgerufen am 30. Mai 2017). 77 Weichert, Alexander u. a., Prenatal decision-making in the second and third trimester in trisomy 21-affected pregnancies, in: Journal of Perinatal Medicine, 2017, S. 205-211. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 024/17 Seite 19 der Schwangerschaftsabbrüche nach diagnostizierter Trisomie 21 deutlich unter 90 Prozent liegen dürften78. Eine weitere Arbeit befasst sich mit dem Thema Fehlbildungserfassung, und zwar in Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2002 bis 200479. Auch hier werden die Register von Sachsen-Anhalt und von Mainz erwähnt, der Schwerpunkt der Arbeit liegt aber in der Analyse der Fehlbildungen, die Frage der Zahl von induzierten Schwangerschaftsabbrüchen wird allerdings nur in allgemeiner Form behandelt. *** 78 S. Natoli, Jaime u. a., Prenatal diagnosis of Down syndrome: A systematic review of termination rates (1995-2011), in: Prenatal Diagnosis 2012, abstract und download bei: https://www.researchgate.net/publication /221896593_Prenatal_diagnosis_of_Down_syndrome_A_systematic_review_of_termination_rates_1995-2011 (abgerufen am 30. Mai 2017). 79 Renz, Iris Cathrin, Ergebnisse einer 3-jährigen Fehlbildungserfassung im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern – Analyse des Geburtenkollektivs der Jahre 2002-2004, 2006, http://d-nb.info/985278617/34 (abgerufen am 30. Mai 2017).