© 2019 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 107/19 Aktualisierung: Die Umsetzung von Artikel 11 der Richtlinie 2011/92/EU ins deutsche Recht Rechtsschutz der „betroffenen Öffentlichkeit“ im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Die Umsetzung des Art. 11 UVP-RL durch das Umweltrechtsbehelfsgesetz 4 3. Die „betroffene Öffentlichkeit“ im Sinne des Art. 11 Unterabs. 1 UVP-RL 5 4. Klagegegenstand und Fristen 5 5. Suspensiveffekt der Klage 6 6. Missbräuchliches Verhalten im Rechtsbehelfsverfahren 6 7. Schadensersatzansprüche 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 107/19 Seite 4 1. Die Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2011/92/EU (UVP-RL)1 gibt den EU-Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, die für Projekte im Sinne des Art. 5 UVP-RL notwendige Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) entweder im Rahmen der bestehenden Verfahren zur Genehmigung dieser Projekte durchzuführen , sie im Rahmen anderer Verfahren durchzuführen oder aber neue Verfahren einzuführen. In Deutschland, das sich für die erste Möglichkeit entschieden hat, ist die UVP gemäß § 4 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG)2 „ein unselbständiger Teil verwaltungsbehördlicher Verfahren, die Zulassungsentscheidungen dienen“. Die UVP muss also in das existierende Genehmigungsverfahren, dem sog. Trägerverfahren, integriert werden. 2. Die Umsetzung des Art. 11 UVP-RL durch das Umweltrechtsbehelfsgesetz Zur Umsetzung des Art. 11 UVP-RL, der für Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit vorsieht, die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen , Handlungen oder Unterlassungen im Geltungsbereich der Bestimmungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung der Richtlinie vor einem Gericht anzufechten, wurde in Deutschland 2006 das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG)3 verabschiedet. Während Rechtsschutz für natürliche und juristische Personen sowie für Vereinigungen nach § 61 Nr. 2 VwGO schon vorher nach den allgemeinen Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)4 möglich war und ist, und in Übereinstimmung mit Art. 11 Unterabs. 1 lit. b UVP- RL gemäß § 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die Geltendmachung der Verletzung in eigenen Rechten voraussetzt, wurde durch das UmwRG eine sogenannte altruistische Verbandsklagemöglichkeit eingeführt. Danach können gemäß § 2 Abs. 1 UmwRG staatlich anerkannte Vereinigungen, die Ziele des Umweltschutzes fördern,5 gegen die oben erwähnten Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen Rechtsbehelfe einlegen, ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein. Zugleich wurde der Anwendungsbereich einiger Vorschriften des UmwRG auch auf natürliche und juristische Personen ausgedehnt. 1 Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, abrufbar unter: https://eur-lex.europa .eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2012:026:0001:0021:DE:PDF 2 Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I S. 94), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 30. November 2016 (BGBl. I S. 2749), abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/uvpg/. 3 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. April 2013 (BGBl. I S. 753), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 30. November 2016 (BGBl. I S. 2749), abrufbar unter: http://www.gesetze -im-internet.de/umwrg/. 4 Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), die zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/vwgo/BJNR000170960.html, in Englisch: https://www.gesetze-im-internet .de/englisch_vwgo/englisch_vwgo.html. 5 Zu den Voraussetzungen siehe § 3 UmwRG. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 107/19 Seite 5 Gemäß Art. 11 Abs. 2 UVP-RL obliegt es den Mitgliedsstaaten festzulegen, in welchem Verfahrensstadium die Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen angefochten werden können. Deutschland hat in diesem Zusammenhang in § 1 Abs. 1 S. 3 UmwRG die Einschränkungen vorgesehen , dass Entscheidungen in vorgelagerten Verfahren im Sinne der §§ 47, 49 UVPG nicht selbständig angefochten werden können, sondern Rechtsbehelfe sich nur gegen die nachfolgende Zulassungsentscheidung richten können und gemäß § 44a VwGO Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit solchen gegen die Sachentscheidung geltend gemacht werden können. 3. Die „betroffene Öffentlichkeit“ im Sinne des Art. 11 Unterabs. 1 UVP-RL Die „betroffene Öffentlichkeit“ im Sinne des Art. 11 UVP-RL wird in § 2 Abs. 9 UVPG für die Beteiligung in Verfahren, die gemäß § 4 UVPG der Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben dienen, definiert als „jede Person, deren Belange durch eine Zulassungsentscheidung oder einen Plan oder ein Programm berührt werden; hierzu gehören auch Vereinigungen, deren satzungsmäßiger Aufgabenbereich durch eine Zulassungsentscheidung oder einen Plan oder ein Programm berührt wird, darunter auch Vereinigungen zur Förderung des Umweltschutzes“. Was als Entscheidung im Sinne des § 4 UVPG gilt, wird in § 2 Abs. 6 UVPG im Detail aufgelistet. 4. Klagegegenstand und Fristen Die Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen, die gemäß Art. 11 Unterabs. 