Zu den Umverteilungswirkungen staatlicher Hochschulfinanzierung „Unsoziale Umverteilung von unten nach oben“ versus Studiengebühren - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 8 - 224/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Zu den Umverteilungswirkungen staatlicher Hochschulfinanzierung Ausarbeitung WD 8 - 224/06 Abschluss der Arbeit: 15.12.2006 Fachbereich WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung: Die These von der regressiven Umverteilung 4 2. Methodische Aspekte 5 2.1. Präzisierung der Fragestellung 5 2.2. Querschnittanalysen 8 2.3. Längsschnittanalysen 8 2.4. Welche Methode wählen? 8 3. Prinzipielles Vorgehen bei Längsschnittanalysen 9 3.1. Bilanz der staatlichen Ausgaben 9 3.2. Bilanz der staatlichen Einnahmen 10 3.3. Bilanz zwischen Ausgaben und Einnahmen 12 3.4. Weitere methodische Schwierigkeiten bei der praktischen Anwendung 12 4. Überblick über empirische Studien und die bildungsökonomische Literatur 14 4.1. Grüske (1994) 14 4.2. Sturn und Wohlfahrt (2000) 15 4.3. CHE (2000) 17 4.4. Barbaro (2001) 18 4.5. Normann Müller (2005) 20 5. Zusammenfassung und Fazit 21 6. Literatur 22 - 4 - 1. Einleitung: Die These von der regressiven Umverteilung In der Debatte um die Einführung von Studiengebühren spielt – neben vielen anderen Argumenten – auch die These eine Rolle, die bisher übliche Finanzierung der Hochschulen durch den Staat und deren für Studierende kostenloser Besuch seien unsozial. Solange der Staat die Kosten für die Ausbildung einer akademischen Elite übernehme und aus Steuereinnahmen finanziere, zu deren Aufkommen auch gesellschaftliche Schichten und Gruppen beitragen, die selbst nur selten in den Genuss akademischer Bildung kommen, begünstige das System der Hochschulfinanzierung eine ungewollte „Umverteilung von unten nach oben“ (regressive Umverteilung). In griffigerer Formulierung 1 wird behauptet, „die Krankenschwester finanziere mit ihren Steuern das Studium der Chefarzttochter“ (oder wahlweise die Verkäuferin das Studium des Zahnarztsohnes ). Diesem Missstand müsse abgeholfen werden, indem Studiengebühren eingeführt werden, um die späteren Akademiker an den Kosten ihrer Ausbildung zu beteiligen . Dieses Argument ist bereits über 130 Jahre alt. In ihrer Kritik am Gothaer Programm von 1875, in dem die Sozialdemokraten die Forderung nach einem gebührenfreien Hochschulzugang aufgestellt hatten, formulierten bereits Karl Marx und Friedrich Engels , dies bedeute nichts anderes, als den „höheren Klassen ihre Erziehungskosten aus dem Steuersäckel zu bestreiten“ (Barbaro 2001). In der Studiengebühren-Debatte der letzten Jahre in Deutschland wird dieses Argument vor allem von den Gebühren- Verfechtern (CHE 2000) ebenso vehement vertreten, wie seine Gültigkeit von anderen in Frage gestellt wird. Kritiker verweisen immer wieder darauf, dass diese These zwar gerne als „Allgemeinwissen“ hingestellt werde, aber noch nie einer detaillierten wissenschaftlichen Überprüfung standgehalten habe (Sturn, Wohlfahrt 2000). Gegen die These könnte sprechen, dass Akademiker aufgrund ihres späteren Einkommensvorteils im statistischen Mittel einer höheren Steuerlast unterliegen als Nicht-Akademiker und so möglicherweise die Kosten ihrer Ausbildung im Laufe des Erwerbslebens an den Staat zurückzahlen. Gegen die These der regressiven Umverteilung könnte weiterhin sprechen , dass ein hoher Anteil an Akademikern neben deren persönlichen Einkommensvorteil nicht nur höhere Steuereinnahmen für die Staatskasse sichert, sondern auch das allgemeine Wirtschaftswachstum stärkt, die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes im globalen Wettbewerb erhöht und so auch Nicht-Akademikern persönliche Einkommenszuwächse verschafft. Hochschulbildung hätte dann im ökonomischen Sinne „positive externe Effekte“ – die auch denjenigen indirekt zugute kommen, die nicht direkt an einer akademischen Ausbildung teilnehmen – und könnte gleichzeitig dazu beitragen, negati- 1 Oder: „Die Subvention der Hochschulabsolventen wird von allen getragen, kommt aber besonders ihnen selbst zugute. Weil sie außerdem durchschnittlich wirtschaftlich besser gestellt sind, handelt es sich um eine Umverteilung von unten nach oben“ (CHE 2000). - 5 - ve externe Effekte, die etwa aus Kriminalität oder mangelnder Gesundheitsvorsorge resultieren, zu vermeiden. In ähnlichem Zusammenhang wird oft angeführt, Hochschulbildung habe auch den Charakter eines „öffentlichen Guts“, an dessen staatlicher Finanzierung die gesamte Gesellschaft ein Eigeninteresse habe2. Diese ökonomischen Argumente pro und contra staatliche Hochschulfinanzierung sind seit langem bekannt und werden in kontroversen Debatten immer wieder gegeneinander gestellt. Auf qualitativ-abstraktem Niveau ist es jedoch nur schwer möglich, ihre relative Bedeutung einzuschätzen und zu entscheiden, welche der beiden konträren Sichtweisen in Anspruch nehmen kann, die tatsächlichen Verhältnisse in Deutschland besser zu beschreiben. Nähere Auskunft hierzu können nur empirische Untersuchungen geben, die versuchen, die tatsächlichen Finanzierungsbilanzen zwischen den verschiedenen beteiligten Gruppen und der Staatskasse realistisch zu beziffern. Ziel der folgenden Darstellung ist es, zunächst einige methodische Grundüberlegungen zu den Möglichkeiten einer solchen Messung der Finanzierungsströme anzustellen und sodann einen Überblick über die relevante bildungs-ökonomische Fachliteratur zu geben , die sich in Studien und Gutachten der Untersuchung dieser Frage für Deutschland gewidmet hat. Zwei Fragen3 sollen dabei vor allem geklärt werden: Führt die staatliche Hochschulfinanzierung zu einer Umverteilung von unten nach oben? Falls ja: Ist dies korrekturbedürftig, und lässt sich daraus ein Argument für die Einführung von Studiengebühren ableiten? 2. Methodische Aspekte 2.1. Präzisierung der Fragestellung Um detailliertere Aussagen zu der These einer möglichen Umverteilungswirkung „von unten nach oben“ der staatlichen Hochschulfinanzierung machen zu können, muss zunächst die genaue Frage präziser formuliert werden. Denkbar und sinnvoll scheinen zunächst mehrere unterschiedliche Fragestellungen: 1. Bewirkt die staatliche Hochschulfinanzierung eine Umverteilung von Nichtakademikern zu Akademikern? 2 Selbstverständlich hat die Ausbildung von Akademikern neben diesen rein ökonomisch-finanziellen Effekten weitere Folgen, an denen die Gesellschaft interessiert sein muss. So müssen für das gesicherte Funktionieren der öffentlichen Gesundheitsvorsorge, der Justiz und Verwaltung ebenso wie etwa der Forschungs- und Innovationsförderung regelmäßig Mediziner, Juristen, Geistes-, Naturund Ingenieurwissenschaftler ausgebildet werden. Auch kann ein hohes Bildungsniveau möglicherweise die Demokratiefähigkeit einer Gesellschaft stärken. Diese Aspekte sollen jedoch im Rahmen einer rein monetären Betrachtung vorerst ausgeblendet bleiben. 