© 2020 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 012/20 Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz – GKV-IPReG Überblick über die geplante Neuregelung der außerklinischen Intensivpflege hinsichtlich des Leistungsortes und der Kostenübernahme bzw. Zuzahlung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Derzeitige Regelung zur Erbringung von außerklinischer Intensivpflege 5 2.2. Geplante Neuregelung des Anspruchs auf außerklinische Intensivpflege 6 3. Regelungen zum Leistungsort der außerklinischen Intensivpflege 7 3.1. Derzeitige Regelungen zum Leistungsort der außerklinische Intensivpflege 7 3.2. Vorgaben im Gesetzentwurf 7 3.3. Änderungen gegenüber dem Referentenentwurf 9 3.4. Einschätzungen zur geplanten Regelung hinsichtlich der Leistungsorte der außerklinischen Intensivpflege 10 4. Regelungen zur Kostenübernahme sowie zur Beteiligung der Versicherten an den Kosten für außerklinische Intensivpflege 13 4.1. Derzeitige Regelungen zur Kostenübernahme sowie zur Zuzahlung durch die Versicherten bei außerklinischer Intensivpflege 14 4.2. Vorgaben im Gesetzentwurf zur Kostenübernahme sowie zur Zuzahlung durch die Versicherten bei außerklinischer Intensivpflege 16 4.3. Änderungen gegenüber dem Referentenentwurf 17 4.4. Einschätzungen zu den geplanten Regelungen zur Kostenübernahme und Zuzahlung bei außerklinischer Intensivpflege 17 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 012/20 Seite 4 1. Einleitung Die Bedeutung der außerklinischen Intensivpflege ist – bedingt durch den medizinischen Fortschritt und das hohe Versorgungsniveau in Deutschland – in den letzten Jahren stark gestiegen. Eine zunehmende Anzahl von Versicherten wird aus der Krankenhausbehandlung trotz eines intensivpflegerischen Versorgungsbedarfs entlassen, weil heute grundsätzlich Möglichkeiten bestehen, diese Patienten auch außerhalb stationärer Einrichtungen und damit unter anderem auch in häuslicher Umgebung zu versorgen. Gleichwohl gibt es offenbar deutliche Hinweise darauf, dass es in vielen Fällen zu einer Fehlversorgung kommt, die insbesondere die ambulante Versorgung von Beatmungspatienten sowie Patienten mit Tracheostoma betrifft.1 Auch werden bislang Potenziale zur Beatmungsentwöhnung sowie zur Dekanülierung offensichtlich nicht ausgeschöpft. Darüber hinaus führten erhebliche Unterschiede bzgl. der Höhe der durch die Versicherten zu leistenden Eigenanteile bei Leistungen der außerklinischen Intensivpflege im ambulanten Bereich einerseits und im stationären Bereich andererseits zu Fehlanreizen in der Leistungsinanspruchnahme.2 Gleichzeitig hätten Versicherte angesichts des Pflegefachkräftemangels zunehmend Schwierigkeiten, einen geeigneten Pflegedienst zur Deckung ihres Versorgungsbedarfs zu finden. Aus diesen Gründen ist es erklärtes Ziel der Bundesregierung, die außerklinische Intensivpflege neu zu regeln. Dies soll im Rahmen des Gesetzes zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung (Intensivpflegeund Rehabilitationsstärkungsgesetz – GKV-IPReG3) erfolgen. Durch das Gesetz sollen sowohl die Rehabilitation im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als auch die bedarfsgerechte Versorgung von Patienten in der außerklinischen Intensivpflege verbessert werden. Dabei müssten die besonderen Bedarfe intensivpflegebedürftiger Versicherter angemessen berücksichtigt und vorhandene Ressourcen sachgerecht eingesetzt werden. Darüber hinaus sollen eine qualitätsgesicherte und wirtschaftliche Versorgung nach aktuellem medizinischem, therapeutischem und pflegerischem Standard gewährleistet und Fehlanreize und Missbrauchsmöglichkeiten beseitigt werden. 1 Vergleiche hierzu BR-Drs. 86/20, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung (Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz - GKV-IPReG), Gesetzentwurf der Bundesregierung, 21. Februar 2020, abrufbar unter http://dip21.bundestag.btg/dip21/brd/2020/0086-20.pdf. 2 Nach Auskunft der Bundesregierung verzeichnete die amtliche Statistik der GKV für das Jahr 2018 insgesamt 19.115 Fälle ambulanter Intensivpflege und weist für den gleichen Zeitraum 3.417 Fälle stationärer Intensivpflege aus. Vergleiche hierzu BT-Drs. 19/14487, Antwort der Bundesregierung vom 24. Oktober 2019 auf die Kleine Anfrage verschiedener Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Außerklinische Intensivpflege, abrufbar unter https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/144/1914487.pdf. 3 BR-Drs. 86/20, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung (Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz - GKV-IPReG), Gesetzentwurf der Bundesregierung, 21. Februar 2020, abrufbar unter http://dip21.bundestag .btg/dip21/brd/2020/0086-20.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 012/20 Seite 5 Ein erster Referentenentwurf zum Intensivpflege- und Rehabilitationsgesetz4 wurde bereits am 13. August 2019 vorgelegt. In der daraufhin am 11. September 2019 durchgeführten Fachanhörung wurde insbesondere die geplante Regelung zum Leistungsort der außerklinischen Intensivpflege von den beteiligten Verbänden und Institutionen kontrovers diskutiert.5 Die Bundesregierung griff einige der vorgebrachten Kritikpunkte auf und legte am 6. Dezember 2019 einen zweiten Referentenentwurf6 vor, der die ursprünglich vorgesehene Regelung zum Leistungsort teilweise „entschärfte“. Die darin vorgesehene Regelung zum Leistungsort der außerklinischen Intensivpflege stand jedoch weiterhin in der Kritik. Der entsprechende Entwurf wurde danach erneut geändert und in der nunmehr vorliegenden Fassung des Gesetzentwurfs am 12. Februar 2020 vom Kabinett beschlossen. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auftragsgemäß auf einige ausgewählte Regelungen zur außerklinischen Intensivpflege. Dabei werden zunächst kurz die derzeit geltende rechtliche Grundlage sowie wesentliche Regelungen, die im Gesetzentwurf zur Neuregelung der außerklinischen Intensivpflege vorgesehen sind, erläutert. Anschließend werden die geplanten Regelungen zum Leistungsort der außerklinischen Intensivpflege sowie zur Kostenübernahme und Zuzahlung durch die Versicherten – auch in Abgrenzung zum ersten Referentenentwurf – ausführlicher dargestellt. Dabei wird auch auf Kritikpunkte zu den entsprechenden Regelungen im Gesetz- bzw. Referentenentwurf eingegangen, auch im Hinblick darauf, ob und inwieweit diese ggfs. bereits aufgegriffen wurden. 