Der Studentenberg – Kollaps der Universitäten oder Illusion? Ein kritischer Beitrag zur aktuellen Diskussion INFO-BRIEF © 2006 Deutscher Bundestag WF VIII G-212-2006 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Der Studentenberg – Kollaps der Universitäten oder Illusion? Ein kritischer Beitrag zur aktuellen Diskussion Ausarbeitung WD 8 - 212/2006 Abschluss der Arbeit: 25.10.2006 Fachbereich WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 4 2. Studiengebühren, soziale Stellung und finanzielle Grundsicherung 6 2.1. Rückgang der Langzeitstudenten 7 2.2. Virtuelle Hochschulangebote 8 2.3. Hochschulabgänger 11 2.4. Doppelte Bildungsjahrgänge 11 2.5. Unwägbarkeiten 12 3. Fazit 15 4. Modellrechnung 19 5. Quellen- und Literaturverzeichnis 23 - 4 - 1. Einleitung „Deutschland steht vor einem neuen Studentenberg. Bisher waren die Kultusminister davon ausgegangen, dass nach dem Jahr 2012 die größten Probleme mit den Studentenmassen bewältigt seien. Jetzt liegen die neuesten Zahlen über Schüler von Gymnasien , Gesamtschulen und Fachoberschulen vor, die genauere Schätzungen erlauben. 450000 Studienanfänger und 2,7 Millionen Studenten soll es 2012 geben“ (Schlicht, Uwe 2005). Auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) geht davon aus, dass den Hochschulen bis 2014 der Kollaps droht, da unter anderem viele Länder jetzt ihre Ausgaben im Hochschulbereich zurückgefahren haben, um Kosten einzusparen (Finetti, Marco 2005). Die Graphik spiegelt die Erwartungen von Kultusministerkonferenz und Wissenschaftsrat wider. Sie zeigen den Anstieg des Studentenberges wenn 75 bzw. 85% der zukünftig Hochschulzugangsberechtigten eines Jahrgangs ein Studium aufnehmen Die HRK schlugt deshalb einen Hochschulpakt 2020 vor. Er sollte die Fähigkeiten der Hochschulen erhöhen, eine größere Anzahl an Studierenden aufzunehmen. Nach Überzeugung der HRK zwingt der bevorstehende Studentenandrang Staat und Hochschulen zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung (HRK 2005). Grundannahme der Prognose sind die so genannten Doppeljahrgänge, die durch die Umstellung der Schulzeitdauer in den Gymnasien von neun auf acht Jahre entstehen. Daraus wird ein enormer Ansturm - 5 - auf die Universitäten abgeleitet. Dieser Einschätzung hat sich inzwischen auch die Bundesregierung angeschlossen.1 Inzwischen haben der Bund und die Kultusministerkonferenz Verhandlungen über den Hochschulpakt aufgenommen. Es wurde Übereinstimmung darüber erzielt, dass der Bund bis zum Jahr 2010 insgesamt 565 Millionen Euro zur Schaffung zusätzlicher Studienplätze bereitstellen soll. Dabei wird allerdings vom Bund erwartet, dass die Länder dieselbe Summe selbst auch aufbringen (Frankfurter Allgemeine 2006). Bisher wurde noch keine Einigung über die Verteilung der Gelder erzielt. Der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin dagegen bezweifelt den Studentenberg. Er hält die Zahlen für „blanken Unfug“ und fordert effizientere Universitäten. Des Weiteren ist Sarrazin der Überzeugung, dass mit angemessenen Studiendauern, die international wettbewerbsfähig sind, die Zahl der Studierenden sinken wird (Kühne, Anja /Burchard, Amory 2005). Auch das Institut der deutschen Wirtschaft Köln meldet an der KMK-Prognose Zweifel an (iwd Nr. 10 2006). Die nachfolgende Untersuchung geht der Fragestellung nach, in wieweit tatsächlich mit einem Anstieg der Studentenzahlen zu rechnen ist und durch welche maßgeblichen Faktoren die Studierneigung tatsächlich beeinflusst wird. Nach OECD-Studien beginnen in Deutschland ca. 38 % eines Jahrgangs ein Studium. Politisch gefordert wird sogar ein Anteil von 40%. Die Gesamtzahl der Studierenden in Deutschland belief sich im Wintersemester 2004/2005 auf 1.963.108 Mio. (Statistisches Bundesamt 2005: 30). Ausgehend von dieser Gesamtzahl wird im Folgenden anhand verschiedener Einflüsse und Faktoren untersucht, ob die Prognosen der HRK und KMK eintreten werden. In diesem Beitrag wird der prognostizierte Anstieg der Studentenzahlen in Frage gestellt , da durch die Einführung von Studiengebühren, die Studierneigung derer abnehmen wird, die nur ein monatliches verfügbares Einkommen von bis zu 600 € haben. Des Weiteren verringert sich die Zahl der Langzeitstudenten erkennbar. Zudem werden die Hochschulen in Zukunft verstärkt virtuelle Bildungsprogramme anbieten. Diese neuartigen und zusätzlichen Studienformen werden einen erheblichen Einfluss auf den zukünftigen Studienbetrieb und damit auch auf die allgemeinen Studienbedingungen nehmen . Die Hauptbegründung für den Studentenberg sind die so genannten Doppeljahrgänge, die durch die Einführung des achtstufigen Gymnasiums in den Ländern entstehen. Zwi- 1 Vergl. dazu: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der der Fraktion Die Linke zum Hochschulpakt 2020. BT-Drs. 16/2258 vom 18.07.2006, S.2. - 6 - schen 2007 und 2013 werden in elf Bundesländern die Schulzeiten verkürzt werden und die Schulabgänger als so genannte „Doppeljahrgänge“ ihr Studium an den Universitäten aufnehmen. In diesem Szenario wird nicht unterstellt, dass alle, die nur bis zu 600 € im Monat zur Verfügung haben, das Studium nicht antreten bzw. abbrechen, da ein Teil der Studierenden im Elternhaus verbleibt bzw. durch Stipendien u.