© 2020 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 017/20 Organisierte Sterbehilfe und ärztlich assistierter Suizid in der Schweiz, den Niederlanden und in Belgien Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 017/20 Seite 2 Organisierte Sterbehilfe und ärztlich assistierter Suizid in der Schweiz, den Niederlanden und in Belgien Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 017/20 Abschluss der Arbeit: 13. Mai 2020 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 017/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Vergleichende Darstellungen 4 2.1. Grundlegende Beiträge 4 2.2. Weitere Beiträge 5 3. Rechtslage in der Schweiz 5 3.1. Strafbarkeit der aktiven Sterbehilfe 6 3.2. Regelungen zur organisierten Sterbehilfe 7 3.2.1. Zur Frage gesetzlicher Regelungen, die die Sterbehilfe regeln 7 3.2.2. Zu Regelungen über ärztliche Tätigkeiten, die den assistierten Suizid betreffen 8 4. Niederlande 10 4.1. Strafrechtliche Rahmenbedingungen 10 4.2. Verfahrensrechtliche Sicherungsmechanismen im Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei Selbsttötung und dem Gesetz über das Leichen- und Bestattungswesen 11 5. Zur Rechtslage in Belgien 13 5.1. Zum Geltungsbereich strafrechtlicher Regelungen 14 5.2. Verfahrensrechtliche Sicherungsmechanismen 14 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 017/20 Seite 4 1. Vorbemerkung Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung zur Sterbehilfe vom 26. Februar 2020 festgestellt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Absatz 1 in Verbindung mit Art. 1 Absatz 1 Grundgesetz das Recht auf selbstbestimmtes Sterben einschließt.1 Der Wunsch von Sterbewilligen, über die Beendigung ihres Lebens frei zu bestimmen, müsse respektiert werden. Dies bedeute aber auch, dass sie die Freiheit haben müssten, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und diese Hilfe dann auch in Anspruch zu nehmen. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, das der Gesetzgeber im Jahr 2015 mit der Einführung des § 217 Strafgesetzbuch (StGB) geschaffen habe, mache es dem Suizidwilligen unmöglich, diese Hilfe von Dritten in Anspruch zu nehmen und sei deshalb verfassungswidrig. Die Richter haben in ihrer Entscheidung allerdings auch deutlich gemacht, es gebe ein „breites Spektrum an Möglichkeiten“, die Suizidhilfe künftig zu regeln.2 In diesem Zusammenhang werden auch die Regelungen im europäischen Ausland, d. h. in der Schweiz, den Niederlanden und Belgien sowie darüber hinaus in Kanada und im US-Bundesstaat Oregon vorgestellt, die jeweils bestimmte Formen der Sterbehilfe zulassen. Die vorliegende Dokumentation gibt auftragsgemäß Hinweise auf Überblicks-Darstellungen zur Situation im Ausland und nimmt darüber hinaus die Rechtslage in den deutschen Nachbarländern , d. h. der Schweiz, den Niederlanden und Belgien besonders in den Blick. In allen drei Ländern ist – wie auch in Deutschland – die Tötung auf Verlangen grundsätzlich unter Strafe gestellt , während aber die Beihilfe zur Selbsttötung unter bestimmten Voraussetzungen nicht strafbewehrt ist. Die Kriterien sind durchaus unterschiedlich, geben aber eine Reihe von Anhaltspunkten für mögliche künftige Abwägungsfragen auch in Deutschland, wenn die Einzelheiten zum ärztlich assistierten Suizid diskutiert und festgelegt werden. 2. Vergleichende Darstellungen 2.1. Grundlegende Beiträge Die Behandlung der Thematik der Sterbehilfe und insbesondere des ärztlich assistierter Suizids im Ausland wird in einigen Veröffentlichungen sehr ausführlich behandelt: Gavela, Kallia, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe 2013 (mit ausführlichen Länderberichten zur Schweiz, den Niederlanden und den USA), abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.1007/978-3-642-31173-4. Jans, Jan, „Sterbehilfe“ in den Niederlanden und Belgien – Rechtslage, Kirchen und ethische Diskussion , in: Zeitschrift für Evangelische Ethik, 2002, S. 283-300. 1 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020, Az: 2 BvR 2347/15, abrufbar unter: http://www.bverfg.de/e/rs20200226_2bvr234715.html 2 BVerfG-Urteil vom 26. Februar 2020, Az: 2 BvR 2347/15, Rdnr. 339. