© 2021 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 014/21 Corona-Infektionen bei bestimmten benachteiligten Personengruppen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 014/21 Seite 2 Corona-Infektionen bei bestimmten benachteiligten Personengruppen Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 014/21 Abschluss der Arbeit: 5. März 2021 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 014/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Erhöhtes Infektionsrisiko für sozial Benachteiligte 4 3. Wohnen in beengten Wohnverhältnissen 5 4. Leben ohne festen Wohnsitz 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 014/21 Seite 4 1. Vorbemerkung Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Monaten eine Reihe von gesetzlichen Regelungen verabschiedet , um das Infektionsgeschehen während der Corona-Pandemie einzudämmen. Hierzu zählen neben den Bevölkerungsschutzgesetzen auch die sogenannten Sozialschutz-Pakete I und II, mit deren Hilfe soziale und wirtschaftliche Folgen aufgrund der im Rahmen der Corona-Pandemie getroffenen Maßnahmen abgefedert und Erleichterungen beim Zugang zu sozialer Sicherung geschaffen werden sollen. Das am 26. Februar 2021 vom Bundestag beschlossene Sozialschutz- Paket III sieht insbesondere Unterstützungsleistungen für Leistungsberechtigte der Grundsicherung vor. Gerade in Zeiten der Pandemie leben diese Personengruppen unter zusätzlich erschwerten Bedingungen . Viele von ihnen wohnen auf engem Raum und in Gebäuden, in denen die neuen Hygienestandards nur schwer einzuhalten sind. Hierüber wurde in den vergangenen Monaten anlässlich einer Reihe von Infektionsausbrüchen in den Medien wiederholt berichtet. Problematisch ist aber auch die Situation der Wohnungslosen, die einen erheblich erschwerten Zugang zu Infektionsschutzmaßnahmen haben und allein auf Grund ihrer Lebensumstände vor einem hohen Infektionsrisiko stehen. Der vorliegende Sachstand geht der Frage nach, ob und inwieweit Zusammenhänge zwischen dem Leben im beengten Wohnraum bzw. der Wohnungslosigkeit einerseits und erhöhten Infektionszahlen andererseits feststellbar sind. Er zeigt darüber hinaus Regelungen und Maßnahmen auf, die bereits unternommen werden, um die Betreffenden in der Corona-Krise besser zu schützen . Anhand von Beispielen aus einzelnen Städten wird deutlich, dass nach wie vor der Bedarf besteht, auch diese Personengruppen vor Infektionen noch besser zu schützen. 2. Erhöhtes Infektionsrisiko für sozial Benachteiligte Die Sozialschutz-Pakete1 beinhalten neben Unterstützungsleistungen für Beschäftigte mit geringem Einkommen insbesondere auch einen vereinfachten Zugang zur Grundsicherung sowie die Verlängerung der Anspruchsdauer beim Arbeitslosengeld. Mit dem Sozialschutz-Paket III 2 sind weitere Unterstützungsmaßnahmen für Menschen vorgesehen, die Leistungen der Grundsicherung beziehen, und zwar eine Einmalzahlung von 150 € sowie für Familien einen Kinderbonus von weiteren 150 €. Möglich ist auch, dass bedürftige Familien mit Wirkung zum 1. Januar 2021 einen Mehrbedarf für digitale Endgeräte geltend machen, damit ihre Kinder bessere Möglichkei- 1 Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 27. März 2020, BGBl. I S. 575 (Sozialschutz-Paket I); Gesetz zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 20. Mai 2020, BGBl. I S. 1055 (Sozialschutz -Paket II). 2 Gesetz zur Regelung einer Einmalzahlung der Grundsicherungssysteme an erwachsene Leistungsberechtigte und zur Verlängerung des erleichterten Zugangs zu sozialer Sicherung und zur Änderung des Sozialdienstleister- Einsatzgesetzes aus Anlass der COVID-19-Pandemie (Sozialschutz-Paket III), Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages vom 26. Februar 2021, BR-Drucksache 187/21. