Die aktuelle Bildungs-, Familien-, Umwelt- und Energiepolitik: konservativ? - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 100/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Die aktuelle Bildungs-, Familien- Umwelt- und Energiepolitik: konservativ? Ausarbeitung WD 8 - 3000 - 100/08 Abschluss der Arbeit: 24.06.2008 Fachbereich WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - 1. Einleitung Die Beantwortung der Frage, inwieweit die aktuelle Umwelt-, Energie-, Familien- und Bildungspolitik ‚konservativ’ ist, hängt wesentlich vom Verständnis des Begriffs „konservativ “ ab. Dieses wiederum wird auch vom politischen Standort des Beurteilers bestimmt . Bei einem politisch links angesiedelten Standpunkt löst das Wort „konservativ“ in der Regel negative Assoziationen aus. Für politisch rechts stehende Kommentatoren hat dieses Wort dagegen eine positive Grundbedeutung. Geht man von der Wortbedeutung aus, so meint „konservativ“ (von lateinisch „conservare “, bewahren) „am Hergebrachten hängend, festhaltend (besonders im politischen Leben)“1. Diese Grundbedeutung kann unterschiedlich gefüllt und beurteilt werden. Im aktuellen politischen Sprachgebrauch lassen sich - bei vielen Nuancen - vor allem zwei Grundrichtungen unterscheiden. Der verbreiteten Einschätzung von „konservativ“ im eher kritisch-negativen Sinne steht eine weitgehend bis durchgängig positive Bewertung gegenüber. Negativ verstanden, wird konservativ mit Begriffen wie „rückschrittlich, rückwärtsgewandt, reaktionär“ in Verbindung gebracht; entgegen gesetzte Begriffe sind dabei „emanzipatorisch, alternativ, modern“. Positiv verstanden, steht „konservativ“ - besonders im Sinne von „wertkonservativ“ – keineswegs im Gegensatz zu „modern“ und „innovativ“, sondern ausdrücklich in Verbindung mit Begriffen wie „offen, entwicklungsfähig , zukunftzugewandt“. In diesem Sinne ist das Wort „konservativ“ gerade für die CDU/CDU ein sog. „Fahnenwort“, ein für ihr Selbstverständnis unverändert wesentlicher Begriff. Im Hinblick auf die inhaltliche Bestimmung des ‚Bewahrenswerten ’ spielt das christliche Menschenbild eine wesentliche Rolle.2 2. Beispiele Nicht zufällig gibt es in der CDU/CSU immer wieder Debatten um das angemessene Verständnis von „konservativ“, gerade auch um die Fortentwicklung eines entsprechenden Konzepts von wertkonservativer, weltoffener und moderner Politik. Im Folgenden 1 Meyers Lexikon online in: http://lexikon.meyers/Konservativ 2 Anzumerken ist, dass auch im Zusammenhang anderer Parteien gelegentlich der Begriff ‚konservativ ’ verwendet wird. Allerdings werden damit z.B. bei der FDP oder SPD vor allem bestimmte Gruppierungen innerhalb dieser Parteien charakterisiert (u. a. das nationalkonservative Element in der FDP oder der konservative Flügel der SPD). Des Öfteren haben auch „Bündnis 90/Die Grünen“ darauf hingewiesen, dass ihre Umweltpolitik im wörtlichen Sinne des ‚Bewahrens’ der natürlichen Lebensgrundlagen eine konservative Ausrichtung habe, die freilich von der Umweltpolitik der CDU/CSU scharf abgegrenzt wird. - 4 - werden diese Diskussionen an einigen Beispielen aus den Politikfeldern Umwelt- und Energie- sowie Bildungs- und Familienpolitik verdeutlicht: - Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl beantwortet 2003 die Frage nach seinem Verständnis von „links“ mit Ausführungen zu seinem Verständnis von „konservativ“: „Wertkonservativ heißt für mich, offen für Neues für die Zukunft zu sein, ohne das Erbe zu vergessen oder zu verbrennen. (…) Ich nenne ein Beispiel : Ich mag das Wort Umwelt nicht. Erhalt der Schöpfung im biblischen Sinne ist viel richtiger. Wir haben nicht das Recht, das Erbe, die Ressourcen, die uns geschenkt wurden, in unserer Generation kaputtzumachen. Aber ich schustere mir daraus auch keine Ideologie, wie es viele Linke tun.“3 - Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hob 2005 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ wesentliche Bestandteile konservativen Politikverständnisses hervor. Er nannte: Zutrauen zu den Menschen, Ablehnung von übertriebenem staatlichen Regelungsdenken, Einsicht in die Notwenigkeit von Grenzen und Maßhalten, die Bedeutung der kleinen, überschaubaren Lebenseinheiten und das Wissen, woher man komme. Ebenso wandte er sich gegen die Unterschätzung von oft verspotteten Sekundärtugenden wie Zuverlässigkeit, Gewissenhaftigkeit, Fleiß. Nicht zuletzt stellte Schäuble die Unverzichtbarkeit von Institutionen wie der Familie heraus.“4 - Besonders nachdrücklich hat der hessische Ministerpräsident Roland Koch die Bedeutung eines modernen Konservatismus in den verschiedensten Lebensbereichen herausgestellt. Aus seiner Sicht ist dabei die Familienpolitik besonders wichtig: „Die CDU muss als konservative Partei Anwalt der Familie sein, die für uns die Keimzelle der Gesellschaft ist. (…) Ich will weiter eine Gesellschaft, in der sich möglichst viele Menschen ihr Leben lang aneinander binden; diese Gesellschaft ist nämlich glücklicher, zufriedener und stabiler. (…) Wir müssen helfen , dass Frauen und Männer die Freiheit bekommen, Eltern sein und einer Arbeit nachgehen zu können. Also müssen wir Wahlfreiheit bei der Kinderbetreuung schaffen.