© 2021 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 064/21 Aspekte der CO2-Minderung Unterschiede zwischen Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländern Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 064/21 Seite 2 Aspekte der CO2-Minderung Unterschiede zwischen Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländern Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 064/21 Abschluss der Arbeit: 7. Juli 2021 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 064/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Ausgewählte Studien 6 2.1. Quantifizierung des Wachstums des Emissionstransfers 6 2.2. Ökonomische Klimaszenarien 6 2.3. Nationales Klimapaket 7 2.4. Globales Wirtschaftswachstum und seine Vereinbarkeit mit den Klimazielen 7 2.5. Emissionshandel und kostengünstigste Maßnahme 8 2.6. Grenzkostenkurven 8 2.7. CO2-Bepreisung und Finanztransfer 9 2.8. CO2-Grenzausgleich 11 2.9. Aspekte beim Umstieg auf erneuerbare Energien für Entwicklungsund Schwellenländer 12 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 064/21 Seite 4 1. Einleitung Die Grundlagen internationaler Klimapolitik wurden mit der UN-Klimarahmenkonvention (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) und dem Kyoto-Protokoll geschaffen . Zum einen geht es in der Klimapolitik um die Begrenzung der Emissionen und den Emissionshandel und zum anderen um die Klimafolgen, die die gering CO2-emittierenden Entwicklungs - und Schwellenländer aufgrund fehlender finanzieller Mittel für Gegenmaßnahmen, wie Küstenschutz oder Wasserversorgung, besonders hart treffen.1 „Die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen sieht vor, dass alle Vertragsparteien entsprechend ihrer gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Fähigkeiten das Klimasystem schützen. Dieses Gerechtigkeitsprinzip wurde 1992 in Anlehnung an den Gipfel für Umwelt und Entwicklung formuliert und bildet bis heute die Grundlage für die Entwicklung von Kriterien für eine gerechte Lastenteilung im UN-Klimaregime.“2 Im Rahmen des Klimaschutzabkommens des Kyoto Protokolls von 2005 haben sich Industrieländer zur Begrenzung ihres CO2-Ausstoßes verpflichtet. Für Schwellen- und Entwicklungsländer wurde auf eine solche Begrenzung verzichtet, um notwendiges Wirtschaftswachstum im Kampf gegen die Armut nicht zu behindern. Industrieländer können aber durch wachsenden Konsum von Produkten aus Entwicklungsländern die Emissionen verlagern und auch in diesen Ländern zum globalen Anstieg klimaschädlicher CO2-Emissionen beitragen.3 Auf der Klimakonferenz in Cancun 2010 wurde die Einrichtung eines Klimaschutzfonds beschlossen . Im Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 verpflichten sich alle Staaten, Programme zur Anpassung an die Erderwärmung vorzulegen. Die Umsetzung dieser Programme ist mit hohen Kosten verbunden. In den Entwicklungsländern liegt der Kostenbedarf nach Schätzung des UN-Umweltprogramms bei 70 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Durch die fortschreitende Erwärmung nehmen auch die Kosten zu.4 Einige Entwicklungsländer leiden unter den Folgen des Klimawandels besonders stark, haben die Erderwärmung aber nicht in dem Maße verursacht, wie die Industrieländer. Die Industrieländer haben sich deshalb verpflichtet, ab 2020 jährlich 1 Lucht, M., Spangardt, G., (2005). „Emissionshandel: Ökonomische Prinzipien, rechtliche Regelungen und technische Lösungen für den Klimaschutz“, Springer-Verlag , Kapitel 1 „Das Umfeld des Emissionshandels im Überblick “, https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F3-540-26685-2_8.pdf 2 Horstmann, B. et al. (2011). Kriterien der Lastenteilung und Allokation im UN-Klimaregime: weder gerecht noch wirksam“, https://www.die-gdi.de/en/analysen-und-stellungnahmen/article/kriterien-der-lastenteilung-undallokation -im-un-klimaregime-weder-gerecht-noch-wirksam/ 3 Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) (2011). „Welthandel: Reiche Länder verursachen zunehmend CO2-Emissionen in ärmeren Ländern“, https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/archiv /2011/welthandel-reiche-lander-verursachen-zunehmend-co2-emissionen-in-armeren-landern 4 Ehring, G,. Deutschlandfunk (2021). „Zu wenig Geld für Deichbau und Schutz vor Hitze“, https://www.deutschlandfunk .de/un-umweltprogramm-zum-klimaschutz-zu-wenig-geld-fuer.697.de.html?dram:article_id=490815 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 064/21 Seite 5 100 Milliarden US-Dollar den Entwicklungs- und Schwellenländern zur Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Deutschland hat das Ziel, die deutsche Klimafinanzierung von 2014 bis 2020 auf 4 Milliarden Euro pro Jahr zu verdoppeln. Das Ziel wurde schon 2019 erreicht.5 Experten geben zur Umsetzung der Unterstützung zu bedenken: „Während die nötigen Emissionsreduktionen zum Einhalten der Klimaziele des Pariser Abkommens klar sind, ist die Lastenverteilung auf dem Weg zu diesen Zielen leider unklar.“6 Ein Artikel des Deutschlandfunks fasst die aktuelle Lage nach der Klimakonferenz 2019 in Madrid zusammen: „Mit dem dürftigen Abkommen der Klimakonferenz von Madrid fehlen Anreize für Investoren aus Industrieländern, mit Hilfe von grünen Projekten in Entwicklungsländern Klimaschutz -Zertifikate generieren zu können. […] Die Teilnehmer erzielten auch keine Einigung darüber, dass vom Klimawandel besonders betroffene Entwicklungsländer ein Anrecht auf Entschädigung durch reiche Länder haben.“7 Ethiker meinen, dass die Entwicklungs- und Schwellenländer nicht im gleichen finanziellen Maße belastet werden sollten.8 Weitere Experten mahnen, dass Technologien mit negativen Emissionen nicht ohne ethische Analyse eingesetzt werden sollen.9 Experten meinen auch, dass die ökologische Frage im Kern eine soziale Frage ist. Es geht im globalen Maßstab insbesondere um die Frage, wie es sein kann, „dass die, die am wenigsten zu diesem CO2-Emissionen beigetragen haben und sich am wenigsten schützen können gegen die Folgen, unmittelbar beeinflusst sind durch die Lebensstile in den reichen Ländern.“10 5 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) (2021). „Klimafinanzierung: Deutschland als verantwortungsvoller Partner“, https://www.bmz.de/de/entwicklungspolitik/klimawandel-undentwicklung /klimafinanzierung Das BMZ stellt mehr als 80 % der deutschen Klimafinanzierung. 6 Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) (2020). CO2-Bepreisung und Finanztransfers: Kleine Änderungen können große Wirkung haben für mehr Klimagerechtigkeit, https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten /co2-bepreisung-und-finanztransfers-kleine-aenderungen-koennen-grosse-wirkung-haben-fuer-mehr-klimagerechtigkeit 7 Weber, B. Deutschlandfunk (2019). „Zwischen ökologischer Notwendigkeit und sozialer Gerechtigkeit“, https://www.deutschlandfunk.de/klimaschutz-zwischen-oekologischer-notwendigkeitund .1148.de.html?dram:article_id=466575 8 Heise, K. Deutschlandfunk (2009). Interview „Klimaschutz nicht auf Kosten der Ärmsten“, https://www.deutschlandfunkkultur.de/klimaschutz-nicht-auf-kosten-der-aermsten.954.de.html?dram:article _id=144848 9 Lenzi, D. et al., nature (2018). „Don’t deploy negative emissions technologies without ethical analysis“, https://www.nature.com/articles/d41586-018-06695-5 10 Weber, B. Deutschlandfunk (2019). „Zwischen ökologischer Notwendigkeit und sozialer Gerechtigkeit“, https://www.deutschlandfunk.de/klimaschutz-zwischen-oekologischer-notwendigkeitund .1148.de.html?dram:article_id=466575 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 064/21 Seite 6 Experten des Wuppertal-Instituts zeigen die Komplexität der Thematik auf: „Die Höhe des Emissionsbudgets , das ein einzelnes Land noch ausstoßen darf, um dem Pariser Klimaziel gerecht zu werden, lässt sich nicht objektiv ermitteln, sondern hängt von Annahmen der Verteilungsgerechtigkeit ab.