© 2020 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 083/20 Lokale mikroklimatische Effekte durch Windkrafträder Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 2 Lokale mikroklimatische Effekte durch Windkrafträder Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 083/20 Abschluss der Arbeit: 17. Dezember 2020 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Miller & Keith: Climatic Impacts of Wind Power 6 2.1. In der Publikation benannte Einschränkungen hinsichtlich der Interpretation klimatischer Effekte 6 2.2. Darstellung der Ergebnisse der Publikation Miller & Keith 2018 7 2.3. Ausgewählte Reaktionen aus der Wissenschaft 8 2.4. Miller: The warmth of wind power 11 3. Archer et al.: The VERTEX field campaign 12 4. Auswirkung von Windrädern auf mikroklimatische Gegebenheiten 13 5. Zur Frage inwiefern lokale mikroklimatische Veränderungen infolge des Ausbaus Windkraftanlagen in den USA zu erwarten sind 15 6. Wissenschaftliche Erklärungen für die Dürreproblematik in Deutschland 16 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 4 1. Einleitung Im Zuge des Klimaschutzprogramms 2030 der Bundesregierung wird u.a. die Windenergie als eine Form der alternativen Energiegewinnung ausgebaut.1 Zu den häufigsten Kritikpunkten in der Diskussion um die Windenergie zählen gesundheitliche Beschwerden, ästhetische Aspekte sowie Auswirkungen auf Flora und Fauna. Gegenstand dieser Arbeit ist hingegen lediglich die vergleichsweise junge Kritik, dass sich infolge des Betriebs von Windkraftanlagen das sog. Mikroklima ändere.2 Als Mikroklima wird im allgemeinen Sprachgebrauch das Klima der bodennahen Luftschicht bezeichnet . Da die Oberflächen verschieden sein können, liegt es nahe, dass auch die bodennahen (mikro-)klimatischen Verhältnisse je nach Beschaffenheit des Bodens sehr unterschiedlich sind. In der (Bio-)klimatologie, Forst- und Agrarklimatologie werden diese Zustände untersucht, indem beispielsweise Strahlungs- und Wärmehaushalte von Pflanzen oder Bodenstrukturen studiert werden.3 Da wissenschaftliche Studien belegen, dass im Umfeld von Windkraftanlagen ein gewisser Anstieg lokaler bodennaher Temperaturen gemessen wird, gewinnt die Untersuchung mikroklimatischer Veränderungen in der Umgebung von Windkrafträdern und ihre Auswirkungen auf die Umwelt an Bedeutung. Die Darstellung des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstandes anhand einer Auswahl von Publikationen ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Im Zuge der Debatte um mikroklimatische Veränderungen in Regionen, in denen Windkraftanlagen betrieben werden, wird häufig der Nachlauf-Effekt (englisch: wake effect) erwähnt. Wird ein Windrad betrieben, so wirft es immer einen Windschatten auf die windabgewandte Seite (Leeseite). Dadurch entsteht hinter der Anlage ein Nachlauf (Nachlaufeffekt, Wake Effekt). Dies ist ein Windschweif, der eine geringere Geschwindigkeit im Vergleich zum Wind vor der Anlage hat. Aufgrund dieses Effektes werden die einzelnen Windräder in bestimmten Mindestabständen zueinander aufgestellt. In verschiedenen Forschungsprojekten werden ertragsspezifische Aspekte , die durch Wakes entstehen, untersucht. So wird studiert, welche sinnvollen Mindestabstände hinsichtlich atmosphärischer, ökonomischer, rechtlicher und kostenrelevanter Aspekte eingehalten werden sollten. 4 Das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (Fraunhofer IWES) hat 2019 ein Forschungsprojekt zur Erforschung von Wakes in Windseeparks (Wake X) gestartet.5 Außerdem werden die durch den Betrieb von Windrädern entstehenden Turbulenzen, infolge dessen es zu einem Austausch von Feuchtigkeit, Energie und Luftmassen in den bodennahen 1 https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/klimaschutzprogramm-2030-1673578. 2 https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=273203. 3 https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/mikroklima/5099. 4 Siehe beispielsweise: Lundquist, J.K., DuVivier, K.K., Kaffine, D. et al. Costs and consequences of wind turbine wake effects arising from uncoordinated wind energy development. Nat Energy 4, 26–34 (2019). https://doi.org/10.1038/s41560-018-0281-2 (https://www.nature.com/articles/s41560-018-0281-2). 5 Siehe hierzu: https://www.iwes.fraunhofer.de/de/forschungsprojekte/aktuelle-projekte/x-wakes-.html. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 5 Luftschichten kommt, mit einer Erwärmung der Luft in der Umgebung von Windrädern in Verbindung gebracht.6 Kritiker der Windkraftenergie verweisen in diesem Zusammenhang häufig auf zwei wissenschaftliche Publikationen aus den Jahren 2018 und 20197: Lee M. Miller, David W. Keith: Climatic Impacts of Wind Power8 Christine L. Archer et al.: The VERTEX field campaign: observations of near-ground effects of wind turbine wakes9 In den folgenden Kapiteln wird zunächst erläutert, unter welchen Voraussetzungen die Autoren dieser Arbeiten zu welchen Ergebnissen gelangen. Insbesondere die Arbeit von Miller & Keith ist in verschiedenen Medien mehrfach aufgegriffen worden. Es werden daher auch Stellungnahmen verschiedener Wissenschaftler zu diesem Papier dargestellt. Sodann werden weitere wissenschaftliche Quellen zu mikroklimatischen Auswirkungen des Betriebs von Windkraftanlagen vorgestellt. In der Arbeit von Miller & Keith wird u.a. eine Modellrechnung für den hypothetischen Ausbau von Windenergie in den USA (so dass der gesamte Energiebedarf durch Windenergie abgedeckt werde) vorgenommen. Daher wird auch auf eine Publikation zu der Frage eingegangen, inwiefern lokale mikroklimatische Veränderungen infolge des Ausbaus von Windkraftanlagen in den USA zu erwarten sind. Da im Zuge der Kritik am Ausbau der Windenergie u.a. die Behauptung aufgestellt wird, dass der Betrieb von Windrädern für Dürren in Deutschland verantwortlich sein könnte, wird im letzten Abschnitt darauf eingegangen, welche Gründe es aus wissenschaftlicher Sicht derzeit für europäische Dürreerscheinungen gibt. Die Arbeit widmet sich den klimatischen Auswirkungen durch Windenergie. Ein Vergleich mit anderen Energiegewinnungsformen, die im Zuge des Ausstiegs aus fossiler Energiegewinnung wichtig sind (beispielsweise Photovoltaik), ist nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. 6 Siehe beispielsweise: Zhou, L., Tian, Y., Baidya Roy, S. et al. Impacts of wind farms on land surface temperature . Nature Climate Change 2, 539–543 (2012). https://doi.org/10.1038/nclimate1505. 7 Siehe beispielsweise: https://www.agrarheute.com/management/agribusiness/studie-windraeder-beeinflussenmikroklima -558040. 8 [Miller & Keith 2018] Miller & Keith, Joule 2, 1–15 Dezember 19, 2018, 2018 Elsevier Inc.: https://doi.org/10.1016/j.joule.2018.09.009. 9 Cristina L. Archer, Sicheng Wu, Ahmad Vasel-Be-Hagh, Joseph F. Brodie, Ruben Delgado, Alexandra St. Pé, Steven Oncley & Steven Semmer (2019) The VERTEX field campaign: observations of near-ground effects of wind turbine wakes, Journal of Turbulence, 20:1, 64-92, DOI: 10.1080/14685248.2019.1572161. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 6 2. Miller & Keith: Climatic Impacts of Wind Power Am 19. Dezember 2018 erschien in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Joule“10 der Artikel „Climatic Impacts of Wind Power“ von L. M. Miller und D. W. Keith [Miller & Keith 2018]. In dieser Arbeit wird das Verhältnis von Windkraftnutzung und klimatischen Auswirkungen untersucht. Obwohl Windkraft in Hinblick auf klimatische Auswirkungen einer fossilen Energiegewinnung vorzuziehen sei, habe es nicht zu vernachlässigende (lokale) klimatische Auswirkungen, so die Autoren. Bevor der Inhalt der Arbeit dargestellt wird, werden im Folgenden die in der Publikation selbst benannten Einschränkungen hinsichtlich der Interpretation klimatischer Effekte dargestellt. Aufgrund dieser Einschränkungen sei eine Verwendung der Ergebnisse für einen Vergleich der (lokalen ) klimatischen Auswirkungen von Windkraft mit den Auswirkungen des Klimawandels durch langlebige Treibhausgase nicht ohne weiteres möglich.11 2.1. In der Publikation benannte Einschränkungen hinsichtlich der Interpretation klimatischer Effekte Grundsätzlich seien die Mechanismen, die den höheren (bodennahen) Temperaturen durch Windkraft zugrunde lägen, andere Mechanismen als diejenigen, die im Zuge des globalen Klimawandels zu wärmeren Temperaturen führten. Erhöhte Treibhausgas-Konzentrationen reduzierten die Strahlungswärmeverluste im Weltraum, fingen mehr Wärme in der Atmosphäre ein und verursachten damit auch wärmere Oberflächentemperaturen. Windkraft hingegen füge der Atmosphäre nicht mehr Wärme hinzu. Windkraftanlagen verteilten Wärme durch Mischen und veränderten große Strömungen, die klimatischen Einfluss haben könnten. Die Autoren betonen, dass ihr Vergleich ausschließlich auf Unterschieden der Oberflächenlufttemperatur basiere. Windkraftanlagen und Treibhausgase veränderten beide jeweils einzelne Klimavariablen. Die Verwendung der Oberflächentemperatur als alleinigen Indikator für Klimaauswirkungen zu benutzen , könne zu einer verzerrten Interpretation führen. Ihre Ergebnisse hingen zudem von der Windstromerzeugungsrate ab und es liege nahe, dass das Temperaturverhalten in etwa linear zu Erzeugungsrate und Leistungsdichte sei. Die Ergebnisse seien abhängig von der räumlichen Verteilung und Dichte der Windkraftanlagen. Sie seien davon ausgegangen, dass man dabei die windstärksten Gebiete nutze. Tatsächlich blieben in ihrer Studie eine Reihe von Vor- und Nachteilen der Klimaauswirkungen , die durch den Einsatz von Windkraft verursacht werden könnten, unberücksichtigt. Dazu zählten beispielsweise arktische Kühlung12, jahreszeitlich bedingte unterschiedliche Temperaturen sowie Auswirkungen auf Ernteerträge und die Fauna. Zudem sei zu beachten, dass der betrachtete Zeithorizont eine Rolle spiele und ihr Modell berücksichtige lediglich die USA. Eine 10 Joule ist eine begutachtete (Peer-Review) wissenschaftliche Fachzeitschrift, die seit 2017 von Cell Press herausgegeben wird. Der Journal Impact 2019 von Joule beträgt 15.040. 11 Seite 2629 in [Miller & Keith 2018]. 12 Die Autoren geben in ihrer Einleitung vier Studienbelege an, in denen herausgefunden wurde, dass die Gewinnung von Windenergie in mittleren Breitengraden zu einer Abkühlung der Arktis führe. (Seite 2619 und 2629 in Miller & Keith 2018). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 7 globale Übertragung des Modells könne auf Basis ihrer Ergebnisse nicht erfolgen. Das bedeutet, dass von einer Übertragung der Ergebnisse auf eine andere Region der Welt (z.B. Europa) abgeraten wird. 2.2. Darstellung der Ergebnisse der Publikation Miller & Keith 2018 Basierend auf Simulationsmodellen suchen die Wissenschaftler nach Erklärungen für die Klimaauswirkungen durch Windkraft. Ihre Ergebnisse fassen sie folgendermaßen zusammen: Es wird festgestellt, dass die Erzeugung des heutigen (gesamten) US-Strombedarfs mit Windkraft die Oberflächentemperaturen in den USA um 0,24 °C erwärmen würde. Hierbei ist zu beachten, dass derzeit in den USA 300 Milliarden Kilowattstunden von Windkraftanlagen erzeugt werden. Dies entspricht 7,3 % des Strombedarfs der USA. Dies bedeutet, dass die in der Modellrechnung erzielte Größe von 0,24 °C auf einer angenommenen13 fast 14-fachen Steigerung beruht. Die Erwärmung entstehe teilweise durch Turbinen infolge einer Wärmeverteilung durch Mischen der Grenzschicht. Die modellierten täglichen und saisonalen Temperaturunterschiede stimmten in etwa mit den jüngsten Beobachtungen zur Erwärmung in Windparks überein und spiegelten ein kohärentes mechanistisches Verständnis dafür wider, wie Windkraftanlagen das (lokale) Klima veränderten. Der Erwärmungseffekt sei im Vergleich zu Prognosen der Erwärmung des 21. Jahrhunderts gering. Bei gleicher Erzeugungsrate seien die klimatischen Auswirkungen von Photovoltaik-Solaranlagen etwa zehnmal geringer als bei Windkraftanlagen. Hierbei ist zu beachten, dass die Betrachtung von Photovoltaik-Systemen nicht Gegenstand der Publikation ist und als Ausblick in der Zusammenfassung gegeben wird. Ein Vergleich klimatischer Auswirkungen von Photovoltaik und Windkraft wird in der Arbeit nicht untersucht. Die allgemeinen Umweltauswirkungen von Wind seien sicherlich geringer als die von fossiler Energie. Entscheidungen zwischen Wind und Sonne sollten durch Schätzungen ihrer konkreten Klimaauswirkungen getroffen werden. Hinsichtlich der Niederschlagsveränderungen stellen die Autoren fest, dass diese gering seien und keine klare räumliche Korrelation belegbar sei.14 Verschiedentlich wurde kritisiert, dass die Arbeit in den Medien mit verzerrten Aussagen aufgegriffen wurde.15 Von einzelnen Wissenschaftlern wurde die Studie in der Öffentlichkeit aufgrund ihrer sehr vereinfachenden und ihrer Meinung nach unrealistischen Annahmen bemängelt. Auf den Seiten der American Wind Energy Association wird die Wissenschaftlerin Christina Archer mit der Aussage zitiert, die Darstellung spiegele nicht die zukünftige Windkraft in den USA wider . Es ist bestenfalls eine interessante theoretische Übung, d.h. die Arbeit sei vielmehr theoretischer Natur.16 In der Zeitschrift MIT Technology Review wird John Dabiri zitiert. Er bemängelt, 13 In vereinfachter Annahme eines linearen Steigerungsverlaufs. 14 Seite 2621 in [Miller & Keith 2018]. 15 Siehe beispielsweise Michael Marshall: No, Wind Farms Are Not Causing Global Warming; Forbes vom 5. Oktober 2018: https://www.forbes.com/sites/michaelmarshalleurope/2018/10/05/no-wind-farms-are-not-causingglobal -warming/?sh=5cf37a1f8ce6. 16 https://www.aweablog.org/fact-check-no-wind-turbines-not-cause-climate-change/. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 8 die Simulationen verwendeten Modellannahmen, die zu einem erhöhten Luftwiderstand auf der Erdoberfläche führten.17 Es sei bekannt, dass eine solche Modellannahme die Strömung in realen Windparks nur schlecht vorhersage.18 Im folgenden Abschnitt werden Stellungnahmen von Wissenschaftlern aufgeführt, die vom Science Media Center19 zusammengetragen wurden. Abschließend wird ein Nachfolgeartikel dargestellt , den Lee Miller in diesem Jahr in „Physics Today“ publiziert hat. Hierin stellt er seine Aussagen in vereinfachter Form dar und nimmt Klarstellungen vor. 2.3. Ausgewählte Reaktionen aus der Wissenschaft Auf den Internetseiten des Science Media Centre20 wurden Stellungnahmen einzelner Wissenschaftler zu der zitierten Publikation von Miller & Keith publiziert.21 Alona Armstrong ist Dozentin für Energie- und Umweltwissenschaften am Lancaster Environment Centre (Lancester University). Sie wird hinsichtlich einer Stellungnahme zur Publikation von Miller & Keith wie folgt zitiert: Diese und andere Studien legten nahe, dass Windparks eine lokale und regionale Erwärmung verursachen könnten, dies sei aber keine globale Erwärmung. Wenn man Windkraftanlagen ausschalte, verschwänden die Effekte der Erwärmung. Würde man aber Anlagen für fossile Brennstoffe abschalten, so bliebe ein Erwärmungseffekt weiterhin bestehen. In der Energiedebatte sei Erwärmung häufig zentral. Beim Übergang zu kohlenstoffarmen Quellen würde es allerdings zunehmend bedeutsamer, auch andere Umweltauswirkungen zu berücksichtigen, so beispielsweise Landnutzung und Ressourcennutzung. Kevin Anderson ist Professor für Energie und Klimawandel an der University of Manchester. Er wird wie folgt zitiert: David Keith werfe in Debatten häufig erstaunliche Aspekte auf. Während Wissenschaftler zu Recht über jedes Detail nachdächten, sollte nicht vergessen werden, dass der Klimawandel, den wir beobachteten und der sich voraussichtlich fortsetzen werde, hauptsächlich auf der Verbrennung fossiler Brennstoffe beruhe. Zudem spielten die Entwaldung und der Verzehr von Fleisch ebenfalls eine wichtige Rolle. Darum solle dieses Papier von Miller & Keith 17 Originalzitat: „Stanford professor John Dabiri criticized the study, saying the simulations relied on a proxy for wind turbines that increases aerodynamic drag at the earth’s surface“. In: J. Temple: Wide-scale US wind power could cause significant warming, MIT technology Review vom 4.10.2018: https://www.technologyreview .com/2018/10/04/139905/wide-scale-us-wind-power-could-cause-significant-warming/. 18 Ebd. 19 https://www.sciencemediacentre.org/. 20 Das Science Media Centre (SMC) wurde 2002 gegründet (https://www.sciencemediacentre.org/) und ist eine NON-Profit Organisation. Ihre Hauptfunktion ist, Journalisten fundierte Hintergrundinformationen zu aktuellen wissenschaftlichen Themen bereitzustellen. Finanziert wird das SMC von verschiedenen Organisationen, darunter Medienorganisationen, Universitäten, wissenschaftliche Gesellschaften, die UK Research Councils, Regierungseinrichtungen , Wohltätigkeitsorganisationen, private Spender und Körperschaften. Seit 2016 existiert SMC Germany. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina ist seit der Gründung des SMC Germany dessen Kooperationspartner (https://www.sciencemediacenter.de/). 21 https://www.sciencemediacentre.org/expert-reaction-to-research-on-climatic-impact-of-wind-power/. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 9 nicht fälschlicherweise als Ausrede („excuse“) verwendet werden, um eine echte und wirksame Minderung des klimaschädlichen Effekts aufzuschieben.22 Stephen Mobbs ist Direktor des National Centre for Atmospheric Science in Leeds. Er hält die Arbeit von Miller & Keith für eine ausbalancierte Studie, die konsistent sich in bereits bestehende Veröffentlichungen im Bereich der atmosphärischen Effekte von Windkraftanlagen einfüge. Die Studie verwende ein atmosphärisches Modell der Wetterforschung und -prognose und stelle lokale Auswirkungen von Windkraftanlagen dar. Die Aussagen zur Durchmischung der Atmosphäre und dem Tag-Nacht-Unterschied seien bereits bekannt. Eine weitere Konsequenz sei möglicherweise eine geringfügig erhöhte Oberflächenverdunstungsrate. Es sei wichtig zu verstehen , dass Windkraftanlagen gerade nicht zu einer wesentlichen Erwärmung der Atmosphäre beitrügen. Sie verteilten die Wärme in der Atmosphäre, die bereits auf natürliche Weise vorhanden sei, so dass mehr Wärme in der Nähe der Oberfläche vorhanden ist. Dies stehe im Gegensatz zu den Auswirkungen von Treibhausgasen wie Kohlendioxid. Die Studie versuche, den Anstieg der Oberflächentemperatur infolge des Betriebs von Windparks mit dem folglich vermiedenen Temperaturanstieg aufgrund der Nichtverbrennung fossiler Brennstoffe zu vergleichen. Die Studie erkläre und beschränke die Ergebnisse ziemlich gut. Es sei von entscheidender Bedeutung, die Vorbehalte zu berücksichtigen, da es sehr leicht zu Missverständnissen kommen könne. Wenn die gesamte US-Stromerzeugung durch Verbrennung fossiler Brennstoffe plötzlich durch Windparks ersetzt würde, wäre der (einmalige und reversible) Effekt der Windparks auf die Oberflächentemperatur sofort zu spüren. Die vermiedene globale Erwärmung der Atmosphäre infolge dessen, dass ihr keine Treibhausgase mehr zugesetzt würden, nehme hingegen mit der Zeit kumulativ zu. Als Schätzung sei angegeben, dass es bis zu einem Jahrhundert dauern könne, bis der Oberflächeneffekt der vermiedenen durch Treibhausgase verursachten Erwärmung den Effekt der Turbinen übersteige. Die Studie weise jedoch auf zwei entscheidende Faktoren hin. Zum einen sei die Wirkung von Treibhausgasen kumulativ und halte viele tausend Jahre an, während die Wirkung von Windparks sofort bei Abschaltung aufhöre. Zum anderen fügten Windparks der Atmosphäre keine nennenswerte Wärme zu; sie verteilten diese nur neu. Ausdrücklich deute die Studie nicht darauf hin, dass die Umweltauswirkungen von Windparks in irgendeiner Weise mit denen der Verbrennung fossiler Brennstoffe (die auf menschlicher Zeitskala global und irreversibel seien) vergleichbar seien. John Shepherd ist emeritierter Professor für Erdsystemwissenschaften an der University of Southampton. Die Modellergebnisse Beobachtungen bestätigten, dass Windkraftanlagen eine gewisse oberflächennahe Erwärmung verursachten, da sie die Vermischung der unteren Atmosphäre erhöhten, ebenso wie Bäume und hohe Gebäude. Der Effekt sei recht gering und trete hauptsächlich nachts auf. Im Gegensatz zur Verbrennung fossiler Brennstoffe sei die Erwärmung auf die Umverteilung und nicht auf die Zugabe von Wärme zurückzuführen. Dies trete sofort auf und sei meist auf den kontinentalen Bereich beschränkt, in dem der Strom erzeugt werde. Die Erwärmung erfolge nur einmal (bei gegebener Stromerzeugung) und baue sich im Gegensatz zur Verbrennung fossiler Brennstoffe nicht über viele Jahrhunderte und auf der ganzen Welt kumulativ auf. Die Schlagzeile von 0,24 °C Erwärmung klinge vordergründig nach einem hohen Wert, aber dies beruhe auf der Annahme einer sehr hohen Zahl von Windkraftanlagen und beziehe sich 22 Originalzitat: „but let’s keep it in perspective and not use it as yet another excuse for kicking real mitigation still further into the long grass.“ [https://www.sciencemediacentre.org/expert-reaction-to-research-on-climatic-impact -of-wind-power/?cli_action=1608293921.189]. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 10 nur auf das Festland der USA. Der Vergleich der Auswirkungen mit fossilen Brennstoffen sei recht kompliziert, aber insgesamt schlage Windkraft unter realistischen Maßstäben fossile Brennstoffe noch immer hinsichtlich langfristiger Umweltauswirkungen. Judith Wolf ist Physikerin im Bereich erneuerbare Energien am britischen National Oceanography Centre. Sie gibt zu bedenken, dass es wichtig sei, die Ergebnisse im richtigen Kontext zu sehen. Eine entsprechende Überschrift löse kontroverse Debatten aus. In der Publikation von Miller & Keith werde nicht behauptet, dass Windenergie keine vergleichsweise „grüne“ Energiequelle sei, sondern man warne vielmehr davor, dass auch die Nutzung von Windkraft Klimaauswirkungen habe. Dieser Effekt sei vornehmlich nachts zu sehen. Robert Lowe ist Physiker und Professor am Energie Institut der University of London. Die Publikation zeige, dass Windkraftanlagen die Temperaturen auf regionaler Ebene beeinflussen könnten . Das Papier liefere jedoch ausdrücklich keine Belege für die möglichen Klimaauswirkungen des großflächigen Einsatzes von Windkraftanlagen auf der Welt insgesamt. Um dieser Frage nachzugehen, müsse das Klima eher auf globaler als auf regionaler Ebene modelliert werden. Insbesondere die Arktis werde in der Analyse von Miller & Keith nicht berücksichtigt. Daher könne die Arbeit nichts über die Auswirkungen positiver Rückkopplungsmechanismen im Zusammenhang mit der Arktis oder die Möglichkeit sagen, dass der großflächige Einsatz von Windkraft uns potenziellen Klimakipppunkten näher bringe oder von diesen wegführe. Roger Kemp ist emeritierter Professor an der Lancester University. In diesem Artikel ginge es um die lokalen Auswirkungen von Windkraftanlagen. Ein Windpark, der dem Wind Energie entziehe , verringere im Allgemeinen die Windgeschwindigkeit vor dem Wind der Turbinen. Dies habe geringe und lokalisierte Auswirkungen auf das Wetter - bei weniger Wind könne das Land etwas wärmer werden und je nach Landeigenschaften könne weniger Wind auch zu weniger Verdunstung führen, was zu einer etwas geringeren Luftfeuchtigkeit führe. Globale Aussagen treffe das Papier nicht. Wenn die Landtemperatur in einem ganz spezifischen Gebiet etwas höher sei, führe dies zu einer erhöhten Strahlung aus diesem Gebiet, die dazu neige, den Nettowärmeeintrag in die Erde zu verringern. Man könne also eine etwas niedrigere globale Durchschnittstemperatur erwarten. Ein geringfügig reduzierter Wind in einem Gebiet könne jedoch andere lokale Veränderungen im komplexen Klimasystem verursachen, sodass niemand genau garantieren könne, was passieren würde. Mark Z. Jacobson, Professor für Bau- und Umwelt-Ingenieurwesen an der Stanford University kritisiert in einer auf den Internetseiten der Stanford University publizierten Stellungnahme die Publikation von Miller & Keith. Deren Modell berücksichtige nicht den starken Einfluss von Windturbinen auf die Temperatur hinsichtlich der Reduzierung des Wasserdampfes, einem Treibhausgas. Windkraftanlagen würden dazu beitragen, Wasserdampf zu reduzieren und die Auswirkungen der durch Wasserdampf erzeugten globalen Erwärmung zu senken.23 Im Zuge der Debatte um die Veröffentlichung Miller & Keith 2018 hat einer der Autoren, Lee Miller , in diesem Jahr eine Kurzstudie in der Zeitschrift „Physics Today“ publiziert. In ihr greift er 23 https://web.stanford.edu/group/efmh/jacobson/Articles/I/CombiningRenew/18-RespMK.pdf. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 11 verschiedene Argumente nochmals auf und bestätigt in weiten Teilen die Stellungnahmen der oben zitierten Wissenschaftler. Der Inhalt der Kurzstudie wird im Folgenden dargestellt. 2.4. Miller: The warmth of wind power Im August 2020 hat Lee Miller in der Zeitschrift „Physics Today“ den Artikel „The warmth of wind power“ publiziert.24 In dieser Kurzstudie geht Miller auf den derzeitigen Kenntnisstand hinsichtlich der Temperaturauswirkungen von Windkraftanlagen ein und erläutert, inwiefern Fragen noch wissenschaftlich ungeklärt seien. Nach derzeitigem Kenntnisstand - belegt durch mehrere aktuelle Studien - werde in der Umgebung von Windkraftturbinen die bodennahe Atmosphäre vorübergehend und nachts erwärmt. Windkraftanlagen erreichten momentan eine Höhe von 300 m, jedes Rotorblatt eine Länge von 50 m. Die USA habe derzeit ungefähr 60.000 Turbinen . Durch den Betrieb würden Turbulenzen erzeugt, die wiederum zu einem veränderten Wärme- und Feuchtigkeitsaustausch zwischen Erdoberfläche und der unteren Atmosphäre führten . Diese Auswirkungen schienen auch noch in mehreren Kilometern Entfernung erkennbar zu sein. Der klimatische Effekt durch Windturbinen sei ein Effekt des atmosphärischen Durchmischens infolge einer Umverteilung von Hitze in niedrigere Atmosphärenschichten. Damit sei dieser Mechanismus vollkommen unabhängig von den Mechanismen des Klimawandels. Die Auswirkungen seien auch sehr verschieden, je nachdem, ob man sie tagsüber oder nachts beobachtete . Tagsüber erwärme Sonnenstrahlung die Bodenoberfläche. Dadurch werde die Windgeschwindigkeit , Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit in Höhen von eins bis drei Kilometern homogenisiert . Infolgedessen seien die Windkraftanlagen tagsüber bereits in gut gemischte Luftsäulen gehüllt und ihr Betrieb habe wenig Einfluss auf die Oberflächentemperatur. In der Nacht hingegen fehle die Aufwärmung durch die Sonne und darum sei die Atmosphäre oberhalb von 50- 150 m nicht gut durchmischt, wodurch ein vertikaler Gradient entstehe. Weitere Faktoren, wie die Ausrichtung der Turbinen, könnten auch einen Einfluss haben. Wenn die typischerweise wärmere und trockenere Luft aus höheren Lagen nach unten transportiert werde und sich mit der Oberflächenluft vermische, würde die Oberflächentemperatur erhöht. In diesem Zusammenhang verweist Miller auf eine Publikation, in der Messungen in der Umgebung von Offshore-Anlagen in der Deutschen Bucht vorgenommen wurden.25 Hier seien niedrigere Windgeschwindigkeiten und erhöhte Turbulenzen zwischen 50 und 75 km vor dem Wind gemessen worden. Inzwischen ließen verschiedene frei zugängige Datensätze eine Visualisierung der Wärmeverteilung zu. Seinen eigenen Analysen zufolge (Analyse von Wärmeverteilungen im nördlichen Texas während des Winters 2019) sei tagsüber kein Wärmeunterschied sichtbar, nachts allerdings schon. Er betont, dass die genauen Bedingungen zur Erzeugung des Erwärmungseffekts nicht be- 24 L. Miller: The warmth of wind power, Physics Today, 73, 8, 58 (2020); doi: 10.1063/PT.3.4553. 25 Platis, A., Siedersleben, S., Bange, J. et al. First in situ evidence of wakes in the far field behind offshore wind farms. Sci Rep 8, 2163 (2018). https://doi.org/10.1038/s41598-018-20389-y. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 12 kannt seien und somit auch keine Aussage zur Übertragbarkeit getroffen werden könne. Tatsächlich gebe es noch offene wissenschaftliche Fragen. So erwarte er auch einen Niederschlagseffekt, aber dies sei nicht Gegenstand der Studie. 