“ 3 http://www.transcript-verlag.de/ts296/ts296_1.pdf. Ähnlich nahm jüngst der frühere bayrische Ministerpräsident Stoiber Stellung. Auf die Frage, ob die Bewahrung der Schöpfung ein Wert sei, hinter dem man wertkonservative Wähler versammeln könnte, antwortete er: „Eindeutig ja. Die Umwelt zu schützen ist ein zutiefst christlicher Ansatz. Die Bibel sagt: ‚Macht euch die Erde untertan .’ Wie ist das zu verstehen? Heißt das ausbeuten? Wohl kaum.“ (21. Juni 2008) http://www.welt.de/politik/article2131172/Die_CSU_ist_toleranter_geworden__findet_Stoiber.html 4 Vgl. dazu: http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~ED6163811DA8548BE A6145C4DEB15369C~ATpl~Ecommon~S - 5 - - Auf den Vorwurf, sich mit solchen Auffassungen als Totengräber des Konservativismus zu betätigen, antwortete Koch: “Irrtum. Konservative sind klug genug , sich einer rasant ändernden Welt anzupassen – und trotzdem ihre Werte zu verteidigen. Wir reden immer noch über die Ehe und darüber, wie wichtig es ist, Kinder zu haben. Wir wissen aber, dass das Leben in der globalisierten Welt unter gleich gut ausgebildeten Ehepartnern ein Stück anders organisiert werden muss als früher. (…) Strauß hat Bayern umgekrempelt und an die Spitze moderner Regionen gebracht, aber niemand hat ihm unterstellt, er verrate seine Werte. Dieses Selbstbewusstsein, das er vor 30 Jahren hatte, das dürfen doch auch die Konservativen heute haben.5 - In jüngster Zeit ist der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, nachdrücklich für eine Neubestimmung des Begriffs „konservativ“ eingetreten: “Konservativ zu sein, ist (…) eine Geisteshaltung, eine Herangehensweise, wie ich die Wirklichkeit wahrnehme und welche Schlussfolgerungen ich daraus ziehe . Konservative im Sinne eines Links-Rechts-Schemas, wie das früher der Fall war, gibt es heute kaum noch. Ich würde mich selber als Konservativen bezeichnen . Trotzdem plädiere ich engagiert für mehr Ganztagsschulen und einen verstärkten Ausbau von Kindertagesstätten. Denn ich glaube, dass sich die Lebenswirklichkeit von jungen Frauen und Männern verändert hat. Insofern hat sich am Begriff konservativ, bezogen auf die Familienpolitik, auf jeden Fall sehr viel gewandelt. (…) Das klare Bekenntnis zu Ehe und Familie spielt eine sehr große Rolle. Ein wichtiges Element des Konservativismus war immer die pragmatische Orientierung an der Wirklichkeit. Beispielsweise auch dort familiäre Strukturen anzuerkennen, wo kein Trauschein vorhanden ist, gehört aus meiner Sicht selbstverständlich zu einer modernen Politik.“6 - Ausführliche Erläuterungen zu einem modern-konservativen Politikverständnis, gerade im Umwelt-, Energie-, Familien- und Bildungsbereich enthält das u. a von Philipp Mißfelder verfasste Positionspapier „Moderner bürgerlicher Konservatismus “7. Hier sind besonders die Anmerkungen zu einer modernkonservativen Bildungspolitik beachtenswert: „Bildung ist ein klassisch bürgerlich -konservativer Wert. Jeder soll seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechend gefördert werden. Das gilt für den Hauptschüler ebenso wie den Gymnasiasten . In einer modernen Wissensgesellschaft benötigen Arbeiten wie Akademiker eine bestmögliche und begabungsgerechte Bildung und Ausbildung. Wer alle über einen Kamm schert und damit nivelliert, beschneidet persönliche Ent- 5 http://www.roland-koch.de/druckansicht-artikel-1178798538.html 6 http://www.tagesschau.de/inland/meldung33248.html 7 http://www.fr-online.de/_img/_cnt/_online/070906_1806_modernerbuergerlicherkonservatismus.pdf - 6 - faltungsmöglichkeiten und untergräbt das Leistungsprinzip. Die Entwicklung aller Begabungen jedes Einzelnen ist Ziel bürgerlich-konservativer Politik.“8 8 ebd., S. 15 - 7 - Literaturverzeichnis Frankfurter Allgemeine. FAZ. NET, Konservatismus. Ein Stück weit Führung in: http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~ED6163811 DA8548BEA6145C4DEB15369C~ATpl~Ecommon~S (19.08.2005) Koch, Roland, Wir müssen Wahlfreiheit für die Kinderbetreuung schaffen in: http://www.roland-koch.de/druckansicht-artikel-1178798538.html (10.05.2007) Kohl, Helmut in: http://www.transcript-verlag.de/ts296/ts296_1.pdf Meyers Lexikononline (Konservativ) in: http://lexikon.meyers/Konservativ Mappus, Stefan et al., Moderner bürgerlicher Konservatismus in: http://www.fronline .de/_img/_cnt/_online/070906_1806_modernerbuergerlicherkonservatismus.pdf Tagesschau.de, Der Begriff konservativ hat sich gewandelt in: http://www.tagesschau.de/inland/meldung33248.html (08.05.2007) Welt.online, Die CSU ist toleranter geworden – findet Stoiber in: http://www.welt.de/politik/article2131172/Die_CSU_ist_toleranter_geworden__findet_ Stoiber.html (21.06.2008)