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 014/21 Seite 5 ten erhalten, am Fernunterricht teilzunehmen. Die Corona-Schutzmasken-Verordnung sieht darüber hinaus einen Anspruch auf einmalig zehn FFP-2-Schutzmasken bzw. vergleichbare Masken vor. Das Institut für Medizinische Soziologie des Universitätsklinikums Düsseldorf hat in der ersten Jahreshälfte 2020 gemeinsam mit der AOK Rheinland/Hamburg die Daten von rund 1,3 Mio. Versicherten im Alter von 18 bis 65 Jahren daraufhin untersucht, ob Bezieher von Arbeitslosen- bzw. Sozialhilfe auf Grund einer Corona-Erkrankung häufiger in einem Krankenhaus behandelt werden mussten – und damit einen schwereren Verlauf der Erkrankung hätten – als erwerbstätig Versicherte . Ergebnis der Analyse sei, dass Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II im Alter von 18 bis 65 Jahren eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen COVID-19-bedingten Krankenhausaufenthalt im Vergleich zu regulär Erwerbstätigen hätten. Vgl. den zusammenfassenden Bericht: Wahrendorf, Morten; Rupprecht, Christoph, u. a., Erhöhtes Risiko eines COVID-19-bedingten Krankenhausaufenthaltes für Arbeitslose: Eine Analyse von Krankenkassendaten von 1,28 Mio. Versicherten in Deutschland, veröffentlicht: 28. Januar 2021, abrufbar unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s00103-021-03280-6. In Berlin veröffentlichte die Senatsgesundheitsverwaltung Anfang Februar 2021 eine Studie, welche das Covid-19-Infektionsgeschehen in Berlin im Zusammenhang mit soziodemografischen Merkmalen und Indikatoren des Wohnumfeldes auf Bezirksebene untersucht. Die Infektionen in den Bezirken hätten einen ganz klaren Zusammenhang zum Sozialstatus der Kieze. „Je höher der Anteil der Arbeitslosen und Transferbeziehenden in den Bezirken ist, desto höher ist die Covid- 19-Inzidenz“, heißt es in der Studie. Grundsätzlich sei festzustellen, dass Bezirke, die eine ungünstigere Sozialstruktur aufweisen sowie dichter besiedelt sind und in denen weniger Frei- und Erholungsfläche zur Verfügung steht, signifikant stärker von der COVID-19-Epidemie betroffen sind.“ Vgl. die Studie der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Das SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen in Berlin – Zusammenhang mit Soziodemografie und Wohnumfeld , abrufbar unter: https://www.berlin.de/sen/gesundheit/service/gesundheitsberichterstattung /veroeffentlichungen/kurz-informiert/#Corona20. 3. Wohnen in beengten Wohnverhältnissen Das Robert Koch-Institut (RKI) hat in seinen Allgemeinen Hinweisen für Gesundheitsbehörden zur Kontaktaufnahme und Zusammenarbeit mit marginalisierten Bevölkerungsgruppen vom 3. September 2020 ein Konzept vorgelegt, das Gesundheitsbehörden konkrete Handlungsmöglichkeiten vorschlagen soll, siehe: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus /Marginalisierte_Gruppen.html. Das RKI hebt hervor, dass sich viele von Ausbrüchen Betroffene in einer prekären Wohn- bzw. Arbeitssituation befinden würden. Dies könne neben anderen Faktoren dazu führen, dass Maßnahmen und Vorgaben des Infektionsschutzes nicht eingehalten werden könnten. Es schlägt deshalb vor, neben der Sicherstellung der medizinischen Versorgung, die Aufklärung über Präventionsmaßnahmen zu verbessern, und zwar durch Identifizierung vermittelnder Organisationen und Schlüsselpersonen, aber auch durch Überwindung von Sprachbarrieren, soweit Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund betroffen sind. Wichtig sei bei alldem auch die Zusammenarbeit mit örtlichen Integrationsbeauftragten. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 014/21 Seite 6 Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) befasste sich im Juni 2020 mit der Frage der Vulnerabilität von Menschen, die sich in der sozialen Grundsicherung befinden. Die Haushalte in der Grundsicherung verfügten meist über eine schlechtere Ressourcenausstattung in ihrem Wohnumfeld. Sie hätten im Durchschnitt nur etwa zwei Drittel der Wohnfläche zur Verfügung , die Personen außerhalb der Grundsicherung nutzen könnten. In immerhin 40 Prozent der Grundsicherungshaushalte mit Kindern müssten sich diese ein (oder mehrere) Zimmer miteinander teilen. Dies