3. Archer et al.: The VERTEX field campaign Am 29. Januar 2019 wurde in der Zeitschrift „Journal of Turbulence“26 der Artikel „The VERTEX field campaign: observations of near-ground effects of wind turbine wakes“ von C.L. Archer et al. publiziert.27 Vor dem Hintergrund der weiter ansteigenden Anzahl von Windparks in den USA, würden Bedenken über mögliche unerwünschte Auswirkungen von Windturbinen in der Nähe der Erdoberfläche geäußert. In der Literatur gebe es zum Ausmaß verschiedener Erwärmungseffekte zwar Uneinigkeit , allerdings sei der Effekt, dass die Windturbinen-Wirbel die vertikale Durchmischung in Bodennähe verstärkten, weitestgehend akzeptiert, aber nicht getestet. In dieser Studie, die von August bis Oktober 2016 in der Nähe einer Windkraftanlage an der Küste von Delaware durchgeführt wurde, wird untersucht, an welchen Stellen in der Umgebung der Windanlage Nachlaufeffekte 28 feststellbar sind. Es wird festgestellt, dass die Nachlaufströmung der Windturbine drei komplexe Bewegungstypen ausführe. Tatsächlich wurde keine Verstärkung der vertikalen Durchmischung in Bodennähe beobachtet. Während die Auswirkung der Luftfeuchtigkeit auf die turbulente Durchmischung bekanntlich unbedeutend sei, sei die Auswirkung auf den Wärmefluss und damit auf die atmosphärische Stabilität nicht unbedeutend. Allerdings sei das Gebiet, das hier betrachtet werde, durch gesättigte Bedingungen (Küstennähe, Sumpfgebiet) gekennzeichnet und daher repräsentativer für Küstensituationen als für Situationen im Landesinneren. Zitiert wurde diese Arbeit bislang in einer in der Springer-Zeitschrift „Bulletin of Atmospheric Science and Technology“ in diesem Jahr erschienenen Arbeit von N. Al Fahel und C.L. Archer.29 Ziel dieser Studie war es zu bewerten, inwieweit Offshore-Windparks Auswirkungen auf den Niederschlag an nahe gelegenen Onshore-Standorten haben. Hierzu wurden Niederschlagsdaten vor und nach der Errichtung von Windkraftanlagen (Offshore) verglichen. Der Wind hinter einem Offshore-Windpark verlangsame sich aufgrund der Entnahme von kinetischer Energie aus dem Luftstrom durch die Turbinen. Infolgedessen komme es zu einer leichten Niederschlagszunahme vor der Küste und einer leichten Niederschlagsabnahme in Küstennähe. Die Unterschiede waren 26 Journal of Turbulence ist ein begutachtete digitale Zeitschrift, in der eigenen Angaben zufolge neue theoretische , numerische und experimentelle Erkenntnisse zum Verständnis, zur Vorhersage und zur Kontrolle von Fluidturbulenzen publiziert werden. Der Impact Factor 2019 liegt bei 1,573. 27 [Archer 2019]: Archer, C. L. et al. (2019): The VERTEX field campaign: Observations of near-ground effects of wind turbine wakes. Journal Of Turbulence, 20, 64-92. doi:10.1080/14685248.2019.1572161 28 Nachlauf-Effekt: Hinter sich bewegenden Turbinen entsteht ein Windschatten (Wind-abgewandte Seite), dort entsteht ein Nachlauf (turbulenter Windschweif), der sich durch eine geringere Geschwindigkeit auszeichnet als vor der Anlage. 29 Nicolas Al Fahel, Cristina L. Archer. (2020) Observed onshore precipitation changes after the installation of offshore wind farms. Bulletin of Atmospheric Science and Technology 1:2, pa-ges 179-203. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 13 statistisch signifikant. An beiden in der Studie untersuchten Orten wurde an Land ein Rückgang der Windgeschwindigkeit gemessen. Die Wissenschaftler nehmen an, dass bei 50 oder weniger Turbinen eine Strecke von ungefähr 10 km vor der Küste nötig sei, während bei größeren Anlagen (50-100 Turbinen) 20 km erforderlich seien, um den Niederschlagseffekt zu beobachten. C. Archer erklärt dies in einem Interview folgendermaßen: Nach dem Windpark (in Richtung Küste) beschleunige der Wind und wenn genügend Platz vorhanden sei (mindestens 10 Kilometer bei 50 oder weniger Turbinen), erreiche oder übersteige der Wind seine ursprüngliche Geschwindigkeit (Divergenz). Dadurch werde die vertikale Bewegung reduziert, und dies führe zu einer geringen Abnahme der Niederschläge. Umgekehrt, wenn der Windpark zu weit entfernt sei, habe sich die Windgeschwindigkeit „erholt“ und es gebe keinen Divergenzeffekt mehr am Ufer. In der Studie befand sich ein Windpark etwa 15 Kilometer von der Küste entfernt, was eine ausreichende Entfernung für die Divergenzzone war, während der andere Windpark nur weniger als acht Kilometer von der Küste entfernt lag, so dass das Divergenzmuster nicht immer mit ausreichender Stärke ausgebildet worden sei. Infolge dessen sei nicht immer eine Niederschlagsunterdrückung an der Küste beobachtet worden.30 C. Archer betont, dass zwar die Effekte statistisch signifikant seien, allerdings dennoch sehr gering ausfielen. In einer Stellungnahme sagt sie, die Autoren wollten nicht, dass ihre Studie dahingehend interpretiert würde, dass Windkraftanlagen Dürren erzeugten. Der Reduktionseffekt sei sehr klein.31 4. Auswirkung von Windrädern auf mikroklimatische Gegebenheiten Nach den oben ausgeführten Erkenntnissen ist der klimatische Effekt durch den Betrieb von Windrädern nachts von Bedeutung. Man kann die Hypothese aufstellen, dass der nächtliche Effekt zu Austrocknungsphänomenen in der Umgebung der Anlage führen kann. Gegebenenfalls spielt dieser Effekt aber nur in feuchten Bodenregionen eine Rolle, da es sich um einen nächtlichen Effekt handelt, der im Vergleich zur einstrahlungsbedingten Verdunstung (tagsüber) gering ist.32 Bereits 2004 wird in einer Studie, die im „Journal of Geophysical Research“ erschienen ist,33 untersucht, inwiefern Windkraftanlagen lokal meteorologische Effekte haben können. Die Ergebnisse zeigen, dass der untersuchte Windpark den Wind in der Höhe der Turbinennabe erheblich verlangsamt. Zusätzlich erzeugen Turbulenzen durch Rotoren Wirbel und in Folge komme es, so 30 https://www.newswise.com/articles/wind-farm-weather-influence. 31 https://www.udel.edu/udaily/2020/december/offshore-wind-farms-onshore-precipitation/. 32 Persönliche Auskunft aus dem Oxford University Center fort he Environment: https://www.eci.ox.ac.uk/. 33 S. Baidya Roy et al.: Can large wind farms affect local meteorology? Journal of Geophysical Research, Vol. 109, D19101, doi:10.1029/2004JD004763, 2004. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 14 die Autoren, normalerweise zu einer Erwärmung und Trocknung der Oberflächenluft. Die Auswirkungen auf die Evapotranspiration34 seien aber gering. Tatsächlich ist der Effekt, durch (vergleichsweise kleinere) Windräder kalte Luftschichten nach oben zu tragen und so eine Erwärmung bodennaher Regionen zu erreichen, seit einiger Zeit bekannt und wird in der Landwirtschaft eingesetzt. In Obstplantagen35 und Weinbergen36 wird als Kälte- bzw. Frostschutz mit Windrädern gearbeitet. Das Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und ländliche Angelegenheiten (OMAFRA, Kanada)37 berichtet bereits 2010, dass in der Provinz Ontario (Kanada) zum damaligen Zeitpunkt 500 derartige Anlagen betrieben wurden und beschreibt im Detail Wirkungsweise und Temperaturauswirkungen.38 Auch bei der Kultivierung von Avocados ist der Einsatz von „wind machines“ bekannt.39 Die Auswirkungen auf oberflächennahe Lufttemperaturen sind auch Gegenstand einer Publikation aus dem Jahr 2010, die in „PNAS“ erschienen ist.40 Die Wissenschaftler finden eine nächtliche Erwärmung, zu der sie anmerken, diese Auswirkungen könnten auch vorteilhaft sein. Beispielsweise könne die nächtliche Erwärmung unter stabilen Bedingungen die Pflanzen vor Frost schützen. Wenn Windparks größer würden, sei es wichtig, dass ihre möglichen Umweltkosten und die Vorteile bewertet würden, um die langfristige Nachhaltigkeit der Windenergie sicherzustellen . Grenzschichtänderungen sind auch Gegenstand einer aktuelleren Arbeit, die im Februar 2020 in „Geophysical Research Letters“ erschienen ist.41 Hierin wird festgehalten, dass Windparks die Atmosphäre leicht verändern. Der Transport von Impuls, Wärme und Wasserdampf erhöhe die Nachttemperatur an der Oberfläche und die Oberflächenfeuchtigkeit nehme ab. Als zu untersuchende Hypothese formulieren die Wissenschaftler, dass ggf. Windkraftanlagen die biologische Regulation von Bodenmikroorganismen, Pflanzen oder Tieren in der Nähe von Windenergieanlagen beeinflussen könnten. 