© 2020 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 064/20 Auswirkungen des Klimawandels auf den Menschen Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 -064/20 Seite 2 Auswirkungen des Klimawandels auf den Menschen Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 064/20 Abschluss der Arbeit: 13. November 2020 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 -064/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Einführende Literaturhinweise 4 3. Auswirkungen des Klimawandels auf den Menschen 5 3.1. Luftqualität 6 3.2. Gesundheit 7 3.3. Biodiversität 8 3.4. Wasserhaushalt 9 3.5. Biogeochemische Stoffkreisläufe 11 3.6. Boden 12 3.7. Landwirtschaft 12 3.8. Personen- und Güterverkehr, Tourismus, Migration 14 3.9. Städte 15 3.10. Wirtschaft 16 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 -064/20 Seite 4 1. Einleitung Das menschliche Leben und das menschliche Wohlbefinden sind abhängig von natürlichen Faktoren wie beispielsweise Temperatur, Wetter, Wasserverfügbarkeit (physikalische Faktoren) und der Stabilität von Ökosystemen, aber auch von Verkehr, der wirtschaftlichen Lage und Infrastruktur . Störungen in diesen Variablen haben direkte und indirekte Folgen auf das menschliche Wohlbefinden. Bereits 2015 stellte die Lancet Commission on Health and Climate Change1 fest, dass Antworten auf den Klimawandel die größte globale Gesundheitschance des 21. Jahrhunderts sein könnten („the greatest global health opportunity of the 21st century“) und bekräftigt dies in ihren jährlichen Berichten. Unter Klima wird der mittlere Zustand der Atmosphäre an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten Gebiet über einen längeren Zeitraum verstanden. In die Beschreibung dieses Zustandes fließen Faktoren wie Temperatur, Niederschlag, Wind und Geschehnisse in Meeren/Flüssen ein. Um Veränderungen des Klimas zu beschreiben, müssen somit diese Indikatoren untersucht werden. Mittlerweile gilt es als erwiesen, dass sich in den letzten Jahrzehnten unser Erdklima insgesamt verändert. Für den europäischen Raum stellt man fest, dass gemessen an der jahreszeitlichen Mitteltemperatur von meteorologischem Sommer und Winter, ein Temperaturanstieg im Sommer und insbesondere eine Erwärmung im Winter stattgefunden haben. Wissenschaftlich einig ist man sich, dass die Anzahl warmer Tage und Nächte angestiegen ist und die Anzahl kalter abgenommen hat. Dabei ist man sich auch einig, dass die Erwärmung der Atmosphäre über Kontinenten stärker ausfällt als über Ozeanen. Regional sind nicht nur weitergehende Auswirkungen von Klimaveränderungen , sondern auch die Entwicklung einzelner Phänomene sehr verschieden, so dass einige Veränderungen für bestimmte Regionen der Erde zutreffen, in anderen sich aber nicht belegen lassen. Die Veränderungen einzelner Klimaindikatoren können je nach Intensität eine Vielzahl von Auswirkungen auf den Menschen bedingen. Aufgrund der regionalen Unterschiede können diese verschieden intensiv ausfallen. In der vorliegenden Arbeit werden anhand ausgewählter Beispiele Auswirkungen von klimatischen Veränderungen auf den Menschen und sein gesundheitliches Wohlbefinden aufgelistet. Aufgrund der Fülle an wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Literatur zu diesem Thema versteht sich die Arbeit als eine Einführung in die Thematik und kann nur einzelne Beispiele kurz anführen. 