© 2020 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 009/20 Das Infektionsschutzgesetz als Rechtsgrundlage für die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 009/20 Seite 2 Das Infektionsschutzgesetz als Rechtsgrundlage für die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 009/20 Abschluss der Arbeit: 12. März 2020 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 009/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz 4 2.1. Ermittlungsmaßnahmen nach § 25 Infektionsschutzgesetz 5 2.2. Schutzmaßnahmen nach § 28 Infektionsschutzgesetz 6 2.3. Beobachtung nach § 29 Infektionsschutzgesetz 9 2.4. Quarantäne nach § 30 Infektionsschutzgesetz 10 2.5. Berufliches Tätigkeitsverbot nach § 31 IfSG 12 2.6. Erlass von Rechtsverordnungen 12 3. Zuständigkeit 12 4. Straf- und Bußgeldvorschriften 13 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 009/20 Seite 4 1. Einleitung Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 breitet sich derzeit in Europa und insbesondere auch in Deutschland weiter aus. Per Eilverordnung hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) eine Meldepflicht über das neue Coronavirus erlassen, die ab dem 1. Februar 2020 gilt.1 Das bundesweit gültige Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG)2 nennt im Fünften Abschnitt (§§ 24 bis 32) verschiedene Maßnahmen, die der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten und damit auch der durch das Coronavirus verursachten Infektion Covid-19 dienen. Der vorliegende Sachstand führt auftragsgemäß die entscheidenden Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarerer Krankheiten nach dem IfSG einschließlich der damit einhergehenden Einschränkung der Grundrechte sowie die Zuständigkeit für diese Maßnahmen auf. 2. Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz Zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten werden die zuständigen Behörden ermächtigt, eine Reihe von Maßnahmen zu ergreifen, die im Folgenden erläutert werden. Dazu gehört es, Ermittlungen durchzuführen (§ 25 IfSG), alle notwendigen Schutzmaßnahmen anzuwenden (§ 28 IfSG) sowie Beobachtungen (§ 29 IfSG), Quarantäne (§ 30) oder ein berufliches Tätigkeitsverbot anzuordnen (§ 31). Bei allen Maßnahmen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten , d. h. die Maßnahmen müssen geeignet, erforderlich und angemessen sein.3 Vorangestellt ist den Maßnahmen die Bestimmung in § 24 Satz 1 IfSG, wonach die Feststellung und Behandlung der vom IfSG erfassten Krankheiten – von wenigen Ausnahmen nach Satz 2 abgesehen – ausschließlich Ärzten obliegt.4 Allerdings darf eine Behandlung der Krankheit selbst nicht gegen den Willen des Betroffenen erfolgen. Dies ist in § 28 Absatz 1 Satz 3 IfSG ausdrücklich untersagt, da eine Zwangsbehandlung erheblich in das Recht auf körperliche Unversehrtheit 1 Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und § 7 Absatz 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes auf Infektionen mit dem erstmals im Dezember 2019 in Wuhan/Volksrepublik China aufgetretenen neuartigen Coronavirus ("2019-nCoV") vom 30. Januar 2020 (BAnz AT 31.01.2020 V1). 2 Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 10. Februar 2020 (BGBl. I S. 148) geändert worden ist. 3 Von Steinau-Steinrück, Sandra, Die staatliche Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten, 2013, S. 195. 4 Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) wird in § 24 Satz 3 IfSG ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates festzulegen, dass der Arztvorbehalt auch nicht für die Anwendung von Invitro -Diagnostika gilt, die für patientennahe Schnelltests bei Testung auf weitere Krankheiten oder Krankheitserreger verwendet werden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 009/20 Seite 5 nach Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG)5 eingreifen würde.6 2.1. Ermittlungsmaßnahmen nach § 25 Infektionsschutzgesetz Vor der Anordnung von Maßnahmen zur Bekämpfung einer Infektionskrankheit muss das Gesundheitsamt regelmäßig Ermittlungen nach § 25 IfSG anstellen, um die Annahme eines