© 2020 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 087/20 WD 5 - 3000 - 131/20 WD 9 - 3000 - 105/20 087/20 Zu Tierversuchen und tierversuchsfreien Alternativmethoden Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 2 Zu Tierversuchen und tierversuchsfreien Alternativmethoden Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Abschluss der Arbeit: 7. Dezember 2020 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung WD 5: Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Voraussetzungen und Rahmenbedingungen von Tierversuchen 4 3. Bedeutung von Tierversuchen in der Grundlagenforschung (WD 8) 6 3.1. Verpflichtungen innerhalb der Wissenschaft 6 3.2. Anzahl der Tierversuche in der Forschung 8 3.3. Beispiele für Tierversuche in der Grundlagenforschung 10 4. Rechtliche Vorgaben zur Durchführung von Tierversuchen 10 4.1. Tierversuche im Arzneimittel- und Medizinprodukterecht (WD 9) 10 4.1.1. Arzneimittel 11 4.1.2. Medizinprodukte 13 4.1.3. Botulinumtoxin (Botox) 13 4.2. Tierversuche im Tierarznei-, Lebens- und Futtermittelrecht (WD 5) 15 4.3. Tierversuche im Chemikalien- und Pflanzenschutzmittelrecht (WD 8) 18 5. Entwicklung und Einsatz von Alternativmethoden 20 5.1. Wissenschaftliche und technische Grundlagen (WD 8) 20 5.1.1. Zellkulturen 20 5.1.2. Computer-Modelle 21 5.1.3. Studien an und mit Menschen 21 5.1.4. Bildgebende Verfahren 22 5.2. Bf3R, set und Tierschutzforschungspreises des BMEL (WD 5) 22 6. Finanzierung von Tierversuchen und Forschung an Alternativmethoden (WD 8) 24 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 4 1. Einleitung Dieser Sachstand stellt Informationen über rechtliche Vorgaben zur Durchführung von Tierversuchen im Arzneimittel- und Medizinprodukterecht, im Tierarznei-, Lebens- und Futtermittelrecht, im Gentechnikrecht, sowie im Chemikalien- und Pflanzenschutzmittelrecht zusammen. Hierbei konzentriert sich der Sachstand mit Blick auf die zugrundeliegende Fragestellung insbesondere auf Bereiche, in denen Tierversuche zu bestimmten Zwecken vorgeschrieben sind. Weiterhin wird auf die Bedeutung von Tierversuchen für die Grundlagenforschung eingegangen. Zugleich bietet dieser Sachstand einen Überblick über Ansätze und Entwicklungen zu Alternativmethoden . Für einen Rechtsvergleich zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz zur Genehmigung von Tierversuchen wird auf eine Hochschulschrift aus dem Jahr 2019 verwiesen.1 Aufgrund der komplexen Systematik kann kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Vielmehr werden einzelne Regelungen und Entwicklungen exemplarisch vorgestellt. Die Zuarbeiten der jeweiligen Fachbereiche werden in der Überschrift eines Abschnittes kenntlich gemacht. Abschnitte ohne eine solche Zuordnung sind fachbereichsübergreifend entstanden. 2. Voraussetzungen und Rahmenbedingungen von Tierversuchen Unter Tierversuchen in der Forschung versteht man ganz allgemein wissenschaftliche Experimente an oder mit lebenden Tieren. Dies kann sowohl deren Züchtung, Haltung, Verabreichung von Versuchssubstanzen, aber auch in Folge ihre Tötung einschließen. Seit dem Jahr 2002 ist der Tierschutz als Staatszielbestimmung im Grundgesetz verankert (Art. 20a GG). Dieses Ziel ist seither mit der grundrechtlich garantierten Wissenschafts- und Forschungsfreiheit in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Diese Abwägung findet sich in zahlreichen einfachgesetzlichen Normen und Leitlinien wieder. Die Durchführung von Tierversuchen in der Wissenschaft ist in Deutschland im Tierschutzgesetz (TierSchG)2 nebst Tierschutz-Versuchstierverordnung (TierSchVersV)3 geregelt und setzt dabei 1 Hehemann, Lena (2019). Die Genehmigung von Tierversuchen im Spannungsfeld von Tierschutz und Forschungsfreiheit : ein Rechtsvergleich zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz. Zürich/Basel/Genf: Schulthess 2019. Zur Problematik der Vergleichbarkeit von Finanzierungen siehe Bundestagsdrucksache 19/20238, S. 4 f. 2 Tierschutzgesetz (TierSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.5.2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 280 der Verordnung vom 19.6.2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist. https://www.gesetze -im-internet.de/tierschg/BJNR012770972.html. 3 Verordnung zum Schutz von zu Versuchszwecken oder zu anderen wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Tieren, (Tierschutz-Versuchstierverordnung - TierSchVersV) vom 1.8.2013 (BGBl. I S. 3125, 3126), die zuletzt durch Artikel 394 der Verordnung vom 31.8.2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist. http://www.gesetze-iminternet .de/tierschversv/BJNR312600013.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 5 die Vorgaben der EU-Tierversuchsrichtlinie (2010/63/EU)4 in nationales Recht um.5 In der EU- Tierversuchsrichtlinie wird das sogenannte „3R-Prinzip“ als Forschungsgrundlage betont: Reduzierung (Reduction), Verfeinerung (Refinement) von tierexperimentellen Methoden sowie Entwicklung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden (Replacement). Das 3R-Prinzip geht zurück auf eine Veröffentlichung aus dem Jahr 1959, in der zwei Wissenschaftler das Prinzip als Grundsatz der experimentellen wissenschaftlichen Arbeit eingeführt haben.6 Nach § 1 TierSchG darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Voraussetzungen und Rahmenbedingungen von Tierversuchen werden im Fünften Abschnitt des TierSchG geregelt. Dabei bestimmt § 7a Abs. 1 TierSchG die Zwecke, zu denen Tierversuche überhaupt erlaubt sein können, wobei hierzu ihre Durchführung „unerlässlich “ sein muss. Sofern Tierversuche nicht bereits amtlich oder rechtlich vorgeschrieben sind, handelt es sich bei ihnen um genehmigungspflichtige Versuche (§ 8 TierSchG). Für Versuche an Wirbeltieren und Kopffüßern (z.B. Kalmare) benötigt der Forscher die Genehmigung durch die zuständige Behörde für jedes einzelne Versuchsvorhaben. Innerhalb dieses Antragsverfahrens muss (bei Wirbeltieren oder Kopffüßern) auch dargelegt werden, warum das Forschungsziel ohne den Einsatz von Labortieren nicht erreicht werden kann. Amtlich oder rechtlich vorgeschriebene Tierversuche (sog. regulatorische Tierversuche) sind hingegen lediglich anzeigepflichtig (§ 8a TierSchG). Eine schematische Darstellung des Verfahrens zur Genehmigung eines Tierversuchs findet sich unter dem Link https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Tierschutz/Bf3R-Verfahren _Druckversion.pdf?__blob=publicationFile&v=2. Für alle Tierversuche gilt zudem die Meldepflicht zum Zweck einer statistischen Erfassung (vgl. § 1 ff. VersTierMeldV).7 4 Richtlinie 2010/63/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 22.9.2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere. Amtsblatt der Europäischen Union L 276/33. https://eur-lex.europa .eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2010:276:0033:0079:de:PDF. 5 Der Einwand, ob die Umsetzung vollständig erfolgte oder defizitär, war Gegenstand einer Plenardebatte des Deutschen Bundestages am 13.12.2012: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht der 214. Sitzung, Plenarprotokoll 17/214, S. 26358 ff. Siehe hierzu auch: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages; Zur Umsetzung der Richtlinie 2010/63/EU in deutsches Recht; WD 5 - 3000 – 010/19 vom 27.2.2019. 6 W.M.S. Russell and R.L. Burch: The Principles of Humane Experimental Technique; 1959; https://caat.jhsph.edu/principles/the-principles-of-humane-experimental-technique. 7 Verordnung über die Meldung zu Versuchszwecken verwendeter Wirbeltiere oder Kopffüßer oder zu bestimmten anderen Zwecken verwendeter Wirbeltiere (Versuchstiermeldeverordnung - VersTierMeldV) vom 12.12.2013 (BGBl. I S. 4145), die zuletzt durch Artikel 142 des Gesetzes vom 29.3.2017 (BGBl. I S. 626) geändert worden ist. http://www.gesetze-im-internet.de/verstiermeldv_2013/BJNR414510013.