© 2015 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 - 006/15 Zur Frage einer möglichen Zusammenführung familienbezogener Leistungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 006/15 Seite 2 Zur Frage einer möglichen Zusammenführung familienbezogener Leistungen Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 006/15 Abschluss der Arbeit: 24. März 2015 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 006/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Dimensionen und Kontexte familienfördernder Leistungen und ihrer möglichen Zusammenführung 4 2.1. Begriff der Familie 4 2.2. Familienbezogene Leistungen 6 2.2.1. Begriff 6 2.2.2. Struktur 6 2.2.3. Handlungsebenen und Zuständigkeiten 8 2.3. Handlungsebenen 9 3. Ausblick 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 006/15 Seite 4 1. Einleitung Die Frage, ob und wie eine Zusammenführung familienbezogener Leistungen erfolgen kann, steht seit langem auf der politischen Agenda. Dabei wird erwogen, Anspruchsberechtigten eine möglichst überschaubare Struktur staatlicher Unterstützungsmaßnahmen für Familien zu bieten und gleichzeitig eine Effizienzsteigerung zu schaffen. So hieß es beispielsweise im Koalitionsvertrag zwischen SPD, CDU und CSU1 im Jahr 2009: „Wir wollen die umfassende wissenschaftliche Evaluation der familienbezogenen Leistungen konsequent fortsetzen und entsprechende Vorschläge vorlegen. Ziel sind konkrete Handlungsempfehlungen , um Leistungen wirksamer und effizienter zu gestalten und zu bündeln. Weiterhin werden wir prüfen, wie die Leistungen im Unterhaltsrecht, Steuerrecht, Sozialrecht und Familienrecht harmonisiert werden können und entsprechende Schritte einleiten.“ Eine substanzielle Zusammenlegung von familienbezogenen Leistungen hat trotz des formulierten politischen Willens bis dato nicht stattgefunden. Gleichwohl wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, um durch Evaluationen (s. hierzu Kap. 2.3) eine breitere Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Im Folgenden werden die Kontexte dargestellt, die eine solche Umsetzung maßgeblich nicht nur beeinflussen, sondern auch erschweren. 2. Dimensionen und Kontexte familienfördernder Leistungen und ihrer möglichen Zusammenführung Die inhaltliche Ausgestaltung familienbezogener Leistungen ist in erster Linie durch drei Faktoren determiniert: Welche Normen oder Leitgedanken, was unter einer Familie - und daraus abgeleitet - familienbezogenen Leistungen zu verstehen ist sind handlungsleitend? Welche Rolle hat der Staat im Hinblick auf die Gestaltung familiärer Strukturen? Wie gestaltet sich familiäres Zusammenleben in Deutschland? 2.1. Begriff der Familie Gemäß Artikel 6 GG steht die Familie unter dem besonderen Schutz staatlicher Ordnung. Allerdings ist weder an dieser Stelle, noch in den rechtlichen Zusammenhängen, in denen bestimmte familienbezogene Leistungen geregelt sind, ein eindeutiger Familienbegriff hinterlegt. Die gilt auch für das Familienrecht (§§ 1297 bis 1921 BGB), in dem gleichwohl die Rechtsbeziehungen von Personen, die untereinander in einem verwandtschaftlichen oder Eheverhältnis stehen auch gegenüber Dritten geregelt sind. Der Begriff der Familie beschreibt auch historisch unterschiedliche Phänomene verwandtschaftlichen Zusammenlebens. Während zunächst eine klare Trennung zwischen den Begriffen „Familie “ und Verwandtschaft nicht gezogen worden ist, wird unter Familie heute eine Großeltern-Kinder -Enkelkinder-Beziehung verstanden. Dagegen wird unter dem Begriff „Verwandte“ die 1 Bundesregierung (2009), Wachstum, Bildung, Zusammenhalt – Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, 17. Legislaturperiode, S.69. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 006/15 Seite 5 Summe aller Personen verstanden, zu denen ein engerer oder weiterer biologischer Kontext besteht . In § 1589 BGB werden als „Verwandtschaft“ Personen bezeichnet, deren eine von der anderen in gerader Linie abstammt. Dagegen sind Personen, die nicht in gerader Linie verwandt sind, aber von derselben dritten Person abstammen, in einer Seitenlinie verwandt. Der Grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach der Zahl der durch sie vermittelnden Geburten. Diese Regelung hat entscheidende Folgen für das Erbrecht, die Unterhaltspflicht und das Inzest-Tabu.2 Schlussfolgernd wird Verwandtschaft – hier auch als Oberbegriff von Familie – als ein Netzwerk oder Solidaritätsverband identifiziert, das oder der – auch ohne gesetzliche Vorgaben – latent lebenslang besteht.3 Auch haben sich bestehende Formen familiären Zusammenlebens substanziell verändert. Ein Beispiel hierfür ist die durch die industrielle Revolution hervorgerufene Notwendigkeit einer Migration aus ländlichen Gebieten in Städte, die ein auf mehrere Generationen und angelegtes arbeitsteiliges verwandtschaftlichen Zusammenlebens erschwerten oder gar unmöglich machte. Auch haben sich innerfamiliäre Organisationsstrukturen verändert. War noch in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der – meist männliche – Haushaltsvorstand, der allein einer Erwerbsarbeit nachging, die Regel, so haben sich diese Muster grundlegend hin zu einem eher kooperativen Verständnis verändert. Diese Veränderungen hatten und haben auch laufend Konsequenzen für die Fortentwicklung von familienbezogenen Leistungen des Staates, die den veränderten Bedingungen familiären Zusammenlebens gerecht werden sollen. Das Statistische Bundesamt versteht bei seinen Erhebungen zu familienbezogenen Statistiken unter einer Familie Ehepaare, Lebensgemeinschaften sowie alleinerziehende Mütter und Väter mit mindestens einem minderjährigen Kind.4 Es ist erkennbar, dass sich diese Definition implizit in den bestehenden familienbezogenen Leistungen widerspiegelt. Auch ist erkennbar, dass in allen derzeit gängigen Familienbegriffen (Kleinfamilie, Großfamilie, Patchwork- oder Stiefelternfamilie , Regenbogenfamilie, Ein-Eltern-Familie, Adoptiv-Familie etc.) die Existenz von einem oder mehreren Kindern in einer auf Dauer angelegten Beziehung zu – in der Regel verwandten – Erwachsenen vorausgesetzt wird. 2 Nave-Herz, Rosemarie, Die sozialen Beziehungen und Unterstützungen zwischen Verwandten und ihre sozialstrukturellen Folgen, in: Nave-Herz, Rosemarie, (Hrsg.), Familiensoziologie, Oldenburg 2014, S. 106 ff. 3 Ebnd., S. 117. 4 Statistisches Bundesamt (Destatis), Haushalt & Familie, https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat /Bevoelkerung/HaushalteFamilien/HaushalteFamilien.html. Eine Reihe von Erhebungen zur Situation von Familien in Deutschland hat das Statistische Bundesamt auf https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch /Bevoelkerung/HaushalteMikrozensus/Geburtentrends.html (Stand 5. März 2015) eingestellt, hier insbesondere aus dem Jahr 2012 der Fachbericht „Geburtentrends und Familiensituation in Deutschland“, eingestellt auf: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/HaushalteMikrozensus/Geburtentrends 5122203129004.pdf?__blob=publicationFile (jew. Stand 5. März 2015). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 006/15 Seite 6 2.2. Familienbezogene Leistungen 2.2.1. Begriff Neben dem Begriff familienbezogene Leistungen synonym werden auch die Bezeichnungen „familienfördernde “ oder „familienpolitische Leistungen“ verwendet. Wie dargestellt gibt es in Deutschland keinen fest definierten und zudem verbindlichen soziologischen oder juristischen Familienbegriff. Gleichwohl fließen in die Entscheidungen, was im Hinblick auf die Unterstützung von Familien als förderwürdig erscheint, unterschiedliche familienpolitische Normen oder Leitgedanken ein. Das heißt, dass es auch für den Begriff der familienbezogenen Leistungen keine eindeutige beziehungsweise verbindliche Definition gibt.5 Selbst wenn man wie das BMFSFJ (s. Kap. 2.3) einen sehr erweiterten Familienbegriff zugrunde legt, bleiben hinsichtlich der Einordnung familienbezogener Leistungen Unschärfen. Ein Beispiel : Handelt es sich bei Unterstützungsmaßnahmen für Personen, die Verwandte, die nicht im eigenen Haushalt leben, pflegen, um eine familienbezogen Leistung oder Maßnahme? Eine weitere Differenzierung des Begriffs der familienfördernden Leistungen erfolgt durch die Unterscheidung zwischen Familienlastenausgleich und Familienleistungsausgleich, so beispielsweise im 7. Familienbericht der Bundesregierung: „Familienpolitische Leistungen, die aus dem Kriterium der Bedarfsgerechtigkeit und der Lebensstandardsicherung abgeleitet sind, zielen darauf ab, bestimmte Belastungen der Eltern zu kompensieren, die durch die Geburt und Erziehung der Kinder entstehen. Diese Instrumente lassen sich unter dem Oberbegriff des Familienlastenausgleichs zusammenfassen. Daneben ist es eine weitere Aufgabe der staatlichen Familienpolitik, jene Leistungen der Erziehung, Versorgung und Bildung der Kinder zu kompensieren, die die Familien für die Gesellschaft erbringen , die aber nicht über den Markt abgegolten werden. Diese Leistungen fasst man als Familienleistungsausgleich zusammen.“6 2.2.2. Struktur In Deutschland umfassen familienbezogene Leistungen sowohl übergreifende Leistungen (z. B. der allgemeine Anspruch auf Kindergeld) als auch gruppenspezifische Leistungen (z. B. familienbezogene Leistungen gemäß dem Asylbewerberleistungsgesetz). Das BMFSFJ veröffentlichte im Jahr 2012 einen Katalog von 156 familienbezogenen und ehebezogenen Leistungen7. Das Gesamtvolumen aller Leistungen beläuft sich demnach auf ca. 200,3 Mrd. 5 Auf das Verhältnis zwischen familienpolitische Zielen und der Bewertung familienbezogener Leistungen weist Bujard , Martin <2014a>, Zur Evaluation familienpolitischer Leistungen: Warum die Auswahl der Ziele wichtig ist und wie sich Wirkungsanalysen interpretieren lassen, in: Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie, Familienpolitische Informationen, Ausgabe Juli/August 2014, S.1., hin. 6 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Siebter Familienbericht. Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit – Perspektiven für eine lebenslaufbezogene Familienpolitik und Stellungnahme der Bundesregierung, abgedruckt auf BT-Drs. 16/1360, S. 56 7 Nach Darstellung des BMFSFJ sind in den Katalog neben den familienbezogenen Leistungen im engeren Sinne auch solche ehebezogenen Maßnahmen aufgenommen worden, die einen starken Familienbezug haben. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 006/15 Seite 7 Euro / Jahr, hiervon ca. 25,1 Mrd. Euro Geldleistungen, 25,3 Mrd. Euro für Leistungen aus der Sozialversicherung , 27,4 Mrd. Euro für Realtransfers (Bereitstellung einen familienbezogenen Infrastruktur ), 46,6 Mrd. Euro für steuerliche Maßnahmen und für Geldleistungen und Leistungen aus den Sozialversicherungen und ca. 74,9 Mrd. Euro für ehebezogene Leistungen.8 Diese Auswahl und Berechnungsweise erfolgt auf der Basis einer Definition des BMFSFJ und ist nicht allgemein verbindlich.9 In