Krankheits - oder Ansteckungsverdachts abzusichern.7 Die erforderlichen Ermittlungen, insbesondere über Art, Ursache, Ansteckungsquelle und Ausbreitung der Krankheit werden angestellt, sofern sich ergibt oder anzunehmen ist, dass jemand krank, krankheitsverdächtig, ansteckungsverdächtig oder Ausscheider ist (§ 25 Absatz 1 Satz 1 IfSG). Es genügt damit die Annahme eines Ansteckungsverdachts , wobei § 2 Nummer 7 IfSG den Begriff Ansteckungsverdächtiger als eine Person definiert, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein.8 Diese niedrig gehaltenen Anforderungen sollen ein frühzeitiges Ergreifen von Maßnahmen ermöglichen.9 Die Abätze 2 bis 4 des § 25 IfSG regeln die Rechte des Gesundheitsamtes bei der Durchführung der notwendigen Ermittlungen wie Untersuchungen, Recht auf Auskunft und Betretungsrecht. Nach § 25 Absatz 2 Satz 1 i. V. m. § 16 Absatz 2 Satz 1 IfSG darf das Gesundheitsamt Grundstücke , Räume, Anlagen, Einrichtungen und Verkehrsmittel betreten, Bücher und sonstige Unterlagen einsehen, sonstige Gegenstände untersuchen oder Proben zur Untersuchung fordern und entnehmen . Dafür muss der Betroffene nach § 25 Absatz 2 Satz 1 i. V. m. § 16 Absatz 2 Satz 2 IfSG den Zugang ermöglichen. Auch eine dritte Person, insbesondere der behandelnde Arzt, kann in Bezug auf die Art, Ursache, Ansteckungsquelle und Ausbreitung der Krankheit befragt werden. 5 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1546) geändert worden ist. 6 Siehe Gesetzesbegründung zum Bundes-Seuchengesetz als Vorgängergesetz zum IfSG, Gesetzentwurf der Bundesregierung , Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, Bundestags-Drucksache 8/2468 vom 15. Januar 1979, S. 28. 7 Siehe Gesetzesbegründung zum Bundes-Seuchengesetz als Vorgängergesetz zum IfSG, Gesetzentwurf der Bundesregierung , Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, Bundestags-Drucksache 8/2468 vom 15. Januar 1979, S. 26; von Steinau-Steinrück, Sandra, Die staatliche Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten, 2013, S. 197. 8 § 2 Nummer 4 bis 6 IfSG enthält Begriffsbestimmungen zu Kranken, Krankheitsverdächtige und Ausscheidern. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 22. März 2012 - 3 C 16/11 ist eine Person ansteckungsverdächtig i. S. d. § 2 Nummer 7 IfSG, "wenn der Betroffene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt zu einer infizierten Person oder einem infizierten Gegenstand hatte. Die Vermutung, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, muss naheliegen. Eine bloß entfernte Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Demzufolge ist die Feststellung eines Ansteckungsverdachts nicht schon gerechtfertigt, wenn die Aufnahme von Krankheitserregern nicht auszuschließen ist (anders die abweichende Formulierung in § 1 Abs. 2 Nr. 7 des Tierseuchengesetzes - TierSG - zur Legaldefinition des ansteckungsverdächtigen Tieres). Andererseits ist auch nicht zu verlangen, dass sich die Annahme 'geradezu aufdrängt'. Erforderlich und ausreichend ist, dass die Annahme, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher ist als das Gegenteil." 9 Von Steinau-Steinrück, Sandra, Die staatliche Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten, 2013, S. 197. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 009/20 Seite 6 Voraussetzung ist allerdings, dass dies im Hinblick auf eine bedrohliche übertragbare Krankheit erforderlich ist und die Mitwirkung des Betroffenen nicht rechtzeitig möglich ist (§ 25 Absatz 2 Satz 2 IfSG). Der behandelnde Arzt hat nach § 26 IfSG bei einer Untersuchung ein Anwesenheitsrecht , sofern der Betroffene zustimmt. § 25 Absatz 4 IfSG erlaubt die Durchführung einer Obduktion als Ermittlungsuntersuchung mit dem Ziel, diejenigen Erkenntnisse zu gewinnen, die notwendig sind, um über erforderliche Schutzmaßnahmen entscheiden zu können.10 Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) äußerte sich in einem Urteil aus dem Jahr 2012 im Zusammenhang mit einem Schulbetretungsverbot zu den Ermittlungen folgendermaßen: „Die Behörde entscheidet über Art und Umfang der Ermittlungen […]. Die gebotene Ermittlungstiefe zu möglichen Kontakten des Betroffenen mit infizierten Personen oder Gegenständen wird insbesondere durch die Eigenheiten der Krankheit, namentlich die Ansteckungsfähigkeit des Krankheitserregers , sowie durch die epidemiologischen Erkenntnisse vorgegeben. Die Ermittlungen können danach von Fall zu Fall mehr oder weniger intensiv ausfallen.