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 6 3. Bedeutung von Tierversuchen in der Grundlagenforschung (WD 8) 3.1. Verpflichtungen innerhalb der Wissenschaft Die der Grundlagenforschung verpflichtete Max-Planck-Gesellschaft (MPG) hat 2016 ein „White Paper“ zu Tierversuchen innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft veröffentlicht.8 In diesem Papier wird bezugnehmend auf das „3R-Prinzip“ („Reduction“, „Refinement“, „Replacement“) ein sogenanntes viertes „R“ eingeführt: „Responsibility“ - Verantwortung. Im Zuge dessen „verpflichtet sich die MPG unter anderem: • das Sozialleben von Versuchstieren zu verbessern • die wissenschaftliche Grundlage für eine objektive Ermittlung von Empfindungsfähigkeit, Schmerzerfahrung, Bewusstsein und Intelligenz in der Tierwelt weiterzuentwickeln • die Professionalisierung des öffentlichen Diskurses über Fragen der Tierethik aktiv zu unterstützen .“9 Als konkrete Maßnahmen gibt die Max-Planck-Gesellschaft an, eine interne interaktive Datenbank aufzubauen, um einen Überblick über alle Tierversuche der MPG zu erreichen, spezielle Projekte zur Förderung des 3R-Prinzips unterstützen zu wollen, einen „Kommunikationsleitfaden “ zu entwickeln, ein verpflichtendes Ethik-Curriculum entwickeln zu wollen und die Fortschritte hinsichtlich der Umsetzung der Selbstverpflichtung evaluieren zu wollen. Trotz dieser Verpflichtungen wird immer wieder der Vorwurf laut, dass insbesondere die Grundlagenforschung , die nicht direkt eine Anwendung zum Ziel habe, Tierversuche in besonderer Weise rechtfertigen muss. Der an dem Grundsatzpapier der Max-Planck-Gesellschaft führend beteiligte Neurowissenschaftler Wolf Singer äußert sich in einem Interview zu dieser Frage. In ihrem Papier werde betont, dass es eine Verpflichtung gebe, wissen zu wollen. Die Menschen seien gezwungen zu handeln und würden dabei fortwährend in unsere Umwelt eingreifen. Wenn man nicht gleichzeitig erforsche, welches die möglichen Folgen menschlichen Tuns seien, handele man verantwortungslos. Zukunftsweisende Entdeckungen seien oft Zufallstreffer. Ohne Grundlagenforschung wäre man schlecht gewappnet für die Herausforderungen der Zukunft, beispielweise den Klimawandel, das Bevölkerungswachstum, das Artensterben, der Begegnung neuer Epidemien oder den zunehmenden chronischen Erkrankungen wie Diabetes.10 In einer Darstellung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aus dem Jahr 2018 wird festgehalten , dass in der Medikamentenforschung die Grundannahme, dass sich Ergebnisse von Tie- 8 Max-Planck-Gesellschaft: White paper, Tierversuche in der Max-Planck-Gesellschaft, Dezember 2016; https://www.mpg.de/10882259/MPG_Whitepaper.pdf. 9 Ebenda. S. 8. 10 Interview mit dem Neurowissenschaftler Wolf Singer, abrufbar unter: https://www.tierversuche-verstehen .de/warum-wir-tierversuche-machen/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 7 ren auf Menschen übertragen lassen, nicht unbegründet sei. Durch Tierversuche ließen sich erwünschte und etwa 70 % der unerwünschten Wirkungen, die den Menschen betreffen, vorhersagen . Ein Beispiel hierfür sei die Acetylsalicylsäure, Wirkstoff des Schmerzmittels Aspirin®. Sie wirke bei Ratte und Mensch schmerzlindernd, aber bei beiden - Mensch und Tier - könne es nach der Einnahme zu erhöhter Blutungsneigung kommen.11 36 % der in präklinischen Tierversuchen getesteten Stoffe würden aufgrund unerwünschter Nebenwirkungen und Sicherheitsrisiken nicht weiter in der klinischen Prüfung am Menschen verwendet und aus dem Entwicklungsprozess genommen . Somit verhindere der Tierversuch, dass den Menschen möglicherweise schädigende oder lebensbedrohende Substanzen verabreicht würden. Wissenschaftler haben im Rahmen einer Selbstverpflichtung, der Basler Deklaration, erklärt, stärker mit der Öffentlichkeit kommunizieren und diese besser informieren zu wollen. Die Deklaration wurde in Deutschland von insgesamt 966 Institutionen und Einzelpersonen (Stand 19. November 2020) unterzeichnet, die im Internet abrufbar sind. In der Selbstverpflichtung wird festgehalten , dass es ohne die Forschung mit und an Tieren nicht möglich sei, die derzeitigen gesellschaftlichen und humanitären Herausforderungen zu bewältigen. Es werden zehn grundlegende Prinzipien festgelegt, auf Basis derer sich die Unterzeichnenden verpflichten, ihre Arbeit durchzuführen :12 „Wir, die Unterzeichnenden, verpflichten uns, 1. die uns anvertrauten Tiere zu respektieren und zu schützen und diesen keine unnötigen Schmerzen, Leiden oder Schaden zuzufügen, indem wir die höchsten Standards beim Versuchsaufbau und in der Tierhaltung einhalten. 2. sorgfältig zu prüfen, ob die Forschung mit Tieren der Klärung wichtiger Fragen dient, die nicht durch Einsatz alternativer Methoden beantwortet werden können. 3. die Zahl der für Forschungszwecke benötigten Tiere möglichst gering zu halten und zum gewünschten Erkenntnisgewinn die am besten geeigneten Art zu wählen. 4. Kollaborationen anzuregen, um Wiederholung von Tierversuchen zu vermeiden. 5. die höchsten Standards für den Schutz der Umwelt und der öffentlichen Gesundheit anzuwenden . 6. bei der Entwicklung genetisch veränderter Tiere die Interessen von Patienten und der Gesellschaft gegen unsere Verantwortung für die Tiere abzuwägen. 7. die höchsten Standards bei Qualifikation und Schulung aller Personen anzuwenden, die mit Tieren arbeiten und die Einhaltung der Standards regelmäßig zu überprüfen. 11 Ebenda. 12 Informationsseite der Basler Deklaration: https://de.basel-declaration.org/basel-declaration/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 8 8. das wichtige Engagement von Forschern hinreichend zu würdigen, wenn diese sich um ein öffentliches Verständnis von Wissenschaft bemühen. 9. den Dialog zum Tierschutz in der Forschung durch transparente und faktenbasierte Information der Öffentlichkeit zu befördern. 10. politische Entscheidungsträger und Regierungsbehörden über Fragen zur Forschung mit Tieren und deren Wohlergehen auf der Grundlage von wissenschaftlichen Fakten und mit Fachwissen zu beraten.“ Erkenntnisse in der Grundlagenforschung werden via Publikationen (in der Regel im Zuge eines Peer-Reviewing13) in wissenschaftlichen Zeitschriften kommuniziert. Bei der Planung neuer Grundlagenforschungsprojekte wird der Status-Quo mittels einer Literaturdurchsicht erhoben und somit Doppelungen bereits durchgeführter Tierversuche minimiert. Ein Problem stellt allerdings die Publikation von negativen Versuchsergebnissen dar. Gemeinhin sind diese fast nicht publizierbar. Dadurch könnten sich Versuche wiederholen, falls keine Kenntnis über ihre bereits erfolgte Durchführung besteht. Dies wurde verschiedentlich diskutiert.14 Es gibt einzelne Ansätze , auch negative Resultate zu veröffentlichen.15 3.2. Anzahl der Tierversuche in der Forschung In der biomedizinischen Forschung ist es oftmals nicht möglich, komplexe Vorgänge und das Spektrum an Interaktionen einer Substanz im lebenden Körper direkt am Menschen zu erforschen . In diesem Fall stellen Versuchstiere eine Alternative dar, die Vorgänge innerhalb eines lebenden Organismus besser verstehen zu können. Welches Tier sich in dem Fall besonders eignet, hängt davon ab, wie ähnlich ein Tier in der zu untersuchenden Eigenschaft dem Menschen ist. So leiden beispielsweise auch Hunde an Diabetes, Mäuse und Ratten an Bluthochdruck, Krebs und einigen Infektionskrankheiten.16 Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) weist in einem Informationspapier darauf hin, dass sich die entwickelten Medikamente aufgrund der Ähnlichkeiten oftmals auch bei Tieren einsetzen ließen. Fast 90 Prozent aller bei Mensch und Haustier verwendeten Medikamente seien identisch.17 Die große Mehrheit der in Tierversuchen eingesetzten Wirbeltiere sind Nagetiere (z.B. Ratten, Mäuse). Unter wirbellosen Tieren sind es zumeist Fliegen oder Fadenwürmer. 13 Unabhängig begutachtet. 14 https://wisspub.net/2015/05/11/wissenschaftsrat-empfiehlt-die-publikation-von-negativen-resultaten/. 15 Forschung & Lehre (2019). Neues Journal veröffentlicht wissenschaftliche "Fehlschläge". https://www.forschung -und-lehre.de/forschung/neues-journal-veroeffentlicht-wissenschaftliche-fehlschlaege-2136/. 16 Max-Planck-Gesellschaft: Warum brauchen wir Tierversuche? https://www.mpg.de/4605861/MPG_Tierversuche .pdf. (ohne Datum). 