der Literatur gibt es Ansätze, diese Zusammenhänge anders zu systematisieren. Systematisierung nach Bujard Bujard10 unterscheidet zwischen allgemeinen Zielen, den dahinter stehenden Normen und hieraus entwickelten konkreten Zielen. Hintergrund ist die Annahme, dass die primären Adressaten von Familienpolitik und die hieraus folgenden Leistungen sich substanziell unterscheiden. Dies können Kinder, deren Eltern oder auch ein gesamtgesellschaftlicher Kontext sein. Die aus diesen Normen und Zielgruppen bzw. Kontexten entwickelten konkreten Ziele und die damit verbundenen Maßnahmen können, müssen aber nicht kongruent sein, da sie von den jeweils handelnden politischen Akteuren abhängig sind. Zielgruppe Kinder Hier wird als allgemeines Ziel das Wohlbefinden der Kinder genannt. Die handlungsleitenden Normen sind die Schaffung von Chancengleichheit, der Schutz der Kinder und deren Förderung. Hieraus abgeleitete konkrete Ziele können beispielsweise eine materielle Sicherung , ein hohes Zeitbudget für das Zusammenleben in der Familie, die Förderung der Bildung und der Gesundheit, die Vermeidung eines risikoreichen Verhaltens (Rauchen) und ein kindgerechtes Verhalten sein. Zielgruppe Eltern Auch hier steht das Wohlbefinden im Mittelpunkt, wobei als mögliche Normen Partnerschaftlichkeit im Gegensatz zu patriarchalen Strukturen, die Wahlfreiheit der Formen des Zusammenlebens oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der Lastenausgleich genannt werden. Mögliche hieraus folgende konkrete Ziele sind die Absicherung des Haushaltseinkommens , die Schaffung von Zeitbudgets gegebenenfalls auch über Netzwerke, eine hohe Erwerbsquote für Frauen, Gesundheitsförderung, die Schaffung von Erziehungskompetenz und eine Senkung des Anteils ungewollter Kinderlosigkeit. Wirtschaft und Gesellschaft Die Frage, ob und in welchem Maße Familienpolitik auch öffentliche Ziele erfüllen soll und darf, die über die Unterstützung von Eltern und ihren Kindern hinausgeht, wird kontrovers diskutiert. Der Vollständigkeit halber nimmt aber der Autor auch öffentliche Ziele in die Systematik auf. Als allgemeine Ziele werden beispielsweise die Förderung des Humankapitals 8 Angegeben wurden lediglich die fiskalischen Größenordnungen. Nicht berücksichtigt wurden die erforderlichen Verwaltungskosten. 9 Einem anderen und engeren Verständnis folgt offenbar die Bundesanstalt für Arbeit. Dort gibt es ein Beratungsangebot für die folgenden familienpolitischen Leistungen: Kindergeld und Kinderzuschlag sowie Elternzeit und Erziehungsurlaub . Die Auswahl kann aber auch zuständigkeitshalber begründet sein. 10 Die folgende Strukturierung bietet Bujard, Martin <2014a>, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 006/15 Seite 8 und die Gleichstellung von Mann und Frau genannt. Wichtige Normen sind hierbei Partnerschaftlichkeit oder die Anerkennung der Reproduktionsfunktion von Familie. Als konkrete Ziele, die hieraus folgen, werden eine Erhöhung der Geburtenrate, die Erhöhung der Müttererwerbsquote , die Bildungsförderung von Kindern, die Stärkung der Institution Ehe und die Gleichstellung genannt.11 Der Autor geht nach seiner Analyse von einer Zahl von zum Zeitpunkt der Untersuchung 49 familienbezogenen und zusätzlich sieben ehebezogenen Leistungen auf einer gemeinsamen Abstraktionsebene aus.12 Systematisierung nach Ott (u. a.) Ott (u. a.)13 beziehen in ihre Untersuchungen von Schnittstellen im Sozialrecht ausschließlich Maßnahmen ein, die in einem familienbezogenen Kontext kindbezogen sind und ordnen die Leistungen auf vergleichbaren Abstraktionsebenen ein. Sie unterscheiden hierbei zwischen I. Steuerrecht (bzw. Abgabenminderungen) II. Transfers II.1 Finanzielle Transfers II.2 Sachleistungen III. Kredite IV. Regulierungen (z.B. Mutterschaftsurlaub, Elterngeld, Unterhaltsansprüche) Daraus folgend sind in diese Systematik insgesamt 38 familienbezogenen Leistungen aufgenommen . Ehebezogenen Leistungen dagegen sind hierin nicht enthalten. 