© 2019 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 007/19 Reformvorschläge zur Bündelung familienpolitischer Leistungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 007/19 Seite 2 Reformvorschläge zur Bündelung familienpolitischer Leistungen Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 007/19 Abschluss der Arbeit: 4. März 2019 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 007/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Kindergrundsicherung 5 2.1. Konzept 6 2.2. Argumente für eine Kindergrundsicherung 8 2.3. Argumente gegen eine Kindergrundsicherung 9 3. Kinderchancengeld 12 4. Teilhabegeld 13 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 007/19 Seite 4 1. Vorbemerkung Familien mit Kindern sind einem besonderen Armutsrisiko ausgesetzt.1 Familienbezogene Leistungen spielen daher eine wichtige Rolle zur wirtschaftlichen Absicherung von Familien, die mit kleinem Einkommen oder in verdeckter Armut leben. Seit Jahren wird deshalb überlegt, wie die staatlichen Leistungen für Kinder und Familien verbessert und wie vor allem auch Hindernisse der Inanspruchnahme abgebaut werden können. Anfang Februar hat die Bundesregierung den „Entwurf eines Gesetzes zur zielgenauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbesserung der Leistungen für Bildung und Teilhabe (Starke-Familien-Gesetz)“ 2 in den Bundestag eingebracht, der am 14. Februar 2019 in erster Lesung beraten und federführend an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen wurde.3 Er sieht vor, den Kinderzuschlag zu erhöhen und die Beantragung familienpolitischer Leistungen zu entbürokratisieren. 4 Derzeit gibt es in Deutschland rund 150 verschiedene familien- und ehebezogene Maßnahmen, darunter steuerrechtliche Maßnahmen, Geldleistungen, familienbezogene Leistungen innerhalb der Sozialversicherungen und Realtransfers.5 Diese Leistungen wurden von 2009 bis 2014 im 1 Vgl. Lebenslagen in Deutschland – Fünfter Armuts- und Reichtumsbericht, Unterrichtung durch die Bundessregierung , BT-Drs. 18/11980 vom 13.4.2017; Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband (Hg.), Wer die Armen sind, Der Paritätische Armutsbericht 2018, abrufbar unter: https://www.der-paritaetische .de/fileadmin/user_upload/Schwerpunkte/Armutsbericht/doc/2018_armutsbericht.pdf ; Seils, Eric, und Jutta Höhne, III. WSI-Kinderarmutsbericht: Kinderarmut und Flüchtlingskrise, hg. vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, April 2017, abrufbar unter: https://www.boeckler .de/pdf/wsi_vm_kinderarmut_2015.pdf. 2 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur zielgenauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbesserung der Leistungen für Bildung und Teilhabe (Starke-Familien-Gesetz – StaFamG) vom 10. Januar 2019 (BT-Drs. 19/7504). 3 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/80, Stenografischer Bericht, 80. Sitzung, 14. Februar 2019, S. 9280. 4 Zu Ziel, Voraussetzungen und der Beantragung des Kinderzuschlags vgl.: Kurzinformation der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Leistungen für Kinder aus sozial benachteiligten Familien, 13. Mai 2016, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/blob/428748/e7469856269c3d7a39430e5e1c32cb0b/wd-9-032- 16-pdf-data.pdf. 5 Vgl. den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Überblick über familienpolitische Leistungen in Deutschland, WD 9 – 3000 – 041/16, 12. Juli 2016, abrufbar unter: https://www.bundestag .de/blob/437652/cc47b15d87230150d533b1b997d76fe3/wd-9-041-16--pdf-data.pdf sowie den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Familienpolitische Leistungen für Alleinerziehende, WD 9 – 3000 – 003/18, 29. Januar 2018, abrufbar unter: https://www.bundestag .de/blob/546730/b0a337fa0443ea3eb8580fa6ca2cda5d/wd-9-003-18-pdf-data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 007/19 Seite 5 Auftrag der Bundesregierung im Rahmen einer Gesamtevaluation auf ihre Wirksamkeit und Effizienz hin untersucht.6 Die Studie, die zahlreiche Erkenntnisse über die untersuchten Einzelleistungen zusammengetragen hat, versteht sich als Grundlage zur politischen Weiterentwicklung des Systems staatlicher Hilfen für Familien.7 Trotz der Veränderungen, die seitdem auf den Weg gebracht worden sind – wie etwa das Elterngeld plus – wird immer wieder diskutiert, ob nicht zur Bekämpfung der Kinderarmut auch eine grundlegende Reform des Systems notwendig ist. 8 Inzwischen sind mehrere Modelle zur Zusammenfassung und Vereinfachung verschiedener Leistungen vorgestellt worden, darunter die „Kindergrundsicherung“, das „Kinderchancengeld“ und das „Teilhabegeld“, die hier vorgestellt werden sollen. Dem Schwerpunkt der Debatte entsprechend steht dabei das Für und Wider einer Kindergrundsicherung im Vordergrund. 