Deutscher Bundestag Gesundheitsgefährdende Stoffe in Lebensmittelverpackungen aus Kunststoff Sachstand Wissenschaftliche Dienste WD 8 – 3000 – 155/110 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 155/110 Seite 2 Gesundheitsgefährdende Stoffe in Lebensmittelverpackungen aus Kunststoff Aktenzeichen: WD 8 – 3000 – 155/110 Abschluss der Arbeit: 29. November 2010 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wir danken vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung in Freising für die fachliche Unterstützung. Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 155/110 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Rechtliche Anforderungen an Kunststoffverpackungen in der EU 4 3. Anforderungen an Lebensmitttelverpackungen auf nationaler Ebene 6 3.1. Nationale Behörden 6 4. Beispiele zur aktuellen Risikobewertung 7 5. Beispiele für ungeklärte Risiken durch Stoffe aus Lebensmittelverpackung 8 6. Forschungsprojekte 9 6.1. Nationale Forschung 9 6.2. EU-Projekte 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 155/110 Seite 4 1. Einleitung Materialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, unterliegen in Deutschland gesetzlichen Regelungen. Sie dürfen nach § 31 Abs. 1 Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) nur so hergestellt und in Verkehr gebracht werden, dass sie unter normalen oder vorhersehbaren Verwendungsbedingungen keine Stoffe auf Lebensmittel in Mengen abgeben , die geeignet sind, die menschliche Gesundheit zu gefährden oder eine unvertretbare Veränderung der Zusammensetzung der Lebensmittel herbeizuführen oder eine Beeinträchtigung der geruchlichen und geschmacklichen Eigenschaften der Lebensmittel herbeizuführen. Die Einhaltung dieser Anforderungen muss in erster Linie vom Hersteller der Lebensmittel in Zusammenarbeit mit dem Hersteller der Lebensmittelkontaktmaterialien sichergestellt werden. Sie wird durch die Behörden der Bundesländer stichprobenartig kontrolliert. Die Kontrollen erfolgen sowohl bei den Herstellern als auch im Handel. Es werden die Lebensmittelverpackungen selbst untersucht, aber auch im Lebensmittel nach Stoffen gesucht, die beispielsweise aus der Verpackung dort hineingelangt sein können. Die vielfältige Zusammensetzung von Lebensmittelverpackungen mit Tausenden potenziellen Inhaltsstoffen macht es den amtlichen Überwachungslaboratorien nach Auskunft von vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung in Freising aber unmöglich , alle Substanzen qualitativ und quantitativ zu bestimmen. Das gilt auch für die Bewertung von Messergebnissen, da es für einen großen Teil dieser Substanzen keine hinreichenden Daten über deren gesundheitliche Wirkung gibt. Für neue aktive und intelligente Verpackungsmaterialien gelten ebenso die Anforderungen des LFGB. Diese neuartigen Verpackungsmaterialien ermöglichen beispielsweise, dass der Frischegrad eines Lebensmittels an der Verpackung erkennbar ist oder sie bewirken durch eine Abgabe bestimmter Stoffe eine längere Haltbarkeit der Lebensmittel. Im letztgenannten Fall ist dann ein Übergang von Inhaltsstoffen oder eine Veränderung des Lebensmittels durch die Verpackung durchaus beabsichtigt. Der Übertritt von chemischen Substanzen in verpackte Lebensmittel ist abhängig von physikalisch -chemischen Einflussgrößen, die im Wesentlichen von der Zusammensetzung der Verpackung , der Art des verpackten Lebensmittels, der Temperatur, bei der das Lebensmittel abgepackt und gelagert wird und der Dauer der Lagerung beeinflusst werden. 