3 Die erste Frage entspricht einer „positiven“ (deskriptiven), die zweite einer normativen Betrachtungsweise . - 6 - 2. Bewirkt sie eine Umverteilung „von Arm zu Reich“, d.h. von einkommensschwächeren zu einkommensstärkeren Haushalten? 3. Bewirkt sie eine Umverteilung von Kinderlosen zu Familien mit (studierenden) Kindern? 4. Werden durch die Hochschulfinanzierung über Steuern bestimmte Bevölkerungsgruppen im Ergebnis ökonomisch schlechter gestellt, als dies anderenfalls der Fall wäre? Oder führt die staatliche Hochschulfinanzierung im Gegenteil dazu , dass es allen Beteiligten – Akademikern und Nicht-Akademikern, Armen und Reichen – wirtschaftlich besser geht als ohne4? 5. Ist die Investition in Hochschulbildung ein gutes Geschäft für den Staat? Überwiegen langfristig die fiskalischen Rückflüsse aufgrund höherer Steuereinnahmen die anfänglichen finanziellen Aufwendungen für die Hochschulfinanzierung ? Welche „Verzinsung“ erwirtschaftet der Staat so für das investierte Kapital ? Würde dasselbe Kapital, wenn es statt in den Hochschulen in andere Investitionen flösse, der Gesamtgesellschaft eine höhere Rendite bringen? Diese verschiedenen Fragen stehen offensichtlich in einem engen Zusammenhang miteinander , sind jedoch keineswegs identisch. So unterscheiden sich z.B. Fragen 1 und 2, weil Akademiker mit niedrigen Einkommen ebenso existieren wie Nicht-Akademiker mit hohen Einkommen. Der sehr kontroverse Verlauf auch der bildungs-ökonomischen Debatte zu Studiengebühren ist zu einem erheblichen Teil darauf zurückzuführen, dass die unterschiedlichen Stoßrichtungen der fünf Frage-Varianten nicht sauber voneinander getrennt, sondern (bewusst oder unbewusst) miteinander vermengt werden. So kommen verschiedene Autoren zu sehr unterschiedlichen Antworten, oft ohne explizit offen zu legen, dass sie damit unterschiedliche Fragen beantwortet haben. Generell fordern die unterschiedlichen Frageformen unterschiedliche Lösungsansätze für die Beantwortung. Zunächst jedoch lassen sich durch einige Vorüberlegungen sinnvollere und weniger sinnvolle Formen der Frage voneinander trennen: Bezüglich Frage Nr. 1 ist klar, dass die Hochschulfinanzierung über Steuern eine Umverteilung von Nicht-Akademikern zu Akademikern darstellt, da nur die späteren Akademiker selbst in den Genuss der kostenlosen Hochschulbildung kommen. Dies ist offensichtlich , jedoch gewissermaßen auch gerade das Ziel der öffentlichen Bereitstellung von Hochschulkapazitäten. Wäre dies kritikwürdig, dann müsste beispielsweise auch die öffentliche Bezuschussung von Schwimmbädern als „Umverteilung von Nichtschwimmern zu Schwimmern“ kritisiert werden. „Oder“ – in den Worten von Barbaro 4 In diesem Falle würden Ökonomen von einem „Pareto-Optimum“ sprechen. - 7 - (2001) – „ist die Feststellung, dass öffentlich bereitgestellte Güter nun einmal über Steuern finanziert werden, nicht schlicht und ergreifend trivial?“. Relevant ist eher die Frage, ob diese öffentliche Bereitstellung auch im Interesse der gesamten Gesellschaft liegt. Darüber können jedoch allenfalls die Antworten auf Fragen 4 und 5 Auskunft geben . Gleiches gilt für Frage Nr. 3: Dass nur Familien mit Kindern von den staatlichen Bildungseinrichtungen profitieren, erscheint ebenso trivial wie beabsichtigt und daher nicht kritikwürdig. Dies gilt im Übrigen in noch stärkerem Maße für die Schulen, für die jedoch bisher im Unterschied zu den Universitäten keine Forderung nach Einführung eines Schulgeldes erhoben wurde. Frage Nr. 5 nach der „Effizienz“ der staatlichen Investition in Hochschulbildung steht in engem Zusammenhang mit der Diskussion um die so genannte Bildungsrendite (siehe z.B. Wolter/Weber 2005; Rickes 2004). Während weitgehend unstrittig ist, dass Akademiker – zumindest im statistischen Mittel – durch Einkommensvorsprünge und geringere Arbeitslosigkeit eine „private“ Rendite aus ihrer Ausbildung ziehen, richtet die Frage darauf, ob daneben auch der Staat eine positive Rendite aus der Akademiker- Ausbildung erzielt. Genauer kann man unterscheiden zwischen der „fiskalischen“ Bildungsrendite , die durch höhere Steuereinnahmen zustande kommt, und der „sozialen“ Bildungsrendite, die auch die weitere Effekte (höheres Wirtschaftswachstum, gesteigerte Innovationsfähigkeit und evtl. andere, auch nicht-ökonomische Effekte - sog. „positive Externalitäten“) ebenso wie vermiedene negative Externalitäten (z.B. in den Bereich Gesundheit und Kriminalität) einbezieht (Frey, Benz 2006). Während die fiskalische Rendite noch hinreichend gut messbar ist, sind jedoch externe Effekte und soziale Renditen nur sehr schwer genau zu erfassen und in monetären Einheiten auszudrücken. Daher bleiben praktisch alle quantitativen Untersuchungen auf die Betrachtung der privaten Rendite einerseits und der fiskalischen Rendite andererseits beschränkt. Damit wird der gesellschaftliche Nutzen von Hochschul-Investitionen tendenziell unterschätzt. Fragen Nr. 2, 4 und 5 unterscheiden sich vor allem in ihrem Zeithorizont: Während die Frage nach der Umverteilung zwischen Einkommensgruppen (Nr. 2) als Momentaufnahme einen kurzen „Abrechnungs“-Zeitraum (von z.B. einem Jahr) betrifft, richtet sich die Frage nach einem möglichen Pareto-Optimum (Nr. 4) eher auf mittelfristige Zyklen. Die Frage nach der Rückzahlungsbilanz (Nr. 5) wiederum erstreckt sich auf noch deutlich längere Zeiträume, nämlich die gesamte Erwerbsbiographie einer Akademiker- Generation. Ein weiterer relevanter Unterschied liegt darin, dass Frage 5 allein die Studierenden und späteren Akademiker als Einzelpersonen betrachtet („Bezugseinheit Individuum “), während Fragen 2 und 4 das Augenmerk auch mit auf deren Eltern richten („Bezugseinheit Haushalt“). - 8 - Dementsprechend müssen diese Fragen auch mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen beantwortet werden. In der Literatur haben sich vor allem zwei Methoden etabliert , nämlich die Querschnittanalyse (für Momentaufnahmen) einerseits und die Längsschnittanalyse (für ganze Erwerbsbiographien) andererseits. 2.2. Querschnittanalysen Querschnittanalysen bilden die Situation zu einem gewählten Zeitpunkt ab, indem sie die soziale Herkunft der Studierenden aus unterschiedlichen Einkommensverhältnissen (der Eltern) oder aus unterschiedlichen Statusgruppen (Arbeiter, Angestellte, Beamte, Akademiker oder Nicht-Akademiker) statistisch erfassen. Die Anteile an der staatlichen Hochschulfinanzierung, die der jeweiligen sozialen Gruppe über die Ausbildung ihrer Kinder zugute kommen, werden mit deren Anteil am allgemeinen Steueraufkommen verglichen. Durch die Ermittlung einer solchen Netto-Zahlungsbilanz soll identifiziert werden, welche Gruppen durch die Hochschulfinanzierung finanziell Gewinn ziehen bzw. Verlust erleiden. 