2. Einführende Literaturhinweise Wissenschaftler verschiedener deutscher Forschungseinrichtungen haben 2017 ein Buch unter dem Titel „Klimawandel in Deutschland“ im Verlag Springer Spektrum publiziert. Finanziert 1 The Lancet ist eine der weltweit führenden wissenschaftlichen Zeitschriften auf dem Gebiet der Medizin. Seit 2015 verfolgt eine internationale, multidisziplinäre Forschungskooperation zwischen akademischen Institutionen die Fortschritte im Bereich Gesundheit und Klimawandel und publiziert dazu jährlich Berichte: https://www.thelancet.com/climate-and-health#:~:text=The%20Lancet%20Countdown%3A%20Tracking %20Progress,could%20be%20%E2%80%9Cthe%20greatest%20global. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 -064/20 Seite 5 wurde die Erstellung dieses Übersichtswerkes durch das Helmholtz-Zentrum Geesthacht Zentrum für Material- und Küstenforschung GmbH. Das Buch gliedert sich in die vier Hauptkapitel „Globale Klimaprojektionen und regionale Projektionen für Deutschland und Europa“, „Klimawandel in Deutschland: regionale Besonderheiten und Extreme“, „Auswirkungen des Klimawandels in Deutschland“ und „Übergreifende Risiken und Unsicherheiten“. In jedem Kapitel werden der wissenschaftliche Stand allgemeinverständlich zusammengefasst und Verweise auf die wissenschaftliche Primärliteratur bereitgestellt.2 Die Helmholtz Gemeinschaft hat ein Netzwerk der regionalen Helmholtz-Klimabüros aufgebaut. Hiermit soll Beratungsbedarf zum Thema Klimawandel gedeckt werden und eine Schnittstelle zwischen Anwendern und Wissenschaft bereitgestellt werden.3 Da die Klimabüros regionale Schwerpunkte haben, kann man auch auf regional unterschiedliche Klimagegebenheiten besonders eingehen. Auf den Internetseiten der Klimabüros wird umfangreiches Material unter regionaler Fokussierung bereitgestellt: Das Mitteldeutsche Klimabüro am UFZ: https://www.ufz.de/index.php?de=37936 Norddeutsches Klimabüro: https://www.hzg.de/institutes_platforms/norddeutsches _klimabuero/index.php.de Süddeutsches Klimabüro: https://www.sueddeutsches-klimabuero.de/index.php Klimabüro für Polargebiete und Meeresspiegelanstieg: https://www.awi.de/forschung/besondere -gruppen/klimabuero.html Zudem stellt die Helmholtz Gemeinschaft einen sog. „Dürremonitor Deutschland“ zur Verfügung. Der UFZ-Dürremonitor zeigt tagesaktuell den Bodenfeuchtezustand in Deutschland an. Auf den Karten werden der Dürrezustand des Gesamtbodens und des Oberbodens, der schneller auf kurzfristige Niederschlagsereignisse reagiert, sowie das pflanzenverfügbare Wasser im Boden visualisiert . Auch Trockenheitsanalysen der vergangenen Jahre (seit 1952) sind als Karten einsehbar.4 Hieraus wird ersichtlich, dass auch Deutschland durchaus von „schwerer“ und „außergewöhnlicher “ Dürre (in regional unterschiedlich starker Ausprägung5) in den vergangenen Jahren betroffen war. 3. Auswirkungen des Klimawandels auf den Menschen Die Veränderungen, die entweder vollständig oder aber nur teilweise auf langfristige klimatische Veränderungen auf der Erde zurückzuführen sind, tangieren direkt oder indirekt auf den Men- 2 Brasseur, 2017: G.P. Brasseur, D. Jacob, S. Schuck-Zöller (Hrsg.): Klimawandel in Deutschland, 2017, Springer Spektrum, ISBN 978-3-662-50396-6. 3 Norddeutsches Klimabüro am Helmholtz-Zentrum Geesthacht und am KlimaCampus Hamburg; Mitteldeutsches Klimabüro am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, Leipzig; Süddeutsches Klimabüro am Karlsruher Institut für Technologie; Klimabüro für Polargebiete und Meeresspiegelanstieg am Alfred-Wegener-Institut, Bremerhaven . 4 Internetverweis: https://www.ufz.de/index.php?de=37937. 