© 2019 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 012/19 Studien zu psychischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen Zu den Ergebnissen und zur Methodik Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 012/19 Seite 2 Studien zu psychischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen Zu den Ergebnissen und zur Methodik Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 012/19 Abschluss der Arbeit: 14. März 2019 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 012/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zusammenfassende Übersichtsarbeiten 5 3. Einzelne internationale Studien 7 4. Beiträge zur Methodik diverser Studien 14 5. Weitere Publikationen 16 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 012/19 Seite 4 1. Einleitung Die rechtlichen Regelungen zu einem Schwangerschaftsabbruch sind weltweit sehr unterschiedlich und reichen von grundsätzlicher Entscheidungsfreiheit der Schwangeren bis hin zu völligen Verboten. In vielen Ländern kommen Fristenregelungen zur Anwendung.1 In Deutschland steht ein Schwangerschaftsabbruch nach § 218 StGB2 grundsätzlich unter Strafe. Das Strafgesetzbuch sieht jedoch gemäß § 218a StGB unter bestimmten Voraussetzungen die Straffreiheit eines Schwangerschaftsabbruchs vor – nämlich dann, wenn eine Schwangere, die den Abbruch der Schwangerschaft verlangt, der Ärztin oder dem Arzt durch eine Bescheinigung nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, wenn der Schwangerschaftsabbruch von einer Ärztin oder einem Arzt vorgenommen wird und wenn seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind (sogenannte „Beratungsregelung“). Ferner ist ein Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer medizinisch-sozialen oder einer kriminologischen Indikation nicht rechtswidrig. Derzeit wird die Notwendigkeit einer vom Bundesgesundheitsministerium geplanten Studie zu psychischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen kontrovers diskutiert. Eine aktuelle, auf Deutschland bezogene Studie zu dieser Thematik existiert – soweit ersichtlich – nicht.3 International liegen allerdings zahlreiche Studien vor, deren Vergleich untereinander aber schon aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Regelungen zu einem Abbruch und der unterschiedlichen gesellschaftlichen Akzeptanz erschwert sein dürfte. Ein Schwangerschaftsabbruch ist zudem vor der individuellen Lebenssituation sowie dem sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Hintergrund der betroffenen Frau zu sehen.4 In der vorliegenden Dokumentation werden zusammenfassende Übersichtsarbeiten genannt, eine Auswahl internationaler Studien sowie weitere – auch deutsche – Publikationen der letzten zehn Jahre vorgestellt. Zu den psychischen Folgen eines Abbruchs zeigen die Studien und Beiträge eine hohe Diskrepanz in ihren Ergebnissen, die von der Verneinung psychischer Folgewirkungen bis hin zur Bejahung eines sogenannten Post- 1 Bundeszentrale für politische Bildung, Zwischen legal und verboten: Abtreibungen in Europa, 2016, abrufbar unter: http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/228817/abtreibungen-in-europa (dieser Link und alle weiteren Links wurden zuletzt abgerufen am 13. März 2019); Singh, Susheela et al, Guttmacher Institute, Abortion Worldwide: A Decade of Uneven Progress, 2009, S. 50, abrufbar unter: https://www.guttmacher.org/sites/default/files/pdfs/pubs/AWWfullreport.pdf. 2 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 14 des Gesetzes vom 18. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2639) geändert worden ist. 3 Hingewiesen wird auf einen über 20 Jahre zurückliegenden Artikel von Simon, Maria zur Befragung von 110 Frauen: Psychische Folgen nach einer Abtreibung in: Stiftung „ Ja zum Leben – Mütter in Not“ (Hrsg.), Myriam …warum weinst du? Das Leiden der Frauen nach der Abtreibung, 1996, S. 136. Danach bejahten 80 Prozent der befragten Frauen mögliche psychische Spätfolgen nach einer Abtreibung. Ca. 35 bis 40 Prozent hätten gehäuft oder neu auftretend Stimmungsschwankungen und depressive Zustände seit dem Abbruch angegeben. In dem Artikel werden weder der Zeitraum der Befragung noch die genaue Methodik der Interviews angegeben. 4 Major, Brenda/Appelbaum, Mark/Beckman, Linda/Dutton, Mary Ann/Russo, Nancy Felipe/West, Carolyn (2008), in: Report of the APA Task Force on Mental Health and Abortion, S. 3, abrufbar unter: https://www.apa.org/pi/women/programs/abortion/mental-health.pdf; vgl. bezogen auf Deutschland Busch, Ulrike , Handlungsbedarfe bei Schwangerschaftskonflikten, Eine Expertise im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2009, S. 18, 50, abrufbar unter: https://www.forschung.sexualaufklaerung.de/fileadmin /fileadmin-forschung/pdf/Handlungsbedarfe%20bei%20Schwangerschaftskonflikten_final.pdf. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 012/19 Seite 5 Abortion-Syndroms5 als mögliche Unterkategorie einer Posttraumatischen Belastungsstörung reichen . Umstritten ist auch die unterschiedliche methodische Herangehensweise wie etwa die Art und Weise der Erhebung von Daten einschließlich der Bildung von adäquaten Vergleichsgruppen , Größe des Teilnehmerinnenkreises, Länge des Zeitraumes der Begleitung oder Berücksichtigung von psychischen Vorerkrankungen. Diese Arbeit führt daher auch Abhandlungen an, die sich mit der Methodik einiger Studien kritisch auseinandersetzen. 