© 2020 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 020/20 Medikamente zur Selbsttötung Insbesondere zu Regelungen über die Verschreibung von Natrium-Pentobarbital in Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und Belgien Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Zulassungsstatus von Natrium-Pentobarbital 5 2.1.2. Nutzung des Wirkstoffes Natrium-Pentobarbital durch Sterbehilfeorganisationen 6 2.1.2.1. EXIT- Deutsche Schweiz 6 2.1.2.2. Exit ADMD (Association pour le Droit de Mourir dans la Dignité) Suisse Romande 6 2.1.2.3. DIGNITAS 7 2.2. Rechtslage in den Niederlanden 7 2.3. Rechtslage in Belgien 8 3. Natrium-Pentobarbital als Wirkstoff für den assistierten Suizid 9 4. Sterbehilfemedikamente, insbesondere Natrium- Pentobarbital in Deutschland 10 4.1. Natrium-Pentobarbital 10 4.1.1. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2017 11 4.1.2. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 13 4.1.3. Die Vorlage des Verwaltungsgerichts Köln 13 4.2. Konsequenzen für die Verschreibungsfähigkeit von Natrium- Pentobarbital in Deutschland 14 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 020/20 Seite 4 1. Vorbemerkung Am 26. Februar 2020 wurde der Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in § 217 Strafgesetzbuch (StGB) 1 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Der noch amtierende Präsident des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), Andreas Voßkuhle, wählte das Ende seiner einleitenden Worte zur Verkündung des Urteils2 wie folgt: „Wir mögen seinen Entschluss bedauern, wir dürfen alles versuchen, ihn umzustimmen, wir müssen seine freie Entscheidung aber in letzter Konsequenz akzeptieren.“ 3 Das Urteil, das ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG)4 anerkennt, ist von grundlegender Bedeutung und brachte daher die Diskussion über die Sterbehilfe erneut ins Rollen. Die Beihilfe zur Selbsttötung, auch assistierter Suizid genannt, ist in Deutschland grundsätzlich nicht strafbar. § 217 StGB sieht eine Ausnahme von diesem Grundsatz für die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung vor, wurde nun aber vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt. Auch in anderen EU-Ländern sowie in der Schweiz ist der assistierte Suizid zulässig. Ein häufig genutzter und daher geeignet erscheinender Wirkstoff ist Natrium-Pentobarbital. Pentobarbital gehört zu den Barbituraten und wird regelmäßig in Form eines Natriumsalzes verwendet.5 Es ist in Anhang III des Übereinkommens von 1971 über psychotrope Stoffe6 genannt, einer Konvention der Vereinten Nationen zur Kontrolle von psychotropen Substanzen, weshalb es gemäß Art. 2 Abs. 7 lit. c ii) in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 nur durch ärztliche Verschreibungen an Privatpersonen abgegeben werden darf. Natrium-Pentobarbital wurde früher häufig als Schlafund Beruhigungsmittel genutzt, heute findet es in der Humanmedizin in Deutschland jedoch keine Anwendung mehr.7 Der vorliegende Sachstand beschäftigt sich zunächst mit den Sterbehilferegelungen und der Verwendung von entsprechenden Medikamenten in der Schweiz, den Niederlanden und Belgien, bevor über die aktuelle Rechtslage der Anwendung von Natrium-Pentobarbital in Deutschland berichtet wird. Dabei wird nur die Humanmedizin in den Blick genommen. 1 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 3. März 2020 (BGBl. I S. 431). 2 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 -. 3 Schwartz, Hilfe zum Suizid darf nicht verboten werden, in: Tagesschau vom 26. Februar 2020, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/sterbehilfe-urteil-analyse-101.html. 4 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1546). 5 https://www.chemie.de/lexikon/Pentobarbital.html (Stand: 5. Juni 2020); https://www.pharmawiki.ch/wiki/index .php?wiki=Pentobarbital (Stand: 5. Juni 2020). 6 Übereinkommen von 1971 über psychotrope Stoffe vom 21. Februar 1971 (BGBl. 1976 II S. 1478). 