5 https://www.helmholtz.de/erde-und-umwelt/trockenheit-und-sternenstaub/. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 -064/20 Seite 6 schen. Einige Veränderungen, wie beispielsweise Extremwetterereignisse, wirken sich unmittelbar auf den Menschen aus, während andere, beispielweise Veränderungen der Biodiversität, indirekte Auswirkungen zeigen. Im Folgenden werden verschiedene Folgen dargestellt und mit wissenschaftlicher Literatur unterlegt. Dabei ist zu beachten, dass die Auswirkungen regional sehr unterschiedlich ausfallen und damit auch unterschiedlich wahrgenommen, kommuniziert und bewertet werden. Die folgende Auswahl setzt einen Fokus auf Folgen, die zumindest in Teilen Deutschlands eine Rolle spielen oder spielen könnten. Außerdem sind die einzelnen aufgeführten Faktoren durch Wechselwirkungen miteinander verknüpft. Beispielsweise sind Folgen in der Landwirtschaft wesentlich abhängig von Auswirkungen auf den Wasserhaushalt. Verkehrswirtschaftliche Fragen hängen mit der Luftqualität zusammen, diese wiederum mit Gesundheitsrisiken . 3.1. Luftqualität Die Minderung der Luftqualität infolge von Verschmutzung durch Schadstoffe (gasförmige oder partikelförmige Beimischungen) hat gesundheitsschädliche Auswirkungen auf den Menschen. Die ersten Maßnahmen zur Begegnung dieses Problems in Deutschland waren auf die Identifikation und Beseitigung einzelner Emissionsquellen gerichtet.6 „Während eine akute Gesundheitsgefährdung aufgrund verschmutzter Außenluft in Deutschland heute höchstens in Ausnahmefällen auftritt, bleibt das Thema Luftqualität dennoch weiterhin relevant , weil zumindest einige Studien auf die Langzeitwirkung selbst geringfügiger Schadstoffkonzentrationen hinweisen7 und es den Städten und Regionen in Deutschland oftmals nicht gelingt , die neuesten europäischen Zielwerte zur Feinstaub-, Stickoxid- oder Langzeit-Ozonbelastung einzuhalten. Hinzu kommt ein langsamer Anstieg der großräumigen Hintergrundbelastung einiger Spurengase wie z. B. des Ozons8.“9 Laut Fünften Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC 2013)10 hängt die zukünftige Luftqualität in wesentlicher Weise von den Änderungen der Emissionsstärken ab. Wissenschaftliche Ergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass Temperaturerhöhungen in verschmutzten Gebieten zu einer Zunahme der Schadstoffbelastung führen. In einer Metaanalyse, die im Dezember 2019 6 Uekötter F (2003) Von der Rauchplage zur ökologischen Revolution. Eine Geschichte der Luftverschmutzung in Deutschland und den USA 1880–1970. Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen, Schriftenreihe A: Darstellungen Bd. 26. Klartext, Essen. 7 WHO (2008) Health risks of ozone from longrange transboundary air pollution. World Health Organization, Regional Office for Europe, Kopenhagen. http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0005/78647/E91843.pdf; Beelen R. et al. (2013): Effects of long-term exposure to air pollution on natural-cause mortality: an analysis of 22 European cohorts within the multicentre ESCAPE project. Lancet online publication. doi:10.1016/S0140- 6736(13)62158-3. 8 HTAP (2010) Dentener F, Keating T, Akimoto H (Hrsg) Hemispheric transport of air pollution, Part A: Ozone and particulate matter, Economic Commission for Europe, Air Pollution Studies No 17, Genf, 2010. 9 Brasseur, 2017, Fußnote 2, Seite 128. 10 IPCC (2013) Intergovernmental Panel on Climate Change, Climate change 2013 – The physical science basis. Cambridge University Press, New York, USA. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 -064/20 Seite 7 in der Zeitschrift „Environment International“ erschienen ist, analysieren die Wissenschaftler die Auswirkungen von Wetteränderungen auf die Luftqualität und die damit verbundene Sterblichkeit in Spanien über einen Zeitraum von 25 Jahren. Es werden die Luftqualitätstrends in Spanien für die Schadstoffe C6H6, CO, NO2, NOx, O3, PM10, PM2,5 und SO2 analysiert, die in den letzten 25 Jahren (1993 bis 2017) aufgezeichnet wurden. Mit Ausnahme von O3 stellen sie für alle untersuchten Schadstoffe eine erhebliche Verringerung der Umgebungskonzentration fest. Den Ergebnissen zufolge wäre der gesundheitliche Nutzen der Emissionsminderungen in Spanien allerdings um bis zu 10 % größer gewesen, wenn die Wetterbedingungen in den letzten 25 Jahren konstant geblieben wären.11 3.2. Gesundheit Die gesundheitlichen Auswirkungen klimatischer Veränderungen sind sehr vielfältig und hängen von einer Vielzahl Faktoren ab.12 Kinder und ältere Menschen sind dabei besonders gefährdet. In Deutschland zu beobachtende direkte Auswirkungen sind u.a. die steigende Anzahl von warmen Tagen und Hitzewellen. Dies hat insbesondere Gesundheitsauswirkungen für chronisch Kranke und alte Menschen. Das Freizeitverhalten verlagert sich infolge steigender Temperaturen stärker nach draußen, wodurch die UV-Belastung steigt. Durch Wetterphänomenveränderungen verschiebt sich das Spektrum der Erreger und Überträger von Infektionskrankheiten (z.B. Zecken), das Pollenflugverhalten (Allergiesaison verlängert sich) sowie die Anwesenheit von Luftschadstoffen .13 Zu den direkten Auswirkungen von Klimaveränderungen zählen insbesondere: - Thermische Belastung14 - UV-Strahlung15 Beispiele für indirekte Auswirkungen hingegen sind: - Pollenflug16 - Infektionskrankheiten17 11 Borge R, Requia WJ, Yagüe C, Jhun I, Koutrakis P. Impact of weather changes on air quality and related mortality in Spain over a 25 year period [1993-2017]. Onlinepublikation vom 29. Oktober 2019. Environ Int; 133(Pt B):105272. doi: 10.1016/j.envint.2019.105272. PMID: 31675571. 12 Basseur, 2017, Fußnote 2, Seite 138. 13 Basseur, 2017, Fußnote 2, Seite 146. 14 Ebd.: Kapitel 14.2.1 15 Ebd.: Kapitel 14.2.2 16 Ebd.: Kapitel 14.3.1 17 Ebd.: Kapitel 14.3.2 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 -064/20 Seite 8 - Luftschadstoffe (siehe Kapitel 2.1) In einem aktuellen Übersichtsartikel, der in der Zeitschrift „Environmental Research“ erschienen ist, werden wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit der Bevölkerung im Mittelmeerraum zusammengetragen.18 Hier ist ein Erwärmungstrend hin zu längeren und wärmeren Sommern zu beobachten, ebenso wie eine Zunahme der Häufigkeit und Schwere von Hitzewellen, Veränderungen der Niederschlagsmuster und insgesamt einer Verringerung der Niederschlagsmengen. Dies resultiert unmittelbar in einen erhöhten Wasserbedarf und eine vermehrte Waldbrandgefahr. Gesundheitliche Auswirkungen sind Veränderungen der Wasserverfügbarkeit, der Nahrungsmittelversorgung und -qualität, der Luftverschmutzung sowie direkte Folgen durch extreme Wetterereignisse, Erkrankungen durch die Verbreitung klimaempfindlicher Krankheiten und Veränderungen der ökologischen und sozialen Bedingungen . Dabei sind ärmere Länder, insbesondere in Nordafrika der Nahe Osten, am stärksten gefährdet. Die Wissenschaftler konstatieren, dass für die betroffenen Bevölkerungsgruppen vor allem bessere