2.3. Längsschnittanalysen Längsschnittanalysen bilden die Einkommensentwicklung von Akademikern und Nicht- Akademikern über ganze Lebensläufe hinweg ab. So versuchen sie die Frage zu beantworten , ob Hochschulabsolventen ihre Ausbildungskosten im Laufe einer gesamten Erwerbsbiographie durch höhere Steuern etc. an den Staat zurückzahlen. Da hier anfängliche Investitionen mit Rückzahlungen zu einem späteren Zeitpunkt zu vergleichen sind, können diese nicht direkt miteinander verrechnet werden. Vielmehr spielt dabei auch der Zinssatz eine entscheidende Rolle, mit dem die anfängliche Investition rechnerisch verzinst wird. 2.4. Welche Methode wählen? Beide Methoden haben Vor- und Nachteile für die Beschreibung von Umverteilungswirkungen , sowie unterschiedliche Probleme in der praktischen Anwendung. Müller (2005) weist jedoch darauf hin, dass zumindest für die Aufdeckung politischen Handlungsbedarfs die Längsschnittanalyse deutlich geeigneter ist: „(Die Querschnittsbetrachtung) weist nämlich die erhebliche Schwäche auf, eine Partialbetrachtung zu sein, die wenig Aussagekraft bezüglich der Frage nach sozialer Gerechtigkeit besitzt. Das am Leistungsfähigkeitsprinzip ausgerichtete progressive deutsche Steuersystem hat Umverteilung von einkommensstarken zu einkommensschwachen Gruppen zum Ziel .Rechtfertigungsgrundlage für diese Art der Besteuerung ist das Bestreben, mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Demzufolge ist in einer Gesamtbetrachtung aller staatlichen Finan- - 9 - zierungsaufgaben soziale Gerechtigkeit per definitionem gegeben. Hiervon ausgehend ist es fraglich, inwiefern die Untersuchung der Umverteilungswirkungen infolge der Bereitstellung eines einzelnen öffentlichen Gutes Ungerechtigkeit indizieren soll. Es ist offensichtlich, dass bei einer solch eingeschränkten Betrachtung Umverteilungseffekt in die eine oder anderer Richtung entstehen. Dies ist nicht nur bei der Hochschulbildung der Fall. Nahezu jede Form staatlicher Aktivität führt zu einer Re-Allokation, je nach Inanspruchnahme des bereitgestellten öffentlichen Gutes. Wichtig ist vielmehr, dass von der Finanzierung der Gesamtheit aller staatlichen Aufgaben die einkommensschwachen Gruppen profitieren. Eine Analyse sozialer Gerechtigkeit zwischen Einkommensklassen im Querschnitt kann somit nur innerhalb eines gesamtheitlichen Kontextes durchgeführt werden. Folglich verbleibt eine Längsschnittbetrachtung als einzige zulässige Untersuchungsmethode der Umverteilungseffekte der Hochschulfinanzierung“ (Müller 2005). Zwar wird diese Position in der Literatur nicht einhellig vertreten; vielmehr werden von anderen Autoren auch Querschnittsanalysen als geeignet betrachtet. Dennoch erscheint das obige Argument hinreichend überzeugend, weshalb die Darstellung sich im Folgenden auf Längsschnittanalysen konzentriert. 3. Prinzipielles Vorgehen bei Längsschnittanalysen Längsschnittanalysen untersuchen Zahlungsströme über die gesamte Erwerbsbiographie einer Akademikergeneration hinweg. Dafür müssen zunächst die staatlichen Ausgaben für Hochschulbildung möglichst genau erfasst werden. Auf der anderen Seite müssen die späteren Rückflüsse, d.h. die bildungs-bezogenen Mehreinnahmen an Steuern etc., beziffert werden. Schließlich müssen Ausgaben und Einnahmen miteinander verglichen werden. 3.1. Bilanz der staatlichen Ausgaben Auf der Ausgabenseite sind zunächst die direkten staatlichen Ausgaben für die Hochschulen , d.h. die Personal- und Sachkosten zu berücksichtigen. Dabei muss jedoch zwischen den Aufwendungen für die Lehre und denen für die Forschung unterschieden werden; nur derjenige Anteil, der für die Lehre aufgewendet wird, darf in die Zahlungsbilanz eingehen. Über diese direkten Hochschulausgaben hinaus müssen jedoch möglicherweise weitere staatliche Ausgaben auf die Zahlungsbilanz angerechnet werden. Dazu zählen insbesondere Beihilfen für die Lebenshaltungskosten der Studierenden (Bafög-Zahlungen, verschiedene Arten von Stipendien, Zuschüsse für studentische Wohnheime, allgemein - 10 - Zuschüsse an das Studentenwerk). Ebenso könnten dazu auch steuerliche Ausbildungsfreibeträge für Eltern und das Kindergeld zählen, die den Eltern studierender Kinder länger gewährt werden, als wenn diese nach dem Schulabschluss eine Berufstätigkeit aufgenommen hätten. Gleiches gilt für die Kinder von Beamten und staatlichen Angestellten , die gemäß den Tarifstrukturen des öffentlichen Dienstes durch das Studium ihrer Kinder länger in den Genuss von Familienzuschlägen kommen. Schließlich könnten auch Vergünstigungen aufgrund der Familien-Mitversicherung im Krankenversicherungssystem mitgezählt werden, die aufgrund eines Studiums länger gewährt werden – obwohl dieses nicht durch Steuern, sondern durch Sozialbeiträge finanziert wird. Das gilt evtl. auch für die Anrechnung von Studienzeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung , die zu höheren Rentenzahlungen an die späteren Akademiker führen, ohne dass diese dafür Beiträge eingezahlt hätten. Ob und inwieweit eine Berücksichtigung aller dieser zusätzlichen Ausgaben allerdings tatsächlich gerechtfertigt ist, ist in der Literatur stark umstritten. Sind die einzelnen Ausgabearten einmal beziffert, dann müssen alle Ausgaben für einen Zeitraum von z.B. einem Jahr zusammengezählt, durch die Anzahl der eingeschriebenen Studenten geteilt und mit der durchschnittlichen Studiendauer (Anzahl Studien-Jahre bis zum Abschluss) multipliziert werden. Auf diese Weise werden die durchschnittlichen staatlichen Kosten eines Hochschulabschlusses ermittelt. Mit etwas mehr Aufwand kann diese Berechnung auch nach einzelnen Fächer oder Fächergruppen getrennt und/oder separat für wissenschaftliche, künstlerische und Fach-Hochschulen durchgeführt werden. 3.2. Bilanz der staatlichen Einnahmen Um den staatlichen Ausgaben die staatlichen Mehreinnahmen aufgrund von Hochschulbildung gegenüberzustellen, müssen zunächst die relevanten Unterschiede im Brutto- Einkommen zwischen Akademikern und anderen Berufstätigen statistisch erfasst werden . Danach muss durch Anwendung der gültigen Einkommensteuer-Tarife berechnet werden, welcher Anteil der Mehreinkommen der Staatskasse zugute kommt. Eine wesentliche Schwierigkeit besteht in diesem Zusammenhang darin, dass nur sehr schwierig zu beziffern ist, welcher Anteil eines Akademiker-Einkommens tatsächlich auf die längere Ausbildung zurückzuführen ist. Gemäß der „Filtertheorie“ bzw. der „Signaltheorie“ können Hochschulabschlüsse nicht nur die Funktion haben, aufgrund der im Studium vermittelten Inhalte die Arbeitsproduktivität der Absolventen zu erhöhen . Vielmehr können Zugangsbeschränkungen oder Abschlussprüfungen auch den Effekt haben, die „produktivsten“ (intelligentesten, fleißigsten…) Kandidatinnen und Kandidaten einer Generation herauszufiltern und/oder deren höhere Produktivität den späteren Arbeitgebern zu signalisieren. Dieselben Personen hätten aber, wenn ihnen - 11 - auch ohne Abschluss ein