“11 Nach § 25 Absatz 5 IfSG werden die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG), der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des GG) insoweit eingeschränkt. Rechtsbehelfe gegen die auf Grundlage des § 25 IfSG getroffenen Maßnahmen entfalten nach § 25 Absatz 2 Satz 1 i. V. m. § 16 Absatz 8 IfSG keine aufschiebende Wirkung. Die Maßnahmen gelten damit unverzüglich. 2.2. Schutzmaßnahmen nach § 28 Infektionsschutzgesetz Die Reglungen in § 28 Absatz 1 Satz 1, 2 und 4 IfSG haben folgenden Wortlaut: "Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen12 oder Teile davon schließen; sie kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) werden insoweit eingeschränkt." 10 Erdle, Helmut, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 6. Auflage 2018, § 25 Rn. 7. 11 BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16/11, in: BVerwGE 142, 205-219 (juris Rn. 34). 12 § 33 IfSG regelt, dass Gemeinschaftseinrichtungen Einrichtungen sind, in denen überwiegend minderjährige Personen betreut werden (z. B. Kindertageseinrichtungen und Kinderhorte, Schulen, Heime und Ferienlager). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 009/20 Seite 7 Die Vorschrift des § 28 Absatz 1 Satz 1 IfSG ist vom Gesetzgeber als Generalklausel ausgestaltet worden.13 Daneben wird insbesondere auf die Maßnahmen nach den §§ 29 bis 31 IFSG verwiesen , wobei dieser Verweis nicht abschließend gemeint ist.14 Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen – das „Wie“ des Eingreifens – ist der Behörde vielmehr Ermessen eingeräumt .15 Dem liegt, so das BVerwG in seinem Urteil aus dem Jahr 2012, die Erwägung zugrunde, „dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. […] Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um ‚notwendige Schutzmaßnahmen‘ handeln muss, also um Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt.“16 Die zuständige Behörde hat danach im Einzelfall abzuwägen, welche konkrete Schutzmaßnahme zu ergreifen ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers und der sich darauf beziehenden Entscheidung des BVerwG begrenzt die Vorschrift des § 28 IfSG Absatz 1 Satz 1 IfSG den Handlungsrahmen der Behörde nicht darauf, dass allein Schutzmaßnahmen gegenüber Personen, die als Kranke, Krankheitsverdächtige , Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt worden sind, möglich sind. Vielmehr gehe aus § 28 Absatz 1 Satz 2 Halbsatz 1 IfSG hervor, dass Schutzmaßnahmen auch gegenüber der Allgemeinheit getroffen werden könnten. Nach § 28 Absatz 1 Satz 2 Halbsatz 2 IfSG könnten schließlich „(sonstige) Dritte („Nichtstörer“) Adressat von Maßnahmen sein, beispielsweise um sie vor Ansteckung zu schützen.“17 13 Gerhardt, Jens, IfSG Kommentar, 3. Auflage 2020, § 28 Rn. 1; Mers, Jutta, Infektionsschutz im liberalen Rechtsstaat , 2019, S. 39; von Steinau-Steinrück, Sandra, Die staatliche Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten , 2013, S. 200. 14 Gerhardt, Jens, IfSG Kommentar, 3. Auflage 2020, § 28 Rn. 10; von Steinau-Steinrück, Sandra, Die staatliche Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten, 2013, S. 200. 15 Gerhardt, Jens, IfSG Kommentar, 3. Auflage 2020, § 28 Rn. 8; Mers, Jutta, Infektionsschutz im liberalen Rechtsstaat , 2019, S. 192; Klafki, Anika, Risiko und Recht, 2017, S. 309; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften (Seuchenrechtsneuordnungsgesetz – SeuchR- NeuG), Bundestags-Drucksache 14/2530 vom 19. Januar 2000, S. 74. 16 BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16/11, in: BVerwGE 142, 205-219 (juris Rn. 24) unter Hinweis auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes , Bundestags-Drucksache 8/2468 vom 15. Januar 1979, S. 27. § 34 war die Vorgängerreglung von § 28 IfSG; Gerhardt, Jens, IfSG Kommentar, 3. Auflage 2020, § 28 Rn. 8. 