2. Zusammenfassende Übersichtsarbeiten Nachfolgende Übersichtsarbeiten setzen sich mit bereits publizierter Fachliteratur auseinander: National Collaborating Centre for Mental Health (NCCMH), Induced abortion and mental health, A systematic review of the mental health outcomes of induced abortion, including their prevalence and associated factors (2011), abrufbar unter: https://www.aomrc.org.uk/wp-content /uploads/2016/05/Induced_Abortion_Mental_Health_1211.pdf Ziel dieser im Auftrag des britischen Gesundheitsministeriums erstellten, umfassenden Übersichtsarbeit zu unterschiedlichen Studien war es, den Forschungsstand zur Beziehung von Abbrüchen und psychischen Gesundheitsproblemen im Falle einer ungewollten Schwangerschaft darzustellen. Im Ergebnis lasse sich danach kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen einem Abbruch und psychischen Gesundheitsfolgen feststellen. Sei eine Frau ungewollt schwanger, bleibe das Maß psychischer Probleme weitgehend unberührt davon, ob sie die Schwangerschaft durch einen Abbruch beende oder nicht. Die Autoren empfehlen eine stärkere Unterstützung ungewollt schwangerer Frauen, da mangelnde Unterstützung der eigentliche negative Einfluss auf die psychische Gesundheit der Frau sei, unabhängig davon, ob die Schwangerschaft fortgesetzt werde oder nicht (S. 126). Coleman, Priscilla, Abortion and mental health: quantitative synthesis and analysis of research published 1995–2009 (2011) in: The British Journal of Psychiatry 199, 180–186, abrufbar unter: https://www.cambridge.org/core/services/aop-cambridge-core/content /view/E8D556AAE1C1D2F0F8B060B28BEE6C3D/S0007125000256353a.pdf/abortion _and_mental_health_quantitative_synthesis_and_analysis_of_research_published _19952009.pdf Coleman wertet 22 Studien aus den Jahren 1995 bis 2009 mit jeweils mindestens 100 Teilnehmerinnen aus, die psychische Auffälligkeiten nach einem Abbruch feststellten (darunter auch ihre eigenen Studien). In diesen Studien wurden neben schwangeren Frauen, die einen Abbruch vornehmen ließen, als Vergleichsgruppe auch Frauen befragt, die entweder nicht schwanger waren oder die ihr Kind austrugen. Insgesamt lagen damit umfangreiche Daten von 877.181 Teilnehmerinnen vor, von denen 163.831 einen Abbruch erlebten. Mit Hilfe von Modellrechnungen kommt 5 In der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten, ICD-10-GM, Kapitel V, Psychische und Verhaltensstörungen (F00-F99), ist ein sogenanntes Post-Abortion-Syndrom nicht aufgeführt. Die aktuelle ICD-10-GM Version 2019 ist abrufbar über das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information unter: https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2019/block-f40- f48.htm. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 012/19 Seite 6 Coleman zu dem Ergebnis, dass Frauen, die einen Abbruch vornehmen ließen, ein 81 Prozent erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen hätten; jedoch stünden weniger als 10 Prozent dieser Erkrankungen in direktem Zusammenhang mit dem Abbruch. Fergusson, David/Horwood, John/Boden, Joseph, Does abortion reduce the mental health risks of unwanted or unintended pregnancy? A re-appraisal of the evidence (2013) in: The Australian & New Zealand Journal of Psychiatry, Volume: 47 issue: 9, 819-827, abrufbar unter: https://journals .sagepub.com/doi/10.1177/0004867413484597 Fergusson bezieht sich in dieser Arbeit auf die beiden vorangegangenen Übersichtsarbeiten des NCCMH sowie die Studie von Coleman und kommt zu dem Ergebnis, dass ein Abbruch ein geringes bis mäßiges Risiko für Angstzustände und Suchtverhalten (Alkohol und Drogen) mit sich bringe. Schwangerschaftsabbrüche wiesen auch keine positiven therapeutischen Wirkungen im Sinne einer Verringerung psychischer Risiken bei einer ungewollten Schwangerschaft auf. Major, Brenda/Appelbaum, Mark/Beckman, Linda/Dutton, Mary Ann/Russo, Nancy Felipe/West, Carolyn (2008), in: Report of the APA Task Force on Mental Health and Abortion, abrufbar unter: https://www.apa.org/pi/women/programs/abortion/mental-health.pdf Task Force on Mental Health and Abortion (TFMHA)6 sammelte und bewertete im Auftrag der American Psychological Association alle englischsprachigen Studien, die die Auswirkungen von Schwangerschaftsabbrüchen auf die Psyche von Frauen untersuchten und die zwischen 1989 und 2007 veröffentlicht wurden. Dabei sollte insbesondere untersucht werden, ob die Schwangerschaftsabbrüche der psychischen Gesundheit einer Frau schadeten und wie hoch das Risiko von psychischen Folgen bei anderen Schwangerschaftsbeendigungen sei. Die Auswertung habe ergeben, dass die Mehrzahl der vorhandenen Studien unter methodischen Problemen leide und von der TFMHA daher als nicht hinreichend aussagekräftig angesehen werde. Die Studien, die als methodisch belastbar einzustufen seien, kämen zu dem Ergebnis, dass eine Unterbrechung einer ungeplanten Schwangerschaft kein höheres Risiko für psychische Folgen nach sich ziehe als nach Beendigung einer Schwangerschaft durch eine Fehl- oder Totgeburt bzw. Tod eines Neugeborenen . Die TFMHA wies zwar darauf hin, dass nach den Studien einige Frauen Traurigkeit, Trauer und Verlustgefühle nach einem Schwangerschaftsabbruch erlebt hätten; dies reiche aber nicht aus, um einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen dem Abbruch und einer psychischen Erkrankung wissenschaftlich zu belegen. Vielmehr hätten nach einem Abbruch verschiedene weitere Faktoren wie Stigmatisierung, zu geringe soziale Unterstützung oder bereits vor dem Abbruch bestehende psychische Probleme eine Rolle gespielt. 