2. Rechtliche Anforderungen an Kunststoffverpackungen in der EU Insbesondere für Kunststoffe als Verpackungsmaterial existiert eine umfangreiche und detaillierte europäische Gesetzgebung, die immer wieder dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik angepasst wird. Dagegen sind die ebenso relevanten „Untergruppen“ der Lebensmittel- Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 155/110 Seite 5 kontaktmaterialien zum Beispiel Klebstoffe, Schmierstoffe und Beschichtungen nicht spezifisch geregelt. Auch für Stoffe, die für die Herstellung von Druckfarben für Lebensmittelverpackungen eingesetzt werden, fehlen auf europäischer Ebene noch verbindliche Regelungen. Damit lassen sich einige der in Vergangenheit aufgetretenen Verunreinigungen von Lebensmitteln mit Substanzen aus Verpackungen erklären (vgl. Kapitel 5). Die Bewertung der Kunststoffe für den Lebensmittelkontakt erfolgt in der EU nach dem Positivlistenprinzip . Das heißt nur Substanzen, die zugelassen sind, dürfen innerhalb der EU für Kunststoffverpackungen verwendet werden. Geprüft werden zu diesem Zweck Ausgangssubstanzen für Kunststoffe und Additive für Kunststoffe wie etwa Weichmacher. Für die Aufnahme in die Positivliste muss der Hersteller und/oder Verwender des Verpackungsmaterials ein Dossier über den Verpackungsstoff vorlegen, das Studien über die gesundheitsrelevanten sowie technischen Eigenschaften enthält1. Dieses Dossier wird dann bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)2 eingereicht. Sie führt eine Sicherheitsbewertung durch und entscheidet auf Antrag über die Aufnahme eines Stoffes in die Positivliste. Die Bewertung selbst führt das Gremium für „Materialien, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen, Enzyme, Aromastoffe und Verarbeitungshilfsstoffe“ (CEF) durch. Sofern die Substanz zulassungswürdig ist, wird sie mit oder ohne Migrationsgrenzwert über das Gesetzgebungsverfahren der EU in die Positivliste aufgenommen . Der Migrationsgrenzwert legt fest, wie viel des Stoffes in das Lebensmittel übergehen darf, ohne dass eine Gesundheitsgefahr für den Menschen besteht. Nach der Aufnahme in die Positivliste kann die Substanz in Verpackungsmaterialien eingesetzt werden, solange der Grenzwert eingehalten wird. Für alle Lebensmittelkontaktmaterialien gelten die allgemeinen Anforderungen der Rahmenverordnung (EG) Nr. 1935/2004 vom 27.Oktober 2004. Speziell für Kunststoffe gilt die Richtlinie 2002/72/EG („Kunststoffrichtlinie“) vom 6. August 2002. Die Bestimmungen der Richtlinie wurden immer wieder aktualisiert, zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 975/2009 vom 19. Oktober 2009. Darin wurde festgelegt, dass ab dem 1. Januar 2010 nur solche Zusatzstoffe zur Herstellung von Materialien aus Kunststoff, die für den Lebensmittelkontakt bestimmt sind, verwendet werden dürfen, welche im „Gemeinschaftsverzeichnis der Zusatzstoffe“ aufgeführt sind (sog. Positivliste ). Weitere einschlägige Rechtsregelungen der EU listet Dr. Roland Franz vom Fraunhofer- Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung in der beigefügten Anlage auf. 1 Hinsichtlich der Ausgestaltung eines Antrags auf Sicherheitsbewertung wurde ein „Leitliniendokument für das Einreichen von Unterlagen zu einer für den Einsatz in Lebensmittelkontaktmaterialien vorgesehenen Substanz zum Zweck der Bewertung durch die EFSA“erstellt. 