2.2.3. Handlungsebenen und Zuständigkeiten Aufgrund des unterschiedlichen rechtlichen Charakters der in die Darstellung des BMFSFJ aufgenommenen Leistungen liegt auf Bundesebene die Verantwortlichkeit in unterschiedlichen Ressorts . Dies waren im Jahr 2010 im Einzelnen das BMF, das BMFSFJ, das BMAS, das BMVBS, das BMBF das BMI. Neben staatlichen übernehmen darüber hinaus auch nicht-staatliche Institutionen Aufgaben – gemäß der Definition des BMFSFJ – im Bereich der familienbezogenen Leistungen , hier insbesondere im Bereich der Finanzträgerschaft. So werden beispielsweise im Bereich der Krankenversicherung „versicherungsfremde“ Leistungen durch die gesetzliche Krankenversicherung erbracht. Ein Beispiel hierfür ist das Mutterschaftsgeld. 11 Diese Darstellung allgemeiner und konkreter Ziele und der Normen, auf die sie sich beziehen, ist nicht vollständig. Alle genannten Ziele finden aber ihren Niederschlag in unterschiedlichen familienfördernden Maßnahmen. 12 Bujard, Martin <2014b>, Bundeszentrale für Politische Bildung, Familienpolitik, Föderalismus und Bundesressorts, eingestellt auf: http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/familienpolitik/197916/foederalismus-und-bundesressorts ?p=all (Stand 19. März 2015). 13 Ott, Notburga / Schürmann, Heinrich / Werding, Martin, Schnittstellen im Sozial-, Steuer und Unterhaltsrecht, hier: Tabelle 3-3: Kategorien der betrachteten Maßnahmen und Leistungen, S. 54. Die Tabelle ist in der Anlage 1 beigefügt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 006/15 Seite 9 Allerdings ist diese Auflistung – unabhängig von der Frage der Vollständigkeit und Sachdienlichkeit – nicht unumstritten. Dies betrifft insbesondere Maßnahmen im Geschäftsbereich des BMF, da hier der Staat nicht konkrete Leistungen erbringt, sondern über eine steuerliche Besserstellung von Familienangehörigen auf Einnahmen verzichtet. Auch sind ehebezogene Leistungen in einem beträchtlichen Umfang aufgenommen, wobei ehebezogene Leistungen einen Familienbezug haben können – aber nicht müssen –, wenn vorausgesetzt wird, dass zu einer Familie zwingend mindestens ein Kind zählt. Auch wird Kritik geübt, dass die Abstraktionsebenen der ausgewählten Leistungen nicht durchgängig und einheitlich sind.14 So würden beispielsweise einerseits sechs Leistungen im Bereich der Schwanger- und Mutterschaft aufgelistet, familienbezogenen Leistungen im BAföG erschiene aber nur einmal. 2.3. Handlungsebenen Im Auftrag des BMF und des BMFSFJ erstellten verschiedene Institute15 ab Herbst 2009 unter Federführung des PROGNOS-Instituts eine Gesamtevaluation von zentralen ehe- und familienbezogenen Leistungen. Die Evaluation wurde am 4. Juni abgeschlossen und am 27. August 2014 von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig vorgestellt.16 Ziel der Evaluation war es, das Zusammenwirken ehe- und familienbezogener Leistungen im Hinblick auf die folgenden vier familienpolitischen Ziele zu untersuchen: Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Förderung und Wohlergehen von Kindern, Wirtschaftliche Stabilität von Familien und Nachteilsausgleich, Erfüllung von Kinderwünschen. In der Schlussbetrachtung der Studie wird auch Bezug auf die Frage genommen, ob durch eine Pauschalierung oder durch eine stärkere zielgruppen- oder situationsspezifische