2. Anspruch auf die Erbringung von außerklinischer Intensivpflege 2.1. Derzeitige Regelung zur Erbringung von außerklinischer Intensivpflege Leistungen der außerklinischen Intensivpflege werden bisher im Rahmen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V7) erbracht. So erhalten Versicherte neben der ärztlichen Behandlung nach § 37 Abs. 1 SGB V häusliche Krankenpflege in 4 Der Referentenentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Rehabilitation und intensivpflegerischer Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz – RISG) vom 13. August 2019 ist abrufbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin /Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/R/Referentenentwurf_RISG.pdf. 5 Insgesamt liegen zum ersten Referentenentwurf vom 13. August 2019 knapp 90 Stellungnahmen vor. Eine Auflistung der einzelnen Stellungnahmen inklusive einer Verlinkung zum jeweiligen Text ist abrufbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/guv-19-lp/stellungnahmenrefe /risg.html. 6 Eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte abrufbar auf der Seite des Bundesverbandes der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK-Bundesverband) unter https://www.aok-bv.de/hintergrund/gesetze/index _22511.html (zuletzt aufgerufen am 27. März 2020). 7 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477, 2482), zuletzt geändert durch Artikel 1b des Gesetzes vom 4. März 2020 (BGBl. I S. 437). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 012/20 Seite 6 ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort8, wenn eine Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist, oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird. Nach § 37 Abs. 2 SGB V erhalten sie darüber hinaus als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Dieser Anspruch besteht nach § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB V ausnahmsweise auch für Versicherte in zugelassenen Pflegeeinrichtungen im Sinne des § 43 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI9), die auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, einen besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege haben. Die Verortung dieser Leistung im Recht der GKV hat, obgleich die Leistungen durchaus der Pflegeversicherung zugeordnet werden könnten, in erster Linie einen sozialpolitischen Hintergrund.10 So wollte der Gesetzgeber mit der Einführung von § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB V für besondere, eng begrenzte Personengruppen mit besonders hohem Versorgungsbedarf (z. B. Wachkomapatienten, Dauerbeatmete) eine Kostenübernahme für Behandlungspflege durch die Krankenkassen regeln. Begründet wurde dies mit den sehr hohen Kosten im Rahmen der vollstationären Dauerpflegeversorgung (§ 43 SGB XI) für den behandlungspflegerischen Aufwand. Da dieser zuvor nur über die Pflegeversicherung im Rahmen der gedeckelten Leistungsbeträge abgedeckt war, ergaben sich für diese speziellen Leistungen hohe Eigenanteile für die Patienten und Angehörige, die häufig zur Sozialhilfeabhängigkeit führten. Dies sollte durch die Abdeckung der Kosten für die Behandlungspflege über die GKV verhindert werden.11 Versicherte in stationären Einrichtungen i. S. d. § 43a SGB XI12 haben nach § 37 Abs. 2 S. 8 SGB V ebenfalls einen derartigen Anspruch, wenn der Bedarf an Behandlungspflege eine ständige Überwachung und Versorgung durch eine qualifizierte Pflegefachkraft erfordert. 2.2. Geplante Neuregelung des Anspruchs auf außerklinische Intensivpflege Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 21. Februar 2020 sieht vor, einen neuen Leistungsanspruch auf außerklinische Intensivpflege im SGB V zu verankern, und zwar in einem neu eingeführten § 37c SGB. So sollen Versicherte mit außerklinischen, intensivpflegerischen Versorgungsbedarfen die Leistungen der medizinischen Behandlungspflege künftig auf der Grundlage 8 Hierzu zählen nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V insbesondere betreute Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch Werkstätten für behinderte Menschen. 9 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl. I S. 1014, 1015), zuletzt geändert durch Artikel 2a des Gesetzes vom 4. März 2020 (BGBl. I S. 437). 10 Beck online Kommentar zu § 37 SGB V, Rn. 12, abrufbar unter https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata %2Fkomm%2FBeckerKingKoSGBV_6%2FSGB_V%2Fcont%2FBeckerKingKoSGBV%2ESGB_V%- 2Ep37%2EglB%2Ehtm. 11 Vergleiche hierzu BT-Drs. 16/3100, Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), S. 106, Begründung zu § 37 SGB V, abrufbar unter http://dipbt.bundestag .de/doc/btd/16/031/1603100.pdf. 12 Hierunter fallen Einrichtungen i. S. d. § 71 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI und damit stationäre Einrichtungen, in denen die Leistungen zur medizinischen Vorsorge, zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben, zur Teilhabe an Bildung oder zur sozialen Teilhabe, die schulische Ausbildung oder die Erziehung kranker Menschen oder von Menschen mit Behinderungen im Vordergrund des Zweckes der Einrichtung stehen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 012/20 Seite 7 von § 37c SGB V erhalten. Leistungen der häuslichen Krankenpflege werden in diesen Fällen anders als bisher somit nicht mehr nach § 37 SGB V erbracht. Der anspruchsberechtigte Personenkreis nach § 37c SGB V soll dabei – so der Gesetzentwurf – im Wesentlichen der Personenkreis sein, der nach bisherigem Recht aufgrund eines besonders hohen Bedarfs an medizinischer Behandlungspflege auch bei Unterbringung in stationären Pflegeeinrichtungen ausnahmsweise Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Absatz 2 Satz 3 SGB V hatte. Insoweit soll auf die bestehende, bewährte Abgrenzung des Anwendungsbereichs zurückgegriffen werden.13 Gleichwohl wird der anspruchsberechtigte Personenkreis konkret in 37c Abs. 1 SGB V benannt. So sollen nach § 37c Abs. 1 S. 1 SGB V Versicherte mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege einen Anspruch auf außerklinische Intensivpflege haben. Ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege läge nach § 37c Abs. 1 S. 2 SGB V vor, wenn die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft oder ein vergleichbar intensiver Einsatz einer Pflegefachkraft erforderlich ist. Der Anspruch auf außerklinische Intensivpflege würde dabei zum einen die medizinische Behandlungspflege, die zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist, zum anderen eine Beratung durch die Krankenkasse zur Auswahl des geeigneten Leistungsorts umfassen . Leistungen der außerklinischen Intensivpflege sollten ausschließlich von Vertragsärzten, die für die Versorgung der Versicherten mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege besonders qualifiziert sind, verordnet werden dürfen. Auch dürften Leistungen der außerklinischen Intensivpflege zukünftig nur noch von besonders qualifizierten Leistungsanbietern erbracht werden. Inhalt und Umfang der Leistung sollen dabei ebenso wie die Anforderungen an den besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege, die Zusammenarbeit der beteiligten ärztlichen und nichtärztlichen Leistungserbringer, die Qualifikation derselben, die Verordnung der Leistung sowie die besondere Qualifikation der Vertragsärzte, die die Leistung verordnen dürfen, in Richtlinien nach § 92 SGB V vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bestimmt werden. 