2 Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) wurde im Jahr 2002 gegründet, um die Lebensmittelsicherheit in der EU zu erhöhen und zu harmonisieren. Sie informiert über Risiken im Zusammenhang mit Lebensmitteln und gibt der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament Empfehlungen für Entscheidungen im Bereich des Risikomanagements. Daneben erstellt die EFSA wissenschaftliche Gutachten und leistet wissenschaftliche Beratung zur Verwendung von Materialien, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen, sowie über die Sicherheit bestimmter Verfahren (z. B. Recycling von Kunststoffen zur Verwendung in Lebensmittelkontaktmaterialien). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 155/110 Seite 6 3. Anforderungen an Lebensmitttelverpackungen auf nationaler Ebene Für Verpackungsmaterialien, für die bisher auf europäischer Ebene keine harmonisierten Vorschriften existieren, wie Gummi, Papier, Karton, Holz und Silikone gelten, soweit vorhanden, weiterhin die nationalen Regelungen der jeweiligen EU-Mitgliedsstaaten. In Deutschland sind hier insbesondere die „Empfehlungen des Bundesinstituts für Risikobewertung zu Materialien für den Lebensmittelkontakt“ zu nennen. Sie beinhalten Anforderungen an die stoffliche Zusammensetzung insbesondere von Papieren, Gummi, Kunststoffdispersionen, Silikonen, Polyurethanen und Füllstoffen und werden als Datenbank „BfR-Empfehlungen zu Materialien für den Lebensmittelkontakt" im Internet zur Verfügung gestellt3. Die BfR-Empfehlungen sind keine Rechtsnormen. Sie sind jedoch allgemein anerkannt, da sie den derzeitigen Stand von Wissenschaft und Technik darstellen und als Maßgabe herangezogen werden können, um die im LFBG geforderte Unbedenklichkeit zu prüfen. Aus dem Bereich der Kunststoffverpackungen beinhaltet die Datenbank seit Januar 2010 entsprechend den Änderungen der Richtlinie 2002/72/EG („Kunststoffrichtlinie“) nur noch die Substanzen, für die es auf europäischer Ebene noch keine harmonisierten Vorschriften gibt. Dies sind die Produktionshilfsstoffe wie Katalysatoren und Substanzen, die die chemische Reaktion zur Herstellung des Kunststoffs in Gang bringen und unterstützen (Polymerisationsinitiatoren und -aktivatoren). 3.1. Nationale Behörden Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist eine wissenschaftliche Einrichtung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV). Es berät die Bundesregierung und die Bundesländer zu Fragen der Lebensmittel-, Chemikalien- und Produktsicherheit. Das BfR betreibt auch eigene Forschung zu Themen, die im Zusammenhang mit seinen Bewertungsaufgaben stehen. 1957 wurde am damaligen Bundesgesundheitsamt die sog. Kunststoffkommission eingesetzt. Ihre Aufgabe bestand u. a. in der Prüfung und Beratung von Anträgen zur Aufnahme von Substanzen in die „Empfehlungen zur gesundheitlichen Beurteilung von Kunststoffen und anderen Hochpolymeren“ des BfR. In der Nachfolge wurde 2008 die BfR-Kommission für Bedarfsgegenstände (BeKo) gegründet und die ehemaligen „Kunststoff-Empfehlungen“ durch die „BfR-Empfehlungen zu Materialien für den Lebensmittelkontakt" ersetzt. Zu den Bedarfsgegenständen werden definitionsgemäß auch die Gegenstände gerechnet, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, wie z. B. Küchengeräte, Behältnisse oder Verpackungsmaterialien. Dabei konzentriert sich die Kommission in ihren Bewertungen auf Risiken, die von den Inhaltsstoffen der Materialien ausgehen . Sie unterstützt das BfR bei seiner Aufgabe, das zuständige Ministerium zu beraten und fachliche Bewertungen zu erarbeiten. Dies gilt sowohl für stoffliche und toxikologische Fragen als auch im Zusammenhang mit Rechtssetzungsvorhaben der Europäischen Union. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) aus dem Geschäftsbereich des BMELV nimmt unter anderem zahlreiche Aufgaben zur Sicherstellung der Qualität von Lebensmitteln wahr. Es ist die nationale zuständige Behörde für die Beantragung der EU-weiten Zulassung eines neuen Stoffes für 3 http://bfr.zadi.de/kse/faces/DBEmpfehlung.jsp Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 155/110 Seite 7 Lebensmittelkontaktmaterialien aus Kunststoff Materialien und Gegenstände aus recyceltem Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen aktive und intelligente Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen Das BVL übermittelt der zuständigen Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) den Antrag und stellt ihr alle vom Antragsteller gelieferten Informationen zur Verfügung. Außerdem koordiniert das BVL jährlich bundesweite Überwachungsprogramme mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Ergebnisse werden im Bericht zur Lebensmittelsicherheit des BVL veröffentlicht. 4. Beispiele zur aktuellen Risikobewertung Hormonähnliche Substanzen in Mineralwasserflaschen aus Polyethylenterephthalat (PET) Forscher der Universität Frankfurt publizierten im März 2009 die Ergebnisse eines biologischen Testverfahrens zur Messung von östrogenartigen Substanzen, die sie in Mineralwasser aus PET- Flaschen vermuteten. Dabei stellten sie Mengen von bis zu 75 Nanogramm pro Liter an Substanzen mit hormonähnlicher Wirkung fest. Die publizierten Ergebnisse wurden in Fachkreisen sehr kritisch diskutiert. Das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) ließ daraufhin mitteilen, dass keine bei der PET-Herstellung eingesetzten Substanzen bekannt sind, die in das Mineralwasser übergehen und eine östrogenartige Aktivität zeigen. Auch das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) hat auf Grund seiner Untersuchungen bekannt gegeben, dass die nachgewiesene Hormonwirkung des Mineralwassers nicht auf Substanzen aus PET-Flaschen zurückgeführt werden kann. Diskutiert wurden als mögliche Quellen für hormonähnliche Stoffe das abgefüllte Wasser selbst bzw. die Deckeldichtungen der Flaschen – allerdings nicht in den gefundenen Konzentrationen – wie auch mögliche Fehler im Versuchsansatz. Bisphenol A aus Polycarbonat-Mehrwegflaschen und aus der Epoxidharz-Innenauskleidung von Lebensmittel- und Getränkedosen Auch Bisphenol A (BPA) gehört zu einer Gruppe von Substanzen, die hormonähnlich (östrogen) wirken können. Im März 2010 erhielt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ein Ersuchen der Europäischen Kommission, in dem sie gebeten wurde, in einer erneuten Risikobewertung auch aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen und in dieser Frage eng mit den Risikobewertungsstellen der EU-Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten. Daraufhin veranstaltete die EFSA ein Treffen zum Thema BPA, an dem nationale Sachverständige aus den EU-Mitgliedstaaten, Mitglieder des EFSA-Gremiums für Materialien, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen (CEF-Gremium) und Vertreter der Europäischen Kommission teilnahmen. Nach einer umfassenden Überprüfung der neuesten wissenschaftlichen Fachliteratur und von mehr als 800 Studien über die Toxizität von BPA in niedrigen Dosen gelangten die Wissenschaft- Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 155/110 Seite 8 ler des CEF-Gremiums der EFSA zu dem Schluss, dass sie keine neuen Erkenntnisse enthielten, die Anlass dazu geben würden, den aktuellen TDI-Wert (Tolerable Daily Intake = zulässige tägliche Aufnahmemenge) für BPA von 0,05 Milligramm je Kilogramm Körpergewicht zu ändern. Dieser Wert wurde bereits von der EFSA in ihrem Gutachten von 2006 festgesetzt und in einem weiteren Gutachten von 2008 bestätigt. Die EFSA stellte fest, dass die Aufnahmemengen von BPA über Nahrungsmittel und Getränke – auch bei Säuglingen und Kindern – deutlich unter dem TDI-Wert liegen, das heißt, dass von den entsprechenden Verpackungen nach Einschätzung der EFSA keine Gesundheitsgefahr ausgeht. Die EFSA aktualisierte ihre Empfehlungen zu BPA im September 2010. Vorsorglich haben Dänemark und Frankreich im selben Jahr den Einsatz von BPA für Babytrinkflaschen untersagt. 