© 2020 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 084/20 Zoonotische Quellen von SARS-CoV-2-Infektionen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 084/20 Seite 2 Zoonotische Quellen von SARS-CoV-2-Infektionen Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 084/20 Abschluss der Arbeit: 17. November 2020 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 084/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zoonosen 4 3. Corona-Ausbrüche in Nerzfarmen in den Niederlanden und in Dänemark 5 3.1. Niederlande 5 3.2. Dänemark 7 4. Wissenschaftliche Arbeiten zu Corona-Ausbrüchen im Tierreich 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 084/20 Seite 4 1. Einleitung Infolge der Ausbrüche von COVID-19 in Nerzfarmen in Dänemark und Niederlande wird die Möglichkeit des Überspringens des Erregers, des SARS-CoV-21-Virus, auf verschiedene Tierarten diskutiert.2 Dabei sind verschiedene Fragen weiterhin nicht vollständig geklärt, beispielsweise in welchen anderen Tierarten ein Ausbruch der Krankheit in größerem Ausmaß zu erwarten ist oder welche Mutanten (veränderte Erregerformen) bereits existieren. Es liegt es nahe, dass auch verwandte Tierarten wie Wiesel, Dachs, Otter, Frettchen, Marder und Vielfraße in Betracht kommen. In der vorliegenden Arbeit wird zunächst eine Einführung in Infektionskrankheiten, die zwischen Mensch und Tieren übertragbar sind (Zoonosen), gegeben. Sodann werden die in Europa bekannt gewordenen Ausbrüche von Corona in Nerzfarmen in den Niederlanden und Dänemark beschrieben und auf die bislang vorliegenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse hierzu eingegangen . Abschließend wird die Frage beleuchtet, für welche Tierarten bislang bekannt ist, dass sie empfänglich sind für das SARS-CoV-2-Virus, in welchem Ausmaß sie erkranken und ob eine Reinfektion des Menschen durch sie möglich ist. 2. Zoonosen Als Zoonose3 werden Infektionskrankheiten bezeichnet, die sowohl bei Tieren als auch Menschen vorkommen. Sie können vom Tier auf den Menschen, aber auch vom Menschen auf Tiere übertragen werden. Infektionskrankheiten, die durch Tiere auf den Menschen übertragen werden können, sind keine Seltenheit. Tatsächlich sind rund Zweidrittel aller Erreger, die bei Menschen Infektionserkrankungen auslösen, durch Tiere übertragbar.4 Eines der bekanntesten Beispiele ist die Salmonellose . Salmonellen sind Bakterien, die beim Menschen eine Durchfallerkrankung hervorrufen. Neben einer Infektion des Menschen - beispielsweise durch verunreinigtes Wasser – spielt insbesondere der Infektionsweg über Geflügel und Geflügelprodukte (Eierschale) eine wichtige Rolle. In Deutschland unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein Informationsnetzwerk , die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen, zum fachlichen Austausch und der Förderung interdisziplinärer Kooperation in diesem Sektor. Weiterhin fördern auch das 1 SARS(severe acute respiratory syndrome)-CoV(coronavirus)-2, Erreger der Corona-Erkrankung, COVID 19 coronavirus disease 2019). 2 The Guardian vom 5. November 2020: Danish Covid-19 mink variant could spark new pandemic, scientists warn; https://www.theguardian.com/environment/2020/nov/05/danish-covid-19-mink-variant-could-sparknew -pandemic-scientists-warn. 3 Der Begriff Zoonose leitet sich aus den griechischen Wörtern zoon (Lebewesen) und nosos (Krankheit) ab. 4 https://www.bfr.bund.de/de/zoonosen.