Ausdifferenzierung von Leistungen die Effektivität und Effizienz des Systems verbessert werden kann.17 In der Gesamtevaluation sei nicht explizit untersucht worden, ob durch eine Pauschalierung oder durch eine stärkere zielgruppen- oder situationsspezifische Ausdifferenzierung von Leistungen die Effektivität und Effizienz des Systems verbessert werden könnte. Es lägen hierzu bislang al- 14 Gemeint ist hier, dass teilweise Differenzierungen einer bestimmten Maßnahme in die Auflistung der BMFSFJ aufgenommen worden sind, bei anderen Maßnahmen geschah dies dagegen nicht. 15 Beteiligt an der Studie waren die Universität Duisburg‐Essen, das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut, das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und das Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik. 16 PROGNOS (2014), Endbericht Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen und Leistungen in Deutschland: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung2/Pdf-Anlagen/gesamtevaluation-endbericht,property =pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf. Informationen zu dem Bericht, sowie Hinweise zu dem Themenbereich sind eingestellt auf: http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/familie,did=195944.html (jew. Stand 9. März 2015). Eine zusammenfassende Gesamtdarstellung ist vom BMFSFJ als „Politischer Bericht zur Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen” (Juni 2013) eingestellt auf: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung 2/Pdf-Anlagen/familienbezogene-leistungen,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf (Stand 20. März 2015). 17 PROGNOS (2014), S. 397 – 398. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 006/15 Seite 10 lenfalls Tendenzbefunde vor. So deuteten die Effizienzanalysen sowie die Heterogenitätsanalysen darauf hin, dass zielgerichtete Leistungen eine starke Wirkung in den Empfängerhaushalten entfalten, wenn sie auf die jeweilige Lebenssituation zugeschnitten seien. Ein Indiz für die Vorteilhaftigkeit einer stärkeren Ausdifferenzierung sei zudem, dass sich der Bedarf je nach Lebenssituation unterschiedlich darstelle. Passgenaue Leistungen seien grundsätzlich möglich, soweit genügend genaue Kenntnisse über unterschiedliche Bedarfe in den Familientypen vorlägen, nach denen differenziert werden soll. Auf der anderen Seite wiesen die Akzeptanzanalysen darauf hin, dass das bereits heute stark ausdifferenzierte Leistungsspektrum in der Bevölkerung – und oftmals auch unter den Empfängerinnen und Empfängern – in Teilen nur wenig bekannt sei. Zudem sein bei der Untersuchung der ausgewählten Leistungen im Rahmen der Gesamtevaluation deutlich geworden, dass der parallele Bezug von Leistungen die Regel und nicht die Ausnahme ist. Soweit derartige Konstellationen auftreten, könnte es sich anbieten, die bestehenden Leistungen anders zuzuschneiden und damit für mehr Transparenz und Einheitlichkeit – z. B. bezüglich des Zugangs und der Bemessung von Leistungen – im System der ehe- und familienbezogenen Leistungen zu sorgen. In der Studie seien weiterhin die Wirkung der Leistungen als finanzielle Größe gemessen worden . Unerheblich sei gewesen, in welcher Form die Leistungen die Haushalte erreichen. Entscheidend in den Untersuchungen sei allein der Effekt auf das Haushaltseinkommen und nachfolgende Verhaltenswirkungen gewesen. Hierbei seien aber zwei Aspekte ungeklärt geblieben: Hat die Form des Antragsverfahrens Auswirkungen auf die Inanspruchnahme, so dass die Art der Gewährung den Zugang zu Leistungen beeinflusst? Beeinflussen die `Darreichungsform` der Leistung deren