17 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 9 Laut Informationen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wurden in Deutschland 2018 rund zwei Millionen Wirbeltiere und Kopffüßer in Tierversuchen nach § 7 Abs. 2 des Tierschutzgesetzes eingesetzt. Die Mehrheit der Tiere waren dabei Nagetiere: Tabelle 1: In Tierversuchen nach § 7 Absatz 2 des Tierschutzgesetzes verwendete Tierarten in den Jahren 2017 und 2018 TIERART 2017 2018 Mäuse 1.368.447 1.539.575 Ratten 255.449 222.811 Kaninchen 92.661 85.193 Vögel 36.920 30.393 Fische 239.350 192.040 Quelle: https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/tierschutz/versuchstierzahlen2018.html. Detaillierte Informationen zum Forschungszweck, Forschungsgebiet und Schweregrad sind auf den Internetseiten des BMEL abrufbar.18 Demzufolge wurden 2018 im Rahmen der Grundlagenforschung 937.756 Tiere verwendet, in der angewandten Forschung waren es 323.095 Tiere. Es wurden rund 2,1 Millionen Tiere in der Wissenschaft eingesetzt. Im Zuge dessen kann ein Tier auch getötet werden. Tötet man ein Tier allein zum Zweck der Organentnahme oder der Gewinnung von Zellen gilt dies nicht als Tierversuch im Sinne der EU-Tierversuchsrichtlinie.19 Dabei werden die Zellen oder Organe entweder sofort untersucht oder dienen dem Aufbau einer Zelloder Gewebekultur.20 Rund 700.000 Tiere wurden 2018 zu wissenschaftlichen Zwecken getötet. Die Erhebung von Statistiken zu wirbellosen Fliegen und Würmern gestaltet sich schwieriger, da sich die Genehmigungspflicht gemäß § 8 Abs. 1 TierSchG nur auf Wirbeltiere oder Kopffüßer erstreckt . Damit werden Experimente an Fliegen und Würmern nicht erfasst. Auch Schätzungen, wie viele Tierversuche an wirbellosen Tieren (die nicht unter die Genehmigungspflicht in Deutschland fallen) vorgenommen werden, konnten im Rahmen dieser Arbeit nicht gefunden werden. 18 BMEL (2018). Verwendung von Versuchstieren im Jahr 2018. https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/tierschutz /versuchstierzahlen2018.html. 19 Vgl. Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2010/63/EU zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere. 20 DFG (2016). Senatskommission für tierexperimentelle Forschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Tierversuche in der Forschung. https://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/geschaeftsstelle/publikationen /tierversuche_forschung.pdf. S. 51. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 10 3.3. Beispiele für Tierversuche in der Grundlagenforschung Die Grundlagenforschung hat keine unmittelbare Anwendung als Ziel, dies ergibt sich erst als langfristiges Ziel. Dieser Umstand führt dazu, dass die Relevanz von Tierversuchen in diesem Sektor besonders schwer zu vermitteln ist. Grundlagenforschung ist allerdings wiederum unerlässlich für anwendungsbezogene Forschung. Häufig werden Erkenntnisse in der Grundlagenforschung im ersten Schritt durch Zellkulturexperimente gewonnen. Zellkulturen entwickeln sich vergleichsweise schnell, sind homogen und in Experimenten leicht zugängig. Auf der anderen Seite sind sie grundsätzlich künstliche Systeme, die nur eingeschränkten Einblick in Lebensvorgänge erlauben. Beispielweise kann man in isolierten Krebszellkulturen (im Vergleich zu Normalzellkulturen ) einzelne zelluläre Vorgänge gut studieren. Die tatsächlichen zellulären Vorgänge in einer Krebserkrankung werden jedoch erst sichtbar, wenn Krebszellen sich im Verbund mit anderen Zellen und Geweben im Körper befinden und weiter entwickeln können. Hierzu müssen Tumorzellen in Mäuse überführt werden. Für das Verständnis von onkologischen Vorgängen sind Erkenntnisse der Grundlagenforschung u.a. in den Bereichen der Stammzellforschung und der Zellzyklusregulation von zentraler Bedeutung. Auch in der Infektionsforschung spielen Zellkulturen eine wichtige Rolle. Will man aber den Wirkmechanismus im lebenden Organismus verstehen, genügt nicht eine Zellkultur als Modell. Die Interaktion von Viren mit Wirtszellen ist erst in einem Tiermodell effektiv zu studieren. In der angewandten Forschung mündet dies dann in der Entwicklung von Schutzimpfstoffen. Das aktuellste Beispiel hierzu ist die Entwicklung von Corona-Impfstoffen.21 In frühen Phasen waren die Versuche an Mäusen und Ratten durchgeführt worden, später an Rhesusaffen22.23 Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung der Impfung gegen Papillomaviren, die an der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs beteiligt sind. Für die Forschungsarbeiten zur Entwicklung dieses Impfstoffes, die auf Tierversuchen an Mäusen, Schafen, Pferden und Ziegen beruhten, hat Harald zur Hausen 2008 den Medizin-Nobelpreis erhalten.24 Die Beispiele verdeutlichen auch, dass im Bereich der Medizin die Grundlagenforschung eng verwoben und teilweise nicht trennbar ist von der anwendungsorientierten Forschung. 4. Rechtliche Vorgaben zur Durchführung von Tierversuchen 4.1. Tierversuche im Arzneimittel- und Medizinprodukterecht (WD 9) Laut § 7a Abs. 1 Nr. 4 TierSchG dürfen Tierversuche zur Entwicklung und Herstellung sowie zur Prüfung der Qualität, Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit von Arzneimitteln und Medizinprodukten durchgeführt werden, sofern sie dazu unerlässlich sind. Nach § 7a Abs. 2 TierSchG ist bei 21 https://www.tierversuche-verstehen.de/tierversuche-f%C3%BCr-coronaimpfstoff. 22 Rhesusaffen sind eine Primatenart (Gattung Makaken). Der Name leitet sich ab von der erstmaligen Entdeckung des Rhesusfaktors in seinem Blut. Unter anderem aufgrund der vergleichsweise einfachen Haltung der Tiere spielen sie in der medizinischen Forschung eine besondere Rolle. 23 Siehe Fn. 21. 24 DFG (2016). Siehe Fn. 20. S. 18. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 11 der Entscheidung, ob ein Tierversuch unerlässlich ist, gemäß Nr. 1 der jeweilige Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zugrunde zu legen und gemäß Nr. 2 zu prüfen, ob der verfolgte Zweck nicht durch andere Methoden oder Verfahren erreicht werden kann. Der Weltärztebund (World Medical Association, WMA) verabschiedete 1964 eine Leitlinie für die biomedizinische Forschung am Menschen, die sog. „Deklaration von Helsinki“ (aktuelle Revision von 2013). Sie ist zwar kein bindendes Regelwerk, aber auf sie wird in vielen Gesetzeswerken weltweit Bezug genommen. In Deutschland fand sie Eingang in die Berufsordnung für Ärzte. Die Deklaration besagt, dass Versuche am Menschen nur zulässig sind, wenn die Risiken für den Patienten so weit wie irgend möglich minimiert wurden. Eine solche Einschätzung bzw. Minimierung der Risiken für die Teilnehmer an klinischen Studien ist nur auf der Basis umfassender wissenschaftlicher Vorkenntnisse möglich. Daher legt die Deklaration weiterhin fest, dass Forschungen am Menschen erst dann durchgeführt werden dürfen, wenn alle anderen wissenschaftlich gebotenen Erkenntnismöglichkeiten der Forschung ausgeschöpft sind. Dazu gehören explizit auch Tierversuche (Nr. 21). Auf Basis dessen ist die Durchführung von Tierversuchen im Arzneimittel - und Medizinprodukterecht ausdrücklich vorgesehen.25 4.1.1. Arzneimittel Sogenannte Fertigarzneimittel für den Menschen, die zur Abgabe an den Verbraucher bestimmt sind und im Voraus hergestellt werden, dürfen nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte , BfArM) zugelassen sind oder wenn die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat. Diese Zulassungspflicht ist in § 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG)26 niedergelegt. Bei der Zulassung eines Arzneimittels sind Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des neuen Arzneimittels zu belegen.27 Dazu sind Tierversuche vorgeschrieben, sofern dies nach dem gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Hinblick auf den Prüfungszweck notwendig ist.28 Vielerorts ist zu lesen, die entsprechenden Vorschriften, welche die Durchführung von Tierversuchen anordnen, befänden im AMG.29 Dies stimmt nur bedingt: Tierversuche sind zwar in § 26 25 Allianz für Wissenschaftsorganisation, https://www.tierversuche-verstehen.de/recht/; vgl. auch die Antwort der Bundesregierung vom 1.4.2020 auf eine Kleine Anfrage, insb. Frage 6, BT-Drs. 19/18520; vfa-Positionspapier, November 2020, insb. Seite 5, abrufbar unter https://www.vfa.de/download/positionspapier-tierversuche.pdf sowie vfa-Broschüre, Februar 2012, insb. Seite 20, abrufbar unter https://www.vfa.de/de/presse/publikationen. 