2. Kindergrundsicherung Der Reformvorschlag einer Kindergrundsicherung wird bereits seit einigen Jahren diskutiert.9 Unterstützt wird er vom „Bündnis Kindergrundsicherung“10, einem Zusammenschluss mehrerer So- 6 Prognos AG, Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen und Leistungen in Deutschland, Endbericht, 2. Juni 2014, Zusammenfassung und Schlussfolgerungen auf s.S. 371-399, abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/blob/93954/25490622c47497e47acbcfa797748cfb/gesamtevaluation-der-ehe-und-familienbezogenen -massnahmen-und-leistungen-data.pdf; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Konsequenzen aus der Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen nach Vorlage des Abschlussberichtes im August 2014, 23. Januar 2015 (BT-Drs. 18/3823), abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/038/1803823.pdf. 7 Prognos AG, Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen und Leistungen in Deutschland, Endbericht, 2. Juni 2014, S. 371ff. 8 Einen Überblick über die Haltung der Parteien zum System der familienpolitischen Leistungen im Rahmen der Bundestagswahl 2017 findet sich bei: Familienbund der Katholiken, Positionen des Familienbundes und der Parteien zur Bundestagswahl 2017 – eine Synopse, in: Stimme der Familie 2017, 4, S. 12 (12 ff.). 9 Vgl. Becker, Kindergrundsicherung gegen Familienarmut – ein Reformansatz im Kontext gesellschaftspolitischer Ziele, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 2018, 4, S. 20 (24 f.). 10 Bündnis Kindergrundsicherung, Unser Vorschlag für eine Kindergrundsicherung, abrufbar unter: http://www.kinderarmut-hat-folgen.de/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 007/19 Seite 6 zialverbände und Institutionen – darunter der Paritätische Gesamtverband und das Deutsche Kinderhilfswerk – sowie den Parteien SPD11, Bündnis90/Die Grünen12 und Die Linke13. Im Dezember 2018 hat die Arbeits- und Sozialministerkonferenz beschlossen, selbst einen Vorschlag zur Kindergrundsicherung zu entwickeln..14 Bei durchaus unterschiedlichen Ausprägungen des Konzepts für eine Kindergrundsicherung basiert die folgende Darstellung im wesentlichen auf den Vorstellungen des Bündnisses Kindergrundsicherung. 2.1. Konzept Hauptmerkmal des Konzepts Kindergrundsicherung ist die Bündelung der Leistungen Kindergeld 15, Kinderzuschlag16, Unterhaltsvorschuss17 und der kindesbezogenen Sozialleistungen. Daneben sollen Leistungen für Sonder- und Mehrbedarfe gesondert beantragungsfähig bleiben. Jedes 11 Die Kindergrundsicherung ist Teil des Reformkonzepts der SPD, Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit, ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit, Teil I: Arbeit, 2019, S. 10 ff., abrufbar unter: https://www.spd.de/fileadmin /Bilder/SPDerneuern/201902_PV-Klausur/20190210_Neuer_Sozialstaat.pdf. 12 Die Partei fordert ein System der Kindergrundsicherung, die „automatisch und ohne kompliziertes Antragsverfahren ausgezahlt werden [muss]: in Form eines garantierten Betrags für alle Kinder sowie eines variablen Betrags , der sicherstellt, dass alle Kinder bekommen, was sie zum Leben brauchen. Je niedriger das Einkommen ist, desto höher der variable Betrag, damit zuverlässig der Mindestbedarf jedes Kindes gedeckt ist.“, siehe dazu Familien stärken - Kinder aus der Armut holen, 24. September 2018, abrufbar unter: https://www.gruene-bundestag .de/familie/familien-staerken-kinder-aus-der-armut-holen.html. 13 Die Linke, Kinderarmut – Themenpapiere der Fraktion, abrufbar unter: https://www.linksfraktion.de/themen/az /detailansicht/kinderarmut/. Siehe hierzu auch etwa: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss), Kinder und Familien von Armut befreien – Aktionsplan gegen Kinderarmut, 19. Mai 2017 (BT-Drs. 18/12454). 14 Vgl. Externes Ergebnisprotokoll der 95. Konferenz der Minister und Ministerinnen, Senatoren und Senatorinnen für Arbeit und Soziales der Länder, 2018, S. 32, abrufbar unter: https://asmkintern.rlp.de/fileadmin/asmkintern /Beschluesse/Beschluesse_95_ASMK_Extern/Externes_Ergebnisprotokoll_ASMK_2018.pdf. 15 §§ 62 ff. Einkommenssteuergesetz (EStG), in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 2009 (BGBl. I S. 3366, 3862), zuletzt geändert durch Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes vom 19. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2672); § 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG), in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Januar 2009 (BGBl. I S. 142, 3177), zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 29. November 2018 (BGBl. I S. 2210). 16 Kinderzuschlag, § 6a BKGG. 17 § 1 Unterhaltsvorschussgesetz, in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Juli 2007 (BGBl. I S. 1446), zuletzt geändert durch Art. 23 des Gesetzes vom 14. August 2017 (BGBl. I S. 3122). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 007/19 Seite 7 Kind soll zukünftig mit einer Grundsicherung in Höhe von 628 Euro18 monatlich abgesichert werden ; mit diesem pauschalen Betrag soll das soziokulturelle Existenzminimum19 von Kindern gedeckelt werden. Der Betrag der Grundsicherung für Kinder soll entsprechend der Inflationsrate angepasst werden. Zur Berechnung der Leistungen wird das steuerliche Existenzminimum, bestehend aus Kinderfreibetrag und Freibetrag für Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf , herangezogen. Insbesondere soll das Existenzminimum auch den Bedarf für Bildung und Teilhabe erfassen, im Zuge dessen dieser realitäts- und bedarfsgerecht zu ermitteln sei.20 Darüber hinaus soll die Kindergrundsicherung mit dem Grenzsteuersatz der Eltern versteuert werden, ohne dass sie diesen Steuersatz erhöht. Die Kindergrundsicherung wäre damit zwar zu versteuern, stünde jedoch neben dem zu versteuernden Einkommen der Eltern. Bei Arbeitslosigkeit der Eltern bliebe auf diese Weise der volle Betrag erhalten, das Existenzminimum des Kindes würde damit vom Staat bezahlt. Im Ergebnis erhalten Kinder und ihre Familien dadurch den Mindestbetrag von ca. 300 Euro, der in etwa der maximalen Entlastung durch die derzeitigen Kinderfreibeträge entspricht. Je niedriger das Familieneinkommen ist, desto höher fällt dann der Betrag der Kindergrundsicherung aus. Familien ohne oder mit geringem Einkommen erhalten den gesamten Betrag i. H. v. 628 Euro.21 Zur Förderung von Chancengerechtigkeit in Deutschland fordert das Bündnis Kindergrundsicherung neben der Kindergrundsicherung auch die bundesweite Gebührenfreiheit von Leistungen für Bildung, Betreuung und Erziehung. Sobald dies gewährleistet sei, solle – so das Bündnis – der Anteil der Kindergrundsicherung, der dem Freibetrag für die Betreuung und Erziehung oder Ausbildung von derzeit 220 Euro entspricht, entfallen. Schließlich werden auch Investitionen in 18 Der Betrag setzt sich aus 408 Euro des sächlichen Existenzminimums für Kinder für 2019 und dem Freibetrag für die Betreuung und Erziehung oder Ausbildung von derzeit 220 Euro zusammen; vgl. die Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2020 (12. Existenzminimumbericht), 9. November 2018 (BT-Drs. 19/5400), S. 9 f. 19 Das soziokulturelle Existenzminimum eines Kindes setzt sich aus dem sächlichen Existenzminimum und dem darüber hinausgehenden Aufwand zur Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben zusammen. Die Höhe des Existenzminimums wird im alle zwei Jahre von der Bundesregierung vorzulegenden Existenzminimumbericht festgestellt; vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10/12 –, in: BVerfGE 137, S. 34 (72, Rn. 75); BVerfG, Urteil vom 09. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 –, in: BVerf GE 125, S. 175 (223, Rn. 135); vgl. die Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2020 (12. Existenzminimumbericht ), 9. November 2018 (BT-Drs. 19/5400), S. 6 ff. 20 Bündnis Kindergrundsicherung, Konzept Kindergrundsicherung 2019, S. 4, abrufbar unter: http://www.kinderarmut -hat-folgen.de/download/KGS_Broschuere_148x210_2019_Web.pdf. Die Forderung nach einer neuen, sachgerechten Bestimmung des „Entwicklungsbedarfs“ enthält auch das Konzept der SPD, Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit, ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit, Teil I: Arbeit, 2019, S. 12, abrufbar unter: https://www.spd.de/fileadmin/Bilder/SPDerneuern/201902_PV-Klausur/20190210_Neuer_Sozialstaat.pdf. Zum Streit um die Ermittlung des Existenzminimums siehe etwa: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss), 30. November 2016 (BT-Drs. 18/10519). 21 Bündnis Kindergrundsicherung, Konzept Kindergrundsicherung 2019, S. 5, abrufbar unter: http://www.kinderarmut -hat-folgen.de/download/KGS_Broschuere_148x210_2019_Web.