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 084/20 Seite 5 Bundesministerium für Gesundheit (BMG), das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sowie das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) das Netzwerk.5 Derzeit wird davon ausgegangen, dass der Ursprung der SARS-CoV-2-Pandemie in einer Übertragung des Virus von Fledermäusen auf den Menschen liegt. Wie dies genau erfolgte, ist unbekannt . Aufgrund dieser zoonotischen Herkunft ist es unwahrscheinlich, dass SARS-CoV-2 ausschließlich Menschen infiziert. Es liegt also nahe, dass prinzipiell verschiedene Tierarten ebenso wie der Mensch infiziert werden können. Forschungsbedarf besteht allerdings weiterhin in Hinblick auf die Frage, wie und in welchem Ausmaß Tiere SARS-CoV-2 auf Menschen übertragen können und inwieweit Menschen dieses Virus auf Tierarten übertragen können. Auch ist die Symptomatik in verschiedenen Tieren unterschiedlich stark ausgeprägt.6 3. Corona-Ausbrüche in Nerzfarmen in den Niederlanden und in Dänemark Die größten Pelzproduzenten in Europa sind Dänemark, Polen und die Niederlande. Die ersten Berichte eines Überspringens des SARS-CoV-2 Virus vom Menschen auf Nerze stammen aus den Niederlanden. Derzeit (Stand: 6. November 2020) haben sechs Länder: Dänemark, die Niederlande , Spanien, Schweden, Italien und die Vereinigten Staaten von Amerika, SARS-CoV-2 in Nerzen der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) gemeldet.7 In Deutschland existieren seit 2018 keine Nerzfarmen mehr. 3.1. Niederlande In den Niederlanden ist 2013 beschlossen worden, mit einer 11-jährigen Übergangsfrist bis 2024 den Betrieb sämtlicher Nerzfarmen aufzugeben. Diese Regelung ist mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der Niederlande vom 16. Dezember 2016 für rechtmäßig erklärt worden.8 Aufgrund der seit Frühsommer auftretenden Coronainfektionen in niederländischen Nerzfarmen stimmte allerdings das niederländische Parlament am 23. Juni 2020 für die sofortige Einstellung der Nerzzucht und eine Entschädigung der Pelzfarmer.9 Allerdings könnten ggf. Landwirte ihre 5 Weiterführende Informationen finden sich im Internet unter: https://www.zoonosen.net/startseite. 6 Salajegheh Tazerji, S. et al. Transmission of severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2) to animals: an updated review. J Transl Med 18, 358 (2020). https://doi.org/10.1186/s12967-020-02534-2. 7 Informationen der Weltgesundheitsorganisation WHO vom 6. November 2020: https://www.who.int/csr/don/06-november-2020-mink-associated-sars-cov2-denmark/en/. 8 Gesamter Vorgang in niederländischer Sprache: https://uitspraken.rechtspraak.nl/inziendocument?id=E- CLI:NL:HR:2016:2888. Urteil des Obersten Gerichtshofs: ECLI: NL: HR: 2016: 2888: https://uitspraken.rechtspraak.nl/inziendocument ?id=ECLI:NL:PHR:2016:898. 9 Dina Fine Maron: Coronavirus ist der Sargnagel für die Nerzzucht in den Niederlanden; National Geographic vom 30. Juni 2020: https://www.nationalgeographic.de/tiere/2020/06/coronavirus-ist-der-sargnagel-fuer-dienerzzucht -in-den-niederlanden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 084/20 Seite 6 Farmen wieder für weitere drei Jahre eröffnen, wenn es eindeutige Belege dafür gibt, dass das Virus verschwunden sei.10 Bereits am 23. und 25. April dieses Jahres wurde aus den Niederlanden berichtet, dass sich Mitarbeiter zweier Nerzfarmen (mit jeweils 12.000 bzw. 7.500 Tieren) womöglich bei Nerzen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert hätten.11 Es wurde allerdings davon ausgegangen, dass eine weitere Verbreitung durch die Tiere unwahrscheinlich sei. Die untersuchenden Behörden wiesen zudem das Virus in drei Katzen auf den Farmen nach.12 Am 11. Juni 2020 wurde in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Eurosurveillance“ eine erste Analyse der