“11 Diese komplexe Thematik beleuchten nachfolgend ausgewählte Studien aus verschiedenen Perspektiven . 2. Ausgewählte Studien 2.1. Quantifizierung des Wachstums des Emissionstransfers Wissenschaftler der Hochschule für Philosophie in München haben in Zusammenarbeit mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung im Rahmen des Projekts „Klima und Gerechtigkeit“ Emissionsverlagerungen in verschiedenen Ländern und Wirtschaftsbranchen über 19 Jahre hinweg untersucht. Ziel der Studie war die Quantifizierung des Wachstums des Emissionstransfers über den internationalen Handel. Die Wissenschaftler entwickelten eine Datenbank, die die CO2- Emissionen von 113 Ländern und 57 Wirtschaftssektoren für die Jahre 1990 bis 2008 enthält. Die Autoren stellten fest, dass Emissionen aus der Produktion von Handelswaren und Dienstleistungen von 4,3 Gt CO2 im Jahr 1990 (20 % der globalen Emissionen) auf 7,8 Gt CO2 im Jahr 2008 (26 %) gestiegen sind. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass nicht auf regionale Regeln zur Emissionsvermeidung verzichtet werden könnte und dass deren Ausweitung und ein globales Abkommen nötig sind.12 2.2. Ökonomische Klimaszenarien Ein Forschungsprojekt entwickelte Klimaschutzszenarien, wie ein zukünftiges, klimaschonendes Energiesystem im Detail aussehen könnte. Dabei sollte das klimapolitische Ziel, der langfristige Emissionsminderungsbeitrag, im Wesentlichen gleich sein, aber auf unterschiedliche Optionen zur Reduktion der energiebedingten CO2-Emissionen setzen. Diese Klimaschutzszenarien wurden hinsichtlich sozioökonomischer und ökologischer Kriterien evaluiert und miteinander verglichen . Die Autoren kommen zu dem Schluss: „Ökonomisch könnte eine rein inländische Emissionsminderung, wie sie in dieser Studie betrachtet wurde […] mit relativ hohen negativen Effekten auf BIP und Konsum verbunden sein. Diese könnten sich aber ggf. über die Erschließung zusätzlicher nachfrageseitiger Effi- 11 Wuppertal Institut (2020). Zur Studie „CO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze“, https://wupperinst.org/fa/redaktion/downloads/projects/CO2-neutral_2035_Foliensatz.pdf 12 Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) (2011) Pressemitteilung „Welthandel: Reiche Länder verursachen zunehmend CO2-Emissionen in ärmeren Ländern“, https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten /archiv/2011/welthandel-reiche-lander-verursachen-zunehmend-co2-emissionen-in-armeren-landern Peters, G. P., et al. (2011). „Growth in emission transfers via international trade from 1990 to 2008“, https://doi.org/10.1073/pnas.1006388108 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 064/21 Seite 7 zienzpotenziale […] sowie ein integriertes europäisches Stromnetz bzw. Nutzung von ausländischen Potenzialen erneuerbarer Energien und ggf. den Aufbau eines über das jetzige EU-System deutlich herausgehenden internationalen Emissionshandelssystems verringern lassen. […] Das Erbringen von Emissionsminderungen im Ausland, z.B. über einen internationalen Emissionshandel, zusammen mit den dafür erforderlichen auch institutionellen Rahmenbedingungen, stellt eine weitere wichtige Strategieoption dar. Der Emissionshandel stellt eine Möglichkeit dar, Einbußen beim BIP- und Konsum-Wachstum zu mildern, wenn Emissionsminderungen im Ausland günstiger zu realisieren sind als im Inland. Dies kommt vor allem dann zum Tragen, wenn der Ausbau der Energiebereitstellung aus erneuerbaren Quellen oder die erforderliche Effizienzsteigerung sich als nicht in erforderlichem Umfang realisierbar erweisen.