© 2016 Deutscher Bundestag WD 9 - 3000 – 004/16 Legale Anwendungsmöglichkeiten für Cannabis und Cannabis-Wirkstoffe zu medizinischen Zwecken in Deutschland Derzeitige Rechtslage und aktuelle Reformbemühungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 004/16 Seite 2 Legale Anwendungsmöglichkeiten für Cannabis und Cannabis-Wirkstoffe zu medizinischen Zwecken in Deutschland Derzeitige Rechtslage und aktuelle Reformbemühungen Aktenzeichen: WD 9 - 3000 – 004/16 Abschluss der Arbeit: 26. Januar 2016 Fachbereich: WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 004/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 4 2. Betäubungsmittelrechtliche Grundlagen 5 2.1. Ziele des Betäubungsmittelgesetzes und der Betäubungsmittel- Verschreibungsverordnung 5 2.2. Begriff der Betäubungsmittel im Sinne der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 BtMG 6 3. Anwendungsmöglichkeiten für Cannabis und Cannabis- Wirkstoffe zu medizinischen Zwecken nach derzeitiger Rechtslage in Deutschland 7 3.1. Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit von Cannabis in Zubereitungen, die in Deutschland als Fertigarzneimittel zugelassen sind 7 3.2. Verbringung im Ausland zugelassener cannabis- oder cannabinoidhaltiger Fertigarzneimittel nach Deutschland im Wege des sog. Einzelimports durch eine Apotheke 9 3.3. Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit der Cannabis-Wirkstoffe Dronabinol und Nabilon zur Herstellung und Abgabe als Rezepturarzneimittel durch eine Apotheke 11 3.4. Bezug von Medizinalhanf und Cannabisextrakt aufgrund einer Ausnahmeerlaubnis des BfArM zur Anwendung im Rahmen einer medizinisch betreuten Selbsttherapie 11 4. Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Anwendung von Cannabis und Cannabis-Wirkstoffen zu medizinischen Zwecken nach derzeitiger Rechtslage in Deutschland 12 4.1. Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung 13 4.2. Kostenerstattung durch die privaten Krankenversicherungsunternehmen 14 5. Aktuelle Reformbemühungen 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 004/16 Seite 4 1. Zusammenfassung Die Anwendung von Cannabis und Cannabinoiden zu medizinischen Zwecken ist in Deutschland unter bestimmten Bedingungen möglich, gesetzlich jedoch streng reguliert. Die Voraussetzungen , unter denen in Deutschland Cannabis oder Cannabinoide zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden können, sind im Betäubungsmittel- Arzneimittel- und Apothekenrecht geregelt . Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) sind nach § 1 Abs. 1 BtMG die in den Anlagen I bis III aufgeführten Stoffe und Zubereitungen. Das BtMG bestimmt seinen Anwendungsbereich damit nicht mittels abstrakter Merkmale. Es folgt vielmehr dem System der Positivliste (Anlagen I bis III), in der die Stoffe und Zubereitungen, auf die das Gesetz anwendbar ist, enumerativ aufgezählt sind und durch die der Kreis der Betäubungsmittel abschließend festgelegt wird. Die Anlagen I bis III, auf die § 1 Abs. 1 BtMG verweist, sind danach unterschieden, ob das betreffende Betäubungsmittel nicht verkehrsfähig und nicht verschreibungsfähig (Anlage I), verkehrsfähig, aber nicht verschreibungsfähig (Anlage II) oder verkehrsfähig und verschreibungsfähig (Anlage III) ist. Mit der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften (25. BtMÄndVO) hat die Bundesregierung im Jahr 2011 eine rechtlich differenzierte Abbildung des Betäubungsmittels Cannabis in den Anlagen I bis III vorgenommen, um jegliche Form der Entwicklung und Zulassung von Fertigarzneimitteln auf Cannabisbasis zu ermöglichen und an Patientinnen und Patienten verschreiben zu können. Mit dieser Regelung wurde dafür gesorgt, dass in Deutschland cannabishaltige Fertigarzneimittel hergestellt und nach entsprechender klinischer Prüfung und Zulassung als weitere Therapieoption durch Ärzte verschrieben werden können. Seit dem Inkrafttreten der 25. BtMÄndVO im Jahr 2011 wurde in Deutschland bislang erst ein einziges cannabishaltiges Fertigarzneimittel zugelassen. Hierbei handelt es sich um das am 1. Juli 2011 zugelassene Präparat „Sativex (Sublingualspray)“ mit Cannabis-Extrakt zur symptomatischen Therapie der Spastik bei Multipler Sklerose. Die ärztliche Verschreibung dieses Präparats unterliegt dabei den – auch für alle übrigen verschreibungsfähigen Betäubungsmittel geltenden – strengen Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG. Danach ist die Verschreibung von Betäubungsmitteln nur erlaubt, wenn der Arzt aufgrund eigener Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass nach den anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft die Anwendung zulässig und geboten ist. Ergänzend dazu ist gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BtMG die Abgabe der nach Absatz 1 verschriebenen Betäubungsmittel nur in Apotheken gegen Vorlage einer ärztlichen Verschreibung auf dem dafür erforderlichen Betäubungsmittelrezept zulässig. Auch außerhalb Deutschlands zugelassene cannabis- oder cannabinoidhaltige Fertigarzneimittel können im Wege des sog. Einzelimports unter den Voraussetzungen des § 73 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG) von einer Apotheke auf vorliegende Bestellung und gegen Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Verschreibung in geringen Mengen nach Deutschland verbracht und an Patienten abgegeben werden. Auf dem Cannabis-Wirkstoff Dronabinol, der bereits durch