© 2020 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 075/20 Zum Schmerzempfinden von Hühnerembryonen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 075/20 Seite 2 Zum Schmerzempfinden von Hühnerembryonen Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 075/20 Abschluss der Arbeit: WD 8 - 3000 - 030/17 31. Juli 2017, Aktualisierung am 2. November 2020 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 075/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zur Embryonalentwicklung von Hühnern 4 2. Zur Definition von Schmerzempfinden 5 3. Zur In-Ovo-Geschlechtsbestimmung bei Hühnerembryonen 8 3.1. Endokrinologie 8 3.2. Molekulargenetik 9 3.3. Spektroskopie 10 3.4. Magnetresonanztomografie (MRT) 11 4. Literatur zu Schmerzempfinden von Hühnerembryonen 12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 075/20 Seite 4 1. Zur Embryonalentwicklung von Hühnern Das Huhn (Gallus gallus) zählt in Hinblick auf entwicklungsbiologische Studien zu den Modellorganismen für Vertebraten (Wirbeltiere). Dabei spielt mitunter das relativ große Ei, das Beobachtungen erleichtert, sowie eine große Verfügbarkeit eine entscheidende Rolle. Der Hühnerembryo entwickelt sich und schlüpft in 20 bis 21 Tagen. Historisch gesehen ist der Hühnerembryo einer der ersten experimentell untersuchten Embryonen: wie bereits oben gesagt leicht zugänglich, leicht zu inkubieren, und die Embryo-Entwicklung ist direkt zu beobachten. Hierzu wird ein kleines Fenster/Loch in die Eierschale geschnitten. Hamburger & Hamilton etablierten bereits 1951 ein Übersichtswerk der Entwicklungsstadien (Stage-Atlas)1, der es erlaubte, bestimmte Entwicklungsereignisse genauer als durch Bebrütungstage festzulegen (hierbei werden 46 Entwicklungsstadien des Hühnerembryos definiert, abgekürzt werden die Stadien in der Literatur i.d.R. mit „HH“).2 Einen detaillierten Einblick in die Entwicklungsbiologie des Huhns bietet ein 1996 erschienenes Lehrbuch.3 Die Herausgeber dieses Buches haben bereits 1995 einen kürzeren Übersichtsartikel „The immunology and developmental biology of the chicken“ publiziert.4 Während in der Geflügelwirtschaft männliche Küken aus ökonomischen Gründen zumeist aussortiert werden, können weibliche Küken als Legehennen aufgezogen werden. Ansätze, die es erlauben , bereits im Stadium des Eies vor Einsetzen eines Schmerzempfindens zu erkennen, ob es sich um ein männliches oder weibliches Küken handeln wird, werden derzeit (weiter-) entwickelt . Kann man diese Eier identifizieren, so werden bereits in einem frühen Eistadium männliche Eier aussortiert und zu Futter verarbeitet, während weibliche ausgebrütet werden. Aus Tierschutzgründen ist es wünschenswert, diese Bestimmung möglichst zu einem Zeitpunkt durchzuführen , wenn das Schmerzempfinden noch nicht ausgebildet ist. Im vorliegenden Sachstand, der eine Aktualisierung eines Sachstandes gleichen Titels aus dem Jahr 2017 darstellt (WD 8 - 3000 - 030/17)5, wird zunächst auf das Schmerzempfinden in Abgrenzung zur sog. Nozizeption6 eingegangen. Hierbei werden wissenschaftliche Studien herangezogen , die sich der Frage des genauen Zeitpunktes des Einsetzens bewussten Schmerzempfindens beim Hühnerembryo widmen. Die Klärung dieser Fragestellung ist bedeutend im Zusammenhang mit der Debatte, welche Methoden eingesetzt werden können, um die Tötung männlicher Küken 1 V Hamburger, H L Hamilton A series of normal stages in the development of the chick embryo. 1951. Dev. Dyn.: 1992, 195(4); 231-72. 2 Weitergehende Informationen sind im Internet abrufbar unter: https://embryology.med.unsw.edu.au/embryology /index.php/Chicken_Development#cite_note-PMID1304821-1 [zuletzt abgerufen am 20. Juli 2017]. 3 Olli Vainio, Beat A. Imhof: Current Topics in Microbiology and Immunology; Volume 212 1996; Immunology and Developmental Biology of the Chicken. 4 Vainio, O & Imhof, BA. (1995); Immunology Today 365 Vol. 16 No. 8 1995. Diese Publikation ist im Internet verfügbar unter: http://www.cell.com/immunology/pdf/0167-5699(95)80002-6.pdf [zuletzt abgerufen am 25. Juli 2017]. 5 Die Originalarbeit findet sich in Anlage 1 des vorliegenden Sachstandes. 6 Sensorische Reizung. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 075/20 Seite 5 zu verhindern. Anschließend wird auf verschiedene Ansätze eingegangen, die eine Geschlechtsbestimmung im Eistadium zulassen. Abschließend werden einzelne wissenschaftliche Studien zum Themenkomplex der Geschlechtsbestimmung im Ei und dem Schmerzempfinden aufgeführt . 2. Zur Definition von Schmerzempfinden Schmerz wird durch die International Association for the Study of Pain (IASP) wie folgt definiert : “Eine unangenehme sensorische und emotionale Erfahrung, die mit tatsächlichen oder potenziellen Gewebeschäden verbunden ist oder dieser ähnelt.