Kalkulierbarkeit, Verlässlichkeit sowie ihre Verwendungsmöglichkeiten und gehen damit auch unterschiedliche Wirkungen einher? Sowohl zu der Frage des Zuschnitts von Leistungen als auch zu der der Verfahrens- und Umsetzungswege bestehe weiterhin Forschungsbedarf, wobei im Hinblick auf den Zuschnitt zunächst Kriterien für die Vorteilhaftigkeit von differenzierten Leistungen auf der einen Seite und Pauschalleistungen auf der anderen Seite erarbeitet werden sollten. Dazu gehörten auch die Berücksichtigung der Kosten auf Seiten der Bürokratie und der Familien beim Bezug der Leistungen. Ein weiterer Aspekt ist die Frage der Inanspruchnahme und Bewertung bestimmter familienpolitischer Leistungen abhängig von der Altersstruktur von Familien. Zu diesem Ergebnis kommt auch die PROGNOS-STUDIE: „Je nach Lebensphase, Familienstand und Einkommenssituation beziehen Familien typischerweise unterschiedlich viele und auch unterschiedliche Arten von Leistungen. Manche Leistungen wie das Elterngeld setzen am Alter der Kinder an. Andere Leistungen wiederum setzen am Familienstand, der Einkommenshöhe oder an der Lebensform alleinerziehend an. Empirisch lässt sich die parallele Inanspruchnahme von Leistungen u. a. mit den Ergebnissen des Moduls "Zentrale Leistungen" darstellen. Danach erhalten alle Haushalte in Deutschland im Durchschnitt 1,9 der hier untersuchten Leistungen; bei Haushalten ohne Kinder liegt der Durchschnitt bei 0,8 und bei Haushalten mit Kindern bei 3,5 Leistungen“18. 18 PROGNOS-Studie (2014), Kapitel 2.7 Kumulation von Leistungen, Ziffer 242, S. 88-92. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 006/15 Seite 11 3. Ausblick Der Gesetzgeber hat bei der Formulierung von Leistungen für Familien – unabhängig von dem Familienbegriff – in der Regel leibliche oder nicht-leibliche Eltern und deren Kinder (unabhängig von der Konstellation des Zusammenlebens) im Blick, um ihnen in einer spezifischen Problemlage zu helfen bzw. sie zu unterstützen, wobei aber sich diese Problemlagen substanziell unterscheiden können. Die Regelungen sind sowohl übergreifend (z. B. Kindergeld) als auch zielgruppenspezifisch (z. B. BAföG) strukturiert. Vor dem Hintergrund dieser hat sich eine Politik für Familien entwickelt, die sich als eine Querschnittsaufgabe versteht. Zusammengefasst erscheinen für die Beantwortung der Frage, ob und wenn ja, welche familienbezogenen Maßnahmen effizient zusammengelegt werden könnten, die folgenden Aspekte relevant , die bei den Überlegungen berücksichtigt werden sollten: Normativer Kontext Die begriffliche Uneindeutigkeit, was unter einer Familie einerseits und unter familienbezogenen Maßnahmen andererseits zu verstehen ist, Zählweisen Unterschiedliche Zählweisen, welche Leistungen auf welcher Abstraktionsebene familienbezogen sind, Schnittstellenproblematik Die bestehende Vielzahl von Schnittstellen für familienbezogene Maßnahmen im Sozialrecht 19, Zuständigkeiten Ansiedlung von Zuständigkeiten auf unterschiedlichen politischen Handlungsebenen (Bund, Land, Kommune), Finanzierung Mehrfachzuständigkeiten des Bundes, der Länder und Kommunen bei der Finanzierung von Leistungen bedingt durch das Föderalismusprinzip, wobei die Anteile je nach Leistung variieren,20 Charakter der Leistungen Regelleistung oder Optionsmöglichkeit für bestimmte Leistungen (Kindergeld / Kinderfreibetrag ),21 ausschließlich gruppenspezifische Leistungen (Familienbezogene Leistungen im Asylbewerberleistungsgesetz), 19 Einen Überblick über die Komplexität der Bezüge zwischen verschiedenen Maßnahmen und Leistungen bieten Ott (u. a.), a. a. O., hier: Tabelle 3-7: explizite Bezüge zwischen verschiedenen Maßnahmen und Leistungen, S. 101, beigefügt in der Anlage 2 und PROGNOS <2014>, S. 92, Tabelle 7, Leistungsanspruch in Abhängigkeit vom Familienstand und Einkommen Anlage 3. 