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 007/19 Seite 8 den qualitativen und quantitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung, die flächendeckende Präsenz von Ganztagsschulen, eine bedarfsgerechte Infrastruktur für Kinder und Familien zur Teilhabe wie Spielorte, Treffpunkte und beteiligungsorientierte Beratungs- und Bildungsangebote gefordert .22 2.2. Argumente für eine Kindergrundsicherung Die Kindergrundsicherung als Reformkonzept zur Umgestaltung familienpolitischer Leistungen hat den Vorzug, dass es das bisherige System für die betroffenen Familien und Kinder erheblich vereinfachen würde. Eine Vereinigung der bisherigen Kernleistungen unter dem „Dach“ der Kindergrundsicherung würde die Beantragung einzelner Leistungen obsolet machen und damit das System entbürokratisieren. Aufwändige und für die Beantragenden oft belastende Bedürftigkeitsprüfungen entfielen, da die Kindergrundsicherung unabhängig vom Eltern- und Kindesvermögen bemessen werden soll. Eine Einkommensprüfung würde im Zuge der Einkommensbesteuerung erfolgen, da eine gesonderte Vermögensprüfung nicht vorgesehen ist.23 Die Befürworter des Konzepts halten eine solche Vereinfachung für dringend notwendig, da bisher viele potentiell leistungsberechtigte Familien die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets und des Kinderzuschlags überhaupt nicht beantragten. Wenn man diese Familien durch eine Entbürokratisierung der Beantragungsprozesse erreiche, würde das die „verdeckte Armut“ verringern.24 Die Bundesregierung rechnet damit, dass mit dem „Starke-Familien-Gesetz“ die Inanspruchnahme des Kinderzuschlags von rund 30 auf 35 Prozent steigen wird, somit also rund siebzehn Prozent mehr der Leistungsberechtigten zu erreichen seien. 25 22 Bündnis Kindergrundsicherung, Konzept Kindergrundsicherung 2019, S. 5 und 8, abrufbar unter: http://www.kinderarmut-hat-folgen.de/download/KGS_Broschuere_148x210_2019_Web.pdf. So auch das Konzept der SPD, das zwischen den Säulen der „individuelle[n] Grundsicherung“ einerseits und der „infrastrukturelle [n] Förderung“ andererseits unterscheidet, SPD, Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit, ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit, Teil I: Arbeit, 2019, S. 11, abrufbar unter: https://www.spd.de/fileadmin/Bilder/SPDerneuern /201902_PV-Klausur/20190210_Neuer_Sozialstaat.pdf. 23 Becker/Hauser, Kindergrundsicherung, Kindergeld und Kinderzuschlag: Eine vergleichende Analyse aktueller Reformvorschläge, WSI Diskussionspapier Nr. 180, März 2012, S. 26, abrufbar unter: https://www.boeckler .de/pdf/p_wsi_disp_180.pdf. 24 Bündnis Kindergrundsicherung, Konzept Kindergrundsicherung 2019, S. 7, abrufbar unter: http://www.kinderarmut -hat-folgen.de/download/KGS_Broschuere_148x210_2019_Web.pdf. 25 Vgl. den Entwurf eines Gesetzes zur zielgenauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbesserung der Leistungen für Bildung und Teilhabe (Starke-Familien- Gesetz – StaFamG), 1. Februar 2019 (BT-Drs, 19/7504), S. 28 und die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage, 29. Januar 2019 (BT-Drs. 19/7403), S. 1 f.; Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) e.V, Evaluation der bundesweiten Inanspruchnahme und Umsetzung der Leistungen für Bildung und Teilhabe, Kurzfassung mit Empfehlungen, Göttingen, Nürnberg 2016, S. 8, abrufbar unter: https://www.bmas.de/Shared- Docs/Downloads/DE/PDF-Meldungen/2016/evaluation-des-bildungspaketes-kurzbericht.pdf;jsessionid =875100C3BCAEAF57F4330290D3A6426F?__blob=publicationFile&v=1; Blömer/Bonin/Stichnoth, Gutachten , Evaluation von Reformoptionen für eine verbesserte materielle Absicherung von Kindern, Endbericht, Mannheim 2016, S. 14, abrufbar unter: http://ftp.zew.de/pub/zew-docs/gutachten/Reformoptionen_materielle _Absicherung_Kinder_2016.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 007/19 Seite 9 Die Befürworter der Kindergrundsicherung halten dies nicht für ausreichend und fordern als Ziel, einhundert Prozent der Berechtigten zu erreichen und so die Kinderarmut endgültig zu beseitigen ;26 sie sind der Überzeugung, dass nur eine Kindergrundsicherung die Kinderarmut in Deutschland effektiv bekämpfen und verringern könne. Eine Analyse aus dem Jahr 2012 kam zu dem Ergebnis, dass der Anteil der Kinderarmut durch die Kindergrundsicherung von auf drei bis vier Prozent verringert werden könnte.27 Das Bündnis Kindergrundsicherung geht darüber hinaus von Ungerechtigkeiten innerhalb des bestehenden Systems aus, die beseitigt werden müsssten. Es kritisiert die ungerechte Verteilung staatlicher Mittel im bisherigen System, da das Sozialrecht ein geringeres Existenzminimum für Kinder als das Steuerrecht vorsehe und dadurch gerade arme Familien benachteilige.28 Kritisiert wird außerdem, dass sich in der Gesamtbetrachtung die staatlichen Leistungen zur Mittelschicht hin reduzierten, um anschließend in Form von Entlastungen durch