“7 Damit werden sowohl eine subjektive wie eine objektive Schmerzempfindung benannt.8 Die bewusste Schmerzwahrnehmung bei Säugetieren gilt als erwiesen9. Der reine neuronale Prozess der Aufnahme und Weiterleitung „schädlicher“ Reize wird dahingegen als Nozizeption bezeichnet .10 Hierzu sind bei Säugetieren die sogenannten Nozizeptoren wichtig. Dabei handelt es sich um Rezeptoren, über die elektrische Signale mittels des Nervensystems bis zur Großhirnrinde weitergeleitet werden. Von Menschen ist durchaus bekannt, dass trotz einer vorliegenden Verletzung nicht notwendigerweise ein ausgeprägtes Schmerzempfinden vorliegen muss. Hier 7 Originaltext: „An unpleasant sensory and emotional experience associated with, or resembling that associated with, actual or potential tissue damage.“ IASP Terminology, https://www.iasp-pain.org/Education/Content .aspx?ItemNumber=1698. Letzte Aktualisierung 14. Dezember 2017. Übersetzung durch den Autor der Arbeit . 8 In einer früheren Version dieser Arbeit hieß es an dieser Stelle: „Zudem ist bei Vögeln zu beachten, dass die Hirnrinde nicht ausgeprägt ist und daher eventuell andere Hirnareale eine Rolle in der Schmerzwahrnehmung spielen könnten. Prinzipiell gilt es als wissenschaftlich erwiesen, dass Vogelembryonen zur In-ovo-Nozizeption in der Lage sind. Bislang divergiert die wissenschaftliche Meinung zum Zeitpunkt des Schmerzempfindens bei Hühnerembryonen. Die Wissenschaftler sind sich weitgehend einig, dass vor dem siebten Bebrütungstag keine Empfindungsfähigkeit vorliegt (dies entspricht dem Stadium 30-31 der HH-Entwicklungsstadien) und sicherlich ab dem 15. Tag von einem Schmerzempfinden ausgegangen werden kann. Zwischen dem siebten und 15. Tag gehen hingegen die Meinungen der Wissenschaftler noch auseinander, in Abhängigkeit davon, auf welche Studien sie sich berufen. Auf einzelne Studien wird im vierten Kapitel der vorliegenden Arbeit eingegangen. Bei denjenigen Autoren, die sich auf einen sehr frühen Zeitpunkt des Schmerzempfindens berufen, wird zumeist eine 1961 erschienene russische Publikation herangezogen. Kritiker wenden allerdings ein, dass in dieser Publikation weite Teile der Eischale entfernt wurden und somit ein ganz besonders starker Reiz ausgelöst wurde. Die Wissenschaftler sind weitestgehend der Meinung, dass zur Abklärung dieser wesentlichen Frage, ab wann ein Schmerzerleben tatsächlich vorliegt, weitergehende Forschung betrieben werden müsse. Referenzen: Bjørnstad, S., L. P. E. Austdal, B. Roald, J. C. Glover and R. E. Paulsen (2015): Cracking the egg: potential of the de-veloping chicken as a model system for nonclinical safety studies of pharmaceuticals. J. Pharmacol. Exp. Ther. 355, 386- 396. Aleksandrowicz, E., & Herr, I. (2015). Ethical euthanasia and short‐term anesthesia of the chick embryo. ALTEX: Alternativen zu Tierexperimenten, 32(2), 143–147. Chumak (1961) (Bemerkung: Diese Publikation ist nur in russischer Sprache verfügbar (Stand 2017) und konnte im Rahmen dieser Arbeit daher nicht gelesen werden ).“ 9 Le Bars et al. (2001) Animal Models of Nociception. Pharmacol Rev 53(4):597-652. 10 https://www.iasp-pain.org/Education/Content.aspx?ItemNumber=1698#Nociception. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 075/20 Seite 6 spielt eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle. Es ist also wichtig, zwischen bewusstem Schmerzempfinden und einer unbewussten Reizverarbeitung durch Nozizeption zu unterscheiden. Wie bereits in der ursprünglichen Arbeit dargestellt, besteht in der Wissenschaft ein Konsens, dass vor dem 7. Entwicklungstag keine Schmerzempfindung bei Hühnerembryonen vorliegt. Man ging aber davon aus11, dass mindestens ab dem 15. Entwicklungstag von einem Schmerzempfinden ausgegangen werden kann. Für die Zeitspanne zwischen dem siebten Entwicklungstag bis zum 15. Tag gab es unterschiedliche Auffassungen, und es wurde darauf hingewiesen, dass es dazu weiterer wissenschaftlicher Studien bedürfe. In der vorliegenden Arbeit werden auch Studien aufgeführt, die den Zeitraum zwischen dem 7. und 15. Bebrütungstag beleuchten und nach 2017 erschienen sind. Um Schmerz empfinden zu können, müssen Nozizeptoren, Nervenfasern, das Rückenmark und das Gehirn vollständig entwickelt sein. Es gilt als wissenschaftlich belegt, dass prinzipiell Vogelembryonen zu einer In-Ovo-Nozizeption in der Lage sind.12 Der Zeitpunkt, an dem bei Vögeln das bewusste Schmerzempfinden im Ei beginnt, ist allerdings weiterhin wissenschaftlich nicht detailliert festgelegt. Dass vor dem 7. Bebrütungstag nicht von einer Schmerzempfindlichkeit des Hühnerembryos ausgegangen wird, belegen auch neuere Studien.13 Ab dem 7. Bebrütungstag beginnt eine Entwicklung, die notwendig ist, um später eine vollständige Schmerzempfindung zu entwickeln.14 A. Einspanier konstatiert in einer wissenschaftlichen Anmerkung zum Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes, dass die vollständige Entwicklung der Nozizeption bis zum 11. Tag dauere15 und - unter Berufung auf eine ganze Reihe wissenschaftlicher Arbeiten - könne davon ausgegangen werden, dass ab Tag 13 der Hühnerembryo ein funktionales Gehirn entwickele, aber erst ein paar Tage vor dem Schlupf bewusste Wahrnehmungen verarbeite.16 Eine aktuelle Studie (2020), die sich der Frage der Akzeptanz des Einsatzes von 11 Stand 2017 12 Bjørnstad, S., L. P. E. Austdal, B. Roald, J. C. Glover and R. E. Paulsen (2015): Cracking the egg: potential of the developing chicken as a model system for nonclinical safety studies of pharmaceuticals. J. Pharmacol. Exp. Ther. 355, 386–396. 