ä. gefördert wird. Es wird vielmehr angenommen, dass in Zukunft eine ganze Reihe von Angeboten zur Studienfinanzierung entstehen. Ein abschließender Punkt befasst sich mit weiteren Unwägbarkeiten über die zukünftige Entwicklung der Studentenzahlen. Beispiele dafür sind die rückgängige Zahl der Zweitstudiengänge , die sinkende Studierneigung von Frauen und Ausländern, die Auswirkungen verkürzter Studienzeiten nach der Umstellung vieler Studiengänge auf Bachelor und Master im Rahmen des Bologna-Prozesses sowie die wachsende Bedeutung von Privatuniversitäten (Die Welt 2005) und anderen zusätzlichen (Weiter-)Bildungsangeboten . 2. Studiengebühren, soziale Stellung und finanzielle Grundsicherung Grundlage für die im Anhang angestellten Berechnungen sind folgende Annahmen: In der Bundesrepublik Deutschland werden ab 2008 in fast allen Bundesländern Studiengebühren in Höhe von 500 € eingeführt worden sein. In Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Niedersachen und Nordrhein-Westfalen sind Studiengebühren bereits beschlossene Sache (Schwarzburger, Heiko 2006). Des Weiteren wird postuliert, dass im Laufe der kommenden Jahre diese Gebühren weiter ansteigen. Nach der Einführung von Langzeitstudiengebühren in Hessen sind bereits erste Überlegungen laut geworden, bis zu 1500 Euro Studiengebühren für einen Masterstudiengang zu fordern (Hartmann, Michael 2006).2 Als daraus resultierende Folge wird angenommen, dass alle Studenten mit einem Einkommen von bis zu 600 € monatlich in eine finanziell schwierige Situation versetzt werden. Es besteht daher eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass ein Teil dieses Studentenkreises das Studium aufgibt oder erst gar nicht beginnt. Die Anzahl der Studenten in Deutschland, die nicht mehr als 600 € monatlich zur Verfügung haben, beläuft sich auf 27%. (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2004: 159). Das Existenzminimum in Deutschland beträgt derzeit 345 € plus die Kosten für Wohnung und Nebenkos- 2 Inzwischen sieht ein erster konkreter Beschluss der Hessischen Landesregierung wieder einheitliche Studiengebühren von 500 Euro vor. Die Möglichkeit steigender Studiengebühren und die daraus für bestimmte Studierendenkreise entstehenden Probleme bleiben dennoch für die Zukunft virulent. - 7 - ten. Die Volks- und Raiffeisenbank beziffert in einer Werbung für ihre VR- Bildungsfinanzierung die monatlichen Gesamtkosten auf 648 Euro (Volks- und Raiffeisenbank 2005). Aus diesem Grund können 600 € als verfügbares Einkommen für einen allein wohnenden Studierenden als unterste Grenze angesehen werden. Eine zusätzliche finanzielle Belastung von rund 1100 € im Jahr (Studiengebühren und Einschreibgebühren ) entsprächen demnach rund 1/6 des verfügbaren jährlichen Einkommens. 2.1. Rückgang der Langzeitstudenten Mit der Einführung von Studiengebühren wird die Zahl der so genannten Langzeitstudenten stark zurückgehen. Grundlage der Definition eines Langzeitstudenten (LZS) bildete die Annahme, dass Studierenden mit elf und mehr Semestern in der Regel ausreichend Zeit zur Vollendung ihres Studiums zur Verfügung stand. Durch die verkürzte Studiendauer der Bachelor- und Masterstudiengänge und die Einführung der Studiengebühren wird sich die Zahl der Langzeitstudenten erheblich verringern. Aufgrund bisher gemachter Beobachtungen ging die Zahl der LZS mit der Einführung von Studiengebühren erheblich zurück. Hessen und Nordrhein-Westfalen senkten ihre Zahlen der Langzeitstudenten sogar um 42% bzw. 43% (Kühne, Anja 2005). Die Gesamtzahl der Langzeitstudenten mit elf oder mehr Semestern betrug im WS 2004/2005 257.513 Studierende (Statistisches Bundesamt 2005: 27). Die nachfolgende Tabelle zeigt den rapiden Rückgang der Zahl der LZS ab dem 15. Semester bei der Einführung von LZS-Gebühren in den Bundesländern Baden-Württemberg, Nordrhein- Westfalen, Hessen und Niedersachsen. - 8 - 2.2. Virtuelle Hochschulangebote Die Fernuniversität Hagen versteht sich als eine „Universität des Lebensbegleitenden Studiums und der wissenschaftlichen Weiterbildung.“ Ihre Studierenden sind zu 80 Prozent berufstätig. Von ihnen haben rund 40 Prozent bereits erfolgreich ein Studium abgeschlossen . Dementsprechend sind von den rund 55.000 Fernuni-Studierenden nur etwa 15 Prozent Vollzeithörer. 60 Prozent studieren in Teilzeit, 10 Prozent sind Zweithörer und 15 Prozent Gasthörer. (Fernuniversität Hagen 2006). Die Fernuniversität hat aber nicht nur einen Vorbildfunktion im Bereich „Lebenslanges Lernen“ sondern vor allem auch beim E-Learning. Durch die neuen Möglichkeiten, die das E-Learning und die Verbreitung von Wissen über das Internet bietet, werden zukünftig viele neue Bildungsanbieter entstehen. Es ist davon auszugehen, dass virtuelle Hochschulangebote in der Zukunft erhebliche Wachstumsraten aufweisen werden. Im Wintersemester 2002/2003 belegten erst 2.000 Studenten die Kurse der Virtuellen Hochschule Bayern (VHB) (Virtuelle Hochschule Bayern 2002). 