26 Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz - AMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12.12.2005 (BGBl. I S. 3394), das zuletzt durch Artikel 2b des Gesetzes vom 18.11.2020 (BGBl. I S. 2397) geändert worden ist. https://www.gesetze-im-internet.de/amg_1976/AMG.pdf. 27 Fragen und Antworten zu Tierversuchen und Alternativmethoden des BfR, Stand 2.9.2020, https://www.bfr.bund.de/cm/343/fragen-und-antworten-zu-tierversuchen-und-alternativmethoden.pdf. 28 Antwort der Bundesregierung vom 1.4.2020 auf eine Kleine Anfrage, insb. Frage 6, BT-Drs. 19/18520. 29 Vgl. u.a. https://www.tierversuche-verstehen.de/vorgeschriebene-tierversuche/; https://utopia.de/ratgeber/tierversuche -so-ist-die-rechtliche-situation-in-deutschland/; https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/component /content/article/123.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 12 AMG grundsätzlich vorgesehen, eine ausdrückliche Verpflichtung zur Durchführung von Tierversuchen findet sich im AMG selbst jedoch nicht. § 26 AMG lautet insofern: „Das Bundesministerium wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung […] Anforderungen an die [für die Zulassung eines Arzneimittels erforderlichen] Angaben, Unterlagen und Gutachten sowie deren Prüfung durch die zuständige Bundesoberbehörde zu regeln . Die Vorschriften müssen dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen und sind laufend an diesen anzupassen, insbesondere sind Tierversuche durch andere Prüfverfahren zu ersetzen, wenn dies nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Hinblick auf den Prüfungszweck vertretbar ist.“ Eine konkretere Ausgestaltung der in § 26 AMG genannten Anforderungen an die Zulassung und die dazu erforderlichen Tierversuche enthält vielmehr die Arzneimittelprüfrichtlinien-Verordnung (AMPV)30, für welche § 26 AMG die Ermächtigungsgrundlage darstellt. Die AMPV verweist in § 1 auf Anhang I der RL 2003/63/EG.31 Dort sind Tierversuche ausdrücklich vorgeschrieben. So heißt es in Ziff. 5.2. der EU-Richtlinie: „Im Vorfeld von klinischen Prüfungen müssen stets geeignete pharmakologische und toxikologische Tests stattfinden, die entsprechend den Anforderungen von Modul 4 dieses Anhangs an Tieren durchzuführen sind.“ Notwendig sind Tierversuche dabei in der vorklinischen Phase. Denn erst dann, wenn ein Stoff alle vorgeschriebenen vorklinischen Versuche bestanden hat, darf er auch an Menschen erprobt werden. Dazu muss er sich vor allem in Tierversuchen als unbedenklich erwiesen haben.32 Ohne die Durchführung der nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse notwendigen Tierversuche wird das Arzneimittel durch die zuständige Behörde nicht zugelassen (vgl. § 25 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AMG). 30 Verordnung zur Anwendung der Arzneimittelprüfrichtlinien (Arzneimittelprüfrichtlinien-Verordnung - AMPV) vom 8.1.2016 (BGBl. I S. 47). https://www.gesetze-im-internet.de/ampv/AMPV.pdf. 31 Richtlinie 2003/63/EG der Kommission vom 25.6.2003 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel. EU Abl. L 159/46. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32003L0063&from=DE. 32 Vgl. Pressemitteilung des BfArM, https://www.bfarm.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/pm6- 2019.html; ICH guideline M3(R2) on non-clinical safety studies for the conduct of human clinical trials and marketing authorisation for pharmaceuticals, abrufbar unter https://www.ema.europa.eu/en/documents/scientific -guideline/ich-guideline-m3r2-non-clinical-safety-studies-conduct-human-clinical-trials-marketing-authorisation _en.pdf; Erläuterungen des BfArM zur Arzneimittelentwicklung, abrufbar unter https://www.bfarm.de/DE/Buerger/Arzneimittel/Arzneimittelentwicklung/_node.html, sowie hinsichtlich der Anforderungen an Prüfpläne https://www.bfarm.de/DE/Service/FAQ/_functions/Arzneimittelzulassung /klinPr/klinik/2pruefplan/_node.html; siehe auch Guideline on strategies to identify and mitigate risks for 5 first-in-human and early clinical trials with investigational 6 medicinal products, abrufbar unter https://www.ema.europa.eu/en/documents/scientific-guideline/draft-guideline-strategies-identify-mitigaterisks -first-human-early-clinical-trials-investigational_en.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 13 4.1.2. Medizinprodukte Auch bei der Prüfung von Medizinprodukten sind Tierversuche vorgeschrieben, sofern dies nach dem gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Hinblick auf den Prüfungszweck notwendig ist. In § 2 Medizinprodukte-Verordnung (MPV)33 heißt es dazu wie folgt: „Zur Bewertung der biologischen Verträglichkeit von Medizinprodukten sind biologische Sicherheitsprüfungen mit Tierversuchen durchzuführen, soweit sie 1. bei Medizinprodukten im Sinne des § 3 Nr. 2 des Medizinproduktegesetzes nach der Richtlinie [2003/63/EG] oder nach den Arzneimittelprüfrichtlinien nach § 26 des Arzneimittelgesetzes , 2. nach harmonisierten Normen im Sinne des § 3 Nr. 18 des Medizinproduktegesetzes oder 3. nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse erforderlich sind.“ Ebenso wie für das Arzneimittelrecht § 1 AMPV auf die RL 2003/63/EG verweist, enthält auch § 2 MPV in Nr. 1 einen solchen Verweis. Die obigen Ausführungen zur Richtlinie gelten daher entsprechend auch im Medizinprodukterecht. 4.1.3. Botulinumtoxin (Botox) Für die Herstellung von Botulinumtoxin-Produkten sind regulatorische Tierversuche gem. § 8a Abs. 1 Nr. 1 a TierSchG vorgeschrieben. Das Mittel wird zwar größtenteils für kosmetische Zwecke eingesetzt, dennoch greift hier das Verbot von Tierversuchen zur Entwicklung von Kosmetika gemäß § 7a Abs. 4 Satz 1 TierSchG34 nicht. Da Botulinumtoxin unter die Haut gespritzt, also injiziert wird, gilt es rechtlich als Medikament.35 § 8a Abs. 1 Nr. 1 a TierSchG verweist auf das Arzneibuch : Nach § 55 AMG ist das Arzneibuch eine vom BfArM im Einvernehmen mit dem Paul- Ehrlich-Institut und dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit bekannt 33 Verordnung über Medizinprodukte (Medizinprodukte-Verordnung - MPV) vom 20.12.2001 (BGBl. I S. 3854), die zuletzt durch Artikel 3 der Verordnung vom 27.9.2016 (BGBl. I S. 2203) geändert worden ist. http://www.gesetze -im-internet.de/mpv_2002/MPV.pdf. 34 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Tierschutzbericht 2019, BT-Drs. 19/15940, S. 35. 35 https://www.tierschutzbund.de/information/hintergrund/tierversuche/botox/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 14 gemachte Sammlung anerkannter pharmazeutischer Regeln, zu der auch das Europäische Arzneibuch (Europäische Pharmakopöe) zählt. Im Europäischen Arzneibuch36 ist zur Herstellung von Botulinumtoxin-Produkten der sog. LD 50-Aktivitätstest als Standarttest vorgesehen.37 Botulinumtoxin wird nicht synthetisch hergestellt, sondern unter Laborbedingungen von lebenden Bakterien produziert. Das führt zu Variationen in der Konzentration von Botulinumtoxin verschiedener Produktionseinheiten (Chargen).38 Deshalb muss bei jeder einzelnen Charge von Arzneimitteln , die Botulinumtoxin enthalten, zur Bestimmung der Wirksamkeit ein Aktivitätstest durchgeführt werden. Bei dem LD 50-Aktivitätstest werden Mäusen unterschiedliche Konzentrationen von Botulinumtoxin gespritzt und die Konzentration ermittelt, bei der 50 Prozent der Tiere sterben. Dieser LD 50-Test bei botulinumtoxinhaltigen Arzneimitteln kann ersetzt werden, seit Alternativmethoden bezogen auf den LD 50-Test erfolgreich validiert wurden.39 Auf Initiative des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wurde im Jahr 2009 die international besetzte BoNT40-Expert Working Group mit Vertretern aus Wissenschaft, Behörden und Industrie ins Leben gerufen. Die Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (ZEBET) am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hatte gemeinsam mit dem BfArM die Leitung und Koordination der Expertengruppe übernommen. Es war Aufgabe dieser BoNT-Expert Working Group, Empfehlungen in Zusammenarbeit mit der Industrie zur zügigen Validierung und behördlichen Akzeptanz von Alternativmethoden zum Maus-LD 50-Test für die Zulassung und chargenweise Freigabe von Botox-Produkten zu erarbeiten. Eine für einen bestimmten Hersteller zugelassene Alternativmethode kann jedoch nicht direkt auf einen anderen Hersteller übertragen werden, da eine produktspezifische Validierung erforderlich ist. Daher war es notwendig, dass jeder einzelne Hersteller eine für sein Produkt spezifische Methode entwickelt. Mittlerweile haben alle (drei) Hersteller von Botulinumtoxin Typ A, die ihre Produkte in Deutschland in Verkehr bringen, eine Alternativmethode zum LD 50-Test etabliert.41 36 https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelzulassung/ZulassungsrelevanteThemen/Arzneibuch/Arzneibuecher /_node.html. Siehe hier die Monografien „Botulinumtoxin Typ A zur Injektion“ und „Botulinumtoxin Typ B zur Injektion“. 