6 Die Task Force on Mental Health and Abortion ist eine der American Psychological Association (APA; führende wissenschaftliche und professionelle Organisation, die die Psychologie in den USA vertritt) zugeordnete Arbeitsgruppe "mentale Gesundheit und Schwangerschaftsabbrüche". Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 012/19 Seite 7 3. Einzelne internationale Studien In den nachfolgend aufgeführten Studien werden unterschiedliche Formen der Datenerhebung zugrunde gelegt. Teilweise werden eigene Daten durch Interviews erhoben, ein Großteil der Studien greift dagegen auf bereits erhobene Daten zurück und wertet diese aus. In geringerem Maße beziehen sich Studien auf Daten aus Gesundheitsregistern und nutzen dort zugängliche Informationen für die Analysen. Steinberg, Julia/Laursen, Thomas/Adler, Nancy et al, Examining the Association of Antidepressant Prescriptions With First Abortion and First Childbirth (2018), in: JAMA Psychiatry, 75(8):828-834, abstract abrufbar unter: https://jamanetwork.com/journals/jamapsychiatry/articleabstract /2681170 Die Studie basiert auf Daten aus dem dänischen Bevölkerungsregister und dem dänischen Verschreibungsregister . Von 396.397 Frauen, die zwischen 1980 und 1994 geboren wurden, ließen 30.834 einen Schwangerschaftsabbruch im ersten Trimester durchführen. Die Studie untersucht die psychischen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs anhand der Erstverschreibung von Antidepressiva und stellt mehrere Vergleichsgruppen gegenüber. So werden beispielsweise Frauen, die einen Abbruch vornehmen ließen, mit Frauen verglichen, die keinen Abbruch vornehmen ließen , und Frauen, die ein Kind gebaren, mit Frauen, die kein Kind gebaren. Die Verschreibung der Antidepressiva wird als Indikator für psychische Auswirkungen gesehen. Bei der Auswertung seien auch die psychischen Vorbelastungen der Frauen verglichen worden, indem die Verschreibungsrate ein Jahr vor und ein Jahr nach dem Abbruch bzw. der Geburt untersucht worden seien. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch zwar häufiger Antidepressiva verwendeten als Frauen, die keinen Abbruch durchführen ließen. Dieser vermehrte Einsatz sei jedoch nicht auf den Schwangerschaftsabbruch zurückzuführen, sondern in der Regel auf andere Risikofaktoren wie bereits zuvor festgestellte depressive Erkrankungen. van Ditzhuijzen, Jenneke/Ten Have, Margreet ten/de Graaf, Ron/ van Nijnatten, Carolus/Vollebergh , Wilma, Long-term incidence and recurrence of common mental disorders after abortion . A Dutch prospective cohort study (2018), in: Journal of psychiatric research 102, S. 132–135, abstract abrufbar unter: https://www.sciencedirect.com/science/article /pii/S0022395617311895 van Ditzhuijzen, Jenneke, Abortion and mental health : A longitudinal study of common mental disorders among women who terminated an unwanted pregnancy (2017), Dissertation, abrufbar unter: https://dspace.library.uu.nl/handle/1874/348455 In der Veröffentlichung von 2018 wurden Daten aus zwei niederländischen Studien ausgewertet; die Dutch Abortion and Mental Health Study (DAMHS), die Daten von 325 Frauen mit Abbrüchen enthält, und einer Kohorte von 1.902 Frauen ohne Abbruch als Vergleichsgruppe aus der Netherlands Mental Health Survey and Incidence Study – 2 (NEMESIS-2). Befragt wurden die Frauen zu unterschiedlichen Zeitpunkten unter Berücksichtigung von psychischen Vorerkrankungen wie Depressionen, bipolaren Störungen, Angstzuständen, aber auch von Suchtverhalten. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen, die einen Abbruch vornehmen ließen, in einem Zeitraum von fünf bis sechs Jahren nach dem Abbruch in der Regel keine wiederkehrenden psychischen Störungen zeigten. Es seien keine Hinweise erkennbar, dass ein Schwangerschaftsabbruch längerfristig das Risiko für neue oder wiederkehrende psychische Störungen erhöhe. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 012/19 Seite 8 Schon in ihrer Dissertation von 2017, in der van Ditzhuijzen ebenfalls die oben genannten Daten verwendete, untersuchte sie, inwieweit sich die psychiatrische Vorgeschichte auf Emotionen und Bewältigungsmaßnahmen nach dem Schwangerschaftsabbruch auswirkte. Im Ergebnis seien psychische Belastungen nach einem Abbruch zumindest teilweise auf frühere oder zugrunde liegende psychische Probleme zurückzuführen. Frauen nach einem Abbruch wiesen eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer psychischen Erkrankung bereits vor einem Abbruch auf als die Vergleichsgruppe ohne Abbruch (68,3 Prozent zu 42,2 Prozent). Gomez, Anu, Abortion and subsequent depressive symptoms. An analysis of the National Longitudinal Study of Adolescent Health (2018), in: Psychological medicine 48 (2), S. 294–304, abstract abrufbar unter: https://www.cambridge.org/core/journals/psychological-medicine/article /abortion-and-subsequent-depressive-symptoms-an-analysis-of-the-national-longitudinalstudy -of-adolescent-health/49C7164976A3A9680639ACAAA2D77DBF Die Studie analysiert die psychischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen anhand der Daten von 1.294 jungen Frauen, die entweder einen Schwangerschaftsabbruch durchführen ließen oder eine Geburt am Ende einer ungewollten Schwangerschaft erlebten. Herangezogen wurden Daten aus der National Longitudinal Study of Adolescent Health (Add Health).7 Danach gebe es keinen Hinweis darauf, dass bei den jungen Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen ließen, ein erhöhtes Risiko für nachfolgende depressive Symptome im Vergleich zu denen bestehe , die nach einer ungewollten ersten Schwangerschaft ihr Kind zur Welt brächten. Berücksichtigt