die 10. BtMÄndVO im Jahr 1998 als verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel in die Anlage III zum BtMG aufgenommen wurde, beruht das Fertigarzneimittel „Marinol“, das in den USA und anderen nichteuropäischen Staaten für zwei Indikationen (Appetitlosigkeit bei Gewichtsverlust von AIDS-Patienten sowie Übelkeit und Erbrechen bei der Chemotherapie von Krebspatienten) zugelassen ist. Da nach Auffassung der Bundesregierung davon auszugehen ist, dass die Wirksamkeit in diesen Anwendungsgebieten nach Maßgabe des dortigen Arzneimittelrechts belegt werden konnte und in Deutschland derzeit kein Fertigarzneimittel für diese Indikationen zugelassen ist, kann es unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 BtMG durch einen Arzt Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 004/16 Seite 5 verschrieben und im Wege des Einzelimports nach § 73 Abs. 3 AMG zu therapeutischen Zwecken nach Deutschland eingeführt werden. Dasselbe gilt für das Fertigarzneimittel „Nabilon“, das unter anderem in Großbritannien für die Anwendungsgebiete Anorexie und Kachexie bei AIDS- Patienten sowie als Antiemetikum bei Übelkeit und Erbrechen unter Zystostatika oder Bestrahlungstherapie im Rahmen der Krebstherapie seit 2009 zugelassen ist. Der diesem Fertigarzneimittel zu Grunde liegende Cannabis-Wirkstoff Nabilon wurde in Deutschland bereits im Jahr 1984 in die Liste der verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel nach Anlage III des BtMG aufgenommen. Die in die Anlage III zu § 1 BtMG aufgenommenen – und damit verkehrs- und verschreibungsfähigen – Cannabis-Wirkstoffe Dronabinol und Nabilon können von Apotheken, sofern eine entsprechende ärztliche Verordnung für Patientinnen und Patienten vorliegt, auch zur individuellen Herstellung sog. Rezepturarzneimittel erworben und aufgrund eines Betäubungsmittelrezepts abgegeben werden. Bei Cannabis selbst besteht die Möglichkeit der Anfertigung einer individuellen Rezeptur durch eine Apotheke dagegen nicht, da es nur in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind, in Anlage III aufgenommen worden ist. Schwerkranke Patienten können, falls eine Therapie mit Standardarzneimitteln nicht möglich ist, zudem beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Antrag eine betäubungsmittelrechtliche Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zum Erwerb von Medizinalhanf oder Cannabisextrakt zur Anwendung im Rahmen einer medizinisch betreuten und begleiteten Selbsttherapie erhalten. Medizinalhanf kann von einer Apotheke über den pharmazeutischen Großhandel aus den Niederlanden bezogen und von denjenigen, die eine Ausnahmeerlaubnis des BfArM haben, in der Apotheke erworben werden. Eine Ausnahmeerlaubnis für den Erwerb eines standardisierten Cannabisextrakts oder standardisierter Cannabisblüten bei einer Apotheke zu medizinischen Zwecken kann das BfArM nach § 3 Abs. 2 BtMG dann erteilen, wenn dies im „öffentlichen Interesse“ liegt. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu festgestellt, dass auch die Behandlung einer einzelnen schwer kranken Patientin bzw. eines Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen könne, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung der Erkrankung möglich sei und den Betroffenen kein wirksames zugelassenes und für sie erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung stehe. 2. Betäubungsmittelrechtliche Grundlagen 2.1. Ziele des Betäubungsmittelgesetzes und der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung Das deutsche Betäubungsmittelgesetz (BtMG)1 hat zum Ziel, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen und zugleich den Missbrauch von Betäubungsmitteln sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG). In dieser Zielbestimmung kommt die Doppelnatur der Betäubungsmittel zum Ausdruck, die als Arzneimittel oder deren Grundstoffe vielfach unentbehr- 1 Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz – BtMG) vom 28. Juli 1981 in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 1994 (BGBl. I S. 358), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 11. November 2015 (BGBl. I S. 1992). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 004/16 Seite 6 lich, zugleich aber eine erhebliche Gefahrenquelle für die Gesundheit des einzelnen oder der Gemeinschaft sind2. Der Gesundheitsschutz als Ziel des BtMG wird durch die strenge Bindung des Betäubungsmittelerwerbs im Rahmen eines ärztlichen Heilverfahrens an die absolute medizinische Indikation und an den ausschließlichen Zweck der Heilung – einschließlich der Schmerzlinderung – gewährleistet. Damit soll der Entstehung einer Sucht entgegengewirkt und ferner verhindert werden, dass eine bereits bestehende Sucht durch Verschreibungen unter Nichtbeachtung oder nicht hinreichender Beachtung des Standes der ärztlichen Wissenschaft gefördert wird3. Dieser Zielsetzung des BtMG dient auch die auf der Grundlage des § 13 Abs. 3 BtMG erlassene Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV)4, mit der unter anderem Regelungen über die Form der Verschreibung, über die darin aufzunehmenden Angaben und über die Tageshöchstmengen getroffen worden sind. Erklärtes Ziel des Gesetz- und Verordnungsgebers war es, Missbräuchen der Verschreibung mit allen Mitteln entgegenzuwirken und es insbesondere nicht der freien Entscheidung des Arztes anheim zu geben, ein medizinisch indiziertes Betäubungsmittel auch bei erkennbarer Gefahr der missbräuchlichen Verwendung zu verschreiben5. 