37 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Tierschutzbericht 2019, BT-Drs. 19/15940, S. 38; https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/infos/kosmetik-chemikalien/117-botox-tierqual-fuer-eine-fragwuerdige -schoenheit; https://www.botox-center-berlin.de/botox-tipps/botox-und-tierversuche.html. 38 https://www.tierschutzbund.de/information/hintergrund/tierversuche/botox/. 39 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Tierschutzbericht 2019, BT-Drs. 19/15940, S. 38. 40 BoNT ist die Abkürzung für Botulinum-Neurotoxin. 41 Unterrichtung durch die Bundesregierung, Tierschutzbericht 2019, BT-Drs. 19/15940, S. 38 f.; https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/infos/kosmetik-chemikalien/117-botox-tierqual-fuer-eine-fragwuerdige -schoenheit. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 15 4.2. Tierversuche im Tierarznei-, Lebens- und Futtermittelrecht (WD 5) Auch im Tierarzneimittel-, Lebensmittel- und Futtermittelrecht werden Tierversuche teilweise ausdrücklich vorgeschrieben. Dem Tierschutzbericht der Bundesregierung lässt sich entnehmen, dass dies beispielsweise bei Tierarzneimitteln wie der Wirksamkeitsprüfung für Impfstoffe gegen die Aviäre Enzephalomyelitis (AE) oder auch bei der Wirksamkeitsprüfung von Rindertuberkulin-Chargen der Fall ist.42 Dabei benennt der Bericht als Grundlage für den Tierversuch beim Impfstoff gegen Aviäre Enzephalomyelitis das Europäische Arzneibuch.43 Für Lebensmittel gilt, dass sie im Allgemeinen im Rahmen der lebensmittelrechtlichen Bestimmungen ohne vorherige Zulassung in den Verkehr gebracht werden können. Eine Ausnahme bilden neuartige Lebensmittel (Novel Foods).44 Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) führt aus: „Wer ein neuartiges Lebensmittel in Verkehr bringen will, das sich noch nicht in der Unionsliste zugelassener neuartiger Lebensmittel befindet, muss dafür einen Zulassungsantrag gemäß Artikel 10 der Novel Food-Verordnung (EU) 2015/2283 bei der Europäischen Kommission stellen (…). Der Verfahrensablauf ist in den Artikeln 10, 11 und 12 der Novel Food- Verordnung (EU) 2015/2283 geregelt und wird in der Durchführungsverordnung (EU) 2017/2469 konkretisiert. (…) Im Gegensatz zum früheren Genehmigungsverfahren wird dieses Zulassungsverfahren gänzlich von der Europäischen Kommission unter Beteiligung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) durchgeführt. Die Mitgliedstaaten werden über den Fortgang informiert, sind jedoch nicht beteiligt. Die EFSA hat ein Leitlinienpapier zur Antragstellung[45] und eine zugehörige Checkliste[46] veröffentlicht (beide in englischer Sprache).“ 42 Tierschutzbericht der Bundesregierung 2019, S. 39f., https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren /Tierschutzbericht-2019.pdf;jsessionid=07AF3E0264A7960FDDEB7362971E7982.intranet 921?__blob=publicationFile&v=8. 43 Siehe hierzu https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelzulassung/ZulassungsrelevanteThemen/Arzneibuch /Arzneibuecher/_node.html und § 55 Arzneimittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), das zuletzt durch Artikel 2b des Gesetzes vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) geändert worden ist, https://www.gesetze-im-internet.de/amg_1976/AMG.pdf. 44 https://www.bvl.bund.de/DE/Arbeitsbereiche/01_Lebensmittel/04_AntragstellerUnternehmen/05_Novel- Food/lm_novelFood_node.html#doc11035096bodyText1 . 45 Die Seite des BVL führt in diesem Kontext zu folgendem Link: https://efsa.onlinelibrary .wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2016.4594 . 46 Die Seite des BVL führt in diesem Kontext zu folgendem Link: https://efsa.onlinelibrary .wiley.com/doi/epdf/10.2903/sp.efsa.2018.EN-1381 . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 16 Dem Leitlinienpapier lässt sich entnehmen, dass zu den toxikologischen Untersuchungen auch "repeated dose toxicity testing“ gehört. Unter Ziffer 2.10.3 wird beispielsweise regelmäßig eine 90-tägige Studie nach OECD Nummer 40847 verlangt. Im Zulassungsverfahren für Lebens- und Futtermittel, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten, daraus bestehen oder daraus hergestellt werden, werden auch Tierversuche vorgeschrieben . Die Grundlage dafür liegt im EU-Recht. Die Bundesregierung schreibt: „Tierversuche spielen auch eine Rolle im Zulassungsverfahren für Lebens- und Futtermittel , die gentechnisch veränderte Organismen enthalten, daraus bestehen oder daraus hergestellt werden. Dieses gentechnikrechtliche Zulassungsverfahren ist nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 25. Juli 2018 (Rs. C-528/16) auch auf alle mittels neuer molekularbiologischer Techniken, wie beispielsweise CRISPR/Cas9, erzeugten Lebens- und Futtermittel anzuwenden. Bevor eine solche Zulassung durch die Europäische Kommission erteilt werden kann, wird eine umfangreiche Risikobewertung durchgeführt, um abzuschätzen , ob Risiken für die menschliche oder tierische Gesundheit oder für die Umwelt bestehen . Seit Inkrafttreten der im Jahr 2013 grundlegend überarbeiteten EU-Durchführungsbestimmungen 48 ist der Antragsteller in diesem Zusammenhang verpflichtet, Untersuchungen zur Toxizität durchführen, die u. a. eine 90-tägige Fütterungsstudie an Nagetieren sowie ggf. weitere Tierversuche zur Untersuchung der Sicherheit umfassen. Diese Tierversuche müssen im Einklang mit der Richtlinie 2010/63/EU49 durchgeführt werden und sind auf das Minimum zu reduzieren, das für einen geeigneten Nachweis der Sicherheit der gentechnisch veränderten Lebens- oder Futtermittel erforderlich ist.“50 Im Hinblick auf Futtermittelzusatzstoffe hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) folgendes mitgeteilt: „(…) es bestehen keine nationalen Regelungen zur Zulassung von Futtermittelzusatzstoffen und demzufolge auch keine nationalen verpflichtenden Vorgaben zur Durchführung von Tierversuchen (Versuchen mit Versuchstieren). 47 Test No. 408: Repeated Dose 90-Day Oral Toxicity Study in Rodents, https://www.oecd-ilibrary.org/environment /test-no-408-repeated-dose-90-day-oral-toxicity-study-in-rodents_9789264070707-en;jsessionid =s3pfeup4ndT0lWNFEH_Y9g61.ip-10-240-5-157 . 48 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 503/2013 der Kommission vom 3. April 2013 über Anträge auf Zulassung genetisch veränderter Lebens- und Futtermittel gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 641/2004 und (EG) Nr. 1981/2006 der Kommission (ABl. L 157 vom 8. Juni 2013, S. 1). [Die Vorschriften zur Überprüfung der Toxikologie finden sich u.a. im Anhang II „ WISSENSCHAFTLICHE ANFORDERUNGEN AN DIE RISIKOBEWERTUNG GENETISCH VERÄNDERTER LEBENS- UND FUTTERMITTEL“ unter Ziffer 1.4, Anm. der Verf. ] 49 Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (ABl. L 276 vom 20. Oktober 2010, S. 33). 50 Tierschutzbericht der Bundesregierung 2019, S. 42, https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren /Tierschutzbericht-2019.pdf;jsessionid=07AF3E0264A7960FDDEB7362971E7982.intranet 921?__blob=publicationFile&v=8. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 17 Im Rahmen der europäisch harmonisierten Zulassung von Futtermittelzusatzstoffen durch die EU-Kommission werden mit der (…) Verordnung (EG) Nr. 429/2008 Rahmenvorgaben zum Nachweis der gesundheitlichen Unbedenklichkeit für Mensch, Tier, Umwelt sowie für die Anwendersicherheit geregelt. In Abhängigkeit von der Art des zur Zulassung beantragten Futtermittelzusatzstoffes, können In-vivo-Studien nach OECD-Regeln als Nachweis zu Erfüllung vorstehender Anforderungen, insbesondere bei Nachweiserfordernissen zur Toxizität (…[51]), relevant werden. Allerdings sind diese nicht grundsätzlich zwingend vorzulegen , da in Anhang II, Allgemeine Bemerkungen, Folgendes ausgeführt wird: `Es werden Invitro -Verfahren oder Verfahren empfohlen, die die üblichen Untersuchungen an Versuchstieren verfeinern oder ersetzen oder die Zahl der bei diesen Untersuchungen eingesetzten Tiere verringern. Derartige Verfahren haben die gleiche Qualität und Aussagekraft wie die Verfahren, die sie ersetzen sollen.“ "52 Schließlich wird auf Tierversuche im Rahmen von Prüfungen bei der Zulassung von Kunststoffen für den Kontakt mit Lebensmitteln hingewiesen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung schreibt: „Seit dem Jahr 2011 gilt die Verordnung (EU) Nr. 10/2011[53], mit der eine direkt rechtswirksame europäische Regelung in Kraft getreten ist. Sie legt eine verbindliche Positivliste der Monomeren und Zusatzstoffe fest, die zur Herstellung von Materialien und Gegenständen aus Kunststoff für den Lebensmittelkontakt verwendet werden dürfen. Vor ihrer Aufnahme in diese Listen müssen die Stoffe auf ihre möglichen Übergänge auf Lebensmittel und ihre toxikologischen Eigenschaften geprüft werden. Als ein Ergebnis der Prüfung werden Grenzwerte für den Übergang der Stoffe auf Lebensmittel festgelegt. Damit liegen für Stoffe, die in den Listen enthalten sind, toxikologische Daten vor, was eine Bewertung des gesundheitlichen Risikos im Falle eines Übergangs auf Lebensmittel deutlich erleichtert. Die Listen beschränken sich allerdings auf Kunststoffe und Zellglas.“54 Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat eine „NOTE FOR GUIDANCE FOR THE PREPARATION OF AN APPLICATION FOR THE SAFETY ASSESSMENT OF A SUB- STANCE TO BE USED IN PLASTIC FOOD CONTACT MATERIALS“ veröffentlicht.55 Unter Ziffer 8 beschreibt sie darin die notwendigen toxikologischen Daten. Je höher die Migration von Stoffen in das Lebensmittel ist, desto umfangreicher müssen die toxikologischen Untersuchungen sein. 51 Hier verweist das BMEL auf die VERORDNUNG (EG) Nr. 429/2008 DER KOMMISSION vom 25. April 2008 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1831/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Erstellung und Vorlage von Anträgen sowie der Bewertung und Zulassung von Futtermittelzusatzstoffen , ABl. L 133 vom 22.5.2008 S. 1, Anhang II, Abschnitt III, Punkt 3.2. 52 Email des BMEL vom 25.11.2020 53 VERORDNUNG (EU) Nr. 10/2011 DER KOMMISSION vom 14. Januar 2011 über Materialien und Gegenstände aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen vom 15.1.2011, ABl. L 12, S. 1. 54 https://www.bfr.bund.de/de/presseinformation/2013/A/materialien_im_kontakt_mit_lebensmitteln-9178.html . 55 https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2008.21r . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 18 Teilweise ist eine 90tägige Toxizitätsstudie bei oraler Aufnahme vorgeschrieben. Für diese Studie wird von der EFSA auf die OECD-Richtlinie 408 „GUIDELINE FOR THE TESTING OF CHEMI- CALS Repeated dose 90-day oral toxicity study in rodents“ verwiesen.56 4.3. Tierversuche im Chemikalien- und Pflanzenschutzmittelrecht (WD 8) Das Chemikaliengesetz (ChemG)57 enthält in Anhang 1 (Grundsätze der Guten Laborpraxis) Vorgaben zum Umgang mit sogenannten tierischen Prüfsystemen und impliziert damit die Durchführung von Tierversuchen im Rahmen von gesundheits- und umweltrelevanten Sicherheitsprüfungen von Stoffen oder Gemischen, deren Ergebnisse eine Bewertung ihrer möglichen Gefahren für Mensch und Umwelt in einem Zulassungs-, Erlaubnis-, Registrierungs-, Anmelde- oder Mitteilungsverfahren ermöglichen sollen (§ 19 a Abs. 1 ChemG). Die Biozid-Zulassungsverordnung58 gilt für die Zulassung von Biozid-Produkten nach § 12a Satz 1 und § 12c ChemG und regelt in § 3 Abs. 2: „Bei gleichwertigen Prüfmethoden ist jeweils diejenige anzuwenden, die den Verzicht auf Tierversuche zulässt oder, falls dies nicht möglich ist, die geringstmögliche Anzahl von Versuchstieren erfordert oder bei der die geringste Belastung für die Versuchstiere auftritt .“ Ein immer größer werdender Teil des Chemikalienrechts wird durch EU-Verordnungen geregelt, die unmittelbare Anwendung finden und keiner Umsetzung in nationales Recht bedürfen. Bestimmungen hinsichtlich der Durchführung von Tierversuchen enthält zum einen die Verordnung (EG) Nr. 1272/200859 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen (CLP-Verordnung). Zweck dieser Verordnung ist es, ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt sowie den freien Verkehr von in Artikel 4 Abs. 8 der Verordnung genannten Stoffen, Gemischen und Erzeugnissen zu gewährleisten (Artikel 1 Abs. 1). Werden für die Zwecke dieser Verordnung neue Prüfungen durchgeführt, so werden Tierversuche nur dann eingesetzt, wenn es keine Alternativen gibt, die eine angemessene Verlässlichkeit und Datenqualität bieten (Artikel 7 Abs. 1). Versuche an Primaten dürfen für die 56 https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/9789264070707-en.pdf?expires=1606320922&id=id&accname =ocid177634&checksum=D450E63E90953BD436DDC1B773BC6C0A . 57 Chemikaliengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 28.8.2013 (BGBl. I S. 3498, 3991), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 23.10.2020 (BGBl. I S. 2232) geändert worden ist. http://www.gesetze-im-internet .de/chemg/ChemG.pdf. 58 Biozid-Zulassungsverordnung vom 4.7.2002 (BGBl. I S. 2514), die durch Artikel 15 des Gesetzes vom 22.8.2006 (BGBl. I S. 1970) geändert worden ist. http://www.gesetze-im-internet.de/chembiozidzulv/ChemBiozid- ZulV.pdf. 59 Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über die Einstufung , Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006. https://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32008R1272&from=de. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 19 Zwecke dieser Verordnung nicht durchgeführt werden (Artikel 7 Abs. 2). Nähere Bestimmungen sind dem Anhang 1 „Vorschriften für die Einstufung und Kennzeichnung von gefährlichen Stoffen und Gemischen“ zu entnehmen. So sollten beispielsweise für die Einstufung von Stoffen als akut inhalationstoxisch Staub und Nebel an Ratten getestet werden, damit die Ergebnisse der Tierversuche auf die Exposition von Menschen übertragen werden können (Ziff. 3.1.2.3.2). Die Einstufung eines Stoffes als ätzend erfolgt aufgrund der Ergebnisse von Tierversuchen (Ziff. 3.2.2.6.1). Auch für die Einstufung von Stoffen als Inhalationsallergene können Befunde aus einem geeigneten Tierversuch herangezogen werden (Ziff. 3.4.2.1.). Zum anderen ist die Verordnung (EG) Nr. 1907/200660 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH-Verordnung) zu beachten. Die Anhänge VII ff. bezeichnen erforderliche Standard-Datenanforderungen für bestimmte Stoffe und geben dabei auch Tierversuche, teilweise mit einer bevorzugten Tierart, an. Gleichzeitig benennt die Verordnung wiederholt das Ziel, Tierversuche zu ersetzen, zu reduzieren oder erträglicher zu gestalten. Gemäß Art. 25 Abs. 1 dürfen Wirbeltierversuche für die Zwecke dieser Verordnung nur als letztes Mittel durchgeführt werden. Nach Art. 117 Abs. 3 legt die Europäische Chemikalienagentur der Kommission alle drei Jahre einen Bericht über den Stand der Umsetzung und der Anwendung von Prüfmethoden ohne Tierversuche vor. Der letzte Bericht datiert von Juni 2020.61 Auch der Verordnung (EU) Nr. 528/201262 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (Biozid-Verordnung) sind Vorgaben zur Durchführung von Tierversuchen zu entnehmen. So gelten beispielsweise Datenanforderungen für ökotoxikologische Untersuchungen, im Rahmen derer die Langzeittoxizität für Fische geprüft werden (Anhang II Informationsanforderungen für Wirkstoffe , Ziff. 9.1.6.1.). Für einen weitergehenden Überblick über Tierversuche im EU-Stoffrecht wird auf einen Artikel aus dem Jahr 201663 verwiesen. Der Artikel beleuchtet auch die Validierung von tierversuchsfreien Alternativmethoden: „Bei der Validierung einer alternativen Methode handelt es sich um 60 Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.12.2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur , zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission. https://eur-lex.europa .eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2007:136:0003:0280:de:PDF. 61 European Chemical Agency (2020). The use of alternatives to testing on animals for the REACH Regulation. https://www.echa.europa.eu/documents/10162/0/alternatives_test_animals_2020_en.pdf/db66b8a3-00af-6856- ef96-5ccc5ae11026. 