17 BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16/11, in: BVerwGE 142, 205-219 (juris Rn. 26); so auch von Steinau- Steinrück, Sandra, Die staatliche Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten S. 200; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, Bundestags- Drucksache 8/2468 vom 15. Januar 1979, S. 27: „Die Maßnahmen können vor allem nicht nur gegen […] gegen Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige usw. in Betracht kommen, sondern auch gegenüber ‚Nichtstörern‘.“ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 009/20 Seite 8 Eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Absatz Satz 1 IfSG kann auch die vorübergehende Stilllegung eines Flugzeugs oder eines Passagierschiffes sowie ein Schulbetretungsverbot sein.18 Aus den speziellen Vorschriften für Schulen und sonstige Gemeinschaftseinrichtungen in den §§ 33 ff. IfSG19 ergeben sich zu einem Schulbetretungsverbot keine Beschränkungen. Die Regelungen in den §§ 33 ff. IfSG sind insoweit nicht abschließend.20 Neben der Generalklausel enthält § 28 Absatz 1 IfSG in Satz 2 auch weitere Ermächtigungsgrundlagen für konkrete Maßnahmen gegenüber Veranstaltungen oder sonstigen Zusammenkünften von Menschen, gegenüber Badeanstalten oder Gemeinschaftsreinrichtungen wie eine Schulschließung 21 sowie gegenüber Personen, einen Ort nicht zu verlassen oder nicht zu betreten. Eine größere Anzahl von Menschen wird bei mindestens sieben Personen angenommen. Je leichter übertragbar und je gefährlicher die Erkrankung sei, desto kleiner könne die Anzahl der Personen sein.22 Rechtsbehelfe gegen die auf Grundlage des § 28 IfSG getroffenen Maßnahmen entfalten nach § 28 Absatz 3 i. V. m. § 16 Absatz 8 IfSG keine aufschiebende Wirkung. Die Maßnahmen gelten damit unverzüglich. In der Literatur wird die Verfassungsmäßigkeit der Generalklausel in § 28 Absatz 1 Satz 1 IfSG vereinzelt hinterfragt. Der Begriff der notwendigen Schutzmaßnahmen genüge nicht den Anforderungen des Grundsatzes der Normenklarheit und Normenbestimmtheit, der aus dem in Artikel 20 Absatz 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip abgeleitet wird. Dies folge daraus, dass kaum Rechtsprechung zur Thematik vorhanden sei und eine Beschränkung der Maßnahmen auf der Grundlage der Generalklausel nicht durch eine Auslegung23 denkbar sei, mit der Folge, dass die konkreten Entscheidungen im alleinigen Ermessen der Behörde lägen. Eine gerichtliche Kontrolle 18 Zur Stilllegung eines Flugzeug oder Schiffs: Erdle, Helmut, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 6. Auflage 2018, § 28 Rn. 1. Zum Schulbetretungsverbot: BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16/11, in: BVerwGE 142, 205-219 (juris Rn. 27). 19 Der Gesetzgeber hat in § 34 Absatz 1 i. V. m. Satz 2 IfSG ein Schulbetretungsverbot für an dort genannte Infektionskrankheiten erkrankte Schüler geschaffen. 20 BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16/11, in: BVerwGE 142, 205-219 (juris Rn. 27). 21 Zur Schulschließung: vgl. Robert Koch-Institut, Infektionsschutz und Infektionsepidemiologie Fachwörter – Definitionen – Interpretationen, 2015, S. 92 Mitigation, S. 120 Sperrmaßnahmen, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/Service/Publikationen/Fachwoerterbuch_Infektionsschutz.pdf?__blob=publication File (dieser sowie alle weiteren Links wurden zuletzt abgerufen am 12. März 2020) sowie Vollzug der §§ 33 bis 36 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) in Schulen - Bayern - (AllMBl Nr. 10 vom 29.07.2002 S. 535), Ziffer 9, abrufbar unter https://www.gesetze-bayern.de/Content /Document/BayVwV96841?AspxAutoDetectCookieSupport=1: „Schulschließungen oder die Schließung einzelner Klassen können erforderlichenfalls nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG angeordnet werden. Dabei ist von der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde (§ 1 AVItSG) sorgfältig zu prüfen, ob der Gefahr der Weiterverbreitung der übertragbaren Krankheit nicht auf andere, weniger einschneidende Weise begegnet werden kann.