© 2019 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 – 004/19 Zur Übernahme von Mehrkosten in Folge von Lebensmittelunverträglichkeiten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 – 004/19 Seite 2 Zur Übernahme von Mehrkosten in Folge von Lebensmittelunverträglichkeiten Aktenzeichen: WD 9 - 3000 – 004/19 Abschluss der Arbeit: 4. Februar 2019 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 – 004/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zur Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenversicherungen 4 3. Zur Kostenübernahme durch die Sozialämter 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 – 004/19 Seite 4 1. Einleitung Nahrungsmittelunverträglichkeiten beeinträchtigen mehr als 20 Prozent der Bevölkerung der Industrieländer . 1 Mit ihr gehen nicht nur Leid und Einschränkungen der Lebensqualität einher, sondern auch erhebliche Mehrkosten aufgrund einer notwendigen Nahrungsumstellung. Derselben Situation sind Betroffene anderer Diät- oder Krankenkost ausgesetzt. Im Folgenden soll dargelegt werden, wann ein Anspruch auf Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen besteht und ob gegebenenfalls andere Einrichtungen Mehrkosten tragen. 2. Zur Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenversicherungen Nach § 31 Fünftes Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V)2 haben Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Das SGB V definiert den Begriff des Arzneimittels jedoch nicht. Als Prüfungsmaßstab wird heute regelmäßig auf die Legaldefinition in § 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz - AMG) zurückgegriffen.3 Danach sind Arzneimittel Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung im oder am menschlichen Körper, Krankheitszustände zu erkennen, zu heilen, zu bessern, zu lindern oder zu verhüten.4 Ebenfalls umfasst sind Stoffe, die geeignet und dazu bestimmt sind, körperliche oder seelische Zustände erkennbar zu machen, also zu diagnostizieren.5 Im Weiteren nennt § 2 AMG in Absatz 2 bestimmte Gegenstände und Stoffe, die als Arzneimittel gelten, und schließt in Absatz 3 einzelne Gegenstände, etwa Lebensmittel , aus.6 Kernfrage ist somit, ob es sich bei den in Frage stehenden Stoffen um Arznei- oder um Lebensmittel handelt. Die Abgrenzung bestimmt sich nach dem überwiegenden Zweck des Stoffes.7 Nach § 2 Abs. 2 Lebensmittel -, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch - LFGB) i.V.m. Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 sind unter „Lebensmittel“ 1 Deutsches Ärzteblatt 2009 Heft 21, S. 359 – 370 [359]. 2 Das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477, 2482), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 11. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2394) geändert worden ist. 3 Axer, in: Becker/ Kingreen SGB V, § 31 Rn. 8; Pflugmacher, in: Eichenhofer SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung Kommentar, § 31 Rn. 5; Just/Schneider, Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung, Rn. 287. 4 Pflugmacher, in: Eichenhofer SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung Kommentar, § 31 Rn. 5; BSGE 81 240, 242. 5 Pflugmacher, in: Eichenhofer SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung Kommentar, § 31 Rn. 5; BSGE 28, 158, 162. 6 Axer, in: Becker/ Kingreen SGB V, § 31 Rn. 8. 7 Axer, in: Becker/ Kingreen SGB V, § 31 Rn. 10; Just/Schneider, Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung , Rn. 291. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 – 004/19 Seite 5 alle Stoffe oder Erzeugnisse zu verstehen, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Die Versorgung von (gluten-, lactose-, fruktosefreien, eiweißarmen oder ähnlichen) Lebensmitteln sowie von Diät- und Krankenkost ist somit grundsätzlich keine Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherungen , 8 denn ihr vorwiegender Zweck ist die Ernährung oder die Verzehrung als Genussmittel. Sie heilen oder verhüten die Nahrungsmittelunverträglichkeit gerade nicht.9 Die durch seinen vorrangingen Verwendungszweck (Nahrung) begründete Eigenschaft verliert ein Stoff auch nicht dadurch, dass er speziell dazu hergestellt ist, eine auf die Krankheit abgestimmte Ernährungsweise zu ermöglichen oder dadurch, dass therapeutische Effekte geltend gemacht werden können.10 Eine Ausnahme macht der § 31 Absatz 5 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Leistung , wenn eine diätische Intervention mit bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Enterale Ernährung ist eine klinische Ernährung unter Einbeziehung des Magen-Darm-Traktes, die über orale