Infektionsvorgänge in zwei niederländischen Nerzfarmen (North Brabant) veröffentlicht .13 Sequenzanalysen von Nerz-abgeleiteten Viren sowie vom Menschen abgeleiteten lassen den Schluss zu, dass zwischen den beiden betroffenen Farmen keine Übertragung stattfand und dass mindestens ein Mitarbeiter durch einen Nerz infiziert wurde. Eingetragen wurde das Virus nach diesen Erkenntnissen sehr wahrscheinlich durch infizierte Menschen. Der von den Wissenschaftlern angenommene Übertragungsweg zwischen den Nerzen schließt von Menschen bereitgestelltes Futter- oder Einstreumaterial, infektiöse Tröpfchen von den infizierten Tieren, Fäkalien und kontaminierten Staub ein. Der genaue Infektionsweg und damit die berufliche Gefahr für Mitarbeiter werden weiter untersucht. In einem Bericht in der Zeitschrift „Science“ vom 12. Juni 202014 wird berichtet, dass seit dem 6. Juni 2020 die Niederlande mit der Tötung (durch Gas) von zahlreichen Nerzen begonnen haben . Grund hierfür ist die Befürchtung, dass eine Rückübertragung des Virus auf den Menschen stattfinden könnte. In den ersten beiden Nerzfarmen in den Niederlanden, in denen Corona-Ausbrüche im April auftraten, war aufgefallen, dass mehr Nerze als gewöhnlich verstarben. Einige hatten Nasenausfluss oder Atembeschwerden. In beiden Farmen wurde das Virus von Mitarbeitern eingetragen. In dem Artikel wird angegeben, dass zum Publikationszeitpunkt 12 von etwa 130 niederländischen Nerzfarmen betroffen seien. Obwohl die Tiere in unterschiedlichen Ställen gehalten wurden, habe sich das Virus sehr schnell verbreitet. Die Sterblichkeitsrate unterschied sich zwischen den Farmen stark. Während sie in einem Fall unerheblich war, betrug sie in einer anderen Farm zehn Prozent der infizierten Tiere. Zu dem Zeitpunkt wurden weder aus China 10 Science Editor Martin Enserink: Coronavirus rips through Dutch mink farms, triggering culls; Science vom 12. Juni 2020: Vol. 368, Issue 6496, pp. 1169; DOI: 10.1126/science.368.6496.1169. 11 Ebd. 12 Ärzteblatt: Niederlande: Offenbar weitere Infektion mit SARS-CoV-2 vom Nerz auf Menschen; 26. Mai 2020; https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/113159/Niederlande-Offenbar-weitere-Infektion-mit-SARS-CoV-2-vom- Nerz-auf-Menschen. 13 Oreshkova N, et al.: SARS-CoV-2 infection in farmed minks, the Netherlands, April and May 2020. Euro Surveill . 2020 Jun;25(23):2001005. doi: 10.2807/1560-7917.ES.2020.25.23.2001005. PMID: 32553059; PMCID: PMC7403642. 14 Science Editor Martin Enserink: Coronavirus rips through Dutch mink farms, triggering culls; Science vom 12. Juni 2020: Vol. 368, Issue 6496, pp. 1169; DOI: 10.1126/science.368.6496.1169. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 084/20 Seite 7 noch aus Dänemark oder Polen Infektionsfälle von Nerzfarmen gemeldet. Weibliche Nerze gebären in den Monaten April und Mai, was zu einer Vervierfachung der Nerzpopulation führt. Man geht zwar davon aus, dass mütterliche Antikörper in der Milch die Jungtiere eine Zeitlang schützen , aber später könnten sie anfällig werden. Daher könne es im Herbst eine zweite Welle geben. Vor diesem Hintergrund wurden umfangreiche Tötungen vorgenommen. Am 14. Juli 2020 erschien in der Zeitschrift Veterinary Pathology eine weitere Analyse, die das Infektionsgeschehen in vier Nerzfarmen in den Niederlanden untersucht.15 Dabei handelt es sich um zwei bereits oben erwähnte Nerzfarmen sowie zwei weitere, in denen ab Mai 2020 ebenfalls Infektionen beobachtet wurden. In allen Farmen waren die klinischen Anzeichen eine erschwerte Atmung und wässrige bis schleimige Nasenausscheidungen. Die klinischen Symptome wurden ein bis zwei