5. Beispiele für ungeklärte Risiken durch Stoffe aus Lebensmittelverpackung Trotz der vorhandenen Regelungen haben Substanzen aus Verpackungen in Lebensmitteln in der Vergangenheit für Schlagzeilen gesorgt. Jüngst wies das Kantonslabor Zürich Mineralölgemische in verschiedenen Lebensmitteln wie Frühstückscerealien, Reis und Gries nach. Diese stammten aus Druckfarben auf den Verpackungen und aus dem verwendeten Recyclingpapier. Werden in solch belasteten Kartons Nahrungsmittel verpackt, kann das Mineralöl ausgasen und auf das Produkt übergehen. Mineralöl aus Druckfarben wird beim Papier-Recycling nicht vollständig entfernt . Welche Gesundheitsgefahren sich dadurch für den Verbraucher ergeben, kann das in Deutschland zuständige Bundesinstitut für Risikobewertung derzeit aufgrund der unvollständigen Datenlage noch nicht ableiten. Aus tierexperimentellen Studien ist bekannt, dass Mineralölgemische zu Ablagerungen und Schäden in der Leber, den Herzklappen und den Lymphknoten führen können, schreibt das BfR. Ein weiteres Beispiel, bei dem Substanzen aus Verpackungen ins Lebensmittel übergingen, führt in die Jahre 2005 bis 2007 zurück: In diesen Jahren wurde wiederholt Isopropylthioxanton (ITX) aus Druckfarben in Fruchtsäften und Babynahrung nachgewiesen. Das zuständige Bundesinstitut für Risikobewertung teilte auch hierzu mit, dass eine Aussage zum gesundheitlichen Risiko nicht getroffen werden kann – mangels toxikologischer Daten zu Isopropylthioxanton. Die zum Teil hohen Rückstände seien aber aus Sicht der Risikobewertung nicht akzeptabel. Diese Fälle weisen auf einen bisher nicht geregelten Bereich der Lebensmittelverpackungen hin: Für Bestandteile an oder auf Kunststoffverpackungen wie Druckfarben, Klebstoffe oder Schmierstoffe, aber auch für andere Packmaterialien wie Papier und Karton gibt es derzeit keine spezifischen Regelungen. Da die gesundheitliche Wirkung vieler Substanzen in diesen Anwendungsbereichen nicht umfassend untersucht ist, kann auch die eingangs erwähnte Forderung des LFBG nach einer Unbedenklichkeit für den Menschen nicht überprüft werden. Nach Auskunft des Züricher Kantonslabors sind nur etwa rund 2.000 von geschätzten 50.000 Substanzen mit Lebensmittelkontakt toxikologisch befriedigend abgesichert. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass vor dem Inkrafttreten der REACH-Verordnung zur Registrierung, Bewertung , Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (EG Nr. 1907/2006) im Jahr 2007 die überwiegende Mehrzahl der Chemikalien nicht toxikologisch geprüft worden war. Im Laufe der kommenden Jahre wird aber eine Überprüfung der Chemikalien von der Europäischen Chemikalienagentur EChA in Helsinki nach der REACH-Verordnung durchgeführt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 155/110 Seite 9 Die Bundesregierung will in Kürze eine Verordnung vorlegen, wonach Druckfarben auf Lebensmittelverpackungen künftig in Deutschland einer nationalen Prüfung durch das Bundesinstitut für Risikobewertung unterzogen werden sollen. Von den rund 6.000 Stoffen, die in Druckfarben verwendet werden, hat das Bundesinstitut für Risikobewertung bislang 900 für unproblematisch erklärt. 