3. Regelungen zum Leistungsort der außerklinischen Intensivpflege 3.1. Derzeitige Regelungen zum Leistungsort der außerklinische Intensivpflege Wie bereits dargestellt wurde, haben Versicherte derzeit einen Anspruch auf außerklinische Intensivpflege nach § 37 SGB V. Leistungen der häuslichen Krankenpflege werden grundsätzlich in häuslicher Umgebung erbracht; unter bestimmten Voraussetzungen kann jedoch bei der Notwendigkeit außerklinischer Intensivpflege einer Erbringung der Leistung auch in vollstationären Pflegeeinrichtungen erfolgen.14 13 Vergleiche hierzu BR-Drs. 86/20, S. 17. 14 Vergleiche hierzu Gliederungspunkt 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 012/20 Seite 8 3.2. Vorgaben im Gesetzentwurf Die Leistungsorte, an denen Versicherte Leistungen der außerklinischen Intensivpflege erhalten können, werden im geplanten § 37c Abs. 2 Satz 1 SGB V aufgeführt. Hierzu sollen vollstationäre Pflegeeinrichtungen15 (Nr.1), bestimmte Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen16 (Nr. 2) sowie sog. Intensivpflegewohneinheiten i. S. d. § 132j Abs. 5 Nr. 1 SGB V17 zählen. Versicherte sollen außerklinische Intensivpflege darüber hinaus in ihrem Haushalt oder in ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in Schulen, Kindergärten und in Werkstätten für behinderte Menschen (Nr. 4) erhalten können. Wünschen der Versicherten18, die sich auf den Leistungsort richten, sei zu entsprechen, soweit die medizinische und pflegerische Versorgung an diesem Ort tatsächlich und dauerhaft sichergestellt werden könne. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass dabei die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände zu berücksichtigen sind. In diesem Zusammenhang ist nach Ansicht der Bundesregierung wichtig, dass die adäquate medizinische und pflegerische Versorgung kontinuierlich im Pflegealltag gewährleistet werden kann. So könnten Versorgungslücken im intensivpflegerischen Bereich zu schweren, auch lebensbedrohlichen, Konsequenzen für den Versicherten führen.19 Die Feststellung, ob die Voraussetzungen für die Erbringung von außerklinischer Intensivpflege am vom Versicherten gewünschten Leistungsort vorliegen, soll den Krankenkassen obliegen. Diese sollen nach persönlicher Begutachtung des Versicherten am Leistungsort durch den Medizinischen Dienst über den Leistungsanspruch entscheiden. Die Feststellung soll jährlich – bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte ggf. auch zu einem früheren Zeitpunkt – überprüft werden. 15 Hierunter fallen stationäre Pflegeeinrichtungen, die Leistungen nach § 42 SGB XI (Kurzzeitpflege) oder nach § 43 SGB XI (vollstationäre Einrichtungen) erbringen, 16 Hierzu zählen nach § 43a Satz 3 i. V. m. § 71 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI Räumlichkeiten, in denen die Leistungen zur medizinischen Vorsorge, zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben, zur Teilhabe an Bildung oder zur sozialen Teilhabe, die schulische Ausbildung oder die Erziehung kranker Menschen oder von Menschen mit Behinderungen im Vordergrund des Zweckes der Einrichtung stehen. 17 Der Gesetzentwurf zum Intensivpflegestärkungsgesetz sieht neben der Einführung von § 37c SGB V u. a. auch die Einführung von § 132i SGB V vor. Nach § 132i Abs. 5 Nr. 1 SGB V sind Intensivpflegewohneinheiten Wohneinheiten, in denen mindestens zwei Versicherte Leistungen nach § 37c SGB V in Anspruch nehmen. Da § 132j SGB V (Regionale Modellvorhaben zur Durchführung von Grippeschutzimpfungen in Apotheken) bereits in der derzeit gültigen Fassung des SGB V existiert, scheint es sich bei der Bezeichnung des neuen Paragrafen um ein redaktionelles Versehen zu handeln und eigentlich die Einführung von § 132l SGB V (§ 132k SGB V existiert ebenfalls schon in der derzeitigen Fassung des SGB V) geplant gewesen zu sein. In diesem Fall müsste offensichtlich auch der Wortlaut in § 37c SGB V (Bezug auf die entsprechenden Wohneinheiten) geändert werden . 18 Können Versicherte ihre Wünsche nicht mehr selbst äußern, richtet sich die Ermittlung und Berücksichtigung des Willens und der Wünsche des einwilligungsunfähigen Betroffenen nach §§ 1901a, 1901b Bürgerliches Gesetzbuch (BGB, Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2911). Vergleiche hierzu BR-Drs. 86/20, S. 24. 19 Vergleiche hierzu BR-Drs. 86/20, S. 24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 012/20 Seite 9 Wird das erforderliche Einverständnis zum Betreten des Wohnraums des Versicherten durch die oder den Versicherten oder durch eine andere in Bezug auf den Wohnraum berechtigte Person nicht erteilt und ist dadurch die Feststellung zum Vorliegen der Voraussetzungen nicht möglich, sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Leistung an in Intensivpflegewohneinheiten (Nr. 320) oder in häuslicher Umgebung (Nr. 4) versagt und der Versicherte auf Leistungen in vollstationären Pflegeeinrichtungen (Nr. 1) oder Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen (Nr. 2) verwiesen werden kann. Dies gilt sowohl in Bezug auf die erstmalige Feststellung des Leistungsanspruchs als auch auf die vorgesehene jährliche Überprüfung. 