2.2. Begriff der Betäubungsmittel im Sinne der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 BtMG Betäubungsmittel im Sinne des BtMG sind nach § 1 Abs. 1 BtMG die in den Anlagen I bis III aufgeführten Stoffe und Zubereitungen. Die Begriffe Stoff und Zubereitung werden ihrerseits in § 2 BtMG gesetzlich definiert. Anders als das Arzneimittelgesetz (AMG)6 bestimmt das BtMG seinen Anwendungsbereich damit nicht mittels abstrakter Merkmale, etwa einer Definition des Begriffs Betäubungsmittel. Es folgt vielmehr dem System der Positivliste (Anlagen I bis III), in der die Stoffe und Zubereitungen, auf die das Gesetz anwendbar ist, enumerativ aufgezählt sind und durch die der Kreis der Betäubungsmittel konstitutiv und abschließend festgelegt wird7. Die Anlagen I bis III, auf die § 1 Abs. 1 BtMG verweist, sind danach unterschieden, ob das betreffende Betäubungsmittel nicht verkehrsfähig und nicht verschreibungsfähig (Anlage I), verkehrsfähig, aber nicht verschreibungsfähig (Anlage II) oder verkehrsfähig und verschreibungsfähig (Anlage 2 Aufgrund der Entwicklung des internationalen illegalen Drogenmarktes ist dem Betäubungsmittelrecht über diese ursprünglichen Ziele hinaus die Aufgabe zugewachsen, die sozialschädlichen Folgen des illegalen Betäubungsmittelverkehrs einzudämmen, insbesondere die Korrumpierung der Gesellschaft durch finanzstarke kriminelle Vereinigungen zu verhindern (BVerfGE, 145, 174); vgl. im Übrigen die Nachweise bei Weber, Betäubungsmittelgesetz /Arzneimittelgesetz, Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 1 BtMG Rn. 2. 3 Vgl. BGHSt 29, 6 (10); BGHSt 37, 383 (384); Ulsenheimer, in: Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl. 2010, § 147 Rn. 1. 4 Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln (Betäubungsmitteln -Verschreibungsverordnung – BtMVV) vom 20. Januar 1998 (BGBl. I S. 74, 80), zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung vom 11. November 2015 (BGBl. I S. 1992). 5 Vgl. BGHSt 29, 6 (11). 6 Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG) vom 24. August 1976 in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 10. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2210); zum Arzneimittelbegriff im Sinne des AMG vgl. § 2 AMG. 7 Zur konstitutiven und abschließenden Wirkung der in die Positivliste aufgenommen Stoffe und Zubereitungen vgl. näher Weber, Betäubungsmittelgesetz/Arzneimittelgesetz, § 1 BtMG Rn. 13 bis 19. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 004/16 Seite 7 III) ist. Die Anlagen I bis III des BtMG können nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 des § 1 BtMG durch Rechtsverordnung der Bundesregierung bzw. des Bundesministeriums für Gesundheit geändert oder ergänzt werden. 3. Anwendungsmöglichkeiten für Cannabis und Cannabis-Wirkstoffe zu medizinischen Zwecken nach derzeitiger Rechtslage in Deutschland Nach dem deutschen Betäubungsmittel- Arzneimittel- und Apothekenrecht bestehen nach derzeitiger Rechtslage folgende Anwendungsmöglichkeiten für Cannabis und Cannabis-Wirkstoffe zu medizinischen Zwecken: 3.1. Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit von Cannabis in Zubereitungen, die in Deutschland als Fertigarzneimittel zugelassen sind Bis Mitte Mai 2011 war Cannabis allein in der Anlage I des BtMG aufgenommen und damit weder verkehrs- noch verschreibungsfähig. Mit der am 18. Mai 2011 in Kraft getretenen 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften (BtMÄndVO) vom 11. Mai 20118 hat die Bundesregierung eine rechtlich differenzierte Abbildung des Betäubungsmittels Cannabis in den Anlagen I bis III zu § 1 BtMG vorgenommen, um jegliche Form der Entwicklung und Zulassung von Fertigarzneimitteln auf Cannabisbasis zu ermöglichen. Die Zulassung von Fertigarzneimitteln auf Cannabisbasis in Deutschland kann erfolgen, sobald von pharmazeutischen Unternehmen Anträge auf Zulassung beim zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eingereicht werden und nach entsprechender Prüfung – in Übereinstimmung mit den bestehenden gesetzlichen Vorgaben – eine positive Zulassungsentscheidung getroffen werden kann. Mit der Gesetzesänderung durch die 25. BtMÄndVO wollte die Bundesregierung erreichen, dass in Deutschland cannabishaltige Fertigarzneimittel hergestellt und nach entsprechender klinischer Prüfung und Zulassung als weitere Therapieoption an Patienten verschrieben werden können9. Bezüglich des Handels und des Besitzes von Cannabis zu Rauschzwecken blieb die Rechtslage unverändert. Im Einzelnen gilt nach derzeitiger Rechtslage insoweit Folgendes: Mit der 25. BtMÄndVO wurden zum einen die Ausnahmen bei der Position „ Cannabis“ (Marihuana , Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) in Anlage I des BtMG um den Buchstaben e) ergänzt. Hiernach kann Cannabis zu den in den Anlagen II und III des BtMG bezeichneten Zwecken verwendet werden. Im Übrigen blieb Cannabis jedoch in Anlage I des BtMG und ist damit, soweit keine der Ausnahmen der Buchstaben a bis d eingreift, weiterhin verkehrs- und verschreibungsunfähig. Mit der Einfügung in Anlage II (Position Cannabis ) wurde darüber hinaus die Verkehrsfähigkeit (einschließlich des Anbaus) von Cannabis ermöglicht , jedoch nur, soweit es zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken bestimmt ist. Der pharmazeutischen Industrie in Deutschland steht damit Cannabis zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinischen Zwecken zur Verfügung. Dies enthebt die pharmazeutische Industrie jedoch nicht von dem Erfordernis einer entsprechenden Erlaubnis durch das 8 BGBl. I S. 821. 