© 2021 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 088/20 Evaluation und Maßnahmen zur Förderung benachteiligter Schüler in Deutschland Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 088/20 Seite 2 Evaluation und Maßnahmen zur Förderung benachteiligter Schüler in Deutschland Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 088/20 Abschluss der Arbeit: 17. November 2020 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 088/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Evaluation der Bildungsungleichheit auf Bundesebene 4 2. Evaluation der Bildungsungleichheit auf lokaler und regionaler Ebene 6 3. Evaluation der Bildungsungleichheit aus Sicht der bildungssoziologische Forschung 7 4. Die Leistungen des Bildungspakets 7 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 088/20 Seite 4 1. Evaluation der Bildungsungleichheit auf Bundesebene Aufgrund des föderativen Systems in Deutschland unterliegt die Bildungspolitik der alleinigen Verantwortung und Durchführung der jeweiligen Bundesländer. Die amtliche Bildungsstatistik unterscheidet keine ethnischen Merkmale der Schülerinnen und Schüler. Sie unterscheidet aber zwischen deutschen und ausländischen Schülerinnen und Schüler sowie zwischen Schülerinnen und Schüler mit und ohne Migrationshintergrund. Der mit Mitteln der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK), des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Bericht „Bildung in Deutschland 2016“ bietet eine umfangreiche Analyse zu Thema Bildung und Migration. 1 1 HISEI: Der International Socio-Economic Index of Occupational Status (ISEI) gruppiert Personen nach ihrer Berufsangabe unter den Aspekten der Ausbildungsdauer, des Einkommens sowie des sozialen Berufsprestiges und ordnet sie hierarchisch. Zur Ermittlung des sozioökonomischen Status wird in den vorliegenden Analysen jeder Person der jeweils höchste Index-Wert der Eltern HISEI (Highest ISEI) zugeordnet. Durch die Bildung von HISEI-Quartilen lassen sich folgende Statusgruppen gegenüberstellen: Niedrig (0 bis < 25 % mit den niedrigsten HISEI-Werten), Mittel (25 bis < 50 % sowie 50 bis < 75 % mit mittleren Werten) und Hoch (75 bis < 100 % mit den höchsten Werten). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 088/20 Seite 5 Zu den Themenfeldern Bildungsbeteiligung im Sekundarbereich, Abschlüsse und Zertifikate kommt der Bericht zu folgendem Ergebnis:2 „Hinsichtlich der Beteiligung an den weiterführenden Schulen zeigen sich – zunächst in der schulstatistischen Unterscheidung nach deutschen und ausländischen Jugendlichen – eklatante Unterschiede: Während deutsche Jugendliche im Schuljahr 2014/15 fast zur Hälfte am Gymnasium sind (rund 44 %) und nur zu 8 % an Hauptschulen, besucht lediglich knapp ein Viertel (24 %) der ausländischen Jugendlichen das Gymnasium und ein weiteres Viertel (25 %) die Hauptschule. Betrachtet man statt der Staatsangehörigkeit den Migrationshintergrund und statt der Schularten die Bildungsgänge, sind Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund unter Berücksichtigung des sozioökonomischen Hintergrunds im Jahr 2012 zu vergleichbaren Anteilen in den Bildungsgängen vertreten. Der noch im Jahr 2000 festzustellende Unterschied in Bezug auf die Verteilung der Bildungsgänge hat sich demnach abgeschwächt. Dies weist aber auch darauf hin, dass der sozioökonomische Hintergrund für alle Kinder und Jugendlichen (mit und ohne Migrationshintergrund) weiterhin für den Bildungserfolg relevant ist. Weiter ist zu fragen, ob sich diese Entwicklung auch in den Kompetenzen und erreichten Abschlüssen widerspiegelt. Im Jahr 2012 erzielen Jugendliche in Jahrgangsstufe 9 mit Migrationshintergrund (in allen Bildungsgängen) niedrigere Kompetenzwerte als jene ohne Migrationshintergrund, und dies in allen untersuchten Fächern (Mathematik, Biologie, Chemie und Physik). Dies gilt auch für die PISA-Lesekompetenzen 15-Jähriger. Zwar zeigt der Vergleich der Lesekompetenzen von 2000 zu 2012 Kompetenzzuwächse bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund, aber dies vor allem bei Jugendlichen aus Familien mit niedrigem (und mittlerem) sozioökonomischen Status. Hinsichtlich der Mathematikkompetenzen ist bei PISA unter den Jugendlichen der 2. Generation von 2003 zu 2012 ein Anstieg zu beobachten, aber nicht für die 1. Generation. Die Differenzen in Mathematik zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund liegen insgesamt jedoch auch 2012 noch bei rund 2 Lernjahren.