den Kinderfreibetrag wieder zu steigen. Es sei fraglich, warum die staatlichen Leistungen bei der Mittelschicht auslaufen sollten , wenn sie anschließend wieder anstiegen.29 Schließlich – so das Bündnis – solle die Kindergrundsicherung weitgehend vorrangig vor anderen Sozialleistungen sein und Kinder somit aus dem stigmatisierenden Bezug von SGB II- Leistungen und der verdeckten Armut herausholen.30 2.3. Argumente gegen eine Kindergrundsicherung Die Kritiker der Kindergrundsicherung räumen zwar ein, dass dadurch tatsächlich mit einem erheblichen Bürokratieabbau zu rechnen sei; allerdings sei die Bündelung zu einer Leistung nicht 26 Ebenso kritisiert die Partei Bündnis 90/Die Grünen, dass eine Erhöhung von 30 auf 35 Prozent bedeute, dass 65 Prozent der Familien, die einen Anspruch haben, trotz der geplanten Änderungen durch das StaFamG den Kinderzuschlag nicht in Anspruch nehmen und in verdeckter Armut leben würden, Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/80, Stenografischer Bericht, 80. Sitzung, 14. Februar 2019, S. 9287. 27 Becker/Hauser, Kindergrundsicherung, Kindergeld und Kinderzuschlag: Eine vergleichende Analyse aktueller Reformvorschläge, WSI Diskussionspapier Nr. 180, März 2012, abrufbar unter: https://www.boeckler .de/pdf/p_wsi_disp_180.pdf. Aus methodischen Gründen definiert die Arbeit Kinderarmut als den Anteil der Kinder unter 16 Jahren, die in Familien mit weniger als der Hälfte des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens leben 28 Vgl. Bündnis Kindergrundsicherung, Konzept Kindergrundsicherung 2019, S. 3 f., abrufbar unter: http://www.kinderarmut-hat-folgen.de/download/KGS_Broschuere_148x210_2019_Web.pdf; Becker, Kindergrundsicherung gegen Familienarmut – ein Reformansatz im Kontext gesellschaftspolitischer Ziele, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 2018, 4, S. 20 (21). 29 Breuer, Ein Grundeinkommen für Kinder, in: Wirtschaftsdienst 2018, 7, S. 481 (484 f.). 30 Vgl. Bündnis Kindergrundsicherung, Konzept Kindergrundsicherung 2019, S. 5, abrufbar unter: http://www.kinderarmut-hat-folgen.de/download/KGS_Broschuere_148x210_2019_Web.pdf; Die Linke, Kinderarmut – Themenpapiere der Fraktion, abrufbar unter: https://www.linksfraktion.de/themen/a-z/detailansicht /kinderarmut/; Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/80, Stenografischer Bericht, 80. Sitzung, 14. Februar 2019, S. 9286, 9287. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 007/19 Seite 10 umfassend möglich. Trotz der Kindergrundsicherung müssten weiterhin die Leistungen für Sonder - und Mehrbedarfe gesondert beantragt werden.31 Während die Befürworter der Kindergrundsicherung die ungerechte Verteilung staatlicher Mittel aufgrund unterschiedlicher Existenzminima beanstanden, hat das Bundesverfassungsgericht die Überschreitung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums durch das steuerliche für grundsätzlich zulässig erklärt.32 Zwar dürfe das Existenzminimum nicht besteuert werden, dabei gelte das sozialhilferechtliche Existenzminimum jedoch lediglich als Untergrenze für das steuerliche Existenzminimum.33 Die CDU/CSU-Fraktion hält das Konzept – mit Blick auf die Differenz zwischen den Kosten der Reform und den Einsparungen durch die vorgebrachten Finanzierungsvorschläge – für nicht finanzierbar .34 Nach einer Kostenschätzung für die Kindergrundsicherung aus dem Jahr 201735 bleibt es nach Abzug von Einsparungen und Steuermehreinnahmen bei einer fiskalischen Mehrbelastung von rund 28 Milliarden Euro; selbst mit einer zusätzlichen Abschaffung des Ehegattensplittings 36 bliebe es bei einer Finanzierungslücke von rund 17 Milliarden Euro.37 Daher werden zudem die Einführung einer moderaten Vermögenssteuer, die Anhebung der Erbschaftssteuer, 31 Gerlach/Heddendorp für das Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik, Expertise zum Thema „Kindergrundsicherung“, Münster 2016, S. 47 f., abrufbar unter: https://www.ffp.de/files/dokumente/2016/Expertise %20Kindergrundsicherung%20neu.pdf; Becker/Hauser, Kindergrundsicherung, Kindergeld und Kinderzuschlag : Eine vergleichende Analyse aktueller Reformvorschläge, WSI Diskussionspapier Nr. 180, März 2012, S. 26, abrufbar unter: https://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_disp_180.pdf. 32 BVerfG, Beschluss vom 10. November 1998 – 2 BvL 42/93 –, BStBl II 1999, 174, BVerfGE 99, S. 246 (262, Rn. 64); vergleiche auch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. März 2010 – 1 BvR 3163/09 –, juris, Rn. 8. 