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 017/20 Seite 5 Knell, Sebastian, Sterbehilfe, Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften, Stand: Februar 2020, , darin Gliederungspunkt III. Rechtliche Regelungen (Überblick zur Situation in der Schweiz, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Italien, Großbritannien, den USA, Australien und Kanada), abrufbar unter: http://www.drze.de/im-blickpunkt/sterbehilfe /rechtliche-regelungen. Oduncu, Fuat S./Eisenmenger, Wolfgang, Euthanasie – Sterbehilfe – Sterbebegleitung, Eine kritische Bestandsaufnahme im internationalen Vergleich (zur Rechtslage in den Niederlanden und in Belgien), in: Zeitschrift für Medizinrecht (MedR), 2002, S. 327-337. 2.2. Weitere Beiträge Schweizerischer Verein Dignitas, Länder mit Regelung zur Suizidhilfe oder der Aktiven Sterbehilfe (zur Situation in der Schweiz, Deutschland, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Kanada, USA, Kolumbien und Australien), abrufbar unter: http://www.dignitas.ch/index.php?option =com_content&view=article&id=54&Itemid=88&lang=de. Interessengemeinschaft Kritische Bioethik Deutschland, Sterbehilfe-Debatte.de, Sterbehilfe im Ausland (kurzer Überblick zur Situation in der Schweiz, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Frankreich und Italien), abrufbar unter: https://www.sterbehilfe-debatte.de/themen/sterbehilfeim -ausland/. mdr aktuell, Regelungen zur Sterbehilfe in Deutschland und anderen Ländern (zur Situation in einer Reihe von EU-Staaten sowie zur Situation in Australien, Israel, Kanada, der Schweiz und den USA), 21. Februar 2020, abrufbar unter: https://www.mdr.de/nachrichten/sterbehilfe-regelungen 100.html. statista, Tötungen auf Verlangen und assistierter Suizid in Ländern mit legalisierter Sterbehilfe im Jahr 2012 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/321039/umfrage/toetungen-auf-verlangen -und-assistierter-suizid-in-laendern-mit-legalisierter-sterbehilfe/ (zeigt Todesfälle in NL, CH, Belgien, Oregon auf). 3. Rechtslage in der Schweiz Viele Sterbenskranke in Deutschland haben in den vergangenen Jahren die Möglichkeit wahrgenommen , sich in der Schweiz mit Hilfe einer der Sterbehilfeorganisationen ihren Sterbewunsch zu erfüllen, siehe hierzu: Pfaff, Isabel, Suizidhilfe, Zum Sterben in die Schweiz, in: Die Welt vom 16. April 2019, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/sterbehilfe-suizid-schweiz- 1.4412140. Die wesentlichen rechtlichen Rahmenbedingungen sind: Regelung zur Strafbarkeit der Beihilfe zum Selbstmord im Schweizerischen Strafgesetzbuch Grundsatzentscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts im Jahr 2006 zur Zulässigkeit der ärztlichen Assistenz beim Suizid in bestimmten Fällen Standesordnung und Richtlinien Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 017/20 Seite 6 3.1. Strafbarkeit der aktiven Sterbehilfe Das schweizerische Strafgesetzbuch stellt mit Artikel 111 (Vorsätzliche Tötung), Artikel 113 (Totschlag) und Artikel 114 (Tötung auf Verlangen) die aktive Sterbehilfe unter Strafe3. Artikel 115 schwStGB regelt die Strafbarkeit der Beihilfe zum Selbstmord: „Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.“ Danach ist die Teilnahme am freiverantwortlichen Suizid nur strafbar, wenn sie aus selbstsüchtigen Beweggründe erfolgt. Eine vorsätzliche Beteiligung am Suizid bleibt dagegen straflos, wenn selbstsüchtige Motive fehlen. Die Freiverantwortlichkeit setzt die Urteilsfähigkeit der sterbewilligen Person voraus. Daran fehlt es, wenn der Willensentschluss des Sterbewilligen durch Zwang oder Irrtum herbeigeführt wurde. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung ist jener Moment, in dem der Sterbewillige selbst die letzte todbringende Handlung ausführt. Die Verleitung zum Suizid nach Artikel 115 schwStGB liegt vor, wenn der Täter bei einem anderen den Suizidentschluss hervorruft. Strafbar macht sich dieser Täter dann, wenn der Suizid tatherrschaftlich und freiverantwortlich durch den Sterbewilligen selbst ausgeführt oder versucht wird. Unter Hilfeleisten i. S. d. Artikel 115 schwStGB versteht man einen die Begehung der Suizidtat fördernden kausalen Beitrag in Form einer physischen Unterstützung (z. B. durch Verschaffung der Mittel) oder aber auch psychischen Hilfeleistung (z. B. durch Rat) Auch die bloße Stärkung des Suizidtatentschlusses bei der Vorbereitung zur Ausführung der Suizidtat genügt. Selbstsüchtige Beweggründe liegen vor, wenn der Täter mit seinem Handeln einen persönlichen Vorteil verfolgt, der sowohl materieller, als auch ideeller oder affektiver Art sein kann. Strafbar ist sein Handeln dann, wenn es die Grenze zur gewerbsmäßigen Ausübung resp. zur Kommerzialisierung der Sterbehilfetätigkeit