“ 22 Gerhardt, Jens, IfSG Kommentar, 3. Auflage 2020, § 28 Rn. 12. 23 Mers geht in ihrem Beitrag davon aus, dass die historische, systematische und teleologische Auslegung jeweils nicht zur Bestimmtheit der Generalklausel in § 28 Absatz 1 Satz 1 führe: Mers, Jutta, Infektionsschutz im liberalen Rechtsstaat, 2019, S. 195 ff., S. 285 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 009/20 Seite 9 beschränke sich daher auf die Prüfung der Verhältnismäßigkeit, in welcher die Grundrechtspositionen gegeneinander abzuwägen seien.24 2.3. Beobachtung nach § 29 Infektionsschutzgesetz Um einen Krankheitsverlauf überwachen und über das weitere Vorgehen entscheiden zu können 25, regelt § 29 Absatz 1 IfSG, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider einer Beobachtung unterworfen werden können. Die Beobachtung gilt als die mildeste Infektionsschutzmaßnahme des Fünften Abschnitts IfSG.26 Zuständig dafür ist in der Regel das Gesundheitsamt, wie sich aus § 29 Absatz 2 IfSG ergibt. In § 29 Absatz 2 IfSG wird auch die Art und Weise der Ermittlung konkretisiert.27 Wer einer gesundheitsamtlichen Beobachtung unterworfen ist, hat die erforderlichen Untersuchungen durch die Beauftragten des Gesundheitsamtes zu dulden, deren Anordnungen Folge zu leisten, auf Verlangen über alle seinen Gesundheitszustand betreffenden Umstände Auskunft erteilen und einen Wohnortwechsel anzeigen. Der Zutritt zur Wohnung zum Zwecke der Befragung oder der Untersuchung muss gestattet werden. Überwiegend wird die Beobachtung zusammen mit anderen Maßnahmen wie Verhaltensmaßregeln , Quarantäne oder Berufsverbot angeordnet, um entscheiden zu können, ob die Maßnahmen ausreichen oder angepasst werden müssen.28 Nach § 29 Absatz 2 Satz 5 werden die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG), der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 GG) insoweit eingeschränkt. Die Verfassungsmäßigkeit der in § 29 Absatz 2 Satz 1 Alternative 2 IfSG enthaltenen Anordnungskompetenz des Gesundheitsamtes wird vereinzelt angezweifelt, da – ähnlich der Argumentation zur Thematik der Verfassungsmäßigkeit der Generalklausel in § 28 Absatz 1 Satz 1 IfSG – weder durch Gesetzesmaterialien noch durch Rechtsprechung konkretisiert werden könne, welche Anordnungen im Einzelfall getroffen werden sollten und damit die Regelung nicht bestimmt genug sei.29 24 Mers, Jutta, Infektionsschutz im liberalen Rechtsstaat, 2019, S. 195 ff., S. 285 f. 25 Mers, Jutta, Infektionsschutz im liberalen Rechtsstaat, 2019, S. 218. 26 Erdle, Helmut, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 6. Auflage 2018, § 29; von Steinau-Steinrück, Sandra, Die staatliche Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten, 2013, S. 211. 27 Mers, Jutta, Infektionsschutz im liberalen Rechtsstaat, 2019, S. 195 ff., S. 222. 28 Erdle, Helmut, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 6. Auflage 2018, § 29. 29 Mers, Jutta, Infektionsschutz im liberalen Rechtsstaat, 2019, S. 218 ff. (S. 225), S. 285 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 009/20 Seite 10 2.4. Quarantäne nach § 30 Infektionsschutzgesetz Nach § 30 Absatz 1 Satz 2 IfSG30 kann die zuständige Behörde anordnen, dass bezogen auf eine übertragbare Krankheit Kranke, Krankheitsverdächtige oder Ansteckungsverdächtige in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise abgesondert werden können. Dies gilt für Ausscheider jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen, nicht befolgen können oder nicht befolgen würden und dadurch ihre Umgebung gefährden. Eine Absonderung in sonst geeigneter Weise kann auch in der eigenen Wohnung stattfinden.31 Hierbei geht der Gesetzgeber von der Freiwilligkeit der Betroffenen und damit von ihrer Einsicht in das Notwendige aus.32 Darüber hinaus regelt § 30 Absatz 2 die Zwangsabsonderung: „Kommt der Betroffene den seine Absonderung betreffenden Anordnungen nicht nach oder ist nach seinem bisherigen Verhalten anzunehmen, dass er solchen Anordnungen nicht ausreichend Folge leisten wird, so ist er zwangsweise durch Unterbringung in einem abgeschlossenen Krankenhaus oder einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses abzusondern. Ansteckungsverdächtige und Ausscheider können auch in einer anderen geeigneten abgeschlossenen Einrichtung abgesondert werden. Das Grundrecht der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz) kann insoweit eingeschränkt werden.