© 2016 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 022/16 Teilnahme von Patienten an einer Begleitforschung als Voraussetzung für die Übernahme der Behandlungskosten durch die GKV Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 2 Teilnahme von Patienten an einer Begleitforschung als Voraussetzung für die Übernahme der Behandlungskosten durch die GKV Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 022/16 Abschluss der Arbeit: 30. März 2016 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 5 2. Anspruch GKV-Versicherter auf Versorgung mit Cannabis und cannabinoidhaltigen Arzneimitteln bei Teilnahme an einer Begleitforschung nach dem Referentenentwurf des BMG 8 2.1. Die in Art. 4 des Referentenentwurfs vorgesehene Ergänzung des § 31 SGB V 8 2.2. Stellungnahmen von Fachverbänden zu der in Art. 4 des Referentenentwurfs vorgesehenen Änderung des § 31 SGB V 9 2.2.1. Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 9 2.2.2. Stellungnahme der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin 11 2.2.3. Stellungnahme der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände 11 2.2.4. Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 12 3. Anspruch GKV-Versicherter auf Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb ihres zugelassenen Indikationsbereichs bei Teilnahme an klinischen Studien nach § 35c Abs. 2 SGB V 13 3.1. Regelungsinhalt und Anwendungsbereich des § 35c Abs. 2 SGB V im Überblick 13 3.2. Normzweck und Anwendungsfälle des § 35c Abs. 2 SGB V 15 3.3. Anspruchsvoraussetzungen (§ 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V i. V. m. den §§ 31 bis 36 AM-RL) 16 3.3.1. Zugelassene Arzneimittel 16 3.3.2. Zulassungsüberschreitende Anwendung 17 3.3.3. Begriff der klinischen Studie im Sinne des 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V und Anforderungen an die Studienqualität 18 3.3.4. Teilnahme des Versicherten an der klinischen Studie als Voraussetzung des Versorgungsanspruchs 20 3.3.5. Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung 20 3.3.6. Zu erwartende therapierelevante Verbesserung der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung im Vergleich zu bestehenden Behandlungsmöglichkeiten 21 3.3.7. Angemessenes Verhältnis der mit der zulassungsüberschreitenden Anwendung des Arzneimittels verbundenen Mehrkosten zum erwarteten medizinischen Zusatznutzen 21 3.3.8. Behandlung durch einen an der vertragsärztlichen oder ambulanten Versorgung teilnehmenden Arzt 22 3.3.9. Fehlender Widerspruch des G-BA gegenüber der Arzneimittelverordnung 23 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 4 3.4. Ausschluss der Leistungspflicht der Krankenkasse bei Verpflichtung des pharmazeutischen Unternehmers zur kostenlosen Bereitstellung des Arzneimittels (§ 35c Abs. 2 Satz 2 SGB V) 24 3.5. Einzelheiten zum Verfahren beim G-BA (§ 35c Abs. 2 Satz 3 und 4 SGB V) 24 3.5.1. Information des G-BA 25 3.5.2. Materiell-rechtliche Voraussetzungen des Widerspruchs 25 3.5.3. Ausgestaltung der Verfahrensregelungen durch den G-BA 26 3.6. Beschaffung, Verordnung, Verabreichung und Abrechnung der im Rahmen der klinischen Studie zulassungsüberschreitend einzusetzenden Arzneimittel (§ 38 AM-RL) 27 3.7. Erstattungsanspruch der Krankenkassen gegen den pharmazeutischen Unternehmer (§ 35c Abs. 2 Satz 5 und 6 SGB V) 28 3.8. Bislang vom G-BA zustimmend behandelte Anträge auf Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung eines Arzneimittels in einer klinischen Studie 28 3.8.1. Der Beschluss des GB-A vom 28. Mai 2009 29 3.8.2. Der Beschluss des G-BA vom 20. September 2012 30 4. Literaturverzeichnis 31 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 5 1. Einleitung Auftragsgemäß geht diese Ausarbeitung der Frage nach, ob es in der Vergangenheit Fälle gab, in denen die Übernahme von Behandlungskosten durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) davon abhängig gemacht wurde, dass sich die Patienten zur Teilnahme an einer Begleitforschung verpflichteten, die die Wirksamkeit der Behandlung erforschen sollte. Falls es derartige Fälle gab, sollen die Behandlungsmethode, die Rechtsgrundlagen und sonstigen Rahmenbedingungen erläutert werden. Aktueller Hintergrund dieser Fragestellung ist der vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) am 7. Januar 2016 vorgelegte Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“1, der für Versicherte der GKV in eng begrenzten Ausnahmefällen einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis und cannabinoidhaltigen Arzneimitteln bei Teilnahme an einer Begleitforschung vorsieht2. Die im Referentenentwurf des BMG vorgesehene Regelung, die Kostenübernahme durch die GKV von der verpflichtenden Teilnahme des Patienten an einer Begleitforschung abhängig zu machen, ist für eine leistungsrechtliche Regelung im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)3 ein „Novum“4 und dem System der Erstattungsfähigkeit nach dem SGB V „ strukturfremd“5, da Leistungen in der GKV in aller Regel bedingungslos zur Verfügung gestellt werden6. Auch die vor Inkrafttreten des SGB V am 1. Januar 1989 maßgebliche Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 19. Juli 19117 enthielt – soweit ersichtlich – bis zu ihrem Außerkrafttreten am 31. Dezember 1988 keine Regelungen, in denen der 1 Der Referentenentwurf des BMG vom 7. Januar 2016 ist im Internet abrufbar unter: http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/C/160108_GE_Cannabis _als_Medizin_mit_Cannabisagentur.pdf. 2 Zum Anspruch GKV-Versicherter auf Versorgung mit Cannabis und cannabinoidhaltigen Arzneimitteln bei Teilnahme an einer Begleitforschung nach dem Referentenentwurf des BMG vom 7. Januar 2016 vgl. im Einzelnen unten Gliederungspunkt 2. 1. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) – Gesetzliche Krankenversicherung – (Art. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 24477, 2482), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 12 des Gesetzes vom 17. Februar 2016 (BGBl. I S. 203). 4 Vgl. insoweit die gemeinsame Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sowie die Stellungnahme der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zu der in Art. 4 des Referentenentwurfs vorgesehenen Änderung des § 31 SGB V unter den nachfolgenden Gliederungspunkten 2.2.1. und 2.2.2. 5 Vgl. insoweit die Stellungnahme der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) zu der in Art. 4 des Referentenentwurfs vorgesehenen Änderung des § 31 SGB V unter dem nachfolgenden Gliederungspunkt 2.2.3. 6 Vgl. insoweit die gemeinsame Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zu der in Art. 4 des Referentenentwurfs vorgesehenen Änderung des § 31 SGB V unter dem nachfolgenden Gliederungspunkt 2.2.1. 7 RGBl. S. 509. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 6 Behandlungsanspruch des Versicherten mit der verpflichtenden Teilnahme an einer Begleitforschung verknüpft wurde. Mit der zum 1. April 2007 in das SGB V eingefügten Vorschrift des § 35c Abs. 2 SGB V existiert nach derzeitiger Rechtslage allerdings eine Bestimmung, die eine gewisse Ähnlichkeit zu der im Referentenentwurf des BMG vorgesehenen Regelung aufweist, da der Anspruch auf Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb ihres Anwendungsbereichs nach dieser Norm unter anderem davon abhängig ist, dass der Versicherte im Rahmen einer ambulanten Behandlung als Prüfungsteilnehmer an der klinischen Prüfung eines solchen Arzneimittels beteiligt ist8. In derartigen Fällen ist die Teilnahme des Patienten an einer klinischen Prüfung somit zwingende Voraussetzung für die Übernahme der Kosten einer zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln durch die GKV. Als mögliche Anwendungsgebiete im Sinne des § 35c Abs. 2 SGB V kommen die Behandlung seltener Erkrankungen und insbesondere die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Arzneimitteln in Betracht, wobei klinische Studien im Bereich der Kinderonkologie eine besondere Rolle spielen. Entsprechenden Anträgen auf Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung eines Arzneimittels in einer klinischen Studie zu Lasten der GKV gemäß § 35c Abs. 2 SGB V hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bisher erst in zwei Verfahren aus den Jahren 2009 und 2012 nicht widersprochen. Bei diesen vom G-BA ausnahmsweise zustimmend behandelten Anträgen handelte es sich um klinische Studien 8 Zum Anspruch GKV-Versicherter auf Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb ihres zugelassenen Indikationsbereichs bei Teilnahme an klinischen Studien nach § 35c Abs. 2 SGB V vgl. im Einzelnen unten Gliederungspunkt 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 7 bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit lokalisierten Hochrisiko-Weichteilsarkomen 9 bzw. mit der Hochrisiko-Variante des Neuroblastoms10. Im Rahmen beider Verfahren befasste sich der G-BA ausführlich mit den jeweils geplanten klinischen Arzneimittel-Prüfungen und legte im Einzelnen dar, aus welchen Gründen er einer Kostenübernahme der Prüfmedikation durch die GKV nicht widerspreche11. Über die Bestimmung des § 35c Abs. 2 SGB V hinaus ist im sonstigen Leistungsrecht des SGB V nach derzeitiger Rechtslage jedoch keine insoweit vergleichbare Vorschrift erkennbar. 9 Der Begriff Weichteilsarkome (auch Weichgewebssarkome oder bösartige Weichteiltumoren genannt) umfasst eine Vielzahl sehr verschiedener bösartiger Erkrankungen, die in Muskeln, Bändern, Gelenken oder im Nervengewebe vorkommen. Gemeinsam ist diesen Erkrankungen, dass sie durch eine bösartige Veränderung (Entartung ) von unreifen Vorläuferzellen der Weichgewebe entstehen. Zu den Weichgeweben zählen so unterschiedliche Gewebearten wie das Muskel-, Fett- und Bindegewebe sowie das Gewebe peripherer Nerven. Aus diesem Grund gibt es auch mehrere Arten von Weichteilsarkomen und seltenen Weichteiltumoren. Die meisten Weichteilsarkome und -tumoren wachsen und streuen schnell, so dass sie, wenn sie unbehandelt bleiben, innerhalb weniger Wochen oder Monate zum Tod führen können. Weichteilsarkome und seltene Weichteiltumoren machen insgesamt etwa 6,6 Prozent aller Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter aus. In Deutschland erkranken jährlich etwa 140 Kinder und Jugendliche neu an einem bösartigen Weichteiltumor. Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei 6 Jahren. Weitere Informationen zum Krankheitsbild der Weichteilsarkome und Weichteiltumoren, zu Häufigkeit, Tumortypen und möglichen Krankheitsverläufen, Ursachen und Symptomen sowie zu Diagnostik, Therapieplanung, Behandlung und Prognose sind im Internet abrufbar unter: http://www.kinderkrebsinfo.de/e9031/e10591/e77084/e66699/index_ger.html. 10 Neuroblastome sind bösartige solide Tumoren, die aus entarteten unreifen Zellen des sympathischen Nervensystems hervorgehen, das – als Teil des autonomen Nervensystems – die unwillkürlichen Funktionen wie Herzund Kreislauf, Darm- und Blasentätigkeit steuert. Neuroblastome können überall dort auftreten, wo sich sympathisches Nervengewebe befindet. Die meisten Neuroblastome entstehen im Nebennierenmark oder im Bereich der Nervengeflechte beidseits der Wirbelsäule. Der Krankheitsverlauf ist sehr unterschiedlich. Manche Tumoren verhalten sich sehr aggressiv und bilden Metastasen in anderen Körperregionen und -organen, andere wiederum können sich zu weniger bösartigen Formen der Erkrankung entwickeln und sogar spontan zurückbilden. Entsprechend sind auch die Heilungsaussichten sehr unterschiedlich. Neuroblastome machen etwa 7 Prozent aller Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter aus. Sie sind nach den Tumoren des Zentralnervensystems die häufigsten soliden Tumoren. In Deutschland erkranken nach Angaben des Deutschen Kinderkrebsregisters jährlich etwa 130 Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 14. Lebensjahr neu an einem Neuroblastom. Da Neuroblastome embryonale Tumoren sind, kommen sie vor allem im frühen Kindesalter vor: 90 Prozent der Patienten sind jünger als sechs Jahre alt. Am häufigsten betroffen sind, mit etwa 40 Prozent, Neugeborene und Säuglinge im ersten Lebensjahr. Weitere Informationen über Art und Häufigkeit der Erkrankung sowie über Krankheitsentstehung und Krankheitszeichen sind im Internet abrufbar unter: http://www.kinderkrebsinfo .de/e9031/e10591/e77084/e66699/index_ger.html. 11 Zu den Beschlüssen des G-BA vom 28. Mai 2009 und 20. September 2012 vgl. im Einzelnen unten Gliederungspunkt 3.8.1 und 3.8.2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 8 2. Anspruch GKV-Versicherter auf Versorgung mit Cannabis und cannabinoidhaltigen Arzneimitteln bei Teilnahme an einer Begleitforschung nach dem Referentenentwurf des BMG 2.1. Die in Art. 4 des Referentenentwurfs vorgesehene Ergänzung des § 31 SGB V Der vom BMG am 7. Januar 2016 vorgelegte Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“12 verfolgt – aufbauend auf den schon nach bisheriger Rechtslage bestehenden Möglichkeiten, cannabis- und cannabinoidhaltige Arzneimittel zu therapeutischen Zwecken einzusetzen13 – das Ziel, die Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit für weitere Arzneimittel auf Cannabisbasis herzustellen, um dadurch bei fehlenden Therapiealternativen bestimmten, insbesondere schwerwiegend chronisch erkrankten Patientinnen und Patienten nach entsprechender Indikationsstellung den Zugang zur therapeutischen Anwendung dieser Arzneimittel in kontrollierter pharmazeutischer Qualität durch die Abgabe in Apotheken zu ermöglichen14. Begleitend zur Herstellung der Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit für weitere Cannabisarzneimittel soll mit dem geplanten Gesetz zudem für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung in eng begrenzten Ausnahmefällen ein Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabilon oder Nabilon geschaffen werden15. Nach Art. 4 des Referentenentwurfs soll die Bestimmung des § 31 SGB V um einen Absatz 6 ergänzt werden, der die Voraussetzungen regelt, unter denen Cannabis und cannabinoidhaltige Arzneimittel zu Lasten der GKV zukünftig verordnungsfähig sein sollen. Voraussetzung für einen Anspruch Versicherter auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon ist nach § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V in der Fassung des Referentenentwurfs zunächst, dass der Versicherte unter einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung im Sinne des § 62 Abs. 1 Satz 8 SGB V leidet. Nach der in § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 und 2 des Entwurfs vorgesehenen Regelung soll eine Verordnung zu Lasten der GKV darüber hinaus nur dann möglich sein, wenn eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall nicht zur Verfügung steht und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Eine Leistungspflicht der GKV soll gemäß § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 SGB V in der Fassung des Referentenentwurfs zudem nur dann bestehen, wenn sich die oder der Versicherte verpflichtet, an einer bis zum 31. Dezember 2018 laufenden Begleitforschung zum Einsatz der oben genannten 12 BMG, Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ vom 7. Januar 2016, abrufbar im Internet unter: http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Downloads/Gesetze _und_Verordnungen/GuV/C/160108_GE_Cannabis_als_Medizin_mit_Cannabisagentur.pdf. 13 Vgl. hierzu näher: Legale Anwendungsmöglichkeiten für Cannabis und Cannabis-Wirkstoffe zu medizinischen Zwecken in Deutschland – Derzeitige Rechtslage und aktuelle Reformbemühungen, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, WD 9 – 3000 – 004/16. 14 Vgl. die Begründung des Referentenentwurfs des BMG vom 7. Januar 2016, S. 1 und 10. 15 Vgl. die Begründung des Referentenentwurfs des BMG vom 7. Januar 2016, S. 1 und 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 9 Arzneimittel teilzunehmen. Diese Begleitforschung soll nach der Entwurfsbegründung16 dazu dienen, die Erforschung der Wirksamkeit von Cannabis zu medizinischen Zwecken voranzubringen , um so eine Grundlage für die Entscheidung über die dauerhafte Aufnahme in die Versorgung zu schaffen. Nach Ende der Begleitforschung zum 31. Dezember 2018 soll diese zusätzliche Voraussetzung des Versorgungsanspruchs entfallen. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Begleitforschung soll der G-BA im Anschluss daran bis zum 31. Juli 2019 in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V konkretisierend festlegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen und unter welchen Voraussetzungen die Leistungen nach § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V in der Fassung des Referentenentwurfs auch ab dem 1. August 2019 zu Lasten der GKV verordnet werden können (§ 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V des Entwurfs). Die Leistung bedarf nach § 31 Abs. 6 Satz 3 des Entwurfs der Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist. Der Entwurfsbegründung zu Folge17 hat die Krankenkasse das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Erstattungsfähigkeit in jedem Einzelfall unter Einbeziehung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zu prüfen. 2.2. Stellungnahmen von Fachverbänden zu der in Art. 4 des Referentenentwurfs vorgesehenen Änderung des § 31 SGB V Die in Art. 4 des Referentenentwurfs des BMG vorgesehene Änderung des § 31 SGB V mit dem Ziel, in eng begrenzten Ausnahmefällen für Versicherte der GKV einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon zu schaffen, wird in den öffentlich zugänglichen Stellungnahmen der Fachverbände unter verschiedenen Aspekten als problematisch angesehen . Insbesondere die in § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 SGB V des Entwurfs vorgesehene Verpflichtung der oder des Versicherten, an einer bis zum 31 Dezember 2018 laufenden Begleitforschung zum Einsatz dieser Arzneimittel teilzunehmen, ist dabei erheblicher Kritik ausgesetzt und wird als nicht sachgerecht bewertet. Den Anspruch auf Kostenübernahme durch die GKV von der Teilnahme an einer Begleitforschung abhängig zu machen, wird aus folgenden Gründen kontrovers diskutiert: 2.2.1. Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Die Bundesärztekammer und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft vertreten in ihrer gemeinsamen Stellungnahme vom 4. Februar 201618 die Auffassung, die in § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 SGB V des Entwurfs vorgesehene Verpflichtung zur Teilnahme an einer Begleitforschung 16 Vgl. hierzu die Ausführungen im Referentenentwurf des BMG vom 7. Januar 2016, S. 20. 17 Vgl. auch hierzu die Ausführungen im Referentenentwurf des BMG vom 7. Januar 2016, S. 20. 18 Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft vom 4. Februar 2016 zum Referentenentwurf des BMG für ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 7. Januar 2016, abrufbar im Internet unter: http://www.bundesaerztekammer .de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Stellungnahmen/SN_BAEK_RefE_Gesetz_zur_Aenderung _betaeubungsmittelrechtl._u.a._Vorschriften_04.02.2016.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 10 sei für eine leistungsrechtliche Regelung im SGB V ein „Novum“19. Grundsätzlich sei es zwar zu begrüßen, den Einsatz cannabinoidhaltiger Arzneimittel weiterhin forschend zu begleiten. Auch sollten – so heißt es in der Stellungnahme dieser beiden Verbände weiter – Patienten zur Teilnahme an einer begleitenden Datenerfassung unter Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht und datenschutzrechtlicher Grundsätze durchaus ermuntert werden. Eine Kostenerstattung durch die GKV an die verpflichtende Teilnahme an entsprechenden Studien zu koppeln, sei jedoch abzulehnen . Weder dem vorgesehenen Gesetzestext noch der Begründung des Entwurfs sei zu entnehmen , wie die Begleitforschung im Konkreten ausgestaltet werden solle. Diese könnte – so wird in der Stellungnahme weiter ausgeführt – sowohl eine begleitende Erfassung von Daten zur Wirksamkeit des eingesetzten Medikaments, aber auch Vorgaben zur Dosierung beinhalten und würde im letzteren Fall Patienten quasi zu „Zwangsprobanden“ einer Studie machen. Die Kostenübernahme von der Bedingung zur verpflichtenden Teilnahme an einer Begleitforschung abhängig zu machen, erscheine auch deshalb problematisch, weil die Regelung diesbezüglich alternativlos ausgestaltet sei. Dies ergebe sich aus dem Regelungszusammenhang von § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 und 3 SGB V des Entwurfs. Nach § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 SGB V des Entwurfs sei der Versorgungsanspruch an die Voraussetzung geknüpft, dass eine allgemein anerkannte , dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall nicht zur Verfügung stehe. Dies führe dazu, diese Leistung als medizinisch notwendig anzusehen mit der Folge, dass diejenigen Versicherten, für die diese Therapieoption „eine letzte Möglichkeit“ darstelle, „faktisch gezwungen“ seien, an der Begleitforschung teilzunehmen. Dieser jedenfalls „faktische Zwang“ lasse Zweifel aufkommen, ob die Einwilligung des Versicherten an der Begleitforschung teilzunehmen, noch als freiwillig angesehen werden könne20. Nach Einschätzung der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft steht die in § 31 Abs. 6 SGB V geplante Neuregelung zudem in einem „gewissen Widerspruch “ zum Leistungsrecht nach dem SGB V, wonach Leistungen in der GKV in aller Regel bedingungslos zur Verfügung gestellt würden21. Eigenleistung (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V) und Eigenverantwortung (§ 1 Satz 2 und 3 SGB V) sowie eine bestimmte Mitwirkung des Versicherten nach den §§ 60 ff Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I)22 würden im System der GKV nur in bestimmten engen Grenzen vorausgesetzt. 19 Vgl. hierzu und zum Folgenden die Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft vom 4. Februar 2016 zum Referentenentwurf des BMG für ein Gesetz zur Änderung betäubungsrechtlicher und anderer Vorschriften vom 7. Januar 2016, S. 7. 20 Vgl. hierzu die Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft vom 4. Februar 2016 zum Referentenentwurf des BMG für ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 7. Januar 2016, S.7 f. 21 Vgl. hierzu die Stellungnahme der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft vom 4. Februar 2016 zum Referentenentwurf des BMG für ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 7. Januar 2016, S. 8. 22 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (Art. 1 des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015), zuletzt geändert durch Art. 1b des Gesetzes vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 4208). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 11 2.2.2. Stellungnahme der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin Die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. und die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin begrüßen zwar in ihrer Stellungnahme vom 3. Februar 201623 die Initiative der Bundesregierung, die Verschreibungsfähigkeit von Arzneimitteln auf Cannabisbasis zu erleichtern und einen Rahmen für die Kostenübernahme durch die GKV bei medizinischer Indikation zu schaffen24. Beide Fachgesellschaften setzten sich deshalb auch dafür ein, Dronabinol in Form von Tropfen und Kapseln bei definierten Indikationen der Schmerz- und Palliativmedizin in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufzunehmen. Ebenso wie die Bundesärztekammer und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft gelangen aber auch diese beiden Fachgesellschaften zu der Feststellung , dass es sich bei der in § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 SGB V vorgesehenen Verpflichtung zur Teilnahme des Patienten an einer Begleitforschung als Voraussetzung einer Kostenerstattung durch die GKV um ein „Novum“ handele. Dies könne zu einem Präjudiz für andere Leistungsbereiche der GKV führen, auch wenn beim Einsatz cannabinoidhaltiger Arzneimittel der Ausbau der Versorgungsforschung erforderlich sei. Es werde deshalb empfohlen, dieses „Novum“ zu streichen. Zudem sei weder dem vorgesehenen Gesetzestext noch der Begründung des Entwurfs zu entnehmen, wie die Begleitforschung aussehen solle. In Übereinstimmung mit der Bundesärztekammer und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft25 weisen auch die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. und die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin in diesem Zusammenhang darauf hin, dass diese Begleitforschung sowohl eine begleitende Erfassung von Daten zur Wirksamkeit des eingesetzten Medikaments, aber auch Vorgaben zur Dosierung beinhalten könnte und im letzteren Fall Patienten gewissermaßen zu „Zwangsprobanden“ einer Phase-II- Studie machen würde. 2.2.3. Stellungnahme der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände Auch die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) begrüßt in ihrer Stellungnahme vom 5. Februar 201626 das Anliegen des Gesetzgebers, die therapeutische Anwendung von Cannabis als Arzneimittel sowie die Erstattungsfähigkeit durch die GKV zu regeln und dabei insbesondere auf die Versorgungsstrukturen durch die öffentlichen Apotheken zurückzugreifen. In 23 Stellungnahme der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin vom 3. Februar 2016 zum Referentenentwurf des BMG für ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften, abrufbar im Internet unter: http://www.dgss.org/fileadmin/pdf/pdf_2/Stellungnahmen /DGP_Deutsche_Schmerzgesellschaft-Stellungnahme_Cannabis_Endfassung.pdf. 24 Stellungnahme der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin vom 3. Februar 2016 zum Referentenentwurf des BMG für ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften, S. 1. 25 Vgl. hierzu oben Gliederungspunkt 2.2.1. 26 Stellungnahme der ABDA vom 5. Februar 2016 zum Referentenentwurf des BMG für ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften, abrufbar im Internet unter: http://www.abda.de/fileadmin /assets/Stellungnahmen/2016/ABDA_Stellungnahme_20160205endg.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 12 der konkreten gesetzlichen Umsetzung sieht der ABDA allerdings teilweise noch Modifizierungsbedarf 27. Den Anspruch auf Kostenübernahme durch die GKV an die Bedingung zu knüpfen, dass der Versicherte sich verpflichtet, an einer bis zum 31. Dezember 2018 laufenden Begleitforschung zum Einsatz von Cannabisprodukten teilzunehmen, sei dem System der Erstattungsfähigkeit nach dem SGB V jedenfalls „strukturfremd“28. 2.2.4. Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) vertritt in ihrer Stellungnahme vom 4. Februar 201629 die Ansicht, mit der in § 31 Abs. 6 SGB V geplanten Sonderregelung einer Erstattungsfähigkeit von Cannabis und cannabinoidhaltigen Arzneimitteln zu Lasten der GKV würden verschiedene bislang für die Arzneimittelversorgung geltende gesetzliche und höchstrichterlich abgesicherte Anforderungen an Arzneimittel für entsprechende Cannabisprodukte außer Kraft gesetzt . Die KBV könne zwar die Intention des Referentenentwurfs nachvollziehen, entsprechenden Patienten eine zusätzliche therapeutische Option zur Verfügung zu stellen, sehe aber die Schaffung einer Leistungspflicht der GKV kritisch unter dem Aspekt der Gleichbehandlung mit anderen Arzneimitteln und Leistungen, die zu Lasten der GKV erbracht würden30. Außerdem weist die KBV darauf hin, dass zu der in § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 SGB V vorgesehenen Begleitforschung keine konkretisierenden Ausführungen gemacht würden. Im Rahmen dieser Begleitforschung könne auch nicht von der Generierung belastbarer Ergebnisse mit hinreichender Evidenz ausgegangen werden, auf deren Basis eine Beschlussfassung des G-BA über die dauerhafte Aufnahme des Versorgungsanspruchs in den Leistungskatalog der GKV möglich wäre31. Der Zeitraum für die Begleitforschung sei keineswegs ausreichend, um bei der voraussichtlich geringen Anzahl der Patienten, den unterschiedlichen Indikationen und jeweiligen Ausprägungen sowie der verschiedenen eingesetzten Produkte belastbare Ergebnisse zu erzielen. Die im Rahmen der Begleitforschung erreichbare Evidenz beziehe sich auf einzelne individuelle Fallgestaltungen. Offen bleibe außerdem, welche Parameter beim Patienten erhoben werden könnten, welche Aussagekraft diese hätten und wie belastbar die gefundenen Ergebnisse seien. Darüber hinaus erscheine der Zeitraum zwischen dem Abschluss der Begleitforschung und der Entscheidung des G-BA als zu kurz gewählt. 27 Vgl. hierzu näher die Stellungnahme der ABDA vom 5. Februar 2016 zum Referentenentwurf des BMG für ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften, S. 2 ff. 28 Vgl. hierzu die Stellungnahme der ABDA vom 5. Februar 2016 zum Referentenentwurf des BMG für ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften, S. 4. 29 Vgl. hierzu die Stellungnahme der KBV vom 4. Februar 2016 zum Referentenentwurf des BMG für ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften, S. 3 f, abrufbar im Internet unter: http://www.kbv.de/media/sp/2016_02_04_Aend_BtM_u_andere_Vorschrift_RefE_KBV.pdf. 30 Vgl. hierzu im Einzelnen die Stellungnahme der KBV vom 4. Februar 2016 zum Referentenentwurf des BMG für ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften, S. 4 ff. 31 Vgl. hierzu und zum Folgenden die Stellungnahme der KBV vom 4. Februar 2016 zum Referentenentwurf des BMG für ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften, S. 7 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 13 3. Anspruch GKV-Versicherter auf Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb ihres zugelassenen Indikationsbereichs bei Teilnahme an klinischen Studien nach § 35c Abs. 2 SGB V 3.1. Regelungsinhalt und Anwendungsbereich des § 35c Abs. 2 SGB V im Überblick Die Vorschrift des § 35c Abs. 2 SGB V, die durch Art. 1 Nr. 20a des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG) vom 26. März 200732 mit Wirkung zum 1. April 200733 in das SGB V eingefügt wurde34, regelt für den Bereich der ambulanten Versorgung unter engen Voraussetzungen die Anwendung und den Anspruch gesetzlich Versicherter auf Verordnung von zugelassenen Arzneimitteln außerhalb des zugelassenen Indikationsbereichs, die im Rahmen klinischer Studien bzw. klinischer Prüfungen im Sinne der §§ 40 ff. des Arzneimittelgesetzes (AMG)35 getestet werden 36. Vor dem Inkrafttreten des § 35c Abs. 2 SGB V existierte im Bereich der ambulanten Versorgung keine Rechtsgrundlage für die Übernahme der Kosten für Arzneimittel, die im Rahmen von Studien eingesetzt wurden37. Es galt vielmehr der allgemeine Grundsatz, dass die Durchführung klinischer Prüfungen nicht Aufgabe der GKV ist38. Voraussetzung für die Übernahme der Kosten einer zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln durch die GKV nach § 35c Abs. 2 SGB V ist unter anderem, dass der Versicherte 32 Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26 März 2007 (BGBl. I S. 378). 33 Vgl. Art. 46 abs. 1 GKV-WSG. 34 In ihrer ursprünglichen Fassung beschränkte sich die Regelung – so wie sie sich heute inhaltlich unverändert in § 35c Abs. 2 SGB V findet – auf die zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln in klinischen Studien. Durch Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – AMNOG) vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2262) wurde die Überschrift des § 35c SGB V geändert und der bisherige § 35b Abs. 3 SGB V in § 35c Abs. 1 SGB V verschoben. Der bisherige § 35c SGB V wurde unter Anpassung der Verweisungen der heutige § 35c Abs. 2 SGB V. Eine weitere Änderung des § 35c SGB V durch Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz – GKV-VStG) vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I S. 29839) betraf nur den Absatz 1 dieser Vorschrift. 35 Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 10. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2210). 36 Dierks/Finn, in: Dieners/Reese (Hrsg.), Handbuch des Pharmarechts, § 7 Rn. 155; Flint, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 35c Rn. 3; von Dewitz, in: BeckOK SozR , SGB V, § 35c Rn. 15; Axer, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 35c Rn. 6; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, SGB V, § 35c Rn. 2; Rückeshäuser , Off-Label-Use, S. 124; vgl. auch den Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – BT-Drs. 16/3100 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), in: BT-Drs. 16/4247, S. 32 zu Art. 1 Nr. 20a (§ 35c SGB V). 37 Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 8. März 1995 – 1 RK 8/94, SozR 3-2500, § 31 SGB V Nr. 3. 38 Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB V, § 35c Rn. 2; Pflugmacher, in: Eichenhofer /Wenner (Hrsg.), SGB V, § 35c Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 14 im Rahmen einer ambulanten Behandlung als Prüfungsteilnehmer an der klinischen Studie beteiligt ist, da nur der Teilnehmer an der klinischen Prüfung einen derartigen Anspruch hat39. Konkret richtet sich der Anspruch auf Verordnung des betreffenden Arzneimittels durch den an der Durchführung der Studie beteiligten Arzt, wobei die Versorgung über eine Apotheke abgewickelt wird40. Wegen des leistungsrechtlichen Regelungszusammenhangs sind von § 35c Abs. 2 SGB V aber nur Arzneimittel erfasst, die unter die Arzneimittelversorgung zu Lasten der GKV fallen (§§ 27, 31 SGB V)41. Nicht in den Anwendungsbereich § 35c Abs. 2 SGB V fällt die Abgabe von Arzneimitteln in der stationären Behandlung im Rahmen klinischer Studien, da der Versorgungsanteil der Arzneimitteltherapie insoweit mit den Fallpauschalen abgegolten wird42. Gleichfalls nicht erfasst von § 35c Abs. 2 SGB V werden zulassungsüberschreitende Verordnungen von Arzneimitteln außerhalb klinischer Studien sowie Verordnungen, die zwar innerhalb klinischer Studien erfolgen, aber nicht außerhalb des Indikationsbereichs43. Ausgeschlossen ist eine Leistungspflicht der Krankenkasse gemäß § 35c Abs. 2 Satz 2 SGB V dann, wenn der pharmazeutische Unternehmer das betreffende Arzneimittel nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe g des AMG kostenlos zur Verfügung stellen muss44. Der Gesetzgeber hat den G-BA ermächtigt, das Nähere zur Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln in klinischen Studien nach § 35c Abs. 2 SGB V in seiner Richtlinie über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie/AM-RL) zu regeln (§ 35c Abs. 2 Satz 4 in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V). Diesem Auftrag ist der G-BA nachgekommen. In seinen Sitzungen am 18. Dezember 2008 und 22. Januar 2009 hat der G-BA die Neufassung der AM-RL, die dringend notwendig geworden war, um auch andere zahlreiche gesetzliche Änderungen der vergangenen Jahre in diesem Bereich abzubilden, beschlossen45. Die neu gefasste AM-RL, die am 1. April 2009 39 Dierks/Finn, in: Dieners/Reese (Hrsg.), Handbuch des Pharmarechts, § 7 Rn. 155; von Dewitz, in: BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn. 15; Schuler-Harms, in: Berchtold/Huster/Rehborn (Hrsg.), Gesundheitsrecht SGB V, § 35c Rn. 27. 40 Dierks/Finn, in: Dieners/Reese (Hrsg.), Handbuch des Pharmarechts, § 7 Rn. 155; Axer, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, § 35c Rn. 6. 41 Kraftberger, in: LPK-SGB V, § 35c Rn. 9. 42 Dierks/Finn, in: Dieners/Reese (Hrsg.), Handbuch des Pharmarechts, § 7 Rn. 156; Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB V, § 35c Rn. 7; Kraftberger, in: LPK-SGBV, § 35c Rn. 9; Pflugmacher, in: Eichenhofer/Wenner (Hrsg.), SGB V, § 35c Rn. 7; vgl. hierzu näher unten Gliederungspunkt 3.3.7. 