WD 9 - 3000 - 010/20 (3. März 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Der Gesetzgeber hat im bundesweit geltenden Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG)1 in den §§ 24 bis 32 eine Reihe von Vorgaben formuliert, die der Verhütung übertragbarer Krankheiten dienen sollen. Sie sind damit auch einschlägig für Fragen, die im Zusammenhang mit den durch das Coronavirus verursachten Infektionen stehen. Hierzu zählt die Bestimmung des § 28 Absatz 1 IfSG. § 28 Absatz 1 Satz 1, 2 und 4 IfSG haben folgenden Wortlaut: "Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen; sie kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz [GG]), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 GG) werden insoweit eingeschränkt." Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) aus dem Jahr 2012 im Zusammenhang mit einem Schulbetretungsverbot gegenüber ansteckungsverdächtigen Personen2 begrenzt die Vorschrift des § 28 IfSG Abs. 1 Satz 1 IfSG den Handlungsrahmen der Behörde nicht darauf, dass allein Schutzmaßnahmen gegenüber Personen, die als Kranke, Krankheitsverdächtige , Ansteckungsverdächtiger oder Ausscheider (§ 2 Nr. 4 bis 7 IfSG) festgestellt worden sind, 1 Gesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl I S. 1045), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 10. Februar 2020, (BGBl I S. 148). 2 BVerwG, Urteil vom 22. März 2012, AZ: 3 C 16/11. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation § 28 Infektionsschutzgesetz als Rechtsgrundlage für Schutzmaßnahmen bei übertragbaren Krankheiten Kurzinformation § 28 Infektionsschutzgesetz als Rechtsgrundlage für Schutzmaßnahmen bei übertragbaren Krankheiten Fachbereich WD 9 (Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 möglich sind. Vielmehr gehe aus § 28 Abs. 1. Satz 2 Halbs. 1 IfSG hervor, dass Schutzmaßnahmen auch gegenüber der Allgemeinheit getroffen werden könnten. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 IFSG könnten schließlich „(sonstige) Dritte („Nichtstörer“) Adressat von Maßnahmen sein, beispielsweise um sie vor Ansteckung zu schützen.“3 Die Vorschrift des § 28 Abs. 1 IfSG ist vom Gesetzgeber als Generalklausel ausgestaltet worden. Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen – das „Wie“ des Eingreifens – ist der Behörde Ermessen eingeräumt. Dem liegt, so das BVerwG, die Erwägung zugrunde, „dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt , dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln muss, also um Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt.“4 Die zuständige Behörde hat danach im Einzelfall abzuwägen, welche konkrete Schutzmaßnahme zu ergreifen ist. Dabei ist im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens insbesondere zu berücksichtigen , ob es sich um eine Krankheit mit hoher Infektionsfähigkeit handelt und ob mit schweren Krankheitsverläufen zu rechnen ist. Je bedrohlicher die Gefahrenlage ist, umso eher wird die Behörde berechtigt sein, Personen oder Personengruppen in ihrer freien Wahl des Aufenthaltsortes zu beschränken. Dass dies möglich ist, ergibt sich insbesondere aus § 28 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Satz 2 Halbs. 2 IfSG. Wer als zuständige Behörde die Maßnahmen nach § 28 IfSG zu treffen hat, bestimmt § 54 IfSG: "Die Landesregierungen bestimmen durch Rechtsverordnung die zuständigen Behörden im Sinne dieses Gesetzes, soweit eine landesrechtliche Regelung nicht besteht. Sie können ferner darin bestimmen , dass nach diesem Gesetz der obersten Landesgesundheitsbehörde oder der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde zugewiesene Aufgaben ganz oder im Einzelnen von einer diesen jeweils nachgeordneten Landesbehörde wahrgenommen werden und dass auf die Wahrnehmung von Zustimmungsvorbehalten der obersten Landesbehörden nach diesem Gesetz verzichtet wird." So sind z. B. in NRW nach § 3 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz - ZVO-IfSG -5, die Städte und Gemeinden zuständige Behörden im Sinne des § 28 IfSG. *** 3 BVerwG, Urteil vom 22. März 2012, AZ: 3 C 16/11, Rn. 26. 4 BVerwG, Urteil vom 22. März 2012, AZ: 3 C 16/11, Rn. 24 unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 8/2468, S. 27 zur Vorgängerreglung in § 34 Bundesseuchengesetz. 5 Verordnung vom 28. November 2000 (GV. NRW. S. 701) , zuletzt geändert durch Art. 3 der Verordnung vom 21. Januar 2017 (GV. NRW. S. 219).