Tage beobachtet; dann hörten die Tiere normalerweise das Fressen auf und wurden am darauffolgenden Tag tot aufgefunden. Es wird berichtet, dass alle Tiere, die mittelschwere bis schwere Anzeichen zeigten, verstorben seien. Weibliche Tiere, die erkrankten und aufhörten zu fressen, verloren eine große Anzahl von Welpen. In den verstorbenen Welpen wurden keine klinischen Symptome festgestellt und es ist unklar, ob sie aufgrund der Virusinfektion oder aufgrund mangelnder Muttertierfürsorge verstorben sind. Untersuchungen der verstorbenen Tiere zeigten verschiedene Veränderungen der Lunge; in denjenigen Tiere, die nicht an einer Pneumonie verstorben waren auch andere Symptome (Leberlipidose, Anzeichen von Sepsis etc.) nachweisbar . Die makroskopischen Untersuchungen in Jungtieren waren unterschiedlich. Während größtenteils makroskopisch keine Veränderungen beobachtet wurden, zeigten einige Auffälligkeiten der Lunge. 3.2. Dänemark Seit Juni 2020 wurden in Dänemark 214 Fälle von COVID-19 beim Menschen mit SARS-CoV-2- Varianten im Zusammenhang mit Nerzen identifiziert, darunter 12 Fälle mit einer einzigartigen Variante. Alle 12 Fälle wurden im September 2020 in Nordjütland, Dänemark, identifiziert. Die Betroffenen waren zwischen sieben und 79 Jahre alt. Acht von ihnen standen in Zusammenhang mit Nerzzuchtfarmen. Insgesamt vier Betroffene stammten aus dem direkten örtlichen Umfeld.16 Nach bisherigen Erkenntnissen liegt es nahe, davon auszugehen, dass diese neue Variante sich in der klinischen Symptomatik und Schwere mit dem bereits zirkulierenden SARS-CoV-2 vergleichen lässt. Die Variante wird als „Cluster 5“ bezeichnet und trägt einige Veränderungen, die bislang nicht beobachtet wurden. Presseberichten zufolge sind derzeit (Stand 9. November 2020) in Dänemark über 200 Menschen mit einem SARS-CoV-2 Virus in Zusammenhang mit Nerzen infiziert. Über Teilen des Landes 15 Molenaar RJ, Vreman S, Hakze-van der Honing RW, Zwart R, de Rond J, Weesendorp E, Smit LAM, Koopmans M, Bouwstra R, Stegeman A, van der Poel WHM. Clinical and Pathological Findings in SARS-CoV-2 Disease Outbreaks in Farmed Mink (Neovison vison). Vet Pathol. 2020 Sep;57(5):653-657. doi: 10.1177/0300985820943535. Epub 2020 Jul 14. PMID: 32663073. 16 Informationen der Weltgesundheitsorganisation WHO vom 6. November 2020: https://www.who.int/csr/don/06-november-2020-mink-associated-sars-cov2-denmark/en/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 084/20 Seite 8 wurde deshalb ein Lockdown verhängt, das UK17 verhängte ein Einreiseverbot für Besucher aus Dänemark. Dabei zeigen sich dänische Wissenschaftler besorgt über die bereits erwähnte Virusvariante , die bei 12 infizierten Personen gefunden wurde und die ihrer Meinung nach ggf. weniger empfindlich gegenüber schützenden Antikörpern ist. Bislang sei es allerdings zu früh, dies abschließend beurteilen zu können.18 Auch eine Beurteilung, welche Auswirkungen allgemein verschiedene Mutanten auf die Wirksamkeit von Impfstoffen haben, kann derzeit nicht gegeben werden .19 Am 2. November 2020 hatte das dänische Statens Serum Institut (SSI)20 seine Ergebnisse zu den Untersuchungen der Variante bekannt gegeben. Am 3. November 2020 übermittelten sie ihre Risikobewertung dem Gesundheitsministerium. Am 4. November 2020 teilte das SSI seine Informationen über die Virusvariante „Cluster 5“ im Europäischen Frühwarnsystem (EWRS) und dem IHR (International Health Regulations) der WHO mit.21 In einer Information vom 5. November 2020 teilt das SSI mit, dass ihr Befund besorgniserregend sei, da er möglicherweise Auswirkungen auf die künftigen Auswirkungen eines künftigen