34 Evaporation: „Summe aus direkter Verdunstung (Evaporation) und Abgabe durch Pflanzen und Tiere (Transpiration ).“ (Quelle: https://www.pflanzenforschung.de/de/pflanzenwissen/lexikon-a-z/evapotranspiration-10021). 35 https://ga.de/region/voreifel-und-vorgebirge/rheinbach/windrad-schuetzt-blueten-vor-frosttod_aid-42315741. 36 https://www.proplanta.de/agrar-nachrichten/pflanze/windraeder-sollen-weinreben-vor-frost-schuetzen_article 1384499295.html. 37 Ministerium der Regierung von Ontario. 38 http://www.omafra.gov.on.ca/english/engineer/facts/10-045.htm. 39 https://www.agric.wa.gov.au/frost/growing-avocados-frost. 40 S. B. Roy; J. J. Traiteur: Impacts of wind farms on surface air temperatures; PNAS ∣ October 19, 2010 ∣ vol. 107 ∣ no. 42 ∣ 17899–17904. 41 Rajewski, D. A., Takle, E. S., VanLoocke, A., & Purdy, S. L.. (2020). Observations show that wind farms substantially modify the atmospheric boundary layer thermal stratification transition in the early evening. Geophysical Research Letters, 47, e2019GL086010. https://doi.org/10.1029/2019GL086010. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 15 In einer 2019 in „Scientific Reports“ erschienenen Publikation werden ökologische Auswirkungen von Windparks auf die Vegetation in der chinesischen Wüste Gobi bewertet.42 Die Auswirkungen wurden durch Vergleich zweier Gebietsgruppen analysiert. Zum einen waren dies Gebiete , die 40 m bis 90 m stromabwärts der rotierenden Windturbinen lagen, zum anderen Gebiete in über 200 m Entfernung von der Windkraftanlage. Die Ergebnisse zeigten, dass Pflanzen in den nahe gelegenen Gebieten weniger gestresst und in besserem physiologischem Zustand waren als diejenigen in entfernten Gebieten. Nahe gelegene Pflanzen waren tendenziell kürzer und dichter und hatten einen höheren Bedeckungszustand als diejenigen aus weiter entfernten Gebiete. Die Ökosystemfunktionen in nahen Gebieten wurden aufgrund des Vorhandenseins von Sträuchern und höherer Biomasse signifikant verbessert. Die Wissenschaftler bewerten die Windkraftanlagen in der Wüste Gobi als eine Win-Win-Strategie hinsichtlich der Pflanzenvegetation. Demgegenüber steht eine Analyse im Bashang Grasland im Nordwesten Chinas. Die Studie wurde 2017 in „Remote Sensing“ veröffentlicht.43 Windparks könnten das lokale Klima beeinflussen und dadurch auch die zugrunde liegende Vegetation. In dieser Studie wurden - basierend auf dem Vegetationsindex, der Produktivität und anderen Fernerkundungsdaten des Bildgebungsspektroradiometers (MODIS) mit mittlerer Auflösung - von 2003 bis 2014 die Auswirkungen von Windkraftanlagen auf das Vegetationswachstum und die Produktivität im Sommer untersucht . Laut der Ergebnisse hätten Windkraftanlagen eine signifikant hemmende Wirkung auf das Vegetationswachstum. Es sei auch eine hemmende Wirkung der Windkraftwerke auf die Brutto- Primärproduktion im Sommer und auf die jährliche Netto-Primärproduktion festgestellt worden. Die Wissenschaftler nehmen an, dass die Hauptauswirkungsfaktoren die Änderungen der Temperatur und der Bodenfeuchtigkeit seien. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Darstellungen wird in diesem Papier auch von einem Wärmeeffekt durch Windturbinen während des Tages berichtet .44 Eine kritische, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Ergebnissen dieser Arbeit, die in Teilen anderen Studien widersprechen, konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht gefunden werden. 5. Zur Frage inwiefern lokale mikroklimatische Veränderungen infolge des Ausbaus Windkraftanlagen in den USA zu erwarten sind Modellierungen zu Ausbauszenarien für Windkraftanlagen in den USA wurden bereits in den vorangegangenen Kapiteln thematisiert (insbesondere Miller & Keith 2018). Darüber hinaus ist in diesem Jahr ein Artikel in „Scientific Reports“ erschienen, in dem Auswirkungen aktueller und 42 K. Xu et al.: Positive ecological effects of wind farms on vegetation in China’s Gobi desert. Sci Rep. 2019; 9: 6341. 26. April 2019. doi: 10.1038/s41598-019-42569-0. 43 B. Tang et al.: The Observed Impacts of Wind Farms on Local Vegetation Growth in Northern China; Remote Sens. 2017, 9(4), 332; https://doi.org/10.3390/rs9040332. 44 Originalzitat: „There is a warming effect of 0.15–0.18 °C coupled with WFs at night, which agrees with most existing studies. The possible reason for this phenomenon is that the diurnal and seasonal variations in wind speed and the changes in near-surface atmospheric boundary layer (ABL) conditions due to wind turbines operations . Contrary to some existing studies, this research finds that there is also a warming effect of 0.45–0.65 °C coupled with WFs during the daytime.“ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 16 zukünftiger Windkraftanlagen thematisiert werden. Der Ausbau wird dabei in einer Höhe untersucht , die erforderlich ist, um 20 % des Strombedarfs in den USA durch Windkraft zu decken.45 Hierzu werden hochauflösende numerische Simulationsrechnungen über der östlichen USA durchgeführt. Theoretische Szenarien basieren auf Repowering (d.h. Windkraftanlagen werden mit höherer Kapazität angenommen); so würden Wettbewerbsszenarien um Landnutzung umgangen . Simulationen für das aktuelle Klima und aktuelle Windkraft-Einsätze deckten sich gut mit der beobachteten Effizienz der Stromerzeugung. Aus den Simulationsrechnungen ergibt sich, dass ein Anheben der Kapazität des Windkraftwerkes sowohl auf regionaler als auch auf lokaler Ebene keinen signifikanten Effekt auf die oberflächennahen Klimaeigenschaften habe. Die Klimaauswirkungen von Windkraftanlagen seien im Vergleich zu regionalen Veränderungen, die durch historische Veränderungen der Landbedeckung verursacht würden, und zu globalen Temperaturstörungen , zu denen es durch die Verwendung von Kohle zur Erzeugung einer äquivalenten Strommenge käme, gering. Die in den vergangenen Abschnitten dargestellten wissenschaftlichen Studien erklären nicht den in Europa feststellbaren Zuwachs an Dürreperioden infolge des Betriebs von Windkrafträdern. Daher wird im nachfolgenden Abschnitt auf eine Auswahl von Quellen eingegangen, welche wissenschaftlichen Gründe es derzeit für europäische Dürreerscheinungen gibt. 6. Wissenschaftliche Erklärungen für die Dürreproblematik in Deutschland Die Dürre des Bodens wird durch Messung der Bodenfeuchtigkeit bestimmt. Dies kann in unterschiedlichen Tiefen erfolgen. Das Helmholtz Zentrum für Umweltforschung stellt auf seinen Internetseiten den sogenannten UFZ-Dürremonitor für Deutschland zur Verfügung.46 Dieser liefert täglich flächendeckende Informationen zum Bodenfeuchtigkeitszustand in Deutschland. Diese basieren auf Simulationen mittels des am UFZ entwickelten sog. „mesoskaligem hydrologischen Modells mHM“. Einerseits kann der Bodenfeuchteindex bis zu einer Tiefe von ca. 1,80 m in fünf Trockenklassen dargestellt werden (Dürre Gesamtboden). Andererseits liefert die Darstellung „Dürre Oberboden“ den Bodenfeuchteindex des Oberbodens bis 25 cm Tiefe in fünf Trockenklassen . „2018 hat erstmalig seit 1976 wieder eine großflächige Dürre in Deutschland sowohl im Oberboden als auch über die gesamte Bodentiefe gebracht. Sommer und Herbst 2018 waren trockener als in allen vorherigen verfügbaren Jahren im Dürremonitor seit 1951.