“3 2 Amtliche Statistiken, die das Leistungsniveau der Schülerinnen und Schüler erfassen, werden zumeist aus Sekundäranalysen bestehender Studien wie „Programme for International Student Assessment" (PISA), „Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung“ (IGLU) und „Trends in International Mathematics and Science Study“ (TIMMS) generiert. 3 BMBF (2016). Bildung in Deutschland 2016. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration, Seite 173f. https://www.bildungsbericht.de/de/bildungsberichte-seit-2006/bildungsbericht- 2016/pdf-bildungsbericht-2016/bildungsbericht-2016 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 088/20 Seite 6 „Die positiven Entwicklungen in der Bildungsgangbeteiligung und auch für einzelne Gruppen in den Kompetenzen schlagen sich bei den erreichten Abschlüssen einzig beim mittleren Abschluss nieder: Hier hat sich der Unterschied zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen über die Jahre verringert. Parallel dazu hat sich allerdings die Abiturientenquote bei den deutschen stärker gesteigert als bei den ausländischen Jugendlichen. Weiter erwerben von den ausländischen Jugendlichen mit Studienberechtigung anteilig mehr die Fach- (8 %) als die allgemeine Hochschulreife (16 %), dies jedoch immer noch deutlich seltener als deutsche Jugendliche (13 % Fach- und 44 % allgemeine Hochschulreife). (…) Insgesamt lässt sich festhalten, dass im Bereich der allgemeinbildenden Schule positive Entwicklungen in den letzten 10 Jahren stattgefunden haben: Kompetenzen und Beteiligungen an Schularten, die zu höheren Bildungsabschlüssen führen, haben sich leicht verbessert, wenngleich diese Entwicklungen teilweise bereits um das Jahr 2006 stagnierten. Zudem reichen sie nicht aus, um die Disparitäten zwischen Kindern und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund substanziell auszugleichen. Dies zeigt sich besonders beim Erwerb der Zertifikate: Hier gab es bisher nur leichte Verbesserungen beim mittleren Abschluss. Auf welche Faktoren – veränderte Population oder aber bildungspolitische Maßnahmen – diese Veränderungen zurückzuführen sind, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.“4 2. Evaluation der Bildungsungleichheit auf lokaler und regionaler Ebene Daneben existieren auch noch lokale und regionale Untersuchungen zur Feststellung der Leistungsniveaus. Ein Beispiel hierfür bietet Berlin: 4 Ebenda: Seite 175f. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 088/20 Seite 7 Die Qualifizierte Statuserhebung vierjähriger Kinder in Kitas und Kindertagespflege in Berlin wird aufgrund der gesetzlicher Regelungen vor der regulären Einschulung durchgeführt und dient dazu, den Stand der Sprachentwicklung derjenigen Kinder festzustellen, die zu diesem Zeitpunkt in der Regel zwischen 4,4 und 5,4 Jahre alt sind. Ziel ist es, die Kinder mit einem Bedarf an besonderer Sprachförderung - vergleichbar mit den Kindern, die keine Kita besuchen - zu erkennen und die Zeit bis zur Einschulung für eine verstärkte Sprachförderung zu nutzen.5 Daneben sehen einige der Schulgesetze der Bundesländer auch interne und externe Evaluationen durch die Schulen selbst vor. Diese werden aber in der Regel nicht öffentlich publiziert. 3. Evaluation der Bildungsungleichheit aus Sicht der bildungssoziologische Forschung Gleichwohl sind Ungleichheiten in den Bildungschancen seit einem guten Jahrzehnt durch die bildungssoziologische Forschung vielfach dokumentiert worden. Konnte das Datenmaterial zu den strukturellen Bildungsbenachteiligungen in den 60er Jahren gut zur Formel von der „katholischen Arbeitertochter vom Lande“ verdichtet werden, so hat sich die neuere Diskussion verstärkt dem “muslimischen männlichen Jugendlichen aus der Trabantenstadt“ zugewandt. 