13 Siehe beispielsweise: M-E Krautwald-Junghanns: Current approaches to avoid the culling of day-old male chicks in the layer industry, with special reference to spectroscopic methods; Poultry Science Volume 97, Issue 3, 1 March 2018, Pages 749-757. 14 Rosenbruch (1994) Frühe Entwicklungsstadien des bebrüteten Hühnereies als Modell in der experimentellen Biologie und Medizin; ALTEX 11, 199-206. 15 A. Einspanier: „Wissenschaftliche Anmerkungen zum Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes“ von Prof. Dr. Einspanier; 5. Oktober 2020. 16 Vgl. hierzu: A. Einspanier: „Wissenschaftliche Anmerkungen zum Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes“ von Prof. Dr. Einspanier; 5. Oktober 2020. Es wird Bezug genommen auf folgende Arbeiten: AVMA (2020) Guidelines for the Euthanasia of Animals. ISBN 978-1-882691-54-8. Version 2020.0.1. Balaban et al. (2012) Waking-like brain function in embryos. Curr Biol. 2012 May 22;22(10):852-61. Chumak (1961) Dinamika reflektomykh reaktsii i vklyuchenie retseptornykh apparatov u embriona kuritsy (Dynamics of reflex reactions and initiation of receptor systems in the chick embryo). In Sbornik, (Hrsg.) Voprosy fiziologii i patologii tsentral'noi nervnoi sistemy cheloveka i zhivotnykli v ontogeneze Moskva. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 075/20 Seite 7 In-Ovo-Geschlechtsbestimmungsmethoden unter deutschen Verbrauchern widmet, stellt den Erkenntnisstand zur Entwicklung des Schmerzempfindens des Hühnerembryos zusammen.17 Die Autoren stützen sich auf verschiedene frühere wissenschaftliche Arbeiten und konstatieren, am 13. Tag sei das Gehirn voll entwickelt.18 Mellor et al. argumentieren, dass Küken bis mindestens Tag 17 bewusstlos und in einem schlafähnlichen Zustand seien.19 Im Gegensatz dazu gehen die Richtlinien der American Veterinary Association20 von einem Bewusstsein bei 50% der Inkubationszeit aus, also bei Tag 10,5. Vertreter von Tierschutzorganisationen wie dem Deutschen Tierschutzbund gehen zumeist von einem vergleichsweise frühen Datum für Schmerzempfinden aus.21 Diejenigen, die auf ein sehr frühes Schmerzempfinden verweisen, stützen sich wohl häufig auf eine russische Publikation aus dem Jahre 1961.22 Der Titel der Arbeit lautet gemäß einer deutschen Übersetzung: „Die Dynamik Reflektorischer Reaktionen und die Einbindung von Rezeptorapparaten bei Hühnerembryonen “.23 Hierin werden reflektorische Reaktionen (also nicht bewusstes Schmerzempfinden) untersucht . Stärkere derartige Reaktionen des Embryos werden im letzten Viertel der Embryogenese Close et al. (1997) Recommendations for euthanasia of experimental animals: Part 2; Laboratory Animals 31(1), 1-32. Mellor und Diesch (2007) Birth and hatching: Key events in the onset of awareness in the lamb and chick. New Zealand Veterinary Journal 55:2, 51-60. Peters et al. (1965) Onset of cerebal electrical activity associated with behavioral sleep and attention in the developing chick. J Exp Zoo, 160, 255-262. Notes on usage: recommended by the IASP Subcommittee on Taxonomy . Pain 6, 249. Rosenbruch (1994) Frühe Entwicklungsstadien des bebrüteten Hühnereies als Modell in der experimentellen Biologie und Medizin; ALTEX 11, 199-206. 17 C. Reithmayer et al.: Societal attitudes towards in ovo genderdetermination as an alternative to chick culling; Agribusiness; https://doi.org/10.1002/agr.21650, 11. Juni 2020). 18 In welchem Ausmaß eine Schmerzwahrnehmung zwischen dem 7. Tag und dem 13. Tag vorliegt, ist wissenschaftlich nicht abschließend geklärt. Originalzitat: „At Day 13, the brain is fully developed. Between days 7 and 13, pain perception can be possible, the degree to which it is actually experienced by the embryo is not certain yet (Bjørnstad, Austdal, Roald, Glover, & Paulsen, 2015; Eide & Glover, 1995).“ (aus: C. Reithmayer et al.: Societal attitudes towards in ovo genderdetermination as an alternative to chick culling; Agribusiness; https://doi.org/10.1002/agr.21650, 11. Juni 2020) 19 Mellor, D. J., & Diesch, T. J. (2007). Birth and hatching: Key events in the onset of awareness in the lamb and chick. New Zealand Veterinary Journal, 55(2), 51–60. 20 Leary, S. L. (2013). AVMA guidelines for the euthanasia of animals (2013 ed.). Schaumburg, IL: American Veterinary Medical Association. 21 Siehe hierzu beispielsweise: https://www.topagrar.com/gefluegel/streit-wann-spuert-der-kueken-embryo-im-eischmerz -11522065.html; 22 Persönliche Information Universität Leipzig, Endokrinologie (Juli 2017). 