entsprechender Arbeitsplatz angeboten worden wäre, vermutlich teilweise auch ohne höhere Bildung eine höhere berufliche Produktivität gehabt als ihre „durchschnittlichen“ Zeitgenossen. Insofern ist notwendigerweise immer fraglich, welcher Anteil der Akademiker- Mehreinkommen wirklich bildungsinduziert ist und den Hochschulen „gutgeschrieben“ werden sollte. Daher werden in empirischen Studien für den bildungsinduzierten Anteil teilweise ein fester Prozentsatz gewissermaßen willkürlich festgelegt; in anderen Studien wird dieser Prozentsatz als freier Parameter zwischen 0 und 100% variiert und sein Einfluss auf die Ergebnisse quantitativ untersucht. Würden hingegen Filter- und Signaltheorie ignoriert und der bildungsinduzierte Anteil systematisch auf 100% angesetzt, dann würde der Einfluss von Bildung auf die Steuereinnahmen überschätzt und eine vermutlich deutlich überhöhte fiskalische Bildungsrendite errechnet. Eine weitere Schwierigkeit in Bezug auf Akademiker-Mehreinkommen betrifft die Frage der zeitlichen Verteilung von Lebenseinkommen. Während Nicht-Akademiker oft fünf bis zehn Jahre früher ein eigenes Einkommen beziehen, dafür aber im späteren Verlauf ihrer beruflichen Karriere oft nur geringere Einkommenssteigerungen erzielen, verdienen Akademiker statistisch höhere Einkommen während eine kürzeren beruflichen Aktivitätsspanne. Selbst wenn ihr Brutto-Lebenseinkommen nicht über dem von Nicht-Akademikern läge, würden sie daher – wegen der Progressivität des Steuersystems , das höhere Jahreseinkommen mehr als proportional höher belastet – höheren steuerlichen Abgaben unterliegen. Die Literatur spricht in diesem Zusammenhang von einem „Glättungsvorteil“, den Nicht-Akademiker genießen, weil ihr Lebenseinkommen sich über einen längeren Zeitraum verteilt. Dieser Effekt führt zu einer Erhöhung der fiskalischen Bildungsrendite zu Lasten der privaten Rendite. Die obige Diskussion betrifft ausschließlich die Einkommensteuer. Für diese ist die empirische Datenbeschaffung am einfachsten, weil jeweils die Einkommenshöhe und die Steuerlast jedes Steuerpflichtigen zusammen erfasst werden. Schwieriger wird die Betrachtung bei anderen Steuerarten, insbesondere den Verbrauchssteuern. Erzielen Akademiker höhere Einkommen, so werden sie durch einen insgesamt höheren Konsum auch zur Steigerung des Aufkommens dieser Steuerarten beitragen. Dasselbe gilt auch für die Beiträge zu den Sozialsystemen (Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung ). Auch deren erhöhte Einnahmen aufgrund höherer Akademikereinkommen müsste in einer gesellschaftlichen Gesamtrechnung berücksichtigt werden. Schließlich könnte man auch höhere Einnahmen aus anderen staatlichen Abgaben oder aus Benutzungsgebühren für öffentliche Einrichtungen mit in die Rechnung einbeziehen. Alle diese Effekte sind jedoch nur schwer getrennt für Akademiker und Nicht-Akademiker zu erfassen. Daher bleiben sie in fast allen vorliegenden Studien unberücksichtigt. - 12 - Eine weitere Schwierigkeit der Berechnung entsteht durch das föderale System in Deutschland: Während das Aufkommen sehr vieler Steuerarten nach bestimmten Verteilungsschlüsseln zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufgeteilt werden, werden die Hochschulen bisher fast ausschließlich durch die Länder finanziert5. Bei den Steuereinnahmen müsste man also allein auf diejenigen Steuern (bzw. Anteile an gemeinsamen Steuern) abstellen, die den Ländern zustehen. Die Frage nach der Rentabilität staatlicher Bildungsinvestitionen muss also unterschiedlich beantwortet werden, je nachdem, ob nach der gesamtstaatlichen fiskalischen Bildungsrendite gefragt wird oder nach der individuellen Rendite für einzelne staatliche Ebenen (Bund oder Land). Dabei würde der Bund vermutlich schon bei geringeren Akademiker-Mehreinkommen in die „Gewinnzone “ kommen als die Länder, deren höheren Hochschulausgaben kein entsprechend höherer Anteil an der Einkommensteuer gegenüber steht. 3.3. Bilanz zwischen Ausgaben und Einnahmen Sobald auf diese Weise Einnahmen und Ausgaben des Staates jeweils für sich beziffert sind, kann durch Vergleich der finanzielle Netto-Effekt für den Staat bestimmt werden. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass wegen der unterschiedlichen Zahlungszeitpunkte die Höhe der Verzinsung des anfangs eingesetzten Kapitals im Laufe der Rückzahlung eine wichtige Rolle spielt. Selbst wenn Einnahmen und Ausgaben zweifelsfrei festgestellt werden könnten, würde die Antwort auf die Frage nach der Rentabilität staatlicher Bildungsinvestitionen im Vergleich zu einer Anlage auf dem Kapitalmarkt daher immer noch stark vom angenommenen Zinssatz abhängen, dessen zukünftige Entwicklung nur mit Unsicherheit prognostiziert werden kann. 3.4. Weitere methodische Schwierigkeiten bei der praktischen Anwendung Abgesehen von den bereits erwähnten Aspekten leidet die praktische Berechnung der Höhe sowohl der Ausgaben als auch der Einnahmen unter weiteren Schwierigkeiten und Unsicherheiten. Dass das richtige methodische Vorgehen bei diesen Berechnungen in der Literatur weiterhin stark strittig ist, liegt unter anderem an folgenden Punkten: Auf der Ausgabenseite ist zunächst fraglich, wie bei den Hochschulausgaben genau zwischen Aufwendungen für die Lehre und die Forschung unterschieden werden soll. „Das Fehlen eines betrieblichen Rechnungswesens der Universitäten führt zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Kosten eines Studiums“ (CHE 2000). Solange an den Hochschulen inhaltlich das (bewährte) Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre gilt, ist eine finanzielle Trennung notwendigerweise problematisch. Dies gilt 5 Dies gilt nicht für die Forschung an Hochschulen, aber zumindest für die Lehre – jedoch auch für diese nach der Föderalismusreform 2006, und spätestens nach Inkrafttreten des Hochschulpaktes, nur noch eingeschränkt. - 13 - nicht für Personalkosten, sondern auch für Sachkosten – sowohl bei Professorengehältern als auch bei den Kosten für Bau und Betrieb etwa von Bibliotheken unterliegt die Trennung in Forschungs- und Lehranteil einer gewissen Willkür. Stark umstritten ist darüber hinaus die Anrechnung von Bafög, Kindergeld und Familienzuschlägen auf die Hochschulkosten. Während manche Autoren darin eindeutig hochschulbezogene Kosten sehen, weisen andere darauf hin, dass es sich hier um eine familien - und sozialpolitisch explizit gewollte Umverteilung handele. Die Forderung, dass die späteren Akademiker auch diese Zahlungen im Laufe ihres Berufslebens zurückzahlen sollten, um Umverteilungseffekte zu vermeiden, sei daher unsinnig, und die Einbeziehung dieser Leistungen in die Berechnung der fiskalischen Bildungsrendite insgesamt unzulässig. Bei der Umlegung der gesamten staatlichen Hochschulausgaben auf die Zahl der Absolventen eines Jahres stellt sich als kleineres Problem zusätzlich, dass