4. Die Leistungen des Bildungspakets Da die Bundesregierung keinen unmittelbaren Einfluss auf die Bildungspolitik hat, unterstützt sie die Bundesländer durch flankierende gesetzliche Maßnahmen auf Bundesebene. Mit dem Starke-Familien-Gesetz (BGBl 2019 Teil I Nr. 16 vom 3. Mai 2019, S. 530 ff.), gibt es seit dem 1. August 2020 weitreichende Verbesserungen beim Bildungs- und Teilhabepaket:6 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene und Asylbewerber, die Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten, haben grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf nachstehende Bildungs- und Teilhabeleistungen. Leistungen für Bildung erhalten hilfebedürftige Schülerinnen und Schüler bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, die eine allgemein- oder berufsbildende Schule besuchen und hierfür keine Ausbildungsvergütung erhalten. Ausflüge: Bei ein- und mehrtägigen Ausflügen von Schulen, Kitas und Kindertagespflege werden die Kosten übernommen (z. B. für Klassenfahrten). Persönlicher Schulbedarf: Es wird ein persönlicher Schulbedarf von insgesamt 150 Euro pro Schuljahr anerkannt, und zwar 100 Euro für das erste Schulhalbjahr und 50 Euro für das zweite Schulhalbjahr. 5 Vergleiche: Düsterhöft, Stefanie (2015). Sprachstandserhebungen in Kindertagesstätten - Ergebnisse einer vergleichenden Untersuchung in Berliner Einrichtungen. http://www.sprachtherapie-aktuell.de/files/e2015- 11_Duesterhoeft.pdf 6 Vergleiche: BMBF (2020). Die Leistungen des Bildungspakets. https://www.bmas.de/DE/Themen/Arbeitsmarkt/Grundsicherung/Leistungen-zur-Sicherung-des- Lebensunterhalts/Bildungspaket/leistungen-bildungspaket.html Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 088/20 Seite 8 Schülerbeförderung: Fallen Aufwendungen für Fahrten an, die gesetzlich als Schülerbeförderung definiert sind, werden sie übernommen. In Berlin ist die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs für Schüler kostenfrei. Lernförderung: Bedürftige Schülerinnen und Schüler können, unabhängig von einer Versetzungsgefährdung, unter bestimmten Voraussetzungen Lernförderung in Anspruch nehmen. Voraussetzung ist, dass keine vergleichbaren schulischen Angebote bestehen. Aufwendungen für Mittagessen in Kindertagesstätte (Kita), Schule und in der Kindertagespflege: Das gemeinschaftliche Mittagessen in Schulen, Kindertagesstätten und in der Kindertagespflege ist kostenlos. Dies gilt an Schultagen auch für eine gemeinschaftliche Mittagsverpflegung von Schülerinnen und Schülern im Hort, wenn eine enge Kooperation zwischen Schule und Tageseinrichtung besteht (Hortkinder/Kooperationsvertrag). Soziale Teilhabe / Kultur, Sport, Mitmachen: Für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft wird ein Betrag von pauschal 15 Euro monatlich erbracht. Ausreichend ist insoweit ein Nachweis, aus dem sich die Teilnahme an einer der gesetzlich bestimmten Aktivitäten (zum Beispiel Mitgliedschaft im Sportverein oder Unterricht in einer Musikschule) ergibt. Diese Leistungen erhalten alle hilfebedürftigen Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr. Die Umsetzung des Bildungspakets wird vor Ort in den Kreisen und kreisfreien Städten durch die Jobcenter/ Sozialämter organisiert. Ein Datenaustausch zwischen Jobcenter/ Sozialämter und Schule über die schulischen Leistungen der Schüler findet nicht statt. Nachtrag Im Zuge der durch die Corona-Pandemie bedingten Schulschließungen wurde der verstärkte Einsatz digitaler Lernmedien zur Durchführung von Fernunterricht (remote learning) notwendig. Im Rahmen des Programms „Corona-Hilfe II: Sofortprogramm Endgeräte“ wurden beschleunigt Tablets an benachteiligte Schülerinnen und Schüler verteilt, um eine flächendeckende Versorgung der Schülerinnen und Schüler sicherzustellen. „Da die Situation vor Ort von Schule zu Schule unterschiedlich ist, gibt es keine zentralen Kriterien für die Vergabe in den Ländern. Deshalb sollen die Schulen selbst die Kriterien für die Verteilung der Geräte an die Schülerinnen und Schüler festlegen. Es gibt auch keine formale Bedürftigkeitsprüfung, da die Verantwortlichen vor Ort wissen, wer tatsächlich Ausstattungsbedarf hat und in eigenem Ermessen handeln können.7 *** 7 BMBF (2020). Corona-Hilfe II: Sofortprogramm Endgeräte. https://www.digitalpaktschule.de/de/corona-hilfe-iisofortprogramm -endgeraete-1762.php