23 Russisch-deutsche Übersetzung der Publikation Chumak (1961) durch ConTec Fachübersetzungen GmbH, Seite 64. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 075/20 Seite 8 festgestellt.24 Die ersten reflektorischen Reaktionen (dies sind Reflexreaktionen, nicht bewusstes Schmerzempfinden) eines Embryos infolge von beispielweise mechanischen, kälte- oder wärmespezifischen Reizungen der Haut erfolgen am 7. Tag, Geschmacksrezeptoren reagieren am 9.-10. Tag, Geruchsrezeptoren am 16.-17. Tag, der vestibuläre Apparat und der Sehapparat am 17.-18. Tag und der Gehörapparat am 20. Entwicklungstag. 3. Zur In-Ovo-Geschlechtsbestimmung bei Hühnerembryonen Um am bebrüteten Ei und bereits vor dem Schlüpfen das Geschlecht des werdenden Huhns bestimmen zu können, sind unterschiedliche Methoden entwickelt worden, die alle das Ziel verfolgen , noch vor dem Einsetzen des Schmerzempfindens beim Embryo das Geschlecht zu ermitteln. Während zwei Technologien (Endokrinologie und Molekularbiologie) auf einer Analyse der sog. Allantoisflüssigkeit25 basieren, fußt eine dritte Technologie (spektroskopische Ansätze) auf Lichtverfahren . Eine vierte Technologie setzt Magnetresonanztomografie ein. 3.1. Endokrinologie Die erste marktreife In-Ovo-Geschlechtsbestimmung bei Hühnerembryonen wird von der niederländisch -deutschen Firma SELEGGT seit November 2018 kommerziell angeboten. Der Bestimmungsprozess beruht auf einem patentierten In-Ovo-Geschlechtsbestimmungsverfahren von Almuth Einspanier (Universität Leipzig)26. Das Verfahren wird auf den Internetseiten des Unternehmens beschrieben. Hierbei wird das 8 bis 10 Tage bebrütete Ei aus dem Brutschrank entnommen. Durch einen Sensor ist es möglich zu kontrollieren, ob das Brutei befruchtet ist. Bei allen befruchteten Bruteiern wird mithilfe von Lasern ein Loch in die Bruteischale gebohrt. Daraufhin wird eine geringe Menge der Allantoisflüssigkeit entnommen.27 Nach bisherigen Erkenntnissen hat dies für das Brutei keine negativen Folgen. In der Allantoisflüssigkeit befindet sich bei einem weiblichen Brutei das weibliche Geschlechtshormon Östronsulfat. Mit Hilfe eines patentierten Markers kann nun auf Anwesenheit von Östronsulfat (Farbumschlag) getestet werden. Die Bruteier können gemäß dem Farbumschlag sortiert werden. Anschließend werden männliche Bruteier aussortiert und zu Futtermittel weiter verarbeitet. Weibliche Bruteier hingegen werden im Brut- 24 Chumak, V. I. (1961). Dinamika reflektomykh reaktsii i vklyuchenie retseptornykh apparatov u embriona kuritsy (Dynamics of reflex reactions and initiation of receptor systems in the chick embryo). In Sbornik, (Hrsg.) Voprosy fiziologii i patologii tsentral'noi nervnoi sistemy cheloveka i zhivotnykli v ontogeneze, pp. 63-68. Moskva. 25 Allgemein verständliche Definition von Allantois im Lexikon der Biologie, Spektrum-Verlag: „Bei den Sauropsida (Reptilien, Vögel) stellt die Allantois ursprünglich einen embryonalen Harnsack dar und speichert in ihrem Lumen Exkrete in unlöslicher Form (Harnsäure). Mit zunehmender Größe schiebt sie sich zwischen die äußeren und inneren Schichten von Amnion und Dottersack ein, legt sich mit ihrer gefäßreichen Wand innen an das Chorion an und dient sekundär als Atemorgan auch dem Gasaustausch durch die poröse Eischale.“ (Quelle: https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/allantois/2159). 26 Veterinär-Physiologisch-Chemisches Institut (Arbeitsgruppe Endokrinologie) der Universität Leipzig. Frau Prof. A. Einspanier ist „SELEGGT Partner“: https://www.seleggt.de/ueber-uns/. 27 Diese kann momentan frühestens am 8. Tag entnommen werden (Informationen SELEGGT vom 28.10.2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 075/20 Seite 9 schrank weiter bebrütet. Dabei ist es nicht notwendig, das Loch in der Schale wieder zu verschließen , die innere Eimembran als Abschluss genügt. Am 21. Bruttag schlüpfen dann lediglich weibliche Küken.28 Die Methodik wurde 2013 in der Zeitschrift Theriogenology29 unter dem Titel „Sexing domestic chicken before hatch: a new method for in ovo gender identification“ publiziert. 3.2. Molekulargenetik Der Einsatz einer molekulargenetischen Methode zur In-Ovo-Geschlechtsbestimmung basiert darauf , dass männliche und weibliche Hühner unterschiedliche Geschlechtschromosomen besitzen. Mittels PCR-Technologie kann dieser genetische Unterschied durch Analyse der Allantoisflüssigkeit sichtbar gemacht werden. Laut wissenschaftlicher Einschätzung30 lässt sich Allantois ab Tag 9 zu nahezu 100% gewinnen. Ein Verfahren, das im Anschluss der Entnahme eine PCR-Analyse durchführt, wird von der Firma Plantegg31 derzeit weiterentwickelt.32 Der Lebensmittelkonzern Aldi teilte mit, ab „Ende 2020 sollen ALDI Kunden die ersten Eier kaufen können, für deren Produktion die neue Methode zum Einsatz kommt.