dabei Studienabbrecher unberücksichtigt bleiben. Stellen diese einen signifikanten Anteil an der Gesamtzahl der Studierenden dar, so nehmen sie einen entsprechenden Anteil der Lehrleistungen der Hochschulen in Anspruch, ohne dass sich dadurch die Zahl der Abschlüsse erhöht. Bei der einfachen Berechnung gemäß obiger Formel würden demnach die Kosten für einen erfolgreichen Hochschulabschluss in gewissem Sinne überschätzt. Schließlich müsste man für eine genaue Berechnung die Kosten für einen Hochschulabschluss getrennt nach akademischen Disziplinen erfassen. In der Literatur wird teilweise nach Fächergruppen getrennt – etwa in die fünf Gruppen Geisteswissenschaften, Sozialwissenschaften , Medizin, Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften. Eine genauere Trennung erscheint jedoch in den meisten Fällen zu aufwändig. Auch auf der Einnahmeseite des Staates stellen sich neben den oben erwähnten Schwierigkeiten weitere Probleme. So bleiben jenseits der Steuermehreinnahmen in fast allen Untersuchungen mögliche positive externe Effekte völlig unberücksichtigt. Auswirkungen einer höheren Akademikerquote auf Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum erscheinen so schwer zu beziffern, dass sie fast immer vernachlässigt werden. So bleibt die Berechnung auf die rein fiskalische Bildungsrendite des Staates beschränkt, während die darüber hinausgehende soziale Bildungsrendite allenfalls qualitativ diskutiert wird. Einzelne Studien weisen noch auf einen anderen positiven Effekt von Hochschulbildung hin: Da Akademiker sich typischerweise stärker für eine gute Bildung auch ihrer Kinder engagieren, habe die Hochschulbildung einen Multiplikator-Effekt („kumulativen Effekt “ (Grüske 1994)). Ihre Rendite fließe dem Staat daher nicht nur im Laufe des Erwerbslebens einer Generation zu, sondern nütze ihm über Generationsgrenzen hinaus. - 14 - Da dieses Argument jedoch in engem Zusammenhang mit der vielfach kritisierten sozialen Selektivität des deutschen Bildungssystems steht, kann es als durchaus strittig betrachtet werden. Die obige Liste von methodischen Schwierigkeiten macht deutlich, dass Neuberechnungen – oder auch nur Abschätzungen – der Umverteilungswirkung staatlicher Hochschulfinanzierung nur mit erheblichem Aufwand zu realisieren sind. Daher beschränkt sich die folgende Darstellung auf einen Überblick über die bereits existierende bildungs -ökonomische Fachliteratur. 4. Überblick über empirische Studien und die bildungsökonomische Literatur Eine mögliche unsoziale Umverteilungswirkung von staatlicher Hochschulfinanzierung wurde – neben Marx und Engels – frühzeitig auch durch den Ökonomen Milton Friedman thematisiert (Friedman 1955). In den 1960er Jahren entwarfen Gary Becker und andere Wirtschaftswissenschaftler die Humankapitaltheorie und das Konzept der Bildungsrenditen (Becker 1964). In den 1970er Jahren erschien eine Reihe von Studien, zunächst für den englischsprachigen Raum, die versuchten, mögliche Umverteilungseffekte anhand empirischer Daten zu quantifizieren. Es entwickelte sich in der Fachliteratur eine kontroverse Debatte, die unter dem Namen „Hansen-Weisbrod-Pechman- Debatte“ bekannt geworden ist (für einen Literaturüberblick siehe Barbaro 2005). Für den deutschsprachigen Raum setzte eine intensive Debatte jedoch erst in den 1990er Jahren ein. 4.1. Grüske (1994) In seiner Studie von 1994 untersucht Karl-Dieter Grüske die Situation in Deutschland. In der Einleitung verweist Grüske auf die geringe Zahl von nur vier früheren Studien, denen er zudem methodische Schwächen zuschreibt, und begründet damit den Bedarf nach einer neuen, umfassenden Untersuchung der Frage nach den Umverteilungswirkungen öffentlicher Hochschulfinanzierung. Im ersten Teil der Studie werden die methodischen Grundlagen vertieft, indem Grüske die Unterscheidungen zwischen Querschnitt - und Längsschnittanalysen, zwischen verschiedenen Zeithorizonten (Jahresbzw . Lebens-Zeitraum) und zwischen unterschiedlichen Bezugseinheiten (Individuen bzw. Haushalte) systematisch einführt und diskutiert. Für die Querschnittanalyse werden die empirischen Daten – vor allem aus der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks – nicht nur nach sozialen Gruppen, sondern „erstmals“ auch nach fünf Studienrichtungsgruppen unterschieden. Dies gilt auch für die Längsschnittanalyse; allerdings bleibt diese auf männliche Studierende beschränkt: „Wegen der unterschiedlichen Lebenserwartung und evtl. abweichenden Lebenseinskommensprofilen müssten hier - 15 - Alternativberechnungen für Frauen durchgeführt werden, auf die wir verzichten“ (Grüske 1994). Nach umfassenden Berechnungen, die im zweiten Teil und im Anhang der Studie dokumentiert sind, kommt Grüske zu folgenden Ergebnissen: „Generell ist festzuhalten, dass die Verteilungseffekte der öffentlichen Hochschulfinanzierung in einer Jahresbetrachtung (Querschnitt) gänzlich anders ausfallen als in langfristiger Sicht (Längsschnitt). Den leicht nivellierenden Effekten der öffentlichen Hochschulfinanzierung im Querschnitt stehen erhebliche differenzierende Wirkungen im Längsschnitt gegenüber. In keiner der untersuchten grundlegenden Varianten zahlen die Nutznießer der öffentlich finanzierten Hochschulbildung die in Anspruch genommenen Leistungen über ihre hochschulbezogenen Abgaben während ihres Erwerbslebens auch nur annähernd zurück! Im Übrigen tragen die Absolventen der wissenschaftlichen Hochschulen undiskontiert nur zwischen 24% (als Mathematiker /Naturwissenschaftler) bis maximal 40% (als Wirtschafts- /Gesellschaftswissenschaftler) ihrer empfangenen Leistungen selbst. Diskontiert liegen die äußeren Grenzen für die gleichen Fachrichtungen nur noch zwischen 10 und 20%. Die Finanzierungslücke decken jeweils die Nichtakademiker , die demnach bis zu 90% der gesamten Ausbildungskosten der Hochschüler übernehmen.“ (Grüske 1994). Diese Studie gilt als „der wichtigste Eckpfeiler in der Diskussion um die Höhe der Umverteilungseffekte “ und „wurde zur wichtigsten Referenz im Streit um die soziale Gerechtigkeit der Hochschulfinanzierung“ (Müller 2005). Da keine neueren Studien vorliegen , die nur annähernd ähnlich detailliert wären, gilt dies bis heute – obwohl Grüskes empirische Daten noch aus dem Jahr 1983 stammen und nur die alte Bundesrepublik (West) betreffen. 