43 Dierks/Finn, in: Dieners/Reese (Hrsg.), Handbuch des Pharmarechts, § 7 Rn. 156; Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB V, § 35c Rn. 7. 44 Vgl. hierzu näher unten zu Gliederungspunkt 3.4. 45 Richtlinie des G-BA über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel- Richtlinie/AM-RL) in der Fassung vom 18. Dezember 2008/22. Januar 2009, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2009 Nr. 49a, zuletzt geändert am 17. Dezember 2015, veröffentlicht im Bundesanzeiger AT vom 4. März 2016 B2, in Kraft getreten am 5. März 2016, abrufbar im Internet unter: https://www.g-ba.de/downloads/62-492- 1144/AM-RL_2016-01-21_iK-2016-03-08.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 15 in Kraft getreten ist, wurde unter anderem um einen Abschnitt L (§§ 31 bis 39 AM-RL) ergänzt, in dem sich Regelungen zur Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln in klinischen Studien gemäß § 35c Abs. 2 SGB V finden. 3.2. Normzweck und Anwendungsfälle des § 35c Abs. 2 SGB V Mit der in § 35c Abs. 2 SGB V getroffenen Regelung verfolgt der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung 46 das Ziel, die Versorgung von Versicherten in den Fällen zu verbessern, in denen für bestimmte Patientengruppen sowie Krankheitsbilder die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln in deren zugelassenem Anwendungsbereich allein nicht ausreichend ist und für die deshalb eine rationale Therapie im Rahmen von nach dem AMG durchzuführenden klinischen Prüfungen entwickelt werden soll. Die dem Patientenschutz dienenden Begrenzungen der arzneimittelrechtlichen Zulassung von Arzneimitteln, an die der Leistungsumfang der Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 31 SGB V sonst anknüpft47, werden so im Interesse von Patienten durchbrochen. Die Bestimmung des § 35c Abs. 2 SGB V ist daher lex specialis zu § 31 SGB V48. Mit der Regelung des § 35c Abs. 2 SGB V soll ein Beitrag dazu geleistet werden, Erkenntnisgewinn und Evidenzbasierung in Bereichen zu fördern, in denen eine derartige Verbesserung der medizinischen Versorgung besonders dringlich, bislang aber nicht gewährleistet ist. Als Beispiel für einen solchen Bedarf werden in der Gesetzesbegründung klinische Prüfungen in der Kinderonkologie genannt, in der oftmals nur Präparate zur Verfügung stehen, die für diese Altersgruppe nicht zugelassen sind, so dass die Behandlung im Rahmen von klinischen Prüfungen durchgeführt werden muss49. In der Kinderonkologie – aber auch bei sehr seltenen Erkrankungen – steht zum Behandlungszeitpunkt häufig deshalb kein ausreichendes Erkenntnismaterial im Sinne einer zulassungsreifen Datenlage zur Verfügung, weil es an entsprechender Forschung fehlt. Hersteller haben – da die „Marktsegmente“ gering sind – in der Regel auch kein ökonomisches Interesse, eine erweiterte Zulassung eines Arzneimittels für diesen Bereich anzustreben. Vor diesem Hintergrund soll die Regelung des § 35c Abs. 2 SGB V dazu beitragen, mögliche Erkenntnislücken zu schließen. Daneben kommen als Anwendungsgebiet ganz allgemein die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Arzneimitteln in Betracht50. Der Grundsatz, dass es 46 Vgl. die Begründung im Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – BT-Drs. 16/3100 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), in: BT-Drs. 16/4247 S. 32 f zu Art. 1 Nr. 20a (§ 35c SGB ). 47 Vgl. Flint, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 31 Rn. 34 ff. 48 Flint, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 35c Rn. 4. 49 Vgl. die Gesetzesbegründung im Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – BT-Drs. 16/3100 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), in: BT-Drs. 16/4247, S. 33 zu Art. 1 Nr. 20a (§35c SGB V). 50 Flint, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 35c Rn. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 16 nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen ist, die medizinische Forschung zu finanzieren51, wird durch die Regelung des § 35c Abs. 2 SGB V insoweit durchbrochen, als der Gesetzgeber Forschungskosten für nicht zur Zulassungserweiterung führende Studien auf die gesetzlichen Krankenkassen überträgt und damit das Forschungsrisiko der pharmazeutischen Industrie letztlich den Versicherten und Arbeitgebern, die die GKV solidarisch finanzieren, aufbürdet52. 3.3. Anspruchsvoraussetzungen (§ 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V i. V. m. den §§ 31 bis 36 AM-RL) Nach § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB V i. V. m. den §§ 31 bis 36 AM-RL haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb ihres zugelassenen Indikationsbereichs in klinischen Studien, sofern hierdurch eine therapierelevante Verbesserung der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung im Vergleich zu bestehenden Behandlungsmöglichkeiten zu erwarten ist, die damit verbundenen Mehrkosten in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten medizinischen Zusatznutzen stehen, die Behandlung durch einen Arzt erfolgt, der an der vertragsärztlichen Versorgung oder an der ambulanten Versorgung nach den §§ 116b und 117 SGB V teilnimmt und der G-BA der Arzneimittelversorgung nicht widerspricht. Im Einzelnen ist danach die Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln in klinischen Studien zu Lasten der GKV an folgende Voraussetzungen geknüpft: 3.3.1. Zugelassene Arzneimittel Vom Leistungsanspruch umfasst ist nur ein bereits zugelassenes Arzneimittel, das außerhalb seines Zulassungsbereichs eingesetzt werden soll. Es muss sich mithin um ein Arzneimittel handeln , das nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Arzneimittelgesetz (AMG)53 durch die zuständige Bundesbehörde oder zentral durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zugelassen worden ist54. Die arzneimittelrechtliche Zulassung bedeutet, dass gemäß § 21 Abs. 2 AMG Qualität, Wirksamkeit und medizinische Unbedenklichkeit des Wirkstoffs bzw. des Arzneimittels für die vorgesehenen Indikationen geprüft und abschließend bewertet wurden55. Mit der arzneimittelrechtlichen Zulassung liegt ein eindeutiges und zuverlässiges Kriterium für die Verordnungsfähigkeit pharmazeutischer Produkte zu Lasten der GKV vor56. Die arzneimittelrechtliche Zulassung ersetzt die gesonderte GKVrechtliche Feststellung der leistungsrechtlichen Voraussetzungen der §§ 2 Abs. 1 Satz 3 und 12 51 Vgl. BT-Drs. 11/2237, S. 157 zu § 2 Abs. 1; Peters, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB V, § 2 Rn. 3. 52 Kraftberger, in: LPK-SGB V, § 35c Rn. 1. 53 Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 10. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2210). 54 Kraftberger, in: LPK-SGB V, § 35c Rn. 10; von Dewitz, in: BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn. 17. 55 Breithaupt, 2007 S. 195 (213) „Clopidogrel“, unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 19. März 2002 – B 1 KR 37/00 R, BSGE 89, 184 (185) = BSG SozR 3-2500 § 31 SGB V Nr. 8 S. 29. 56 Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 5. März 1997 – 1 BvR 1071/95, NJW 1997, 3085. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 17 Abs. 1 SGB V57 nach den Verfahren der Qualitätssicherung im vertragsärztlichen Bereich und hat damit Tatbestandswirkung für die Arzneimittelversorgung58. Eine lediglich in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschränkt auf diese Staaten erteilte Arzneimittelzulassung entfaltet demgegenüber nicht zugleich auch entsprechende Rechtswirkungen für Deutschland. Dies ergibt sich daraus, dass weder das deutsche Recht noch das Europarecht eine solche Erweiterung der Rechtswirkungen der nur von nationalen Behörden erteilten Zulassungen ohne ein entsprechend vom Hersteller eingeleitetes sowie positiv beschiedenes Antragsverfahren vorsehen59. Nicht vom Leistungsanspruch nach § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V umfasst sind auch klinische Studien mit (noch) nicht zugelassenen Arzneimitteln60. Die Anwendung eines (bisher) gar nicht zugelassenen Arzneimittels zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen ist deshalb ausgeschlossen, weil der Einsatz des Präparates auf einem strafbaren Verhalten (vgl. §§ 95 und 96 AMG) aufbauen würde und aus verbotswidrigem Handeln grundsätzlich keine Leistungspflicht der Krankenkasse abgeleitet werden kann61. 3.3.2. Zulassungsüberschreitende Anwendung Der Anspruch nach § 35c Abs. 2 SGB V bezieht sich allein auf die zulassungsüberschreitende Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln62. Für welche Indikationen ein Arzneimittel zugelassen werden soll, bestimmt der Hersteller eines Arzneimittels mit seinem Zulassungsantrag nach § 21 Abs. 3 Satz 1 AMG an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). An diesen Antrag ist das BfArM gebunden, zumal der Hersteller auch nur für die von ihm beantragten Indikationen den Nachweis der Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Sicherheit durch Vorlage entsprechender Studien erbringen muss (§ 22 Abs. 1 Nr. 6 AMG)63. Nach der Definition in § 32 AM-RL liegt eine zulassungsüberschreitende Anwendung im Sinne des § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V vor, wenn das Arzneimittel in Indikationen oder Indikationsbereichen angewendet 57 Nach der Bestimmung des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Die Leistungen müssen gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V). 58 Kraftberger, in: LPK-SGBV, § 31 Rn. 17 mit weiteren Nachweisen; Hart, Off Label Use, in : Heidelberger Kommentar , Arztrecht, Krankenhausrecht, Medizinrecht, Ordnungsziffer 3910, Rn. 91. 59 BSG, Urteil vom 4. April 2006 – B 1 KR/05 R, NJW 2007, 1380 ff, Rn. 16 („Tomudex“). 60 Beck, in: jurisPK-SGB V, 3 35c Rn. 15. 61 BSG, Urteil vom 18. Mai 2004 – B 1 KR 21/02 R, SozR 4-2500 § 31 SGB V Nr. 1 Rn. 22. 62 Flint, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 35c Rn. 38. 63 Vgl. Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB V, § 35c Rn. 3; Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, SGB V, § 35c Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 18 wird, für die es nach dem AMG nicht zugelassen ist (§ 32 Satz 1 AM-RL). Zulassungsüberschreitend ist gemäß § 32 Satz 2 AM-RL darüber hinaus auch jede Anwendung, die eine Änderung der Zulassung begründet. Noch im Rahmen der Erläuterungen der Beschlussfassung zur Neufassung der AM-RL vom 18. Dezember 2008 hatte der G-BA hierzu einschränkend ausgeführt, dass von einer zulassungsüberschreitenden Anwendung im Sinne des § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V in Verbindung mit § 32 AM- RL nicht mehr für solche Arzneimittel auszugehen sei, die in einer anderen Darreichungsform verabreicht werden, wenn damit ein gegenüber dem zugelassenen Arzneimittel verändertes Prüfpräparat zum Einsatz komme64. Der G-BA rechtfertigte dies damit, dass die Änderung der Darreichungsform die Wirksamkeit des Arzneimittels schwerwiegend verändern könne und deshalb ein völlig neues Arzneimittel entstehe, das jedweder Qualitätskontrolle ermangele und deshalb so zu behandeln sei, als sei es gar nicht zugelassen mit der Folge, dass es nicht zu Lasten der GKV verordnet werden könne65. Deswegen sei es sachlich gerechtfertigt, neue Darreichungsformen, bei denen es sich nicht um eine Änderung in eine mit der zugelassenen vergleichbaren Darreichungsform nach § 29 Abs. 2a Satz 1 Nr. 3 AMG handele (zustimmungsbedürftige Änderung), vom Anwendungsbereich der Norm auszunehmen. Das BMG sah hierin mangels Rechtsgrundlage allerdings eine über die Kompetenz des G-BA hinausgehende Einschränkung des Begriffs „zulassungsüberschreitend “ und damit eine unzulässige Begrenzung des Versorgungsanspruchs der Versicherten. Das BMG hat in diesem Zusammenhang zwar nicht von seinem Beanstandungsrecht nach § 94 SGB V Gebrauch gemacht66, gegenüber dem G-BA mit Schreiben vom 21. Januar 2009 allerdings klargestellt, dass es ein gesetzeskonformes Verwaltungshandeln erwarte und insoweit davon ausgehe, dass der G-BA derartige Einschränkungen im Antragsverfahren nach § 35c Abs. 2 Satz 3 und 4 SGB V67 nicht vornehmen wird. 3.3.3. Begriff der klinischen Studie im Sinne des 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V und Anforderungen an die Studienqualität Bei den klinischen Studien, für die mit der Regelung in § 35c Abs. 2 SGB V eine erstattungsrechtliche Grundlage geschaffen worden ist, handelt es sich um klinische Prüfungen bei Menschen im Sinne des AMG68. Hierzu zählen nach der Gesetzesbegründung insbesondere nichtkommerzielle Studien, die in der Regel von klinischen Forschern initiiert und nicht mit dem Ziel durchgeführt 64 Erläuterung der Beschlussfassung vom 18. Dezember 2008, S. 3 und 4, abrufbar im Internet unter: https://www.g-ba.de/downloads/40-268-851/2008-12-18-AMR-Neufassung_TrGr.pdf. 65 Erläuterung der Beschlussfassung vom 18. Dezember 2008, S. 4. 