7 https://www.chemie.de/lexikon/Pentobarbital.html (Stand: 5. Juni 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 020/20 Seite 5 2. Medikamente zur Selbsttötung in der Schweiz, den Niederlanden und Belgien 2.1. Rechtslage in der Schweiz In der Schweiz ist der assistierte Suizid gemäß Art. 115 des Schweizer Strafgesetzbuches8 strafbewehrt . Wer demgemäß verurteilt wird, hat eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe zu erwarten. Durch die Einführung von Art. 115 sollte die Teilnahme am Suizid, die sonst aufgrund der Straffreiheit der Selbsttötung ebenfalls straflos geblieben wäre, unter Strafe gestellt werden.9 Bestraft wird jedoch nur, wer „(…) aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet (…)“. Es kommt daher auf das Motiv der selbstsüchtigen Beweggründe an. Solche liegen vor, wenn der Selbsttötung zum eigenen Vorteil assistiert wird. Dies gilt auch für die in der Schweiz bekannten Sterbehilfeorganisationen, die selbstsüchtige Motive ausschließen müssen, damit sie straflos bleiben. Dabei ist die Aufforderung zur Zahlung einer Entschädigung noch nicht ausreichend für die Annahme von selbstsüchtigen Beweggründen. Problematisch wird dies nur, wenn die Zahlung die Summe der Kosten zur Deckung der Suizidhilfe überschreitet. Sterbehilfeorganisationen brauchen daher vor allem ehrenamtliche Helfer, um einer Bestrafung zu entgehen.10 2.1.1. Zulassungsstatus von Natrium-Pentobarbital Beim Wirkstoff Pentobarbital handelt es sich im Schweizer Recht um einen psychotropen Stoff, der in Art. 2 lit. b des Schweizerischen Betäubungsmittelgesetzes (BetmG)11 zu finden und in der Schweizer Betäubungsmittelverzeichnisverordnung (BetmVV-EDI)12 aufgeführt ist. Zwar enthalten Art. 10 und 11 BetmG sowie Art. 46 der Schweizerischen Betäubungsmittelkontrollverordnung (BetmKV)13 Regelungen zur Verschreibung des Wirkstoffes durch Ärztinnen und Ärzte; auch das Schweizer Heilmittelgesetz (HMG)14 kann hier zur Anwendung kommen.15 Jedoch ist 8 Vom 21. Dezember 1937 (Stand am 3. März 2020), abrufbar im Internet unter: https://www.admin .ch/opc/de/classified-compilation/19370083/index.html. 9 Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, 2013, S. 65. 10 Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, 2013, S. 71 f., Weitere Ausführungen zur Rechtslage in der Schweiz in: „Organisierte Sterbehilfe und ärztlich assistierter Suizid in der Schweiz, den Niederlanden und Belgien“, Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 13. Mai 2020, WD 9 – 3000 –017/20, S. 5 ff. 11 Bundesgesetz über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe vom 3. Oktober 1951 mit Stand vom 1. Februar 2020. 12 Verordnung des EDI über die Verzeichnisse der Betäubungsmittel, psychotropen Stoffe, Vorläuferstoffe und Hilfschemikalien vom 30. Mai 2011 mit Stand vom 3. Dezember 2019. 13 Verordnung über die Betäubungsmittelkontrolle vom 25. Mai 2011 mit Stand vom 1. Januar 2013. 14 Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte vom 15. Dezember 2000 mit Stand vom 1. Januar 2020. 15 Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, 2013, S. 73. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 020/20 Seite 6 der Umgang mit einer letalen Dosis Natrium-Pentobarbital weder im HMG noch im BetmG ausdrücklich geregelt. Im Jahr 2006 entschied das Schweizerische Bundesgericht in einer Leitentscheidung , dass Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung verschrieben werden darf, wobei eine ärztliche Verschreibungspflicht besteht. Voraussetzungen für die Verschreibung sind die Pflicht des Arztes zur vorgängigen, persönlichen und eingehenden Untersuchung des Patienten - so soll er auch prüfen, ob die Entscheidung zur Selbsttötung tatsächlich auf dem freien Willen des Betroffenen beruht16 -, die medizinische Indikation sowie standesrechtliche Auflagen.17 Die Überwachung und Einhaltung dieser Voraussetzungen obliegt den kantonalen Gesundheitsbehörden. Ausführliche Informationen zur Abgabe von Natrium-Pentobarbital zur Sterbehilfe wurden von der Kantonsapothekervereinigung in einem Positionspapier zusammengestellt.18 2.1.2. Nutzung des Wirkstoffes Natrium-Pentobarbital durch Sterbehilfeorganisationen In der Schweiz gibt es vor allem drei große Sterbehilfeorganisationen. 