“13 2.3. Nationales Klimapaket Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und das Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) haben das 2019 veröffentlichte Klimapaket der Bundesregierung bewertet. Die ausführliche Behandlung der CO2- Preispolitik sieht den Vorschlag einer dreistufigen CO2-Bepreisung als umgesetzt; Einführung des Fixpreises, anschließender nationaler Emissionshandel und danach die Integration in den EU- Emissionshandel. Die Preishöhe mit anfangs 10 Euro je Tonne CO2 sehen die Experten als zu niedrig an. Die Autoren empfehlen dagegen einen Einstiegspreis von 50 Euro pro Tonne.14 Weiteren Handlungsbedarf sehen die Autoren in der Verbesserung des nationalen sozialen Ausgleichs und der Einführung eines effektiven Monitoringprozesses.15 2.4. Globales Wirtschaftswachstum und seine Vereinbarkeit mit den Klimazielen Das "Societal Transfomation Scenario" der Heinrich Böll Stiftung, ist ein globales 1,5°C-Minderungsszenario , das die Vorstellung eines fortwährenden globalen Wirtschaftswachstums und seine Vereinbarkeit mit den Klimazielen, wie der 1,5°C-Grenze, in Frage stellt. Es soll zeigen, wie der globale Norden durch eine Verringerung der Produktion und des Verbrauchs unter 1,5°C bleiben könnte, ohne auf risikoreiche Technologien wie CCS, Geo-Engineering und Nukleartechnik zurückzugreifen und gleichzeitig eine Überhöhung der Temperatur zu vermeiden. Das STS-Szenario konzentriert sich dabei auf eine Verringerung im Verbrauch in den Bereichen Verkehr, Wohnen und Ernährung für den globalen Norden. Für den globalen Süden gehen die Autoren 13 Umweltbundesamt (UBA), Wuppertal Institut (2014). Endbericht „Kosten- und Modellvergleich langfristiger Klimaschutzpfade (bis 2050)“, https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/5217/file/5217_Klimaschutzpfade .pdf 14 Edenhofer, O. et al. (2019). „Optionen für eine CO2-Preisreform – MCC-PIK-Expertise für den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“, https://www.mcc-berlin.net/fileadmin /data/B2.3_Publications/Working%20Paper/2019_MCC_Optionen_f%C3%BCr_eine_CO2-Preisreform_final .pdf. Zur internationalen Preiskoordination siehe dort S. 29 ff. 15 Edenhofer, O., et al. (2019). „Bewertung des Klimapakets und nächste Schritte. CO2-Preis, sozialer Ausgleich, Europa, Monitoring“, https://www.mcc-berlin.net/fileadmin/data/B2.3_Publications/Working%20Paper /2019_MCC_Bewertung_des_Klimapakets_final.pdf Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 064/21 Seite 8 von einem Anstieg des Verbrauchsniveaus aus. Dies soll zu einer Konvergenz der Verbrauchsmuster des globalen Südens mit denen des globalen Nordens im Jahr 2050 führen.16 2.5. Emissionshandel und kostengünstigste Maßnahme Um dem Klimawandel entgegenzuwirken wird seit 2005 europaweit als marktwirtschaftliche Methode der Emissionshandel als Klimaschutzinstrument eingesetzt. Die Reduktion der Treibhausgasemissionen durch technische Maßnahmen soll dort stattfinden, wo diese ökonomisch am vorteilhaftesten ist. Die Einführung des Emissionshandels ist jedoch durch eine Vielzahl komplexer, miteinander verknüpfter ökonomischer, rechtlicher und technischer Fragen gekennzeichnet, die in einer Publikation von Experten erörtert werden. Dazu gehören das tatsächliche Ausmaß des Klimawandels, Interessenkonflikte bei der Gesetzgebung und Verteilung der