“ Auch bei einer Zwangsabsonderung ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Es darf keine andere gleich geeignete Schutzmaßnahme zur Verfügung stehen und die Absonderung muss unter Berücksichtigung der Krankheit angemessen sein.33 Insbesondere ist die durch § 28 Absatz 1 IfSG normierte Voraussetzung der Erforderlichkeit zu beachten („ soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung der übertragbaren Krankheit erforderlich ist“).34 Die Anordnung muss daher in zeitlicher Hinsicht so kurz wie möglich gehalten werden.35 Da im Falle der Zwangsabsonderung eine Freiheitsentziehung vorliegt, gilt nach § 30 Absatz 2 Satz 4 IfSG Buch 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)36 entsprechend, so dass die Freiheitsentziehung 30 Nach § 30 Absatz 1 Satz 1 IfSG sind Personen, die an Lungenpest oder an von Mensch zu Mensch übertragbarem hämorrhagischem Fieber erkrankt oder dessen verdächtig sind, unverzüglich abzusondern. 31 Von Steinau-Steinrück, Sandra, Die staatliche Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten, 2013, S. 214. 32 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften (Seuchenrechtsneuordnungsgesetz – SeuchRNeuG), Bundestags-Drucksache 14/2530 vom 19. Januar 2000, S. 75; Gerhardt, Jens, IfSG Kommentar, 3. Auflage 2020, § 30 Rn. 1; von Steinau-Steinrück, Sandra, Die staatliche Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten, 2013, S. 214. 33 Mers, Jutta, Infektionsschutz im liberalen Rechtsstaat, 2019, S. 248 f. 34 Erdle, Helmut, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 6. Auflage 2018, § 30 Rn. 4. 35 Gerhardt, Jens, IfSG Kommentar, 3. Auflage 2020, § 30 Rn. 11. 36 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586, 2587), das zuletzt durch Artikel 9 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2633) geändert worden ist. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 009/20 Seite 11 grundsätzlich vom Amtsgericht auf Antrag der für den Vollzug des IfSG zuständigen Behörde angeordnet werden muss; und zwar im ordentlichen Verfahren nach § 417 FamFG oder im Wege der einstweiligen Verfügung nach § 427 FamFG, wenn ein dringendes Bedürfnis für sofortiges Tätigwerden besteht. In unaufschiebbaren Fällen kann die nach IfSG zuständige Behörde eine vorläufige Untersuchung anordnen, wenn eine gerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann (§ 428 FamFG i. V. m. § 30 Absatz 2 IfSG). Dabei hat die Behörde unverzüglich die richterliche Entscheidung bis zum Ablauf des folgenden Tages herbeizuführen, andernfalls muss der Betroffene entlassen werden (§ 428 Absatz 1 Satz 2 FamFG). Beschränkungen und Verpflichtungen des Abgesonderten sind in § 30 Absatz 3 IfSG enthalten. In § 30 Absatz 3 Satz 3 ff. ist geregelt: „Für ihn eingehende oder von ihm ausgehende Pakete und schriftliche Mitteilungen können in seinem Beisein geöffnet und zurückgehalten werden, soweit dies zur Sicherung des Unterbringungszwecks erforderlich ist. Die bei der Absonderung erhobenen personenbezogenen Daten sowie die über Pakete und schriftliche Mitteilungen gewonnenen Erkenntnisse dürfen nur für Zwecke dieses Gesetzes verarbeitet werden. Postsendungen von Gerichten , Behörden, gesetzlichen Vertretern, Rechtsanwälten, Notaren oder Seelsorgern dürfen weder geöffnet noch zurückgehalten werden; Postsendungen an solche Stellen oder Personen dürfen nur geöffnet und zurückgehalten werden, soweit dies zum Zwecke der Entseuchung notwendig ist. Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz), der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz) und das Grundrecht des Brief- und Postgeheimnisses (Artikel 10 Grundgesetz) werden insoweit eingeschränkt.