2.1.2.1. EXIT-Deutsche Schweiz Der Verein EXIT-Deutsche Schweiz ist mit über 130.000 Mitgliedern eine der größten Organisationen .19 Das Angebot richtet sich jedoch nur an Schweizer Staatsbürger/innen bzw. Personen, die in der Schweiz ihren festen Wohnsitz haben.20 Für die Freitodbegleitung nutzt der Verein ausschließlich den Wirkstoff Natrium-Pentobarbital mit einer Dosis von 15 g.21 2.1.2.2. Exit ADMD (Association pour le Droit de Mourir dans la Dignité) Suisse Romande Die Organisation Exit ADMD Suisse Romande ist ausschließlich in der französischen Schweiz tätig, weist aber viele Ähnlichkeiten zum EXIT-Verein auf der deutschen Seite auf. So werden auch hier nur Personen mit einem festen Wohnsitz in der französischsprachigen Schweiz bedient.22 Der Verein macht keine Angaben zum verwendeten Medikament, verweist jedoch auf 16 BGE 133 I 58, S. 71f. ; bestätigt durch EGMR, Haas v. Switzerland, Urteil vom 20. Januar 2011, Nr. 31322/07; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 -, Rn. 27. 17 Schweizerische Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Ergänzungsbericht zum Bericht „Sterbehilfe und Palliativmedizin – Handlungsbedarf für den Bund?“, Bern, Juli 2017, S. 6. 18 Positionspapier der Kantonsapothekervereinigung vom 25. Oktober 2017, abrufbar unter https://www.kantonsapotheker .ch/fileadmin/docs/public/kav/2_Leitlinien___Positionspapiere/0005_v_02_abgabe_von_pentobarbital _natrium_zur_sterbehilfe_v02_d.pdf. 19 Webseite des Vereins EXIT-Deutsche Schweiz, abrufbar unter: https://exit.ch/ (Stand: 5. Juni 2020). 20 Webseite des Vereins EXIT-Deutsche Schweiz, abrufbar unter: https://exit.ch/mitgliedschaft/mitgliedschaft-aufeinen -blick/ (Stand: 5. Juni 2020). 21 Webseite des Vereins EXIT-Deutsche Schweiz, abrufbar unter: https://exit.ch/fileadmin/user_upload/download /ratgeber-fuer-aerzte/Informationen_zur_Rezeptierung_NaP.pdf (Stand: 5. Juni 2020). 22 Webseite des Vereins Exit ADMD Suisse Romande, abrufbar unter: https://exit-romandie.ch/adhesion-membreexit / (Stand: 5. Juni 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 020/20 Seite 7 die ähnliche Arbeitsweise wie der Verein auf der deutschen Seite, sodass auch von einer Verwendung des Wirkstoffes Natrium-Pentobarbital auszugehen ist.23 2.1.2.3. DIGNITAS Der Verein „DIGNITAS - Menschenwürdig leben - Menschenwürdig sterben“ führt im Gegensatz zu den anderen Organisationen auch Freitodbegleitungen mit Personen durch, die ihren Wohnsitz nicht in der Schweiz haben.24 Dabei wird ebenfalls ausschließlich das Medikament Natrium- Pentobarbital verwendet.25 2.2. Rechtslage in den Niederlanden In den Niederlanden gilt seit 2002 das „Gesetz zur Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und Hilfe bei der Selbsttötung“ (Sterbehilfegesetz).26 Grundsätzlich sind sowohl die Tötung auf Verlangen (aktive Sterbehilfe) als auch die Beihilfe zur Selbsttötung strafbar.27 Durch das Sterbehilfegesetz wurde jedoch ein spezieller Strafausschließungsgrund28 für Ärztinnen und Ärzte geschaffen, wonach diese sich nicht strafbar machen, wenn sie die Vorschriften des Sterbehilfegesetzes befolgen. Der Strafausschließungsgrund gilt sowohl für die Tötung auf Verlangen, also die Vornahme der Tötungshandlung durch die Ärztin oder den Arzt, als auch für den assistierten Suizid, bei der die Patientin oder der Patient selbst die Tötungshandlung ausführt.29 Artikel 2 des Sterbehilfegesetzes enthält dabei verschiedene Sorgfaltskriterien, die eingehalten werden müssen. Beispielsweise ist festzustellen, ob die Entscheidung zur Selbsttötung auf einem freien Willen beruht, zudem muss die Sterbehilfe medizinisch fachgerecht durchgeführt werden. 23 Webseite des Vereins Exit ADMD Suisse Romande, abrufbar unter: https://exit-romandie.ch/liens-utiles/ (Stand: 5. Juni 2020). 24 Webseite des Vereins DIGNITAS, abrufbar unter: http://www.dignitas.ch/index.php?option=com_content &view=article&id=20&Itemid=60&lang=de (Stand: 5. Juni 2020). 25 Webseite des Vereins DIGNITAS, abrufbar unter: http://www.dignitas.ch/index.php?option=com_content &view=article&id=23&Itemid=84&lang=de (Stand: 5. Juni 2020). 26 Wet toetsing levensbeëindiging op verzoek en hulp bij zelfdoding vom 12. April 2001 mit Stand vom 19. März 2020, abrufbar unter: https://wetten.overheid.nl/BWBR0012410/2020-03-19. 27 Art. 293 des niederländischen Strafgesetzbuches (Wetboek van Strafrecht vom 3. März 1881 mit Stand vom 1. Januar 2020) stellt die Tötung auf Verlangen unter Strafe, Art. 294 die Beihilfe zur Selbsttötung. 28 Art. 293 Abs. 2 und Art. 294 Abs. 2 des niederländischen Strafgesetzbuches enthalten jeweils den Strafausschließungsgrund ; Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, 2013, S. 117. 