lasse sich zumindest tendenziell aus der Tatsache schließen, dass die Wohnung in diesen Fällen weniger Zimmer als Personen habe. Bei Haushalten außerhalb der Grundsicherung treffe dies nur in knapp drei Prozent der Fälle zu. Zudem habe fast jede vierte Person in der Grundsicherung keinen Garten, keinen Balkon und keine Terrasse. Außerhalb der Grundsicherung sei es nicht einmal jede zwölfte. Siehe: Bähr, Sebastian; Frodermann, Corinna; Stegmaier, Jens; Teichler, Nils; Trappmann, Mark (2020): Knapper Wohnraum, weniger IT-Ausstattung, häufiger alleinstehend: Warum die Corona-Krise Menschen in der Grundsicherung hart trifft, in: IAB- Forum vom 10. Juni 2020, abrufbar unter: https://www.iab-forum.de/knapper-wohnraum-weniger -it-ausstattung-haeufiger-alleinstehend-warum-die-corona-krise-menschen-in-der-grundsicherung -hart-trifft/. Im Juni 2020 wurde in den Medien wiederholt über Corona-Ausbrüche in Mietobjekten in Berlin- Neukölln berichtet. Bezirksbürgermeister Martin Hikel erklärte anlässlich von Quarantäne-Anordnungen in 13 Wohnhäusern in Neukölln: „Dieses Virus hat in den Skigebieten begonnen und ist jetzt in den Mietskasernen angekommen.“, siehe: Fiedler, Maria, Warum Covid-19 die Ärmsten besonders hart trifft, in: Der Tagesspiegel vom 19. Juni 2020, abrufbar unter: https://www.tagesspiegel .de/politik/vor-dem-virus-sind-nicht-alle-gleich-warum-covid-19-die-aermsten-besonders -hart-trifft/25930022.html. Ebenfalls im Juni 2020 wurde anlässlich eines massiven Corona-Ausbruchs in einem Wohnkomplex in Göttingen, in dem viele Menschen auf engem Raum leben, über weitere mögliche Verbreitungswege diskutiert. Zitiert wurde in einem Bericht des NDR der damalige Geschäftsführer des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen, Eberhard Bodenschatz. Ein regelrechter Hotspot für Viren sei der Aufzug. In Hochhäusern sei dies besonders gravierend, besonders viele Bewohner seien hier auf die Nutzung der Aufzüge angewiesen, der Raum im Aufzug sei besonders eng und die Aufzüge in der Regel schlecht oder gar nicht belüftet, was die Verbreitung der Aerosole begünstige, vgl. Moeckel, Theresa, Göttingen: Was macht Hochhäuser zum Corona-Hotspot? In: NDR vom 19. Juni 2020, abrufbar unter: https://www.ndr.de/nachrichten /niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/Goettingen-Was-macht-Hochhaeuser-zum- Corona-Hotspot,goettingen1308.html. Kostengünstige Wohnungen befinden sich wiederum oft an verkehrsreichen Orten mit höherer Luftverschmutzung, Atemwegsleiden sind dort häufiger, vgl. hierzu Heine, Hannes, Was der Corona-Ausbruch in der Stadt über soziale Spaltung verrät, in: Der Tagesspiegel vom 11. Juni 2020, abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/die-elenden-vongoettingen -was-der-corona-ausbruch-in-der-stadt-ueber-soziale-spaltung-verraet/25905638.html. Im Zusammenhang mit diesen Vorfällen warnt der Osnabrücker Migrationsforscher Andreas Pott davor, Menschen in Corona-Hotspots in städtischen Brennpunkten zu stigmatisieren. Wenn sie sich hier anstecken würden, seien sie vor allem Leidtragende. Pandemien hätten sich schon immer gerade in verdichteten und ärmeren Vierteln schneller verbreitet. Ein wichtiger Punkt sei aber auch, dass die dort lebenden Menschen nicht mit den für sie verständlichen Informationen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 014/21 Seite 7 über die Pandemie versorgt würden. Siehe: Migrationsforscher: Finanziell Schwache in Corona- Hotspots nicht stigmatisieren, in: Neues Deutschland vom 4. Dezember 2020, abrufbar unter: https://www.neues-deutschland.de/artikel/1145308.brennpunkte-migrationsforscher-finanziellschwache -in-corona-hotspots-nicht-stigmatisieren.html. Die Bild-Zeitung berichtete in einem Artikel vom 3. März 2021 von einem Gespräch zwischen dem Präsidenten des RKI, Lothar Wieler, und mehreren Chefärzten. Darin habe einer der Beteiligten erklärt, die aus einer telefonischen Umfrage unter Chefärzten ermittelten Zahlen von