“ § 30 Absatz 4 IfSG erlaubt dem behandelnden Arzt sowie dem Pflegepersonal freien Zutritt zum Abgesonderten. Seelsorgern und Urkundspersonen ist der Zutritt zu gestatten. Insoweit können Verhaltensregeln vorgegeben werden. Auch anderen Personen kann, je nach Gefahrenlage im Einzelfall , Zutritt gestattet werden. Die Quarantänemaßnahme gilt als einschneidendste Maßnahme bei der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten.37 In der Literatur werden teilweise Bedenken gegen die formelle Verfassungsmäßigkeit des § 30 IfSG geäußert. Bereits die Anordnung nach § 30 Absatz 1 IfSG und nicht erst die Zwangsabsonderung nach § 30 Absatz 2 IfSG stelle eine Verkürzung des Schutzbereichs der Freiheit der Person dar, da die Zuwiderhandlung nach § 30 Absatz 1 mit Strafe bedroht sei (§ 75 Absatz 1 Nummer 1 IfSG) und somit eine psychische Zwangswirkung bestehe. Deshalb liege ein Verstoß gegen das Zitiergebot nach Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 GG vor, da das Gesetz in § 30 Absatz 1 IfSG das eingeschränkte Grundrecht der Freiheit der Person nicht zitiere. In der Folge seien auch Maßnahmen nach § 30 Absatz 2 und 3 IfSG nicht denkbar, da diese eine wirksame Quarantäneanordnung voraussetzten. Zudem werde dem Abgesonderten mit § 30 Absatz 3 Satz 1 IfSG die Duldung sämtlicher Maßnahmen auferlegt, „die der Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Betriebs der Einrichtung oder der Sicherung des Unterbringungszwecks dienen“. Die weit gefasste Formulierung genüge nicht dem Bestimmtheitsgebot bei der Einschränkung von Grundrechten , da unklar bleibe, welche – neben den ausdrücklich genannten – Eingriffsmaßnahmen möglich seien und diesbezüglich auch kaum Rechtsprechung vorhanden sei.38 Weiterhin wird 37 Mers, Jutta, Infektionsschutz im liberalen Rechtsstaat, 2019, S. 253; von Steinau-Steinrück, Sandra, Die staatliche Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten, 2013, S. 216. 38 Mers, Jutta, Infektionsschutz im liberalen Rechtsstaat, 2019, S. 241 ff., 285; von Steinau-Steinrück, Sandra, Die staatliche Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten, 2013, S. 217. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 009/20 Seite 12 vereinzelt auch § 30 Absatz 3 Satz 3 IfSG als nicht verfassungsgemäß betrachtet, da die Einschränkungen zum Teil unverhältnismäßig seien. Beispielsweise sei die Kontrolle der ausgehenden Post nicht erforderlich und damit nicht zu rechtfertigen.39 2.5. Berufliches Tätigkeitsverbot nach § 31 IfSG § 31 IfSG, der nicht auf eine bestimmte Berufsgruppe zugeschnitten ist, sondern alle Berufsgruppen umfasst,40 lautet: „Die zuständige Behörde kann Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten ganz oder teilweise untersagen. Satz 1 gilt auch für sonstige Personen, die Krankheitserreger so in oder an sich tragen, dass im Einzelfall die Gefahr einer Weiterverbreitung besteht.“ Auch bei einem solchen Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. So ist zu prüfen, ob die Gefahr der Weiterverbreitung der Krankheit durch einen geringeren Eingriff wie etwa durch Verhaltensmaßregeln begrenzt werden kann.41 Daneben ist als weitere Maßnahme regelmäßig die Beobachtung nach § 29 IfSG erforderlich , um bei Bedarf das Tätigkeitsverbot zu lockern oder aufzuheben.42 Für den aus dem Tätigkeitsverbot folgenden Verdienstausfall kann eine Entschädigung nach § 56 Absatz 1 IfSG in Betracht kommen. 2.6. Erlass von Rechtsverordnungen In § 32 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, im Verordnungswege weitere Gebote und Verbote zu erlassen, um die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten bewerkstelligen zu können. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG), der Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 GG), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 GG), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 GG) und des Brief- und Postgeheimnisses (Artikel 10 GG) können nach § 32 Satz 3 IfSG insoweit eingeschränkt werden. 