Überwachungs- und Kontrollsysteme erforderlich seien. Angesichts der Klimaprojektionen und der Verwundbarkeit der Mittelmeerländer werden die Eindämmung des Klimawandels und die Anpassung an den Klimawandel immer dringlicher. Es sei wichtig, dass Gesundheitsaktionspläne zur Prävention umgesetzt würden. Bislang wird die Wasserverfügbarkeit zumeist nicht als Problem in Deutschland angesehen. Tatsächlich zeigen allerdings Bodenfeuchtigkeitsdaten auch für Deutschland, je nach Region unterschiedlich ausfallend, eine deutliche Abnahme des pflanzenverfügbaren Wassers im Boden.19 In einem weiteren wissenschaftlichen Übersichtsartikel dieses Jahres gehen die Forscher der Frage nach den Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit nach.20 Es wird konstatiert, dass die Untersuchung psychischer Folgeerkrankungen ein wenig erforschtes und vergleichsweise wenig beachtetes Gebiet sei. Akute (Klima-)Ereignisse könnten durch ähnliche Mechanismen wie traumatischer Stress wirken und zu gut verstandenen psychopathologischen Mustern führen. In Zukunft bedürfe es vermehrt Studien, die der Frage nachgingen, inwiefern psychische Störungen durch Klimawandelereignissen bedingt werden. 3.3. Biodiversität Biodiversität steht seit einiger Zeit im Fokus öffentlicher Diskussionen. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Zum einen wird das zunehmende Aussterben von Arten beklagt, insbesondere wenn es dabei um entweder wirtschaftlich besonders bedeutsame Arten geht oder aber wenn es im Zusammenhang mit der „Schönheit“ der Natur steht. Zum anderen wird diskutiert, dass eine Verringerung der Artenzahl Nahrungsketten (Konkurrenz und Räuber-Beute-Beziehungen) stört 18 Linares C, Díaz J, Negev M, Martínez GS, Debono R, Paz S. Impacts of climate change on the public health of the Mediterranean Basin population - Current situation, projections, preparedness and adaptation. Environ Res. 2020 Mar;182:109107. doi: 10.1016/j.envres.2019.109107. Online Publikation vom 7. Januar 2020. PMID: 32069750. 19 https://www.helmholtz-klima.de/faq/nehmen-duerre-und-starkregen-zu. 20 Cianconi P, Betrò S, Janiri L. The Impact of Climate Change on Mental Health: A Systematic Descriptive Review. Front Psychiatry. 2020 Mar 6;11:74. doi: 10.3389/fpsyt.2020.00074. PMID: 32210846; PMCID: PMC7068211. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 -064/20 Seite 9 und ökologische Leistungen für den Menschen, wie beispielsweise die Produktion von Biomasse oder die Kohlenstoff- und Stickstoffbindung. Damit haben die Biodiversitätsverluste auch eine direkte Auswirkung auf das menschliche Leben. Einen historischen Einblick in den Biodiversitätsverlust auf der Erde bietet ein Kapitel in dem bereits zitierten Übersichtsbuch zum Klimawandel in Deutschland.21 Hierin heißt es: „Seit der Entstehung des Lebens auf der Erde hat sich die Vielfalt an biologischen Formen und funktionellen Typen der Lebewesen ständig verändert. Generell hat die biologische Vielfalt immer zugenommen. Im Verlauf der Erdgeschichte haben jedoch fünf bisher bekannte große Massensterben diese Entwicklung unterbrochen22. Dafür verantwortlich waren erdgeschichtliche Prozesse wie große Vulkanausbrüche, Meteoriteneinschläge und Kontinentaldrift. Mit der Vorherrschaft des Menschen auf der Erde setzte das sechste Massensterben ein – verursacht durch die massive Nutzung und Übernutzung natürlicher Ressourcen 23.