2004 waren es schon 10.000 und im Wintersemester (2005/2006) konnte die VHB bereits 20.000 Anmeldungen verbuchen (Virtuelle Hochschule Bayern 2006). Inzwischen sind eine ganze Reihe Virtueller Hochschulen entstanden.3 Die Virtuellen Hochschulen bieten zum Teil vollständige Studiengänge an, die als Alternative oder Ergänzung bestehender Hochschulangebote genutzt werden können. Etwa die Hälfte aller Kursteilnehmer ist an der Hochschule, die den Kurs anbietet, nicht präsent. Von den 1.963.108 Studierenden befanden sich im WS 2004/2005 63.168 Studierende in einem Fernstudium. 45.434 Studierende befanden sich im Erststudium, 7.034 in einem Zweitstudium und 10.700 führten ein weiterführendes Studium (Statistisches Bundesamt 2006a). Es ist auch davon auszugehen, dass in naher Zukunft alle Hochschulen in allen Bundesländern verstärkt virtuelle Bildungsprogramme anbieten werden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt diesen Prozess u.a. durch den Aufbau einer virtuellen Forschungsbibliothek für Geisteswissenschaften. Das auf drei Jahre angelegte Projekt wird mit 1,6 Millionen Euro (BMBF 2005a) gefördert. Das BMBF fördert auch das Leitprojekt „Virtuelle Fachhochschule“ (VFH) seit fünf Jahren mit rund 21,6 Millionen Euro. Angesichts dieser Anstrengungen im virtuellen Bereich der 3 Dazu zählen der Campus Virtuell in Bremen, Oldenburg, Dortmund, Lüneburg, und Halle, die Virtuelle Universität in Hagen, die Virtuelle Universität Oberrhein, der Entwicklungsverbund Virtueller Campus in Hannover, Hildesheim, und Osnabrück, die Virtuelle Universität in Regensburg, der Virtueller Campus Rheinland-Pfalz, der Virtueller Hochschulverbund in Karlsruhe, die Virtuelle Universitätssysteme der Uni Köln, die Virtuelle Saar-Universität, die Virtuelle Hochschule Baden- Württemberg, die Virtuelle Universität Berlin/Brandenburg, das TeleTeaching-Projekt der Universität Trier sowie das BMBF-Leitprojekt "Virtuelle Fachhochschule" (Studentenpilot.de 2006). - 9 - Hochschulen dürfe es nicht mehr lange dauern, bis die Start- und Anlaufschwierigkeiten behoben sind (BMBF 2005b). Ein Beispiel für das zunehmende Angebot der virtuellen Bildung stellt die britische Open University im Internet dar. Sie bietet schon jetzt ein komplettes Psychologiestudium mit dem Abschluss eines „Bachelor of Science with Honors in Psychology“ an, der vom Bundesverband der deutschen Psychologen anerkannt wird (Schwarzburger, Heiko 2006). Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) untersuchte in seiner jüngsten Veröffentlichung die Entwicklung und Verbreitung des eLearnings in Forschung, Lehre und Weiterbildung in Deutschland und stellt dazu fest: „An den deutschen Hochschulen hat sich das eLearning in den vergangenen Jahren stetig weiterentwickelt, und das Lernen und Lehren mit Hilfe moderner IuK-Medien ist in allen Fachrichtungen aus dem Studienalltag nicht mehr wegzudenken. Weit über 100 Projekte hat das BMBF zwischen 2000 und 2004 mit über 230 Mio. Euro gefördert. Die Fördermittel sind zunächst vornehmlich in die Entwicklung von eLearning-Inhalten gegangen. Die ersten Erfahrungen aus den Förderprogrammen sowie empirische Untersuchungen zeigen klar, dass eLearning als Teil ... einer notwendigen Veränderung der Hochschule im digitalen Zeitalter (zu begreifen ist; d.V.). Das Folgeprogramm »E-Learning für die Wissenschaft« soll daher in den Jahren 2005 bis 2007 den Hochschulen helfen, das bislang Geschaffene zu konsolidieren und sie beim Aufbau einer nachhaltigen Infrastruktur und angepasster Rahmenbedingungen zu unterstützen“ (TAB 2006: 5). Das TAB dokumentiert, dass die nationale Förderprogramme und die Anstrengungen der Bundesländer und der einzelnen Hochschulen inzwischen zu einem vielfältigen, aber quantitativ unterschiedlich ausgeprägten eLearningangebot geführt hätten. „Inhaltlich stehen vor allem eLearning-Produkte in den Bereichen Informatik, Medienwissenschaften , Mathematik, Naturwissenschaften, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Ingenieurwissenschaften im Vordergrund. Angebote in den Rechts-, Geistesund Kulturwissenschaften, zu Sport, Lehrerbildung und Schlüsselqualifikationen sind in deutlich geringerem Umfang vertreten. Oft werden Produkte gerade an den Schnittstellen eines Fachbereichs mit den IuK-Technologien hergestellt.“ (TAB 2006: 7) Im internationalen Vergleich hat Deutschland bei der Nutzung von IKT-Infrastrukturen in den Bereichen Bildung, Industrie, Regierung und Gesellschaft noch einen erheblichen Nachholbedarf. - 10 - „Wo die einzelnen Staaten hinsichtlich der Entwicklung und Implementierung von eLearning aktuell stehen, versuchte die Economist Intelligence Unit in Kooperation mit IBM erstmalig für 2003 und 60 Staaten in den Kategorien education, industry, government und society zu ermitteln. Die Staaten, die das ELR-Ranking anführen, zeichnen sich durch einige Gemeinsamkeiten aus: ein hoher IKT4-Verbreitungsgrad, Bildungssysteme , die auf eine sehr frühzeitige Bildungsförderung und diesbezügliche Integration von eLearning-Instrumentarien setzen, intensives Bildungsmarketing und eine Lernkultur , die Regierungen, Gesellschaft und Wirtschaft umfasst. (...) Die in der Weltwirtschaft