29 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 -, Rn. 28; Mackor, Sterbehilfe in den Niederlanden, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 2016, S. 24-48 (25). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 020/20 Seite 8 Seit 2012 gibt es für die Durchführung der Sterbehilfe Richtlinien30, an die Ärztinnen und Ärzte sich halten müssen. Weichen sie ab, so müssen sie die Abweichung erklären.31 Für die aktive Sterbehilfe sehen die Richtlinien zunächst Thiopental bzw. Propofol vor, mit denen die Patient/innen in ein künstliches Koma versetzt werden. Anschließend wird ein muskelentspannendes Mittel gegeben, wobei Rocuronium bromid, Atracurium oder Cisatracurium empfohlen werden.32 Beim assistierten Suizid greift auch die Richtlinie auf Barbiturate zurück, wobei Pentobarbital und Secobarbital ausdrücklich genannt werden.33 Auch die jeweils notwendige Dosis gibt die Richtlinie vor.34 2.3. Rechtslage in Belgien Belgien sieht ähnliche Regelungen wie die Niederlande vor, wobei auch Minderjährige jeden Alters erfasst werden.35 Seit 2002 gilt das „Loi relative à l´euthanasie“36, ein Gesetz, das auch die aktive Sterbehilfe durch Ärztinnen und Ärzten straffrei stellt. Des Weiteren werden durch einen später hinzugefügten Artikel auch Apothekerinnen und Apotheker bei der Abgabe des Wirkstoffs vor einer strafrechtlichen Verfolgung geschützt, wenn ein ärztliches Rezept vorgelegt wird.37 Die Beihilfe zur Selbsttötung war jedoch auch vor dem Inkrafttreten des Gesetzes nicht strafbar.38 Den Ärztinnen und Ärzten werden verschiedene Pflichten aufgegeben, die bei der Durchführung der 30 Guideline for the Practice of Euthanasia an Physician-Assisted Suicide, Richtlinien der Königlich Niederländischen Medizinvereinigung (KNMG) in Zusammenarbeit mit der Königlich Niederländischen Apothekervereinigung (KNMP) von 2012, englische Version abrufbar unter: https://www.knmp.nl/downloads/guidelines-for-thepractice -of-euthanasia.pdf (Stand: 5. Juni 2020). 31 Mackor, Sterbehilfe in den Niederlanden, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 2016, S. 24-48 (42). Weitere Informationen zur Rechtslage in den Niederlanden in: „Organisierte Sterbehilfe und ärztlich assistierter Suizid in der Schweiz, den Niederlanden und Belgien“, Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 13. Mai 2020, WD 9 – 3000 –017/20, S. 10 ff. 32 Seite 14 f. der Richtlinie. 33 Seite 17 der Richtlinie. 34 Seite 39 der Richtlinie. 35 Weitere Informationen sind in der Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages „Organisierte Sterbehilfe und ärztlich assistierter Suizid in der Schweiz, den Niederlanden und Belgien“ vom 13. Mai 2020, WD 9 – 3000 –017/20, S. 13 ff. zu finden. 36 Loi relative à l´euthanasie vom 28. Mai 2002 mit Stand vom 23. März 2020. 37 Art. 3 des Gesetzes; Rehder, Therapie des Lebens, in: Die Tagespost vom 4. Januar 2020, abrufbar unter: https://www.die-tagespost.de/leben/glauben-wissen/Therapie-des-Lebens;art4886,204360. 38 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 -, Rn. 29. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 020/20 Seite 9 Sterbehilfe einzuhalten sind (Art. 3).39 Für die Sterbehilfe werden in Belgien die gleichen Medikamente wie in den Niederlanden genutzt, unter anderem Thiopental, Propofol, Pentobarbital und Secobarbital.40 3. Natrium-Pentobarbital als Wirkstoff für den assistierten Suizid Natrium-Pentobarbital scheint vor allem beim assistierten Suizid das Mittel der Wahl zu sein. Der Grund dafür ist, dass die Selbsttötung dadurch schmerz- und fast risikofrei verläuft. Zudem tritt der Tod sehr schnell ein.41 In der Regel beträgt die Dosis 15 g Natrium-Pentobarbital. Das Medikament wird in Wasser aufgelöst und getrunken. Sollte das Trinken nicht mehr möglich sein, kann das Mittel auch beispielsweise durch eine Sonde in den Magen gespritzt werden. In der Regel schläft die Person innerhalb von zwei bis fünf Minuten ein und wird bewusstlos. Das Natrium-Pentobarbital lähmt das Atemzentrum, der Tod tritt durch Atemstillstand ein.42 In der Presse tauchten gelegentlich Berichte über angebliche Komplikationen bei der Einnahme des Medikaments auf. 2004 habe der Sterbeprozess eines Mannes beispielsweise 72 Stunden gedauert . 