Intensivstationen in Deutschland ergäben, dass „über 90 Prozent der intubierten, schwerst kranken Patienten einen Migrationshintergrund“ hätten. Wieler soll in dem Gespräch betont haben, dass ihm „diese Problematik“ bekannt sei. „Deutlich über 50 Prozent“ der Patientinnen und Patienten kämen aus einem Teil der Bevölkerung, der stärker zu integrieren sei, siehe den Artikel von Harbusch , „Es ist ein Tabu“, Bild-Zeitung vom 3. März 2021, S. 2, online abrufbar unter: https://www.bild.de/bild-plus/politik/inland/politik-inland/corona-patienten-mit-migrationshintergrund -rki-chef-es-ist-ein-tabu-75598632,view=conversionToLogin.bild.html. Wieler stellte auf Nachfrage jedoch klar, dass dem RKI keine Informationen über einen etwaigen Migrationshintergrund der Patientinnen und Patienten vorliegen würden, siehe den Bericht von Flade, Florian; Ghassim, Armin u. a., Die Ahnungslosigkeit der Politik, in: tagesschau.de vom 4. März 2021, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/investigativ/panorama/corona-soziale-faktoren- 101.html. Um grundsätzlich eine bessere Information auch der Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund über das Infektionsgeschehen und die Maßnahmen zur Eindämmung zu erreichen , wird in den Bundesländern inzwischen versucht, die wesentlichen Punkte in verschiedenen Sprachen vorzuhalten, allerdings geschieht dies, so wird in den Medien berichtet, bislang noch nicht flächendeckend, nicht in allen relevanten Sprachen und wird auch nicht immer aktualisiert , was angesichts der „Schnelllebigkeit der Informationen“ sicher eine erhebliche Herausforderung sei. Vgl. hierzu auch: Brosel, Judith, Wer sagt’s den Migranten? In: tagesschau.de vom 18. Dezember 2020, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/corona-migranten -fremdsprachen-101.html (u. a. mit dem Hinweis auf fremdsprachliche Angebote in Berlin in acht Sprachen). Laut einem Bericht der Scientific Advisory Group for Emergencies (SAGE) vom 24. November 2020 besteht ein erhöhtes Infektions- und Sterberisiko für Personen, die in Haushalten mit größerer Personenzahl leben. Der Bericht analysiert die Daten aus fünf Bevölkerungsstudien und betrachtet das Ausmaß, in dem die Haushaltszusammensetzung (definiert als die Anzahl der in einem Haushalt lebenden Personen und deren Alter) erklären könnte, wie einige ethnische Minderheitengruppen in Großbritannien unverhältnismäßig stark von COVID-19 betroffen sind. Siehe: SAGE, Housing, household transmission and ethnicity: For SAGE meeting 26th November 2020, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/publications/housing-householdtransmission -and-ethnicity-26-november-2020. In der Basler Zeitung wurde Ende Dezember 2020 von einer Studie berichtet, die gezeigt habe, dass die Treiber der Corona-Pandemie in Basel u. a. Menschen mit engem Wohnraum seien. Dies hänge auch damit zusammen, dass sozio-ökonomisch schwächere Gruppen häufiger in Bereichen arbeiten würden, in denen ihre persönliche Anwesenheit und der direkte Kontakt zu anderen oder auch eine erhöhte Mobilität erforderlich sei. Siehe hierzu den Beitrag: Neue Studie enthüllt: Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 014/21 Seite 8 Die Ärmeren sind die Treiber der Corona-Pandemie in Basel, Basler Zeitung vom 24. Dezember 2020, abrufbar unter: https://www.bazonline.ch/die-sind-die-treiber-der-corona-pandemie-inbasel -155394076581. 