66 Nach § 94 Ab. 1 Satz 1 SGB V sind die vom G-BA beschlossenen Richtlinien dem BMG vorzulegen, das gemäß § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V das Recht zur Beanstandung der Richtlinie innerhalb einer Frist von in der Regel zwei Monaten nach Vorlage hat. 67 Zum Antragsverfahren beim G-BA nach § 35c Abs. 3 und 4 SGB V vgl. näher unten Gliederungspunkt 3.5. 68 Schuler-Harms, in: Berchtold/Huster/Rehborn (Hrsg.), Gesundheitsrecht, SGB V, § 35c Rn. 23; Kraftberger, in: LPK-SGB V, § 35c Rn. 13; Flint, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 35c Rn. 41; von Dewitz, in: BeckOk SozR, SGB V, § 35c Rn. 19. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 19 werden, eine Zulassung zu erhalten oder eine schon bestehende Zulassung zu erweitern. Ein entscheidender Beitrag zur Erweiterung der Zulassung liegt – so wird in der Gesetzesbegründung weiter ausgeführt – zum Beispiel vor, wenn dem pharmazeutischen Unternehmer Unterlagen und nicht publizierte Ergebnisse überlassen werden, die eine eigene, herstellerseitige Zulassungsstudie ganz oder teilweise ersetzen69. Die Zulässigkeit klinischer Studien und die Anforderungen regeln die §§ 40 bis 42b AMG. An diese Bestimmungen knüpft die Vorschrift des § 35c Abs. 2 SGB V mit der Regelung eines Versorgungsanspruchs der GKV-Versicherten sowie der Leistungs- und Kostentragungspflicht der Krankenkassen lediglich an70. Das AMG sieht in den §§ 40 ff. sehr strikte Sicherheitsmaßnahmen und Auflagen zum Schutz des Menschen in klinischen Prüfungen vor. So müssen klinische Studien von der zuständigen Ethik-Kommission zustimmend bewertet sowie von der zuständigen Zulassungsbehörde genehmigt werden. Die hohen Sicherheits- und Qualitätsanforderungen im Genehmigungsverfahren gewährleisten, dass nur hochwertige Studien genehmigt werden71. Nach 35 AM-RL muss die Studie darüber hinaus den Anforderungen der GCP-Verordnung72 und der Bekanntmachung zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln am Menschen73 und damit den Anforderungen an die Studienqualität im arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren genügen, wobei gegebenenfalls indikationsspezifische Anforderungen der Zulassungsbehörden, also des BfArM und des Paul-Ehrlich Instituts (PEI) als zuständigen Bundesoberbehörden oder der EMA zu beachten sind. Der G-BA beruft sich in diesem Zusammenhang auf die Anforderungen, die das BSG an die Verordnungsfähigkeit einer zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln zu Lasten der GKV stelle74. Das BSG habe klargestellt, dass die Qualität der wissenschaftli- 69 Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – BT- Drs. 16/3100 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), in: BT-Drs. 16/4247, S. 33 zu Art. 1 Nr. 20a (§ 35c SGB V). 70 Schuler-Harms, in: Berchtold/Huster/Rehborn (Hrsg.), Gesundheitsrecht, SGB V, § 35c Rn. 23. 71 Vgl. die Ausführungen im Bericht des Ausschusses für Gesundheit zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – BT-Drs. 16/3100 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), in: BT-Drs. 16/4247, S. 33 zu Art. 1 Nr. 20a (§ 35c SGB V). 72 Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen (GCP-Verordnung) vom 9. August 2004 (BGBl. I S. 2081), zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 19. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2192). 73 Bekanntmachung des BfArM, des PEI und des BMG vom 21. Oktober 2009: „Nicht-kommerzielle klinische Prüfungen – Zusammenfassung der regulatorischen Voraussetzungen“, abrufbar im Internet unter: http://www.bfarm.de/SharedDocs/Bekanntmachungen/DE/Arzneimittel/klinPr/bm-KlinPr-20091021-Nichtkommerzielle Pr-pdf.pdf?__blob=publicationFile&v=3. 74 Erläuterung der Beschlussfassung des G-BA vom 18. Dezember 2008, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 20 chen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der GKV nachgewiesen sein müsse, während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich sei75. 3.3.4. Teilnahme des Versicherten an der klinischen Studie als Voraussetzung des Versorgungsanspruchs Voraussetzung für einen Versorgungsanspruch gemäß § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V ist, dass der Versicherte im Rahmen einer ambulanten Behandlung als Prüfungsteilnehmer an der klinischen Prüfung eines Arzneimittels beteiligt ist76. Da nur der Teilnehmer an der klinischen Prüfung einen Anspruch nach dieser Vorschrift haben kann, steht die Norm unter Umständen in einem Spannungsverhältnis zu der gemäß § 40 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 AMG in Verbindung mit § 3 Abs. 2b Satz 1 der GCP-Verordnung erforderlichen Freiwilligkeit der Teilnahme an einer solchen Studie77. Dies kann jedenfalls dann problematisch sein, wenn andere erfolgversprechende Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen, eine Erstattung des Arzneimittels durch die GKV aufgrund einer Einzelfallentscheidung nicht in Betracht kommt und das betreffende Arzneimittel wegen der Höhe des Preises für den Durchschnittspatienten als Selbstzahler nicht finanzierbar ist78. 3.3.5. Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung Der Anspruch nach § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V setzt voraus, dass die Arzneimittelverordnung zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung erfolgt. Mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der „schwerwiegenden Erkrankung“, der im Gesetz nicht definiert wird, knüpft die Vorschrift an die Kriterien des BSG zur Erstattungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Verordnung von Arzneimitteln an79. „Schwerwiegend“ sind danach „lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankungen“80, die sich wegen „ihrer Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abheben“81. In diesem Rahmen hält sich die Konkretisierung der schwerwiegenden Erkrankung in § 33 AM-RL. Eine Krankheit gilt hiernach als 75 BSG, Urteil vom 26. September 2006 – B 1 KR 1/06 R, BSGE 97, 112 (121) = SozR 4-2500 § 31 SGB V Nr. 5. 76 Vgl. hierzu bereits oben Gliederungspunkt 3.1. 77 Von Dewitz, in: BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn. 15; Schuler-Harms, in: Berchtold/Huster/Rehborn (Hrsg.) Gesundheitsrecht , SGB V, § 35c Rn. 27. 78 Von Dewitz, in BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn. 15; anderer Ansicht Schuler-Harms, in: Berchtold/Huster/Rehborn (Hrsg.) Gesundheitsrecht, SGB V, § 35c Rn. 27, nach dessen Auffassung ein Spannungsverhältnis zur Freiwilligkeit der Teilnahme an der Studie gleichwohl nicht besteht, da andernfalls eine Behandlung gar nicht in Betracht käme. 79 Schuler-Harms, in: Berchtold/Huster/Rehborn (Hrsg.), Gesundheitsrecht, SGB V, § 35c Rn.35; von Dewitz, in: BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn. 20. 80 BSG, Urteil vom 19. März 2002 – B 1 KR 37/00 R, NZS 2002, 646 = SozR 3-2500 § 31 SGB V Nr. 8. 81 BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 1/06, BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 SGB V Nr. 5; zur Rechtsprechung des BSG im Einzelnen vgl. die Nachweise bei Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung /Pflegeversicherung, SGB V, § 35c Rn. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 21 schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Durch die Anlegung dieses hohen Maßstabs wird der Anwendungsbereich der Regelung nachhaltig eingeschränkt 82. 3.3.6. Zu erwartende therapierelevante Verbesserung der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung im Vergleich zu bestehenden Behandlungsmöglichkeiten Der Leistungsanspruch setzt nach § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V i. V. m. § 31 Satz 1 Nr. 1 AM-RL weiterhin voraus, dass der zulassungsüberschreitende Einsatz des Arzneimittels nach den wissenschaftlichen Grundlagen der zugrunde liegenden klinischen Studie eine therapierelevante Verbesserung der Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung im Vergleich zu bestehenden Behandlungsmöglichkeiten erwarten lässt. Die Feststellung einer therapierelevanten Verbesserung erfolgt nach § 34 Abs. 1 der AM-RL durch Vergleich mit der jeweiligen zu Lasten der Krankenkassen erbringbaren medikamentösen oder nicht medikamentösen Therapie, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Dabei erfolgt die Beurteilung , ob eine therapierelevante Verbesserung im Sinne des § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V bzw. § 31 Satz 1 Nr. 1 AM-RL zu erwarten ist, gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 der AM-RL insbesondere auf der Grundlage der in der klinischen Studie „konfirmatorisch zu untersuchenden Endpunkte“. Maßgeblich ist, dass die klinische Studie darauf angelegt ist, zu untersuchen, ob die zulassungsüberschreitende Anwendung des Arzneimittels eine klinisch relevante Verbesserung gegenüber den bestehenden Behandlungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Beeinflussung patientenrelevanter Endpunkte, insbesondere Mortalität, Morbidität, Lebensqualität oder Verringerung therapierelevanter Nebenwirkungen zeigt (§ 34 Abs. 2 Satz 2 AM-RL). Die Feststellung einer therapierelevanten Verbesserung der Behandlung durch Vergleich mit der jeweiligen zu Lasten der GKV erbringbaren medikamentösen oder nicht medikamentösen Therapie dürfte in der Praxis sehr unterschiedlich ausfallen, zumal es teilweise gar keine Standard- Therapie geben wird, mit der ein Vergleich durchgeführt werden kann83. Diese Voraussetzung soll im Ergebnis sicherstellen, dass aus medizinischer Sicht tatsächlich Bedarf an der im Rahmen der klinischen Prüfung zu testenden Arzneimittelbehandlung besteht84. 3.3.7. Angemessenes Verhältnis der mit der zulassungsüberschreitenden Anwendung des Arzneimittels verbundenen Mehrkosten zum erwarteten medizinischen Zusatznutzen Der Leistungsanspruch nach § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V setzt außerdem voraus, dass die mit der zulassungsüberschreitenden Anwendung des Arzneimittels verbundenen Mehrkosten in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten medizinischen Zusatznutzen stehen. Erforderlich ist 82 Rückeshäuser, Off-Label-Use: Die rechtlichen Probleme des zulassungsüberschreitenden Einsatzes von Arzneimitteln , S. 128. 83 Rückeshäuser, Off-Label-Use: Die rechtlichen Probleme des zulassungsüberschreitenden Einsatzes von Arzneimitteln , S. 129. 84 Rückeshäuser, Off-Label-Use: Die rechtlichen Probleme des zulassungsüberschreitenden Einsatzes von Arzneimitteln , S. 130. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 22 danach eine ökonomische Kosten-Nutzen-Bewertung, bei der zunächst die Mehrkosten im Verhältnis zu alternativ bestehenden Behandlungsformen zu ermitteln und diese anschließend zum ermittelten Zusatznutzen in Relation zu bringen sind85. Nach § 36 der AM-RL erfolgt die Beurteilung , ob die mit der zulassungsüberschreitenden Anwendung eines Arzneimittels verbundenen Mehrkosten der Studienmedikation mit dem erwarteten medizinischen Zusatznutzen in einem angemessenen Verhältnis stehen, auf der Grundlage der Abwägung dieser Mehrkosten gegenüber den Kosten der in der Studie angesetzten Therapie, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. 3.3.8. Behandlung durch einen an der vertragsärztlichen oder ambulanten Versorgung teilnehmenden Arzt Der Anspruch eines GKV-Versicherten auf Versorgung mit Arzneimitteln außerhalb des zugelassenen Indikationsbereichs in nichtkommerziellen klinischen Studien setzt nach § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V weiterhin voraus, dass die Behandlung durch einen Arzt erfolgt, der an der vertragsärztlichen Versorgung (§§ 73, 95 SGB V) oder an der ambulanten Versorgung nach § 116b SGB V (ambulante spezialfachärztliche Versorgung) oder 117 SGB V (ambulante Behandlung in Hochschulambulanzen ) teilnimmt. Da die Verordnung der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln nur im Rahmen einer klinischen Studie zulässig ist, muss der verordnende Arzt auch verantwortlich an der Durchführung der Studie beteiligt sein86. Die Versorgung mit dem Arzneimittel wird – wie auch sonst bei der vertragsärztlichen Verordnung – über eine Apotheke abgewickelt87. Durch das Tatbestandsmerkmal der „Behandlung durch einen Vertragsarzt oder einen an der ambulanten Versorgung teilnehmenden Arzt“ hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass sich der Versorgungsanspruch nach § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V auf ambulant durchgeführte klinische Studien beschränkt88. Stationär durchgeführte klinische Prüfungen sind insgesamt von der Erstattungsfähigkeit nach dieser Vorschrift ausgeschlossen, da die Anwendung des fraglichen Arzneimittels zusammen mit der Behandlungspauschale abgegolten wird89. Bei Patienten, die im Rahmen einer klinischen Studie akutstationär behandelt werden, ist nach § 8 Abs. 1 Satz 2 des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG)90 und § 8 Abs. 1 Satz 2 der Bundespflegesatzverordnung 85 Schuler-Harms, in: Berchtold/Huster/Rehborn (Hrsg.), Gesundheitsrecht, SGB V, § 35c Rn. 29. 86 Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB V, § 35c Rn. 12. 87 Hess, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, SGB V, § 35c Rn. 9; Flint, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 35c Rn. 42. 88 Von Dewitz, in: BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn. 19 und 23. 89 Von Dewitz, in: BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn. 19. 90 Gesetz über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (Krankenhausentgeltgesetz – KHEntgG) vom 23. April 2002 (BGBl. I S. 1412, 1422), zuletzt geändert durch Art. 2, 3, 4 und 4a des Gesetzes vom 10. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2229). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 23 (BPflV)91 der Versorgungsanteil der Arzneimitteltherapie mit den normalen Entgelten für die allgemeinen Krankenhausleistungen zu vergüten. Dies gilt auch für klinische Studien mit Arzneimitteln . Da die Krankenkassen hierdurch bereits einen erheblichen Beitrag für die Durchführung klinischer Prüfungen leisten, sind die arzneimittelbezogenen Mehrkosten infolge der Studie über Fremdmittel für Forschung und Lehre oder über Drittmittel zu finanzieren92. 3.3.9. Fehlender Widerspruch des G-BA gegenüber der Arzneimittelverordnung Der Leistungsanspruch steht nach § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V unter dem formellen Vorbehalt, dass der G-BA der Arzneimittelverordnung nicht widerspricht. Mit dieser Regelung wird Bezug genommen auf das Widerspruchsrecht nach § 35c Abs. 2 Satz 3 SGB V, das jedoch nicht die einzelne Arzneimittelverordnung, sondern die künftigen Verordnungen im Rahmen einer angemeldeten Studie betrifft93. Die Vorschrift des § 35c Abs. 2 Satz 3 SGB V sieht vor, dass der G-BA mindestens zehn Wochen vor dem Beginn der Arzneimittelverordnung zu informieren ist und innerhalb von acht Wochen nach Eingang der Mitteilung widersprechen kann, sofern die Voraussetzungen nach § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V nicht erfüllt sind. Widerspricht der G-BA nach einer Mitteilung über eine geplante klinische Studie nicht innerhalb dieser acht Wochen und liegen die entsprechenden arzneimittelrechtlichen Genehmigungen vor, so können die fraglichen Arzneimittel im Rahmen dieser klinischen Studie zu Lasten der GKV verordnet werden94. Der Widerspruch des G-BA gegenüber der Arzneimittelverordnung ist als Verwaltungsakt im Sinne einer Allgemeinverfügung gemäß § 31 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X)95 einzuordnen96. Die in einem Verwaltungsverfahren gemäß den §§ 8 ff. SGB X stillschweigend oder ausdrücklich ergehende Entscheidung des G-BA stellt mithin eine für alle po- 91 Verordnung zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Bundespflegesatzverordnung – BPflV) vom 26. September 1994 (BGBl. I S. 2750), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 10. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2229). 92 Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, SGB V, § 35c Rn. 12; Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB V, § 35c Rn. 7; von Dewitz, in: BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn. 23; Schuler-Harms, in: Berchtold/Huster/Rehborn (Hrsg.) Gesundheitsrecht, SGB V, § 35c Rn. 26; so auch die Begründung im Bericht des Ausschusses für Gesundheit zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – BT-Drs. 16/3100 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), in: BT-Drs. 16/4247 S. 33 zu Art. 1 Nr. 20a (§ 35c SGB V). 93 Flint, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 35c Rn. 45; Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB V, § 35c Rn. 13. 94 So die Ausführungen im Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – BT-Drs. 16/3100 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), in: BT-Drs. 16/4247 S. 33 zu Art. 1 Nr. 20a (§ 35c SGB V). 95 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 2001 (BGBl. I S. 130), zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 2. Februar 2016 (BGBl. I S. 130). 96 Von Dewitz, in: BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn.24. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 24 tentiellen Prüfungsteilnehmer sowie den Sponsor und die Prüfer verbindliche Regelung der Kostenerstattungsfrage dar97. Die Entscheidung ist, sofern sie negativ ausfällt, im Fall ihrer Rechtswidrigkeit gemäß § 44 Abs. 1 SGB X zurückzunehmen oder kann bei Änderung der Verhältnisse gemäß § 46 Abs. 1 SGB X widerrufen werden. Der nach Ablauf von acht Wochen ausbleibende Widerspruch des G-BA ist als Genehmigung der Arzneimittelverordnung zu Lasten der GKV zu interpretieren98 und damit ebenfalls eine Allgemeinverfügung im Sinne des § 31 Satz 2 SGB X99. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V haben die Prüfungsteilnehmer einen subjektiven Anspruch auf (stillschweigende) Genehmigung der Arzneimittelverordnung100. 3.4. Ausschluss der Leistungspflicht der Krankenkasse bei Verpflichtung des pharmazeutischen Unternehmers zur kostenlosen Bereitstellung des Arzneimittels (§ 35c Abs. 2 Satz 2 SGB V) Eine Leistungspflicht der Krankenkasse und damit ein Versorgungsanspruch des Versicherten ist nach § 35c Abs. 2 Satz 2 SGB V ausgeschlossen, sofern das Arzneimittel auf Grund arzneimittelrechtlicher Vorschriften vom pharmazeutischen Unternehmer kostenlos bereitzustellen ist. Bezug genommen wird mit dieser Regelung insbesondere auf die Bestimmung des § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe g des AMG101. Danach dürfen pharmazeutische Unternehmer apothekenpflichtige Arzneimittel außer an Apotheken nur dann an Krankenhäuser und Ärzte abgeben, soweit es sich um Arzneimittel handelt, die mit dem Hinweis „Zur klinischen Prüfung bestimmt“ versehen sind und kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Eine Leistungspflicht der GKV entfällt in diesem Fall, da den Versicherten keine eigenen Kosten entstehen102. 3.5. Einzelheiten zum Verfahren beim G-BA (§ 35c Abs. 2 Satz 3 und 4 SGB V) Wie bereits erwähnt103 ist die Verordnung der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln in klinischen Studien nach § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V zu Lasten der GKV zur zulässig, wenn der G-BA der Arzneimittelverordnung nicht widerspricht. Das Verfahren beim G-BA vor dem Beginn einer Arzneimittelverordnung hat der Gesetzgeber im Einzelnen in § 35c Abs. 2 Satz 3 und 4 SGB V geregelt. 97 Von Dewitz, in: BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn. 24. 98 Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB V, § 35c Rn. 15. 99 Von Dewitz, in: BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn. 24. 100 Von Dewitz, in: BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn. 24. 101 Flint, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 35c Rn. 47; Schuler-Harms, in: Berchtold/Huster/Rehborn (Hrsg.), Gesundheitsrecht , SGB V, § 35 c Rn. 36; Kraftberger, in: LPK-SGB V, 3 35c Rn. 21. 102 Vgl. den Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – BT-Drs. 16/3100 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), in: BT-Drs. 16/4247, S. 33 zu Art. 1 Nr. 20a (§ 35c SGB V). 103 Vgl. hierzu oben Gliederungspunkt 3.3.9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 25 3.5.1. Information des G-BA Die nach § 35c Abs. 2 Satz 3 SGB V erforderliche „Information“ des G-BA von mindestens zehn Wochen vor dem Beginn der Arzneimittelverordnung, zur Herbeiführung einer Entscheidung über die Verordnungsfähigkeit eines zu prüfenden Arzneimittels, stellt keinen Antrag im verfahrensrechtlichen Sinne dar104. Die in der Gesetzesbegründung105 verwendete Formulierung, das Verfahren nach § 35c Abs. 2 SGB V beim G-BA sei als „unbürokratisches Antragsverfahren“ gestaltet , ist angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlautes, der nur eine „Information“ und eine „Mitteilung“ zur Voraussetzung der Befassung und Entscheidung des G-BA vorsieht, für ein Antragserfordernis nicht hinreichend bestimmt. Aufgrund einer Mitteilung nach § 35c Abs. 2 Satz 3 SGB V hat daher der G-BA das Verwaltungsverfahren im Sinne von § 8 SGB X von Amts wegen einzuleiten106. Demzufolge bedarf es auf Seiten desjenigen, der die Information über die im Rahmen der klinischen Prüfung beabsichtigte Arzneimittelverordnung dem G-BA mitteilt, keiner Antragsbefugnis 107. Ist die Mitteilung erfolgt, muss der G-BA die Entscheidung über die Verordnungsfähigkeit des betreffenden Arzneimittels im Rahmen der fraglichen klinischen Prüfung treffen . 3.5.2. Materiell-rechtliche Voraussetzungen des Widerspruchs Die vom G-BA im Verwaltungsverfahren zu prüfenden materiell-rechtlichen Voraussetzungen ergeben sich ausschließlich aus § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V. Nur auf diese kann der G-BA seinen Widerspruch stützen108. Bei der vom G-BA zu treffenden Entscheidung handelt es sich ausweislich des Wortes „kann“ in § 35c Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 SGB V dann um eine Ermessensentscheidung , wenn die Voraussetzungen des § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V ganz oder teilweise nicht vorliegen; ist dies jedoch der Fall, darf der G-BA der Arzneimittelverordnung nicht widersprechen . Der G-BA ist daher auch dann befugt, der Arzneimittelverordnung nicht zu widersprechen, wenn ein hierauf gerichteter Anspruch des Versicherten mangels Erfüllung der in § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V genannten Voraussetzungen nicht besteht. Das in diesem Fall eröffnete Ermessen ist mit Blick auf die gesetzliche Ermächtigung unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit sowie des 104 Von Dewitz, in: BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn. 25; anderer Ansicht Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht , SGB V, § 35c Rn. 15. 