4.2. Sturn und Wohlfahrt (2000) In ihrer Studie im Auftrag des Deutschen Studentenwerks setzen sich die österreichischen Wissenschaftler R. Sturn und G. Wohlfahrt mit dem Gutachten von Grüske auseinander und stellen ihm eigene Rechenmethoden gegenüber. Sie verweisen darauf, dass „in allen bisher vorliegenden Studien für Deutschland die Definition der Rückzahlungen der Akademiker methodisch problematisch ist und die Rückzahlungen deutlich unterschätzt werden“. Sie bemängeln speziell an Grüske (1994) eine „schwach fundierte Abschätzung des Anteils der Lehrkosten an den Gesamtausgaben der Universitäten (und eine) ungerechtfertigte Zuordnung von Teilen der Beamtenbezüge zu Transfers“. Weiter lautet die Kritik: „Bisher wurden in der Längsschnittbetrachtung unterschiedliche Fra- - 16 - gestellungen – Gerechtigkeit zwischen Akademikern und Nichtakademikern nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip versus langfristige fiskalische Rentabilität für den Staat – nicht ausreichend konkretisiert. … Außerdem wurde eine Eigenschaft fast aller Steuersysteme , die progressive Besteuerung von Periodeneinkommen, nicht berücksichtigt“ (Sturn, Wohlfahrt 2000). Diese Eigenschaft der Steuersysteme bringt nach Sturn und Wohlfahrt eine zusätzliche steuerliche Belastung für Akademiker mit sich: Da die Steuerlast auf der Grundlage von Perioden- (Jahres-) Einkommen und nicht von Lebenseinkommen berechnet wird, zahlen Akademiker selbst bei (nur) gleich hohem Gesamteinkommen einen höheren Steueranteil als Nicht-Akademiker, deren Lebenseinkommen sich über einen längeren Zeitraum verteilt. Diesen Effekt beschreiben Sturn und Wohlfahrt als „entgangenen Glättungsvorteil “. In der Studie von Grüske sei dieser Effekt unberücksichtigt geblieben, weshalb dort die fiskalischen Bildungsrenditen zu niedrig eingeschätzt würden. Auch die Querschnittanalyse von Grüske unterziehen Sturn und Wohlfahrt einer Kritik: „Die Ergebnisse von Grüske bilden sicherlich einen ersten Referenzwert für die Umverteilungswirkungen im Querschnitt. Da aber die Studierenden aus relativ großen Haushalten stammen, werden die Umverteilungswirkungen unterschätzt“. Sie fordern eine „unbedingt notwendige Berücksichtigung der Haushaltsgröße“, die bei Grüske unterblieben sei. Zu den Einflüssen externer Parameter auf ihre eigenen Berechnungen äußern sich Sturn/Wohlfahrt: „Die Umverteilungsergebnisse im Querschnitt werden vor allem von den Einkommensunterschieden zwischen Arm und Reich, von der Progression des Gesamtsteuersystems und der Einkommensabhängigkeit der Hochschulpartizipation determiniert. Das Umverteilungsergebnis im Längsschnitt wird von der Höhe der öffentlichen Subventionen, den Einkommensunterschieden zwischen Akademikern und Nichtakademikern, der Progression des Einkommenssteuersystems sowie etwaiger spezifischer Steuern für Akademiker beeinflusst“ (Sturn, Wohlfahrt 2000). Schließlich fassen sie ihre Ergebnisse folgendermaßen zusammen: „Umverteilungswirkungen im Längsschnitt: Die erste traditionelle Behauptung ‚Die Nicht-Akademiker finanzieren den Akademikern das Studium’ ist in dieser Form für Deutschland nicht belegt und - 17 - kaum belegbar. Vielmehr gibt es starke Anhaltspunkte für einen hohen Grad an ‚Eigenfinanzierung’ über spezifische Steuerrückflüsse, die gleichsam als implizite ‚Akademikersteuer’ wirken. Umverteilungswirkungen im Querschnitt: Das Argument ‚Die Armen zahlen den Reichen bei öffentlicher Finanzierung die höhere Bildung’ … erscheint oberflächlich betrachtet plausibel. (Es) ist dennoch nicht haltbar. Vor allem zwei Unterlassungen führen dazu, dass in etlichen Studien irreführende Verteilungswirkungen diagnostiziert werden: Erstens ist für diese Fragestellung nicht nur das Verteilungsmuster der Mittelverwendung , sondern auch das Verteilungsmuster der steuerlichen Mittelaufbringung zu beachten. …(Zweitens:) Das in Deutschland bislang verwendete Haushaltseinkommen, ohne Berücksichtigung der Haushaltsgröße, ist ein klar unzulässiger Maßstab für den Lebensstandard eines Haushalts“ (Sturn, Wohlfahrt 2000). 4.3. CHE (2000) In seiner „Materialsammlung – Umverteilung von unten nach oben durch gebührenfreie Hochschulausbildung“ (CHE 2000) geht das Centrum für Hochschulentwicklung auf die Studien von Grüske und von Sturn/Wohlfahrt ein und stellt darüber hinaus eigene Rechenmodelle kurz vor. Nicht explizit klargestellt wird dabei, ob es sich um Querschnitt - oder Längsschnittanalysen handelt. Die Ergebnisse in Form von Zahlenwerten für Bildungsrenditen deuten jedoch eher auf Längsschnittanalysen. Die Bildungsrenditen für einzelne Fächer variieren laut CHE zwischen einem Minimum von -5,7% für Germanistik6 und einem Maximum von 11,6% für Zahnmedizin. Zwischen diesen Extremen liegen laut CHE die staatlichen Renditen für die Fächer Medizin und Ingenieurwissenschaften ebenso tief wie für die Geisteswissenschaften; auf der anderen Seiten seien die Fächer Jura und Betriebswirtschaft für den Staat besonders ertragreich 7. 6 Dabei bleibt allerdings offen, wie negative Renditen überhaupt zu interpretieren sind. Mathematisch scheinen sie zu bedeuten, dass zusätzlich zu den Investitionskosten eines Studiums auch später negative Rückflüsse zu erwarten sind, d.h. dass die späteren Einkommen der Absolventen systematisch niedriger liegen als die von Nicht-Akademikern. 7 Diese Aussagen stehen in teilweisem Widerspruch zu den Ergebnissen anderer Studien. So findet Müller (2005) zwar ebenfalls für die Geisteswissenschaften die niedrigste fiskalische Bildungsrendite , jedoch für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften nur mittlere Werte. Hingegen stellt er bei Ingenieur - und Naturwissenschaftlern wegen hoher Einkommen bei (im Vergleich zu Medizinern) moderaten Ausbildungskosten die höchsten Renditen fest. - 18 - Die private Bildungsrendite für alle Fächer liegt nach CHE-Aussagen bei 7,2%, während die fiskalische Bildungsrendite im Mittel nur 2,6% beträgt. Aus dem Vergleich leitet das CHE ein Argument für Studiengebühren ab und folgert: „Dieser Ertrag liegt deutlich unter den Kosten der staatlichen Refinanzierung. Jedes Studium ist also für den Staat ein Zuschussgeschäft. … Eine Angleichung der privaten und staatlichen Renditen und damit soziale Gerechtigkeit kann entweder durch eine Reduktion der Kosten … oder durch zusätzliche … Hochschulerlöse erreicht werden. Studiengebühren … wirken sogar auf beide Seiten gleichzeitig. Die Rentabilitätsbetrachtung untermauert die Reformbedürftigkeit des Systems“ (CHE 2000). Implizit führt das CHE mit der Forderung nach Renditen-Angleichung ein neues Beurteilungkriterium ein: „Ein gebührenfreies Studium schafft dann individuelle Vorteile für den Akademiker , wenn die private Rendite die staatliche Rendite übersteigt. … Damit werden Verteilungsvorteile aus gebührenfreiem Studium zu Gunsten von Akademikern erzeugt. Der Staat betätigt sich als „Vergünstigungsstaat“, der einer gesellschaftlichen Gruppe Verteilungsvorteile verschafft. Diese Gruppe der Akademiker bezieht überdurchschnittliches Einkommen; dadurch wird die These der Umverteilung von unten nach oben belegt“ (CHE 2000). Während das auch genannte Abwägen der fiskalischen Bildungsrendite gegen die Kosten der staatlichen Refinanzierung (oder ersatzweise gegen die Rendite alternativer staatlicher Investitionen) selbstverständlicher Bestandteil vieler Modelle ist, erscheint diese Verschiebung der Akzente hin zu einem Vergleich zwischen fiskalischer und privater Bildungsrendite bestenfalls originell. Sie ist jedoch in der Fachliteratur keinesfalls mehrheitsfähig. 