COVID-19-Impfstoffes auf die Infektion mit dieser und anderen neuen Nerzvarianten haben könne.22 Die neue Variante könnte eine geringere Sensitivität gegenüber Antikörpern zeigen, so dass ggf. ein Impfstoff weniger wirksam sein könnte.23 Am 4. November 2020 teilte die dänische Regierungschefin mit, dass geplant sei, alle Nerze aufgrund des Auftretens der mutierten Form töten zu wollen. Damit wolle man auch verhindern, dass möglicherweise ein Impfstoff weniger wirksam sei. Es bildete sich allerdings ein starker Widerstand gegen diesen Plan. Aus juristischer Sicht sei es auch gegebenenfalls illegal, so der Jura- Professor Frederik Waage von der „University of Southern Denmark“.24 Auch aus der Wissenschaft , wie beispielsweise vom Veterinärmediziner Prof James Wood, Universität Cambridge, 17 Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland, UK. 18 Helen Briggs: What's the science behind mink and coronavirus? BBC News vom 10. November 2020; https://www.bbc.com/news/science-environment-54842643. 19 The Lokal DK: Scientists call for calm over Danish mink Covid; vom 8. November 2020; https://www.thelocal .dk/20201108/scientists-call-for-calm-over-mutant-mink-coronavirus. 20 Statens Serum Institut ist das zentrale Labor und Zentrum des dänischen Gesundheitsdienstes für die Prävention und Behandlung von Infektionskrankheiten, angeborenen Krankheiten und biologischen Bedrohungen. 21 Informationen des SSI vom 10. November 2020: https://www.ssi.dk/aktuelt/nyheder/2020/ssis-deling-af-dataom -cluster-5-sars-cov-2-minkvariant-virus. 22 Informationen des SSI vom 5. November 2020: https://www.ssi.dk/aktuelt/nyheder/2020/mutationer-i-minkvirus . 23 Ebd. 24 The Guardian vom 9. November 2020: Denmark drops plans for mass mink cull after Covid mutation fears https://www.theguardian.com/environment/2020/nov/09/denmark-drops-plans-for-mass-mink-cull-after-covidmutation -fears. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 084/20 Seite 9 waren Zweifel laut geworden und zu Bedenken gegeben worden, dass es zu früh sei, eine Aussage zu treffen, ob die Mutation die Wirksamkeit von Impfstoffen beeinflussen könne.25 4. Wissenschaftliche Arbeiten zu Corona-Ausbrüchen im Tierreich Nach den Vorfällen in Nerzfarmen in den Niederlanden und in Dänemark liegt die Frage nahe, ob andere Tierarten, insbesondere Haustierarten, ebenfalls für den SARS-CoV-2 Virus empfänglich sind und ob sich hieraus eine Gefahr für die Halter ergeben. Eine Auflistung der bisherigen Erkenntnis hinsichtlich der Empfänglichkeit von SARS-CoV-2 in verschiedenen Tierarten findet sich in einer Arbeit, die am 9. Oktober 2020 in „Transboundary and Emerging Diseases“ erschienen ist.26 Hierin wird auch unterschieden, ob die Erkenntnis auf Beobachtungen einer Infektion in natürlichem Umfeld beruht oder es sich um ein Experiment handelt. In Rhesusaffen, Hamstern , Katzen (auch Löwen, Tiger), Frettchen, Nerzen, Hunden, Fledermäusen, Rindern, Hasen, Schafen wurden niedrige bis hohe (teils experimentelle) Empfänglichkeiten für SARS-CoV-2 bislang nachgewiesen. In den vergangenen Monaten sind zahlreiche Forschungsarbeiten und wissenschaftliche Übersichtsartikel erschienen, die sich der Fragestellung nach der Übertragbarkeit zwischen Mensch und Tier widmen. Im Folgenden wird eine Auswahl dieser Arbeiten kurz dargestellt. Im August 2020 erschien in der Zeitschrift „Veterinary Microbiology“ ein Übersichtsartikel,27 in dem unter Schwerpunktsetzung auf Katzen überprüft wird, inwiefern eine SARS-CoV-2-Infektion bei Katzen, Frettchen und Hunden im Vergleich zu anderen natürlichen Coronaviren möglich ist. Die Autoren gehen dabei auf vergleichende Analysen des Enzyms ACE2 ein. Auf die Bedeutung 25 Science Media Center: „expert reaction to news report on mink being culled in Denmark due to fears of a new SARS-CoV-2 mutations“, 5. November 2020. https://www.sciencemediacentre.org/expert-reaction-to-news-report -on-mink-being-culled-in-denmark-due-to-fears-of-a-new-sars-cov-2-mutations/. 