2 UVP-RL einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren zugänglich sein müssen, das heißt, einen tauglichen Klagegegenstand darstellen können, werden im § 1 Abs. 1 UmwRG aufgeführt. § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG benennt die anfechtbaren Entscheidungen von Behörden – vor allem solche über die Zulassung von Vorhaben aber auch über nachträgliche Anordnungen, wobei der § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG Entscheidungen über alle Vorhabenarten erfasst, die in den europarechtlichen Grundlagen aufgeführt werden. In Bezug auf die UVP-Richtlinie ist insbesondere der § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG zu nennen, der alle Entscheidungen im Sinne des § 2 Abs. 6 UVPG über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die eine Pflicht zur Durchführung UVP bestehen kann, in den Anwendungsbereich des UmwRG einbezieht. Entscheidungen im Sinne des § 2 Abs. 6 Nr. 1 – 3 UVPG sind erstens behördliche Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben, die in einem Verwaltungsverfahren getroffen werden – insbesondere Bewilligung, Erlaubnis, Genehmigung , Planfeststellungsbeschluss – mit Ausnahme von Anzeigeverfahren, zweitens Linienbestimmungen und Entscheidungen in vorgelagerten Verfahren nach den §§ 47, 49 UVPG und zuletzt Beschlüsse nach § 10 des Baugesetzbuchs über die Aufstellung, Änderung oder Ergänzung von Bebauungsplänen, durch die die Zulässigkeit von bestimmten Vorhaben im Sinne der Anlage 1 begründet werden soll, sowie Beschlüsse nach § 10 des Baugesetzbuchs über Bebauungspläne, die Planfeststellungsbeschlüsse für Vorhaben im Sinne der Anlage 1 ersetzen. Rechtsschutz für Fälle, in denen ein Unterlassen einer Behörde in einem konkreten Fall vorliegt, wird gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 UmwRG gewährt, wonach das Gesetz auch Anwendung findet, wenn „entgegen geltender Rechtsvorschriften keine Entscheidung [...] getroffen worden ist“. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 107/19 Seite 6 Die Klagefrist richtet sich gemäß § 2 Abs. 1 UmwRG nach der VwGO. Bei einer Anfechtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO beträgt die Frist gemäß § 74 Abs. 1 VwGO einen Monat ab Zustellung eines Widerspruchsbescheids im Sinne des § 73 VwGO, ist ein Widerspruchsbescheid nach § 68 VwGO nicht erforderlich, so ist die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Eine besondere Frist zur Klagebegründung ist in § 6 S. 1 UmwRG vorgesehen, wonach der Kläger innerhalb von zehn Wochen ab Klageerhebung die zur Begründung seiner Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben muss. Eine Verlängerung der Frist ist gemäß § 6 S. 4 UmwRG auf Antrag möglich. 5. Suspensiveffekt der Klage Gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO hat die Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Dies gilt also auch für Klagen, die natürliche und juristische Personen sowie Vereinigungen nach § 61 Nr. 2 VwGO nach Maßgabe der VwGO gegen Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen im Sinne des Art. 11 UVP-RL erheben können. Der § 80 Abs. 2 VwGO bestimmt, in welchen Fällen die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise entfällt. Für die altruistische Verbandsklage nach dem UmwRG gelten – mangels spezieller Regelungen – gemäß § 2 Abs. 1 UmwRG ebenfalls die § 80 Abs. 1 und 2 VwGO. 6. Missbräuchliches Verhalten im Rechtsbehelfsverfahren Nach § 5 UmwRG bleiben Einwendungen, die eine Person oder eine Vereinigung im Sinne des § 4 Absatz 3 Satz 1 erstmals im Rechtsbehelfsverfahren erhebt, unberücksichtigt, wenn die erstmalige Geltendmachung im Rechtsbehelfsverfahren missbräuchlich oder unredlich ist. Voraussetzung ist damit zum einen, dass die Einwendung erstmalig erhoben wird und zum anderen muss diese erstmalige Geltendmachung missbräuchlich oder unredlich sein.6 Dies kann etwa der Fall sein, wenn ein Rechtsbehelfsführer im Verwaltungsverfahren noch erklärt, dass bezüglich des Vorhabens keinerlei Einwände bestehen, sie dann aber im Rahmen einer Klage geltend macht. Verhindert werden soll auch, dass eine anerkannte Umweltvereinigung bestimmte Einwendungen , die ihr bereits im Zulassungsverfahren bekannt waren, im Rechtsbehelfsverfahren erhebt, obwohl dies den Schutzanliegen und Umweltbelangen, deren Sachwalter die Vereinigung eigentlich darstellt, zuwiderläuft.7 7. Schadensersatzansprüche Besondere Schadensersatz- oder Ausgleichsansprüche für Vorhabenträger, die durch Klagen der betroffenen Öffentlichkeit finanzielle Nachteile erleiden, sind nicht vorgesehen. 6 Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Werkstand: 89. EL Februar 2019, UmwRG, § 5 Rn. 16. 7 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und andere Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben, BT-Drs. 18/9526, S. 41, abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/095/1809526.pdf (zuletzt aufgerufen am 27.08.2019) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 107/19 Seite 7 Beruhen Schäden auf Fehler der Verwaltung - etwa weil eine Behörde die Pflicht zur Durchführung einer UVP übersehen hat und die endgültige Realisierung des Vorhabens durch eine nachträgliche Durchführung aufgrund einer erfolgreichen Klage verhindert wird - so kommen allenfalls die allgemeinen Amtshaftungsansprüche in Betracht. ***