WD 8 - 3000 - 095/19 (3.09.2019) © 2019 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Energieversorgungsunternehmen als auskunftspflichtige Stellen Zu der Frage, inwiefern Energieversorgungsunternehmen (z.B. Stadtwerke), die einer staatlichen Mehrheitskontrolle unterliegen, auskunftspflichtige Stellen bzw. "Behörden" im Sinne von Art. 2, Nr. 2, lit. c) der Aarhus-Konvention sind, teilt das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit folgendes mit1: „Energieversorgungsunternehmen, die von der öffentlichen Hand gesellschaftsrechtlich kontrolliert (verstanden als: mehrheitlich kontrolliert) werden, sind nach den umweltinformationsrechtlichen Regelungen des Bundes bzw. der Länder, die die Vorgaben der UN ECE Aarhus-Konvention umsetzen, informationspflichtige Stellen, soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen bzw. öffentliche Dienstleistungen erbringen, die im Zusammenhang mit der Umwelt stehen. Energieversorgungsunternehmen erbringen die öffentliche Aufgabe bzw. öffentliche Dienstleistung der Energieversorgung der Bevölkerung, die eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge darstellt. Diese Aufgabe steht auch im Zusammenhang mit der Umwelt, denn das EnWG weist die öffentliche Aufgabe der „umweltverträgliche[n]“ Energieversorgung den Energieversorgungsunternehmen zu (vgl. §§ 1 Absatz 1, 2 Absatz 1 EnWG). Damit sind gesellschaftsrechtlich von der öffentlichen Hand mehrheitlich kontrollierte Energieversorgungsunternehmen grundsätzlich informationspflichtig , soweit der Antrag die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe bzw. Dienstleistung betrifft. Etwaige Ansprüche auf Zugang zu Umweltinformationen beispielsweise für ein Stadtwerk werden in aller Regel nach den jeweiligen umweltinformationsrechtlichen Bestimmungen des jeweils einschlägigen Landesrechts zu beurteilen sein. Im Einzelnen: Die UN ECE Aarhus-Konvention wurde von Deutschland am 15. Januar 2007 völkerrechtlich ratifiziert und ist mit Wirkung zum 15. April 2007 für Deutschland in Kraft getreten. 1 Persönliche Auskunft des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit vom 29. August 2019. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Einzelfragen zur Aarhus-Konvention Kurzinformation Einzelfragen zur Aarhus-Konvention Fachbereich WD 8 (Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Die Aarhus-Konvention zählt aktuell 47 Vertragsparteien, darunter die EU und alle (derzeit ) 28 Mitgliedstaaten. Unionsrechtlich betrachtet handelt es sich also um ein sog. gemischtes Abkommen. Die Aarhus-Konvention enthält prozessuale Informations- und Beteiligungsrechte sowie das Recht auf Zugang zu Gericht zum Schutz der Umwelt. Das von der Auskunftsbitte adressierte Recht auf Zugang zu Umweltinformationen ist in der sog. 1. Säule der Aarhus- Konvention verankert. Für diesen Bereich hat die EU mit der Umweltinformationsrichtlinie (RL 2003/4/EG – UIRL) harmonisierendes Sekundärrecht erlassen. In Deutschland sind die völker- und unionsrechtlichen Vorgaben zum Zugang zu Umweltinformationen aus Kompetenzgründen sowohl durch Regelungen des Bundes als auch der Länder umgesetzt: - Auf Bundesebene enthält das 2004 umfassend novellierte Umweltinformationsgesetz (UIG) Regelungen für informationspflichtige Stellen des Bundes. - Die Länder haben jeweils eigene Regelungen zum Zugang zu Umweltinformationen gegenüber informationspflichtigen Stellen der Länder erlassen. Während die meisten der Landesgesetze Vollverweisungen auf die Regelungen des Bundes enthalten, haben einige