26 Jo WK. et al.: Potential zoonotic sources of SARS-CoV-2 infections. Transbound Emerg Dis. 2020 Oct 9. doi: 10.1111/tbed.13872. Epub ahead of print. PMID: 33034151. 27 Stout AE. et al.: Coronaviruses in cats and other companion animals: Where does SARS-CoV-2/COVID-19 fit? Vet Microbiol. 2020 Aug;247:108777. doi: 10.1016/j.vetmic.2020.108777. Epub 2020 Jun 23. PMID: 32768223; PMCID: PMC7309752. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 084/20 Seite 10 von ACE2 für eine Corona-Erkrankung war schon sehr früh in der Pandemie hingewiesen worden .28 ACE2 ist der Rezeptor für verschiedene SARS-Coronaviren.29 Der SARS-CoV-2 Virus benutzt dieses Enzym, um in die Zellen zu gelangen.30 Exprimiert wird das Enzym im Herzen, in der Lunge, Niere, im Endothel und im Magen-Darm-Trakt. In einer Studie, die im August dieses Jahres als Preprint erschienen ist31, haben Wissenschaftler Komplexe aus viralem Spike-Protein32 und ACE2 in 215 Wirbeltierarten modelliert. Aus den Ergebnissen schließen die Forscher, dass prinzipiell eine breite Palette von Säugetieren infiziert werden kann, allerdings weniger Fische, Vögel oder Reptilien. In dem zitierten Übersichtsartikel in „Veterinary Microbiology“ werden Literaturhinweise zusammen getragen, die belegen, dass SARS-CoV-2-Infektionen bei Katzen bereits beschrieben wurden . Im Allgemeinen führen sie zu leichten Atemwegserkrankungen. Zudem wurde bei mehreren Katzen in Wuhan, China, eine Antikörperreaktion nachgewiesen. Derzeit gebe es keine endgültigen Belege dafür, dass eine vorherige Exposition gegenüber anderen weit verbreiteten Katzen- Coronaviren vor SARS-ähnlichen Viren schütze. Vorstudien zeigten jedoch, dass eine Übertragung zwischen Katzen möglich sei. Forschungsbedarf bestehe weiterhin hinsichtlich der Fragen zum Ausmaß der Infektion in der Katzenpopulation, zu klinischen Symptomen und zum Potenzial für eine Übertragung zwischen Katzen oder anderen Tieren, einschließlich des Menschen. Eine plausible Erklärung für die Anfälligkeit für eine SARS-CoV-2 Infektion bei Katzen liege in der hohen Ähnlichkeit zwischen der menschlichen und der katzenartigen Form des SARS-CoV-2-Rezeptors ACE2. Frettchen seien auch anfällige Wirte für SARS-CoV-2, aber die Gründe dafür seien unklar und schienen nicht auf die Ähnlichkeit des Rezeptors zurückzuführen zu sein. Es könne sein, dass Frettchen und Menschen gemeinsame Eigenschaften in Bezug auf die Architektur ihrer jeweiligen Atemwege haben, was sie zu anfälligen Wirten mache. Hunde gelten derzeit nicht als anfällige Wirte für SARS- CoV-2, obwohl es einzelne positiv getestete Tiere gibt. Im September 2020 ist ein Übersichtsartikel in „Journal of Translational Medicine“ erschienen, in dem Informationen über die bislang gemeldeten Fälle einer COVID-19-Übertragung bei Tieren 28 Zhou P. et al.: A pneumonia outbreak associated with a new coronavirus of probable bat origin. Nature. 2020 Mar;579(7798):270-273. doi: 10.1038/s41586-020-2012-7. Epub 2020 Feb 3. PMID: 32015507; PMCID: PMC7095418. Wan Y. et al.: Receptor Recognition by the Novel Coronavirus from Wuhan: an Analysis Based on Decade-Long Structural Studies of SARS Coronavirus. J Virol. 2020 Mar 17;94(7):e00127-20. doi: 10.1128/JVI.00127-20. PMID: 31996437; PMCID: PMC7081895. 