4. Leben ohne festen Wohnsitz Anlässlich einer Öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 14. Dezember 2020 zum Thema Wohnungslosigkeit junger Menschen wiesen die Experten darauf hin, dass die Corona-Pandemie die Situation der Wohnungslosen weiter verschärft habe, siehe: https://www.bundestag.de/ausschuesse/a13/Anhoerungen/810710-810710. Die Bundesregierung verwies in einer Antwort vom 10. November 2020, BT-Drs. 19/24216, auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der FDP, BT-Drs. 19/23655, auf den Forschungsbericht der Gesellschaft für Sozialforschung und Sozialplanung (GISS) „Entstehung, Verlauf und Struktur von Wohnungslosigkeit und Strategien ihrer Vermeidung und Behebung“, der zu einer Verbesserung der Forschungslage im Bereich Wohnungslosigkeit führen solle. Die Bundesregierung stellte aber auch klar, dass in Deutschland keine amtlichen Zahlen zu Obdachlosigkeit vorliegen würden und dass sie keine Informationen zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie habe (BT-Drs. 19/24216, S. 3). Die GISS stellt auf ihrer Internetseite ein Monitoring zum Thema Wohnungsnotfallhilfen in Zeiten der Pandemie zur Verfügung. Dies wird laufend aktualisiert und enthält einen Überblick über die Situation auf Bundes- und Länderebene und auf Maßnahmen der Kommunen und freien Träger , siehe: GISS, Wohnungsnotfallhilfen in Zeiten der Pandemie, abrufbar unter: https://www.giss-ev.de/pages/22/covid-19/. Im Dezember 2020 veröffentlichte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Kurzexpertise als Ergänzung zu dem Forschungsbericht der GISS, Forschungsbericht 566, Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Wohnungsnotfallhilfen, abrufbar unter: https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/Forschungsberichte/fb-566-auswirkungen-covid -19-auf-wohnungsnotfallhilfen.html. Am Stichtag 31. Im Mai 2018 seien geschätzt zwischen 313.000 und 337.000 Menschen in Deutschland wohnungslos gewesen. Die größte Gruppe habe aus wohnungslosen Geflüchteten mit Schutzstatus bestanden (S. 9). Berichtet wird u. a. von Kampagnen in einer Reihe von Großstädten, die Unterbringungskapazitäten zu erweitern und Straßenobdachlose in Hotels unterzubringen. Allerdings handele es sich häufig nur um vorübergehende Lösungen (siehe S. 16 ff.). Die Expertise greift auch die Frage von gesundheitlichen Risiken und tatsächlichen Erkrankungen auf (S. 30). Die besondere Vulnerabilität von Wohnungslosen sei häufig thematisiert worden. Aufgrund von Vor- und Mehrfacherkrankungen, wegen der hohen Inzidenz von Infektions- und Erkältungskrankheiten, aber auch von Hauterkrankungen, psychischen Erkrankungen und vorzeitigen Alterungsverläufen sei anzunehmen gewesen, dass sie bei einer Infektion mit dem Virus einem erhöhten Risiko für schwere Krankheitsverläufe ausgesetzt gewesen seien. Mangelnde Hygienemöglichkeiten, zwangsgemeinschaftliche Unterbringung , die das Einhalten von Mindestabständen erschwerten und die gemeinschaftliche Nutzung von sanitären Anlagen und Verpflegungsangeboten vorsahen, gäben Anlass zu der Befürchtung, dass das Infektionsrisiko für wohnungslose Menschen deutlich erhöht sein würde. Allerdings würde bei den Angaben der Gesundheitsämter über Fälle in Einrichtungen mit gemeinschaftlicher Unterbringung nicht klar zwischen der Art der Einrichtung differenziert, so dass für die Gruppe der Wohnungslosen keine exakten Zahlen vorliegen würden. Weder aus der Presse, noch Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 014/21 Seite 9 aus intensiverer Recherche der GISS ergäben sich Belege für eine auffällige Verbreitung des Virus bei wohnungslosen Menschen. Obdachlosenunterkünfte wurden von der Ständigen Impfkommission (STIKO) als Umgebungen mit hohem Anteil vulnerabler Personen und mit hohem Ausbruchspotenzial im Rahmen der Impfpriorisierung berücksichtigt. „Obdachlosigkeit ist mit einem schlechteren Gesundheitszustand und einem erhöhten Risiko für Infektionen assoziiert. Grund dafür sind sowohl die gesundheitsschädlichen Lebensbedingungen auf der Straße als auch ein häufig eingeschränkter Zugang zur medizinischen (Regel-)Versorgung (durch u. a. fehlenden oder unklaren Versicherungsstatus, Scham, Vertrauensdefizite, Diskriminierung, zu große Entfernungen, körperliche oder psychische Beeinträchtigung sowie Sprachbarrieren). Die Lebensbedingungen auf der Straße erschweren zudem das Einhalten der Abstands- und Hygieneregeln und den Zugang zu Informationen. Viele obdachlose Menschen sind sehr mobil, haben einen eingeschränkten Zugang zu Testangeboten und übernachten in Not- oder Gemeinschaftsunterkünften, in denen das Ausbruchspotenzial hoch ist. Aus den USA gibt es zahlreiche Berichte über Ausbrüche in diesen Unterkünften, bei denen sowohl BewohnerInnen als auch Personal mit teilweise sehr hohen Erkrankungsraten (bis 36 Prozent) betroffen waren. All dies macht obdachlose Menschen zu einer für eine COVID-19- Infektion vulnerablen Population, für die Screening, Quarantäne, Isolierung und Behandlung eine Herausforderung darstellen.