führenden Nationen USA, Japan und Deutschland belegen im ELR-Ranking die Ränge 3, 23 und 17, so dass Wirtschaftskraft allein offensichtlich kein entscheidender Faktor für die Implementierung von eLearning zu sein scheint“ (TAB 2006: 10f.). Erläuterung: Länder können sich einen Rang teilen (TAB 2006: 205). Das TAB stellt fest, dass im Bildungsbereich in Deutschland zwar zahlreiche Maßnahmen zur Integration von IKT und eLearning existieren, diese jedoch wenig zielführend und zielgruppenorientiert erscheinen und vor allem nur relativ wenig vernetzt sind. Hinderlich für kohärente, effizienz- und effektivitätsorientierte Strategien ist aber nicht nur 4 Informations- und Kommunikationstechnik ECONOMIST INTELLIGENCE UNIT E-LEARNING READINESS RANKINGS (2003) Land/Kategorie (mit Gewichtung) Bildung (20%) Industrie (40%) Regierung (20%) Gesellschaft (20%) Gesamt rang Schweden 6 4 1 2 1 Kanada 2 3 14 6 2 USA 1 1 22 1 3 Finnland 9 5 2 5 4 Südkorea 4 1 16 12 5 Singapur 11 7 19 4 6 Dänemark 5 10 6 2 7 Großbritannien 3 12 3 9 8 Norwegen 7 10 5 9 9 Schweiz 7 16 7 8 10 Australien 19 5 21 21 11 Irland 18 13 3 19 12 Niederlande 11 19 12 7 13 Frankreich 9 17 8 18 14 Österreich 17 17 8 14 15 Taiwan 13 9 25 17 16 Deutschland 16 24 11 11 17 Neuseeland 14 8 25 23 18 Hongkong 20 13 20 15 19 Belgien 14 25 18 15 20 - 11 - die föderale Struktur Deutschlands mit einem zwischen den Ländern differierenden und in den einzelnen Ländern jeweils wiederum sehr stark differenzierenden Bildungssystem . Gleiches gilt auch für die Schwierigkeiten bei der Einbindung und Förderung von Benachteiligten in das Bildungssystem, wie z.B. von Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien oder mit Migrationshintergrund. Das TAB bezweifelt, „dass sich umfassendes »reines eLearning« in den kommenden fünf oder zehn Jahren an unseren Hochschulen etablieren wird. Zweifellos wird man in der Weiterbildung und Fernlehre auf virtuelle Lernformate und komplette Online-Kurse zurückgreifen. Doch grundsätzlich sind es eher pragmatische Motive wie Bequemlichkeit und nicht die didaktischen Möglichkeiten und Vorteile, die als Gründe für die Nutzung von eLearning genannt werden. Angebot und Nachfrage bei Onlinekursen, mit denen sich die für die akademische Laufbahn benötigten Credits erwerben lassen, steigen beispielsweise auch in den USA rasant, aber ein damit verbundener Anstieg der Lern- und Lehrqualität ist nicht zweifelsfrei zu erkennen“ (TAB 2006: 15). Angesichts des enormen Entwicklungpotential, dass das eLearning zukünftig bietet, scheint die Einschätzung des TAB eher zu pessimistisch zu sein. Es wird angenommen, dass die Anfangsschwierigkeiten zügig überwunden und der Aufbau neuer eLearning- Angebote kräftig ansteigen wird. 2.3. Hochschulabgänger Zur Ermittlung der zukünftigen Gesamtzahl der Studierenden müssen auch die jährlichen Abgänge von den Hochschulen berücksichtigt werden. „Nach Mitteilung des Statistischen Bundesamtes haben im Jahr 2005 insgesamt 252.500 Prüfungsteilnehmerinnen und -teilnehmer ihr Studium an deutschen Hochschulen erfolgreich abgeschlossen, das waren 9% (+ 21 500) mehr als 2004 (Statistisches Bundesamt 2006b). Dies entspricht einem Anteil von ungefähr 13% der Gesamtzahl der Studierenden. Inwieweit die Anzahl der Abgänge auch in Zukunft konstant bleiben wird, ist mit der verstärkten Einführung von Bachelor und Masterstudiengängen derzeit noch nicht absehbar. 2.4. Doppelte Bildungsjahrgänge Im Zeitraum von 2007 bis 2013 werden insgesamt elf Bundesländer ihre gymnasiale Ausbildung von 13 auf 12 Jahre verkürzen (Ohle Nieschmidt, Hannelore 2004). In - 12 - Brandenburg und Schleswig-Holstein sind noch keine Entscheidungen getroffen worden . Rheinland-Pfalz hat seine Schulzeit seit dem Jahr 2001 bereits um ein halbes Jahr verkürzt (Zahlen und Fakten 2006: 506f.). Da allerdings nicht alle Bundesländer gleichzeitig die Reform des Gymnasiums umsetzen, ergeben sich auch unterschiedliche Zeitperioden des Übertritts auf eine Universität. 5 Geplante Schulzeitverkürzung von 13 auf 12 Jahre Bundesland Erwartete doppelte Abiturjahrgänge *Absolventen mit HS- Reife / Übergangsquote Baden-Württemberg 2012 30,1 / 78,4 Bayern 2011 20,6 / 82,2 Berlin 2012 34,6 / 85,8 Brandenburg noch keinen Zeitpunkt festgelegt 30,5 / 58,7 Bremen 2012 32,6 / 85,1 Hamburg 2010 32,0 / 64,4 Hessen 2012 30,3 / 76,8 Mecklenburg-Vorpommern 2008 24,2 / 66,7 Niedersachsen 2011 26,5 / 70,3 Nordrhein-Westfalen 2013 29,3 / 66,2 Rheinland-Pfalz seit 2001 halbes Jahr früher 26,3 / 75,1 Saarland 2009 22,6 / 75,4 Sachsen behält 12-j. Schulzeit bei 30,0 / 68,6 Sachsen-Anhalt 2007 27,0 / 66,0 Schleswig-Holstein noch keinen Zeitpunkt festgelegt 26,0 / 72,8 Thüringen behält 12-j. Schulzeit bei 30,2 / 68,3 Deutschland 27,8 / 73,1 - Hessen plant die Einführung der Schulzeitverkürzung phasenweise über mehrere Jahre - In Schleswig-Holstein existieren gegenwärtig neun Schulversuche zur Schluzeitverkürzung - Tabelle nach eigener Zusammenstellung. Quelle: Zahlen und Fakten (2006). - *Absolventen mit HS- Reife: d.h. Anteil an gleichaltriger Bevölkerung im Jahr2004 / Übergangsquote : d.h. Anteil der Abiturienten aus dem Jahrgang 2000, der 2004 an einer Hochschule immatrikuliert war. 2.5. Unwägbarkeiten Wie bereits in der Einleitung erwähnt, sind weitere Faktoren zur Beurteilung der zukünftigen Studierneigung nur schwer abzuschätzen. Ein Beispiel ist die Erhöhung der Absolventenzahlen durch die Master- und Bachelorstudiengänge, die ab 2010 einen Großteil der Studiengänge ausmachen sollen. Zum WS 2004/2005 waren 36,3% aller Studiengänge auf Bachelor- und Masterstudiengänge umgestellt. In diesen Studiengängen studierten allerdings aufgrund des hohen Betreuungsverhältnisses der Studierenden nur 7,9% aller Studierenden (Hochschulrektorenkonferenz 2006). 