Emissionsrechte, Konsequenzen für strategische Entscheidungen betroffener Unternehmen, Techniken der CO2- Reduktion und die Vision einer emissionsfreien Energiewirtschaft. „Durch den Emissionshandel soll sichergestellt werden, dass die jeweils notwendigen CO2-Minderungen durch die gerade kostengünstigste Maßnahme realisiert werden. Dazu ist es erforderlich , dass der jeweilige Anlagenbetreiber die konkreten Kosten für unterschiedliche CO2-Minderungsmaßnahmen an der eigenen Anlage genau kennt, um beurteilen zu können, ob der Kauf von Emissionsrechten an der Emissionshandelsbörse günstiger ist, als die Realisierung einer Maßnahme an der eigenen Anlage.“ Ein Beitrag der Publikation erläutert die mathematischen Grundlagen zur Bestimmung der CO2-Vermeidungskosten. Zu einer fundierten Einordnung und Bewertung dieser Kosten wäre nach Einschätzung der Autoren, die Kenntnis der zu Grunde gelegten betrieblichen Randbedingungen erforderlich.17 2.6. Grenzkostenkurven Im Rahmen einer Studie gehen die Autoren der Frage nach, wo auf der Welt es am günstigsten ist, den Kohlenstoffausstoß zu senken. Die Experten stellen die Hypothese auf, dass bei einer gemeinsamen prozentualen Senkung der Emissionsintensität im Vergleich zum Business-as-usual (BAU), Länder mit höherer BAU-Emissionsintensität niedrigere Grenzkosten der Emissionsminderung haben. Dabei sollen die Gesamtkosten im Verhältnis zum Output in allen Ländern ähnlich und bei einem gemeinsamen CO2-Preis die relativen Gesamtkosten in emissionsintensiven Ländern höher sein. Die Experten berechneten Grenzkostenkurven bzw. Vermeidungskostenkurven für die Vereinigten Staaten, die Europäische Union, China und Indien. Die erzielten Ergebnisse bestätigen nach Aussage der Autoren im Großen und Ganzen, jedoch nicht exakt die Hypothesen. Ihre Ergebnisse hängen u.a. davon ab, ob ein Land ein relativ "kostengünstiger " oder "kostspieliger" Ort für CO2-Vermeidung ist, ob die Kosten anhand der Grenzkosten der Vermeidung, der gesamten Pro-Kopf-Kosten oder der gesamten Vermeidungskosten im Verhältnis zum Output gemessen werden. Die Hypothese der Autoren, dass bei einem gemeinsamen CO2-Preis die Gesamtkosten im Verhältnis zum Output in emissionsintensiveren Ländern 16 Heinrich Böll Stiftung (2020). „Societal Transfomation Scenario“, https://www.boell.de/de/2020/12/09/societaltransformation -scenario-staying-below-15degc 17 Lucht, M., Spangardt, G., (2005). „Emissionshandel: Ökonomische Prinzipien, rechtliche Regelungen und technische Lösungen für den Klimaschutz“, Springer-Verlag , Kapitel 8 „Technik der CO2-Emissionsminderung“, https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F3-540-26685-2_8.pdf Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 064/21 Seite 9 höher sind, bestätigen die Ergebnisse. Die Annahme, dass bei einer gemeinsamen prozentualen Reduzierung der Emissionsintensität im Vergleich zum BAU die prozentualen Produktionsverluste in allen Ländern gleich wären, wird durch die Daten in gewissem Maße unterstützt. Die Experten setzen dabei voraus, dass eine Analyse der internationalen Klimaverhandlungen und der politischen Optionen sowohl die Grenzkosten der Emissionsreduzierung als auch die Gesamtkosten der Umsetzung der Politikmaßnahmen berücksichtigen muss. Länder mit niedrigen Grenzkosten für die Verringerung von CO2-Emissionen können hohe Gesamtkosten für eine bestimmte Klimaschutzpolitik haben und umgekehrt.18 2.7. CO2-Bepreisung und Finanztransfer Ein Team von Ökonomen hat in einer quantitativen Studie gezeigt, dass der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen durch geringe Änderungen politischer Maßnahmen auf faire und kosteneffiziente Weise reduziert werden kann. Die Experten