“33 Bis zum Jahr 2022 wollen Aldi Süd und Nord deutschlandweit bei der Produktion ihrer Boden-, Freiland- und Bio-Eiern komplett auf das "Plantegg"-Verfahren umsteigen.34 Die Methodik an sich beruht auf einer Amplifikation geschlechtsspezifischen Materials mittels Echtzeit-PCR (Real-Time-PCR, RT-PCR).35 Darauf folgend kann männliches von weiblichem genetisches Material unterschieden werden. Laut Aussage des Unternehmens ist derzeit ein Durchsatz von 3.000 Eiern pro Stunde möglich. Die Entnahme der zu analysierenden Flüssigkeit wird momentan mittels SELEGGT Methodik (siehe oben) durchgeführt. Daher ist sie nach derzeitigem Technikstand frühestens an Tag 8 einsetzbar. 28 Quelle: https://www.seleggt.de/ueber-uns/. 29 Weissmann A, Reitemeier S, Hahn A, Gottschalk J, Einspanier A. Sexing domestic chicken before hatch: a new method for in ovo gender identification. Theriogenology. 2013 Aug;80(3):199-205. doi: 10.1016/j.theriogenology .2013.04.014. Epub 2013 May 29. PMID: 23726296. Impact Factor der Zeitschrift 2019: 2.094. 30 Informationen durch Prof. Dr. A. Einspanier. 31 https://www.plantegg.de/. 32 Patent: Method for gender identification in domestic chicken WO2017076957A1 (Martin Christian WeigelKarsten Hofmann-PeikerMichael Kleine). 33 https://www.planton.de/dokumente/Pressemitteilung-ALDI.pdf. 34 https://www.chip.de/news/Eier-bei-Aldi-Discounter-stellt-Produktion-komplettum _182825195.html#:~:text=Aldi%20S%C3%BCd%20und%20Nord%20haben,Biotech%2DUnternehmens %20Planton%20umsteigen%20wird. 35 Vervielfältigung des genetischen Materials wird in Echtzeit mit Hilfe von Farbstoffen, die mit der Menge des amplifizierten genetischen Materials zunimmt, beobachtet. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 075/20 Seite 10 3.3. Spektroskopie Die Firma Agri Advanced Technologies GmbH (AAT) arbeitet momentan an der Einführung zweier verschiedener Geschlechtsbestimmungsverfahren, dem Raman-spektroskopischen Verfahren und der hyperspektralen Messtechnik36. Beide Verfahren nutzen Licht zur Bestimmung des Geschlechts im Ei. Die hyperspektrale Messtechnik ist nicht invasiv, erlaubt einen hohen Durchsatz , aber funktioniert nur bei braunen Hühnern ab dem 13. Bebrütungstag des Bruteis.37 Laut Meldung des Unternehmens vom 3. August 2020 ist dieses Verfahren als vollautomatisierte Version nun praxisreif.38 Details zur hyperspektralen Methodik finden sich in einer wissenschaftlichen Publikation aus dem Jahr 2017.39 Eine spezifische Hühnersorte weist eine geschlechtsspezifische Unterscheidung in ihrer Federfarbe auf: die weiblichen Eintagsküken haben braune Daunenfedern und die Männchen gelbe. Mittels hyperspektraler Kamera wird transmittiertes Licht im Spektralbereich von 400 nm bis 1.000 nm gesammelt. Um die Daten zu analysieren, werden gängige Methoden wie Hauptkomponentenanalyse und lineare Diskrimination verwendet. In der wissenschaftlichen Arbeit wurde eine Genauigkeit der Geschlechtsbestimmung für 14-Tage-alte Embryonen von ca. 97% bestimmt. Die Geschlechtsbestimmung mittels des Raman40-spektroskopischen Verfahrens lässt sich bereits vor dem 7. Bebrütungstag einsetzen. „Dabei wird zuerst die Luftkammer im Ei detektiert, die Schale dann mit einem CO2-Laser perforiert und der Schalendeckel abgehoben. Nachdem das Geschlecht bestimmt wurde, wird die Schale wieder verschlossen.“41 Für dieses Verfahren kann allerdings bislang kein Markteinführungsdatum genannt werden. Die Methodik der Geschlechtsbestimmung mittels der Raman-Spektroskopie wurde 2016 in einer wissenschaftlichen Publikation einer Dresdener, Leipziger und litauischen Arbeitsgruppe dargestellt.42 Die Wissenschaftler stellen dar, wie mittels Raman-Spektroskopie eine Bestimmung des Ovo-Geschlechts des Haushuhns am Tag 3,5 der Eierinkubation ermöglicht werden kann. Sie konstatieren, dass die Genauigkeit 36 Europäische Patentierung: EP 2 890 973 B1 (Spektroskophotometrische Analyse der Federfarbe von embryonalen Küken). Internationales Patent WO2017/017277A1 (Verfahren und Vorrichtung zur Einbringung einer Öffnung in die Kalkschale im Bereich des Stumpfen Pols von bebrüteten Vogeleiern mit Embryo) 37 https://www.agri-at.com/produkte/in-ovo. 38 https://www.agri-at.com/presse/15-pressemitteilungen-in-ovo/80-hyperspektrale-messtechnik-zur-geschlechtsbestimmung -im-ei-ist-praxisreif. 39 Göhler D, Fischer B, Meissner S. In-ovo sexing of 14-day-old chicken embryos by pattern analysis in hyperspectral images (VIS/NIR spectra): A non-destructive method for layer lines with gender-specific down feather color. Poult Sci. 2017 Jan 1;96(1):1-4. doi: 10.3382/ps/pew282. Epub 2016 Sep 2. PMID: 27591278. 40 Spektroskopisches Verfahren, benannt nach dem benannt nach dem indischen Physiker C. V. Raman. 41 Ebd. 42 Galli R, Preusse G, Uckermann O, Bartels T, Krautwald-Junghanns ME, Koch E, Steiner G. In Ovo Sexing of Domestic Chicken Eggs by Raman Spectroscopy. Anal Chem. 2016 Sep 6;88(17):8657-63. doi: 10.1021/acs.analchem .6b01868. Epub 2016 Aug 22. PMID: 27512829. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 075/20 Seite 11 bei 90% liege und auf Analyse der in den extraembryonalen Gefäßen zirkulierenden Blutspektren beruhe. Diese Bestimmung funktioniert unter Laborbedingungen. Bislang stellt allerdings für die marktreife Umsetzung das vergleichsweise große Loch, das in die Eischale gebohrt werden muss ein Umsetzungsproblem dar. Daher ist nicht absehbar, ob eine Markteinführung möglich ist. Auch ein französisches Unternehmen (Tronico)43 sowie ein kanadisches Unternehmen (Hypereye )44 arbeiten an der Entwicklung spektroskopischer Methoden zur Geschlechtsbestimmung im Ei. 3.4. Magnetresonanztomografie (MRT) An der Technischen Universität München forschen zwei Gruppen (Munich School of BioEngineering und Biotechnologie der Reproduktion) an der Geschlechtsbestimmung im Hühnerei mittels MRT (Magnetresonanztomographie). Mittels MRT sind die Wissenschaftler neben der Geschlechtsbestimmung auch in der Lage, festzustellen, ob ein Ei befruchtet wurde oder nicht. Bereits 2018 haben sich die verantwortlichen Wissenschaftler in einer Pressemitteilung45 zu dem Verfahren geäußert. Ihre Methodik wurde Ende 2017 patentiert.46 Laut Informationen der Forschergruppe werden derzeit Messreihen geplant, um die bisherigen Daten weiter zu validieren. Hierdurch ergibt sich die Grundlage für den Bau eines Prototyps. MRT ist eine Technologie, die in der medizinischen Diagnostik seit langer Zeit zur Darstellung von Struktur und Funktion der Gewebe und Organe im Körper eingesetzt wird. Im Gegensatz zur Röntgenanalyse wird keine Röntgenstrahlung oder andere ionisierende Strahlung erzeugt, sondern vielmehr magnetische Felder aufgebaut. Die Methodik ist nicht-invasiv und kann nach derzeitigem Entwicklungsstand am 5. Tag der Entwicklung angewandt werden.47 43 https://www.quechoisir.org/actualite-bien-etre-animal-une-technique-pour-eviter-le-broyage-des-poussinsmales -n65939/. 44 https://www.canadianpoultrymag.com/hypereye-a-game-changer-30033/. 45 Pressemitteilung der Technischen Universität München vom 28.06.2018: Durchbruch bei Suche nach Alternative zum Kükentöten; https://www.tum.de/nc/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/34775/. 46 Automatisierte Nicht-invasive Bestimmung des Geschlechts eines Embryos und der Fertilität eines Vogels. europäische Patentnummer EP3483619A1 (https://data.epo.org/gpi/EP3545326A1-AUTOMATED-NONINVASIVE- DETERMINING-THE-SEX-OF-AN-EMBRYO-OF-AND-THE-FERTILITY-OF-A-BIRD-apos-S-EGG) Priority: 13. November 2013. 47 Persönliche Informationen Technische Universität München, Biotechnologie der Reproduktion. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 075/20 Seite 12 4. Literatur zu Schmerzempfinden von Hühnerembryonen Aleksandrowicz, E. and I. Herr (2015): Ethical euthanasia and short-term anesthesia of the chick embryo. ALTEX 32, 143-147. In dem Forschungsartikel wird eine Methodik für die Euthanasie und kurzfristige Anästhesie von Hühnerembryonen vorgestellt. In der Einleitung wird auf das Schmerzempfinden von Hühnerembryonen eingegangen. Dabei bemerken die Autoren, dass die Fähigkeit hierzu sich schrittweise entwickelt, beginnend am Tag 7 der Inkubation [gemäß Rosenbruch (1997)]. Am Tag 13 habe sich das Neuralrohr des Huhnes zu einem funktionalen Gehirn entwickelt. Dabei berufen sich die Autoren auf amerikanische Richtlinien (ACUC California State Polytechnic University, 2012, IACUC University of Louisville, 2012). Bjørnstad, S., L. P. E. Austdal, B. Roald, J. C. Glover and R. E. Paulsen (2015): Cracking the egg: potential of the developing chicken as a model system for nonclinical safety studies of pharmaceuticals . J. Pharmacol. Exp. Ther. 355, 386-396. In diesem Kurz-Übersichtsartikel werden Potenziale und Grenzen der Verwendung von Hühnereiern als Modell für Entwicklungsstudien zur Erforschung neuer Arzneimittel diskutiert. Zur Entwicklung des Schmerzempfindens äußern sich die Autoren wie folgt: Es existiere ein Konsens unter den Wissenschaftlern, dass der Vogel-Embryo die Fähigkeit, Schmerzen zu empfinden, an einem bestimmten Entwicklungspunkt im Ei ausbilde. Die ersten sensorisch afferenten Nerven im Huhn entwickelten sich am Tag 4. Die synaptische Verbindung mit dem Dorsalhorn sei aber nicht vor dem Tag 7 ausgeprägt. Die Wahrnehmung von Schmerzen im ersten Trimester sei also unmöglich. Dabei berufen sich die Autoren auf die Publikationen Eide (1995), Eide (1997) sowie Rosenbruch (1997). Tatsächlich ist allerdings aufgrund fehlender Kenntnis der Entwicklung des sog. Tractus Spinothalamicus der genaue Zeitpunkt, an dem der Hühnerembryo Schmerzen empfinden kann, nicht bekannt. Am Tag 13 verfügt der Hühnerembryo über ein funktionell entwickeltes Gehirn. Die Autoren verweisen auch auf die Ausführungen der „American Veterinary Medical Association guidelines for euthanasia“. Hierin werde festgehalten, dass der Vogelembryo