5 Die einzelnen Bundesländer selbst rechnen mit teilweise sehr hohen Zuwächsen bei den Abiturientenjahrgängen und mit höheren Übergangsquoten. Die gemachte Prognose basiert auf den zur Zeit tatsächlich relevanten Prozentzahlen (vergl. Zahlen und Fakten 2006: 507). - 13 - Da im Moment noch nicht vorhersehbar ist, wie hoch der Anteil zwischen Bachelorund Masterstudiengänge zukünftig sein wird, ist eine mögliche Erhöhung der Absolventenzahlen schwer einschätzbar. Wahrscheinlich ist dagegen eine zurückgehende Studierneigung von Frauen. Bei einer Umfrage über die Haltung zu Studiengebühren äußerten 10% mehr Abiturientinnen als Abiturienten kein Studium mehr aufnehmen zu wollen, wenn Studiengebühren eingeführt würden. (Studiengebühren 2005a). Die Anzahl derer, die sich in einem Zweitstudium befinden, ist nach der Einführung von Gebühren z.B. in Hessen um 44.200 (36%) gesunken (Kühne, Anja 2005). Da auch hier keine verlässlichen Prognosen möglich sind, wird auch diese Entwicklung nicht weiter in der Modellrechnung berücksichtigt. Bei den Privathochschulen ist festzuhalten, dass ihre Zahl seit 1994 von 24 auf 69 im Jahr 2004 angestiegen ist. Dennoch blieb der Zuwachs an Studierenden eher bescheiden , da lediglich 2% der Gesamtzahl der Studierenden an privaten Hochschulen studieren (Statistisches Bundesamt 2005: 5). Schwierig zu bewerten ist die Entwicklung in der Zukunft. Durch die Einführung von Studiengebühren könnten neue Privatuniversitäten im mittleren Bereich entstehen, die kombiniert mit virtuellen Bildungsprogrammen stattlichen Hochschulen Konkurrenz machen könnten. Mit der Einführung von Studiengebühren gibt es für deutsche Studenten weniger Grund, sich bei der Wahl der Hochschule auf Deutschland zu beschränken. Dies dürfte die Zahl der deutschen Studenten im Ausland ebenfalls erhöhen (Schwarzburger, Heiko 2006). Die Idee eines Auslandsstudiums für deutsche Studierende wird bereits in der öffentlichen Diskussion vertreten. Müller-Böling, Leiter des Centrum für Hochschulentwicklung und Befürworter der Theorie vom bevorstehenden Studentenberg, plädiert aufgrund der absehbaren demographischen Entwicklung im Osten nicht nur dafür, mehr Studenten aus dem Westen auf die Hochschulen der östlichen Bundesländer zu schicken . Ebenso schlägt er vor, deutschen Studenten Geld zur Verfügung zu stellen, damit sie im Ausland studieren können. „So könnte man die Studiensituation in Deutschland entschärfen wenn man große Teile der Studierenden phasenweise oder komplett im Ausland studieren lässt und ihnen somit gleichzeitig die Möglichkeit gibt internationale Erfahrungen zu sammeln. Vorbilder eines solchen Vorgehens gibt es beispielsweise in Norwegen, wo der Staat einem Hochschulzugangsberechtigten bis zu 25.000 Euro für Studiengebühren, Lebenserhaltungskosten und Sprachkurse mitgibt, wenn er im Ausland studiert. Dadurch profitieren die - 14 - Norweger in zweierlei Hinsicht: zum einen halten sie ihr Hochschulsystem flexibel, zum anderen globalisieren sie ihr Bildungssystem“ (Müller-Böling 2006: 502). Die Neigung ausländischer Studenten in Deutschland zu studieren, wird wohl zukünftig abnehmen, da vielen ausländischen Studenten wenig Geld zur Verfügung steht. „Rund 250.000 Ausländer studieren nach Angaben des Deutschen Studentenwerks in der BRD, das sind rund zehn Prozent aller Studenten. 139.000 stammen aus Schwellenund Entwicklungsländern. 70.000 gelten als Bildungsinländer" (Ausländer mit deutscher Hochschulreife). 41.000 kommen aus anderen Industrienationen. Die Lebensbedingungen dieser Ausländer werden sich nach der Sozialerhebung des Studentenwerks durch Studiengebühren weiter verschlechtern. Laut Studie steht Studenten aus Entwicklungsländern mit nur 600 Euro im Monat deutlich weniger Geld zur Verfügung als deutschen Kommilitonen. Mehr als 50 Prozent der ausländischen Studenten gaben an, ihre Entscheidung für ein Studium in der BRD sei stark von der bisherigen Gebührenfreiheit beeinflusst gewesen“ (Irle, Katja 2006). Doch schon jetzt zeichnet sich ein Rückgang der Zahl ausländischer Studierender ab. Beispiele hierfür sind unter anderem, die Verbesserung der Bildungssituation im Heimatland (z.B. China), die Zunahme zulassungsbeschränkter Studiengänge, die sinkende Attraktivität deutscher Hochschulen und die Irritationen, die durch die Diskussion über Studiengebühren entstanden sind (Henkel, von Klass, Rainer 2005). Bisher war der materielle Vorteil der Studiengebührenfreiheit für ausländische Studierenden