“47 Landwirtschaftlich waren Norddeutschland, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Teile von Bayern besonders stark betroffen .48 Tatsächlich finden sich in diesen Regionen (in etwas geringerem Ausmaß Bayern) auch viele Windkraftanlagen. Dies zeigt eine grafische Darstellung des Bundesamtes für Naturschutz.49 Betrachtet man allerdings die Verteilung von Windkraftanlagen in anderen Ländern Europas, so 45 Pryor, S.C., Barthelmie, R.J. & Shepherd, T.J. 20% of US electricity from wind will have limited impacts on system efficiency and regional climate. Sci Rep 10, 541 (2020). https://doi.org/10.1038/s41598-019-57371-1. 46 https://www.ufz.de/index.php?de=37937. 47 https://www.ufz.de/index.php?de=44429. 48 https://www.umweltbundesamt.de/themen/trockenheit-in-deutschland-fragen-antworten. 49 https://www.bfn.de/infothek/daten-fakten/nutzung-der-natur/erneuerbare-energien/ii-43-21-deutschlandweiteverteilung -elektrizitaetsgewinnung-wind-solar-biomasse.html. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 17 ist eine Deckung von Windkraftanlagen und Trockenheit nicht durchweg erkennbar.50 Darum ist die Annahme eines kausalen Zusammenhangs zwischen Windkraftanlagen und Dürre nicht sofort naheliegend. In der Umgebung von Windkraftanlagen kommt es nach derzeitigem Kenntnisstand nachts zu Temperaturerhöhungen in den unteren Luftschichten. Dies wird als ein mikroklimatischer Wechsel bezeichnet, ist aber noch keine Dürre. Wie oben ausgeführt, hat auch C. Archer in Bezug auf ihre Arbeit zum Präzipitationseffekt in Onshore-Gebieten in der Nähe von Offshore-Windkraftanlagen betont, sie wolle ihre Ergebnisse nicht dahingehend interpretiert wissen, dass Windkraftanlagen Dürren erzeugten.51 Auch L. Miller äußert eine Vermutung, dass es ggf. einen Niederschlagseffekt (Präzipitationseffekt) geben könne, dies sei aber nicht Gegenstand seiner Arbeiten.52 Wissenschaftler führen die bestehende Dürreproblematik (in Deutschland) auf den Klimawandel zurück.53 Im Folgenden wird eine Auswahl von Quellen zusammengestellt, die Dürreproblematiken in Europa und Amerika analysieren und bewerten. Landwirtschaftliche Dürren können aus einer Vielzahl von Gründen auftreten: geringer Niederschlag , Zeitpunkt der Wasserverfügbarkeit (im Jahresverlauf), eingeschränkter Zugang zur Wasserversorgung und Landnutzungsveränderungen. Beispielsweise verändert eine frühere Schneeschmelze die verfügbare Gesamtwassermenge zwar nicht, kann jedoch zu einem früheren Abfluss führen, so dass der Spitzenwasserbedarf im Sommer nicht mehr gedeckt ist. Somit ist eine landwirtschaftliche Dürre möglich, obwohl insgesamt meteorologisch keine Dürre vorliegt.54 50 Eine Grafik der Informationsplattform British Business Energy (Diese gehört der privaten Londoner Firma Brilliant British Ltd.) zeigt die Verteilung von europäischen Windkraftanlagen zum Zeitpunkt 16. März 2017: https://britishbusinessenergy.co.uk/europe-wind-farms/. In dieser Darstellung wird ersichtlich, dass im Nordwesten von Frankreich (Bretagne) eine Häufung von Windkraftanlagen feststellbar ist. Betrachtet man dahingegen die Verteilung der Trockenheit in Frankreich, so zählt die Bretagne im Nordwesten Frankreichs gemeinhin nicht zu den von Dürre betroffenen Regionen. Am 29. August 2019 ist in „The Connexion “ ein Artikel erschienen, in dem von insgesamt 87 Departements berichtet wird, für die eine Trockenheitswarnung vorliege. In diesem Artikel findet sich eine Grafik, die das Ausmaß der Trockenheit des Bodens in Frankreich darstellt. Der Norden und Nordwesten Frankreichs zählen nicht zu den trockensten Gebieten: The Connexion vom 29. August 2019: „87 departments on alert as France drought deepens“ im Internet abrufbar unter: https://www.connexionfrance.com/French-news/water-restrictions-in-87-departments-as-drought-continues -across-France. Die Daten dieses Artikels und die Grafik wurden von der französischen Informationsseite zum Wasserhaushalt des französischen Ministeriums für Umwelt, nachhaltige Entwicklung und Energie entnommen: http://propluvia .developpement-durable.gouv.fr/propluvia/faces/index.jsp. 51 https://www.udel.edu/udaily/2020/december/offshore-wind-farms-onshore-precipitation/. 52 Siehe Kapitel 2.3. 53 https://www.ufz.de/index.php?de=37936. 54 https://www.ucsusa.org/resources/drought-and-climate-change#.VSPpiLpKjzM. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 18 Beispiel Schneeschmelze Im Jahr 2006 wurde eine Studie veröffentlicht, in der klimabedingte Verschiebungen in der Bergschneedecke im Westen Nordamerikas untersucht wurden.55 In der Studie werden Schneewassermengen in Beziehung zu Zeitreihen von Temperatur und Präzipitation gesetzt. Mindestens ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hätten die Winter- und Frühlingserwärmung im Westen der USA an den meisten Standorten die Schneedecke im Frühling verringert. Zunehmende Niederschläge schienen diesen Verlust an einigen Stellen seit Mitte des Jahrhunderts ausgeglichen zu haben, insbesondere in den südlichen Bergen der Sierra Nevada. In der GERICS-Studie „Der Einfluss des Klimawandels auf die terrestrischen Wassersysteme in Deutschland“ wird in Bezug auf die veränderte Schneesituation konstatiert, dass im Winter tendenziell die Hochwassergefahr steige - unter anderem, weil in den Gebirgen weniger Niederschlag als Schnee fällt. Das Regenwasser werde daher in niedrigeren Lagen sofort von den Flüssen abtransportiert und bleibe nicht bis zum Frühjahr liegen.56 In Kalifornien wird schon seit einiger Zeit fehlender Schnee in Sierra Nevada mit fehlendem Wasser im Tal in Verbindung gebracht.57 Auf den Seiten des „National Integrated Drought Information System“ wird von der sog. „Schneedürre“ gesprochen. Die Schneedecke fungiere normalerweise als natürliches Reservoir und liefere während der trockeneren Sommermonate Wasser. Das Fehlen einer Lagerung der Schneedecke oder eine zeitliche Verschiebung der Schneeschmelze aus diesem Reservoir könne eine Herausforderung für die Dürreplanung sein.58 Beispiel Reifungsverschiebung Im Juni diesen Jahres wurde in „Science Advances“ ein Artikel zu saisonalen Auswirkungen der Hitzewelle und Dürre 2018 auf die Produktivität europäischer Ökosysteme publiziert.59 Hierin stellen die Autoren einen Zusammenhang zwischen der Dürre 2018 und dem Zeitpunkt des Pflanzenwachstums her. Anders als in früheren Dürrejahren, sei 2018 bereits das Frühjahr sehr warm gewesen, allerdings nicht besonders trocken. Dennoch habe es einen vergleichsweise schnellen Übergang zwischen nassen Winterbedingungen und extremer Sommertrockenheit gegeben . Anhand von Klimamodellen, die Wechselwirkungen zwischen Vegetation, Böden und Erdatmosphäre darstellen, zeigen die Autoren, dass die Frühjahrsbedingungen 2018 ein verstärktes Vegetationswachstum förderten. Dies wiederum habe dazu beigetragen, dass die Bodenfeuchte schnell abgenommen habe und somit die darauffolgende Sommertrockenheit verstärkt wurde. Zusätzlich bliebe der kühlende Effekt von Verdunstung aus. Diese Beobachtungen fielen regional verschieden aus. Die Dürreerscheinungen ließen sich auf diese Weise besser erklären als 55 Mote, Philip W. “Climate-Driven Variability and Trends in Mountain Snowpack in Western North America.” Journal of Climate, 19.23 (2006): 6209–6220. 