9 Vgl. die Begründung zur Verordnung der Bundesregierung, 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften, in: BR-Drs. 130/11, S. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 004/16 Seite 8 BfArM nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG10. Mit der Einfügung in Anlage III (neue Position Cannabis) zu § 1 BtMG wurde schließlich die Verschreibungsfähigkeit von Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen) hergestellt, jedoch nur in Zubereitungen , die als Fertigarzneimittel zugelassen sind. Fertigarzneimittel sind nach der gesetzlichen Definition in § 4 Abs. 1 Satz 1 AMG Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden oder andere zur Abgabe an Verbraucher bestimmte Arzneimittel, bei deren Zubereitung in sonstiger Weise ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt oder die, ausgenommen in Apotheken, gewerblich hergestellt werden. Die Zulassung muss für Deutschland gültig sein11; dies gilt nicht nur für Zulassungen , die nach § 21 AMG erteilt wurden, sondern auch für Zulassungen im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und im dezentralisierten Verfahren (§ 25b AMG), sowie für die Genehmigung der Kommission und des Rates (§ 34 AMG) und, sofern eine entsprechende Rechtsverordnung erlassen wird, für die Zulassung in anderen Staaten (§ 37 AMG)12. Seit dem Inkrafttreten der 25. BtMÄndVO am 18. Mai 2011 wurde in Deutschland bislang erst ein einziges cannabishaltiges Fertigarzneimittel zugelassen. Es handelt sich hierbei um das am 1. Juli 2011 zur symptomatischen Therapie der Spastik bei Multipler Sklerose zugelassene Präparat „Sativex (Sublingualspray)“, ein Mundspray, das auf natürlichem Cannabis beruht und mit jedem Sprühstoß eine feste Dosis von 2,7 mg Tetrahydrocannabinol (THC) und 2, 5 mg Cannabidiol liefert 13. Dieses Fertigarzneimittel wird zur Symptomverbesserung bei erwachsenen Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von Multipler Sklerose angewendet, die nicht angemessen auf eine andere antispastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben und die eine klinisch erhebliche Verbesserung von mit der Spastik verbundenen Symptomen während eines Anfangstherapieversuchs aufzeigen14. Kontraindiziert ist „Sativex“ bei Müttern in der Stillzeit 10 Nach der Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG bedarf einer Erlaubnis des BfArM, wer Betäubungsmittel anbauen , herstellen, mit ihnen Handel treiben, sie, ohne mit ihnen Handel zu treiben, einführen, ausführen, abgeben , veräußern oder sonst in Verkehr bringen will. 11 Vgl. Weber, Betäubungsmittelgesetz/Arzneimittelgesetz, § 1 BtMG Rn. 263. 12 Vgl. Weber, Betäubungsmittelgesetz/Arzneimittelgesetz, § 1 BtmG Rn. 263. 13 Vgl. Weber, Betäubungsmittelgesetz/Arzneimittelgesetz, § 1 BtMG Rn. 266. 14 Vgl. BT-Drs. 18/4539, S. 6 f. Für ein weiteres Präparat („Nabilon Orpha 1 mg Kapseln“) zur Behandlung von chemotherapiebedingter Emesis und Nausea bei jenen Krebs-Patientinnen und -patienten, die auf andere antiemetische Behandlungen nicht adäquat ansprechen, liegt mittlerweile ein Zulassungsantrag vor, der sich gegenwärtig in der arzneimittelrechtlichen Prüfung und Bearbeitung befindet. Drei weitere Anträge befinden sich derzeit in der Vorprüfung gemäß § 25a AMG (vgl. BT-Drs. 18/4539, S. 7). Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden in den vergangenen fünf Jahren darüber hinaus insgesamt 11 Anträge auf Genehmigung einer klinischen Prüfung mit Cannabis oder Cannabinoiden beim BfArM gestellt. Beforscht wurden danach folgende Indikationen : chronische Tumorschmerzen, akute Schizophrenie, Glioblastom, akute Psychose, fokale Dystonie und chronische HIV-assoziierte Neuropathien (vgl. BT-Drs. 18/4539, S. 9). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 004/16 Seite 9 und bei einer bekannten oder vermuteten Anamnese oder Familienanamnese von Schizophrenie 15. Es kann nach § 2 Abs. 1 Buchstabe a. Nr. 2a BtMVV innerhalb von 30 Tagen bis zu einer Menge von 1000 mg, bezogen auf den THC-Gehalt, durch einen Arzt verschrieben werden. Die ärztliche Verschreibung des Präparats Sativex unterliegt dabei allerdings den allgemeinen betäubungsmittelrechtlichen Verschreibungsanforderungen des § 13 Abs. 1 BtmG. Nach Satz 1 dieser Bestimmung dürfen die in Anlage III zu § 1 BtMG bezeichneten Betäubungsmittel – und damit auch cannabis- oder cannabinoidhaltige Fertigarzneimittel – von Ärzten nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärztlichen Behandlung verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch überlassen werden, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen Körper begründet ist16. Das ist dann der Fall, wenn der Arzt, dem insoweit ein Beurteilungsspielraum zusteht17, aufgrund einer Untersuchung des Patienten die Überzeugung erlangt hat, dass die Verschreibung bzw. Verabreichung oder Verbrauchsüberlassung nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Wissenschaft zulässig und geboten ist. Die Anwendung ist insbesondere dann nicht begründet, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG). Ergänzend dazu ist gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BtMG die Abgabe der nach Absatz 1 verschriebenen Betäubungsmittel nur in Apotheken gegen Vorlage einer ärztlichen Verschreibung auf dem dafür erforderlichen Betäubungsmittelrezept bzw. dem dafür erforderlichen Betäubungsmittelanforderungsschein zulässig. 