“24 In einem Übersichtsartikel aus dem Jahr 2017 in der Zeitschrift „Science“ wird der Frage nach der Umverteilung der Biodiversität unter Bedingungen klimatischer Veränderungen nachgegangen . Es werden die Auswirkungen auf Ökosysteme und menschliches Wohlbefinden beschrieben .25 Eine Um- und Neuverteilung der Arten auf der Erde habe direkte Auswirkungen auf den Erhalt ökologischer Systeme und das menschliche Wohlbefinden. Die Produktion der für die Ernährungssicherheit erforderlichen natürlichen Ressourcen, die Muster der Krankheitsübertragung und die Kohlenstoffbindung würden durch Störung in der Artenverteilung verändert. Allerdings fehle es weltweit an Minderungs- und Anpassungsstrategien, die dieser Problematik begegneten. 3.4. Wasserhaushalt Die Verfügbarkeit von Wasser ist von zentraler Bedeutung für menschliches Leben. Bereits seit Jahrtausenden stehen die Menschen vor der Herausforderung mit einem Zuviel, Zuwenig oder zu schmutzigem Wasser umzugehen. Im Zuge des Klimawandels verändert sich der Wasserkreislauf. Insbesondere das Vorhandensein erneuerbaren Süßwassers (Niederschlag) wird auch in Europa zunehmend problematisch. Da sich durch die globale Erwärmung der Wasserkreislauf intensiviert , muss in einigen Erdregionen mit heftigeren Niederschlägen oder in anderen Regionen mit längeren und häufigeren Trockenperioden und Dürren umgegangen werden. 21 Basseur, 2017, Fußnote 2, Seiten 152 ff. 22 Klotz S, Baessler C, Klussmann-Kolb A, Muellner-Riehe AN (2012) Biodiversitätswandel in Deutschland. In: Mosbrugger V, Brasseur GP, Schaller M, Stribrny B (Hrsg) Klimawandel und Biodiversität – Folgen für Deutschland . Wiss Buchgesell, Darmstadt, S 38–56. 23 Barnosky AD, Matzke N, Tomiya S, Wogan GOU, Swartz B, Quental TB, Marshall C, McGuire JL, Lindsey EL, Maguire KC, Mersey B, Ferrer EA (2011) Has the Earth’s sixth mass extinction already arrived? Nature 471(7336):51–57. 24 Ebd. 25 Pecl GT., et al.: Biodiversity redistribution under climate change: Impacts on ecosystems and human well-being. Science. 2017 Mar 31;355(6332):eaai9214. doi: 10.1126/science.aai9214. PMID: 28360268. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 -064/20 Seite 10 „Die Abschätzung der zukünftigen räumlichen und zeitlichen Verteilung der terrestrischen Wasserverfügbarkeit gehört zu den zentralen wissenschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts .“26 In einem Informationspapier der European Environment Agency aus dem Jahr 2018 heißt es, dass der Klimawandel in Europa je nach Region sehr unterschiedliche Auswirkungen auf den Wasserhaushalt haben werde. Höhere Temperaturen würden den globalen Wasserkreislauf generell intensivieren . Die jährlichen Niederschlagstrends in Europa zeigten, dass Nordeuropa im letzten Jahrhundert um 10-40% feuchter geworden sei, während Südeuropa um bis zu 20% trockener geworden sei. Im Laufe des letzten Jahrhunderts hätten die jährlichen Abflüsse der Flüsse in einigen Regionen, wie Osteuropa, zugenommen, während sie in anderen, wie Südeuropa, zurückgegangen seien.27 In einem wissenschaftlichen Artikel aus dem Jahr 2019 werden Auswirkungen und Abschwächungen des Klimawandels auf Süßwasser bezogene Wasserversorgungsdienstleistungen in Südeuropa studiert.28 Die Wissenschaftler modellieren Wasserversorgung, Wasseraufbereitung und Erosionsschutz unter derzeitigen und prognostizierten zukünftigen Bedingungen. Hierzu werden drei südeuropäische Flusseinzugsgebiete untersucht: Ebro (Fluss, der durch Spanien verläuft), alpiner Fluss Etsch, Save (Fluss in Kroatien und Slowenien). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die mediterranen Einzugsgebiete (Ebro) im Vergleich zu den alpinen (Etsch) und kontinentalen (Save) Einzugsgebiete extrem anfällig für globale Veränderungen sind. Für den Fluss Ebro könnte mit einer Abnahme der Wasserverfügbarkeit um bis zu 40% gerechnet werden. Dahingegen ist die Wasserabnahme in der Etsch-Gegend mit nur 2-4% geringer und in der Save-Gegend sogar vernachlässigbar gering. Allerdings reagieren die mediterranen Einzugsgebiete auch empfindlicher auf die Umsetzung von Minderungsmaßnahmen, die den Rückgang der Wasserbereitstellung ausgleichen würden. Zudem wird deutlich, dass Maßnahmen der Wasseraufbereitung und des Erosionsschutzes in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden, da für beide Bereiche die Ausdehnung landwirtschaftlicher und städtischer Gebiete (4 und 20%) sehr wichtig ist. Die Studie zeige, dass es regionale Unterschiede für die Anfälligkeit für Änderungen in der Wasserbereitstellung gebe, aber dass Mittelmeereinzugsgebiete sich als besonders anfällig herausstellten. In Deutschland beobachtet man zwar auf der einen Seite eine Zunahme von Starkregenereignissen . Andererseits nimmt aber auch insbesondere im Sommer die Zahl aufeinanderfolgender Trockentage zu. Dies führt zu Dürren einerseits und Überschwemmungen andererseits. Die Klimainitiative der Helmholtz Gemeinschaft konstatiert diesbezüglich: „Die trockenen Jahre 2018/19 sind beispiellos für die vergangenen 250 Jahre. Seit 1766 hat es in Mitteleuropa keine zweijährige 26 Basseur, 2017, Fußnote 2, Seite 162. 27 https://www.eea.europa.eu/archived/archived-content-water-topic/water-resources/climate-impacts-on-waterresources #:~:text=The%20main%20climate%20change%20consequences,frequency %20of%20flooding%20and%20droughts.&text=Higher%20temperatures%20will%20generally%20intensify %20the%20global%20hydrological%20cycle. 28 Jorda-Capdevila D, Gampe D, Huber García V, Ludwig R, Sabater S, Vergoñós L, Acuña V. Impact and mitigation of global change on freshwater-related ecosystem services in Southern Europe. Sci Total Environ. 15. Februar 2019;651(Pt 1):895-908. doi: 10.1016/j.scitotenv.2018.09.228. PMID: 30266055. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 -064/20 Seite 11 Sommer-Dürre dieses Ausmaßes gegeben, mehr als 50 Prozent des Ackerlandes waren davon betroffen . Darüber hinaus zeigt der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig, dass der Gesamtboden bis in eine mittlere Tiefe von 1,80 Meter in Deutschland das dritte Trockenjahr in Folge während der Vegetationsperiode erlebt.“29 Im Newsletter „Umwelt-Perspektiven “ des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung vom August 2018 findet sich ein Leitartikel mit dem Titel „Durstiges Europa“, in dem allgemeinverständlich in die Wasserhaushaltsproblematik in Europa eingeführt wird.30 3.5. Biogeochemische Stoffkreisläufe Chemische Elemente bewegen sich (unterschiedlich stark und schnell) ständig zwischen Atmosphäre , Hydrosphäre, Lithosphäre (äußerste Erdkrustenschicht) und Biosphäre. Die damit verbundenen Stoffkreisläufe sind wichtig für Lebensvorgänge auf der Erde. Dabei werden sie u.a. von Sonnenstrahlung, geothermischer Energie und der Schwerkraft angetrieben. „Der Klimawandel wirkt sich auf die biogeochemischen Stoffkreisläufe von Kohlenstoff und Stickstoff in der Biosphäre aus und beeinflusst deren Stoffaustausch mit der Atmosphäre, dem Grundwasser und den Oberflächengewässern.