6. Forschungsprojekte Die Bundesregierung unterstützt den Erkenntnisgewinn zum Übergang von Stoffen aus Verpackungen in Lebensmitteln in einer Reihe von Forschungsprojekten mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt . Diese vervollständigen und ergänzen die im Rahmen der Ressortforschung am Bundesinstitut für Risikobewertung und am Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erzielten Ergebnisse und aufgeklärten Zusammenhänge. 6.1. Nationale Forschung Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung initiierte zwei Forschungsprojekte zum „Ausmaß der Migration von Druckfarbenbestandteilen aus Verpackungsmaterialien“ und zum „Ausmaß der Migration von unerwünschten Stoffen aus Verpackungsmaterialien aus Altpapier in Lebensmittel“. Das erst genannte Projekt wird vom Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt in Stuttgart ausgeführt und läuft noch bis 31. Mai 2011. Darin soll vor allem geprüft werden, in welcher Art und Menge Druckfarbenbestandteile in Lebensmittel übergehen und welche Risiken davon ausgehen. Auf dieser Basis soll ein evtl. Handlungsbedarf im Risikomanagement in Form von Vollzugsmaßnahmen und/oder spezifischeren rechtlichen Bestimmungen für Druckfarben ermittelt werden. Das Bayerische Verbraucherschutzministerium finanziert das Projekt „Lebensmittelsicherheit und Nano-Technologie“ (LENA), indem auch der Frage nachgegangen wird, ob Nanopartikel aus Verpackungen in Lebensmittel übergehen können. Nanopartikel wie Silber werden im Einzelfall beispielsweise Kunststofffolien oder Plastikschneidbrettern zugesetzt. Im Projekt sollen dazu auch geeignete Analysemethoden für Nanopartikel entwickelt werden, um dann zu ermitteln, in welcher Menge diese in das Lebensmittel übergehen. Das Projekt wird vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung und dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ausgeführt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG fördert eine Reihe von Projekten, die die Wechselwirkung zwischen Kunststoffverpackungen und Lebensmitteln untersuchen. Die Ergebnisse können zur Abschätzung der Gesundheitsgefahr herangezogen werden. Die folgenden Vorhaben wurden der Datenbank GEFPRIS der Deutschen Forschungsgemeinschaft entnommen: Das Forschungsprojekt „Der Einfluss einer Hochdruckbehandlung auf den Stofftransport durch flexible Lebensmittelverpackungen und auf die Morphologie der Packstoffe“, ausgeführt von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg sowie am Wissenschaftszentrum Weihenstephan, wird seit 1999 und in zweiter Phase seit 2002 gefördert. Im Projekt befasste man sich mit Lebensmit- Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 155/110 Seite 10 telverpackungen, die unter Hochdruck befüllt werden, um die Lebensmittel vor dem Verderb zu schützen und länger haltbar zu machen. Die Forscher entwickelten in dem Projekt ein Messverfahren , um den Übergang von Stoffen aus dem Kunststoff auf das Lebensmittel und vice versa zu messen. Seit 2005 wird das Forschungsvorhaben „Verwendung von Polyamid in Lebensmittelverpackungen - Migration potentiell absorbierbarer Substanzen“ gefördert und an der Technischen Universität Dresden ausgeführt. Kurzkettige Bausteine der Polyamide (resorbierbare Oligoamide) können aus Polyamidverpackungen insbesondere in fettreiche Lebensmittel in hohem Ausmaß übergehen , heißt es in der zugehörigen Projektbeschreibung. Es wird gemessen, in welcher Konzentration die Chemikalien aus Polyamid ins Lebensmittel übergehen. An Kunstdärmen aus Polyamid - zum Beispiel bei Brüh- und Kochwürsten - sollen entsprechende