“ Siehe: Beschluss der STIKO zur 2. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung, Epidemiologisches Bulletin vom 4. Februar 2021, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Epid Bull/Archiv/2021/Ausgaben/05_21.pdf?__blob=publicationFile. Im September 2020 wurde eine Metastudie veröffentlicht, die die Forschung zu somatischen Erkrankungen von Wohnungslosen in Deutschland für die Jahre 2009 bis 2019 untersucht und auswertet . Danach wurden im Vergleich mit repräsentativen Bevölkerungsdaten für Deutschland erhöhte Erkrankungsrisiken beobachtet. In den untersuchten Studien wurden Erkrankungen der Atemwege von 7 bis 24 Prozent der Wohnungslosen angegeben. Siehe: Schindel, Kleyer, Schenk, Somatische Erkrankungen Wohnungsloser in Deutschland – Ein narratives Literaturreview der Jahre 2009–2019, in: Bundesgesundheitsblatt 63, 2020, S. 1189–1202, abrufbar unter: https://doi.org/10.1007/s00103-020-03213-9. In einer Übersichtsarbeit von Kaduszkiewicz, Bochon , van den Bussche, Hansmann-Wiest, van der Leeden, The medical treatment of homeless people, in: Deutsches Ärzteblatt 2017, Jg. 114, Heft 40, S. 673–9, DOI: 10.3238/arztebl.2017.0673, wird die Häufigkeit von Erkrankungen des Atmungssystems mit 6 bis 14 Prozent angegeben. Laut einer Studie von britischen Forschern vom 23. September 2020 zeigen obdachlose Menschen eine hohe Prävalenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen und chronischen Infektionen sowie eine drei- bis sechsmal höhere Gesamtsterblichkeit auf als in der Allgemeinbevölkerung . Kohortenstudien mit Obdachlosen, die vor der Pandemie durchgeführt wurden , hätten eine hohe Anzahl von Todesfällen aufgrund von kardiovaskulären und chronischen Atemwegserkrankungen gezeigt. Während historischer Influenzapandemien seien besonders hohe Hospitalisierungsraten in Obdachlosenpopulationen aufgetreten, was auf eine Anfälligkeit für virale Atemwegsinfektionen hinweise. Die Studie untersucht den Einfluss der Corona-Maßnahmen auf die Sterblichkeitsrate von Obdachlosen. Die beiden wichtigsten Implikationen für die Praxis seien, dass Nachtunterkünfte nicht wieder geöffnet werden sollten, solange es eine anhaltende Übertragung von SARS-CoV-2 in der Gemeinschaft gebe und dass verstärkte Infektionskontrollmaßnahmen in Unterkünften fortgesetzt werden sollten, auch wenn die Inzidenz von COVID-19 in der Allgemeinbevölkerung gering sei. Siehe: Dan Lewer, Isobel Braithwaite, u. a., Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 014/21 Seite 10 COVID-19 among people experiencing homelessness in England: a modelling study, abrufbar unter : https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7511167/. Ein Beitrag von Wissenschaftlern u. a. von der Universität Oxford aus dem Jahr 2014 hat die Epidemiologie und die Risikofaktoren für Morbidität und Mortalität von Obdachlosen untersucht. Danach hätten Obdachlose eine erhöhte Prävalenz für eine Reihe von Infektionskrankheiten. Sie wiesen einen schlechteren körperlichen Gesundheitszustand als die Allgemeinbevölkerung auf. Siehe: Fazel, Geddes, Kushel, The health of homeless people in high-income countries: descriptive epidemiology, health consequences, and clinical and policy recommendations, veröffentlicht am 25. Oktober 2014, abrufbar unter: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(14)61132-6. In Berlin plant die Sozialsenatorin aktuell die Impfung der rund 3000 Obdachlosen in den Notunterkünften mit einem Teil der bisher nicht verwendeten