33 BVerfG, Beschluss vom 10. November 1998 – 2 BvL 42/93 –, BStBl II 1999, 174, BVerfGE 99, S. 246; BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990 – 1 BvL 20/84 –, BStBl II 1990, 653, BVerfGE 82, S. 60. 34 So etwa von der Fraktion CDU/CSU vorgebracht, vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) vom 2. Juni 2017 (BT-Drs. 18/12657), S. 8. 35 Becker, Aktualisierung der Kostenschätzung für eine Kindergrundsicherung, 2017, abrufbar unter: http://www.kinderarmut-hat-folgen.de/. 36 Vorgeschlagen wurde etwa von der Partei Bündnis90/Die Grünen auch ein Wahlrecht, wonach Eltern, die bereits verheiratet oder verpartnert sind, zwischen dem alten Recht mit Ehegattensplitting, Kindergeld und Kinderfreibetrag und dem neuen Recht mit Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag und Kindergrundsicherung wählen könnten, siehe: Bündnis90/Die Grünen, Das Grüne Familien-Budget – Familien entlasten und Kinder fördern, 9. März 2018, abrufbar unter: https://www.gruene-bundestag.de/familie/familien-entlasten -und-kinder-foerdern-09-03-2018.html. 37 Becker, Aktualisierung der Kostenschätzung für eine Kindergrundsicherung, 2017, S. 7, abrufbar unter: http://www.kinderarmut-hat-folgen.de/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 007/19 Seite 11 die Einführung einer Börsenumsatzsteuer und eines „Kinder-Soli“38 für große Vermögen als Finanzierungsquellen in die Diskussion gebracht.39 Eine kostendeckende Konzeption vorzulegen ist aber auch deshalb schwierig, weil die entstehenden Kosten von der Höhe des Existenzminimums eines Kindes abhängen, die nach dem Konzept der Kindergrundsicherung erst neu ermittelt werden muss.40 Ein Großteil der Kritiker der Kindergrundsicherung verweist zudem darauf, dass die Lebenslage eines Kindes untrennbar mit der Einkommenssituation der Eltern verbunden sei. Die isolierte finanzielle Förderung der Kinder ändere an der etwaigen finanziellen Bedürftigkeit der Eltern nichts. Entscheidend für eine Vermeidung von Kinderarmut sei die Erwerbstätigkeit der Eltern, die unterstützt werden müsse. Der Ausbau finanzieller Transfers führe jedoch zur Verringerung der Arbeitsanreize und wirke sich damit negativ auf eine sichernde Erwerbstätigkeit der Eltern aus.41 In der Folge würde zugleich das traditionelle Rollenbild von Frauen verfestigt. Diese verdienten im Durchschnitt weniger als Männer und wären durch die höheren Hürden der sozialen Transfers eher betroffen.42 Die Problematik, dass die finanzielle Stellung der Kinder mit der Stellung der Eltern verbunden sei und eine isolierte Förderung der Kinder daher nicht ausreiche, erkennt aber auch das Bündnis Kindergrundsicherung an. Auch das Bündnis fordert deshalb Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung und zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Mindeststandards bei der Zeitarbeit, Abschaffung von Mini-Jobs, familienfreundliche Arbeitszeiten und ausreichende und qualitativ hochwertige Betreuungsmöglichkeiten.43 Schließlich wird unter Kritikern einer Kindergrundsicherung die Notwendigkeit einer Reformierung des Systems überhaupt bezweifelt, da die fördernde Wirkung auch im bestehenden System erreicht werden könne. So gibt es zum Beispiel den Vorschlag, das Kindergeld in seiner Höhe an 38 So etwa Butterwegge, Deutschland braucht eine Großoffensive gegen Kinder- und Altersarmut, in: Stimme der Familie 2017, 5, S. 3 (5). 39 Bündnis Kindergrundsicherung, Konzept Kindergrundsicherung 2019, S. 6 f., abrufbar unter: http://www.kinderarmut -hat-folgen.de/download/KGS_Broschuere_148x210_2019_Web.pdf. 40 Becker, Aktualisierung der Kostenschätzung für eine Kindergrundsicherung, 2017, S. 8, abrufbar unter: http://www.kinderarmut-hat-folgen.de/. 41 So etwa von der Fraktion CDU/CSU vorgebracht, vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) vom 21. März 2017 (BT-Drs. 18/11592), S. 6. Vgl. auch Schrinner, Kein Durchblick in der Familienpolitik, in: Handelsblatt vom 22. Februar 2018, S. 12; Fratzscher, Noch mehr Kindergeld bringt nichts, in: Zeit Online vom 9. Februar 2018; Drebes, SPD plant Kindergrundsicherung , in: Rheinische Post vom 11. Januar 2019, S. 4. 42 Gerlach/Heddendorp für das Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik, Expertise zum Thema „Kindergrundsicherung“, Münster 2016, S. 47 f., abrufbar unter: https://www.ffp.de/files/dokumente/2016/Expertise %20Kindergrundsicherung%20neu.pdf. 43 Bündnis Kindergrundsicherung, Konzept Kindergrundsicherung 2019, S. 8 f., abrufbar unter: http://www.kinderarmut -hat-folgen.de/download/KGS_Broschuere_148x210_2019_Web.