schlagen dazu differenzierte CO2-Preise in verschiedenen Ländern, kombiniert mit moderaten Finanztransfers von Industrieländern in Entwicklungsländer vor. So könnte eine faire Lastenverteilung erreicht und die Gesamtkosten unter Kontrolle gehalten werden. Die Forschenden führten energie-ökonomische Computersimulationen durch, um alternative Politiken zu analysieren. Der folgende Text ist eine Zusammenfassung der Experten über die Annahmen und Ergebnisse der Analysen: „Obwohl eine weltweit einheitliche CO2-Bepreisung und der internationale Handel mit Emissionszertifikaten das Ziel der Klimastabilisierung zu den geringsten absoluten Kosten erreichen würden, würde das für Entwicklungsländer eine erhebliche Belastung darstellen . Um sie in ihren Bemühungen zu unterstützen, müssten die Industrieländer daher zahlen – was von den Zahlenden oft als Einschränkung der nationalen Souveränität empfunden wird. Alternativ dazu müssten wohlhabende Länder bei sich zu Hause strengere Maßnahmen ergreifen, um die Emissionen zu reduzieren, was die gesamtwirtschaftlichen Kosten erhöht. Die neue Studie zeigt, wie dieser Zielkonflikt gelöst werden kann. Wenn die Anstrengungen zur Reduzierung der Treibhausgase gerecht verteilt werden sollen , müssten bei Verzicht auf internationale Finanztransfers die CO2-Preise in den Industrieländern die Preise in den Entwicklungsländern um mehr als das Hundertfache übersteigen . Wenn zum Beispiel im Jahr 2030 eine Tonne CO2 in Indien 19 US-Dollar kosten würde, müssten es in Europa fast 2500 US-Dollar sein, um weltweit die notwendigen Emissionsreduktionen zu erreichen. Dies würde innerhalb unseres Jahrhunderts weltweit zu Effizienzverlusten von mehr als 2000 Milliarden US-Dollar führen, so die Berechnungen. 18 Stern, D.I., et al. (2011).„Where in the world is it cheapest to cut carbon emissions?, https://on linelibrary .wiley.com/doi/full/10.1111/j.1467-8489.2011.00576.x, Grenzkosten = Marginal Cost, sind die Kosten, die durch die Produktion einer zusätzlichen Mengeneinheit eines Produktes oder einer Dienstleistung entstehen. Grenznutzen = Marginal Utility: „Die Schattenpreise für CO2 beziffern den Grenznutzen, ausgedrückt in Geldeinheiten , der durch eine Einheit weniger CO2-Vermeidung entstehen würde.“, aus: [UBA 2014]. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 064/21 Seite 10 Wenn es dagegen einen international einheitlichen CO2-Preis gäbe - der im Jahr 2030 im Modell 56 US-Dollar pro Tonne CO2 erreichen würde - wären in unserem Jahrhundert Finanztransfers von mehr als 4000 Milliarden US-Dollar notwendig, um die Lasten zwischen reichen und armen Ländern auszugleichen. Diese Transfers gleichen die Unterschiede der relativen Einkommensverluste aus, die bei einem angenommenen einheitlichen CO2-Preis in Indien 3%, in Europa aber nur 0,3% betragen. Die Minderungskosten unterscheiden sich bei einheitlichen CO2-Preisen deshalb so stark, weil fortgeschrittene Volkswirtschaften bereits eine effizientere und sauberere Energienutzung haben und weniger abhängig von fossiler Energie sind als Entwicklungsländer. Daher können in den Entwicklungsländern kostengünstigere Möglichkeiten zur Emissionsminderung gefunden werden, aber die Realisierung der Emissionsminderung bringt auch schwerwiegendere Einkommensverluste mit sich. […] Ein einheitlicher CO2-Preis, der globale Emissionsreduktionen zu niedrigsten Kosten ermöglicht, trifft daher weniger entwickelte Länder härter. Um Gerechtigkeit herzustellen, müssten die entwickelten Länder die Entwicklungsländer finanziell entschädigen, um die Unterschiede bei den Einkommensverlusten auszugleichen. Wenn die entwickelten Länder um der Souveränität willen diese Art von Finanztransfers