20 Beispiele für eine mehrfache Finanzträgerschaft: - Kinderanteil Wohngeld (ALGII): Bund 30%, Länder 70%, - Steuerliche Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten: Bund und Länder jeweils 42,5%, Kommunen 15%, - Unterhaltsvorschuss: Bund, Länder, Kommunen jeweils ein Drittel der Aufwendungen. 21 Beispielsweise kann entweder das Kindergeld als monetäre Leistung ausbezahlt ODER steuerlich ein Kinderfreibetrag in Anspruch genommen werden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 - 3000 - 006/15 Seite 12 Situationsbedingte Wahrnehmung von Leistungen Unterschiedliche Wirkungszusammenhänge und Wahrnehmungen von Leistungen abhängig von der Altersstruktur der Familienangehörigen und mögliche Mehrfachansprüche, Altersgrenzen Existenz unterschiedliche Altersgrenzen für familienbezogenen Leistungen, Einkommensgrenzen Existenz unterschiedlicher Einkommensgrenzen für familienbezogene Leistungen.22 In der Literatur wird auch argumentiert, dass gerade in einer Vielfalt familienbezogener Leistungen der Vorteil liegt, dass Unterstützungsmaßnahmen zielgruppenspezifisch zugeschnitten werden können. Eine Bündelung aller Maßnahmen etwa in einem Ministerium erscheine als Alternative zur bisherigen Ressortaufteilung nicht machbar, da beispielsweise steuerliche Maßnahmen oder Leistungen nicht sinnvoll aus der Zuständigkeit des Finanzministeriums ausgegliedert werden können. Gleichwohl wird hier als Manko eine potenzielle Unüberschaubarkeit für Leistungsberechtigte festgestellt. 23 Daher wird konstatiert, dass ein „Zielkonflikt zwischen zielgenauen Leistungen und Übersichtlichkeit in diesem Politikfeld“ existiere.24 Auch liegen hierzu – worauf auch in zitierten PROGNOS-Studie hingewiesen wird – keine belastbaren Untersuchungen vor, insbesondere nicht zu der Frage, welche möglichen Konsequenzen eine bestimmte Zusammenlegung von Leistungen gegebenenfalls auf andere familienbezogene Wirkungszusammenhänge haben könnte. Einen Ansatz zur Beantwortung der Frage, ob und wenn ja, welche familienbezogenen Maßnahmen zusammengelegt werden könnten, bietet die abschließende Erörterung aus der genannten Schnittstellenanalyse25, die in der Anlage 4 beigefügt ist. Obwohl schon heute eine Vielzahl von Informationsmöglichkeiten über familienbezogene Leistungen existieren, bietet sich an zu prüfen, welche Optimierungen – unabhängig von einer Zusammenlegung von Leistungen - im Bereich der Beratungsleistungen erzielt werden könnten. 22 Diese Alters- und Einkommensgrenzen sind meist den konkreten bezugsrelevanten Situationen geschuldet, verkomplizieren aber die Umsetzung eine Zusammenführung von Leistungen. Darüber hinaus sind den jeweiligen Einkommensgrenzen im Sozial-, Steuer- und Unterhaltsrecht unterschiedliche Einkommensbegriffe hinterlegt, siehe hierzu: Ott (u. a.), a .a .O., S. 83. 23 Bujard, Martin, Bundeszentrale für Politische Bildung, Familienpolitik, Föderalismus und Bundesressorts, eingestellt auf: http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/familienpolitik/197916/foederalismus-und-bundesressorts?p=all (Stand 19. März 2015). 24 Bujard, Martin <2014c>, Familienpolitische Geldleistungen, S. 5, 24. Oktober 2014, eingestellt auf: Bundeszentrale für Politische Bildung http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/familienpolitik/193715/familienpolitische-geldleistungen ?p=3 (Stand 19. März 2015). 25 Ott (u. a.), a. a. O., Kapitel 6.3, Grundlagen und Ansatzpunkte für Lösungen, S. 288 – 294.