29 M. Bader: ACE2 – das missbrauchte Multitalent; Nephrologe. 2020 Jul 15 : 1–4. doi: 10.1007/s11560-020-00448- 0; https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7362321/. 30 Um in Wirtszellen einzudringen, wird das virale Spike-Protein verwendet (S-Protein). Dieses bindet an seinen Rezeptor, ACE2, und wird dann von dem Enzym TMPRSS2 verarbeitet. 31 Lam SD et al.: SARS-CoV-2 spike protein predicted to form complexes with host receptor protein orthologues from a broad range of mammals; https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2020.05.01.072371v6.full.pdf. 32 Protein in der Virushülle zur Bindung an die Wirtszelle. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 084/20 Seite 11 aus der wissenschaftlichen Literatur zusammengetragen werden. Es werden genomische und phylogenetische Analysen von SARS-CoV-2 von aus tierischen Wirten isolierten Sequenzen durchgeführt.33 In der Arbeit werden Beispiele für die Übertragung von SARS-CoV-2 von COVID-19 positiven Personen auf Tiere aufgeführt bzw. nach Erklärungen für einen Übertragungsmechanismus gesucht : - In Belgien wurde im März 2020 berichtet, dass eine Katze durch ihren Besitzer infiziert worden war.34 Diese Katze zeigte Atembeschwerden, Erbrechen und Durchfall, was auf eine aktive Replikation des Virus im Tier hinweisen kann. - Bei jugendlichen Katzen, denen künstlich das Virus verabreicht wurde, beobachtet man histologische Läsionen bis hin zum Tod der Tiere.35 - Hunde scheinen den Virus nicht effizient zu replizieren und zeigen daher eine geringe Anfälligkeit. Schweine, Hühner und Enten zeigen sich hingegen nicht anfällig für SARS- CoV-2.36 - Die Anfälligkeit von Katzen und Frettchen für SARS-CoV-2 könnte dem ACE2-Protein zugeschrieben werden.37 - Studien, die die Region untersuchten, in der das Virus an ACE2 bindet, kommen zum Ergebnis , dass es nicht wahrscheinlich sei, dass Mäusen, Ratten und Kaninchen an der SARS-CoV-2-Verbreitung beteiligt seien.38 Frettchen, Orang-Utans und Affen zeigten hingegen eine höhere Affinität in der Binderegion.39 33 Salajegheh TS et al.: Transmission of severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2) to animals: an updated review. J Transl Med. 2020 Sep 21;18(1):358. doi: 10.1186/s12967-020-02534-2. PMID: 32957995; PMCID: PMC7503431. 34 The Brussels Times vom 6. März 2020: https://www.brusselstimes.com/news/belgium-all-news/103003/coronavirus -belgian-woman-infected-her-cat/. 35 Shi J. et al: Susceptibility of ferrets, cats, dogs, and other domesticated animals to SARS-coronavirus 2. Science. 2020 May 29;368(6494):1016-1020. doi: 10.1126/science.abb7015. Epub 2020 Apr 8. PMID: 32269068; PMCID: PMC7164390. 36 Ebd. 37 Lai CC. et al.: Severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2) and coronavirus disease-2019 (COVID-19): the epidemic and the challenges. Int J Antimicrob Agents. 2020. Hoffmann M. et al.: SARS-CoV-2 cell entry depends on ACE2 and TMPRSS2 and is blocked by a clinically proven protease inhibitor. Cell. 2020;181:271–80. 38 Lutz C. et al.: COVID-19 preclinical models: human angiotensin-converting enzyme 2 transgenic mice. Hum Genom . 2020;14:20. https://doi.org/10.1186/s40246-020-00272-6. 39 Wan Y, Shang J, Graham R, Baric RS, Li F. Receptor recognition by novel coronavirus from Wuhan: an analysis based on decade-long structural studies of SARS. J Virol. 2020. https://doi.org/10.1128/JVI.00127-20.Return to ref 53 in article. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 084/20 Seite 12 - In den USA (Bronx Zoo, New York, USA) wurde ein 4-jähriger malaiischer Tiger von CO- VID-19-positiven Arbeitern infiziert. Zudem wurde COVID-19 bei vier Tigern und drei Löwen nachgewiesen.40 - Früher wurde bereits gezeigt, dass SARS-CoV-Viren Geflügel nicht infiziert. Da das CO- VID-19-Virus zur selben Gruppe wie SARS-CoV gehört und denselben ACE2-Wirtszellrezeptor verwendet, erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass Geflügel für COVID-19 anfällig ist. Dies ist allerdings noch nicht wissenschaftlich belegt worden.41 In einer in „Virology Journal“ im Oktober 2020 erschienenen Arbeit findet sich eine Übersicht des derzeitigen Kenntnisstandes zu Ursprung und Übertragung von SARS-CoV-2 auf den Menschen (dh. nicht alle Übertragungen des Menschen auf Tiere sind gekennzeichnet).42 40 Salajegheh Tazerji S. et al.: Transmission of severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2) to animals: an updated review. J Transl Med. 2020 Sep 21;18(1):358. doi: 10.1186/s12967-020-02534-2. PMID: 32957995; PMCID: PMC7503431. 41 Jackwood MW. What we know about avian coronavirus infectious bronchitis virus (IBV) in poultry and how that knowledge relates to the virus causing COVID-19 in humans. Associação Portuguesa de Ciência Avícola APCA. 2020. 42 Kiros M. et al.: COVID-19 pandemic: current knowledge about the role of pets and other animals in disease transmission. Virol J. 2020 Oct 2;17(1):143. doi: 10.1186/s12985-020-01416-9. PMID: 33008410; PMCID: PMC7530550. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 084/20 Seite 13 Legende43: Dargestellt werden Ursprung und Übertragung von SARS-CoV-2. Diese Abbildung zeigt den mutmaßlichen Ursprung von CoVs und die Übertragung der Krankheiten auf den Menschen mit einem besonderen Schwerpunkt auf SARS-CoV-2. Haustiere wie Katzen und Hunde sind anfällig für SARS-CoV-2 und der Mensch kann eine Infektionsquelle für sie sein. Die potenzielle Rolle von Haustieren bei der Übertragung von Krankheiten auf den Menschen ist jedoch unbekannt. Andere Tiere wie Hamster, afrikanische grüne Affen, Rhesusaffen, Waschbärhunde, Nerze, Frettchen, Tiger und Löwen sind ebenfalls anfällig für SARS-CoV-2. Von den anfälligen Tieren sind Hamster, afrikanische grüne Affen, Rhesusaffen und Frettchen potenzielle Tiermodelle. Katzen und Hamster sowie Nerze und Frettchen können das Virus auf ihre jeweiligen Partner übertragen. Nerze können eine Infektionsquelle für den Menschen sein. Angesichts der Ähnlichkeit der Expression des Zellrezeptors ACE2 wird angenommen, dass das Virus möglicherweise auch von anderen Tieren wieder auf Menschen übertragen werden kann. 43 Übersetzung durch die Autorin der Arbeit. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 084/20 Seite 14 In einem ebenfalls im Oktober 2020 erschienenen Übersichtsartikel in der Zeitschrift „Emerging Microbes & Infections“ wird besonders vor dem Potenzial einer umgekehrten Zoonose gewarnt. Das Auftreten derartiger Fälle in Haustieren, Zoos und Tierfarmen habe verdeutlicht, dass diese Tiere potenzielle Reservoirs für sekundäre zoonotische Infektionen sein könnten.44 Es wird eine Liste bislang bekannter reverser zoonotischer Ereignisse zusammengestellt. Die Referenzen beziehen sich auf Literaturhinweise innerhalb der Übersichtsarbeit und sind im Internet abrufbar45: *** 44 Munir K, Ashraf S, Munir I, Khalid H, Muneer MA, Mukhtar N, Amin S, Ashraf S, Imran MA, Chaudhry U, Zaheer MU, Arshad M, Munir R, Ahmad A, Zhao X. Zoonotic and reverse zoonotic events of SARS-CoV-2 and their impact on global health. Emerg Microbes Infect. 2020 Dec;9(1):2222-2235. doi: 10.1080/22221751.2020.1827984. PMID: 32967592. 45 https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/22221751.2020.1827984?needAccess=true.