4.4. Barbaro (2001) In seiner Stellungnahme zu den Studien von Grüske (1994) und von Sturn und Wohlfahrt (2000) weist Salvatore Barbaro (2001) darauf hin, dass die Frage nach der Umverteilungswirkung von Hochschulfinanzierung präzisiert werden muss: „In den oben skizzierten Verfahrensweisen handelt es sich um sogenannte Inzidenzanalysen . Mit ihnen wird gemessen, wer was zahlt und wer was empfängt . Das hat zunächst mit Umverteilung, also mit der Schlechterstellung des einen zugunsten des anderen nichts zu tun. … - 19 - Ein einfaches Zahlenbeispiel mag die Argumentation verdeutlichen: Wir betrachten zwei Personen, eine Akademikerin und einen Handwerker. Die Akademikerin bezahlt aufgrund ihres höheren Einkommens 8000 DM an Steuern und der Handwerker ‘nur’ 4000 an den Staat, der die Steuereinnahmen verteilt. Wir nehmen an, für die Universität würde ein Achtel des Steuereinkommens gebraucht (also 1500 DM), dann zahlt der Staat von den Steuern der Akademikerin 1000 DM (= ein Achtel ihres Steueraufkommens) und von den des Handwerkers 500 DM (dito) für diese Einrichtung. Die Ungerechtigkeit wird leicht ersichtlich: von den Kosten der Hochschule in Höhe von 1500 DM muss der Arbeiter ein Drittel aufwenden, obwohl die Akademikerin den gesamten Nutzen aus ihr hatte. Umverteilung von unten nach oben könnte oder muss man es angeblich nennen. Wer dieses einfache Zahlenbeispiel als Beleg für die unsoziale Umverteilung nutzen möchte, kann dies natürlich jederzeit tun, er sollte sich jedoch im Klaren darüber sein, dass es sich um eine unzulässige Partialbetrachtung handelt , die jeglichen Blick für das Ganze ignoriert. Vor allem aber sollte er beachten , dass diese Betrachtung für die Frage nach der Gerechtigkeit im Bildungsfinanzierungssystem untauglich ist. Man braucht nur das Zahlenbeispiel erweitern, indem gefragt wird, was denn mit dem restlichen Steueraufkommen, also den restlichen 10500 DM (sieben Achtel des Aufkommens) geschieht. Logischerweise werden damit öffentliche Güter bereitgestellt, beispielsweise das Straßennetz oder die Krankenhäuser. Wenn wir diese öffentlichen Güter zusammenfassen unter dem Begriff ‘Infrastruktur ’ und die Kosten hierfür berücksichtigen, sieht unser Zahlenbeispiel schon etwas anders aus: Dann zahlt noch immer die Akademikerin 1000 DM für die Hochschule und der Handwerker 500. Für die Infrastruktur zahlt der Handwerker den Rest seiner Steuerzahlungen, nämlich 3500 DM und die Akademikerin den ihr verbleibenden Rest, also 7000 DM. Wenn wir also die gesamten Steuerzahlungen betrachten , so stellt sich heraus, dass die Akademikerin doppelt so viel für das bezahlt, was alle gleichmäßig nutzen können, nämlich die Infrastruktur. Der Rest ist ein Zuordnungsproblem, welches an Zahlenspielerei grenzt. Denn man kann auch sagen, die Akademikerin bezahlt von ihren 8000 DM die Hochschule ganz und von den verbleibenden Steuern (8000-1500=6500) bezahlt sie weit mehr für die gemeinsame Nutzung der Infrastruktur, als es der Handwerker tut (4000). Das Lamento von der unsozialen Umverteilung entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als weit überzogen“ (Barbaro 2001). - 20 - 4.5. Normann Müller (2005) Müller (2005) setzt sich kritisch mit allen vorstehenden Gutachten auseinander. Das Argument des CHE, eine höhere private als fiskalische Bildungsrendite sei ein Zeichen für Umverteilung von unten nach oben, widerlegt Müller, indem er zeigt, dass die Fragen der Renditen-Aufteilung und der sozialen Umverteilung unabhängig voneinander sind. Die Studie von Grüske (1994) kritisiert Müller als einseitig und methodisch unvollständig und stellt ihr ein eigenes Berechnungsmodell gegenüber. Es unterscheidet sich in einigen der Grundannahmen wesentlich, indem Müller nicht nur den Hochschulanteil (ca. 2%) der durch Einkommensvorteile der Akademiker erzeugten zusätzlichen Steuereinnahmen in die Rückzahlungsberechnung einfließen lässt, sondern die gesamten Mehreinnahmen (100%). Entscheidendes Kriterium sollte seiner Meinung nach nicht sein, ob sich eine Investition in mehr Hochschul-Bildung langfristig über Steuer- Rückflüsse bereits für die einzelne Universität lohnen kann („betriebswirtschaftliche“ Betrachtungsebene, wie sie von Grüske (1994) angewendet wurde), sondern allein, ob sich die Investition volkswirtschaftlich für den Gesamtstaat lohnen kann. Darüber hinaus argumentiert Müller, dass diejenigen studienbedingten Mehrausgaben des Staates, die auf längere Auszahlung von Kindergeld und von Kinderzuschlägen bei Beamtengehältern zurückzuführen sind, nicht auf die Bildungsausgaben anzurechnen seien. Die Umverteilungswirkung dieser Zahlungen (von Kinderlosen zu Familien) sei explizit gewollt; es könne daher nicht von den Studierenden verlangt werden, dass sie diese Zahlungen später im Laufe ihres Akademiker-Arbeitslebens über höhere Steuerzahlungen zurückerstatten, um Umverteilungseffekte zu vermeiden. Grundsätzlich argumentiert Müller, dass Umverteilungseffekte einzelner staatlicher Maßnahmen (selbst wenn sie eine – eigentlich unerwünschte Wirkung – von unten nach oben haben sollten) nicht relevant seien; es komme nur darauf an, dass diesen eine gewünschte , umgekehrte Umverteilung durch andere Maßnahmen gegenüberstünde, und dass der Netto-Effekt aller staatlicher Maßnahmen in ihrer Gesamtheit eine Umverteilung von oben nach unten bewirke. Unabhängig davon deutet Müllers Analyse darauf hin, dass die Hochschulfinanzierung als staatliche Einzelmaßnahme gar keine regressive Umverteilung zur Folge hat; mit den oben erwähnten Unterschieden im Berechnungsansatz kommt Müller zu geringeren staatlichen Bildungs-Ausgaben und höheren Rückzahlungen als Grüske (1994). Er zieht daraus im Ergebnis den Schluss, dass für alle fünf betrachteten akademischen Fächergruppen die späteren Steuer-Rückzahlungen die anfängliche Bildungs-Investition des Staates deutlich überwiegen, wobei der Effekt für Natur- und Ingenieurwissenschaftler aufgrund hoher Einkommen am stärksten ist, für Mediziner moderat und für Rechts-, Sozial- und Geisteswissenschaftler schwächer ausfällt . Die Robustheit dieser Aussagen wird von Müller abschließend untermauert, indem - 21 - er in einer Sensitivitätsanalyse berechnet, inwieweit diese Zahlungsbilanzen sich mit Veränderungen des angenommenen Zinssatzes verschieben. 