Messungen durchgeführt werden . Die Belastung der Verbraucher soll abgeschätzt werden, indem außerdem untersucht wird, inwieweit die Substanzen im Magen-Darmtrakt aufgenommen werden. Die Arbeitsgruppe von an der Technischen Universität Dresden hat die Migration verschiedener Stoffe wie Schmierstoffe und dem Bisphenol-A verwandte Chemikalien sowie von Stoffen aus Verbundkunststofffolien und von Kunststoffbeschichtungen in Konservendosen untersucht. Die Ergebnisse fließen in die Risikobewertung von Kunststoffverpackungen ein. Das Bundeswirtschaftsministerium finanzierte weiterhin ein Projekt unter Beteiligung der Industrie zur Reduktion der Migration aus strahlungshärtenden Druckfarben in der Zeit von 01.01.2007 bis 31.12.2008. Damit beim Einsatz von strahlungshärtenden Druckfarben die Menge migrierfähiger Substanzen minimiert werden kann, wurden im Projekt die Einflüsse der Rohstoffe und der Prozessbedingungen detailliert geklärt. Unter die Prozessbedingungen fallen dabei die eingesetzten Strahlertypen zur Härtung und die im Härtungsprozess verwendete Gasatmosphäre. Die Arbeitsgruppe von am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung entwickelt zeit- und kosteneffiziente Prüf- und Bewertungsansätze für Kunststoffbestandteile in Lebensmitteln und bringt diese in die europäische Gesetzgebung und in die Normung ein. Dazu zählt auch die mathematische Modellierung des Übergangs von Substanzen aus Kunststoffen in Lebensmitteln. Diese Forschungsarbeiten dauern noch an, können aber heute schon auf komplexe Verpackungsstrukturen mit mehreren Schichten inklusive Druckfarben- und Klebstoffschichten sowie auf Stoffübergänge aus Papier und Karton angewendet werden. 6.2. EU-Projekte RECYCLABILITY Das Projekt RECYCLABILITY4 (Programme on the Recyclability of Food Packaging Materials with Respect to Food Safety Considerations) wurde von Januar 1999 bis April 2002 innerhalb des 4. Rahmenprogramms der EU gefördert. Darin wurden die Grundlagen für die Prüfung und Bewertung der Sicherheit von wiederaufbereiteten (rezyklierten) PET-Kunststoffen, typischerweise von 4 http://www.ivv.fhg.de/no_html/gf3_22.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 155/110 Seite 11 PET-Getränkeflaschen, geschaffen (bottle-to-bottle recycling). Nach dem Stand der Technik erwies sich rezyklierter PET-Kunststoff gegenüber neuwertigem PET als nicht mehr unterscheidbar. Die Ergebnisse dieses Projekts lieferten die wissenschaftliche Grundlage für die spätere Verordnung (EG) Nr. 282/2008 über Materialien und Gegenstände aus recyceltem Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen. Foodmigrosure Das Forschungsprojekt „Foodmigrosure“ – Modellierung der Migration aus Verpackungskunststoffen in Lebensmittel – lief von Januar 2003 bis September 2006 im 5. Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft mit einem Fördervolumen von 2,35 Millionen Euro5. Es wurde unter der Koordination des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung von neun europäischen Teilnehmern aus Wissenschaft und Industrie bearbeitet. Anlass für das Projekt waren Erfahrungen, dass modellhafte Migrationsprüfungen zu Ergebnissen geführt hatten, die stark von den in realen Lebensmitteln gefundenen Werten abwichen. So löst zum Beispiel Orangensaft aufgrund seiner Zusammensetzung viel mehr fettlösliche Stoffe aus dem Behältnis als die Prüflösung für saure wässrige Lebensmittel. Die bisher unter standardisierten Kontaktbedingungen durchgeführten Migrationsprüfungen mit so genannten Simulanzlebensmitteln (zum Beispiel 3%ige Essigsäure für saure oder Olivenöl für