höher als der weniger kostenintensive Erwerb der deutschen Sprache. Fällt dieser Vorteil weg, gibt es weniger Anlass, die deutsche Sprache zu studieren bzw. die starke Tendenz im englischsprachigen Ausland zu studieren. Einen weiteren Kostenfaktor, der sich negativ auf die Studierneigung künftiger Abiturienten auswirken könnte, stellen die zusätzlichen Studienkosten (Opportunitätskosten) dar, die im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfes eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft ("Zweiter Korb") entstehen könnten. Der Deutsche Bibliotheksverband kritisiert in einer Stellungnahme verschiedene Paragraphen des Gesetzesentwurfs, die zu erheblichen Mehrkosten bei der digitalen Informationsbeschaffung und –bereitstellung an den Hochschulen führen könnten. „Kein Schüler, kein Student konnte sich in der Vergangenheit die benötigte Literatur für seine Ausbildung, kein Wissenschaftler die unverzichtbare wissenschaftliche Information für seine Arbeit vollständig kaufen. Informationsversorgung für Bildung und Wissenschaft wurde im gesamtgesellschaftlichen Interesse schon immer durch öffentlich zugängliche Bibliotheken garantiert. Es ist völlig absurd, wenn man unterstellt, dass - 15 - Schüler, Studenten und Wissenschaftler sich zukünftig die benötigten digitalen Kopien bei kommerziellen Diensten kaufen werden. (...). Die geplante Regelung wird genau die Gruppe von einer zeitgemäßen Informationsversorgung vollständig ausschließen, die für die Zukunft unserer Gesellschaft stehen, nämlich Lernende und Lehrende (Deutscher Bibliotheksverband 2006). 3. Fazit Nach Meinung vieler Experten steht Deutschland in den kommenden Jahren vor einem Studentenberg. Die im Vorhergehenden entwickelten Überlegungen entwerfen ein alternatives Szenario – im Sinne einer Bildungsplanung, die unterschiedliche Möglichkeiten durchspielt, um auf unerwartete Entwicklungen vorbereitet zu sein. In der vorliegenden Studie wird aufgezeigt, wie sehr sich die Prognosen verändern, wenn sich wesentliche Voraussetzungen der gängigen Berechnungsgrundlagen – eine geringere Bereitschaft zum Studium einerseits und der Ausbau elektronischer Studienangebote andererseits - ändern. Nach wie vor ist ohne weiteres möglich, dass die derzeit vorherrschenden Prognosen bestätigt werden und in den kommenden Jahren mit sehr hohen Studentenzahlen gerechnet und gearbeitet werden muss. Allerdings spricht verschiedenes dafür, dass es nicht zu dem von der KMK und HRK prognostiziertem Studentenberg kommen wird. In der Modellrechnung steigt die Studentenzahl auf höchstens knapp 2,336 Millionen, bevor sie ab 2014 wieder sinkt. Also werden nach dieser Prognose ca. 300.000 Studenten weniger an den Universitäten sein, als es von der KMK und HRK angenommen wird. Die Einführung von Studiengebühren in Nordrhein-Westfalen zum WS 2006 führte bereits zu einem Rückgang der Erstsemester um über 5 Prozent. Lediglich die (noch) studiengebührenfreie Heinrich Heine-Universität Düsseldorf erlebte einen Zuwachs (Süddeutsche Zeitung 2006). Bezieht man die erwähnten Unwägbarkeiten hinzu, sind durchaus noch geringere Studierendenzahlen möglich. Die Bildungslandschaft in der Bundesrepublik Deutschland wird sich fundamental wandeln . Neben den klassischen Hochschulen werden eine Vielzahl zusätzlicher kommerzieller Bildungsangebote entstehen. Die Nutzung virtueller Bildungsangebote wird enorm zunehmen. Zusätzliche kommerzielle, virtuelle Bildungsprogramme werden mit den Bildungsprogrammen der etablierten Hochschulen in Konkurrenz treten. Gleichzeitig können die Hochschulen selber virtuelle Bildungsprogramme entwickeln und nutzen , um ihre Ausbildungskapazitäten zu steigern. - 16 - Dadurch wird sich auch der Lehrbetrieb an den Hochschulen grundlegend ändern. Die virtuellen Bildungsprogramme werden in immer stärkeren Maße den Lehrbetrieb an den Hochschulen bestimmen. Einem größeren Angebot an virtuellen Lernmitteln für den Hausgebrauch der Studierenden steht ein immer mehr an Prüfungen orientiertes Organisationshandeln an den Hochschulen gegenüber. Diese neue Form der Hochschulausbildung stellt sowohl an den einzelnen Studierenden als auch an die Leistungskraft der Hochschulen hohe soziale, psychologische und organisatorische Anforderungen. Es ist deshalb notwendig, alle diese Faktoren bei der Gestaltung einer zukünftigen Hochschulpolitik ausreichend zu berücksichtigen. Zukünftige Studierende werden im verstärkten Maße abwägen müssen, ob sich ein Studium für sie rentiert. Einerseits muss die tatsächliche Verschuldung am Ende des Studiums zukünftig durch die künftige berufliche Renditeerwartung kompensiert werden. Andererseits darf eine künftige Verschuldung nicht der eigenen Lebensplanung (Ehe, Kinder, Firma, eigene Rente) im Wege stehen. Vor allem muss bedacht werden, dass sich die Einkommenssituation von Akademikern in den letzten Jahren verschlechtert hat. „Während ein deutscher Akademiker 1991 noch 70 % mehr verdiente als der Absolvent einer Berufsausbildung, waren es zehn Jahre später noch 56 %. Gerade der Berufseinstieg erweist sich oft als schwierig. Bis der Hochschulabsolvent einen