2007 und 2010 wurde von starken Schmerzen berichtet. Zudem wurde in dem Fall von 2010 von einem qualvollen Todeskampf über 38 Minuten gesprochen.43 Peter Maier-Abt, Zürcher Pharmakologieprofessor, weist darauf hin, dass das Medikament bei den unterschiedlichen Menschen auch unterschiedlich wirken könne. So könne es durchaus zu Erbrechen oder Muskelschmerzen kommen. Derartige Verläufe bringt er allerdings nur mit einer Fehldosierung oder einer unvollständigen Einnahme in Zusammenhang. Laut Lehrbuch seien schon 2-3 g Natrium- Pentobarbital tödlich. Ludwig A. Minelli, Gründer von DIGNITAS, räumte 2007 ein, dass es in einem von mehreren hundert Fällen länger dauern könne, bis der Tod eintrete.44 Der ehemalige 39 Khorrami, Die „Euthanasie-Gesetze“ im Vergleich - Eine Darstellung der aktuellen Rechtslage in den Niederlanden und in Belgien, in: Medizinrecht 2003, S. 19-25 (22). Weitere Informationen zur Rechtslage in Belgien in: „Organisierte Sterbehilfe und ärztlich assistierter Suizid in der Schweiz, den Niederlanden und Belgien“, Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 13. Mai 2020, WD 9 – 3000 –017/20, S. 13 ff. 40 Lübke, Medikamente für den Tod vom 13. November 2014, abrufbar unter: https://m.apotheke-adhoc.de/nachrichten /detail/panorama/sterbehilfe-150-assistierte-suizide-in-deutschland/ (Stand: 5. Juni 2020); Le pentobarbital , médidament de la mort ou passeport vers „l´ultime liberté“? vom 24. Oktober 2019, abrufbar unter: https://www.nouvelobs.com/20191024.AFP7282/le-pentobarbital-medicament-de-la-mort-ou-passeport-vers-lultime -liberte.html. 41 Petermann, Rechtliche Überlegungen zur Problematik der Rezeptierung und Verfügbarkeit von Natrium-Pentobarbital , in: Sterbehilfe 2006 (Hrsg: Petermann), S. 289-371. 42 Schwarzenegger, Das Mittel zur Suizidbeihilfe und das Recht auf den eigenen Tod, in: Schweizerische Ärztezeitung 2007; 88 (19), S. 843-846, abrufbar unter: https://www.ius.uzh.ch/dam/jcr:00000000-5624-ccd2-0000- 000049c9ad37/Mittel-Suizidbeihilfe-lang070508.pdf. 43 Raupp, „Ich brenne“- In der Schweiz wird diskutiert, ob eine deutsche „Dignitas“-Patientin beim begleiteten Selbstmord gelitten hat, in: Süddeutsche Zeitung vom 25. Juni 2010, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche .de/leben/qualvolle-sterbehilfe-ich-brenne-1.924366. 44 Sterbebegleitung mit Komplikationen, in: Neue Zürcher Zeitung vom 9. Januar 2007, abrufbar unter: https://www.nzz.ch/articleET026-1.94298. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 020/20 Seite 10 EXIT-Geschäftsführer Hans Muralt berichtete 2007, dass der Tod nach seinen Erfahrungen 20-25 Minuten nach dem Einschlafen eintrete.45 4. Sterbehilfemedikamente, insbesondere Natrium-Pentobarbital in Deutschland Was die Rechtslage der Sterbehilfe in Deutschland betrifft, so hat das Bundesverfassungsgericht jüngst den § 217 StGB, der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellte, für verfassungswidrig erklärt.46 Die Aufhebung der Vorschrift ermöglicht es Ärztinnen und Ärzte und Sterbehilfeorganisationen nun, mit mehr Rechtssicherheit beim Suizid zu assistieren. Konkrete Regelungen gibt es dafür aktuell noch nicht, jedoch ist mit solchen in naher Zukunft zu rechnen. Es stellt sich die Frage, welche Medikamente in Deutschland zur Selbsttötung zur Verfügung stehen . Die Wirkstoffe Thiopental und Propofol werden in der Anästhesie zur Einleitung einer Narkose verwendet und sind daher erhältlich.47 Auch die Muskelrelaxantien Rocuronium bromid48, Atracurium49 und Cisatracurium50 werden verwendet. Zu beachten ist jedoch, dass die aktive Sterbehilfe in Deutschland strafbar ist. Die Medikamente sind für den assistierten Suizid nicht geeignet, da der Patient sich zumindest die Muskelrelaxantien nach dem Eintritt ins Koma naturgemäß nicht mehr selbst spritzen kann. 4.1. Natrium-Pentobarbital Wie bereits erläutert, wird beim assistierten Suizid in anderen Ländern fast ausschließlich der Wirkstoff Pentobarbital verwendet. In Deutschland fällt er als verkehrsfähiges und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel in Anlage III zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG)51 ausnahmslos unter das Betäubungsmittelrecht. Es gibt daher auch kein zugelassenes Fertigarzneimittel mehr.52 § 3 Abs. 1 BtMG statuiert unter anderem für den Erwerb von Betäubungsmitteln einen Erlaubnisvorbehalt, wonach das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) diesem zustimmen muss. Eine Ausnahme von der Erlaubnispflicht gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 lit. a BtMG liegt dann vor, wenn die Betroffenen das Betäubungsmittel aufgrund 45 Sterbebegleitung mit Komplikationen, in: Neue Zürcher Zeitung vom 9. Januar 2007, abrufbar unter: https://www.nzz.ch/articleET026-1.94298. 