Länder auch eigene Regelungen erlassen (etwa BW: §§ 22-35 UVwG; Transparenzgesetze in HH, RP und SH). Der Recht auf Zugang zu Umweltinformationen gewährt antragstellenden Personen einen Anspruch auf Zugang zu Umweltinformationen, über die eine informationspflichtige Stelle verfügt, sofern nicht ein Ablehnungsgrund vorliegt und die Einzelfallabwägung ergibt, dass kein überwiegendes öffentliches Interesse an der Bekanntgabe vorliegt. Voraussetzung des Anspruchs ist unter anderem, dass der Antragsgegner eine „informationspflichtige Stelle“ ist. Dieser durchgehend im deutschen Recht verwendete Begriff entspricht dem völker- und unionsrechtlichen Begriff der „Behörde“, wie er in Artikel 2 Nummer 2 Aarhus-Konvention und Artikel 2 Nummer 2 UIRL definiert ist. Der Begriff „informationspflichtige Stelle“ erfasst neben staatlichen Stellen unter bestimmten Voraussetzungen auch natürliche und juristische Personen des Privatrechts. Dies ist der Fall, soweit sie - öffentliche Aufgaben wahrnehmen oder öffentliche Dienstleistungen erbringen , insb. solche der umweltbezogenen Daseinsvorsorge, - die im Zusammenhang mit der Umwelt stehen - und dabei der Kontrolle des Bundes bzw. Landes oder einer der Aufsicht des Bundes bzw. Landes stehenden juristischen Person des öffentlichen Rechts unterliegen. Die Erstreckung der Informationspflicht auf bestimmte Private ist in Artikel 2 Nummer 2 lit. c Aarhus-Konvention, Artikel 2 Nummer 2 lit c UIRL vorgegeben und in sämtlichen Regelungen des Bundes- und Landesrechts (für den Bund: § 2 Absatz 1 Nummer 2 i.V.m. § 2 Absatz 2 UIG) umgesetzt. Ratio der Vorschrift ist es, ein einheitliches Zugangsregime Kurzinformation Einzelfragen zur Aarhus-Konvention Fachbereich WD 8 (Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 zu Umweltinformationen unabhängig davon sicherzustellen, ob Vertragsparteien umweltbezogene öffentliche Aufgaben in ihrem nationalen Recht privatisiert haben oder nicht (vgl. The Aarhus Convention. An Implementation Guide. 2nd edition, 2014, Art. 2, para. 2, S. 47: „The provision reflects certain trends towards the privatization of public functions that exist in the ECE region.”). Für privatisierte Energieversorgungsunternehmen, insb. jene unter staatlicher Mehrheitskontrolle , wird die Informationspflichtigkeit in der Regel bejaht (vgl. nur Epiney/Diezig /Pirker/Reitemeyer, Aarhus-Konvention. Handkommentar, Art. 2 Rn. 18; Reidt/Schiller , in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 2 UIG, Rn. 29; Götze, in Götze/Engel, UIG Kommentar, 2017, § 2 UIG, Rn. 68). Zum Begriff der „öffentliche Aufgabe / öffentlichen Dienstleistung“ hat das Bundesverwaltungsgericht auf die unionsrechtliche und umweltinformationsrechtliche Prägung des Begriffes hingewiesen und zur UIRL ausgeführt: „Die EU-Kommission wollte – ohne Differenzierung zwischen öffentlichen Aufgaben und öffentlichen Dienstleistungen – die Erbringung von Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse einbeziehen… [Darunter sind] alle marktbezogenen Tätigkeiten zu verstehen, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Mitgliedstaaten mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden. Erfasst ist letztlich der gesamte Bereich der Daseinsvorsorge (vgl. Reidt/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand März 2010, § 2 UIG Rn. 21 f.; Fluck/Theuer in Fluck, Informationsfreiheitsrecht, Stand Juli 2006, § 2 UIG Rn. 158)“ (BVerwG, Urteile vom 23. Februar 2017 - 7 C 16.15 und 7 C 31.15, in letzterem Rn. 42 – juris). Im konkreten Fall entschied das