5. Zusammenfassung und Fazit Die Frage, ob die staatliche Hochschulfinanzierung zu einer materiellen Umverteilung „von unten nach oben“ führt, wird zwar auf einem abstrakt-„politischen“ Niveau häufig diskutiert, lässt sich jedoch konkret und quantitativ nur schwer beantworten. Zunächst muss die Frage präziser gefasst werden. Dabei erscheint das Kriterium, ob eine Umverteilungswirkung von armen zu reichen (Eltern-) Haushalten „im Querschnitt“ existiert, zwar interessant, jedoch als Indikator für möglichen politischen Veränderungsbedarf nicht ausschlaggebend. Relevanter dürfte die Frage sein, ob Akademiker ihre Bildungskosten „im Längsschnitt“ an den Staat zurückzahlen, bzw. ob gesamtgesellschaftliche finanzielle Vorteile aus Hochschulbildung letztlich auch den Nicht-Akademikern zugute kommen. Ein weiteres, unabhängiges Bewertungskriterium – der Vergleich zwischen privater und fiskalischer Bildungsrendite – wurde vom CHE ins Spiel gebracht, das damit jedoch eine Außenseiterposition vertritt (CHE 2000). Unabhängig von der Frageform sind Schwierigkeiten der Beantwortung zum einen darauf zurückzuführen, dass sehr viele direkte und indirekte Wirkungskanäle zu beachten sind und deshalb notwendigerweise eine Vielzahl von Annahmen und ökonomischen Parametern in die Berechnung eingeht, die nur schwierig verlässlich zu beziffern sind. Neben dieser Daten-Unsicherheit existieren auch auf der Ebene des methodischen Vorgehens und der Interpretation der Ergebnisse noch erhebliche Meinungsverschiedenheiten . Die bildungs-ökonomische Literatur zu diesem Thema ist deshalb in eine Folge von Studien und Gegen-Studien aufgespalten. Sicher scheint allein, dass das Ergebnis empirischer Untersuchungen immer stark von den getroffenen Annahmen abhängt. So hat Müller (2005) beispielhaft berechnet, dass die Balance zwischen privatem und staatlichem „Gewinn“ aus einem Hochschulstudium entscheidend vom rechnerischen Zinssatz einerseits und vom „bildungsinduzierten Anteil “ der Mehreinkommen andererseits abhängt. Entsprechende Sensitivitätsanalysen für alle relevanten Parameter wären sehr hilfreich, um die Aussagekraft von Studien und ihre „Robustheit“ gegen Variationen der Annahmen seriös zu beurteilen. Sie sind jedoch in der Literatur bisher nur in ersten Ansätzen zu finden. Generell lässt sich also nur festhalten, dass die Frage nach der Umverteilungswirkung staatlicher Hochschulfinanzierung auch in der Fachliteratur stark umstritten ist. Keinesfalls zutreffend wäre die Behauptung, eine Umverteilung von unten nach oben sei empirisch nachgewiesen. Doch auch die Gegenthesen, es gebe keine Umverteilungswirkung oder sogar eine Umverteilungswirkung von oben nach unten, können nicht als empi- - 22 - risch fundiert betrachtet werden. Jede der drei Thesen scheint sich mit den bisher vorliegenden empirischen Daten in Einklang bringen zu lassen, sofern nur die dafür jeweils geeigneten Annahmen und methodischen Ansätze der Berechnung zugrunde gelegt werden. Die Einstellung zur Frage der Umverteilungswirkung ist deshalb in gewissem Sinne Glaubenssache; ob sie in näherer Zukunft durch verbesserte Studien empirisch entschieden werden kann, erscheint zweifelhaft. Die These von der regressiven Umverteilung beruht bisher jedenfalls mehr auf allgemeinen Anschauungen als auf belastbaren Daten. Sie erscheint in diesem Sinne nicht geeignet, als maßgebliches Argument für die Einführung von Studiengebühren zu fungieren. Selbst wenn in zukünftigen Längsschnittanalysen eine möglicherweise negative staatliche Bildungsrendite in weniger zweifelhafter Weise nachgewiesen werden könnte, wäre zu berücksichtigen, dass zur Korrektur dieser Tatsache nicht nur ein Mittel zur Verfügung steht: Statt der Einführung von Studiengebühren könnte auch eine Akademikersteuer oder alternativ eine höhere Progression in der allgemeinen Einkommensteuer (Erhöhung des Spitzensteuersatzes) geeignet sein, die staatliche Zahlungsbilanz im Bereich der Hochschulbildung stärker ins Positive zu wenden. Um zu verhindern, dass davon auch – die vergleichsweise wenigen – gut verdienenden Nicht-Akademiker getroffen werden, könnte diesen ein Rabatt auf den Spitzensteuersatz gewährt werden (Dilger 1998). 6. Literatur Ammermüller, Andreas; Dohmen, Dieter (2004). Private und soziale Erträge von Bildungsinvestitionen . Studie zur Technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands Nr. 1-2004 im Auftrag des Bundsministeriums für Bildung und Forschung. Im Internet: http://www.fibs-koeln.com/forum_021.pdf Barbaro, Salvatore (2001): Verteilungswirkungen der öffentlichen Hochschulfinanzierung - Methoden ihrer Erfassung. Im Internet: http://www.gewlass .de/nw/publik/Reader/text5.htm. Barbaro, Salvatore (2003). Neuere Entwicklungen in der Bildungsökonomie. In: List- Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik 29 (2003), 3, S. 237 – 248. Im Internet: http://www.gwdg.de/~uwvw3/List.pdf Barbaro, Salvatore (2005). Equity and Efficiency Considerations of Public Higher Education . Lecture Notes in Economics and Mathematical Systems, Bd. 557. Heidelberg: Springer. Becker, Gary (1964). Human Capital. 3. Auflage 1993. Unversity of Chicago Press. CHE – Centrum für Hochschulentwicklung (2000). Umverteilung von unten nach oben durch gebührenfreie Hochschulausbildung. Arbeitspapier Nr. 26. Im Internet: http://www.che.de/downloads/Materialien_gebuehrenfreie_HS_ausbildung.pdf DSW - Deutsches Studentenwerk (2000). Umverteilungswirkungen der öffentlichen Hochschulfinanzierung in Deutschland. Ein kritischer Beitrag zur Debatte über Studiengebühren . Im Internet: http://www.asta.unikonstanz .de/cms/upload/pdf/Umverteilung2000.pdf - 23 - Dilger, Alexander (1998): Eine ökonomische Argumentation gegen Studiengebühren, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät , Diskussionspapier 4/98. Im Internet: http://www.rsf.unigreifswald .de/bwl/pdf/1998/04_1998.pdf Frey, Bruno; Benz, Matthias (2006). Bildungspolitik. Im Internet: http://www.iew.unizh.ch/study/courses/downloads/bildung.pdf Friedman, Milton (1955). The role of government in education. In: Solo, Robert A. (Hrsg.): Economics and the public interest. Rutgers University Press. Friedman, Milton (1962). Capitalism and Freedom. Deutsch: Kapitalismus und Freiheit. Eichborn, 2002. Grüske, Karl-Dieter (1994). Verteilungseffekte der öffentlichen Hochschulfinanzierung in der Bundesrepublik Deutschland – Personale Inzidenz im Querschnitt und Längsschnitt . In: Lüdeke (1994). Kupferschmidt, Frank; Wigger, Berthold U. (2006). Öffentliche versus private Finanzierung der Hochschulbildung: Effizienz und Verteilungsaspekte. Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2006 7(2): 285–307. Im Internet: http://www.blackwellsynergy .com/doi/abs/10.1111/j.1465-6493.2006.00210.x Lüdeke, Reinar (Hrsg.) (1994). Bildung, Bildungsfinanzierung und Einkommensverteilung II. Schriften des Vereins für Socialpolitik, Band 221/II. Berlin: Duncker & Humblot. Müller, Normann (2005). Wer finanziert wen? Die Rolle des Umverteilungsarguments in der Debatte um Studiengebühren. Sozialer Fortschritt 10-11/2005, S. 247-255. Pasternak, Peer (2003). Was spricht denn nun eigentlich noch gegen die studentische Beteiligung an der Hochschulfinanzierung? 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