WD 9 - 3000 - 016/21 (9. März 2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Der Ausbruch des Coronavirus SARS-CoV-2 führte in Deutschland im Frühjahr 2020 zu einem ersten Lockdown. Schulen und Kindertageseinrichtungen, Gastronomie- und Kulturbetriebe sowie weitere Dienstleistungsbetriebe wurden geschlossen, soziale Kontakte wurden beschränkt. In Pflegeheimen, stationären Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und Krankenhäusern wurden generelle Besuchsverbote z. B. von den Landesregierungen angeordnet oder von den Einrichtungen selbst ausgesprochen.1 Darüber hinaus wurden im Bereich der stationären und ambulanten Gesundheitsversorgung verschiedene Maßnahmen einerseits zur Erweiterung der notwendigen medizinischen Kapazitäten und andererseits zur Reduzierung der Infektionsgefahr getroffen . Zur stationären Gesundheitsversorgung: Die Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 12. März 2020 enthielt folgenden Beschluss: „Mit dem Ziel, dass sich die Krankenhäuser in Deutschland auf den erwartbar steigenden Bedarf an Intensiv- und Beatmungskapazitäten zur Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen durch Covid-19 konzentrieren, sollen, soweit medizinisch vertretbar, grundsätzlich alle planbaren Aufnahmen, Operationen und Eingriffe in allen Krankenhäusern ab Montag auf unbestimmte Zeit verschoben und ausgesetzt werden.“2 1 Vgl. z.B. Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, Pressemittelung vom 26. Juni 2020, Huml: Neue Besuchsregelungen in bayerischen Alten- und Pflegeheimen sowie in Krankenhäusern ab dem 29. Juni, abrufbar unter https://www.stmgp.bayern.de/presse/huml-neue-besuchsregeln-in-bayerischen-alten-und-pflegeheimen -sowie-in-krankenhaeusern-ab/ (dieser sowie alle weiteren Links wurden zuletzt abgerufen am 9. März 2021). 2 Die Bundesregierung, Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 12. März 2020, abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/beschluss -zu-corona-1730292. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Auswirkungen des ersten Coronavirus-Lockdowns auf die medizinische Versorgung Kurzinformation Auswirkungen des ersten Coronavirus-Lockdowns auf die medizinische Versorgung Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren und Frauen) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Eine entsprechende Forderung richtete der Bundesgesundheitsminister einen Tag später an die Krankenhäuser in Deutschland mit Wirkung ab dem 16. März 2020, um Behandlungs- und Intensivkapazitäten in den Kliniken frei werden zu lassen.3 Verbunden war dies mit einer durch das Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz vom 27. März 20204 vorgesehenen Tagespauschale von 560 Euro für Betten, die für Covid-19-Fälle freigehalten wurden. Unabhängig von der politisch intendierten Minimierung der planbaren Behandlungsfälle, verringerte sich zudem die Anzahl der Notfallbehandlungen in den Krankenhäusern. Eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der Allgemeinen Ortskrankenkassen (WIdO) geht von einem Rückgang von etwa 39 Prozent der stationären Behandlungsfälle im Zeitraum vom 16. März bis 5. April 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum aus. Besonders hohe Rückgänge seien bei planbaren, nicht dringlichen Eingriffen wie Operationen zum Arthrose-bedingten Hüftersatz (minus 79 Prozent) zu verzeichnen. Allerdings zeigten sich auch starke Rückgänge bei der Behandlung von lebensbedrohlichen Notfällen wie Herzinfarkten (minus 31 Prozent) und Schlaganfällen (minus 18 Prozent).5 Ein weiterer Beitrag geht von einem bundesweiten Rückgang der Anzahl von Operationen im März 2020 um 24 Prozent und im April 2020 um 41 Prozent aus. Zahlenmäßig seien von den Absagen die Augenheilkunde , die Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde sowie die Orthopädie und Unfallchirurgie besonders betroffen. 6 Zur ambulanten Gesundheitsversorgung: Die Einladungen zum Mammographie-Screening-Programm wurden mit einem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)7 vom 25. März 2020 bis zum 30. April 2020 eingestellt.8 3 Bundesgesundheitsministerium, Coronavirus SARS-CoV-2: Chronik der bisherigen Maßnahmen, 13. März 2021, abrufbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/coronavirus/chronik-coronavirus.html. 4 Gesetz zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz), BGBl. I, S. 580. 