3.3. Änderungen gegenüber dem Referentenentwurf Auch der erste Referentenentwurf hatte die Einführung von § 37c SGB V und damit eine Verankerung des Leistungsanspruchs der Patienten auf außerklinische Intensivbetreuung vorgesehen. Anders als im nunmehr vorliegenden Gesetzentwurf sollte die außerklinische Intensivpflege der Patienten jedoch gemäß § 37c Abs. 2 Satz 1 SGB V im Regelfall in vollstationären Pflegeeinrichtungen 21 oder in sog. Intensivpflegewohneinheiten22 erfolgen. Eine Inanspruchnahme dieser Leistung in häuslicher Umgebung sollte hingegen nach § 37c Abs. 2 Satz 2 SGB V nur möglich sein, wenn die Erbringung der Einrichtung in den vorgesehenen Einrichtungen nicht möglich oder nicht zumutbar. Die Erbringung von Leistungen der außerklinischen Intensivpflege in häuslicher Umgebung sollte damit noch im Ausnahmefall möglich sein. Bei der Prüfung, ob die Erbringung der Leistung in vollstationären Pflegeeinrichtungen oder Intensivpflegewohneinheiten zumutbar ist, sollten die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen berücksichtigt werden. Lediglich für Patienten, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sah der Referentenentwurf die außerklinische Intensivpflege in den genannten Pflegeeinrichtungen von vornherein als unzumutbar an. Nicht volljährige Patienten hätten demnach auch nach dem Inkrafttreten der Regelung weiterhin in häuslicher Umgebung außerklinische Intensivbetreuung erhalten. Für alle übrigen Patienten enthielt der Referentenentwurf einen zeitlich begrenzten Bestandsschutz. Danach wäre für eine dreijährige Übergangszeit23 auch für Patienten, die bereits zuvor in häuslicher Umgebung Leistungen der außerklinischen Intensivpflege in Anspruch genommen haben, eine Erbringung der Leistung in den genannten 20 Im Gesetzentwurf wird auf § 37c Abs. 2 Satz 3 und 4 verweisen. Da es sich hierbei um einen Verweis auf zwei der insgesamt vier benannten Leistungsorte handelt, ist anzunehmen, dass tatsächlich auf § 37c Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und 4 verwiesen werden soll. In diesem Fall müsste der Wortlaut des Gesetzentwurfs entsprechend geändert werden. 21 Hierunter sollten nach dem Referentenentwurf vollstationäre Pflegeeinrichtungen, die Leistungen nach § 43 SGB XI erbringen, fallen. 22 Siehe die Anmerkung hierzu oben, Fn 17. 23 Der Referentenentwurf enthielt an dieser Stelle noch kein Datum, sondern sah vor, dass der Bestandsschutz für volljährige Patienten, die bereits zuvor in häuslicher Umgebung außerklinische Intensivbetreuung erhielten, bis zum letzten Tag des 36 Kalendermonats nach dem auf die Verkündung des Gesetzes folgenden Kalendermonats gelten sollte. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 012/20 Seite 10 Einrichtungen unzumutbar gewesen. Für den genannten Zeitraum hätten somit auch diese Versicherten Leistungen der außerklinischen Intensivpflege weiterhin in ihrer häuslichen Umgebung in Anspruch nehmen können. 3.4. Einschätzungen zur geplanten Regelung hinsichtlich der Leistungsorte der außerklinischen Intensivpflege Das Vorhaben der Bundesregierung, mit dem geplanten Gesetz einen konkreten Leistungsanspruch auf außerklinische Intensivpflege im SGB V zu verankern, wird sowohl von Betroffenen als auch von mit der Thematik befassten Institutionen insgesamt positiv gesehen. Die ursprünglich im Referentenentwurf vorgesehene Regelung hinsichtlich des Leistungsortes der außerklinischen Intensivpflege – d. h. die regelhafte Unterbringung der Versicherten in vollstationären Einrichtungen und Intensivpflegewohneinheiten – wurde allerdings sehr unterschiedlich bewertet . Einige begrüßten die vorgesehene regelhafte Erbringung der Leistung außerhalb der häuslichen Umgebung des Versicherten dem Grunde nach. So stand z. B. der Bundesverband der Ersatzkassen (vdek) – insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich bei der außerklinischen Intensivbetreuung um eine sehr anspruchsvolle und personalintensive Versorgungsform handele, bei der es aufgrund des besonderen Krankheitsbildes jederzeit zu unvorhergesehenen lebensbedrohlichen Veränderungen kommen könne – der geplanten Regelung positiv gegenüber.24 Auch die Bundesärztekammer (BÄK) begrüßte die regelhafte Unterbringung in Pflegeeinrichtungen bzw. Intensivpflegewohneinheiten grundsätzlich, forderte jedoch Ausnahmen für ausgewählte Patientengruppen, um ein selbstbestimmtes Leben in der häuslichen Umgebung zu ermöglichen .25 Insgesamt wurde die geplante Neuregelung der außerklinischen Intensivpflege im Hinblick auf die zunächst vorgesehene regelhafte Unterbringung der Versicherten in vollstationären Pflegeeinheiten bzw. Intensivpflegewohneinheiten – nicht nur von den Betroffenen, sondern auch von einer Vielzahl von Verbänden und Organisationen – jedoch überwiegend kritisiert. So wurde die geplante Regelung zu den Leistungsorten der außerklinischen Intensivpflege als „Zwangseinweisung “ angesehen und als Verletzung der Rechte der Versicherten bewertet. In diesem Zusammenhang wurde auf verfassungsrechtliche Vorgaben, aber auch auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention – UN-BRK26) und verschiedene Vorschriften im Sozialgesetzbuch verwiesen. 24 Vergleiche hierzu die Stellungnahme des vdek vom 6. September 2019 zum Referentenentwurf. 25 Vergleiche hierzu die Stellungnahme der BÄK vom 6. September 2019 zum Referentenentwurf. 26 Die amtliche, gemeinsame Übersetzung der UN-BRK von Deutschland, Österreich, Schweiz und Liechtenstein ist abrufbar unter https://www.behindertenbeauftragte.de/SharedDocs/Publikationen/UN_Konvention _deutsch.pdf?__blob=publicationFile&v=2 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 012/20 Seite 11 Im Hinblick auf die im Grundgesetz (GG27)verankerten Grundrechte wurde hierbei insbesondere das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 2 GG sowie das Benachteiligungsverbot behinderter Menschen nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG herangezogen.28 Angeführt wurde darüber hinaus das Recht auf freie Wahl des Wohnortes nach Art. 11 GG sowie das Recht auf Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG29. In der geplanten Regelung zum Leistungsort der außerklinischen Intensivbetreuung im Referentenentwurf wurde außerdem eine Verletzung verschiedener Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention gesehen. Verwiesen wurde dabei vor allem auf Art. 1930 UN-BRK, wonach auch Menschen mit Behinderungen ein Aufenthaltsbestimmungsrecht und somit gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden , mit wem und in welchen Wohnformen sie leben. Auch wurde auf die Verpflichtung der Länder nach Art. 4 Abs. 1 Buchstabe a UN-BRK hingewiesen, alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der durch die Konvention anerkannten Rechte zu treffen, um die in der UN-BRK für Menschen mit Behinderungen konkretisierten Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu gewährleisten.31 Darüber hinaus wurde die Verletzung verschiedener Regelungen im Sozialgesetzbuch kritisiert. Angeführt wurden in diesem Zusammenhang neben § 2a SGB V, wonach den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen ist, aber auch die Bestimmungen der §§ 1 und 43 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX32)33. Auch das Wunsch- und Wahlrecht der Versicherten nach § 8 SGB IX sowie nach § 33 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I34) sei durch die geplante Regelung verletzt. Angemerkt wurde darüber hinaus, dass 27 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100- 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1546). 