überschreitet. Wenn der Täter dagegen Teilnehmer einer unfreien Selbsttötung ist, so sind die o. g. allgemeinen Tötungsdelikte nach Artikel 111 bis 113 schwStGB oder Artikel 117 schwStGB maßgebend. Demgegenüber kommt bei einer fahrlässig irrigen Annahme der Freiverantwortlichkeit eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung gemäß Artikel 117 schwStGB in Betracht. Veröffentlichungen zur strafrechtlichen Frage: Teichmann, Fabian/Camprubi, Madeleine Sterbehilfe: ‚Der Handlungsspielraum der Ärzteschaft in der Schweiz aus strafrechtlicher Sicht, in: Neue Kriminalpolitik (NK), 2020, Heft 1, S. 75-90, abrufbar unter: https://doi.org/10.5771/0934-9200-2020-1-75 Venetz, Petra, Suizidhilfeorganisationen und Strafrecht, 2008, S. 94-107. 3 Gesetz vom 21. Dezember 1937 (Stand: 3. März 2020), Systematische Rechtssammlung (SR)311.0), abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19370083/202003030000/311.0.pdf. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 017/20 Seite 7 Gavela, Kallia, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, 2013, S. 64-73, abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.1007/978-3-642-31173-4. Tag, Brigitte, Strafrecht am Ende des Lebens – Sterbehilfe und Hilfe zum Suizid in der Schweiz, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW), 2016, S. 73-79, abrufbar unter: https://doi.org/10.1515/zstw-2016-0004. Jacob, Nicola, Aktive Sterbehilfe im Rechtsvergleich und unter der Europäischen Menschenrechtskonvention , 2013, S. 255-258. 3.2. Regelungen zur organisierten Sterbehilfe 3.2.1. Zur Frage gesetzlicher Regelungen, die die Sterbehilfe regeln Bis heute gibt es in der Schweiz keine bundesrechtlichen Vorgaben, die explizit und einheitlich die Durchführung einer organisierten Sterbehilfe durch eine Vereinigung regeln. Der nationale Gesetzgeber hat sich bei Reformanstößen zu Artikel 115 schwStGB wiederholt gegen eine ausdrückliche bundesrechtliche Regelung der organisierten Suizidbeihilfe entschieden . Er vertrat die Auffassung, ein umfassendes Aufsichtsgesetz würde zu einer staatlichen Mitverantwortung und zu einer staatlichen Legitimationserteilung für Suizidhilfeorganisationen führen , was gerade nicht beabsichtigt sei, siehe: Vertiefte Abklärungen im Bereich der organisierten Suizidhilfe, in: Medienmitteilungen des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartments (EJPD) vom 2. Juli 2008, abrufbar unter: https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/aktuell /news/2008/ref_2008-07-020.html. Die Vorschrift des Art. 115 StGB wird insoweit als ausreichend angesehen, um das Vorliegen von selbstsüchtigen und finanziellen Motiven zu kontrollieren und gegen finanzielle Missbräuche im Bereich der organisierten Sterbehilfe vorzugehen, siehe: Suizidhilfe: Stärkung des Rechts auf Selbstbestimmung, in: Medienmitteilungen, Der Bundesrat vom 29. Juni 2011, abrufbar unter: https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/aktuell/news/2011/ref_2011-06-29.html. Zu den umfassenden Stellungnahmen und Begründungen zur Ablehnung einer ausdrücklichen Regelung der organisierten Suizidhilfe vgl. die Medienmitteilungen auf der Website des Bundesamts für Justiz: https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/gesellschaft/gesetzgebung/archiv/sterbehilfe.html. Die Zuständigkeit zum Erlass von gesetzlichen Bestimmungen im Gesundheitsrecht liegt – mit Ausnahme grundsätzlicher Regelungen, die im ganzen Land gelten – bei den Kantonen. 2012 hat der Kanton Waadt ein Gesetz erlassen, das die Suizidhilfe unter bestimmten Bedingungen in öffentlich finanzierten Pflegeeinrichtungen und Hospitälern zulässt, siehe: Tag, Brigitte, Strafrecht am Ende des Lebens – Sterbehilfe und Hilfe zum Suizid in der Schweiz, in: ZStW 2016, S. 79-82, abrufbar unter: https://doi.org/10.1515/zstw-2016-0004. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 017/20 Seite 8 3.2.2. Zu Regelungen über ärztliche Tätigkeiten, die den assistierten Suizid betreffen Weder im schweizerischen Heilmittelgesetz (schwHMG)4 noch im spezielleren schweizerischen Betäubungsmittelgesetz (schwBetmG)5 finden sich ausdrückliche Regelungen, die etwa die Anwendung von zur assistierten Suizidbegehung notwendigen Medikamenten betreffen. Zu diesen Medikamenten gehört Natrium-Pentobarbital (NaP) in letaler Dosis. Bei NaP handelt es sich um einen abhängigkeitserzeugenden psychotropen Stoff vom Wirkungstyp „Barbiturate“, der zwar gemäß Artikel 2 das schwBetmG im Verzeichnis der Betäubungsmittel aufgeführt ist, dessen Verschreibbarkeit zu suizidalen Anwendung jedoch nicht geregelt wird, siehe: Petermann, Frank Th., Die geltende Regelung für Natrium-Pentobarbital: Ein legistischer Rubik’s Cube?, in: Aktuelle Juristische Praxis/Pratique Juridique Actuelle (AJP/PJA) 2008, S. 1413-1431. Das Schweizerische Bundesgericht hat in der grundlegenden Entscheidung vom 3. November 2006 aufgezeigt, welche Voraussetzungen und Grenzen für eine Erhältlichkeit des von den Suizidhilfeorganisationen verwendeten Medikaments NaP gelten würden und hat damit die ärztliche Assistenz beim Suizid für ausdrücklich zulässig erklärt. Dies setze aber voraus, dass das Medikament ärztlich verschrieben werde, siehe: BGE 133 I 58, abrufbar auf der Webseite des Schweizer Bundesgerichts: https://www.bger.ch/index.htm. Die in Artikel 24 Abs. 1a schwHMG enthaltene Ausnahmeregelung zur Abgabebefugnis ohne eine ärztliche Verordnung sei demgegenüber restriktiv auszulegen. Nur in Notsituationen, wenn etwa das Rezept nicht rechtzeitig erhältlich sei, könne, so das Bundesgericht, davon abgewichen werden . Indem das Schweizerische Bundesgericht die Rechtmäßigkeit der Aushändigung von NaP und vergleichbarer Stoffe in tödlicher Dosis an die ärztliche Rezeptausstellung knüpft und Ausnahmeregelungen restriktiv auslegt, beschränkt sich die Praxis der organisierten Sterbehilfe auf eine Praxis des ärztlich assistierten Suizids. Denn die Ärzte müssen nun von den Sterbehilfeorganisationen in den Entscheidungs- und Vorbereitungsprozess eines jeden mithilfe von Heil- bzw. Betäubungsmitteln begleiteten Suizids eingebunden werden. Eingehendere Informationen und Anmerkungen zum Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 3. November 2006 finden sich bei: Gavela, Kallia, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe 2013, S. 82-85, abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.1007/978-3-642-31173-4. Petermann, Frank Thomas, Das Recht, über Art und Zeitpunkt der Beendigung des eigenen Lebens zu entscheiden, in: Sicherheitsfragen der Sterbehilfe, 2007, S. 361ff. 4 Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte vom 19. Dezember 2000 (Stand: 1. Januar 2020), SR 812.21, abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20002716/index.html. 5 Bundesgesetz über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe vom 3. Oktober 1951 (Stand: 1. Februar 2020), SR 812.21, abrufbar unter: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19981989/index .html. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 017/20 Seite 9 Schwarzenegger, Christian, Das Mittel zur Suizidbeihilfe und das Recht auf den eigenen Tod, in: Schweizerische Ärztezeitung (SAeZ), 2007, S. 843-846, abrufbar unter https://doi.org/10.4414/saez.2007.12717. Auf Grund der Entscheidung des Bundesgerichts wurde in der Schweiz eine Art ärztliches Kontrollsystem errichtet, welches einerseits den sogfältigen Umgang mit lebensgefährlichen Wirkstoffen und andererseits die medizinische Überprüfung des Suizidenten sichert. Insoweit kommt den ärztlichen Berufs- und Standesregeln eine zentrale Bedeutung zu, insbesondere den Standesordnungen der kantonalen und fachspezifischen Ärztegesellschaften und deren Dachverband, der sog. Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (Foederatio Medicorum Helveticorum – FMH). Die Standesordnung der FMH ist abrufbar unter: https://www.fmh.ch/files/pdf7/standesordnung -fmh.pdf. Artikel 17 der FMH-Standesordnung verweist für die „Ärztliche Betreuung sterbender und schwerstgeschädigter Patienten oder Patientinnen“ auf die Geltung der Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Eine Übersicht zu den medizinisch -ethischen Richtlinien der SAMW ist abrufbar unter: https://www.fmh.ch/files/pdf7/anhang -1-standesordnung-fmh.pdf. Zur vertieften Darstellung dieser Berufs- und Standesregeln siehe auch: Petermann, Frank Th., Rechtliche Überlegungen zur Problematik der Rezeptierung und Verfügbarkeit von Natrium-Pentobarbital, in: AJP/ PJA 4 2006, 439-467. Die Richtlinien enthalten insbesondere verfahrensmäßige Sicherungsmechanismen für die organisierte Sterbehilfe schwerstkranker Personen. Hierzu zählt die Richtlinie zur Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende aus dem Jahre 2004 (in der Fassung vom 1. Januar 2013), die den Schweizer Ärztinnen und Ärzte klare Berufs- und Sorgfaltspflichten im Rahmen eines begleiteten