62 Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.5.2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten Text von Bedeutung für den EWR. https://eurlex .europa.eu/eli/reg/2012/528/oj/deu. 63 Hehemann, Lena (2016). Tierversuche im EU-Stoffrecht. Chancen und Hürden alternativer Prüfmethoden zur Risikobewertung. Zeitschrift für Stoffrecht. Ausgabe 4/2016. S. 193 ff. https://stoffr.lexxion.eu/data/article /9849/pdf/stoffr_2016_04-008.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 20 einen Prozess, bei dem die wissenschaftliche Grundlage, die Reproduzierbarkeit eines Testsystems und die Vorhersagekapazität eines zugehörigen Vorhersagemodells evaluiert werden.“64 Zuständig ist das Referenzlaboratorium der Europäischen Union zur Validierung alternativer Methoden (European Union Reference Laboratory for alternatives to animal testing - EURL ECVAM)65. Auf der Internetseite des EURL ECVAM sind bereits validierte Testmethoden abrufbar .66 Näheres zur Entwicklung und zum Einsatz von Alternativmethoden in der Grundlagenforschung wird im nachfolgenden Abschnitt 5 dieses Sachstandes ausgeführt. Im Pflanzenschutzrecht enthält das nationale Pflanzenschutzgesetz (PflSchG) keine Bestimmungen über Tierversuche. Die Verordnung (EG) Nr. 1107/200967 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln weist auf die Durchführung von Tierversuchen hin. So kann sich beispielsweise die Identifizierung eines Wirkstoffs, Safeners oder Synergisten als Stoff mit endokrinschädlichen Eigenschaften auf In-vivo-Studien stützen (Anhang II Ziff. 3.6.5., Verfahren und Kriterien für die Genehmigung von Wirkstoffen, Safenern und Synergisten gemäß Kapitel II). Hinsichtlich des Gentechnikrechts wird auf die Ausführungen unter 4.2. dieses Sachstandes (Lebens - und Futtermittel aus gentechnisch veränderten Organismen) verwiesen. 5. Entwicklung und Einsatz von Alternativmethoden 5.1. Wissenschaftliche und technische Grundlagen (WD 8) Zahlreiche Alternativmethoden sind in den letzten Jahren weiter entwickelt worden, können allerdings noch nicht sämtliche Tierversuche in der Grundlagenforschung ersetzen. Grundsätzlich unterscheiden sich Alternativen zu Tierversuchen danach, ob sie im Reagenzglas (in-vitro) oder computerbasiert (in-silico) durchgeführt werden. 5.1.1. Zellkulturen Der Einsatz von Zellkulturen ist ein experimenteller Ansatz, mittels dessen in weiten Bereichen der biomedizinischen Grundlagenforschung wichtige Erkenntnisse erworben werden. Eine dabei auftretende Problematik ist, dass normale (gesunde) Zellen nur sehr begrenzt lebensfähig sind. Das bedeutet, dass Zellkulturen relativ schnell absterben. Aus diesem Grund müssen die Zellen „immortalisiert“ werden. Danach teilen sie sich quasi unbegrenzt. Die hierdurch eingeführten 64 Ebenda. S. 197. 65 EU SCIENCE HUB (2020). EU Reference Laboratory for alternatives to animal testing. https://ec.europa .eu/jrc/en/eurl/ecvam#:~:text=EURL%20ECVAM%20is%20an%20integral%20part%20of%20the,located %20at%20the%20JRC%20site%20in%20Ispra%2C%20Italy. 66 EU SCIENCE HUB (2020). Validated test methods. https://ec.europa.eu/jrc/en/eurl/ecvam/alternative-methodstoxicity -testing/validated-test-methods. 67 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.10.2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02009R1107-20191214&from=EN. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 21 Veränderungen sind zwar für gewisse Experimente durchaus akzeptabel, verändern aber die Zellen derart, dass auch nur bis zu einem bestimmten Grad Aussagen darüber getroffen werden können , wie sie sich im lebenden Körper verhalten würden. Verschiedene Zellarten, wie Muskel, Nerven, Haut etc. interagieren miteinander. Für ihre biologische Funktion im lebenden Körper benötigen diese Zellen oftmals Signale von benachbarten oder auch entfernt liegenden Zellen eines anderen Typs. Um diese Interaktionen zwischen Zellen studieren zu können, werden sogenannte Co-Kulturen angelegt. Beispielsweise kann „beim EPISKIN®-Test die Ätzwirkung von Chemikalien auf einer in der Petrischale gezüchteten menschlichen Epidermis (äußere Hautschicht) untersucht werden. Eine Vielzahl von Tierversuchen wurde dadurch ersetzt. Bislang ist es aber aus verschiedenen Gründen nicht möglich ganze Organe (Herz, Lunge, Niere, Haut etc.) durch „Züchtung im Reagenzglas“ herzustellen. Für die Medizin von Bedeutung sind aber beispielsweise bereits durch Gewebezüchtung (tissue engineering ) hergestellte Gefäßprothesen und Herzklappen.“68 Die Kultivierung von niederen Organismen wie Bakterien, Pilzen oder Hefezellen kann für einzelne wissenschaftliche Fragestellungen ebenfalls Erkenntnisse liefern. 5.1.2. Computer-Modelle Es ist wünschenswert, dass sich alle Funktionen des lebenden Körpers im Computermodell abbilden lassen. So wäre es auch möglich, die Wirkung einer neuen Substanz in Simulation zu testen . Zum derzeitigen Zeitpunkt lassen sich zwar einzelne Organ- und Zellfunktionen gut simulieren , allerdings ist die ganzheitliche Betrachtung im Körper im Computermodell noch nicht möglich . Ein breit angelegtes Forschungsprojekt ist in diesem Zusammenhang das von der EU aufgelegte und geförderte „Human Brain Project“.69 Innerhalb dieses Projekts arbeiten Wissenschaftler daran, Teile des Gehirns mit computerbasierten Modellen zu simulieren. Sie verfolgen dabei das Ziel, das menschliche Gehirn und seine grundlegenden Funktionen besser zu verstehen. Dadurch könnte man in der Zukunft die Zahl der Tierversuche innerhalb der Neurowissenschaften reduzieren .70 5.1.3. Studien an und mit Menschen Im Rahmen von Studien an freiwilligen Probanden, werden beim sogenannten „Microdosing“ Wirkstoffe in so geringen Mengen verabreicht, „dass man davon ausgehen kann, dass sie keinen gesundheitlichen Schaden verursachen sollten. Mit empfindlichen Methoden misst man dann, 68 https://www.tierversuche-verstehen.de/alternativmethoden/. 69 Die Europäische Kommission fördert seit 2013 das Human Brain Project (HBP) (zunächst für 10 Jahre). Innerhalb dieses Projekts soll das gesamte Wissen über das menschliche Gehirn zusammengefasst werden und mittels computerbasierter Modelle und Simulationen nachgebildet werden: https://www.humanbrainproject .eu/en/. Projektpartner aus den Europäischen Mitgliedstaaten sind auf den Seiten des Projekts abrufbar: https://www.humanbrainproject.eu/en/open-ethical-engaged/contributors/partners/. 70 https://www.tierversuche-verstehen.de/alternativmethoden/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 22 wie sich ein Wirkstoff im Körper bei der Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechselung und Ausscheidung der Substanz verhält. Positive oder heilende Effekte auf den Menschen lassen sich beim Microdosing allerdings nicht bestimmen. Neben der ethischen Problematik des Versuchs am Menschen (Hippokratischer Eid und ärztliche Ethik), müssen aber auch die Wirkstoffe, die im Microdosing getestet werden, zunächst entwickelt werden. Insofern ist das Microdosing eher als erster Schritt vom Versuch im Tier zur Anwendung am Menschen zu verstehen.“71 Zudem können auch Bevölkerungsstudien sowie Studien an Leichen wichtige Hinweise auf wissenschaftliche Fragen geben. 