28 So z. B. der Sozialverband Deutschland (SoVD), der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e.V. (VDAB), die Deutsche Stiftung Patientenschutz sowie der Verein helfende Hände e.V. in ihren jeweiligen Stellungnahmen zum Referentenentwurf. 29 So z. B. die Deutsche Stiftung Patientenschutz sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. (BAG SELBSTHILFE) in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf. 30 So z. B. die Deutsche Stiftung Patientenschutz, der SoVD, das Deutsche Institut für Menschenrechte, die Fachverbände für Menschen mit Behinderungen, der VdK und verschiedene Vereine in ihren jeweiligen Stellungnahmen zum Referentenentwurf. 31 So z. B. das Deutsche Institut für Menschenrechte in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf. 32 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234), zuletzt geändert durch Artikel 8 des Gesetzes vom 14. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2789). 33 So z. B. der VdK, die Fachverbände für Menschen mit Behinderungen sowie der Verein Helfende Hände e.V. in ihren jeweiligen Stellungnahmen zum Referentenentwurf. 34 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015), zuletzt geändert durch Artikel 28 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2652). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 012/20 Seite 12 die vorgesehene Zumutbarkeitsprüfung systematisch nicht in das SGB V passe. So sei diese ein zu starkes Regulierungsmittel für die Krankenkassen und es bestehe die Befürchtung, dass die Entscheidung über den Leistungsort aufgrund finanzieller Gesichtspunkte erfolge35. Die Bundesregierung hat bei der Konzeption des nunmehr vorliegenden Gesetzentwurfs ganz offensichtlich die Kritik gegenüber der geplanten regelhaften Unterbringung von Patienten aufgegriffen und die geplanten Regelungen zum Leistungsort der außerklinischen Intensivpflege deutlich geändert. Die häusliche Umgebung ist nunmehr neben den vollstationären Pflegeeinrichtungen und Intensivpflegewohneinheiten ein regulärer Leistungsort nach § 37c Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB V. Auch enthält § 37c SGB jetzt ausdrücklich die Vorgabe, dass bei der Wahl des Leistungsortes die Wünsche des Betroffenen zu berücksichtigen sind. Dies gilt jedoch nur, sofern die medizinische und pflegerische Versorgung an diesem Ort tatsächlich und dauerhaft sichergestellt werden kann. Für die entsprechende Prüfung, ist der Medizinische Dienst (MD) im Auftrag der Krankenkassen zuständig; die Entscheidung liegt bei der jeweiligen Krankenkasse. Die Leistungsorte, an denen außerklinische Intensivpflege erbracht wird, können dem Schutzbereich von Artikel 13 Absatz 1 Grundgesetz unterfallen (Unverletzlichkeit der Wohnung), daher ist für das Betreten durch den MD grundsätzlich eine Einwilligung des Schutzrechtsinhabers erforderlich. Anderenfalls kann die Erbringung der Leistung in häuslicher Umgebung versagt und der Versicherte auf vollstationäre Pflegeeinrichtungen bzw. Intensivpflegewohneinheiten verwiesen werden. Die Bundesregierung verweist in der Begründung zum Gesetzentwurf36 auf die Notwendigkeit einer persönlichen Begutachtung aufgrund der komplexen Bedarfe intensivpflegebedürftiger Versicherter. Eine Entscheidung nach Aktenlage sei ausgeschlossen. Die regelmäßige Prüfung diene dabei der Gewährleistung, dass die erforderliche medizinische und pflegerische Versorgung am jeweiligen Leistungsort tatsächlich und dauerhaft bzw. durch geeignete Nachbesserungen in angemessener Zeit sichergestellt werden könne. Sei eine Feststellung durch den MD, ob die medizinische und pflegerische Versorgung am Leistungsort sichergestellt ist, durch die fehlende Einwilligung des Versicherten nicht möglich, bestehe die Gefahr einer nicht ausreichenden medizinischen Versorgung. Daher sei es in diesen Fällen angezeigt, die Versicherten auf einen Leistungsort zu verweisen, an dem nach den sonstigen Vorschriften zur Qualitätssicherung und des Heimrechts ein Mindestmaß an Güte der medizinischen und pflegerischen Versorgung vorausgesetzt werden könne. Die Regelungen des SGB I zu den Grenzen der Mitwirkung der Versicherten sowie zu den Folgen fehlender Mitwirkung (§§ 65, 66 und 67 SGB I) blieben gemäß § 37c Abs. 2 Satz 8 SGB V unberührt. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, ist der Ansicht, dass Verbände und Menschen mit Behinderungen angesichts der Neuregelung – zumindest angesichts des Wortlauts der geplanten Vorschrift – keine Verschlechterung mehr befürchten müssten. Es bleibe jedoch abzuwarten, wie die Entscheidung über den 35 So z. B. der VdK in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf. 36 Vergleiche hierzu BR-Drs. 86/20, S. 24f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 012/20 Seite 13 Leistungsort durch die Krankenkassen in der Praxis erfolge.37 Gegenüber dem Evangelischen Pressedienst konkretisierte er diesen Punkt. So sei es nach wie vor nicht ausgeschlossen, dass ein Beatmungspatient gegen seinen Willen seine Wohnung verlassen müsse und dass in diesem Fall nicht er, sondern die Krankenkasse über seinen Wohnort entscheiden würde.38 Kritisch äußern sich auch der Deutsche Behindertenrat und der Behindertenverband Berlin: Zwar stelle der Gesetzentwurf gegenüber dem bisherigen Referentenentwurf eine Verbesserung dar, es seien aber weitere Klarstellungen und Nachbesserungen erforderlich. Insbesondere müsse gesichert sein, dass bei den Prüfungen der häuslichen Versorgung durch den medizinischen Dienst das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen auch tatsächlich respektiert und damit das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gewahrt würde39. Der Deutsche Behindertenrat wie auch der Behindertenverband Berlin befürchteten, dass Patienten mit hohem Bedarf an medizinsicher Behandlungspflege gefährdet würden und dass befürchtet werden müsse, dass sich die Krankenkassen im Zweifel für eine stationäre Pflege entscheiden würden, auch wenn dies dem Willen der Betroffenen entgegenstehe40. Entsprechende Befürchtungen äußerte der Präsident der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz. Er erläuterte, „dass der Anspruch auf eine intensivpflegerische Versorgung in der eigenen Wohnung auch in der neuen Version des Referentenentwurfes von Krankenkassenentscheidungen abhängig sei.