3.2. Verbringung im Ausland zugelassener cannabis- oder cannabinoidhaltiger Fertigarzneimittel nach Deutschland im Wege des sog. Einzelimports durch eine Apotheke Auch außerhalb Deutschlands zugelassene cannabis- oder cannabinoidhaltige Fertigarzneimittel können im Wege des sog. Einzelimports unter den Voraussetzungen des § 73 Abs. 3 Satz 1 AMG von einer Apotheke auf vorliegende Bestellung und gegen Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Verschreibung in geringen Mengen nach Deutschland verbracht und abgegeben werden18. Nach dieser Vorschrift dürfen – abweichend von § 73 Abs. 1 Satz 1 AMG – Fertigarzneimittel, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind und nicht zum Verkehr in Deutschland zugelassen, nach § 21a AMG genehmigt, registriert oder von der Zulassung oder Registrierung freigestellt sind, nach Deutschland verbracht werden, wenn sie 1. von Apotheken auf vorliegende Bestellung einzelner Personen in geringer Menge bestellt und von diesen Apotheken im Rahmen der beste- 15 Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz/Arzneimittelgesetz/Grundstoffüberwachungsgesetz , Kommentar, 8. Aufl. 2016, Stoffe: Kapitel 2. Cannabisprodukte und Cannabinoide, Rn. 57; PharmaZ-online vom 2.August .2011. 16 Unter Verschreiben eines Betäubungsmittels im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 1 BtmG ist dabei die schriftliche Anweisung auf einem Rezept an den Apotheker zu verstehen, ein bestimmtes Betäubungsmittel an eine bestimmte Person oder ärztliche Einrichtung zu bestimmten Bedingungen auszuhändigen; vgl. Patzak, in: Körner /Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz/Arzneimittelgesetz/Grundstoffüberwachungsgesetz, § 29/Teil 15, Rn. 5. 17 Vgl. BGH NJW 2014, 1680. 18 Vgl. BT-Drs. 17/3810, S. 4 ; Weber, Betäubungsmittelgesetz/Arzneimittelgesetz, § 1 BtMG Rn. 267. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 004/16 Seite 10 henden Apothekenbetriebserlaubnis abgegeben werden, sie 2. in dem Staat rechtmäßig in Verkehr gebracht werden dürfen, aus denen sie nach Deutschland verbracht werden, und für sie 3. hinsichtlich des Wirkstoffs identische und hinsichtlich der Wirkstärke vergleichbare Arzneimittel für das betreffende Anwendungsgebiet in Deutschland nicht zur Verfügung stehen19. Voraussetzung ist außerdem, dass die außerhalb Deutschlands zugelassenen cannabis- oder cannabinoidhaltigen Fertigarzneimittel in Deutschland verschreibungsfähig sind. Für Betäubungsmittel bedeutet dies, dass sie in Anlage III zu § 1 BtMG aufgenommen worden sind20. Bereits vor dem Inkrafttreten der 25. BtMÄndVO war eine solche Aufnahme in Anlage III zu § 1 BtMG bei dem Cannabiswirkstoff Dronabinol erfolgt. Dronabinol ist die Bezeichnung für das aus der Cannabispflanze isolierte THC. Es wird halbsynthetisch durch Extraktion aus Faserhanf gewonnen . Dronabinol wurde durch die 10. BtMÄndVO vom 20. Januar 199821 als verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel in die Anlage III zum BtMG aufgenommen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG, kann es nach § 2 Abs. 1 Buchstabe a. Nr. 5 BtMVV innerhalb von 30 Tagen bis zu einer Höchstmenge von 500 mg durch einen Arzt verschrieben werden. Auf dem Cannabiswirkstoff Dronabinol beruht das Fertigarzneimittel „Marinol “, das in den USA und anderen nichteuropäischen Staaten für zwei Indikationen (Appetitlosigkeit bei Gewichtsverlust von AIDS-Patienten sowie Übelkeit und Erbrechen bei der Chemotherapie von Krebspatienten) zugelassen ist. Da nach Auffassung der Bundesregierung davon auszugehen ist, dass die Wirksamkeit in diesen Anwendungsgebieten nach Maßgabe des dortigen Arzneimittelrechts belegt werden konnte und in Deutschland kein Fertigarzneimittel für diese Indikationen zugelassen ist, kann das cannabinoidhaltige Fertigarzneimittel „Marinol“ im Wege des Einzelimports nach § 73 Abs. 3 AMG zu therapeutischen Zwecken nach Deutschland eingeführt werden22. Dasselbe gilt für das Fertigarzneimittel „Nabilon“, das unter anderem in Großbritannien für die Anwendungsgebiete Anorexie und Kachexie bei AIDS-Patienten sowie als Antiemetikum bei Übelkeit und Erbrechen unter Zystostatika oder Bestrahlungstherapie im Rahmen einer Krebstherapie seit dem Jahr 2009 zugelassen ist23. Nabilon ist ein in den USA entwickeltes vollsynthetisches Cannabinoid, das dort und in Kanada unter dem Namen „Cesamet“ sowie unter dem Namen „Canemes“ auch in Österreich als Fertigarzneimittel zugelassen wurde24. Aufgrund der 1. BtmÄndVO vom 13. Juli 1984 wurde Nabilon bereits mit Wirkung vom 1. September 1984 in die Liste der verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel gemäß Anlage III des BtMG aufgenommen . Unter der Bezeichnung „Cesametic, 1 mg“ wurde dieses Cannabis-Medikament im 19 Nach § 73 Abs. 3 Satz 3 AMG regelt das Nähere die Verordnung über den Betrieb von Apotheken (Apothekenbetriebsordnung – ApBetrO) vom 9. Februar 1987 in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 1995 (BGBl. I S. 1195), zuletzt geändert durch Art. 2a der Verordnung vom 6. März 2015 (BGBl. I s. 278). 20 Vgl. Weber, Betäubungsmittelgesetz/Arzneimittelgesetz, Kommentar, § 1 BtMG Rn. 267. 21 BGBl. I S. 74. 22 Vgl. BT-Drs. 17/3810, S. 3 und Weber, Betäubungsmittelgesetz/Arzneimittelgesetz, § 1 BtMG Rn. 268. 