Suizids vorgeben, abrufbar unter: https://fmh.ch/_files/pdf21/richtlinien _samw_lebensende.pdf: In Ziffer 2 werden die verschiedenen Anforderungen an den ärztlich begleiteten Suizid von urteilsfähigen Patienten (Ziffer 2.1.) und von nicht urteilsfähigen Patienten (Ziffer 2.2.) aufgezeigt . Unter Ziffer 4.1. werden klare Voraussetzungen zur ärztlichen Diagnose, Indikationsstellung und Aufklärungspflichten genannt: „In jedem Fall hat der Arzt das Recht, Suizidbeihilfe abzulehnen. Entschliesst er sich zu einer Beihilfe zum Suizid, trägt er die Verantwortung für die Prüfung der folgenden Voraussetzungen: – Die Erkrankung des Patienten rechtfertigt die Annahme, dass das Lebensende nahe ist. – Alternative Möglichkeiten der Hilfestellung wurden erörtert und soweit gewünscht auch eingesetzt. – Der Patient ist urteilsfähig, sein Wunsch ist wohlerwogen, ohne äusseren Druck entstanden und dauerhaft. Dies wurde von einer unabhängigen Drittperson überprüft, wobei diese nicht zwingend ein Arzt sein muss.“ Auch werden unter Ziffer ad. 4.1. die einzuhaltenden Dokumentationspflichten beim begleiteten Suizid festgelegt. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 017/20 Seite 10 Weitere Informationen: Bosshard, Georg, Assistierter Suizid in der Schweiz: Ursprung, Entwicklungen, empirische Befunde , in: Assistierter Suizid: Der Stand der Wissenschaft 2017, S. 29-34, abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.1007/978-3-662-52669-9 Gavela, Kallia, Assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe 2013, S. 85-92, abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.1007/978-3-642-31173-4. 4. Niederlande Die Niederlande waren das erste Land weltweit, das im Jahr 2002 ein Gesetz erlassen hat, mit dem aktive Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen legalisiert wurde. Die wesentlichen Rechtsgrundlagen sind: Regelungen zur Strafbarkeit der aktiven Sterbehilfe und der Beihilfe zur Selbsttötung, aber mit Strafausschließungsbestimmungen für Ärzte Regelungen des Gesetzes über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei Selbsttötung. 4.1. Strafrechtliche Rahmenbedingungen Nach dem niederländischen Strafgesetzbuch (nlStGB)6 ist sowohl die aktive Sterbehilfe gemäß Artikel 293 nlStGB als auch die Beihilfe zur Selbsttötung gemäß Artikel 294 nlStGB generell strafbar. Somit steht die vorsätzliche Beendigung des Lebens eines anderen Menschen, selbst auf dessen ausdrückliches und ernstliches Verlangen hin, grundsätzlich unter Strafe. Allerdings sehen die Artikel 293 Absatz 2 nlStGB und Artikel 294 Absatz 2 nlStGB Strafausschließungsgründe für Ärzte vor. So ist gemäß Artikel 293 Absatz 2 die Sterbehilfe straflos, „wenn sie von einem Arzt begangen wurde, der damit die in Artikel 2 des Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei Selbsttötung genannten Sorgfaltskriterien eingehalten und dem Leichenbeschauer der Gemeinde gemäß Artikel 7 Absatz 2 des Gesetzes über das Leichen- und Bestattungswesen Meldung erstattet hat.“ Dieser Strafausschließungsgrund zur aktiven Sterbehilfe wie auch zur Beihilfe zum Suizid gilt ausschließlich für Ärzte, nicht dagegen für Angehörige der Pflegeberufe. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber einerseits für ein einheitliches transparentes Verfahren beim ärztlich begleiteten Suizid und andererseits für mehr Rechtssicherheit bei der Ärzteschaft sorgen. 6 Wetboek van Strafrecht vom 3. März 1881 (Stand: 1. Oktober 2012), abrufbar in einer englischen Übersetzung unter: https://www.legislationline.org/download/id/6415/file/Netherlands_CC_am2012_en.pdf. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 017/20 Seite 11 Weitere Informationen zur Sterbehilfe: Gavela, Kallia, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe 2013, S. 109-118, abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.1007/978-3-642-31173-4. Knopp, Lothar, Aktive Sterbehilfe - Europäische Entwicklungen und "Selbstbestimmungsrecht" des Patienten aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: MedR 2003, S. 379-381, abrufbar unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s00350-003-0927-2. Pauly, Kristin, Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Sterbehilfe unter besonderer Berücksichtigung der Sterbehilfe bei Minderjährigen 2019, S. 52-54. 