5.1.4. Bildgebende Verfahren Mittels nichtinvasiver Methoden, wie der Computertomographie (CT) oder die Magnetresonanztomographie (MRT) lassen sich dreidimensionale Darstellungen von Geweben und Organen visualisieren. Hiermit können die Leistungen bestimmter Hirnareale oder das Verhalten von Wirkstoffen bei Gesunden und Patienten beobachtet und verglichen werden. Allerdings stößt dies an Grenzen, wenn unter normierten und gleichen Bedingungen komplexe Funktionen einzelner Nervenzellen im Gehirn oder im Wechselspiel mit dem Hormonsystem untersucht werden sollen. Hierbei ist man auf ein Tierexperiment angewiesen. 5.2. Bf3R, set und Tierschutzforschungspreises des BMEL (WD 5) Informationen zur Förderung alternativer Methoden durch das BMEL finden sich in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Amira Mohamed Ali, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE „Forschung zu Ersatzmethoden für Tierversuche“ vom 19. Juni 2020.72 In der Antwort auf die Fragen 1 bis 4 werden vier Projekte hervorgehoben, die zum Ziel haben, Tierversuche möglichst schnell durch alternative Methoden zu ersetzen bzw. die Anzahl verwendeter Versuchstiere zu reduzieren: der Betrieb des Deutschen Zentrums zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R), die Forschungsförderung durch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), die Unterstützung der Stiftung zur Förderung der Erforschung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zur Einschränkung von Tierversuchen (set) sowie die Vergabe des Tierschutzforschungspreises des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). 71 Ebenda. 72 BT-Drs. 19/20238, https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/202/1920238.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 23 Zu seinen Aktivitäten schreibt das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren am Bundesinstitut für Risikobewertung (Bf3R) auf seiner Internetseite: „Das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) vergibt Mittel für wissenschaftliche Forschungsprojekte mit dem Ziel, Alternativmethoden im Sinne des 3R-Prinzips zu entwickeln. Darüber hinaus koordiniert das Bf3R die bundesweite Vergabe von Fördermaßnahmen zu 3R-relevanter Forschung. Dabei beraten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Bf3R andere Bundesländer bei der Vergabe von Fördergeldern für 3Rrelevante Forschung. Darüber hinaus berät das Bf3R das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) bei der Vergabe des Deutschen Tierschutzforschungspreises. Das Bf3R unterstützt finanziell und beratend die SET-Stiftung zur Förderung der Erforschung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zur Einschränkung von Tierversuchen.“73 Am Bf3R ist zudem die Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (ZEBET) angesiedelt.74 Die Stiftung set beschreibt ihre Tätigkeit folgendermaßen: „Das gemeinsame Anliegen ist die Verbesserung, Verringerung und Vermeidung von Tierversuchen . Die Stiftung set leistet konstruktive Zusammenarbeit zwischen Industrie, Tierschutzorganisationen , Wissenschaft und Behörden, um aktiv alternative 3R-Methoden zu fördern. An die unterstützten Forschungsprojekte ist der Anspruch geknüpft, die Zahl und/oder die Belastung der Versuchstiere konsequent und mit möglichst großer Breitenwirkung zu senken. Die Tätigkeit der Stiftung konzentriert sich überwiegend auf drei Schwerpunktbereiche: Förderung der wissenschaftlichen Kommunikation über den Stand der 3R-Forschung Förderung von neuen Ersatz- und Ergänzungsmethoden, besonders in den Bereichen, in denen belastende Tierversuche bisher noch durchgeführt werden müssen Förderung von Maßnahmen, die – wie die Anwendung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden in der Ausbildung – zu einer breiten Anwendung in der wissenschaftlichen Forschung beitragen 73 https://www.bfr.bund.de/de/deutsches_zentrum_zum_schutz_von_versuchstieren.html#:~:text=Das%20Deutsche %20Zentrum%20zum%20Schutz,F%C3%B6rderma%C3%9Fnahmen%20zu%203R%2Drelevanter %20Forschung. 74 https://www.bfr.bund.de/de/a-z_index/zentralstelle_zur_erfassung_und_bewertung_von_ersatz_und_ergaenzungsmethoden _zum_tierversuch__zebet_-4541.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 24 Die Stiftung set möchte darüber hinaus die Chancen, die 3R-Methoden im wissenschaftlichen und industriellen Bereich bieten, in einem möglichst großen Kreis potenzieller Anwender etablieren.“75 Der Tierschutzforschungspreis des BMEL, mit dem die Forschung an Alternativmethoden zum Tierversuch gefördert wird, wird jährlich ausgeschrieben: https://www.bmel.de/DE/themen /tiere/tierschutz/tierschutzforschungspreis.html. Im Jahr 2019 wurde eine Arbeit prämiert76, in der ein Verfahren entwickelt worden war, mit dem die Nutzung von Versuchstieren für die Testung von pharmazeutischen Substanzen deutlich reduziert werden kann. Es handelt sich um ein Vorhersagesystem für Lebertoxizität in der Kulturschale. Dies beruht auf einer mathematischen Ableitung der geeigneten Maßzahlen, welche bestmöglich zwischen lebertoxischen und nichttoxischen Substanzen unterscheiden können.77 6. Finanzierung von Tierversuchen und Forschung an Alternativmethoden (WD 8) Nach Angaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hat dieses rund 600 Projekte zur Entwicklung von Methoden zum Ersatz von Tierversuchen mit einem Fördervolumen von insgesamt mehr als 190 Millionen Euro finanziert.78 Im Dezember 2015 wurde vom BMBF in diesem Zusammenhang die Richtlinie zur Förderung von „Alternativmethoden zum Tierversuch" veröffentlicht.79 Die derzeit ausgeschriebenen Projekte sind in der Förderdatenbank von Bund, Länder und EU abrufbar.80 Näheres zur Förderung von tierversuchsfreien Alternativmethoden ist der Antwort der Bundesregierung vom 19. Juni 2020 auf die Kleine Anfrage „Forschung zu Ersatzmethoden für Tierversuche “81 zu entnehmen: „Im Rahmen der einschlägigen Maßnahmen des BMBF wurden im Jahr 2019 insgesamt 8.797.514 Euro Fördermittel für die Anwendung, Weiterentwicklung und Validierung tierversuchsfreier Methoden verausgabt. Daneben stellt das BMEL für das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) jährlich finanzielle Mittel in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro für den in Frage stehenden Bereich zur Verfügung. Für die Anwendung, Weiterentwicklung und Validierung tierversuchsfreier Forschungsmethoden wurden außerdem im Jahr 2019 vom BfR Haushaltsmittel in Höhe von 4.367.639 Euro ausgegeben. Zudem hat das BMEL im Jahr 2019 den Tierschutzforschungspreis für die Entwicklung 75 http://www.stiftung-set.de/stiftung-set/mission/ . 76 https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/211-tierschutzforschungspreis.html. 77 https://www.ifado.de/2019/10/22/tierschutzforschungspreis-2019-bmel/. 78 BMBF. Alternativen zum Tierversuch. https://www.bmbf.de/de/alternativen-zum-tierversuch-412.html. 79 https://www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-1124.html. 80 https://www.foerderdatenbank.de/FDB/DE/Home/home.html. 81 Bundestagsdrucksache 19/20238. S. 4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 087/20, WD 5 - 3000 - 131/20, WD 9 - 3000 - 105/20 Seite 25 und Etablierung eines Zellkulturverfahrens, mit dem Tierversuche im Bereich der Arzneimittelzulassung ersetzt werden können, mit 25.000 Euro vergeben sowie die Stiftung zur Förderung der Erforschung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zur Einschränkung von Tierversuchen (Stiftung set) mit 100.000 Euro unterstützt.“ Hinsichtlich der Finanzierung von Tierversuchen heißt es:82 „Eine differenzierte Darstellung der Mittel, die im Jahr 2019 für die Anwendung oder Weiterentwicklung von tierexperimenteller Forschung zur Verfügung gestellt wurden, ist nicht möglich. Anders als bei der Vergabe von Mitteln mit dem Zweck der Entwicklung von Alternativmethoden zum Tierversuch vergibt die Bundesregierung keine Mittel, die die Durchführung von Tierversuchen fördern sollen. Vielmehr werden Projekte gefördert, die vielfältigen Zwecken dienen, zu deren Erreichen teilweise Tierversuche erforderlich sind. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass der Begriff des Tierversuchs weitgefasst ist. So fallen teilweise auch Tier- oder Artenschutzprojekte unter den Begriff (z. B. Telemetriestudien ).“ *** 82 Ebenda.