3. Zuständigkeit Wer als zuständige Behörde die Maßnahmen nach den §§ 28, 30 und 31 IfSG zu treffen hat, bestimmt § 54 IfSG: "Die Landesregierungen bestimmen durch Rechtsverordnung die zuständigen 39 Mers, Jutta, Infektionsschutz im liberalen Rechtsstaat, 2019, S. 231 ff, S. 287 zu § 30 Absatz 3 Satze 3 IfSG: „Entsprechend dieser Regelung dürfen ausgehende Pakete und schriftliche Mitteilungen nicht nur zu Zwecken der Entseuchung geöffnet und zurückgehalten werden, sondern auch um zu verhindern, dass die Betroffenen Ausbruchswerkzeug anfordern […]. Da auch die eingehende Post der Betroffenen kontrolliert wird und somit an dieser Stelle etwaiges zugesandtes Ausbruchswerkzeug abgefangen werden könnte, ist nicht ersichtlich, inwiefern die Kontrolle der ausgehenden Post einen darüber hinausgehenden Mehrwert bietet.“ 40 Mers, Jutta, Infektionsschutz im liberalen Rechtsstaat, 2019, S. 253. Dagegen beinhalten die §§ 34 Absatz 1 Satz 1 und 42 Absatz 1 IfSG gesetzliche Tätigkeitsverbote für bestimmte Berufsgruppen. 41 Erdle, Helmut, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 6. Auflage 2018, §31. 42 Erdle, Helmut, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 6. Auflage 2018, §§ 29 und § 31. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 009/20 Seite 13 Behörden im Sinne dieses Gesetzes, soweit eine landesrechtliche Regelung nicht besteht. Sie können ferner darin bestimmen, dass nach diesem Gesetz der obersten Landesgesundheitsbehörde oder der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde zugewiesene Aufgaben ganz oder im Einzelnen von einer diesen jeweils nachgeordneten Landesbehörde wahrgenommen werden und dass auf die Wahrnehmung von Zustimmungsvorbehalten der obersten Landesbehörden nach diesem Gesetz verzichtet wird." So sind z. B. in Nordrhein-Westfalen (NRW) nach § 3 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz (ZVO-IfSG)43 die Städte und Gemeinden zuständige Behörden im Sinne des § 28, 30 und 31 IfSG. Aktuell hat das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales auf der Grundlage des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden - Ordnungsbehördengesetz (OBG)44 i. V. m. dem IfSG an Städte und Gemeinden eine Weisung erlassen, wonach Großveranstaltungen mit mehr als 1.000 Personen abzusagen sind.45 4. Straf- und Bußgeldvorschriften § 73 IfSG sieht Bußgelder vor, die §§ 74 und 75 IfSG regeln Strafvorschriften. So ist beispielsweise eine Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung nach § 28 Absatz 1 Satz 1 IfSG gemäß § 73 Absatz 1a Nummer 6 IfSG bußgeldbewehrt und eine Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung im Hinblick auf ein berufliches Tätigkeitsverbot nach § 30 Absatz 1 IfSG strafbewehrt (§ 75 Absatz 1 Nummer 1 IfSG). *** 43 Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz - ZVO-IfSG - vom 28. November 2000, zuletzt geändert durch Art. 3 der Verordnung vom 21. Januar 2017, GV. NRW. S. 219, abrufbar unter: https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_text?anw_nr=2&gld_nr=2&ugl_nr=2126&bes_id=4927&aufgehoben =N&menu=1&sg=0#FN1. 44 Gesetz über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden - Ordnungsbehördengesetz (OBG) - in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 1980, zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Dezember 2019, GV. NRW. S. 995; abrufbar unter: https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_text?sg=0&menu=1&bes_id=4245&aufgehoben =N&anw_nr=2#FV. 45 Erlass des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales zur Durchführung von Großveranstaltungen ab dem 10. März 2020, abrufbar unter: https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/document/200310_erlass _grossveranstaltungen.pdf. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW hat als oberste Landesgesundheitsbehörde die Fachaufsicht über die in den Städten und Gemeinden angesiedelten Gesundheitsämter hinsichtlich des Infektionsschutzes. Zur Thematik siehe Leidel/Feil, Strukturen und Konzepte für ein überregionales Ausbruchsmanagement im föderalen Staat, in: Bundesgesundheitsblatt 2013 56: S. 95 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 009/20 Seite 14