ablehnen, müssten ihre nationalen CO2-Preise zur Aufrechterhaltung der Gerechtigkeit sehr hoch sein, um selbst stärkere Emissionsreduktionen zu erreichen. In den Industrieländern würde dies mehr Investitionen erfordern, weil in ihren bereits technologisch fortgeschrittenen Volkswirtschaften ein weiter beschleunigter Ausstieg aus fossilen Brennstoffen komplizierter und teurer ist. Daher treibt die Differenzierung der CO2-Preise die globalen Gesamtkosten in die Höhe. […] Die Berechnungen zeigen, dass mit nur einem Viertel des bei differenzierten CO2-Preisen eigentlich nötigen globalen Transfervolumens mehr als die Hälfte der zusätzlichen Kosten bei den globalen Vermeidungskosten eingespart werden könnte. Außerdem schrumpft die Spanne zwischen hohen und niedrigen CO2-Preisen der verschiedenen Länder um drei Viertel. Das heißt, dass der Zielkonflikt zwischen wirtschaftlicher Effizienz und Souveränität stark nicht-linear ist. Die extremen Folgen des Beharrens auf den Prinzipien von 'entweder wirtschaftlicher Effizienz oder Souveränität' können stark reduziert werden. Das Zulassen von Transfers verringert die Ineffizienz, während das Abweichen von einer einheitlichen CO2-Preisgestaltung die Notwendigkeit von Transfers verringert. Es gibt keine perfekte Lösung. Wenn sozioökonomische und technologische Unterschiede sowie etablierte politische Prinzipien anerkannt werden sollen, sind nach Meinung der Experten differenzierte CO2-Preise in Verbindung mit moderaten Transferzahlungen von grundlegender Bedeutung für eine effektive und faire zukünftige Klimapolitik.“19 19 Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) (2020). CO2-Bepreisung und Finanztransfers: Kleine Änderungen können große Wirkung haben für mehr Klimagerechtigkeit, https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten /co2-bepreisung-und-finanztransfers-kleine-aenderungen-koennen-grosse-wirkung-haben-fuer-mehr-klimagerechtigkeit Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 064/21 Seite 11 Die Autoren der Studie erarbeiteten eine Strategie für einen internationalen Finanztransfer, der sich an moderaten Abweichungen von einheitlichen CO2-Preisen orientiert und nicht die Volkswirtschaften oder die Souveränität der Nationen belastet. „Bei einem einheitlichen CO2-Preis wäre ein Gegenwartswert internationaler Finanztransfers von 4,4 Billionen US-Dollar über die nächsten 80 Jahre bis 2100 erforderlich, um den Aufwand auszugleichen. Im Gegensatz dazu erfordert das Erreichen eines gleichen Aufwands ohne Finanztransfers, dass die CO2-Preise in den Industrieländern um mehr als den Faktor 100 über denen in den Entwicklungsländern liegen, was zu Effizienzverlusten von 2,6 Billionen US-Dollar führt. Hybride Lösungen offenbaren einen stark nichtlinearen gegenläufige Abhängigkeit (Trade-off) zwischen Kosteneffizienz und Souveränität .“ Moderate Abweichungen von einheitlichen CO2-Preisen reduzieren die Finanztransfers stark bei relativ geringen Effizienzverlusten und moderate Finanztransfers reduzieren die Ineffizienzen erheblich, indem sie die CO2-Preis-Spanne verringern. Die Autoren identifizieren auch Risiken und nachteilige Folgen der CO2-Preis-Differenzierung aufgrund von z.B. Marktverzerrungen .20 2.8. CO2-Grenzausgleich Die Europäische Union erarbeitet einen CO2-Grenzausgleich (Carbon Border Adjustment Mechanism , CBAM) um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Firmen zu erhalten. Die Abgabe soll sich zunächst auf Stahl, Aluminium, Zement, Düngemittel und Strom beschränken und in ihrer Höhe den bei der Herstellung auftretenden CO2-Emissionen entsprechen. Der Grenzausgleich bezieht sich auf Emissionen von importierten Industrieprodukten, wenn diese aus Regionen mit geringerem CO2-Preisniveau stammen. Der Grenzausgleich soll zudem verhindern, dass europäische Unternehmen in Länder abwandern, die weniger strenge Emissionsauflagen vorgeben. Kritiker der Grenzausgleichsmaßnahmen befürchten Nachteile bei Exporten und Handelskonflikte. Experten warnen vor „Schwierigkeiten bei der verifizierbaren Messung anlagenspezifischer CO2- Intensitäten im Ausland und sehen Benchmarks je Produktmenge als Bemessungsgrundlage als notwendig an.