© 2020 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 015/20 Zur Frage des Anspruchs von Vorstandsmitgliedern bzw. Aufsichtsräten auf Mutterschutz und Elternzeit Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 015/20 Seite 2 Zur Frage des Anspruchs von Vorstandsmitgliedern bzw. Aufsichtsräten auf Mutterschutz und Elternzeit Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 015/20 Abschluss der Arbeit: 20. März 2020 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 015/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Anspruchsberechtigung 4 2.1. Mutterschutz nach dem Mutterschutzgesetz 4 2.2. Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und –elternzeitgesetz 5 3. Konsequenzen 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 015/20 Seite 4 1. Vorbemerkung Derzeit wird – wie bereits in den vergangenen Jahren aufgrund einzelner Fälle – in der Presse davon berichtet, dass ein Vorstandsmitglied eines Konzerns Mutterschutz und Elternzeit in Anspruch nehmen wolle.1 Diskutiert wird in diesem Zusammenhang u. a., ob in solchen Konstellationen das Vorstandsmandat zurückgegeben werden muss. Auftragsgemäß soll hier dargelegt werden, wie sich die rechtliche Situation von Eltern, insbesondere Müttern, in Vorstands- und Aufsichtsratspositionen darstellt, wenn diese eine Elternzeit oder Mutterschaftsurlaub wahrnehmen wollen. 2. Anspruchsberechtigung 2.1. Mutterschutz nach dem Mutterschutzgesetz Ein Anspruch auf Mutterschutz ergibt sich dem Grunde nach aus § 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG)2. § 1 Abs. 2 S. 1 MuSchG begrenzt den Anwendungsbereich dabei auf „Frauen in einer Beschäftigung im Sinne von § 7 Absatz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch“ und legt in S. 2 Nr. 1 – 8 eine Reihe weiterer Anwendungsfälle fest, etwa für Frauen in Heimarbeit oder für Schülerinnen und Studentinnen, die an Pflichtveranstaltungen teilnehmen müssen. § 7 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV)3 definiert als Beschäftigung „die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“ Ob Organmitglieder juristischer Personen und Geschäftsführerinnen von Personengesellschaften in den Anwendungsbereich des MuSchG fallen, hängt also davon ab, ob sie überwiegend als Beschäftigte tätig sind. Der EuGH hat hierbei klargestellt, dass der europäische Arbeitnehmerbegriff 1 Siehe hierzu den Bericht über die Gründerin und Vorstandsmitglied des Online-Möbelhändlers Westwing, Delia Lachance, Horban, Katharina, Ist das Mutterschutzgesetz noch zeitgemäß?, in: Der Tagesspiegel, 9. März 2020; abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/debatte-um-westwing-gruenderin-ist-das-mutterschutzgesetz -noch-zeitgemaess/25626176.html, zuletzt abgerufen am 19. März 2020. 2 Gesetz zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium - Mutterschutzgesetz vom 23. Mai 2017 (BGBl. I S. 1228), geändert durch Artikel 57 Absatz 8 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2652). 3 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 2009 (BGBl. I S. 3710, 3973; 2011 I S. 363), zuletzt geändert durch Artikel 7a des Gesetzes vom 14. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2789). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 015/20 Seite 5 Anwendung findet, es also darauf ankommt, ob eine Vergütung für eine weisungsgebundene Tätigkeit geleistet wird.4 Ein Kriterium könne etwa sein, ob eine Rechenschaftspflicht gegenüber einem anderen Organ des Unternehmens bestehe und wie diese ausgestaltet sei.5 Für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft dürfte eine solche Weisungsgebundenheit allerdings bereits nach der Natur der Sache ausscheiden. Diese leiten gemäß § 76 Abs. 1 Aktiengesetz (AktG)6 die Gesellschaft in eigener Verantwortung und können nur aus wichtigem Grund abberufen werden, § 84 Abs, 3 AktG.7 Andere Rechtsgrundlagen für die Inanspruchnahme von Mutterschutz durch Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder, vergleichbar beispielsweise zu der für Bundesbeamtinnen und -richterinnen anwendbare Mutterschutz- und Elternzeitverordnung (MuSchEltZV)8 des Bundes, sind ebenfalls nicht ersichtlich. 2.2. Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Ähnlich ist die Situation im Hinblick auf die Gewährung von Elternzeit nach dem Bundeselterngeld - und Elternzeitgesetz (BEEG)9. § 15 Abs. 1 BEEG gewährt den Anspruch auf Elternzeit grundsätzlich „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern“. Die Arbeitnehmereigenschaft setzt das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne von § 611a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)10 und damit unter anderem die Weisungsgebundenheit und Abhängigkeit der Beschäftigung voraus . Organmitgliedern juristischer Personen wie dem Vorstand und dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft fehlt es allerdings an der Abhängigkeit, da sie selbst die juristische Person und damit den Arbeitgeber repräsentieren.11 4 EuGH, Urteil vom 11. November 2010 - C-232/09 – Rechtssache Dita Danosa/LKB Lizings SIA, E- CLI:EU:C:2010:674, NZA 2011, 143, amtlicher Leitsatz Nr. 1. 5 So etwa Dahm, Katharina. in: Beck'scher Online-Kommentar BeckOK Arbeitsrecht, MuSchG (Auszug), 54. Edition , Stand: 01. Dezember 2019, § 1, Rn. 19. 6 Aktiengesetz vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2637). 7 So auch Baeck, Ulrich / Winzer, Thomas, Mitglied des Vertretungsorgans einer Gesellschaft als Arbeitnehmer, NZG 2011, 101. 8 Mutterschutz- und Elternzeitverordnung vom 12. Februar 2009 (BGBl. I S. 320), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 9. Februar 2018 (BGBl. I S. 198). 9 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Januar 2015 (BGBl. I S. 33), zuletzt geändert durch Artikel 36 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2451). 10 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2911). 11 Preis, Ulrich, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage 2020, Bürgerliches Gesetzbuch, § 611a, Rn. 88. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 015/20 Seite 6 Ein Anspruch auf Elternzeit nach dem BEEG besteht demnach nicht. Auch im Hinblick auf die Elternzeit sind weitere Rechtsgrundlagen, die für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder Anwendung finden, nicht ersichtlich. 3. Konsequenzen Um einen gesetzlichen Anspruch auf Elternzeit oder Mutterschutz wahrnehmen zu können, bleibt die Möglichkeit, das Amt im Vorstand oder im Aufsichtsrat niederzulegen.12 Wenn mit dem Unternehmen Verträge wie beispielsweise Dienst- oder Arbeitsverträge bestehen, bleiben diese von der Niederlegung unberührt,13 so dass sich ein Anspruch auf Mutterschutz und Elternzeit aus den oben genannten Vorschriften des MuSchG und des BEEG ergeben kann. *** 12 Die Niederlegung ist nicht gesetzlich geregelt, die Möglichkeit ist aber anerkannt, vgl. Vedder, Karl Christian, in: Grigoleit, Hans-Christoph (Hrsg.), Aktiengesetz, 1. Auflage 2013, § 84, Rn. 44, § 103, Rn. 22. 13 vgl. Vedder, Karl Christian, in: Grigoleit, Hans-Christoph (Hrsg.), Aktiengesetz, 1. Auflage 2013, § 84, Rn. 44, § 103, Rn. 24.