23 Vgl. BT-Drs. 18/4539, S. 7 ; Weber, Betäubungsmittelgesetz/Arzneimittelgesetz, § 1 BtMG Rn. 268. 24 Vgl. BT-Drs. 18/4539, S. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 004/16 Seite 11 Jahr 1984 auch in Deutschland zugelassen, aber nie auf den Pharmamarkt gebracht. Deshalb wurde im Jahre 1988 die Arzneimittelzulassung wieder gelöscht. Auch in den USA ist dieses Präparat inzwischen nicht mehr auf dem Markt, nach wie vor aber in Großbritannien, von wo es auf Bestellung einer Apotheke nach § 73 Abs. 3 AMG durch eine Importfirma eingeführt werden kann25. 3.3. Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit der Cannabis-Wirkstoffe Dronabinol und Nabilon zur Herstellung und Abgabe als Rezepturarzneimittel durch eine Apotheke Die in die Anlage III zu § 1 BtMG aufgenommenen – und damit verkehrs- und verschreibungsfähigen – Cannabis-Wirkstoffe Dronabinol und Nabilon können von Apotheken – sofern eine entsprechende ärztliche Verordnung für Patientinnen und Patienten vorliegt – auch zur individuellen Herstellung sog. Rezepturarzneimittel erworben und aufgrund eines Betäubungsmittelrezepts abgegeben werden26. Dronabinol wird in Deutschland von den Firmen „THC Pharm“ in Frankfurt am Main, „Delta-9-Parma“ in Neumarkt und „Fagron“ in Barsbüttel aus Faserhanf hergestellt. Dort kann es von Apothekern als Rezeptursubstanz bezogen und je nach ärztlicher Verschreibung zu Tropfen oder Hartgelatinekapseln verarbeitet werden (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchstaben a. und c. BtMG27). Dronabinol werden folgende therapeutische Wirkungen zugeschrieben: Anregung des Appetits, Hemmung von Übelkeit und Erbrechen, Reduzierung muskulärer Krämpfe und Spastiken , Senkung des Augeninnendrucks und Stimmungsaufhellung28. Bei Cannabis selbst besteht die Möglichkeit der Anfertigung einer individuellen Rezeptur durch eine Apotheke dagegen nicht, da es – wie bereits erwähnt – nur in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind, in Anlage III aufgenommen ist. 3.4. Bezug von Medizinalhanf und Cannabisextrakt aufgrund einer Ausnahmeerlaubnis des BfArM zur Anwendung im Rahmen einer medizinisch betreuten Selbsttherapie Schwer kranke Patientinnen und Patienten können, falls eine Therapie mit Standardarzneimitteln nicht möglich ist, zudem beim BfArM auf Antrag eine betäubungsmittelrechtliche Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG zum Erwerb von Medizinalhanf oder Cannabisextrakt zur Anwendung im Rahmen einer medizinisch betreuten und begleiteten Selbsttherapie erhalten. Medizinalhanf kann von einer Apotheke über den pharmazeutischen Großhandel aus den Niederlan- 25 Vgl. Patzak, in: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz/Arzneimittelgesetz/Grundstoffüberwachungsgesetz , Stoffe, Kapitel 2: Cannabisprodukte und Cannabinoide Rn. 79. 26 Vgl. BT-Drs. 18/4539, S. 3; Weber, Betäubungsmittelgesetz/Arzneimittelgesetz, § 1 BtMG Rn. 269. 27 Vgl. Patzak, in: Betäubungsmittelgesetz/Arzneimittelgesetz/Grundstoffüberwachungsgesetz, Stoffe, Kapitel 2: Cannabisprodukte und Cannabinoide Rn. 78. 28 Vgl. Bastigkeit, Rauschgifte, 1. Aufl. 2003, S. 154. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 004/16 Seite 12 den bezogen und von denjenigen, die eine Ausnahmeerlaubnis des BfArM haben, in der Apotheke erworben werden29. In den Niederlanden wird der Medizinalhanf nach den strengen Vorgaben des Einheits-Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 30. März 1961 über Suchtstoffe30 und unter Einhaltung arzneimittelrechtlicher Vorgaben und Standards in Arzneiqualität hergestellt 31. Eine Ausnahmeerlaubnis für den Erwerb eines standardisierten Cannabisextrakts oder standardisierter Cannabisblüten bei einer Apotheke zu medizinischen Zwecken kann das BfArM nach § 3 Abs. 2 BtMG dann erteilen, wenn dies im „ öffentlichen Interesse“ liegt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 19. Mai 200532 zur Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals festgestellt , dass auch die Behandlung eines einzelnen schwer kranken Patienten mit Cannabis im öffentlichen Interesse liegen könne, wenn hierdurch die Heilung oder Linderung der Erkrankung möglich sei und den Betroffenen kein wirksames zugelassenes und für sie erschwingliches Arzneimittel zur Verfügung stehe. Seit diesem Urteil vom 19. Mai 2005 bis zum 27. Februar 2015 haben insgesamt 698 Personen eine Ausnahmegenehmigung nach § 3 Abs. 2 BtMG zum Erwerb von Cannabis zur Anwendung im Rahmen einer medizinisch betreuten und begleiteten Selbsttherapie beim BfArM beantragt, wovon 424 Anträge bewilligt worden sind. Von diesen verfügten am 27. Februar 2015 insgesamt 382 Patienten über eine Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG, da zwischenzeitlich 42 Personen die Erlaubnis zurückgegeben hatten oder verstorben waren33. Den vom BfArM nach § 3 Abs. 2 BtMG erteilten Erlaubnissen lagen nach Auskunft der Bundesregierung 34 Mitte November 2010 folgende ärztliche Diagnosen zugrunde: chronische Schmerzen, schmerzhafte Spastik bei Multipler Sklerose, Tourette-Syndrom, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts -Syndrom, Blepharospasmus, Bronchialkarzinom (Schmerz), Hepatitis C (HIV-Infektion ), Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie mit Schmerzzuständen und Spasmen, Morbus Crohn, Posner-Schlossmann-Syndrom, schmerzhafte Spastik bei Syringomyelie, Tetraspastik nach infantiler Cerebralparese und Thalamussyndrom bei Zustand nach Apoplex. 4. Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Anwendung von Cannabis und Cannabis-Wirkstoffen zu medizinischen Zwecken nach derzeitiger Rechtslage in Deutschland Für die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Anwendung von Cannabis und Cannabis-Wirkstoffen zu medizinischen Zwecken in der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung gilt nach der derzeitigen Rechtslage in Deutschland Folgendes: 29 Vgl. BT-Drs. 18/4539, S. 3. 30 Das Einheits-Übereinkommen vom 30. März 1961 über Suchtstoffe (BGBl. 1973 II S. 1353) ist in Deutschland am 2. Januar 1974 (BGBl. II S. 1211) bzw. am 8. August 1975 (BGBl. II S. 2158) in Kraft getreten. 31 Vgl. BT-Drs. 18/4539 S. 12. 32 BVerwG NJW 2005, 3300. 33 Vgl. Patzak, in: Betäubungsmittelgesetz/Arzneimittelgesetz/Grundstoffüberwachungsgesetz, § 3 BtMG Rn. 72. 34 Vgl. BT-Drs. 17/3810, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 004/16 Seite 13 4.1. Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung Nach der Bestimmung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)35 haben gesetzlich Krankenversicherte einen Anspruch auf Versorgung mit ärztlich verordneten Arzneimitteln nur, sofern diese apothekenpflichtig im Sinne der §§ 43 ff AMG sind. Ferner darf kein Ausschluss von der Leistungspflicht durch Gesetz nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V bestehen. Ein Anspruch auf apothekenpflichtige Arzneimittel besteht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V darüber hinaus grundsätzlich nur, wenn diese nach § 48 AMG verschreibungspflichtig sind. Die Erstattungsfähigkeit eines Fertigarzneimittels setzt außerdem eine arzneimittelrechtliche Zulassung nach den § 21 ff AMG voraus, deren Erteilung vom Nachweis der pharmazeutischen Qualität, der medizinischen Wirksamkeit und der Unbedenklichkeit des Arzneimittels abhängt36. Um zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu gehören, bedarf ein Fertigarzneimittel nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts außerdem der arzneimittelrechtlichen Zulassung für das Indikationsgebiet, in dem es angewendet wird, da es bei nicht vorhandener arzneimittelrechtlicher Zulassung an der nach den §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V erforderlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit fehlt37. In Deutschland arzneimittelrechtlich zugelassen und daher im Rahmen der GKV erstattungsfähig ist, wie oben näher dargelegt, bisher nur das – apotheken- und verschreibungspflichtige – cannabishaltige Fertigarzneimittel „Sativex (Sublingualspray)“ zur symptomatischen Therapie der Spastik bei Multipler Sklerose38. Die Erstattungsfähigkeit dieses Präparats ist allerdings, wie soeben erläutert, auf das Indikationsgebiet beschränkt, für das es arzneimittelrechtlich zugelassen wurde, d. h. auf Krankheitsfälle, in denen das Mittel zur Verbesserung von Symptomen bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund einer Multiplen Sklerose eingesetzt wird, die nicht angemessen auf eine andere antispastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben. Außerhalb Deutschlands zugelassene cannabis- oder cannabinoidhaltige Fertigarzneimittel, die im Wege des Einzelimports unter den Voraussetzungen des § 73 Abs. 3 Satz 1 AMG von einer Apotheke auf vorliegende Bestellung und gegen Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Verschreibung in geringen Mengen nach Deutschland verbracht und an Patienten abgegeben werden dürfen39,wie das in den USA und anderen nichteuropäischen Staaten zugelassene Fertigarzneimittel „Marinol“ und das unter anderem in Großbritannien zugelassene Fertigarzneimittel „Nabi- 35 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) – Gesetzliche Krankenversicherung – (Art. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477, 2482), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2424). 36 Vgl. Axer, in: Becker/Kingreen, SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung, 4. Aufl. 2014, § 31 Rn. 15. 37 Vgl. nur Bundessozialgericht (BSG), SozR 4-2500, § 31 Nr. 9 Rn. 29; BSG, SozR 4-2500, § 31 Nr. 15 Rn. 21; BSG, SozR 4-2500, § 31 Nr. 19 Rn. 11. 38 Vgl. hierzu näher oben zu Gliederungspunkt 3.1. 39 Vgl. hierzu näher oben zu Gliederungspunkt 3.2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 004/16 Seite 14 lon“, sind in der GKV dagegen nicht erstattungsfähig. Von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung 40 wird eine Erstattungspflicht für diese Fertigarzneimittel bislang abgelehnt, weil sie in Deutschland nicht zugelassen sind. Eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen kommt in diesen Fällen nur auf der Grundlage des § 2 Abs. 1a SGB V in Betracht, also bei Versicherten mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht. Eine Kostenübernahme der zulassungsfreien Rezepturarzneimittel, die von einer Apotheke auf der Basis der Cannabis-Wirkstoffe Dronabinol oder Nabilon hergestellt werden41 , scheitert nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung bisher insbesondere daran, dass die Behandlung eines Patienten mit diesen Rezepturen als Gegenstand einer neuen Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V angesehen wird42, für die die erforderliche Richtlinien-Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses bislang fehlt. Eine Kostenerstattung der GKV kommt nach