4.2. Verfahrensrechtliche Sicherungsmechanismen im Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei Selbsttötung und dem Gesetz über das Leichenund Bestattungswesen Im Jahr 2002 trat in den Niederlanden das Sterbehilfegesetz, das „Wet toetsing levensbeëindiging op verzoek en hulp bij zelfdoding“ (Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei Selbsttötung – GKL)7 in Kraft. Mit diesem Gesetz wurde im Wesentlichen die in den Niederlanden zuvor bereits durch die Rechtsprechung und administrative Maßnahmen geschaffene Rechtspraxis festgeschrieben. Zur Entwicklung bis zur heutigen spezialgesetzlichen Sterbehilferegelung in den Niederlanden siehe: Gavela, Kallia, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe 2013, S. 114-116, abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.1007/978-3-642-31173-4. So greift die Strafbefreiung in Artikel 293 Absatz 2 nlStGB für die Fälle der aktiven Sterbehilfe und der Suizidbeihilfe nur, wenn der Arzt die ausdrücklich in Artikel 2 GKL aufgelisteten Sorgfaltskriterien und die zusätzlichen Meldevoraussetzungen in Artikel 7 des Gesetzes über das Leichen - und Bestattungswesen einhält. In Artikel 2 Absatz 1 lit. a) – f) GKL werden abschließend sechs Sorgfaltskriterien für den sterbehilfeleistenden Arzt zur Sterbehilfe genannt: „ (1) Die in Artikel 293 Absatz 2 Strafgesetzbuch genannten Sorgfaltskriterien beinhalten, dass der Arzt a) zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Patient seine Bitte freiwillig und nach reiflicher Überlegung gestellt hat, b) zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Zustand des Patienten aussichtslos und sein Leiden unerträglich ist, c) den Patienten über dessen Situation und über dessen Aussichten aufgeklärt hat, d) gemeinsam mit dem Patienten zu der Überzeugung gelangt ist, dass es für dessen Situation keine andere annehmbare Lösung gibt, 7 Die deutsche Fassung des GKL ist abrufbar unter: https://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/pdf/euthanasie .pdf). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 017/20 Seite 12 e) mindestens einen anderen, unabhängigen Arzt zu Rate gezogen hat, der den Patienten untersucht und schriftlich zu den unter den Buchstaben a bis d genannten Sorgfaltskriterien Stellung genommen hat, und f) bei der Lebensbeendigung oder bei der Hilfe bei der Selbsttötung mit medizinischer Sorgfalt vorgegangen ist.“ Insbesondere nach Artikel 2 Absatz 1 f) GKL muss der Arzt demnach zu der Überzeugung gelangt sein, dass der Sterbehilfewunsch des Patienten selbstbestimmt, frei von äußerem Druck und wohlerwogen erfolgte. Ist ein Patient jedoch entscheidungsunfähig und liegt keine schriftliche Voraberklärung mit der Bitte um Lebensbeendigung vor, so fällt eine dennoch vorgenommene Lebensbeendigung nicht in den Anwendungsbereich des GKL. Demgegenüber kann ein Arzt der Bitte eines über 16-jährigen Patienten, der sich nicht mehr willensfähig äußern kann, jedoch vorab einen schriftlich geäußerten Sterbewunsch in Form einer Patientenverfügung abgegeben hatte, unter Erfüllung aller Sorgfaltspflichten gemäß des GKL straffrei nachkommen. Das höchste Gericht der Niederlande, der Hohe Rat der Niederlande mit Sitz in Den Haag, hat aktuell in einem Grundsatzurteil vom 21. April 2020 ausdrücklich klargestellt, dass nach der Gesetzeslage ein ärztlich assistierter Suizid grundsätzlich auch bei schwer dementen Patienten zulässig ist. In dem vorliegenden Fall wurde der vorherige Freispruch einer Ärztin bestätigt, die auf Grundlage einer schriftlichen Patientenverfügung bei einer schwer demenzkranken Frau aktive Sterbehilfe leistete, siehe: Aktive Sterbehilfe bei Demenzkranken zulässig, in: Süddeutsche Zeitung vom 21. April 2020, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/sterbehilfedemenz -niederlande-1.4883759 Zu den Einzelheiten bei den unterschiedlichen Sorgfaltskriterien: Mackor, Anne Ruth, Sterbehilfe in den Niederlanden, in: ZStW 2016, S. 35-46, abrufbar unter: https://www.degruyter.com/view/journals/zstw/128/1/article-p24.xml Lindemann, Michael, Zur Rechtswirklichkeit von Euthanasie und Ärztlich Assistiertem Suizid in den Niederlanden, in: ZStW 2005, S. 217-227, abrufbar unter: https://www.degruyter .com/view/journals/zstw/117/1/article-p208.xml Gavela, Kallia, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, 2013, S. 118-124, abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.1007/978-3-642-31173-4. Artikel 2 GKL regelt auch die Voraussetzungen für den ärztlich assistierten Suizid bei Minderjährigen . Hier gilt ein Altersstufenmodell: Nach Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 GKL finden die soeben genannten Sorgfaltskriterien des Absatzes 1 auch auf Patienten Anwendung, die das 16. Lebensjahr vollendet und eine schriftliche Erklärung mit der Bitte um Lebensbedingung abgegeben haben, sofern sie aktuell dazu außerstande sind. Absatz 3 regelt demgegenüber die Anforderungen bei noch ansprechbaren Patienten, die zwischen 16 und 17 Jahre alt sind und Absatz 4 die Bitte um Sterbehilfe von Patienten in einem Alter zwischen 12 und 15 Jahren. Unzulässig und strafbar bleiben dagegen das Leisten von Sterbehilfe bei Minderjährigen unter 12 Jahren und auch die Bitte um Sterbehilfe von den Erziehungsberechtigten im Namen des Minderjährigen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 017/20 Seite 13 Zur Vertiefung zum Thema Sterbehilfe bei Minderjährigen in den Niederlanden: Lindemann, Michael, Zur Rechtswirklichkeit von Euthanasie und Ärztlich Assistiertem Suizid in den Niederlanden, in: ZStW 2005, S. 227f., abrufbar unter: https://www.degruyter .com/view/journals/zstw/117/1/article-p208.xml. Pauly, Kristin, Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Sterbehilfe unter besonderer Berücksichtigung der Sterbehilfe bei Minderjährigen, 2019, S. 102-107. Zusätzlich zu den Sorgfaltskriterien nach Artikel 2 GKL müssen gemäß Artikel 7 des Gesetzes über das Leichen- und Bestattungswesen zur Straffreistellung des begleiteten Suizids die Meldevoraussetzungen vom handelnden Arzt erfüllt werden. Nachdem die Sterbehilfe vollzogen wurde darf der Arzt noch keinen Totenschein ausstellen. Er ist zunächst verpflichtet, in einem ausführlichen Bericht und unter Beantwortung eines festgelegten Fragenkatalogs den Tod und dessen Ursache dem kommunalen Leichenbeschauer vorzulegen, der den Bericht sodann der Staatsanwaltschaft und der regionalen Euthanasieprüfungskommission, bestehend aus drei Mitgliedern (einem Juristen, einem Arzt und einem Sachkundigen in Ethikfragen), weiterleitet, Art. 10 Abs. 2 des Gesetzes über das Leichen- und Bestattungswesen. Zu weiteren Informationen zum Kontrollverfahren siehe Mackor, Anne Ruth, Sterbehilfe in den Niederlanden, in: ZStW 2016, S. 32-35, abrufbar unter: https://www.degruyter.com/view/journals/zstw/128/1/article-p24.xml. 5. Zur Rechtslage in Belgien Gegenüber der Schweiz und den Niederlanden gehen die Regelungen in Belgien zur Straffreiheit bestimmter Fälle der Sterbehilfe noch etwas weiter. Darüber hinaus ist seit einigen Jahren auch die aktive Sterbehilfe gegenüber Minderjährigen jeden Alters rechtlich zulässig – auf Grund einer Gesetzesänderung, die in Belgien sehr kontrovers diskutiert wurde. Kirchenvertreter, auch aus dem Vatikan, und Patientenschützer hätten im Jahr 2016, als der erste Fall von aktiver Sterbehilfe gegenüber einem belgischen Kind bekannt geworden sei, heftig gegen die entsprechende Regelung protestiert, so ein Bericht in der deutschen Presse: Vatikan kritisiert ersten Fall von Sterbehilfe für Minderjährige, in: Süddeutsche Zeitung vom 18. September 2016, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/panorama/belgien-vatikan-kritisiert-ersten-fall-von-sterbehilfefuer -minderjaehrige-1.3168216. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 017/20 Seite 14 5.1. Zum Geltungsbereich strafrechtlicher Regelungen Die vorsätzliche Tötung auf Verlangen wird in Belgien in Artikel 393 des belgischen Strafgesetzbuches (belStGB))8 grundsätzlich als Totschlag und in Artikel 394 belStGB als Mord erfasst. Demgegenüber ist eine Beihilfe zur Selbsttötung in Belgien – wie in Deutschland – nicht strafbewehrt. Die Tötung auf Verlangen, ausgeübt durch einen Arzt, ist seit dem im Jahre 2002 verabschiedeten Gesetz "Loi relative à l'euthanasie" (Gesetz über die Sterbehilfe)9 unter bestimmten Bedingungen erlaubt, so dass auch in Belgien der ärztlich assistierte Suizid bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen keine strafbare Handlung mehr nach dem belStGB darstellt. 