5 Günster, Christian/Drogan, Dagmar/Hentschker, Corinna et al., Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO)- Report: Entwicklung der Krankenhausfallzahlen während des Coronavirus-Lockdowns, 26. Juni 2020, S. 12, 15, 17, 32, abrufbar unter https://wido.de/fileadmin/Dateien/Bilder/News/2020_06_WIdO-Report_FZ-Entwicklung _Lockdown.pdf. 6 Bialas, Enno/Schleppers, Alexanderh/Auhuber, Thomas, Covid-19: Auswirkungen des Lockdowns auf die operative Patientenversorgung in Deutschland im April 2020, in: Anästhesiologie & Intensivmedizin 2021; 62:54–62, abrufbar unter https://www.ai-online.info/images/ai-ausgabe/2021/02-2021/AI_02-2021_Originalia _Bialas.pdf. 7 Der G-BA ist das oberste Gremium der Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Er hat die Aufgabe, die Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung durch Richtlinien zu konkretisieren. 8 Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die befristete Aussetzung der Einladung zum Mammographie -Screening, 25. März 2020, abrufbar unter https://www.g-ba.de/downloads/39-261-4222/2020-03-25_KFE- RL_Ausnahmeregelung-Mammographie_BAnz.pdf. Kurzinformation Auswirkungen des ersten Coronavirus-Lockdowns auf die medizinische Versorgung Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren und Frauen) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Ebenso wurden Dokumentations- und Schulungspflichten in Disease-Management-Programmen 9 nach einem Beschluss des G-BA vom 27. März 2020 ausgesetzt.10 Sanktionen bei pandemiebedingter Unterschreitung des Versorgungsauftrags wurden ausgesetzt . So blieben Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten , die ihre Sprechzeiten beispielsweise infolge fehlender Schutzausrüstung oder einer Anordnung des Gesundheitsamtes zeitweise reduzieren mussten, von Honorarkürzungen verschont. Kinder-Früherkennungsuntersuchungen für Kinder ab dem zehnten Lebensmonat konnten auf nachfolgende Zeiträume verschoben werden. Dagegen wurden Videosprechstunden und Konsultationen per Telefon statt persönlicher Kontaktaufnahme ausgeweitet.11 Auch im ambulanten Bereich ist die Inanspruchnahme ärztlicher und psychotherapeutischer Leistungen im März und April 2020 nach einem Report des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland über alle Fachgruppen hinweg unabhängig von den gezielten Einschränkungen deutlich zurückgegangen und hat sich erst ab Ende Mai 2020 wieder normalisiert. So habe der Fachbereich Augenheilkunde in der letzten Märzwoche 2020 ein Minus von 64 Prozent und der Fachbereich Kinderheilkunde ein Minus von 53 Prozent verzeichnet. Die Anzahl an Behandlungsfällen sei beim Mammographie-Screening in der letzten Märzwoche 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 82 Prozent und beim Hautkrebsscreening um 71 Prozent gesunken .12 *** 9 Disease-Management-Programme (DMP) sind strukturierte Behandlungsprogramme für chronisch kranke Menschen wie z. B. Frauen mit Brustkrebs, Menschen mit Diabetes mellitus oder Menschen mit chronischer Herzinsuffizienz . Ziel ist, die Lebensqualität zu steigern und die Auswirkungen der Erkrankung zu minimieren. 10 Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die 19. Änderung der DMP-Anforderungen-Richtlinie (DMP-A-RL): Ausnahmeregelungen für Schulungen und Dokumentationen aufgrund der COVID-19-Pandemie, 27. März 2020, abrufbar unter https://www.g-ba.de/downloads/39-261-4226/2020-03-27_DMP-A-RL_COVID-19- Ausnahmeregelungen-Schulung-Dokumentation_BAnz.pdf. 11 Kassenärztliche Bundesvereinigung, Coronavirus, Sonderregelungen für die ambulante Versorgung, abrufbar unter https://www.kbv.de/html/coronavirus.php#content45248. 12 Mangiapane, Sandra/Zhu, Linda/Czihal, Thomas et al., Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland, Veränderung der vertragsärztlichen Leistungsinanspruchnahme während der Covid-Krise, 16. Februar 2021, S. 8, 11, 14, abrufbar unter https://www.zi.de/fileadmin/images/content/PMs/Zi-Trendreport_Leistungsinanspruchnahme _COVID_2020-07-27.pdf .