“41 37 Interview mit dem Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, Behindertenbeauftragter zur Intensivpflege: „Es geht um fundamentale Grundrechte“, in: Deutsche Welle, 11. Februar 2020, abrufbar unter https://www.dw.com/de/behindertenbeauftragter-zur-intensivpflege-es-geht-um-fundamentale-grundrechte/a- 52331160 (zuletzt aufgerufen am 27. März 2020). 38 Behindertenbeauftragter hat weiterhin Kritik am Intensivpflege-Gesetz, epd-Gespräch, 12. Februar 2020, abrufbar unter https://www.evangelisch.de/inhalte/165846/12-02-2020/behindertenbeauftragter-hat-weiterhin-kritikam -intensivpflege-gesetz. 39 IPReG: Kritik aus der Koalition, in: EU-Schwerbehinderung, 25. Februar 2020, https://eu-schwerbehinderung .eu/index.php/politik/2462-ipreg-kritik-aus-der-koalition 40 Entsprechend werden der Deutsche Behindertenrat und der Behindertenverband Berlin im Online-Nachrichtenmagazin EU-Schwerbehinderung zitiert, IPReG: Kritik aus der Koalition, 25. Februar 2020, https://eu-schwerbehinderung .eu/index.php/politik/2462-ipreg-kritik-aus-der-koalition. 41 Vergleiche hierzu: Trotz Veränderungen weiter Kritik am geplanten Intensivpflegegesetz, in: ärzteblatt.de vom 6. Februar 2020, https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/109206/Trotz-Veraenderungen-weiter-Kritik-am-geplanten -Intensivpflegegesetz. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 012/20 Seite 14 4. Regelungen zur Kostenübernahme sowie zur Beteiligung der Versicherten an den Kosten für außerklinische Intensivpflege 4.1. Derzeitige Regelungen zur Kostenübernahme sowie zur Zuzahlung durch die Versicherten bei außerklinischer Intensivpflege Wie bereits dargestellt wurde42, werden Leistungen der außerklinischen Intensivpflege derzeit im Rahmen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V erbracht. Für die Inanspruchnahme von Leistungen sind vom Versicherten – wie bei der Inanspruchnahme anderer Leistungen – Zuzahlungen zu leisten. Die Zuzahlungsregelungen für Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege ergeben sich aus § 37 Abs. 5 SGB V. Danach leisten Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 3 ergebenden Betrag, begrenzt auf die ersten 28 Kalendertage der Leistungsinanspruchnahme je Kalenderjahr anfallenden Kosten an die Krankenkasse. Somit müssen Versicherte, die Leistungen der außerklinischen Intensivpflege in Anspruch nehmen, Zuzahlungen in Höhe von zehn Prozent der Kosten plus zehn Euro je Verordnung leisten. Zuzahlungen sind jedoch grundsätzlich nur bis zum Erreichen der sog. Belastungsgrenze nach § 62 SGB V zu leisten.43 Da sich der Anspruch auf außerklinische Intensivpflege aus § 37 SGB V ergibt, gelten die derzeitigen Zuzahlungsregelungen unabhängig vom Leistungsort. Somit müssen sowohl Versicherte, die Leistungen der außerklinischen Intensivbetreuung in häuslicher Umgebung erhalten, als auch Versicherte, die in einer vollstationären Pflegeeinrichtung entsprechende Leistungen in Anspruch nehmen, Zuzahlungen in derselben Höhe entrichten. Für Versicherte, die außerklinische Intensivpflege in vollstationären Pflegeeinrichtungen in Anspruch nehmen, fallen jedoch darüber hinaus weitere Kosten für die Erbringung von Pflegeleistungen und die Unterbringung in den entsprechenden Einrichtungen an. Zwar haben Pflegebedürftige beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen einen Anspruch auf Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung (SPV), allerdings reicht dieser in der Regel nicht zur Deckung der Kosten aus. So richten sich Art und Umfang der Leistungen aus der 42 Vergleiche hierzu Gliederungspunkt 2. 43 Die Belastungsgrenze beträgt nach § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V grundsätzlich zwei Prozent der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt; für chronisch Kranke in Dauerbehandlung liegt die Belastungsgrenze abweichend davon grundsätzlich lediglich bei einem Prozent. Bei der Ermittlung der Belastungsgrenzen werden nach Maßgabe von § 62 Abs. 2 SGB V die Einkommen der Haushaltsmitglieder zusammengerechnet. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 012/20 Seite 15 SPV zum einen nach der Schwere der Pflegebedürftigkeit und zum anderen danach, ob häusliche , teil- oder vollstationäre Pflege in Anspruch genommen wird.44 Die Einstufung der Pflegebedürftigkeit erfolgt gemäß § 15 SGB XI mit Hilfe eines Punktesystems in die Pflegegrade 1 bis 545, Je höher der festgestellte Pflegegrad ist, umso höher ist der Betrag, der für die Inanspruchnahme bestimmter Pflegeleistungen gewährt oder als Pflegegeld an den Pflegebedürftigen ausgezahlt wird. Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 haben nach § 43 Abs. 1 SGB XI Anspruch auf vollstationäre Pflege. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 SGB XI werden Pflegebedürftige bei vollstationärer Pflege von Aufwendungen entlastet, die für ihre Versorgung nach Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit erforderlich sind (pflegebedingte Aufwendungen); die Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung sowie einen Anteil für Investitionskosten tragen die Pflegebedürftigen hingegen selbst. Der Leistungsanspruch für Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen wird in § 43 Abs. 2 SGB XI konkretisiert. Danach übernimmt die Pflegekasse die pflegebedingten Aufwendungen einschließlich der Aufwendungen für Betreuung und die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege. Der Anspruch ist jedoch auf bestimmte pauschale Höchstbeträge beschränkt, deren Höhe sich nach dem jeweiligen Pflegegrad richtet. So werden 770 Euro für Pflegebedürftige des Pflegegrades 2, 1.262 Euro für Pflegebedürftige des Pflegegrades 3, 1.775 Euro für Pflegebedürftige des Pflegegrades 4 bzw. 2.005 Euro für Pflegebedürftige des Pflegegrades 5 für pflegebedingte Aufwendungen in vollstationären Einrichtungen von der Pflegekasse übernommen. Soweit der gewährte Leistungsbetrag die grundsätzlich erstattungsfähigen Aufwendungen übersteigt , übernimmt die Pflegekasse auch Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB XI). Übersteigen die Kosten für die pflegebedingten Aufwendungen den von der Pflegekasse gewährten Leistungsbetrag, haben der Pflegebedürftige oder dessen Familienangehörige den verbleibenden Anteil selbst zu tragen. Die Kosten für vollstationäre Pflegeleistungen, die Betreuung der Pflegebedürftigen sowie für die medizinische Behandlungspflege werden im Rahmen der sog. Pflegesätze abgerechnet (§ 84 SGB XI). Dabei gilt nach § 85 SGB XI ein einheitliches Verfahren zur Festlegung der Pflegesätze zwischen dem Träger des Pflegeheims und den Leistungsträgern. Die Festlegung der Pflegesätze erfolgt für jedes Pflegeheim individuell. Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung werden vom jeweiligen Träger der Einrichtung festgelegt. Die tatsächlichen Kosten für einen Platz im Pflegeheim variieren somit je nach Anbieter. Es gibt teils erhebliche Unterschiede im Preisniveau zwischen den einzelnen Pflegeheimen, aber auch zwischen den verschiedenen 44 Da Leistungen der außerklinischen Intensivpflege in bestimmten Fällen nicht nur in der häuslichen Umgebung, sondern auch in vollstationären Einrichtungen erbracht werden, wird nachfolgend nur auf die Leistungen der SPV für die vollstationäre Pflege eingegangen. 45 Die Leistungen der SPV werden grundsätzlich für Pflegebedürftige mit den Pflegegraden 2 bis 5 gewährt. Pflegebedürftige mit dem Pflegegrad 1 haben zwar auch Anspruch auf bestimmte Leistungen der Pflegeversicherung; diese dienen jedoch hauptsächlich der Erhaltung und Wiederherstellung der Selbstständigkeit und der Vermeidung schwererer Pflegebedürftigkeit. Hierzu zählen unter anderem ein Anspruch auf Pflegeberatung und die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, aber auch Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen oder gemeinsamen Wohnumfeldes sowie Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 012/20 Seite 16 Bundesländern. Unabhängig davon liegen die tatsächlichen Kosten für die Unterbringung in stationären Pflegeeinrichtungen im Durchschnitt bundesweit deutlich über den Leistungsbeträgen aus der Pflegeversicherung.46 Versicherte, die außerklinische Intensivpflege in vollstationären Pflegeeinrichtungen in Anspruch nehmen, tragen somit neben den Zuzahlungen, die sie nach § 37 Abs. 5 SGB V zu leisten haben, mit dem verbleibenden Eigenanteil einen nicht unerheblichen Teil der Kosten für die Pflege in diesen Einrichtungen. Die finanzielle Belastung von Patienten, die außerklinische Intensivpflege in vollstationären Einrichtungen in Anspruch nehmen, ist somit deutlich höher als bei Versicherten, für die entsprechende Leistungen in ihrer häuslichen Umgebung erbracht werden. Sind die Pflegebedürftigen bzw. ihre Angehörigen zur Zahlung des Eigenanteils finanziell nicht in der Lage, sind sie auf Sozialhilfeleistungen angewiesen. Die hohen Eigenanteile können ausschlaggebend für die Wahl der Pflegeortes sein. So kann es sein, dass die häusliche Pflege der vollstationären Pflege aus finanziellen Aspekten vorgezogen wird bzw. vorgezogen werden muss. 4.2. Vorgaben im Gesetzentwurf zur Kostenübernahme sowie zur Zuzahlung durch die Versicherten bei außerklinischer Intensivpflege Der Gesetzentwurf zur Einführung eines Anspruchs auf außerklinische Intensivpflege enthält auch Regelungen zum Umfang des Leistungsanspruchs bei Erbringung der Leistung in vollstationären Pflegeeinrichtungen sowie zu den – bei allen Leistungsorten – von den Versicherten zu leistenden Zuzahlungen. So umfasst der Anspruch nach § 37c Abs. 3 SGB V bei der Erbringung außerklinischer Intensivpflege in vollstationären Pflegeeinrichtungen die pflegebedingten Aufwendungen einschließlich der Aufwendungen für die Betreuung und die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege in der Einrichtung; der Leistungsbetrag nach § 43 SGB IX wird hierauf angerechnet. Der Anspruch nach § 37c Abs. 3 SGB V umfasst darüber hinaus die betriebsnotwendigen Investitionskosten sowie die Entgelte für Unterkunft und Verpflegung nach § 87 SGB XI. Nach § 37c Abs. 3 Satz 2 SGB V können die Krankenkassen in ihrer Satzung bestimmen, dass diese Leistungen weitergewährt werden, wenn der Anspruch auf außerklinische Intensivpflege aufgrund einer Besserung des Gesundheitszustandes des Versicherten entfällt. Dadurch soll verhindert werden, dass auf die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung des Gesundheitszustandes aufgrund finanzieller Gründe verzichtet wird. Für die Inanspruchnahme von Leistungen der außerklinischen Intensivpflege sieht der Gesetzentwurf – so wie in der GKV grundsätzlich und auch in diesem Leistungsbereich bisher üblich – Zuzahlungen durch den Patienten vor. Die entsprechende Regelungen sollen in § 37c Abs. 4 SGB V verankert werden. Danach müssten Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und außerklinische Intensivpflege in Anspruch nehmen, hierfür eine Zuzahlung in Höhe des sich nach § 61 Satz 2 SGB V ergebenden Betrags an die Krankenkasse leisten. Der tägliche Zuzahlungsbetrag liegt somit wie bei der Inanspruchnahme stationärer Leistungen bei 46 So lag der Eigenanteil im Bundesdurchschnitt bei 1.940 Euro pro Monat. Während der von den Pflegebedürftigen zu tragende Eigenanteil im Januar 2020 in Sachsen-Anhalt durchschnittlich 1.359 Euro betrug, lag der Durchschnittswert des Eigenanteils in Nordrhein-Westfalen im Gegensatz dazu bei 2.357 Euro und damit fast 1.000 Euro über diesem Wert. Eine aktuelle Übersicht des vdek „Finanzielle Belastung Pflegebedürftiger in der stationären Pflege nach Bundesländern“ lässt sich abrufen unter https://www.vdek.com/presse/daten/f_pflegeversicherung .html (zuletzt aufgerufen am 20. März 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 012/20 Seite 17 zehn Euro. Die Pflicht zur Zuzahlung soll dabei nach § 37c Abs. 4 Satz 1 SGB V auf die ersten 28 Kalendertage der Leistungsinanspruchnahme je Kalenderjahr begrenzt werden. Für volljährige Versicherte, die außerklinische Intensivpflege an einem Ort in häuslicher Umgebung erhalten (Leistungsort i. S. d. § 37c Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB V), soll sich der Zuzahlungsbetrag abweichend davon nach § 61 Satz 3 SGB V ergeben. Der tägliche Zuzahlungsbetrag liegt für diese Versicherten somit bei 10 Prozent der anfallenden Kosten zuzüglich zehn Euro je Verordnung und damit deutlich über dem Zuzahlungsbetrag, der sich für Versicherte, die außerklinische Intensivpflege in vollstationären Pflegeeinrichtungen in Anspruch nehmen, ergibt. Auch gibt es keine Beschränkung der Zuzahlung auf 28 Kalendertage im Kalenderjahr. Unabhängig vom Leistungsort gilt jedoch für alle zuzahlungspflichtigen, d. h. volljährigen Versicherten eine Begrenzung der zu leistenden Zuzahlung auf die sog. Belastungsgrenze nach § 62 SGB V. 4.3. Änderungen gegenüber dem Referentenentwurf Im Gegensatz zum Gesetzentwurf sah der Referentenentwurf keine grundsätzliche Übernahme der Kosten für Unterkunft und Pflege vor. Vielmehr enthielt § 37c Abs. 3 SGB V lediglich die Vorgabe, dass die jeweilige Krankenkasse eine vollständige oder teilweise Kostenübernahme für diese Leistungen in ihrer Satzung vorsehen könne. Die nunmehr geplante Regelung, nach der die Krankenkasse neben den Behandlungskosten generell auch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie die Investitionskosten übernehmen würde, geht somit deutlich über den ursprünglich geplanten Leistungsumfang hinaus. 