BVerwG, dass der Schienennetzbetrieb der DB Netz AG der umweltbezogenen Daseinsvorsorge unterfällt. Gleiches ist für den Bereich der Energieversorgung zu bejahen: So nimmt das BVerfG in ständiger Rechtsprechung an, dass es sich bei der Energieversorgung um eine „typische öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge“ handelt (BVerfG, Beschluss vom 2. November 2015 – 1 BvR 1530/15, Rn. 6), deren Erfüllung „auch den privatrechtlich organisierten Energieversorgungsunternehmen durch das EnWG zugewiesen“ ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. März 1984 – 1 BvL 28/82, Rn. 37 - juris). Zur Frage, wann eine öffentliche Aufgabe „im Zusammenhang mit der Umwelt“ steht, hat das BVerwG in den obigen Entscheidungen (aaO, Rn. 46ff) bestätigt, dass es für die Annahme eines derartigen Zusammenhangs bereits ausreicht, dass die „Tätigkeit ihrer Art nach nicht nur beiläufig, sondern typischerweise Umweltbelange berührt“. Nicht erforderlich ist es, dass die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe als Vollzug des Umweltrechts eingebunden ist. Die Energieversorgung weist in ihren diversen Bereichen typischerweise Umweltbezüge auf, d.h. von der Erzeugung über den Netzbetrieb bis hin zum Vertrieb. Außerdem ist Gesetzeszweck des § 1 Absatz 1 EnWG unter anderem eine „umweltverträgliche “ Versorgung mit Strom und Gas (vgl. Schrader, in: Schlacke/ Schrader/Bunge, Aarhus -Handbuch, 2. Auflage 2019, S. 71 Rn. 111). Hieraus lässt sich ableiten, dass der Bereich der Energieversorgung die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe „im Zusammenhang mit der Umwelt“ ist (vgl. Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 2 UIG, Rn. 29; Engel, in Götze/Engel, UIG Kommentar, 2017, § 2 Rn. 52). Kurzinformation Einzelfragen zur Aarhus-Konvention Fachbereich WD 8 (Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung) Wissenschaftliche Dienste Seite 4 Die dritte Voraussetzung der Informationspflicht Privater, nämlich das Kontrollkriterium, ist auf zwei unterschiedliche Arten erfüllbar: Durch die gesellschaftsrechtliche „Mehrheitskontrolle “ oder durch die sog. „Inhaltskontrolle“. Nach dem der Auskunftsbitte zugrundeliegenden Sachverhalt ist hier eine gesellschaftsrechtliche Mehrheitskontrolle zu unterstellen, so dass das Kontrollkriterium stets erfüllt ist (vgl. für den Bund § 2 Absatz 1 Nummer 2 i.Vm. § 2 Absatz 2 Nummer 2 bzw. Nummer 3 UIG). Auf die Frage der im Einzelfall schwieriger zu bestimmenden Inhaltskontrolle durch die öffentliche Hand qua „besonderen Pflichten“ oder „besonderen Rechten“ des Privaten (für den Bund: § 2 Absatz 1 Nummer 2 iVm § 2 Absatz 2 Nummer 1 UIG) kommt es somit gerade nicht an. Anders wäre dies wiederum, wenn gerade keine gesellschaftliche Mehrheitskontrolle vorliegt (für den Bund: im Sinne des § 2 Absatz 2 Nummer 2 oder 3 UIG). Die Reichweite der Informationspflichtigkeit Privater entspricht derjenigen der öffentlichen Aufgabenerfüllung mit Umweltbezug („soweit“). Sobald also die vorgenannten Voraussetzungen im Hinblick auf den konkreten Antrag nicht vorliegen, weil ein anderer Unternehmensbereich betroffen ist, besteht keine Informationspflicht. In der Praxis werden sich Ansprüche auf Zugang zu Umweltinformationen hauptsächlich nach den jeweiligen umweltinformationsrechtlichen Vorschriften des Landesrechts richten , da die staatliche Mehrheitskontrolle etwa von Stadtwerken durch das Land bzw. einer der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Person des öffentlichen Rechts ausgeübt wird (nicht: durch den Bund).“ ***