nach dem Zeitpunkt der halben Bebrütungszeit über ein ausreichend entwickeltes zentrales Nervensystem zur Schmerwahrnehmung verfüge.48 Campbell M.L.H. et al. (2014): How should the Welfare of Fetal and Neurologically Immature Postnatal Animals be Protected? Anim Welf. 2014 November 1; 23 (4): 369-379. In diesem Übersichtsartikel wird insbesondere darauf hingewiesen, dass in der akademischen Literatur zu Tierschutz und Ethik dem rechtlichen Schutz von tierischen Embryonen bislang nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen wurde. In dem Artikel werden Arbeiten vorgestellt, die aufzeigen, dass Embryonen durchaus leiden können. Im Hinblick auf Hühnerembryonen wird die auch hier zitierte Publikation von Mellor (2007) herangezogen. 48 Die “AVMA Guidelines for the euthanasia of Animals” sind im Internet abrufbar unter: https://www.avma.org/KB/Policies/Documents/euthanasia.pdf [zuletzt abgerufen am 20. Juli 2017]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 075/20 Seite 13 Chumak, V. I. (1961). Dinamika reflektomykh reaktsii i vklyuchenie retseptornykh apparatov u embriona kuritsy (Dynamics of reflex reactions and initiation of receptor systems in the chick embryo). In Sbornik, (Hrsg.) Voprosy fiziologii i patologii tsentral'noi nervnoi sistemy cheloveka i zhivotnykli v ontogeneze, pp. 63-68. Moskva 49In dieser Publikation werden reflektorische Reaktionen in Hühnerembryonen untersucht. Während die ersten reflektorischen Reaktionen (dies sind Reflexreaktionen, nicht bewusstes Schmerzempfinden ) eines Embryos infolge mechanischer, kälte-, wärme-, oder schmerzspezifischer Reizungen der Haut am 7. Tag erfolgten50, sind Geschmacksrezeptoren am 9.-10. Tag, Geruchsrezeptoren am 16.-17. Tag, der vestibuläre Apparat und der Sehapparat am 17.-18. Tag und der Gehörapparat am 20. Entwicklungstag51 ausgebildet. Eide, A. L. and J. C. Glover (1995): Development of the longitudinal projection patterns of lumbar primary sensory afferents in the chicken embryo. J. Comp. Neurol. 353, 247–259. In dieser Publikation studieren die Autoren die Entwicklung bestimmter Fortsätze von Nervenzellen mittels spezifischer Färbetechnik. Beginnend mit dem vierten Tag der Bebrütung, an dem die sog. Afferenten das Neuralrohr erreichen, wird die Entwicklung verfolgt. Die Längsaxone verlängern sich als einzelnes Bündel bis zum Tag 10. Danach werden die Längsaxone getrennt in „dorsal funiculus“ und „Lissauer tract“. Eide, A. L. and J. C. Glover (1997): Developmental dynamics of functionally specific primary sensory afferent projections in the chicken embryo. Anat. Embryol. (Berl.) 195, 237- 250. Obige Untersuchungen [Eide (1995)] werden in diesem Forschungsartikel weiterentwickelt. Hamburger V. (1952): Development of the nervous system. Ann N Y Acad Sci. 1952 Aug 8;55(2):117-32. Online abrufbar unter: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1749- 6632.1952.tb26527.x/epdf In dieser Publikation wird ein differenziertes Staging der Hühnerembryoentwicklung eingeführt. 49 In der Originalversion hieß es hier: „In dieser Publikation wird von Reaktionen auf mechanische und thermische Reize am siebten Bebrütungstag berichtet. Es wird dabei ausgeschlossen, dass es sich bei den beschriebenen embryonalen Reaktionen um spontane Reaktionen des Embryos handelt. Begründet wird dies damit, dass Reaktionen auf äußere Stimulationen zu separaten Kopf- oder Flügelbewegungen führen, während sich spontane Bewegungen des Embryos darin äußern, dass man simultane motorische Aktivitäten von Kopf, Rumpf und Extremitäten beobachten kann. Reaktionen auf Geräusche lassen sich nicht vor dem 18. Tag beobachten.49 Wie bereits erwähnt wird bei dieser Publikation kritisiert, dass die angewandte Methodik nicht vergleichbar ist mit Methoden der In-Ovo-Geschlechtsbestimmung, da große Teile der Schale entfernt wurden.“ G.E. Sviderskaya (1967): Influence of Sound on the motor activity of chick embryos; UDC 612.646.014:45:612,763-019:636.5, im Internet abrufbar unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/BF00789745.pdf 50 Russisch-deutsche Übersetzung der Publikation Chumak (1961) durch ConTec Fachübersetzungen GmbH, Seite 64. 51 Ebd., Seite 67 (Schlussfolgerung) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 075/20 Seite 14 Mellor, D.J. and T.J. Diesch (2007): Birth and hatching: Key events in the onset of awareness in the lamb and chick. New Zealand Vet. Journ. 55, 51-60. In diesem Übersichtsartikel, in dem u.a. die Erkenntnisse der neurologischen Entwicklung im Hühnerei zusammengefasst werden, wird argumentiert, dass die Entwicklung von rudimentären neuronalen Strukturen hin in Richtung zunehmender Größe, Komplexität und anatomischer Reife darauf schließen lasse, dass Bewegungen der Körper- und Gliedmaßen erst ab 60% der Inkubationszeit (ca. 13. Tag) durch spinale und/oder subkortikale neuronale Strukturen gesteuert würden. Vor-kortikale und kortikale Strukturen seien anfangs elektrisch still (bis 60% der Inkubation ), dann seien sporadische Spikes (70% der Zeit) und kurze Perioden von EEG-Aktivität messbar. Eine kontinuierliche undifferenzierte EEG-Aktivität entwickele sich bei 80% der Inkubationszeit und -reife voll aus in schlafähnliche Muster, wie sie nach dem Schlüpfen erkennbar seien (90% der Zeit). 