Astrazeneca-Dosen. Geplant ist, Obdachlose über das Impfen unter anderem mit Flyern in mehreren Sprachen und auch in einer möglichst leicht verständlichen Fassung zu informieren. Die Impfung müsse jetzt erfolgen, solange sich viele Obdachlose noch in den Notunterkünften befänden. Mit den steigenden Temperaturen schlafen wohnungslose Menschen wieder häufiger außerhalb der Einrichtungen und Notunterkünfte . Bald schon sei es nicht mehr möglich, in einer konzentrierten Aktion möglichst viele Menschen zu impfen, so Breitenbach, vgl. Zeit-Online vom 24. Februar 2021, Obdachlose sollen ihre Impfung in Notunterkünften erhalten, abrufbar unter: https://www.zeit.de/news/2021-02/24/astrazeneca-impfstoff-senatorin-will-obdachlose-impfen ?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.bing.com%2F; Evangelisch.de, Diakonie für rasche Impfungen von Obdachlosen, 24. Februar 2021, abrufbar unter: https://www.evangelisch.de/inhalte /182993/24-02-2021/diakonie-fuer-rasche-impfungen-von-obdachlosen. Das Charité COVID-19 Projekt für und mit Obdachlosen in Berlin hat das Ziel, obdachlose Menschen in ihrer Gesundheitskompetenz zu stärken und sie vor einer SARS-CoV-2-Infektion zu schützen. Es zeichnet sich durch ein interdisziplinäres Team mit Expertinnen und Experten aus niedrigschwelliger Wohnungslosenhilfe, Medizin, Public Health, Sozialer Arbeit und Kommunikationsdesign aus und wird in enger Zusammenarbeit mit Menschen mit gelebter Erfahrung, dem Robert Koch-Institut und den Notübernachtungen umgesetzt. Das Projekt unterstützt einerseits das Infektionsmanagement durch Antigen-Schnelltests in den Berliner Notübernachtungen der Kältehilfe und entwickelt digitale Formate, um mit und für obdachlose Menschen den Zugang zu allgemeinen Informationen über COVID-19 und zu Testmöglichkeiten zu verbessern. Siehe: Institut für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit, Charité COVID-19 Projekt für und mit obdachlosen Menschen, abrufbar unter: https://tropeninstitut.charite.de/forschung/charite_covid _19_projekt_fuer_und_mit_obdachlosen_menschen/; weitere Infos in: Wohnungslos, Aktuelles aus Theorie und Praxis zur Armut und Wohnungslosigkeit, 4. Quartal 2020, S. 118-121, abrufbar unter: https://tropeninstitut.charite.de/fileadmin/user_upload/microsites/sonstige/tropeninstitut /Artikel_Wohnungslos_-_Charit%C3%A9_COVID-19_Projekt_f%C3%BCr_und_mit_obdachlosen _Menschen.pdf. In Baden-Württemberg stellt der Kommunalverband für Jugend und Soziales auf seiner Internetseite aktuelle Informationen für Wohnungslose bereit, darunter die geltenden Rechtsvorschriften, Aktuelles zum Thema Impfungen, Erläuterungen in leichter Sprache für die Eingliederungshilfe wie auch Informationen zu Corona-Tests, siehe: Corona-Informationen von Dezernat 2, https://www.kvjs.de/soziales/corona-informationen/aktuelle-informationen/#c28785. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 014/21 Seite 11 Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe äußerte im November 2020 mit Blick auf den drohenden Wintereinbruch die Befürchtung, dass sich die Gefährdungslage für Obdachlose verschärfen könnte, insbesondere auf Grund ihres häufig labilen Gesundheitszustandes, siehe: Wohnungslosenhilfe, Obdachlose durch Corona zunehmend bedroht, in: zdf heute vom 13. November 2020, abrufbar unter: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-obdachlose -wohnungslosenhilfe-100.html. Wichtig sei auch, dass mehr finanzielle Unterstützung für Corona-Tests zur Verfügung stehe. Die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe müssten die Kosten für Tests bislang selbst aufbringen, weil sich Bund, Länder und Kommunen nicht in ausreichendem Maße an den Kosten beteiligen würden, vgl. Obdachlose in der Krise: „Corona-Winter wird noch gefährlicher“, in: Ruhr Nachrichten vom 30. Dezember 2020, abrufbar unter: https://www.ruhrnachrichten.de/nachrichten/wohnungslosenhilfe-mehr-notunterkuenfte-fuerobdachlose -noetig-1588137.html. ***