105 Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – BT- Drs. 16/3100 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), in: BT-Drs. 16/4247 S. 33 zu Art. 1 Nr. 20a (§ 35c SGB V). 106 Von Dewitz, in: BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn. 25. 107 Von Dewitz, in: BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn. 25; anderer Ansicht Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht , SGB V, § 35c Rn. 18, der zudem der Auffassung ist, nur der „Studienleiter“ sei antragsberechtigt . 108 Von Dewitz, in: BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn. 27. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 26 Gleichbehandlungsgrundsatzes auszuüben. Zudem steht dem G-BA als Gremium und im Hinblick auf die zu treffenden Prognoseentscheidungen ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu109. Bei seiner Entscheidung hat der G-BA nach der Vorstellung des Gesetzgebers in der Regel die Vorentscheidungen anderer Stellen, die im Rahmen von klinischen Prüfungen einzuholen sind, zu beachten110. Es wäre – so wird in der Gesetzesbegründung hierzu ausgeführt – verfahrensökonomisch verfehlt, wenn der G-BA Tatbestände aufarbeiten und Bewertungen abgeben müsste, falls andere, in die klinischen Prüfungen eingebundene Stellen bereits entsprechende Vorentscheidungen im Rahmen ihrer Zuständigkeit gefällt hätten. Zu bedenken sei außerdem, dass es zu einem nicht verständlichen „Mixtum“ bei der Wahrnehmung verschiedener Zuständigkeiten kommen würde, wenn der G-BA für seine Entscheidung auch solche Aspekte aufgreifen müsste, mit denen sich bereits andere Stellen befasst hätten. Bezug genommen wird damit auf die notwendige zustimmende Bewertung der klinischen Prüfung eines Arzneimittels durch die zuständige Ethik-Kommission und die notwendige Genehmigung der zuständigen Bundesoberbehörde nach den §§ 40 ff. AMG mit ihren hohen Sicherheits- und Qualitätsanforderungen zum Schutz der Menschen in klinischen Prüfungen111. Liegt eine Entscheidung dieser Behörden über die arzneimittelrechtliche Zulässigkeit der Durchführung der geplanten klinischen Prüfung vor, ist der G-BA folglich hieran gebunden112. Die von diesen Behörden erlassenen Verwaltungsakte entfalten auch für den G-BA Tatbestandswirkung113. 3.5.3. Ausgestaltung der Verfahrensregelungen durch den G-BA Das Nähere zur Ausgestaltung des Antragsverfahrens regelt der G-BA gemäß § 35c Abs. 2 Satz 4 SGB V in der AM-RL nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V. Er soll dabei insbesondere festlegen, welche Anforderungen an die Mitteilungen zu stellen sind und welche Informations- und Nachweispflichten erfüllt sein müssen114. Detaillierte Regelungen zu diesen Informations- und Nachweispflichten enthält § 37 AM-RL. Die Vorschrift verlangt unter anderen das vollständige Vorliegen von Informationen und Unterlagen über die Genehmigung der Studie durch die zuständige Bundesoberbehörde und die zustimmende Bewertung der zuständigen Ethikkommission, die 109 Von Dewitz, in: BeckOK SozR, SGB V, § 35c Rn. 27. 110 Vgl. hierzu die Ausführungen im Bericht des Ausschusses für Gesundheit zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – BT-Drs. 16/3100 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), in: BT-Drs. 16/4247, S. 33 zu Art. 1 Nr. 20a (§ 35c SGB V). 111 Hess, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB V, § 35c Rn. 16; Flint, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 35c Rn. 50. 112 Von Dewitz, in: BeckOK, SGB V, § 35c Rn. 25. 113 Von Dewitz, in: BeckOK, SGB V, § 35c Rn. 27. 114 Vgl. den Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – BT-Drs. 16/3100 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), in: BT-Drs. 16/4247 S. 33 zu Art. 1 Nr. 20a (§ 35c SGB V). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 27 Vorlage des aktuellen Prüfplans und eine Erläuterung, inwieweit das Arzneimittel zulassungsüberschreitend eingesetzt wird, näher benannte Nachweise über die eingebundenen Prüfärzte sowie Begründungen und Angaben zu den vom G-BA nach § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V vorzunehmenden medizinischen und gesundheitsökonomischen Bewertungen. Umfasst sind damit Angaben und Unterlagen, die dem G-BA ohne eigene Recherchen die Prüfung ermöglichen, ob die materiell -rechtlichen Voraussetzungen eines Versorgungsanspruchs nach § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V gegen die Krankenkasse vorliegen115. 3.6. Beschaffung, Verordnung, Verabreichung und Abrechnung der im Rahmen der klinischen Studie zulassungsüberschreitend einzusetzenden Arzneimittel (§ 38 AM-RL) In der Vorschrift des § 38 AM-RL hat der G-BA Regelungen zur Beschaffung, Verordnung, Verabreichung und Abrechnung der im Rahmen der klinischen Studie zulassungsüberschreitend einzusetzenden Arzneimittel getroffen. So ist vorgesehen, dass der Sponsor116 das in der Studie zu prüfende Arzneimittel/Prüfpräparat beschafft und es als zentrale Verteilungsstelle in der notwendigen Menge an die beteiligten Prüfärztinnen und Prüfärzte weiterleitet (§ 38 Abs. 1 AM-RL). Die an der Studie beteiligten Prüfärztinnen und Prüfärzte händigen das Arzneimittel/Prüfpräparat den teilnehmenden Versicherten aus oder wenden es bei ihnen an; jede Aushändigung oder Anwendung ist unter dem Namen des Versicherten und seiner Krankenkasse auf dem Verordnungsblatt „Muster 16“117 zu vermerken (§ 38 Abs. 2 AM-RL). Die Abrechnung erfolgt unmittelbar zwischen dem Sponsor und den für die teilnehmenden Versicherten zuständigen Krankenkassen nach Maßgabe des § 37 Abs. 2 Nr. 14 AM-RL; sie ist getrennt von Abrechnungen nach § 300 SGB V118 und über einen gesonderten Datensatz durchzuführen (§ 38 Abs. 3 AM-RL). In § 38 AM-RL ist geregelt, dass die Absätze 1 bis 3 dieser Vorschrift entsprechend für Arzneimittel gelten, die als Vergleichsmedikation innerhalb ihres Zulassungsbereiches „verblindet“ eingesetzt werden (§ 38 Abs. 4 AM-RL). Die Verordnung und die Abrechnung von Arzneimitteln, die als Vergleichsmedikation innerhalb ihres Zulassungsbereiches „unverblindet“ eingesetzt werden, erfolgt nach den anderweitig anzuwendenden Vorschriften der vertragsärztlichen Versorgung. Dasselbe gilt für Arzneimittel, die unabhängig von der Studie begleitend verordnet werden (§ 38 Abs. 5 AM-RL). Der Antragsteller – also der Sponsor – kann von den Regelungen der Absätze 1 115 Schuler-Harms, in: Berchtold/Huster/Rehborn (Hrsg.), Gesundheitsrecht, SGB V, § 35c Rn. 33. 116 Nach der Legaldefinition des § 4 Abs. 24 AMG ist Sponsor eine natürliche oder juristische Person, die die Verantwortung für die Veranlassung, Organisation und Finanzierung einer klinischen Prüfung bei Menschen übernimmt . 117 Das sog. „Muster 16“ ist das Arzneiverordnungsblatt für die Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln sowie Hilfsmitteln mit Ausnahme von Sehhilfen und Hörhilfen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung; vgl. die Vereinbarung über Vordrucke für die vertragsärztliche Versorgung. 118 Die Vorschrift des § 300 SGB V regelt die den Apotheken obliegenden Verpflichtungen bei der Abgabe von Arzneimitteln und schafft die erforderliche Transparenz auf dem Gebiet der Arzneimittelversorgung. Die Norm verpflichtet die Apotheken unter anderem, bei der Abgabe von Fertigarzneimitteln für Versicherte das nach § 300 Abs. 3 Nr. 1 SGB V zu verwendende Kennzeichen maschinenlesbar auf das für die vertragsärztliche Versorgung verbindliche Verordnungsblatt oder den elektronischen Verordnungsdatensatz zu übertragen und die Verordnungsblätter und die elektronischen Verordnungsdatensätze an die Krankenkassen weiterzuleiten sowie diesen die erforderlichen Abrechnungsdaten zu übermitteln (§ 300 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB V). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 28 bis 5 des § 38 AM-RL abweichen, wenn er nachweisen kann, dass bei Wahl eines abweichenden Verfahrens die Anforderungen nach den §§ 35 und 37 AM-RL in gleicher Weise erfüllt werden (§ 38 Abs. 6 AM-RL). 3.7. Erstattungsanspruch der Krankenkassen gegen den pharmazeutischen Unternehmer (§ 35c Abs. 2 Satz 5 und 6 SGB V) Nach der Bestimmung des § 35c Abs. 2 Satz 5 SGB V hat der pharmazeutische Unternehmer den Krankenkassen die Verordnungskosten zu erstatten, wenn die Studien nach § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V einen entscheidenden Beitrag für die Erweiterung einer Zulassung leisten. Ein entscheidender Beitrag zur Erweiterung einer Zulassung liegt zum Beispiel vor, wenn dem pharmazeutischen Unternehmer Unterlagen und nicht publizierte Ergebnisse einer klinischen Studie nach § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V, die nicht mit dem Ziel durchgeführt wurde, eine Zulassung zu erhalten oder eine schon bestehende Zulassung zu erweitern, überlassen wurden, die eine eigene, herstellerseitige Zulassungsstudie ganz oder teilweise ersetzen119. Zu erstatten sind die im Rahmen der klinischen Studie den Krankenkassen entstandenen Verordnungskosten dieses Arzneimittels. Eine Erstattungspflicht des pharmazeutischen Unternehmers gegenüber den Krankenkassen besteht nach § 35c Abs. 2 Satz 6 SGB V auch dann, wenn die klinische Studie einen entscheidenden Beitrag für die Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels nach europäischem Recht leistet. Der Erstattungsanspruch der Krankenkassen gegen den pharmazeutischen Unternehmer nach § 35c Abs. 2 Satz 5 und 6 SGB V trägt dem Umstand Rechnung, dass der pharmazeutische Unternehmer von den Studienergebnissen wirtschaftlich profitiert und deshalb eine nachträgliche Erstattung der zunächst von den Krankenkassen getragenen Arzneimittelkosten vom Gesetzgeber als angemessen erachtet wird120. 3.8. Bislang vom G-BA zustimmend behandelte Anträge auf Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung eines Arzneimittels in einer klinischen Studie Anträge auf Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln in einer klinischen Studie zu Lasten der GKV gemäß § 35c Abs. 2 SGB V in Verbindung mit den §§ 31 bis 39 AM-RL hat der G-BA – wie einleitend bereits erwähnt121 – bislang erst in zwei Verfahren zustimmend behandelt. Durch Beschluss vom 28. Mai 2009122 hat der G-BA einem offlabel -use der Wirkstoffe Etoposid, Idarubicin und Trofosfamid im Rahmen einer Phase-III-Studie 119 So die Ausführungen im Bericht des Ausschusses für Gesundheit zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – BT-Drs. 16/3100 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), in: BT-Drs. 16/4247, S. 33 zu Art. 1 Nr. 20a (§ 35c SGB V). 120 Pflugmacher, in: Eichenhofer/Wenner, SGB V, § 35c Rn. 12. 121 Vgl. hierzu oben Gliederungspunkt 1. 122 Beschluss des G-BA „über einen Antrag zur Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung eines Arzneimittels zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen gemäß § 35c SGB V i. V. m. §§ 31 – 39 Arzneimittel -Richtlinie“ vom 28. Mai 2009, abrufbar im Internet unter: https://www.g-ba.de/downloads/39-261- 838/2009-05-28-AMR-35c-Studie.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 29 für lokalisierte Hochrisiko-Weichteilsarkome und durch Beschluss vom 20. September 2012123 dem off-label-use der Wirkstoffe Irinotecan, Temozolomid, Dasatanib und Sirolimus im Rahmen einer Studie des Universitätsklinikums Regensburg zum Neuroblastom nicht widersprochen. 