46 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 -. 47 Informationen zu Thiopental abrufbar unter: https://www.medizin-kompakt.de/thiopental-trapanal-; Informationen zu Propofol abrufbar unter: https://www.medizin-kompakt.de/propofol-disoprivan- 48 Medikamente abrufbar unter: https://www.gelbe-liste.de/suche?term=Rocuronium%20bromid. 49 Medikamente abrufbar unter: https://www.gelbe-liste.de/atc/Atracurium_M03AC04. 50 Medikamente abrufbar unter: https://www.gelbe-liste.de/atc/Cisatracurium_M03AC11. 51 Betäubungsmittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 1994 (BGBl. I S. 358), das zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 17. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2850) geändert worden ist (BtMG). 52 Oğlakcıoğlu, Kriminalisierter Umgang mit Suizidpräparaten in: Medizinrecht 2019, S. 450-456 (452). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 020/20 Seite 11 einer ärztlichen Verschreibung erhalten. Die ärztliche Verschreibung ist in § 13 Abs. 1 BtMG geregelt und nur dann zulässig, wenn die Anwendung am oder im menschlichen Körper „begründet “ ist. Das therapeutische Ziel müsse nach gefestigter BGH-Rechtsprechung sein, Krankheiten zu heilen oder zu lindern, was bei einer letalen Dosis nicht der Fall sei.53 Selbst wenn man dies anders sehen würde, verbietet das Standesrecht Ärztinnen und Ärzte in einigen Bundesländern das Verschreiben einer letalen Dosis, wobei unterschiedliche Vorgaben existieren.54 Während beispielsweise in Niedersachen55, Nordrhein-Westfalen56 und Thüringen57 die Hilfe zur Selbsttötung ausdrücklich untersagt ist, existiert ein derartiges Verbot beispielsweise in Bayern58 und Baden- Württemberg59 nicht. In Berlin wiederum existiert die Vorgabe, dass Ärztinnen und Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten „sollen“.60 4.1.1. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 201761 In einem Rechtsstreit, der mit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Jahr 2017 endete, ging es um die Frage, ob die Erlaubnis zur Nutzung einer letalen Dosis eines Betäubungsmittels, im vorliegenden Fall 15 g Natrium-Pentobarbital, seitens des BfArM in extremen Notlagen erteilt werden müsse. In dem Fall hatte eine Frau, die vom Hals abwärts gelähmt war und künstlich beatmet werden musste, eine Erlaubnis zur Nutzung von 15 g Natrium-Pentobarbital beantragt, 53 BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 - 1 StR 494/13 -, BGHSt 59, 150-172; BGH, Urteil vom 8. Mai 1979 – 1 StR 118/79 –, BGHSt 29, 6-12. 54 Oğlakcıoğlu, Kriminalisierter Umgang mit Suizidpräparaten in: Medizinrecht 2019, S. 450-456 (454). 55 § 16 der Berufsordnung der Ärztekammer Niedersachsen in der Fassung der Neubekanntmachung vom 1. Juni 2018, zuletzt geändert durch Satzung vom 2. April 2020, mit Wirkung zum 1. Mai 2020, abrufbar unter: https://www.aekn.de/fileadmin/media/Downloadcenter/Arzt-und-Recht/Berufsrecht/BO_komplett _01052020.pdf. 56 § 16 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte vom 14. November 1998, in der Fassung vom 16. November 2019, abrufbar unter: https://www.aekno.de/aerzte/berufsordnung#_16. 57 § 16 der Berufsordnung der Landesärztekammer Thüringen vom 21. Oktober 1998, in der Fassung der Zehnten Satzung zur Änderung der Berufsordnung der Landesärztekammer Thüringen vom 6. Juni 2019, abrufbar unter: https://www.laek-thueringen.de/files/15F0ACABC16/Berufsordnung.pdf. 58 § 16 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns Bekanntmachung vom 9. Januar 2012 i. d. F. der Änderungsbeschlüsse vom 13. Oktober 2019, abrufbar unter: https://api.blaek.de/content/13-kammerrecht/2- cth9iyvzo71531985574ivslrzyln3293/2-kvbog6zsfr1574957510yrwwkqbjmo191/berufsordnung-fuer-die-aerztebayerns -bekanntmachung-vom-09-januar-2012-in-der-fassung-der-aenderungsbeschluesse-vom-13-10-2019.pdf. 59 § 16 der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg vom 21. September 2016 (ÄBW 2016, S. 506) zuletzt geändert durch Satzung vom 22. April 2020 (ÄBW 2020, S. 259), abrufbar unter: https://www.aerztekammer-bw.de/10aerzte/40merkblaetter/20recht/05kammerrecht/bo.pdf. 60 § 1 Abs. 3 der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin vom 26. November 2014 (ABl. S. 2341), die zuletzt durch die Erste Änderung vom 10. Oktober 2018 geändert worden ist (ABl. 2019 S. 27), abrufbar unter: https://www.aerztekammer-berlin.de/10arzt/30_Berufsrecht/06_Rechtsgrundlagen/30_Berufsrecht/Berufsordnung .pdf. 61 BVerwG, Urteil vom 2. März 2017 - 3 C 19/15 -, BVerwGE 158, 142-163. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 020/20 Seite 12 um einen begleiteten Suizid durchführen zu können. Das BfArM lehnte den Antrag mit Hinweis auf § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG ab, wonach die Erlaubnis dann zu versagen ist, wenn „die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen (…), vereinbar ist.“ Mit der medizinischen Versorgung seien ausschließlich lebenserhaltende oder –fördernde Verwendungszwecke gemeint.62 Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG so auszulegen sei, „dass der Erwerb eines Betäubungsmittels für eine Selbsttötung mit dem Zweck des Gesetzes ausnahmsweise vereinbar ist, wenn sich der suizidwillige Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befindet.“63 Eine extreme Notlage sieht das Bundesverwaltungsgericht in den Leitsätzen des Urteils dann als gegeben, wenn: 1. eine schwere und unheilbare Erkrankung mit gravierenden körperlichen Leiden verbunden ist, die einen unerträglichen Leidensdruck erzeugen und nicht ausreichend gelindert werden können, 2. der Betroffene entscheidungsfähig ist und 3. keine anderweitige zumutbare Möglichkeit zur Umsetzung des Sterbewunsches vorhanden ist.64 Die Frau war zum Zeitpunkt der Entscheidung schon verstorben, da sie in der Schweiz die Unterstützung einer Sterbehilfeorganisation in Anspruch genommen hatte. Das BfArM weigert sich trotz des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund einer Anweisung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), die Erlaubnis zum Erwerb des Medikaments in letaler Dosis zu erteilen .65 So gab es seit dem 2. März 2017 174 Anträge, von denen bisher keiner bewilligt wurde.66 Das BfArM gab zudem ein Rechtsgutachten bei dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio in Auftrag, das zu dem Ergebnis kam, dass eine Erwerbserlaubnis zum Zwecke der Selbsttötung weder vom Wortlaut noch vom Zweck des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG erfasst sei, da ausschließlich lebenserhaltende und lebensfördernde Maßnahmen erfasst seien. Das Bundesverwaltungsgericht setze sich mit dieser Auslegung an die Stelle des Gesetzgebers und verstoße damit gegen das Gewaltenteilungsgebot und den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes des Art. 20 Abs. 2 und 3 GG. Zwar erfasse das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Einzelnen auch das Recht zur Selbsttötung, jedoch gebe es keinen Anspruch gegen den Staat auf Beteiligung an dieser. Die Verwaltung sei zwar grundsätzlich auch an die höchstrichterliche Rechtsprechung 62 BVerwG, Urteil vom 2. März 2017 - 3 C 19/15 -, BVerwGE 158, 142-163, Rn. 3. 63 Leitsatz des BVerwG-Urteils. 64 Leitsatz des BVerwG-Urteils. 65 Müller-Neuhof, „Jens Spahn verhindert Sterbehilfe - Ein Arzneimittel-Institut verweigert Schwerkranken Suizidmedikamente - auf persönliche Weisung des Gesundheitsministers. Das belegen Regierungsdokumente, in: Tagesspiegel vom 19. Februar 2019, abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de/politik/gesundheitsminister -ignoriert-urteil-jens-spahn-verhindert-sterbehilfe/24010180.html. 66 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr, Stephan Thomae, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP vom 25. Mai 2020, BT-Drucksache 19/19411. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 020/20 Seite 13 gebunden, der Verfassungsverstoß sei hier jedoch nicht besonders evident. Befolgte sie das Urteil nicht, so riskiere sie eine Rechts- und Amtspflichtverletzung. Folge sie dem Urteil, so müsse sie sorgfältig prüfen, ob eine Notlage vorliege. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass ein Nichtanwendungserlass des zuständigen Bundesministers bis zur gesetzgeberischen Klärung angezeigt sei. Der Gesetzgeber könne darauf mit einer Gesetzesänderung reagieren, zudem könne ein Betroffener wieder den Rechtsweg ausschöpfen. Denkbar sei auch eine abstrakte Normenkontrolle vor dem Bundesverfassungsgericht.67 Das Bundesverwaltungsgericht hingegen bestätigte seine Rechtsprechung aus dem Jahr 2017 in einem weiteren Urteil aus dem Jahr 2019.68 4.1.2. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 202069 Am 26. Februar 2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht den § 217 StGB für verfassungswidrig und erkannte das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG an. Keine Aussage traf es zu der Problematik , über die das Bundesverwaltungsgericht 2017 zu entscheiden hatte, denn eine etwaige Pflicht zur Herausgabe einer Erlaubnis in Bezug auf Medikamente zur Selbsttötung durch das BfArM war nicht Teil des Verfahrens. Darauf beruft sich auch die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage.70 Das Bundesverfassungsgericht habe lediglich § 217 StGB für nichtig erklärt, über etwaige Vorschriften im BtMG sei nicht entschieden worden.71 4.1.3. Die Vorlage des Verwaltungsgerichts Köln Mit einer etwaigen Herausgabepflicht des BfArM hatte sich auch das Verwaltungsgericht Köln zu beschäftigen. Das Gericht setzte in einem Beschluss vom 19. November 201972 sechs Klageverfahren von Erkrankten aus und legte dem Bundesverfassungsgericht § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG vor, um 67 Di Fabio, Erwerbserlaubnis letal wirkender Mittel zur Selbsttötung in existenziellen Notlagen - Rechtsgutachten zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2017 - 3 C 19/15 -, im Auftrag des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, vom November 2017 abrufbar unter: https://www.bfarm.de/Shared- Docs/Downloads/DE/Service/Presse/Rechtsgutachten.pdf?__blob=publicationFile&v=2. 68 BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2019 - 3 C 6/17 -, juris. 69 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 -. 70 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr, Stephan Thomae, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP vom 25. Mai 2020, BT-Drucksache 19/19411. 71 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr, Stephan Thomae, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP vom 25. Mai 2020, BT-Drucksache 19/19411, S. 9. 72 VG Köln, Beschluss vom 19. November 2019 - 7 K 8461/18 - juris. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 020/20 Seite 14 über die Verfassungsmäßigkeit der Norm entscheiden zu lassen.73 Abweichend von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sieht das Verwaltungsgericht Köln keine Möglichkeit, die Norm verfassungskonform auszulegen. Dies verstoße gegen die richterliche Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG, da die Auslegung dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers widerspreche. Eine richterliche Rechtfortbildung dürfe nicht so weit gehen, dass sie sich über den Willen des Gesetzgebers hinwegsetze.74 Das Gericht hält § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG im Ergebnis jedoch für verfassungswidrig , da die Norm nicht mit dem Grundrecht auf Selbstbestimmung über die Art und den Zeitpunkt des eigenen Todes als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar sei.75 Die Bundesregierung will die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten, um daraus Schlüsse für die eigene Praxis ziehen zu können.76 4.2. Konsequenzen für die Verschreibungsfähigkeit von Natrium-Pentobarbital in Deutschland Zusammengefasst bedeutet dies, dass Ärztinnen und Ärzte Natrium-Pentobarbital in letaler Dosis zurzeit nicht verschreiben dürfen. Da das BfArM die Erlaubnis aktuell verweigert, gibt es für Betroffene keine Möglichkeit, an den Wirkstoff in entsprechender Dosis zu kommen. Es bleibt daher abzuwarten, wie und wann das Bundesverfassungsgericht entscheidet und ob bzw. welche Konsequenzen der Gesetzgeber daraus zieht. *** 73 Recht auf Selbsttötung: Verwaltungsgericht ruft Bundesverfassungsgericht an, in: Ärzteblatt vom 19. November 2019, abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/107546/Recht-auf-Selbsttoetung-Verwaltungsgericht -ruft-Bundesverfassungsgericht-an. 74 VG Köln, Beschluss vom 19. November 2019 - 7 K 8461/18 -, juris, Rn. 174 ff. 75 Leitsatz des Urteils. 76 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr, Stephan Thomae, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP vom 25. Mai 2020, BT-Drucksache 19/19411, S. 9.