© 2020 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 082/20 Einzelfragen zum Verhältnis von Art. 20a GG und der Förderung erneuerbarer Energien Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsi chtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 082/20 Seite 2 Einzelfragen zum Verhältnis von Art. 20a GG und der Förderung erneuerbarer Energien Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 082/20 Abschluss der Arbeit: 20. November 2020 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 082/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zum Verhältnis von EEG und Art. 20a GG 4 3. Zur Notwendigkeit einer Technikfolgenabschätzung aufgrund von Art. 20a GG 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 082/20 Seite 4 1. Einleitung Vor dem Hintergrund des aus Gründen des Klimaschutzes angestrebten Ausbaus der Windenergie und seiner ökologischen Folgen wird die Frage gestellt, ob die Förderung der Windenergie durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Lichte von Art. 20a GG verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. In der (rechts-)politischen Debatte zum Ausbau der Windenergie reicht das Spektrum von der Auffassung, eine Förderung der Windenergie, die auf eine Verdoppelung der installierten Kapazität hinauslaufe, sei ohne detaillierte Umweltfolgenabschätzung nicht zulässig,1 bis zu der Ansicht , Art. 20a GG erfordere gerade umgekehrt verstärkte Maßnahmen des Klimaschutzes unter Einschluss der Windenergie.2 2. Zum Verhältnis von EEG und Art. 20a GG Art. 20a GG verpflichtet zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere. Mit natürlichen Lebensgrundlagen ist die gesamte natürliche Umwelt des Menschen gemeint. Geschützt werden aber nicht einzelne Pflanzen oder Biotope, sondern Gattungen und ökologische Funktionen .3 Art. 20a GG enthält hochabstrakte Prinzipien, die graduell abstufbar sind. Sie können also mehr oder weniger erreicht werden.4 Die Konkretisierung dieser abstrakten Prinzipien, die Bestimmung des Schutzniveaus und der Ausgleich der verschiedenen Belange ist nach allgemeiner Auffassung primäre Aufgabe des Gesetzgebers.5 Dieser besitzt dabei einen weiten Gestaltungsspielraum .6 Dies gilt insbesondere mit Blick auf den notwendigen Ausgleich sowohl der verschiedenen Aspekte des Art. 20a GG untereinander als auch des Umwelt- und Tierschutzes mit anderen Verfassungsgütern. 1 Murswiek, Klimaschutz und Grundgesetz, Vortragsmanuskript, verfügbar unter: . 2 Umweltgutachten 2020 des Sachverständigenrates für Umweltfragen, Bundestagsdrucksache 19/20590, S. 59 f., vgl. auch die beim BVerfG anhängige Verfassungsbeschwerde gegen das Unterlassen geeigneter gesetzlicher Vorschriften und Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels durch die Bundesrepublik Deutschland , 1 BvR 2656/18. 3 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 15. Auflage 2018, Art. 20a Rn. 3. 4 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, 3. Auflage 2015, Art. 20a GG Rn. 26 f. 5 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20a GG Rn. 27, 46, 67 mwN; Murswiek, in Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 20a Rn. 60; Scholz, in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand 90. EL 2020, Art. 20a Rn 46 ff.; v. Epiney in: Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Aufl. 2018, Art. 20a Rn. 57. 6 BVerfGE 118, 79 (110) - Treibhausgasemissionsberechtigungen; 127, 293 (328) - Legehennenhaltung. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 082/20 Seite 5 Der Gesetzgeber ist dieser Aufgabe sowohl verfahrensrechtlich als auch materiell-rechtlich durch den Erlass differenzierter Umweltschutzregelungen, beispielsweise im Bundesimmissionsschutzgesetz , im Bundesnaturschutzgesetz und im Baugesetzbuch, nachgekommen.7 Das EEG sieht keinen verpflichtenden Ausbau von Windenergieanlagen vor, sondern fördert bereits genehmigte Anlagen. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens ist jeweils die Situation an einem konkreten Standort zu berücksichtigen. Einen pauschalen Vorrang bestimmter Belange gibt es dabei nicht. Daran ändert die Festlegung von Ausbauzielen und Ausschreibungsvolumen im EEG nichts. Bedingung für die Teilnahme an einem solchen Ausschreibungsverfahren ist es, dass die Genehmigung nach dem BImSchG bereits vorliegen (§ 36 EEG). Die Förderung durch das EEG vermag also eine eventuelle Abwägungsentscheidung zwischen verschiedenen Belangen des Umweltschutzes nicht einseitig zu verschieben. Eine vertiefte Erörterung der geplanten Ergänzung des EEG, mit der eine Regelung aufgenommen werden soll, nach der „die Errichtung von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien […] im öffentlichen Interesse [liegt] und {…] der öffentlichen Sicherheit [dient].“ ist nicht Gegenstand dieses Sachstandes. Erste Einschätzungen deuten darauf hin, dass die geplante Änderung eher eine klarstellende Funktion haben dürfte.8 Jedenfalls wird dem Ausbau der Windkraft kein unbedingter Vorrang gewährt, der andere Belange des Umweltschutzes standortunabhängig in den Hintergrund treten lassen könnte. 3. Zur Notwendigkeit einer Technikfolgenabschätzung aufgrund von Art. 20a GG Nach ganz überwiegender Auffassung im juristischen Schrifttum verbietet Art. 20a GG nicht den Einstieg in neue Technologien. Im Falle besonders schwerer, nachhaltiger und dauerhafter Risiken ist aufgrund des Vorsorgeprinzips nach dem Stand der Wissenschaft und Technik eine Erforschung dieser Risiken geboten.9 Dies ist nicht gleichbedeutend mit einer pauschalen Pflicht zu einer vorherigen umfassenden Technikfolgenabschätzung bei Einführung einer Technologie. Vergleichbar mit der Rechtsprechung des BVerfG zu den staatlichen Schutzpflichten bei Grundrechten 10 dürfte es oftmals genügen, wenn die staatlichen Organe den Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft mit geeigneten Mitteln beobachten und bewerten, um gegebenenfalls Anpassungen vornehmen zu können. 7 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20a GG Rn. 69; Huster/Rux, in BeckOK GG, Stand 43. Edition Mai 2020, Art. 20a Rn. 29. 8 WD 5, Sachstand „Öffentliche Sicherheit“ als Begriff im „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare -Energien-Gesetzes“ WD 5 - 3000 - 117/20. 9 Schulze-Fielitz, in Dreier, Art. 20a Rn. 54. 10 BVerfGK 10, 208 (211), dazu auch Voßkuhle, Umweltschutz und Grundgesetz, NVwZ 2013, S. 1 (7). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 082/20 Seite 6 Ergeben sich im Rahmen dieser Forschung neue abwägungsrelevante Aspekte, sind diese soweit möglich innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens zu integrieren. Ist dies nicht möglich, kann sich im Ausnahmefall auch eine Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers ergeben.11 Solange der wissenschaftliche Erkenntnisstand ungeklärt ist, besitzt der Gesetzgeber einen erheblichen Bewertungs - und Gestaltungsspielraum.12 Mit Blick auf die ökologischen Auswirkungen von Windkraftanlagen trägt die Bundesregierung den genannten Aspekten zum Beispiel Rechnung, indem sie zahlreiche Forschungsprojekte zu grundlegenden Fragen finanziert, deren Erkenntnisse in Genehmigungsverfahren von Windenergieanlagen einfließen können. Hierzu zählen beispielsweise Forschungsvorhaben zu den Auswirkungen von Windkraftanlagen auf Vögel und Fledermäuse.13 Diese dienen zudem dem Ziel, eine praktische Konkordanz zwischen dem Ausbau der Windenergie einerseits und einer naturschutzverträglichen Gestaltung andererseits zu ermöglichen. *** 11 Schulze-Fielitz, in Dreier, Art. 20a Rn. 72. 12 Im Kontext der Gentechnik BVerfGE 128, 1 (39). Zur Frage der Bewertung von Unsicherheiten in der ökologischen Wissenschaft BVerfG, Beschluss vom 23.10.2018, 1 BvR 2523/13 u.a. 13 Vgl.etwa und .