3.8.1. Der Beschluss des GB-A vom 28. Mai 2009 Das erste Antragsverfahren wurde mit Antragsstellung vom 6. April 2009 beim G-BA eingeleitet. Der G-BA widersprach dem Antrag auf Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung eines Arzneimittels in einer klinischen Prüfung zu Lasten der GKV gemäß § 35c Abs. 2 SGB V124 unter Berücksichtigung der eingereichten Unterlagen nicht, weil er die Voraussetzungen des § 35c Abs. 2 SGB V in Verbindung mit den §§ 31 bis 39 AM-RL als erfüllt ansah125. Einen entsprechenden Beschluss fasste der G-BA am 28. Mai 2009126 und stimmte damit erstmalig einem Antrag auf Kostenübernahme einer Prüfmedikation in einer klinischen Studie im Sinne des § 35c Abs. 2 SGB V zu127. Bei der klinischen Studie „A randomised phase-III trial of the Cooperative Weichteilsarkom Studiengruppe for localised high-risk Rhabdomyosarkoma and localised Rhabdomyosarkoma-like Soft Tissue Sarkoma in children, adolescents and young adults” (Eudra-CT 2007-001478-10) handelte es sich um eine randomisierte, open-label, multizentrische, prospektive, nicht-verblindete Phase-III-Studie für lokalisierte Hochrisiko-Weichteilsarkome (Rhabdomyosarkom oder Rhabdomyosarkomartig ) bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter unter 21 Jahren128. Bei Kindern und Jugendlichen, die sich nach erfolgreich durchgeführter Behandlung der lokalisierten Hochrisikoweichteilsarkomen in Remission befanden, sollte untersucht werden, ob durch eine sechsmonatige orale Erhaltungstherapie mit Etoposid, Idarubicin und Trofosfamid (O-TIE) 123 Beschluss des G-BA „über einen Antrag auf Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln zulasten der gesetzlichen Krankenkassen gemäß § 35c Abs. 2 SGB V i.V. m. §§ 31 – 39 Arzneimittel -Richtlinie (AM-RL): RIST-rNB-2011“ vom 20. September 2012, abrufbar im Internet unter: https://www.g-ba.de/downloads/39-261-1607/2012-09-20_AM-RL-35c_Klin-Studie_RIST-rNB-2011.pdf. 124 Nach der damaligen Rechtslage beschränkte sich die Regelung in § 35c SGB V – so wie sich heute inhaltlich unverändert in § 35c Abs. 2 SGB V findet – auf die zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln in klinischen Studien; vgl. hierzu bereits oben Gliederungspunkt 3.1. 125 Vgl. die „Tragenden Gründe“ zum Beschluss des G-BA „über einen Antrag zur Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung eines Arzneimittels zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen gemäß § 35c SGB V i. V. m. §§ 31-39 Arzneimittel-Richtlinie“ vom 28. Mai 2009 S. 3, abrufbar im Internet unter: https://www.g-ba.de/downloads/40-268-893/2009-05-28-AMR-35c-Studie_TrG.pdf. 126 Beschluss des G-BA „über einen Antrag zur Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung eines Arzneimittels zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen gemäß § 35c SGB V i. V. m. §§ 31 - 39 Arzneimittel -Richtlinie“ vom 28. Mai 2009, abrufbar Internet unter: https://www.g-ba.de/downloads/39-261-838/2009-05- 28-AMR-35c-Studie.pdf. 127 Pressemitteilung des G-BA vom 28. Mai 2009, Kostenübernahme von Arzneimitteln in klinischer Studie: Erster Antrag erfüllt die geforderten Kriterien, abrufbar im Internet unter: https://www.g-ba.de/downloads/34-215- 290/2009-05-28-AMR-klinische%20Studie.pdf. 128 Vgl. hierzu und zum Folgenden die „Tragenden Gründe“ zum Beschluss des G-BA vom 28. Mai 2009, S. 3, abrufbar im Internet unter: https://www.g-ba.de/downloads/40-268-893/2009-05-28-AMR-35c-Studie_TrG.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 30 das „ereignisfreie Überleben“ im Vergleich zu einer nicht spezifischen Behandlung verbessert werden kann. In Deutschland sollten bis 2015 etwa 300 Kinder und Jugendliche in die Studie eingeschlossen werden, so dass erwartet wurde, pro Jahr ca. 20 Kinder mit der Prüfmedikation zu behandeln. Die Follow-up-Phase wird bis 2019 andauern. Die Prüfung des Antrags vom 6. April 2009 durch den G-BA ergab, dass die Wirkstoffe Etoposid, Idarubicin und Trofosfamid die Voraussetzungen für eine Verordnung gemäß § 35c Abs. 2 SGB V in Verbindung mit den §§ 31 ff. AM-RL erfüllte129. Bei der geplanten Prüfmedikation handele es sich – so der G-BA in den „Tragenden Gründen“ zu seinem Beschluss vom 28. Mai 2009 – um eine zulassungsüberschreitende Anwendung der Prüfmedikation im Sinne des § 32 AM-RL, weil geplant sei, Etoposid, Idarubicin und Trofosfamid (O-TIE) jeweils in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten einzusetzen, und die Behandlung von Kindern sowie die Behandlung von Weichteilsarkomen nicht von der Zulassung erfasst seien. Lokalisierte Hochrisiko-Weichteilsarkome im Kindesalter führten unbehandelt zum Tod. Die 5-Jahresüberlebensrate liege bei 20 bis 30 Prozent, so dass es sich auch um die Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung im Sinne des § 33 AM-RL handele. Als therapierelevante Verbesserung im Sinne des § 34 AM-RL werde ein längeres „ereignisfreies Überleben“ (EFS) erwartet. Die Feststellung dieser therapierelevanten Verbesserung erfolge im Vergleich mit der zu Lasten der Krankenkassen erbringbaren Standardtherapie – in diesem Falle der nicht spezifischen Behandlung. Der „primäre Endpunkt“ werde in einem Studiendesign erfasst, das geeignet sei, eine „konfirmatorische Aussage“ zu treffen. Die geplante Studie erfülle auch die Anforderungen der zuständigen Bundesoberbehörde und der Ethikkommissionen im Sinne des § 35 AM-RL. Zusätzlich habe sie das Gütesiegel A der Deutschen Krebsgesellschaft erhalten. Die zu erwartenden Mehrkosten lägen bei ca. 2.500 Euro pro behandeltem Patienten und demnach bei ca. 50.000 Euro für die innerhalb eines Jahres zu behandelnden Patienten . Diese Mehrkosten stünden im Sinne des § 36 AM-RL in einem angemessenen Verhältnis zu der zu erwartenden Verlängerung des „ereignisfreien Überlebens“ (EFS). Der Antrag auf Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln in klinischen Studien vom 6. April 2009 erfülle schließlich auch die in § 37 AM-RL normierten Nachweis- und Informationspflichten des Sponsors. 3.8.2. Der Beschluss des G-BA vom 20. September 2012 Das zweite Antragsverfahren wurde vom Universitätsklinikum Regensburg mit Schreiben 7. August 2012 beim G-BA eingeleitet130. Bei der geplanten klinischen Studie „Prospective, open label, randomized phase II trial to assess a multimodal molecular targeted therapy in children, adolescent and young adults with relapsed or refractory high risk neuroblastoma” (Prüfplannummer: RIST-rNB-2011, EudraCT-Nummer: 2011-004062-15) handelte es sich um eine randomisierte, open-label, multizentrische, prospektive, nicht-verblindete Phase-II-Studie bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Neuroblastom. Bei Patienten mit rezidiviertem Hochrisiko- 129 Vgl. hierzu und zum Folgenden die „Tragenden Gründe“ zum Beschluss des G-BA vom 28. Mai 2009, S. 4 ff. 130 Vgl. hierzu und zum Folgenden die „Tragenden Gründe“ zum Beschluss des G-BA „über einen Antrag auf Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln zulasten der gesetzlichen Krankenkassen gemäß § 35c Abs. 2 SGB V i. V. m. §§ 31 – 39 Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): RIST-rNB-2011“ vom 20. September 2012, S. 2 ff., abrufbar im Internet unter: https://www.g-ba.de/downloads/40-268- 2125/2012-09-20_AM-RL-35c_Klin-Studie_RIST-rNB-2011_TrG.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 31 Neuroblastom oder progredienter Erkrankung während der Ersttherapie, die die Einschlusskriterien erfüllten, sollte untersucht werden, ob durch ein multimodales Behandlungsregime aus den Wirkstoffen Irinotecan, Temozolomid, Dasatanib und Sirolimus im Vergleich zu Irinotecan und Temozolomid das „progressionsfreie Überleben“ verbessert werden kann. Ein „progressionsfreies Überleben“, definiert als Zeitintervall zwischen Behandlungsbeginn und Progressionsdatum, sollte in der Studie als „primärer Endpunkt“ durch bildgebende Kriterien und/oder Knochenmorphologie erfasst werden. Die Rekrutierungszeit sollte 36 Monate dauern. Die Behandlungsdauer wurde in dem Antrag mit sechs bis acht Monaten angegeben und die Nachbeobachtungszeit sollte 12 Monate betragen. Als Gesamtzahl wurden 130 Studienteilnehmer angenommen. Mit Beschluss vom 20. September 2012131 entschied der G-BA, der zulassungsüberschreitenden Anwendung der Wirkstoffe Irinotecan, Temozolomid, Dasatanib und Sirolimus im Rahmen der vom Universitätsklinikum Regensburg geplanten klinischen Studie zum Neuroblastom nicht zu widersprechen. Die Prüfung der eingereichten Unterlagen habe – so der G-BA in den „Tragenden Gründen“ zu seinem Beschluss vom 20. September 2012 – ergeben, dass die Voraussetzungen für eine Verordnung dieser Arzneimittel gemäß § 35c Abs. 2 SGB V in Verbindung mit den §§ 31 bis 39 AM-RL in der Studie RIST-rNB-2011 ausnahmsweise als erfüllt angesehen werden könnten132. Bei Patienten mit der Hochrisiko-Variante des Neuroblastoms liege die Gesamtüberlebensrate unter 30 Prozent. Es handele sich somit um eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 33 AM-RL. Bei der geplanten Prüfmedikation handele es sich um eine zulassungsüberschreitende Anwendung im Sinne des § 32 AM-RL, weil vorgesehen sei, die Arzneimittel Irinotecan, Temozolomid , Dasatanib und Sirolimus in einem nicht zugelassenen Anwendungsgebiet einzusetzen. Die Behandlung des Neuroblastoms sei jeweils nicht von der Zulassung erfasst. Als therapierelevante Verbesserung im Sinne des § 34 AM-RL werde eine Verlängerung des „progressionsfreien Überlebens“ erwartet. Außerdem sei davon auszugehen, dass die Mehrkosten durch die zusätzliche zulassungsüberschreitende Anwendung von Dasatanib und Sirolimus mit dem erwarteten medizinischen Zusatznutzen in einem angemessenen Verhältnis im Sinne des § 36 AM-RL stünden 133. 4. Literaturverzeichnis Becker, Ulrich/Kingreen, Thorsten (Hrsg.), SGB V: Gesetzliche Krankenversicherung, Kommentar , 4. Aufl., Verlag C. H. Beck 2014. Beck`scher Online-Kommentar Sozialrecht, herausgegeben von Christian Rolfs, Richard Giesen, Ralf Kreikebohm und Peter Udsching, 40. Edition, Stand: 1. Dezember 2015, Verlag C. H. Beck München. 131 Beschluss des G-BA „über einen Antrag auf Verordnungsfähigkeit der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln zulasten der gesetzlichen Krankenkassen gemäß § 35c Abs. 2 SGB V i. V. m. §§ 31 – 39 Arzneimittel -Richtlinie (AM-RL): RIST-rNB-2011“ vom 20. September 2012, abrufbar im Internet unter: https://www.g-ba.de/downloads/39-261-1607/2012-09-20_AM-RL-35c_Klin-Studie_RIST-rNB-2011.pdf. 132 Vgl. hierzu und zum Folgenden die „Tragenden Gründe“ zum Beschluss des G-BA vom 20. September 2012, S. 2 ff. 133 Vgl. hierzu die „Tragenden Gründe“ zum Beschluss des G-BA vom 20. September 2012, S. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 - 022/16 Seite 32 Berchtold, Josef/Huster, Stefan/Rehborn, Martin (Hrsg.), Gesundheitsrecht: SGB V/SGB XI, Nomos Verlagsgesellschaft, 1. Aufl., Baden-Baden 2015. Bundesärztekammer/Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (Hrsg.), Gemeinsame Stellungnahme vom 4. Februar 2016 zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit für ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 7. Januar 2016, Berlin, abrufbar im Internet unter: http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin /user_upload/downloads/pdf-Ordner/Stellungnahmen/SN_BAEK_RefE_Gesetz_zur_Aenderung _betaeubungsmittelrechtl._u.a._Vorschriften_04.02.2016.pdf. Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Stellungnahme vom 5. Februar 2016 zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften, abrufbar im Internet unter: http://www.abda.de/fileadmin/assets/Stellungnahmen /2016/ABDA_Stellungnahme_20160205endg.pdf. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Fachbereich WD 9, Legale Anwendungsmöglichkeiten für Cannabis und Cannabis-Wirkstoffe zu medizinischen Zwecken in Deutschland – Derzeitige Rechtslage und aktuelle Reformbemühungen, Ausarbeitung vom 26. Januar 2016, WD 9 – 3000 – 004/16. Deutsche Schmerzgesellschaft e. V./Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (Hrsg.), Stellungnahme vom 3. 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