einigermaßen gesicherten Arbeitsplatz hat, vergeht einige Zeit. Oft ist er dann schon in den Dreißigern. Die Spanne seiner eigentlichen Erwerbstätigkeit mit allen Sozialabgaben und Sparmöglichkeiten wird kürzer, währenddessen seine Verdienstmöglichkeiten geringer werden“ (Mues, B./ Mues, G. 2006: 511). Ob ein Studium unter diesen Aspekten einer Berufsausbildung vorzuziehen ist, bleibt demnach fraglich. Unter solchen Voraussetzungen ist wahrscheinlich, dass weniger Studierende, denen nur ein geringes Budget zur Verfügung steht, ein Studium aufnehmen werden. Diejenigen Studenten aber, die diese existenziellen Fragen positiv für sich beantworten können, werden verstärkt Fächer studieren, von denen sie annehmen können, dass sie ihre Lebens - und Karriereplanung zukünftig forciert; d.h., „dass es sich auszahlt“. Das Interesse am Studium der sogenannten kleineren Fächern (Orchideenfächer), wird dagegen rückläufig sein. Bei 500 Euro Studiengebühren werden die damit verbundenen existentiellen Fragen noch kein übermäßiges Gewicht haben. Soziale Probleme entstehen allerdings, wenn die Gebühren weiter steigen. In Großbritannien stiegen im Jahr 2004 die Gebühren auf bis zu 3000 Pfund (4500 Euro). Die Zahl der Studierenden aus bildungsarmen Familien - 17 - ging so drastisch zurück, dass inzwischen wieder Zuschüsse anstelle der reinen Darlehen vergeben werden (Rubner 2006).6 Unabhängig von der tatsächlichen Studierneigung künftiger Abiturienten entsteht ein Studentenberg nur dann, wenn auch genügend Studierkapazitäten vorhanden sind. Das dies keineswegs selbstverständlich ist, zeigt die Tatsache, dass die Bundesländer bislang keine klaren Aussagen darüber machen, welche zusätzliche Kosten für die Bundesländer entstehen können. Auch die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge ist kein Sparmodell, insbesondere wenn offen bleibt, wie viele der Bachelorstudenten nach ihrem Abschluss den anspruchsvollen Masteranschluss überhaupt machen wollen. Die Umsetzung der Studienreform erfordert ein hohes Maß an Betreuung. „Berlin hingegen hat das erkannt und ist auf Drängen der Unis bereit, wegen der besseren Betreuung der Studenten in den neuen Studiengängen acht Prozent weniger Studienanfänger zuzulassen. Damit wird eine weitere Verringerung der Studienplätze in Berlin unter die magische Zahl von 85.000 in Kauf genommen. Auch andere Länder bauen wegen der Haushaltsnotlage weiter Studienplätze ab“ (Schlicht 2006: 25). Erste Anzeichen für ein Umdenken bzw. Zweifel an die Entstehung eines Studentenbergs bekundet inzwischen auch die Hochschul-Informations-System GmbH. „Allerdings muss sich der Studierendenberg nicht zwangsläufig in die von der KMK prognostizierten Höhen aufschwingen. Insbesondere die Annahmen zur Studierneigung unterstellen erhebliche Veränderungen des Status Quo, deren Eintreten mit eine deutlichen Fragezeichen zu versehen ist. Zudem muss das deutschlandweite Anwachsen der Studierendenzahlen nicht für jede Universität und jede Fachhochschule eine Ausdehnung der Studiennachfrage bedeuten. (Dies gilt insbesondere für die; d.V.) strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands.“ (Moog, Horst, Vogel, Bernd 2006: 7). Abschließend ist festzustellen: Treffen die dargestellten Überlegungen und Auswirkungen ein, wird sich der prognostizierte Studentenberg eher als „Studentenhügel“ erweisen . Zwar wird – wie schon einmal in letzten Jahrhundert – eine verstärkte Nachfrage nach Studienplätzen einsetzen. Diese Nachfrage kann aber zukünftig durch Kapazitätserweiterungen vor allem mittels E-Learning, die Einstellungen zusätzlicher und neu geschaffener Personalstellen (Lecturers) und weiterer Maßnahmen an den Hochschulen 6 Ebenda: Frank Ziegele, Gebührenexperte am Gütersloher Centrum für Hochschulentwicklung kommentierte diesen Sachverhalt mit den Worten: „Es existiert offenbar eine kleine Schicht, die tatsächlich Angst davor hat, Schulden zu machen“. - 18 - gedeckt werden. Diese Maßnahmen werden zu einer neuerlichen, diesmal „virtuellen Untertunnelung“ der Hochschulen führen. - 19 - 4. Modellrechnung In dieser Modellrechnung wird die Annahme zu Grunde gelegt, dass sich von den 27% der Studierenden, denen bis zu 600 Euro im Monat zur Verfügung stehen, rund 60% entschließen, ein Studium aufzunehmen. Nach der Einführung von Studiengebühren werden z.B. mehr Studenten auf eine eigene Wohnung/ Zimmer verzichten und vom Elternhaus aus studieren, wenn die Möglichkeit dazu besteht. Des Weiteren wird angenommen, dass es zukünftig eine ganze Reihe von öffentlichen und privaten Förderprogrammen und Stipendien geben wird, mit denen junge Studenten unterstützt werden können. Somit beträgt die Zahl der Studienanfängerzahl 33% eines Jahrgangs. Langzeitstudenten Die folgende Tabelle berechnet den Rückgang der Langzeitstudenten (LZS) mit der Annahme eines 30%igen Rückgangs pro Jahr (Die Welt 2005). Da erst bei einer flächendeckenderen Einführung von Langzeitstudiengebühren mit einem Rückgang der LZS zu rechnen ist, wird der Rückgang erstmalig im Jahr 2007 berücksichtigt. Es wird des Weiteren angenommen, dass sich nach der Einführung von Studiengebühren