52 Peters J, et al. (1965): Onset of cerebral electrical activity associated with behavioral sleep and attention in the developing chick, J. Exp. Zool. 160:255-262. Bipolare elektrische Aufnahmen von den Hirnlappen von Hühnerembryonen sowie von sich bewegenden Küken nach dem Schlüpfen zeigen, dass eine spontane elektrische Aktivität ab dem 11. bis 13. Tag der Inkubation beginnt. Elektroenzephalographische Muster, die für Verhaltensschlaf oder Aufmerksamkeit charakteristisch sind, erscheinen innerhalb von sechs Stunden nach dem Schlüpfen. Rosenbruch 1994: Frühe Entwicklungsstadien des bebrüteten Hühnereies als Modell in der experimentellen Biologie und Medizin, ALTEX 11, 4/94 In diesem Papier untersucht Rosenbruch bei der Firma Bayer zur Austestung von Pharmaka frühe Entwicklungsstadien des bebrüteten Hühnereies. In Hinblick auf die Ausbildung des Nervensystems beruft aber auch er sich auf Chumuk (1961). Rosenbruch, M. (1997): Zur Sensitivität des Embryos im bebrüteten Hühnerei. ALTEX 14, 111- 113. In dieser Publikation setzt Rosenbruch die Untersuchungen zum Einsetzen der Sensitivität im bebrüteten Hühnerei fort. Dabei stellt er fest: „Die Darstellung der schrittweise einsetzenden Funktionsfähigkeit des Nervensystems und der damit einhergehenden Sensitivität des Embryos zeigt, dass bei den experimentellen Untersuchungen bis zum 7. Bebrütungstag keine Sensitivität des Keimlings vorliegen kann. Und selbst bei Ausdehnung der Experimente bis zum zehnten Tag ist nur von einer eingeschränkten Empfindung des Hühnerembryos auszugehen.“ (Seite 113) Ausgewählte Publikationen 2017-2020 52 Seite 53 in Mellor (2007) . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 075/20 Seite 15 M-E Krautwald-Junghanns: Current approaches to avoid the culling of day-old male chicks in the layer industry, with special reference to spectroscopic methods; Poultry Science Volume 97, Issue 3, 1. März 2018, Seiten 749-757. In diesem Übersichtsartikel werden verschiedene Methoden, um die Tötung von männlichen Küken zu verhindern beschrieben. Die umfasst auch die Geschlechtsbestimmung im Ei. In der Arbeit wird abschließend festgestellt, dass trotz verschiedener existierender Ansätze, um das Keulen durch Sexing der Küken vor dem Schlüpfen zu verhindern, sich bislang keine Methode als für den alltäglichen und umfassenden Gebrauch (Hochdurchsatz) als geeignet erwiesen habe. In dieser Arbeit wird auch die Frage nach dem Einsetzen des Schmerzempfindens gestellt und festgehalten , dass dies mit Sicherheit noch nicht geklärt sei.53 AVMA (2020) Guidelines for the Euthanasia of Animals. ISBN 978-1-882691-54-8. Version 2020.0.1. Die Vereinigung amerikanischer Veterinärmediziner (AVMA) hält in ihren Richtlinien zur Euthanasie bei Tieren fest, dass Vögel bei einer Inkubationszeit der Vogeleier von 50% bis 80% der Brutzeit das Wahrnehmungspotential erreichen.54 C. Reithmayer et al.: Societal attitudes towards in ovo gender determination as an alternative to chick culling; Agribusiness; https://doi.org/10.1002/agr.21650, 11. Juni 2020. In einem Forschungsartikel werden Ergebnisse einer Fragebogen-basierten Untersuchung von insgesamt 482 deutschen Verbrauchern zu Einsatz von In-Ovo-Geschlechtsbestimmungsmethoden präsentiert. Die Autoren tragen auch den Erkenntnisstand zur Entwicklung des Schmerzempfindens des Hühnerembryos zusammen. Sie stützen sich auf verschiedene frühere wissenschaftliche Arbeiten und konstatieren, am 13. Tag sei das Gehirn voll entwickelt. Göhler D, Fischer B, Meissner S. In-ovo sexing of 14-day-old chicken embryos by pattern analysis in hyperspectral images (VIS/NIR spectra): A non-destructive method for layer lines with gender-specific down feather color. Poult Sci. 1. Januar 2017 1;96(1):1-4. doi: 10.3382/ps/pew282. PMID: 27591278. In dieser Forschungsarbeit wird die hyperspektrale Methode an 11-14 Tage alten Hühnerembryonen beschrieben. An Tag 14 kann das Geschlecht mit einer Sicherheit von 97% vorhergesagt werden . Allerdings beschränkt sich die Methodik auf Hühner einer bestimmten Art mit einer geschlechtsspezifischen Daunenfederfarbe *** 53 Zweiter Absatz im Abschnitt: Discussion and Conclusion. 54 „In the Avians section the recommendation for when avian embryos achieve the potential for perception has been amended from 50% to 80% of incubation for all avian eggs.“ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 075/20 Seite 16 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Zum Schmerzempfinden von Hühnerembryonen ; Sachstand vom 31. Juli 2017, WD 8 - 3000 - 030/17 Anlage 1