“21 In einer Studie zum CO2-Grenzausgleich haben Experten der Stiftung Wissenschaft und Politik verschiedene Szenarien durchgerechnet.22 20 Bauer, N., et al. (2020). „Quantification of an efficiency–sovereignty trade-off in climate policy“, nature, 588, 7837, 261-266, https://doi.org/10.1038/s41586-020-2982-5, https://publications.pik-potsdam.de/pubman /faces/ViewItemOverviewPage.jsp?itemId=item_24937_2 21 Herwartz, Ch. et al., Handelsblatt (2021). „Warum die Sorge vor einem grünen Handelskrieg wächst“, https://www.handelsblatt.com/technik/thespark/co2-grenzausgleich-warum-die-sorge-vor-einem-gruenen-handelskrieg -waechst/27122462.html?ticket=ST-2718277-mzrUKUV430tiRh15x94d-ap3 Kafsack, H. FAZ (2021). „Die falsche Hoffnung vom Klimaklub“, https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/diefalsche -hoffnung-vom-klimaklub-17421394.html Kolev, G. et al., (2021). IW-Policy Paper 06/21 „CBAM - Motivation, Ausgestaltung und wirtschaftliche Implikationen eines CO2-Grenzausgleichs in der EU“, https://www.iwkoeln.de/studien/iw-policy-papers/beitrag/galina -kolev-roland-kube-thilo-schaefer-motivation-ausgestaltung-und-wirtschaftliche-implikationen-eines-co2- grenzausgleichs-in-der-eu.html 22 Dröge, S., Stiftung Wissenschaft und Politik (2021). Studie „Ein CO2-Grenzausgleich für den Green Deal der EU“, https://www.swp-berlin.org/publikation/ein-co2-grenzausgleich-fuer-den-green-deal-der-eu Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 064/21 Seite 12 2.9. Aspekte beim Umstieg auf erneuerbare Energien für Entwicklungs- und Schwellenländer Verschiedene Energiequellen haben unterschiedliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung und Industrialisierung. Eine wirtschaftliche Entwicklung, die auf erneuerbaren Energiequellen basiert, könnte deshalb zusätzliche politische Maßnahmen zur Unterstützung der industriellen Entwicklung erfordern. Ein Team von Wissenschaftlern betrachtet im Rahmen einer Studie die Schlüsselrolle der Kohlewirtschaft für die Entwicklung von Wohlstand und beschreibt einen alternativen Entwicklungspfad für Entwicklungs- und Schwellenländer. Die Autoren zeigen den empirischen Zusammenhang zwischen der Energieversorgung durch Kohle und der damit verbundenen Entwicklung von Infrastrukturen, der Entstehung von Umweltschäden und dem Anstieg des Wohlstands. Als Ergebnis ihrer Analysen empfehlen die Autoren für die Entwicklung einer auf erneuerbare Energien basierenden Energiewirtschaft gezielte Investitionen in die Infrastruktur, ökonomische Anreize für emissionsarme Technologien und die CO2-Bepreisung als Entwicklungspfade.23 *** 23 MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) (2019). „Why climate policy is difficult to implement in developing countries“, https://www.mcc-berlin.net/en/news/information/informationdetail /article/why-climate-policy-is-difficult-to-implement-in-developing-countries.html Kalkuhl, M. et al. (2019). „Successful coal phase-out requires new models of development“, https://www.nature .com/articles/s41560-019-0500-5.epdf?shared_access_token=nNlni74KfD7bmcS4eBgjTtRgN0jAj Wel9jnR3ZoTv0NhUC6gQl8kvRdtQ1NncKqb0yqWOEIGddnjTt2asRxXWvFw2_2CgMM0osQcPr8BTLCzFet- JKUa5VX3uMOhgQF-zglwWGERuk-Ex5qGSzFwZjA%3D%3D