die Zahl der LZS bei rund 100.000 stabilisiert, da für die circa 14 Prozent der Studierenden, die 1000 oder mehr Euro monatlich zur Verfügung haben, die Gebühren in einem Langzeitstudium kein Problem darstellen dürften. Möglicherweise ist jedoch mit einem noch deutlicheren Rückgang zu rechnen. Rückgang der Langzeitstudenten auf rund 100.000 Jahr LZS ab dem 11. Semester Rückgang um 30% im Jahr 2007 257.513 77.254 2008 180.259 54.078 2009 126.181 26.281 - 20 - Steigerung virtueller Hochschulangebote Aufgrund der kritischen Einschätzung des TAB-Berichtes wird ein – vorsichtig geschätzter - jährlicher Zuwachs virtueller Hochschulangebote im Erststudium von 15% angenommen. Steigerung virtueller Angebote der Hochschulen im Erststudium Jahr Virtuelles Angebot Steigerung um 15 % Gesamtzahl 2004/05 45434 6815 52249 2006 52249 7837 60086 2007 60086 9013 69099 2008 69099 10365 79464 2009 79464 11920 91384 2010 91384 13708 105092 2011 105092 15764 120855 2012 120855 18128 138984 2013 138984 20848 159831 2014 159831 23975 183806 2015 183806 27571 211377 2016 211377 31707 243083 2017 243083 36462 279546 2018 279546 41932 321478 2019 321478 48222 369699 2020 369699 55455 425154 2021 425154 63773 488927 Hochschulabgänger Die Hochschulabgänger werden mit 13% jährlich als feste Quote in die Berechnung mit aufgenommen und von der Gesamtzahl der Studierenden subtrahiert. Doppelte Bildungsjahrgänge Um die Zahl der doppelten Bildungsjahrgänge bestimmen zu können, wurden die Alterskohorten eines Jahrganges pro Bundesland gewichtet. In der Annahme, dass zum Zeitpunkt der Umstellung ein durchschnittlicher Gymnasiast zwischen 18 und 19 Jahre alt ist, werden also zwei aufeinander folgende Jahrgänge zusammengerechnet. Die Summe wurde zuerst mit dem prozentualen Anteil der Bevölkerungsgruppe mit Hochschulreife gewichtet. Das daraus resultierende Ergebnis wurde anschließend mit der aktuellen prozentualen Übergangsquote der Abiturienten in den einzelnen Bundesländern gewichtet. Beispiel für die Berechnung in Baden-Württemberg: - 21 - Die für einen Doppeljahrgang in Frage kommenden Geburtenjahrgänge betragen 115.674 und 119.999 Personen. Die Summe ergibt 235.673 Personen. Die aktuelle Quote der Hochschulreife beträgt 30,1%. Dies ergibt 70.938 Personen, die ein Abitur absolvieren werden. Die aktuelle Übergangsquote beträgt 78,4%. Dies ergibt im Doppeljahrgang 2012 einen Anstieg auf 55.615 Personen. Anzahl der zusätzlichen Abiturienten der doppelten Jahrgänge Bundesland 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Sachsen-Anhalt 11835 Mecklenburg-Vorpommern 7402 Saarland 4057 Hamburg 6346 Bayern 47384 Niedersachsen 34101 Berlin 15006 Baden-Württemberg 55615 Bremen 3270 Hessen 28777 Nordrhein-Westfalen 73189 Gesamt 11835 7402 4057 6346 81485 102668 73189 - Eigene Berechnungen nach (Statistisches Bundesamt 2006c und Zahlen und Fakten 2006). Zu berücksichtigen ist noch, dass der Zuwachs an Abiturienten nicht sofort zu einer steigenden Nachfrage nach Studienplätzen führt, da das statistische Durchschnittsalter bei Erststudenten bei 21,8 Jahren liegt.7 Aus diesem Grund werden bei den späteren Berechnungen diese Studentenspitzen jeweils erst im Folgejahr berücksichtigt. 7 Die Gründe für dieses „hohe Alter“ sind vielfältig: Das Wiederholen einer Klasse im Vorfeld, ein längerer Auslandsaufenthalt, der Abbruch einer Berufsausbildung, Zivil- und Wehrdienst, Mutterschaft und vieles mehr tragen dazu bei. - 22 - Studentenzahlen gesamt Nach dieser Modellrechnung wird die Spitze des Studentenbergs im Jahr 2014 mit rund 2,34 Mio. Studenten erreicht. Die von der KMK und anderen geschätzte Marke von 2,7 Mio. Studenten wird zu keinem Zeitpunkt erreicht. Zu diesem Zeitpunkt beträgt die Zahl der virtuellen Studienangebote bereits rund 183.000. Es ist klar, dass die Zahl der virtuellen Studiengänge nicht endlos weiter wachsen wird, da diese Lehrmethode nicht für alle Fachbereiche gleichermaßen anwendbar ist. So können z.B. naturwissenschaftliche Studiengänge, die mehr Laborarbeit erfordern, dieses Medium weniger nutzen als z.B. sozialwissenschaftliche Fachbereiche. Jahr Studienanfänger 33% Doppelte Jahrgänge Studenten insgesamt 13 Prozent Abgänge Zusätzliche virtuelle Angebote 2.005 1.963.108 255.204 52.249 2.006 327.168 2.035.072 264.559 60.086 2.007 333.474 2.026.733 340.7291 69.099 2.008 323.758 11.835 2.044.772 319.8981 79.464 2.009 326.924 7.402 2.086.997 297.5911 91.384 2.010 296.981 4.057 2.116.725 275.174 105.092 2.011 285.594 6.346 2.133.491 277.354 120.855 2.012 278.413 81.485 2.216.035 288.085 138.984 2.013 267.354 102.668 2.297.973 298.736 159.831 2.014 264.071 73.189 2.336.496 303.745 183.806 2.015 272.528 2.305.280 299.686 211.377 2.016 277.519 2.283.112 296.805 243.083 2.017 269.255 2.255.563 293.223 279.546 2.018 263.988 2.226.328 289.423 321.478 2.019 262.846 2.199.751 285.968 369.699 2.020 251.446 2.165.229 281.480 425.154 2.021 245.451 2.129.201 276.796 488.927 1 Abgänge einschließlich Langzeitstudenten - 23 - 5. Quellen- und Literaturverzeichnis Bundesministerium für Bildung und Forschung (2004). 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