56 https://www.mpg.de/11178333/klimawandel-wassersysteme. 57 https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/sierra-nevada-so-schneearm-wie-seit-500-jahren-nicht-13804348.html. 58 https://www.drought.gov/drought/data-maps-tools/snow-drought. 59 A. Bastos et al.: Direct and seasonal legacy effects of the 2018 heat wave and drought on European ecosystem productivity. Science Advances 10 Jun 2020: Vol. 6, no. 24, eaba2724 DOI:10.1126/sciadv.aba2724. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 19 durch unterschiedliche Reaktionen des Ökosystems auf die Sommerhitze/Trockenheit selbst. Allerdings deuteten die regionalen Verschiedenheiten auch darauf hin, dass künftige Landbewirtschaftungsstrategien die Muster von sommerlichen Hitzewellen und Dürren bei langfristiger Erwärmung beeinflussen könnten. Beispiel Temperaturanstieg Ein allgemeiner Temperaturanstieg wird als wichtige Ursache für Dürren angegeben. Dieser wird in den im Rahmen dieser Arbeit recherchierten wissenschaftlichen Publikationen in keinem Fall mit Windkraftwerken, sondern vielmehr mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht. In einer Publikation aus dem Jahr 2006, erschienen in „Geophysical Research Letters“, analysieren die Wissenschaftler anhand von Simulationsdaten den Dürretrend in den USA.60 Laut ihren Ergebnissen erscheine es, dass an den Standorten im Südwesten und Westen der USA, an denen eine abnehmende Bodenfeuchtigkeit beobachtet wurde, die erhöhte Verdunstung infolge einer gestiegenen Temperatur den Effekt eines gleichzeitig erhöhten Niederschlags mehr als aufhob.61 Im Jahr 2019 wurde vom Deutschen Wetterdienst, Abteilung Klimaüberwachung, Agrar- und Hydrometeorologie, ein Papier zu „Ursachen und Folgen der Trockenheit in Deutschland und Europa ab Juni 2019“ veröffentlicht.62 Hier wird für Europa folgende klimatologische Einordnung vorgenommen: „[…] für die Sommermonate (Juni, Juli, August) [kann bereits jetzt] in Zentraleuropa ein leichter Trend zur Abnahme der Niederschlagssummen um bis zu 1,5 mm pro Jahr im Zeitraum von 1951-2005 festgestellt werden. Dieser Trend ist aber nicht signifikant, weil Niederschläge räumlich sehr variabel sind, insbesondere im Sommer. Aufgrund der globalen Erwärmung und der damit verstärkten Verdunstung muss aber von einer noch stärkeren Saisonalität der klimatischen Wasserbilanz ausgegangen werden. Trockene und heiße Perioden wie 2018 oder im Juni 2019 passen in dieses Szenario, allerdings ist die Attribution von Trockenheiten und Dürren […] noch Gegenstand der Forschung und noch nicht so durchführbar wie bei temperaturgesteuerten Ereignissen. Hier ist die Bestimmung geänderter Eintrittswahrscheinlichkeiten, z.B. für das Auftreten von Hitzewellen wie im Sommer 2003 oder Juni 2019, bereits heute möglich. Wie trocken aber die Atmosphäre großräumig ist, kann aus Daten der bodennahen relativen Luftfeuchtigkeit ersehen werden, die aus Modellanalysen berechnet werden. Im Europamittel ist die Atmosphäre seit 1979 im Verhältnis zu dem, was sie an Wasserdampf aufnehmen kann, trockener geworden. […] Ursache war vor allem die häufige Zufuhr trockener und sehr warmer subtropischer Luft von Süden her. […] Die 60 Konstantinos and Leetenmaier. “Trends in 20th century drought over the continental United States.” Geophysical Research Letters, 33.10. (2006). 61 Ebd. Kapitel „Discussion“. 62 https://www.dwd.de/DE/leistungen/besondereereignisse/duerre/20190712_trockenheit _juni_juli_2019.pdf?__blob=publicationFile&v=1. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 083/20 Seite 20 Klimaänderung begünstigt […] nicht nur höhere Temperaturen, sondern langfristig auch eine insgesamt größere Trockenheit in Europa in der Luft wie im Erdboden , auch wenn gleichzeitig in einzelnen Gebieten Auftreten und Intensität von Starkregen zunehmen.“63 Insgesamt lässt sich eine Verschiebung der Reifezeitpunkte von Pflanzen in Deutschland feststellen (phänologische Jahreszeitenverschiebung). Der Deutsche Wetterdienst hat hierzu eine Grafik auf seinen Internetseiten veröffentlicht, aus der die Verschiebung im Jahr 2020 gegenüber dem vieljährigen Mittel angegeben wird.64 Prognosen Verschiedene Studien gehen davon aus, dass Häufigkeit, Dauer und Schweregrad meteorologischer und hydrologischer Dürreperioden im 21. Jahrhundert in den meisten Teilen Europas weiter zunehmen. Dies wird zumeist nicht für Teile Mittelost- und Nordosteuropas prognostiziert. Im Vergleich zu den am stärksten betroffenen Dürreregionen in Südeuropa, sind laut Prognosen weite Teile Deutschlands vergleichsweise weniger von meteorologischen Dürren betroffen.65 Nichtsdestotrotz werden auch in Deutschland zunehmende Dürreperioden erwartet.66 In einer aktuellen Studie, publiziert im August 202067, zeigen die Autoren anhand von Langzeitbeobachtungen , dass das Auftreten der (europäischen) Sommerdürre 2018–2019 in den letzten 250 Jahren bislang einmalig war und dass die Auswirkungen auf die Vegetation gegenüber der europäischen Dürre im Jahr 2003 vergleichsweise stärker war. Mit Hilfe von Klimamodellsimulationen betonen die Autoren, dass die anthropogene Erwärmung ein erhöhtes Risiko für aufeinanderfolgende Dürreereignisse bedeute. Für verschiedene Klimaszenarien, wie sie im fünften Sachstandsbericht des Weltklimarates skizziert würden68, ergäben sich dabei unterschiedliche Dürrerisiken . Da diese in den niedrigen Szenarien (vergleichsweise höhere Einsparungen schädlicher Treibhausgasemissionen) geringer ausfielen, deute dies darauf hin, dass wirksame Minderungsstrategien dazu beitragen könnten, das Risiko künftiger Dürreperioden in Folge zu verringern.69 *** 63 https://www.dwd.de/DE/leistungen/besondereereignisse/duerre/20190712_trockenheit _juni_juli_2019.pdf?__blob=publicationFile&v=1. 64 https://www.dwd.de/DE/leistungen/phaeno_uhr/phaenouhr.html. 65 https://www.eea.europa.eu/data-and-maps/indicators/river-flow-drought-3/assessment. 66 https://www.ufz.de/index.php?de=37935. 67 Hari, V., Rakovec, O., Markonis, Y. et al. Increased future occurrences of the exceptional 2018–2019 Central European drought under global warming. Sci Rep 10, 12207 (2020). https://doi.org/10.1038/s41598-020-68872-9. 68 https://www.de-ipcc.de/128.php. 69 Hari, V., Rakovec, O., Markonis, Y. et al. Increased future occurrences of the exceptional 2018–2019 Central European drought under global warming. Sci Rep 10, 12207 (2020). https://doi.org/10.1038/s41598-020-68872-9.