4.4. Einschätzungen zu den geplanten Regelungen zur Kostenübernahme und Zuzahlung bei außerklinischer Intensivpflege Durch die Neuregelung der Kostenübernahme bei Versicherten, die außerklinische Intensivpflege in vollstationären Einrichtungen in Anspruch nehmen, sollen die bisher bestehenden Unterschiede hinsichtlich der finanziellen Belastung von Versicherten in Abhängigkeit vom gewählten Leistungsort47 sowie finanzielle Anreize, Leistungen der außerklinischen Intensivpflege in häuslicher Umgebung statt in vollstationären Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, beseitigt werden. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels im Pflegebereich. So solle die stationäre Versorgung, die grundsätzlich einen effizienten Einsatz des vorhandenen Pflegepersonals ermöglicht, gestärkt werden. Auch soll die Versorgung in einer vollstationären Pflegeeinrichtung , die Leistungen nach § 43 SGB XI erbringt, für die Versicherten nicht mit finanziellen Belastungen verbunden sein, die erheblich höher sind als in der ambulanten Versorgung. Es ist daher vorgesehen, dass die aufgrund des Teilleistungscharakters der Pflegeversicherung zu zahlenden Eigenanteile der Versicherten in stationärer Pflegeeinrichtungen durch punktuelle Erweiterungen des GKV-Leistungsanspruchs ausgeglichen werden. Durch die Möglichkeit, im Rahmen von Satzungsleistungen die Kosten auch bei einer Besserung des Gesundheitszustandes weiter zu gewähren, sollen Krankenkassen dadurch entstehenden finanziellen Fehlanreizen begegnen können. Ohne diese Regelung sei die Besserung des Gesundheitszustandes mit beträchtlichen wirtschaftlichen Nachteilen für den Versicherten bzw. dessen Angehörigen 47 Vergleiche hierzu Gliederungspunkt 4.1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 012/20 Seite 18 verbunden.48 Bei einem Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen auf außerklinische Intensivpflege in vollstationären Einrichtungen bliebe dem Versicherten lediglich der Anspruch auf Leistungen bei vollstationärer Pflege aus der SPV, die zu einer finanziellen Belastung der Versicherten durch zum Teil erhebliche Eigenanteile verbunden sind.49 Die Verbesserung der finanziellen Situation für stationär Versorgte aufgrund der deutlichen Absenkung der Eigenanteile und die damit verbundene Abschaffung einer bisher bestehenden Ungleichbehandlung zwischen ambulant und stationär versorgten Menschen wird insgesamt begrüßt. 50 Dadurch entfalle einer der wesentlichen Entscheidungsgründe für die Wahl eines „ambulanten Versorgungssettings“.51 Allerdings stößt die geplante grundsätzlich Übernahme der Kosten für Unterkunft und Verpflegung durch die Krankenkassen für Patienten, die in vollstationären Einrichtungen außerklinische Intensivpflege erhalten, teilweise auf Kritik. Begründet wird dies mit der entstehenden Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen schwerstpflegebedürftigen Versicherten in diesen Einrichtungen , die keinen Anspruch auf außerklinische Intensivpflege haben. So müssten sie nach Maßgabe von § 37c Abs. 3 SGB V – anders als bei Pflegebedürftigen, die lediglich einen Leistungsanspruch aus der SPV hätten – weder die Kosten für Unterkunft und Verpflegung noch die sonst ebenfalls von den Pflegebedürftigen zu zahlenden Investitionskosten selbst tragen. Diese deutliche finanzielle Besserstellung der vollstationär gepflegten Pflegebedürftigen mit Anspruch auf außerklinische Intensivpflege wird teilweise kritisiert und es wird gefordert, dass die Kostenübernahme für die stationäre Pflege nach dem SGB XI unverändert durch die Pflegeversicherung vorgenommen werden soll.52 Da bereits nach der derzeit gültigen Rechtslage eine Zuzahlung für die Inanspruchnahme von außerklinischer Intensivpflege in der häuslichen Umgebung i. H. v. zehn Prozent der Kosten plus zehn Euro je Verordnung zu zahlen sind53, käme es beim Inkrafttreten des Intensivpflegestärkungsgesetzes in seiner derzeitigen Form offensichtlich zu keiner Verschlechterung der finanziellen Situation dieser Versicherten. Vielmehr würden diese durch die Verabschiedung des Gesetzes im Vergleich zur aktuellen Situation finanziell deutlich besser gestellt werden; dies war 48 BR-Drs. 86/20, S. 22 und 26. 49 Vergleiche hierzu Gliederungspunkt 4.1. 50 So z.B. die BÄK, der GKV-SV sowie der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen bvkm in ihren jeweiligen Stellungnahmen zum Referentenentwurf. 51 So z. B. der AOK-Bundesverband in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf. 52 So z. B. die Position der BARMER im Hinblick auf den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung. Vergleiche hierzu https://www.barmer.de/politik/position/aktuelle-gesetzgebung/intensivpflege-und-rehabilitationsstaerkungsgesetz -199406 (zuletzt aufgerufen am 20. März 2020). Diese Auffassung vertrat auch der vdek in seiner Stellungnahme auf den Referentenentwurf, der eine freiwillige Kostenübernahmemöglichkeit für diese Kosten im Rahmen von Satzungsleistungen vorsah. Da der Gesetzentwurf nunmehr die grundsätzliche Übernahme dieser Kosten durch die Krankenkassen vorsieht, hat dieses Argument jedoch ganz offensichtlich weiterhin Gültigkeit. 53 Vergleiche hierzu Gliederungspunkt 4.1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 012/20 Seite 19 erklärtes Ziel der geplanten Neuregelung. Gleichwohl käme es durch die Neuregelung durchaus zu einer unterschiedlichen Behandlung von Versicherten, die außerklinische Intensivbetreuung in häuslicher Umgebung erhalten im Vergleich zu den nicht in häuslicher Umgebung betreuten Versicherten. Dies gilt zumindest insoweit, als die Belastungsgrenze nicht bereits durch die Inanspruchnahme anderer Leistungen bzw. Verordnungen erreicht ist. Sollten z. B. schon die zu leistenden Zuzahlungen für verordnete Arzneimittel54 die Belastungsgrenze übersteigen, wäre es im Hinblick auf die Zuzahlungen für die außerklinische Intensivpflege irrelevant, ob diese in vollstationären Einrichtungen oder in häuslicher Umgebung erbracht werden. Teilweise wurde jedoch gefordert, dass die Zuzahlungsregelungen für die Inanspruchnahme außerklinischer Intensivpflege in häuslicher Umgebung auch für die Leistungserbringung in Intensivpflegewohneinheiten gelten sollten, da diese rechtlich keine stationäre Versorgung darstelle.55 *** 54 Die Zuzahlungspflicht für verordnete Arzneimittel ergibt sich aus § 31 Abs. 3 i. V. m. § 61 Satz 1 SGB V. 55 So z. B. der GKV-SV oder der AOK-Bundesverband.