derzeitiger Rechtslage auch hier nur unter den engen Voraussetzungen eines notstandsähnlichen Ausnahmefalles im Sinne des § 2 Abs. 1a SGB V in Betracht. Nicht erstattungsfähig ist nach dem derzeit geltenden Recht schließlich auch der Erwerb von Medizinalhanf (getrockneten Cannabisblüten ) oder eines standardisierten Cannabisextrakts aufgrund einer Ausnahmeerlaubnis des BfArM nach § 3 Abs. 2 BtMG zur Anwendung im Rahmen einer medizinisch betreuten und begleiteten Selbsttherapie43. Nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung44 ersetzt eine solche Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nicht die vom Gemeinsamen Bundesausschuss nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V zu treffende Empfehlung, die Voraussetzung für eine Kostenübernahme durch die GKV ist. 4.2. Kostenerstattung durch die privaten Krankenversicherungsunternehmen Die Kostenerstattung durch die privaten Krankenversicherungsunternehmen richtet sich im Wesentlichen nach den Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung . Danach werden die Kosten für Arzneimittel im tariflichen Umfang erstattet, wenn ein Arzt die medizinisch notwendigen Arzneimittel verordnet hat und diese aus einer Apotheke bezogen werden. Dabei muss es sich um von der sog. „Schulmedizin“ überwiegend anerkannte Mittel handeln. Ob das Arzneimittel rezeptpflichtig oder freiverkäuflich ist, spielt für die Kostenerstattung durch die Versicherungsunternehmen grundsätzlich keine Rolle. Darüber hinaus werden Medikamente aus der „ Alternativmedizin“ im tariflichen Umfang erstattet, soweit sie sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt haben oder weil keine Arzneimittel der „Schulmedizin “ zur Verfügung stehen. Besondere oder gezielte Einschränkungen bei der Erstattung von 40 Vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007 – B 1 KR 30/06; BSG, Beschluss vom 6. Januar 2005 – B 1 KR 51/03. 41 Vgl. hierzu näher oben zu Gliederungspunkt 3.3. 42 Vgl. BSG, Urteil vom 13. Oktober 2010 – B 6 KA 48/09 R. 43 Vgl. hierzu näher oben zu Gliederungspunkt 3.4. 44 Vgl. Landessozialgerichts Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Februar 2015 – L 4 KR 3786/13. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 9 - 3000 – 004/16 Seite 15 Cannabis oder Cannabinoiden durch die private Krankenversicherung bestehen – soweit ersichtlich – nicht45. 5. Aktuelle Reformbemühungen Am 8. Januar 2016 hat das Bundesministerium für Gesundheit den Referentenentwurf zu einem Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vorgelegt46. Aufbauend auf den schon nach bisheriger Rechtlage bestehenden Möglichkeiten, cannabis- und cannabinoidhaltige Arzneimittel zu therapeutischen Zwecken einzusetzen47, verfolgt das geplante Gesetz das Ziel, die Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit für weitere Arzneimittel auf Cannabisbasis – dazu gehören zum Beispiel getrocknete Cannabisblüten sowie Cannabisextrakte in pharmazeutischer Qualität – herzustellen. Dadurch soll bei fehlenden Therapiealternativen bestimmten, insbesondere schwerwiegend chronisch erkrankten Patientinnen und Patienten nach entsprechender Indikationsstellung der Zugang zur therapeutischen Anwendung dieser Arzneimittel in kontrollierter pharmazeutischer Qualität durch die Abgabe in Apotheken ermöglicht werden. Daneben dient dieses Gesetzesvorhaben aus gesundheits- und ordnungspolitischer Sicht dazu, einen nicht zielführenden Eigenanbau von Cannabis zur Selbsttherapie zu vermeiden48. Für die ausreichende qualitätsgesicherte Versorgung mit Cannabisarzneimitteln in diesen Fällen soll der Anbau von Cannabis ausschließlich zu medizinischen Zwecken in Deutschland unter Beachtung der Vorgaben des Einheits-Übereinkommens von 1961 über Suchtstoffe ermöglicht werden . Die Aufgaben einer staatlichen Stelle nach diesen internationalen Vorgaben sollen dem BfArM übertragen werden. Um die Verschreibungsfähigkeit für weitere Cannabisarzneimittel herzustellen , sollen die betäubungsmittelrechtlichen Bedingungen so angepasst werden, dass insbesondere schwerwiegend chronisch erkrankte Patientinnen und Patienten, die nach bisheriger Rechtslage auf eine Ausnahmeerlaubnis des BfArM nach § 3 Abs. 2 BtMG zum Erwerb von Medizinalhanf oder Cannabisextrakt zur Anwendung im Rahmen einer medizinisch betreuten und begleiteten Selbsttherapie angewiesen sind, bei entsprechender, durch Ärztinnen und Ärzte festgestellter , medizinischer Indikation in einem für die Therapie erforderlichen Umfang versorgt werden können, ohne dass dabei die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs gefährdet wird. Mit den angestrebten Änderungen im BtMG sind auch Änderungen in anderen Rechtsvorschriften verbunden. Dies betrifft neben notwendigen Anpassungen der BtMVV unter anderem auch Änderungen des SGB V zur Regelung der Erstattungsfähigkeit von Cannabisprodukten. Begleitend zur Herstellung der Verschreibungsfähigkeit für weitere Cannabisarzneimittel soll eine Möglichkeit der Kostenübernahme in der GKV für bestimmte Fälle geschaffen werden49. 45 Vgl. BT-Drs. 18/4539, S. 5. 46 Abrufbar im Internet unter: http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Downloads/Gesetze_und_Verordnungen /GuV/C/160108_GE_Cannabis_als_Medizin_mit_Cannabisagentur.pdf. 47 Vgl. hierzu oben zu Gliederungspunkt 3. 48 Vgl. die Begründung des Referentenentwurfes, S. 1 und 10. 49 Vgl. die Begründung des Referentenentwurfs, S. 1 und 10.