Nahrungsaufnahme oder über Ernährungssonden erfolgt.11 Der Begriff „bilanzierte Diäten“ ist in § 1 Abs. 4a der Verordnung über diätische Lebensmittel - Diätverordnung (DiätV) definiert. Danach sind diätische Lebensmittel alle Erzeugnisse, die auf besondere Weise verarbeitet oder formuliert sind. Sie dienen der ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Verdauung beziehungsweise Verstoffwechselung .12 Nach dem Willen des Gesetzgebers soll es aber bei dem Grundsatz bleiben, dass die Versorgung mit Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, sogenannter Krankenkost und anderen diätischen Lebensmittel grundsätzlich nicht zu den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung gehören.13 Nach der Arzneimittel-Richtlinie sind als verordnungsfähige Produkte daher ausschließlich Aminosäuremischungen (§ 19 Abs. 1 AM-RL), Eiweißhydrolysate (§ 19 Abs. 2 AM- 8 BT-Drs. 16/10609, S. 51; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14.09.2016 – L 6 KR 43/14, BeckRS 2016, 74650; Axer, in: Becker/ Kingreen SGB V, § 31 Rn. 8; Pflugmacher, in: Eichenhofer SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung Kommentar, § 31 Rn. 5; Just/Schneider, Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung, Rn. 287; Nolte, in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 31 Rn. 29. Wagner, in: Krauskopf SGB V, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 31 Rn. 9. 9 LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.02.2015 – S 14 KR 549/13, BeckRS 2015, 67318. 10 LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14.09.2016 – L 6 KR 43/14, BeckRS 2016, 74650. 11 Wagner, in: Krauskopf SGB V, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 31 Rn. 42; Schlegel/Voelzke, SGB V Gesetzliche Krankenversicherung Band 1, § 31 Rn. 91. 12 Vgl. § 1 Absatz 4a Diätverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. April 2005 (BGBl. I S. 1161), die zuletzt durch Artikel 22 der Verordnung vom 5. Juli 2017 (BGBl. I S. 2272) geändert worden ist. 13 BT-Drs. 16/10609, S. 51. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 9 – 004/19 Seite 6 RL), Elementardiäten (§ 19 Abs. 3 AM-RL), Sondennahrungen (§ 19 Abs. 4 AM-RL) und ergänzende bilanzierte Diäten (§ 20 S. 3 AM-RL) bestimmt.14 3. Zur Kostenübernahme durch die Sozialämter Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld sind grundsätzlich nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert und damit gegen gesundheitliche Risiken abgesichert. Da die gesetzliche Krankenversicherung aber die Versorgung mit Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, Krankenkost und anderer diätischer Lebensmittel nicht gewährleistet, stellt sich die Frage, ob in diesem Zusammenhang ergänzende Ansprüche nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II15) in Betracht kommen.16 Mehraufwendungen für solche Lebensmittel werden im Rahmen des SGB II durch den speziellen Mehrbedarfsanspruch gemäß § 21 Abs. 5 SGB II abgedeckt. Den Empfängern von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II steht in erster Linie der Regelbedarf gemäß § 20 SGB II zur Verfügung , in dem gemäß § 5 Abs. 1 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz insbesondere Kosten für die Gesundheitspflege in Höhe von 15,55 EUR berücksichtigt sind. Daneben gibt es besondere Regelungen für Mehrbedarfe wie etwa den § 21 Abs. 5 SGB II.17 Danach erhält ein Leistungsberechtigter, der medizinisch bedingt kostenaufwändiger Ernährung bedarf, für den dadurch entstehenden Mehrbedarf Leistungen in angemessener Höhe. Die Anspruchsgrundlage enthält viele unbestimmte Rechtsbegriffe wie etwa „bedürfen“, „kostenaufwändig“ und „angemessene Höhe“.18 Die Rechtsprechung greift für die inhaltlichen Konkretisierung dieser Rechtsbegriffe auf die “Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge für die Gewährung von Krankenkostenzulagen in der Sozialhilfe“ zurück.19 Nichts desto trotz bleibt es bei einer Einzelfallprüfung des Gerichts bezüglich Grund und Höhe des Mehrbedarfes.20 *** 14 Nolte, in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 31 Rn. 75. 15 Das Zweite Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 (BGBl. I S. 850, 2094), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 18. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2651) geändert worden ist. 16 Gesamter Absatz vgl. dazu: Bockholdt, NZS 2016, S. 881 – 888. 17 Gesamter Absatz vgl. dazu: Bockholdt, NZS 2016, S. 881 – 888. 18 Knickrehm/Hahn, in: Eicher/Luik SGB II, § 21 Rn. 53. 19 Breitkreuz, in: BeckOK SozR SGB II, § 21 Rn. 14. 20 SG Leipzig, Urteil vom 13.10.2010 – S 15 AS 2345/07.