fetthaltige Lebensmittel) hatten teilweise unrealistische Werte in Bezug auf konkrete Lebensmittel ergeben. Das internationale Forschungsprojekt befasste sich mit der Optimierung von Testverfahren und der Entwicklung computergestützter Berechnungsmodelle für eine realistische Einschätzung der Verbraucherbelastung von Stoffen aus Lebensmittelverpackungen. Als Berechnungsgrundlage dienten Daten über mengenmäßige Verzehrsgewohnheiten der europäischen Bevölkerung sowie statistische Informationen über Art, Typ, Größe und Häufigkeit der Verwendung von Verpackungsmaterialien. Im Modell wurden auch Diffusions- und Verteilungseffekte im Lebensmittel unter verschiedenen Kontakt- und Lagerbedingungen berücksichtigt. Die Untersuchungen haben ergeben, dass die Migration von Kunststoffinhaltsstoffen aus dem Verpackungsmaterial in das Lebensmittel durch mathematische Modelle beschrieben werden kann. Dies kann zur Bewertung der realen Verbraucherbelastung mit Chemikalien aus Lebensmittelverpackungen eingesetzt werden. Auch kann die Modellierung als Hilfestellung zur Aktualisierung und Neufassung von Richtlinien dienen, die im Rahmen des Lebensmittelrechts erstellt werden. MIGRESIVES MIGRESIVES (Migration from adhesives) ist ein europäisches Forschungsprojekt innerhalb des 6. EU-Rahmenprogrammes mit einem Fördervolumen von 3,09 Millionen Euro. Das Projekt lief von Februar 2007 bis April 2010. Beteiligt waren 21 Institutionen und Firmen/Verbände aus sechs europäischen Ländern. Die Projektkoordination lag beim Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung in Freising. Ausgehend von der Tatsache, dass Klebstoffe in Lebensmittelkontaktmaterialien derzeit in Europa nicht speziell geregelt sind, war es das Ziel des MIGRESIVES-Projektes, ein Prüfkonzept zu entwickeln, um die Sicherheit beim Einsatz von Klebstoffen zu gewährleisten. Die oft sehr komplexen Klebstoffformulierungen enthalten zahlrei- 5 http://crl-fcm.jrc.it/files/FOODMIGROSURE_synthetic_final_report.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 – 3000 – 155/110 Seite 12 che Einzelkomponenten. Innerhalb des Projektes wurden Methoden entwickelt, um den Übergang von Bestandteilen aus Klebstoffschichten in Lebensmittel anhand mathematischer Modellierung zu messen und abzuschätzen. Das Konzept ist geeignet für die interne Qualitätssicherung von Firmen und als Kontrollsystem zur Überprüfung der Einhaltung der lebensmittelrechtlichen Konformität von Verpackungen. FACET Am 1. September 2008 begann innerhalb des 7. Rahmenprogramms der EU das Forschungsprojekt FACET - Flavourings, Additives and food Contact materials Exposure Task - mit einer Laufzeit von vier Jahren. Beteiligt sind 20 Projektpartner aus Forschung und Industrie unter der Koordination des University College in Dublin. Zur Verbesserung des Risikomanagements sollen neue Modelle entwickelt werden, um die Aufnahme von Lebensmittelzusatzstoffen und Verpackungsinhaltsstoffen möglichst realitätsnah beschreiben zu können. Im Verlauf des Projektes sollen umfangreiche Daten zu Verpackungsmaterialien, den verwendeten migrationsfähigen Inhaltsstoffen , wie Additiven oder Verarbeitungshilfsmitteln, sowie von Lebensmittelzusatzstoffen und den Verzehrsgewohnheiten der europäischen Verbraucher erhoben werden. Dabei sollen auch Unterschiede zwischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union berücksichtigt werden. Die Computer-Software aus diesem Projekt wird nach Beendigung kostenlos der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Das Vorhaben läuft bis zum 31. August 2012 mit einem Fördervolumen 5,89 Millionen Euro.