würden dabei auch Risikofaktoren wie psychische Vorerkrankungen und deren Einfluss auf das Risiko psychischer Folgen nach Schwangerschaftsabbrüchen. Als Risikofaktoren führt die Studie beispielsweise traumatische Erlebnisse vor dem 18. Lebensjahr sowie Erfahrungen mit Gewalt in Partnerschaften auf. Biggs, Antonia/ Upadhyay, Ushma/McCulloch, Charles et al Women’s Mental Health and Wellbeing 5 Years After Receiving or Being Denied an Abortion, A Prospective, Longitudinal Cohort Study in: Jama Psychiatry 2017 74(2):169-178, abrufbar unter: https://jamanetwork.com/journals /jamapsychiatry/fullarticle/2592320 Biggs, Antonia/Rowland, Brenly/McCulloch, Charles/Foster, Diana, Does abortion increase women’s risk for post-traumatic stress? Findings from a prospective longitudinal cohort study (2016) in: BMJ open 6 (2), e009698, abrufbar unter: https://bmjopen.bmj.com/content /6/2/e009698 7 Add Health ist eine landesweite Langzeitstudie, die durch Interviews Daten von Jugendlichen der siebten bis zwölften Klassen in den Vereinigten Staaten beginnend mit dem Schuljahr 1994-1995 und dann nachfolgend in verschiedenen Jahren (Wellen) zum sozialen, wirtschaftlichen, psychologischen und physischen Wohlbefinden erhebt. Einzelheiten sind abrufbar unter: https://www.cpc.unc.edu/projects/addhealth. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 012/19 Seite 9 Die Studie von 2017 präsentiert die gesamten Daten aus der „Turnaway-Studie“, einer prospektiven Längsschnittstudie, die insgesamt 956 Frauen in den USA zwischen 2008 und 2010 zur Teilnahme gewinnen konnte.8 Verglichen wird hier die psychische Verfassung der Frauen, die einen Abbruch durchführen ließen, mit der der Frauen, denen ein Abbruch verweigert wurde. Im Ergebnis der Auswertung von Biggs zeigten die Frauen, denen ein Abbruch verweigert wurde, eine Woche danach mehr Angstsymptome, weniger Selbstbewusstsein und weniger Zufriedenheit mit dem Leben als die Gruppe der Frauen, die einen Abbruch vornehmen ließen. Die Frauen, die einen Abbruch während des ersten Trimesters ihrer Schwangerschaft vornehmen ließen, wiesen direkt danach weniger Depressionssymptome auf als die, die kurz vor Fristablauf standen; in beiden Gruppen sei im Laufe der Zeit eine Abnahme der depressiven Symptome erkennbar gewesen . Während des Fünfjahreszeitraumes sei es den Frauen nach einem Abbruch ähnlich gegangen wie denen, die keinen Abbruch durchführen lassen konnten, teilweise sogar besser. Auch die frühere Untersuchung von 2016, ebenfalls bezogen auf Daten aus der Turnaway-Studie, stellte im Ergebnis kein erhöhtes Risiko für psychische Probleme durch einen Schwangerschaftsabbruch fest. Von den Frauen, die innerhalb der ersten Woche nach dem Abbruch posttraumatische Symptome gezeigt hätten, sei ein Großteil dieser Symptome auf andere, weiter zurückliegende einschneidende Erlebnisse zurückzuführen, wie etwa auf sexuelle, physische oder emotionale Gewalt oder den Tod oder eine schwere Krankheit eines Angehörigen. 19 Prozent von ihnen führten an, die Symptome seien nicht auf den Abbruch, sondern auf die Schwangerschaft an sich zurückzuführen. Sullins, Donald, Abortion, Substance abuse and mental health in early adulthood: Thirteen-year longitudinal evidence from the United States (2016), in: SAGE Open Medicine Volume 4: 1 –11, abrufbar unter: https://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177/2050312116665997 Sullins verwendet Daten aus der Add Health-Studie9 und legt seinen Untersuchungen eine Kohorte aus 8.005 US-amerikanischen Frauen im Alter von 15, 22 und 28 Jahren zu Grunde, darunter nicht nur Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen ließen, sondern auch Frauen, die andere Formen der Schwangerschaftsbeendigungen (Geburt, Fehlgeburt) erlebten. Sullins untersucht, wie hoch das Risiko ist, in Folge eines Abbruchs an Depressionen, Angst, Selbstmordgedanken und Suchtverhalten (Alkohol- oder Drogenmissbrauch, Nikotinabhängigkeit ) zu leiden, und bezieht dabei auch die soziokulturellen Kontexte der Frauen mit ein. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Schwangerschaftsabbrüche mit einem Risiko für psychische Ge- 8 Die Turnaway-Studie ist eine prospektive Längsschnittstudie der ANSIRH-Forschungsgruppe, in der die Auswirkungen einer unbeabsichtigten Schwangerschaft auf das Leben von Frauen untersucht werden. Das Hauptziel der Studie ist die Beschreibung der psychischen, körperlichen und sozioökonomischen Konsequenzen eines Abbruchs im Vergleich zu einer Geburt nach einer ungewollten Schwangerschaft. 956 Frauen (davon 273, die innerhalb der ersten drei Monate einen Abbruch durchführen ließen; 452 ließen eine Schwangerschaft zwei Wochen vor Ende der Abbruchsfrist abbrechen und 231 Frauen konnten wegen Fristüberschreitung keinen Abbruch durchführen lassen) konnten vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2010 aus 21 Bundesstaaten der USA zur Turnaway-Studie gewonnen werden. Sie wurden eine Woche nach dem Abbruch bzw. dem Abbruchsversuch telefonisch interviewt und anschließend für fünf Jahre halbjährlich befragt. Weitere Einzelheiten sind abrufbar unter: https://www.ansirh.org/research/turnaway-study. 9 Siehe Fn 7. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 012/19 Seite 10 sundheitsprobleme in der späten Jugend und dem frühen Erwachsenenalter einhergingen. Dieses Risiko liege bei 45 Prozent, das Risiko bei anderen Formen der Schwangerschaftsbeendigung sei geringer (bei Geburt 8,7 Prozent, bei Verlust bei 24 Prozent). Roberts, Sarah/Delucchi, Kevin/Wilsnack, Sharon/Foster, Diana, Receiving Versus Being Denied a Pregnancy Termination and Subsequent Alcohol Use. A Longitudinal Study (2015), in: Alcohol and alcoholism (Oxford, Oxfordshire) 50 (4), S. 477–484, abrufbar unter: https://academic .oup.com/alcalc/article/50/4/477/147635 Die Studie untersucht 877 Frauen, deren Daten aus der Turnaway-Studie stammen, in Bezug auf einen Abbruch und den nachfolgenden Alkoholkonsum. Danach sei in Bezug auf einen Alkoholmissbrauch nach einem Abbruch kein erhöhtes Risiko erkennbar. Die Studie stellte zwar zweieinhalb Jahre nach dem Ende der Schwangerschaft einen höheren Alkoholkonsum bei den Frauen fest, die einen Abbruch hatten durchführen; dieser sei aber nicht darauf zurückzuführen, dass diese Frauen mehr Alkohol als zuvor tränken, sondern lediglich darauf, dass die Frauen, die ihr Kind gebaren, den Alkoholkonsum verringerten. Rocca, Corinne/Kimport, Katrina/Roberts, Sarah/, Gould, Heather/Neuhaus, John/Foster, Diana, Decision Rightness and Emotional Responses to Abortion in the United States: A Longitudinal Study (2015) in: Plos One 10,7: e0128832, abrufbar unter: https://journals.plos.org/plosone/article/file?id=10.1371/journal .pone.0128832&type=printable Die Studie bezieht sich ebenfalls auf Daten aus der Turnaway Studie, wobei hier nur die Angaben der 667 Frauen, die einen Abbruch durchführen ließen, verwendet wurden. Die Interviews der Turnaway Studie beziehen sich insgesamt auf fünf Jahre, wobei Rocca nur die Daten über einen Zeitraum von drei Jahren nach dem Abbruch analysiert. Ausgewertet wurden die Antworten zu den Fragen, ob die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch richtig gewesen sei und in welcher Stärke positive sowie negative Gefühle (Erleichterung und Freude auf der einen Seite sowie Bedauern, Wut, Traurigkeit und Schuldgefühle auf der anderen Seite) erlebt worden seien. Signifikante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen seien nicht erkennbar. Auch wenn etwa die Hälfte der Frauen erklärte, dass die Entscheidung zum Abbruch nicht leicht gewesen sei, hätten rund 95 Prozent der Frauen über den Zeitraum von drei Jahren angegeben, ihre Entscheidung für einen Abbruch sei für sie richtig gewesen. Sowohl die negativen als auch die positiven Emotionen hätten im Laufe der Zeit abgenommen. Ein weiteres Ergebnis der Studie sei, dass eine höher wahrgenommene Stigmatisierung in der Gesellschaft und eine geringere soziale Unterstützung mit mehr negativen Gefühlen verbunden gewesen seien. Kritisch merken die Autorinnen und Autoren an, dass die Bandbreite der in der Turnaway-Studie abgefragten Gefühle möglicherweise nicht das gesamte Spektrum nach einem Abbruch abbilde. Foster, Diana/Steinberg, Julia/Roberts, Sarah/u. a., A comparison of depression and anxiety symptom trajectories between women who had an abortion and women denied one (2015) in: Psychological Medicine, 45, 2073–2082, 28. Januar 2015, abrufbar unter: https://www.cambridge.org/core/services/aop-cambridge-core/content /view/39531291BDF56FB5D290668F969F8273/S0033291714003213a.pdf/comparison_of_depression _and_anxiety_symptom_trajectories_between_women_who_had_an_abortion_and_women _denied_one.pdf Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 012/19 Seite 11 Die Studie vergleicht die psychischen Folgen für Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen ließen, mit denen für Frauen, denen ein Abbruch verweigert wurde. Zugrunde liegen Angaben von 956 Frauen aus der Turnaway-Studie, wobei hier ein Zeitraum von zwei Jahren nach dem Abbruch betrachtet wird. Einbezogen worden sei auch die psychische Vorgeschichte in Bezug auf festgestellte Depressionen und Angstzustände. Bei Frauen, denen ein Abbruch verweigert wurde, seien kurz danach häufiger Depressionen und Angstzustände festgestellt worden als bei Frauen, die einen Abbruch vor Ende der Frist hatten durchführen lassen. Nach zwei Jahren seien in Bezug auf Angstzustände keine Unterschiede mehr bei den beiden Gruppen erkennbar gewesen. Zusammenfassend wird festgestellt, dass Frauen, die einen Abbruch vornehmen ließen, ähnliche depressive Symptome und Angstzustände aufwiesen wie die Frauen, denen ein Abbruch verweigert wurde. Teilweise zeigten sie sogar weniger depressive Symptome. Curley, Maureen/Johnston, Celeste, The Characteristics and Severity of Psychological Distress After Abortion Among University Students (2013), in: The Journal of Behavioral Health Services & Research, 279–293, abrufbar unter: https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs11414-013- 9328-0 Nach dieser Studie berichteten alle Frauen, die Abtreibungen gehabt hatten (89 Frauen der insgesamt 151 Teilnehmerinnen) von Symptomen einer post-traumatischen Belastungsstörung (PTBS) sowie Trauer, die über einen Zeitraum von drei Jahren anhielten. Mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen , die eine Abtreibung gehabt hatte, habe sich danach psychologische Begleitung gewünscht . Munk-Olsen, Trine/Laursen, Thomas/Pedersen, Carsten/Lidegaard, Øjvind/Mortensen, Preben, Induced First-Trimester Abortion and Risk of Mental Disorder (2011), in: The New England Journal of Medicine 364:332-339, abrufbar unter: https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa0905882 In dieser Studie werden – wie auch in der von Steinberg/Laursen/Adler – Daten des dänischen Gesundheitsregisters ausgewertet, und zwar von 85.000 Frauen, die zwischen 1995 und 2007 erstmals eine Schwangerschaft im ersten Trimester abbrachen sowie von 280.000 Frauen, die im selben Zeitraum ihr erstes Kind gebaren. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Frauen nach einem Abbruch in den zwölf Monaten danach nicht wesentlich häufiger einen Erstkontakt mit einem Psychiater gehabt hätten als in den neun Monaten zuvor (Erstkontakt vor dem Abbruch 14,6 Prozent, nach dem Abbruch 15,2 Prozent). Die Erstgebärenden hingegen beanspruchten in den ersten sechs Monaten nach der Geburt deutlich öfter psychiatrische Hilfe als vorher (Erstkontakt vor der Geburt 3,9 Prozent, nach der Geburt 6,7 Prozent). Die Autoren schließen daraus , dass die Hypothese, wonach ein Schwangerschaftsabbruch das Risiko für psychische Krankheiten erhöhe, durch die Studie widerlegt werde. Warren, Jocelyn, Do severe depression and loss of self-esteem follow abortion? Evidence from a national study of adolescents in: Perspect Sex Reprod Health (2010); 42(4): 230–235, abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5234489/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 012/19 Seite 12 Diese Studie untersucht den Zusammenhang von Schwangerschaftsabbrüchen in jungem Alter mit psychischen Gesundheitsproblemen und einem geringem Selbstwertgefühl. Dazu wurden Daten der Add Health Studie10 verwendet: In der ersten und zweiten Welle (1994-1995 und 1996) hätten 288 US-amerikanische Frauen angegeben, zumindest einmal schwanger gewesen zu sein. Von diesen hätten 69 Frauen die Schwangerschaft abgebrochen. Ob psychische Probleme im Zuge dessen aufgetreten seien, sei innerhalb eines Jahres nach der Schwangerschaft sowie fünf Jahre später (dritte Welle, 2001-2002) untersucht worden. Nach der vorliegenden Analyse sei ein Zusammenhang von Schwangerschaftsabbruch und psychischen gesundheitlichen Folgen statistisch nicht belegbar. Junge Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch hätten durchführen lassen , seien danach keinem höheren Risiko für psychische Probleme ausgesetzt. Mota, Natalie/Burnett, Margarett et al, Associations Between Abortion, Mental Disorders, and Suicidal Behaviour in a Nationally Representative Sample (2010) in: The Canadian Journal of Psychiatry, Vol 55, No 4, abrufbar unter: https://journals .sagepub.com/doi/pdf/10.1177/070674371005500407 Die Daten dieser Studie stammen aus dem National Comorbidity Survey (NCS)11 von 2001 bis 2003 und beziehen sich auf insgesamt 3.310 Frauen ab 18 Jahren. Im Ergebnis gehen die Autorinnen unter Berücksichtigung weiterer Faktoren wie früherer Gewalterfahrung davon aus, dass der Prozentsatz der Frauen, die an einer psychischen Störung bzw. an Suizidgedanken nach einem Abbruch litten, unter 50 Prozent liege. Coleman, Priscilla/Coyle, Catherine/Shupin, Martha u. a., Induced abortion and anxiety, mood, and substance abuse disorders: Isolating the effects of abortion in the national comorbidity survey (2009), in: Journal of Psychiatric Research, 2009, abstract abrufbar unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19046750 sowie diesbezügliche Langfassung in Druck aus 2008 abrufbar unter: http://www.vidaymujer.es/Coleman-et-al-article.pdf Diese Studie aus dem Jahr 2009 ist eine der am meisten rezipierten, immer wieder für ihre Methodik kritisierten Studien zum Thema. Coleman verwendete Daten des NCS12 und kam zu dem Ergebnis, dass ein Abbruch mit einem erhöhten Risiko für psychische Auffälligkeiten wie Depressionen , Angstzustände und posttraumatische Belastungsstörungen verbunden sei, aber auch mit einem höheren Risiko für Drogenmissbrauch einhergehe. Insgesamt wurden Daten von 8.098 US-Amerikanerinnen in einem Alter von 15 bis 54 Jahren zugrunde gelegt. Pedersen, Willy, Abortion and depression: A population-based longitudinal study of young women (2008), in: Scandinavian Journal of Public Health, 36: 424 - 4282, abrufbar unter: https://journals .sagepub.com/doi/pdf/10.1177/1403494807088449?legid=spsjp%3B36%2F4%2F424&citedby =yes 10 Siehe Fn 7. 11 Der NCS beinhaltet Daten aus einer repräsentativen Befragung Erwachsener zur psychischen Gesundheit in den USA; Einzelheiten sind abrufbar unter: https://www.hcp.med.harvard.edu/ncs/. 12 Siehe Fn. 11. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 012/19 Seite 13 Pedersen hat an der Universität Oslo elf Jahre lang 768 Frauen im Alter zwischen 15 und 27 Jahren begleitet. Seine Studie kommt zu dem Ergebnis, dass vor allem junge Frauen, die einen Abbruch durchführen ließen, später häufiger zu starken Depressionen neigten als andere. Auch sei das Suchtverhalten (Alkohol und Drogen) bei jungen Frauen nach einem Abbruch signifikant höher als bei jenen, die sich für ihr Kind entschieden hätten. In die Untersuchung einbezogen worden seien auch die persönlichen Rahmenbedingungen wie das familiäre Umfeld, Schul- und Berufslaufbahn sowie individuelle Verhaltensprobleme. Fergusson, David/Horwood, John/ Ridder, Elizabeth Abortion in young women and subsequent mental health (2006), in: Journal of Child Psychology and Psychiatry 47:1, pp 16–24, abrufbar unter: http://abortionrecoveryinternational.org/Portals/1/Cache/Documents/Abortion _in_young_women_NZ.pdf Für die Veröffentlichung werteten die Autoren Daten von 1.265 Mädchen des Geburtsjahrgangs 1977 aus der Christchurch Health and Development Study (CHDS)13 auf psychische Folgen nach Schwangerschaftsabbrüchen hin aus. 41 Prozent von ihnen wurden bis zum Alter von 25 Jahren schwanger; davon ließen 14,6 Prozent einen Abbruch durchführen. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass bei den Frauen, die einen Abbruch durchführen ließen, ein erhöhter Anteil an Depressionen , Angstzuständen und Selbstmordverhalten festzustellen sei. Verschiedene Kontextfaktoren wie familiärer Hintergrund, Vorerkrankungen wie Depressionen und Angstzustände sowie Alkoholkonsum seien in den Lebensläufen der Frauen mitberücksichtigt worden. Die Autoren geben aber selbst zu bedenken, dass nicht alle Faktoren, die bei einer psychischen Erkrankung eine Rolle spielen können, berücksichtigt werden konnten. Weitere Studien seien erforderlich . Fergusson, David/Horwood, John/Boden, Joseph, Abortion and mental health disorders: evidence from a 30-year longitudinal study (2008) in: The British Journal of Psychiatry, 193, 444 – 451, abrufbar unter: https://www.cambridge.org/core/services/aop-cambridge-core/content /view/59A90CBF3A58C58B342CBCFFBBFEBD2E/S0007125000006334a.pdf/abortion _and_mental_health_disorders_evidence_from_a_30year_longitudinal_study.pdf Die nachfolgende Veröffentlichung von 2008 betrachtet Daten der CHDS von über 500 Frauen bis zu einem Alter von 30 Jahren und stellt ein um 30 Prozent erhöhtes Risiko, nach einem Abbruch an einer psychischen Erkrankung zu leiden, fest. Allerdings seien davon nur 1,5 bis 5,5 Prozent unmittelbar auf den Abbruch zurückzuführen. Die Ergebnisse seien weder eine Bestätigung dafür , dass Abbrüche zu keinerlei Auswirkungen, noch dafür, dass sie zu erheblichen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit führten. 13 CHDS begleitet 1977 in Christchurch (Neuseeland) geborene Kinder durch Interviews bis ins Erwachsenenalter u. a. zu gesundheitlichen Themen. Einzelheiten sind abrufbar unter: https://www.otago.ac.nz/christchurch/research /healthdevelopment/. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 012/19 Seite 14 4. Beiträge zur Methodik diverser Studien Nachfolgende Beiträge sollen einen Einblick in die Diskussion zur Methodik der Studien geben: Guttmacher Institute, Cohen, Susan, Still True: Abortion Does Not Increase Women’s Risk of Mental Health Problems, Policy Review, 2013, abrufbar unter: https://www.guttmacher.org/sites/default/files/pdfs/pubs/gpr/16/2/gpr160213.pdf Guttmacher Institute, Study Purporting to Show Link Between Abortion and Mental Health Outcomes Decisively Debunked, News Release, 2012, abrufbar unter: https://www.guttmacher.org/news-release/2012/study-purporting-show-link-between-abortionand -mental-health-outcomes-decisively Guttmacher Institute, Guttmacher Advisory: Abortion and Mental Health, 2011, abrufbar unter: https://www.guttmacher.org/sites/default/files/article_files/advisory-abortion-mental-health.pdf Mehrere Veröffentlichungen des US-amerikanischen Guttmacher Instituts bewerten vorhandene Studien auch im Hinblick auf die zugrunde liegenden Methoden und kritisieren die aus ihrer Sicht erheblichen Mängel. Als Kritikpunkte werden vor allem genannt: Datenbasis teilweise zu gering Beschränkung auf Interviews statt Heranziehung von Daten aus Gesundheitssystemen Keine adäquate Bildung von Vergleichsgruppen Nichtberücksichtigung von psychischen Vorerkrankungen aufgrund von Depressionen, Missbrauch in der Kindheit oder anderer Gewalterfahrung Positiv hervorgehoben wird im Ergebnis die dänische Studie aus dem Jahr 2011 (Munk/Olsen), da sie auf einer belastbaren Methodik beruhe. Im Gegensatz dazu sieht das Institut z. B. die Fergusson -Studien als mit methodischen Mängeln behaftet an, da die Vergleichsgruppen nicht korrekt gewählt worden seien. Speziell in der Fergusson-Studie von 2008 seien Frauen mit jeglicher Art von Schwangerschaftsunterbrechung, also auch Fehlgeburten, mit denen verglichen worden, die keine Schwangerschaftsunterbrechung erlebt hätten. Die Coleman-Studie von 2009 wiederum berücksichtige in keiner Weise die psychischen Vorerkrankungen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 012/19 Seite 15 Thonke, Ines, Schwangerschaftsabbruch und die Diskussion um psychische Folgen in: Familienplanungsrundbrief Nr. 3/4, 2012, abrufbar unter: https://www.profamilia.de/medizin/uebersicht -medizinischer-newsletter.html In ihrem Beitrag beschreibt Thonke – ausgehend von der Übersichtsarbeit von Coleman 2011 – die kontroverse Debatte um die psychischen Folgen eines Abbruchs wie auch um die unterschiedliche Methodik in den Studien. Dargestellt wird auch die zur Coleman-Studie 2009 erfolgte Re-Analyse von Steinberg, die deren Ergebnisse anzweifelt: 14 Coleman habe die Häufigkeit der psychischen Erkrankungen vor wie nach einem Abbruch gleichermaßen als Indikator für das Erkrankungsrisiko in Folge des Abbruchs gewertet. Wenn man dagegen nur nach dem Abbruch auftretende Störungen als auf den Abbruch zurückzuführende darstelle, lasse sich bei der Auswertung der gleichen Daten kein kausaler Zusammenhang zwischen einer psychischen Störung und einem Abbruch nachweisen. Kendall, Tim/Bird, Victoria/Cantwell, Roch/Taylor, Clare, To meta-analyse or not to meta-analyse : abortion, birth and mental health (2012) in: The British Journal of Psychiatry 200, 12–14, abrufbar unter: https://www.cambridge.org/core/services/aop-cambridge-core/content /view/B549C201D945F66F14935B9D6C5BCD97/S0007125000257176a.pdf/to_metaanalyse_o r_not_to_metaanalyse_abortion_birth_and_mental_health.pdf In dem Beitrag werden Übersichtsarbeiten zur Thematik der psychischen Auswirkungen eines Schwangerschaftsabbruchs als grundsätzlich wenig aussagekräftig eingestuft. Konkret wird die Coleman-Übersichtsarbeit von 2011 als nicht dem wissenschaftlichen Standard entsprechend kritisiert , während die dänische Studie von 2011 (Munk/Olsen) als seriös eingestuft wird. Fazit dieser Betrachtungen ist der Appell, sich eher auf