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 007/19 Seite 12 die maximale steuerliche Wirkung des Kinderfreibetrags zu binden.44 Wenn zugleich ein Teil des Kindergeldes bei den Sozialleistungen anrechnungsfrei gestellt würde, lasse sich damit eine vergleichbare Verringerung der Kinderarmut auf etwa fünf Prozent erreichen.45 Alternativ könnten die sozialrechtlichen Regelleistungen für Kinder und Eltern erhöht und mit Reformen des Kinderzuschlags und des Wohngeldes verbunden werden, wodurch gezielt arme Familien unterstützt werden könnten.46 Kritiker machen daher insgesamt geltend, dass die Einführung einer Kindergrundsicherung mit Blick auf die umfangreichen und einschneidenden Reformen des bestehenden Systems nicht verhältnismäßig erscheine.47 3. Kinderchancengeld Die Freien Demokraten (FDP) fordern, die familienpolitischen Leistungen in einem sog. „Kinderchancengeld “ oder auch „Kindergeld 2.0“ zu bündeln, das einfach und online beantragt werden kann. Alle bisherigen kindesbezogenen Sozialleistungen wie Kindergeld, Wohngeld oder Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket sollen dem Konzept nach zusammengefasst werden , basierend auf drei Säulen: einer einkommensunabhängigen Förderung für jedes Kind, unabhängig von der Anzahl der Kinder im Haushalt („Basisbetrag“), der einkommensabhängigen Unterstützung für bedürftige Familien („Flexibetrag“) sowie einem Chancenpaket, das Leistungen für Bildung und Teilhabe beinhaltet und bedürftigen Kindern einen Zugang zu Angeboten wie Sportverein, Musikunterricht oder Nachhilfe sichern soll. Der feste Basisbetrag wird im Falle von Bedürftigkeit durch den Flexibetrag aufgestockt. Das Chancenpaket soll faire Aufstiegschancen für alle Kinder unabhängig von der sozialen Herkunft ermöglichen. Grundidee des Kinderchancengeldes ist, vergleichbar zu der Kindergrundsicherung, einen eigenständigen Anspruch des Kindes zu schaffen. So soll der Kinderanspruch aus der Bedarfsgemeinschaft der Eltern herausgelöst und separat zu verwalten sein. Laut des Konzepts der FDP wird „Der Anspruch […] zwar in der Regel von den Sorgeberechtigten bewirtschaftet, kann aber bei unterversorgten Kindern vom Jugendamt verwaltet werden“. Um einen unbürokratischen und einfachen Zugang zu familienpolitischen Leistungen zu ermöglichen, soll eine zentrale Anlaufstelle für alle Familienleistungen 44 So der Präsident des Deutschen Familienverbandes e.V.: Zeh, Alle reden von Familienfreundlichkeit – wo bleibt die Familiengerechtigkeit?, in: van Lier (Hrsg.), Ohne Familie ist kein Staat zu machen, Freiburg im Breisgau 2018, S. 288 (290). 45 So die bereits oben zitierte Untersuchung: Becker/Hauser, Kindergrundsicherung, Kindergeld und Kinderzuschlag : Eine vergleichende Analyse aktueller Reformvorschläge, WSI Diskussionspapier Nr. 180, März 2012, abrufbar unter: https://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_disp_180.pdf. 46 Steffen, Kindergrundsicherung – Reduzierung der Kinderarmut um den Preis verfestigter Hartz-IV-Abhängigkeit der Eltern, Arbeitnehmerkammer Bremen 2009, 4, abrufbar unter: https://www.axel-troost.de/kontext/controllers /document.php/950.6/6/188.pdf. 47 Gerlach/Heddendorp für das Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik, Expertise zum Thema „Kindergrundsicherung“, Münster 2016, S. 47 f., abrufbar unter: https://www.ffp.de/files/dokumente/2016/Expertise %20Kindergrundsicherung%20neu.pdf. Zu möglichen Reformierungen des Kinderzuschlages im bestehenden System, vgl. Bonin/Sommer/Stichnoth/Buhlmann, IZA Research Report No. 85, Arbeitsangebotseffekte einer Reform des Kinderzuschlags, Bonn und Mannheim 2018, abrufbar unter: http://ftp.iza.org/report _pdfs/iza_report_85.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 007/19 Seite 13 geschaffen werden. Auch fordert die FDP eine vollständige Automatisierung digitaler Verwaltungsabläufe , so dass Berechtigte unproblematisch die Leistungen online beantragen können.48 4. Teilhabegeld Die Bertelsmann-Stiftung schlägt die Einführung eines „Teilhabegeld[es]“ vor, um Kinderarmut in Deutschland effektiv zu bekämpfen. Anders als die Kindergrundsicherung ist hier die Vereinheitlichung des Existenzminimums in allen Rechtsgebieten kein zentrales Ziel.49 Das Teilhabegeld ersetzt und bündelt die bisherigen Leistungen Kindergeld, Kinderzuschlag, SGB-II-Regelsätze für Kinder und Leistungen der Bildung und Teilhabe. Es soll für alle Kinder gelten, „wird aber mit steigendem Einkommen der Eltern abgeschmolzen“, 50 und sicherstellen, dass Kinder ohne erhebliche materielle Entbehrungen aufwachsen können und gute Bildung erhalten. Durch das Teilhabegeld sollen bedürftige Kinder und Jugendliche gezielt erreicht und Bürokratie verringert