5.2. Verfahrensrechtliche Sicherungsmechanismen Im Gesetz über die Sterbehilfe werden in Kapitel II die Bedingungen und Vorgehensweisen festgelegt , die zur Straffreiheit der Sterbehilfe durch die Ärzteschaft führen. Die Kriterien orientieren sich ganz offensichtlich an denen des niederländischen Gesetzes über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei Selbsttötung. In Artikel 3 § 1 werden die Einzelheiten zu den Bedingungen und Voraussetzungen für die Straflosigkeit des Arztes aufgelistet: „Ein Arzt, der Sterbehilfe leistet, begeht keine Straftat, wenn er sich vergewissert hat: - dass der Patient eine volljährige Person oder eine für mündig erklärte minderjährige Person ist, die zum Zeitpunkt ihrer Bitte handlungsfähig und bei Bewusstsein ist, - dass die Bitte freiwillig, überlegt und wiederholt formuliert worden ist und nicht durch Druck von außen zustande gekommen ist, - dass der Patient sich in einer medizinisch aussichtslosen Lage befindet und sich auf eine anhaltende, unerträgliche körperliche oder psychische Qual beruft, die nicht gelindert werden kann und die Folge eines schlimmen und unheilbaren unfall- oder krankheitsbedingten Leidens ist, und die durch vorliegendes Gesetz vorgeschriebenen Bedingungen und Vorgehensweisen beachtet .“ 8 Strafgesetzbuch (Code Pénal) vom 8. Juni 1867, Belgisches Staatsblatt (B.S.) S. 3133, zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. Februar 2020, abrufbar unter: http://www.ejustice.just.fgov.be/cgi_loi/loi_a1.pl?DE- TAIL=1867060801%2FF&caller=list&row_id=1&numero =2&rech=4&cn=1867060801&table_name=LOI&nm=1867060850&la=F&dt=CODE+PENAL&language =fr&fr=f&choix1=ET&choix2=ET&fromtab=loi_all&trier=promulgation&chercher=t&sql=dt+contains ++%27CODE%27%26+%27PENAL%27and+actif+%3D+%27Y%27&tri=dd+AS+RANK+&imgcn.x=41&imgcn .y=12. Zur deutschen Fassung siehe den Link: https://www.scta.be/Startseite-Direkt/Strafrecht. 9 Gesetz vom 28. Mai 2002, in Kraft getreten am 23. September 2002, Belgisches Staatsblatt S. 28515, zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. Februar 2014, in Kraft getreten am 22. März 2014, B.S. S. 21503. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 017/20 Seite 15 Artikel 3 § 2 Ziffer 1 schreibt grundsätzlich eine umfassende Aufklärung des Patienten durch den Arzt über den Gesundheitszustand vor, benennt aber auch Alternativmöglichkeiten. Ziffer 2 stellt klar, dass der Patient wiederholt um Sterbehilfe bitten muss und dass dem Arzt mehrere Gespräche mit ihm abverlangt werden. Artikel 3 § 3 trifft auch eine Regelung für den Fall, dass Patienten sich noch nicht in der letzten Phase ihrer Erkrankung befinden und unterscheidet sich insoweit vom Recht in den Niederlanden . In diesen Fällen wird über die Pflichten aus § 2 hinaus die Einbeziehung eines zweiten Arztes verlangt, der Psychiater oder Facharzt für die vorliegende Krankheit ist. In Artikel 3 § 4 des Gesetzes über die Sterbehilfe wird das Erfordernis einer schriftlichen Erklärung des Patienten und deren Modalitäten beschrieben. So muss mindestens ein Monat zwischen der schriftlichen Bitte und der Durchführung der Sterbehilfe verstrichen sein. In Kapitel 3 des Gesetzes über die Sterbehilfe wird zudem die Möglichkeit der antizipierten Willenserklärung, ähnlich einer Patientenverfügung, eröffnet. Seit 2014 ist – wie oben unter 5. eingangs erwähnt– die aktive Sterbehilfe auch gegenüber Minderjährigen jeden Alters zulässig, allerdings nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen. Dabei wurden für Kinder und Jugendliche zusätzliche Auflagen festgeschrieben, so insbesondere das Erfordernis einer elterlichen Zustimmung. Für weitere Informationen zur Sterbehilfe bei Minderjährigen in Belgien siehe: Pauly, Kristin, Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Sterbehilfe unter besonderer Berücksichtigung der Sterbehilfe bei Minderjährigen 2019, S. 107-111. Artikel 3 § 5 legt die weiteren Dokumentationspflichten des behandelnden Arztes über sämtliche Vorgänge vor und während der assistierten Sterbehilfe fest. Kapitel 4 und 5 betreffen die anschließenden Meldepflichten. So muss der leistende Arzt das Versterben des Patienten in Form eines Registrierungsdokuments einer föderalen Kontroll- und Bewertungskommission innerhalb von vier Tagen melden. Weitere Informationen zu den Sorgfaltskriterien: Knopp, Lothar, Aktive Sterbehilfe - europäische Entwicklungen und "Selbstbestimmungsrecht" des Patienten aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: MedR, 2003, S. 379-382, abrufbar unter: https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00350-003-0927-2. Khorrami, Katharina, Die “Euthanasie-Gesetze” im Vergleich, in: MedR, 2003, S. 19f., abrufbar unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s00350-002-0839-6. Pauly, Kristin, Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Sterbehilfe unter besonderer Berücksichtigung der Sterbehilfe bei Minderjährigen 2019, S. 52-55. ***