die psychische Unterstützung ungewollt schwangerer Frauen zu konzentrieren. National Collaborating Centre for Mental Health (NCCMH), Induced abortion and mental health, A systematic review of the mental health outcomes of induced abortion, including their prevalence and associated factors (2011), abrufbar unter: https://www.aomrc.org.uk/wp-content /uploads/2016/05/Induced_Abortion_Mental_Health_1211.pdf Die Verfasser bieten – neben dem umfassenden Überblick über die Forschung15 – eine detaillierte Auflistung zu verschiedenen Schwachstellen in der Methodik der Studien. Ein Mangel sei auch der Zeitrahmen von Wiederholungsbefragungen für einige Studien. Insbesondere kritisiert werden hierfür die Coleman-Studien; diese beschränkten die Nachbeobachtungszeit auf nicht mehr 14 Steinberg, Julia/Finer, Lawrence, Examining the association of abortion history and current mental health: A reanalysis of the National Comorbidity Survey using a common-risk-factors model, 2011, abstract abrufbar unter : https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S027795361000729X. Siehe dazu auch den Kommentar von Kessler, Ronald/Schatzberg, Alan, Commentary on Abortion Studies of Steinberg and Finer (Social Science& Medicine 2011; 72:72–82) and Coleman (Journal of Psychiatric Research 2009;43:770–6 & Journal of Psychiatric Research 2011;45:1133–4)A, 2012, abrufbar unter: https://kundoc.com/pdf-commentary-on-abortionstudies -of-steinberg-and-finer-social-science-amp-medicin.html. 15 Siehe Gliederungspunkt 2. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 012/19 Seite 16 als 90 Tage. Messwerte, die kurz nach der Geburt erfragt würden, könnten aufgrund der ohnehin stressgeprägten Zeit nach einer Geburt kein zuverlässiges Maß für die dauerhafte psychische Gesundheit der Frauen abbilden. Charles, Vignetta/Polis, Chelsea/Sridhara, Srinivas/Blum, Robert , Abortion and long-term mental health outcomes: a systematic review of the evidence, Contraception (2008) in: Contraception 78(6):436–450, abrufbar unter: https://www.jhsph.edu/research/centers-and-institutes/center-foradolescent -health/_includes/_pre-redesign/Charles_2008_Contraception.pdf Zugrunde gelegt werden 21 zwischen 1989 und 2008 veröffentlichte Studien insbesondere anhand ihrer methodischen Vorgehensweisen. Danach weisen die Studien mit der höchsten Qualität größtenteils neutrale Ergebnisse auf, was auf geringe Unterschiede zwischen der psychischen Gesundheit von Frauen mit Abbrüchen und ihren jeweiligen Vergleichsgruppen hindeute. Brenda Major, PhD, Chair; Mark Appelbaum, PhD; Linda Beckman, PhD; Mary Ann Dutton, PhD; Nancy Felipe Russo, PhD; Carolyn West, PhD (2008) in: Report of the APA Task Forceon Mental Health and Abortion, abrufbar unter: https://www.apa.org/pi/women/programs/abortion /mental-health.pdf Die Autoren gehen davon aus, dass die meisten Studien zum Teil schwerwiegende Mängel in der Methodik enthielten. Besonders beanstandet werden das Fehlen weiterer Risikofaktoren für psychische Erkrankungen und das Fehlen adäquater Vergleichsgruppen. In diversen Tabellen werden die festgestellten Mängel verschiedener Studien aufgelistet. 5. Weitere Publikationen Folgende deutsche Beiträge gehen auf die Studienlage zur Thematik ein: Schweiger, Petra, Schwangerschaftsabbruch, Erleben und Bewältigen aus psychologischer Sicht in: Busch, Ulrike/Hahn, Daphne (Hrsg.), Abtreibung, Diskurse und Tendenzen, 2014, S. 235 ff. Die Autorin führt in ihrem Beitrag mehrere Studien an, wonach das Risiko von psychischen Problemen bei Frauen, die in den ersten Wochen der Schwangerschaft einen Abbruch durchführen lassen, nicht höher sei, als wenn sie sich für die Mutterschaft entschieden. Depressionen in Folge eines Abbruchs würden meist nur in Studien gefunden, die methodische Fehler aufwiesen und vorbestehende depressive Erkrankungen oder Gewalterfahrungen unberücksichtigt ließen. Als Voraussetzung für eine gute Bewältigung eines Schwangerschaftsabbruchs sieht die Autorin „eine selbstbestimmte Entscheidung, ausreichende Informationen, eine wohlwollende Akzeptanz im persönlichen Umfeld sowie eine angenehme und respektvolle Atmosphäre während der Behandlung bei gleichzeitig hohem medizinischen Standard.“ (S. 245) Hoffmann, Petra, Schwangerschaftsabbruch, Statistische, medizinische, juristische, soziologische und psychologische Aspekte, 2013, Kapitel IV, Psychologische Aspekte Die Autorin stuft die bestehende Studienlage so ein, dass verschiedene psychologische Krankheitsbilder mit einem Abbruch zusammenhängen könnten: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die aktuelle Studienlage darauf hinweist, dass zumindest die Frauen, welche einen Schwangerschaftsabbruch als ein traumatisches Ereignis in ihrem Leben wahrnehmen, den Abbruch als Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 9 - 3000 - 012/19 Seite 17 sehr stressvoll erlebt haben oder Schuldgefühle haben, ein deutlich erhöhtes Risiko psychischer Folgeerscheinungen, wie zum Beispiel Depressionen, Angststörungen, Abhängigkeiten oder Suizidgedanken , aufweisen.“ Kaminsky, Claudia, Das Post-Abortion-Syndrom: Enttabuisierung in Sicht? in: Büchner, Bernward / Kaminsky, Claudia/Löhr, Mechthild (Hrsg.), Abtreibung – ein neues Menschenrecht?, 2012, S. 151 ff. Die Autorin geht davon aus, dass bei einem Abbruch selten psychische Folgen ausblieben und ist überzeugt, dass es das sogenannte „Post-Abortion-Syndrom“ gebe. Dies zeige sich anhand mehrerer Studien, darunter auch der Fergusson-Studie aus dem Jahr 2006 sowie der Pedersen-Studie von 2008. ***