werden.51 Die Höhe des Teilhabegeldes orientiert sich dabei nicht an einem Existenzminimum , sondern daran, was Kinder und Jugendliche altersspezifisch für ein „gutes Aufwachsen“ in der Gesellschaft tatsächlich benötigen. Grundlage sollen Statistiken und eine „Bedarfserhebung “52 sein, die als ein neues, kontinuierliches Instrument mit aktiver Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen als Grundlage zur Bestimmung altersgerechter Bedarfe erforderlich sei. Wer die Höhe festlegt und prüft, müsse demokratisch bestimmt werden. Eine Überprüfung könnte etwa durch eine beratende „Sachverständigenkommission, in der Kinder und Jugendliche von Beginn 48 Freie Demokraten (FDP), Das Kinderchancengeld, Eine Investition in die Zukunft unserer Kinder, 4. Dezember 2018, abrufbar unter: https://gaggelidis.abgeordnete.fdpbt.de/sites/default/files/2018-12/Das%20Kinderchancengeld %20-%2004122018.pdf; FDP, Das "Starke-Bürokratie-Gesetz", 11. Januar 2019, abrufbar unter: https://www.fdp.de/bildung-fruehkindliche-bildung-frauen_das-starke-buerokratie-gesetz; Stimme der Familie, Familienbund der Katholiken, Familien haben die Wahl!, Die familienpolitischen Positionen der Parteien im Vergleich, April 2017, Positionen des Familienbundes und der Parteien zur Bundestagswahl 2017 – Eine Synopse , FDP, S. 15; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Grigorios Aggelidis, Nicole Bauer, Daniel Föst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, Digitale Anträge von Familienleistungen , 29. Juni 2018 (BT-Drs. 19/3078), abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/030/1903078.pdf. 49 Becker, Kindergrundsicherung gegen Familienarmut – ein Reformansatz im Kontext gesellschaftspolitischer Ziele, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 2018, 4, S. 20 (25). 50 Siems, Was Eltern wirklich mit dem Kindergeld machen, in: Die Welt vom 21. November 2018, abrufbar unter: https://www.welt.de/wirtschaft/article184233200/Bertelsmann-Studie-Kindergeld-wird-nicht-fuer-Konsum-der- Eltern-genutzt.html. 51 Stichnoth u. a. für das ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH Mannheim, Bertelsmann -Stiftung (Hrsg.), Kommt das Geld bei den Kindern an?, 1. Auflage, Gütersloh 2018, S. 43, abrufbar unter : https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/kommt-das-geld-bei-den-kindernan /. 52 Funcke/Stein/Menne u. a., Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.), Konzept für eine Teilhabe gewährleistende Existenzsicherung für Kinder und Jugendliche, Expertenbeirat & Projekt Familie und Bildung: Politik vom Kind aus denken , Gütersloh 2017, S. 22 f., abrufbar unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Familie _und_Bildung/IN_WB_Konzept_Teilhabe_gewaehrleistende_Existenzsicherung_2017_Stand_16.11.17.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 007/19 Seite 14 an eingebunden sind“53 wahrgenommen werden. Zusätzlich zu dem Teilhabegeld sollen die Kinderfreibeträge zur grundgesetzlich gebotenen Verschonung des Existenzminimums beibehalten werden. Die Höhe dieser Freibeträge soll aber nicht an die Höhe des Teilhabegeldes gekoppelt sein. Darüber hinaus schlägt die Bertelsmann Stiftung einen Mehrbedarfszuschlag z. B. für Alleinerziehende vor, um so deren zusätzliche Kosten umfassend abzudecken. Neben der Einführung des Teilhabegelds fordert die Stiftung eine stärkere finanzielle Unterstützung für gute Kitas und Schulen und entsprechende Investitionen. Auch eine umfassende Beratung und Information von Kindern und Eltern ist nach Auffassung der Stiftung erforderlich.54 *** 53 Funcke/Menne, Kinderarmut überwinden: Kinder und Jugendliche ins Zentrum der Politik rücken, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für Öffentliche und Private Fürsorge (NDV) 98 (2018), 11, S. 529 (532). 54 Stichnoth u. a. für das ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH Mannheim, Bertelsmann -Stiftung (Hrsg.), Kommt das Geld bei den Kindern an?, 1. Auflage, Gütersloh 2018, S. 6 f. abrufbar unter : https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Familie_und_Bildung/Studie _WB_Kommt_das_Geld_bei_den_Kindern_an_2018.pdf; Funcke/Menne, Kinderarmut überwinden: Kinder und Jugendliche ins Zentrum der Politik rücken, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für Öffentliche und Private Fürsorge (NDV) 98 (2018), 11, S. 529 (532); Bertelsmann Stiftung, Tagung, Neu denken gegen Kinderarmut , 24. Juli 2018, abrufbar unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/familie-undbildung -politik-vom-kind-aus-denken/projektnachrichten/neu-denken-gegen-kinderarmut/.