“ Während sich intensiv landwirtschaftlich genutzte Ökosysteme durch Nutzung und Management beeinflussen lassen, ist dies für weniger intensiv genutzte Systeme wie der Wald, Moore und Küstengebiete weniger möglich. „Die Projektion von Änderungen der biogeochemischen Stoffflüsse ist sowohl aufgrund der großen räumlichen Heterogenität von Umweltfaktoren wie Bodenart, Flurabstand, Topografie, Landnutzung und Vegetationsbedeckung als auch wegen der hohen räumlich-zeitlichen Variabilität des Klimawandels nach wie vor mit großen Unsicherheiten behaftet. Gleichwohl kann davon ausgegangen werden, dass sich die ökosystemaren Kohlenstoff- und Stickstoffflüsse zwischen Biosphäre, Atmosphäre und Hydrosphäre zukünftig deutlich verändern werden – mit positiven wie auch negativen Rückkopplungseffekten auf den Klimawandel.“31 „In günstigen Jahren mit langen Wachstumsperioden und ausreichenden Niederschlägen auch im Sommer kann - insbesondere in Verbindung mit erhöhten atmosphärischen CO2-Konzentrationen und erhöhter Stickstoffdeposition - das Pflanzenwachstum stark stimuliert werden. Das wiederum kann zu einer Zunahme der Aufnahmefunktion dieser Ökosysteme für Treibhausgase und für atmosphärischen reaktiven Stickstoff führen und damit zu einer Abmilderung des Klimawandels beitragen. In ungünstigen Jahren mit langer Sommertrockenheit und hohen Temperaturen können die naturnahen Ökosysteme allerdings auch zu Nettoquellen von Treibhausgasen und zu verstärkten Quellen von im Wasser gelösten organischen Substanzen werden, mit negativen Effekten auf den Klimawandel und die Wasserqualität.“32 29 https://www.helmholtz-klima.de/faq/nehmen-duerre-und-starkregen-zu. 30 Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung: Durstiges Europa, in: Umwelt Perspektiven, der UFZ-Newsletter August 2018; https://www.ufz.de/newsletter/ufz/August2018/#0; Seite 4 ff. 31 Basseur, 2017, Fußnote 2, Seite 174. 32 Basseur, 2017, Fußnote 2, Seite 179. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 -064/20 Seite 12 3.6. Boden In einem aktuellen wissenschaftlichen Artikel werden die Auswirkungen von Klima- und Landnutzungsänderungen auf die Bodenerosion in zwei kleinen landwirtschaftlichen Einzugsgebieten anhand zweier Beispielregionen in Spanien und Österreich untersucht.33 Anhand dieser Studie werden zukünftige Veränderungen der Bodenerosionsprozesse modelliert. Die Wissenschaftler zeigen, dass die Bodenbearbeitungspraxis, der Niederschlag und Abfluss treibende Faktoren für die Bodenerosion an beiden Beispielstandorten sind. Darüber stellen sie fest, dass die Bodenbearbeitungspraktiken einen größeren Einfluss auf die Bodenerosion haben als unterschiedliche Szenarien des Klimawandels. Mit reduzierter Bodenbearbeitung könnte die Bodenerosion im Vergleich zu konventionellen Bodenbearbeitungspraktiken um mehr als 75% reduziert werden. 3.7. Landwirtschaft Die Landwirtschaft ist ein Wirtschaftszweig, der besonders von klimatischen Zuständen abhängt. Änderungen von Klimakenngrößen wie Temperatur und Niederschlag und die Konzentration von Spurengasen in der Atmosphäre beeinflussen in direkter Weise sowohl das Wachstum der Pflanzen als auch den Ertrag und die Qualität der Ernteprodukte. Nach bisherigen Klimaprojektionen ist davon auszugehen, dass es in Deutschland mittelfristig sowohl zu negativen wie zu positiven Auswirkungen auf die Landwirtschaft kommen wird.34 „Entscheidend dafür, wie diese Effekte ausfallen, sind zum einen die Art und Intensität der Klimaveränderungen selbst, zum anderen die Empfindlichkeit der jeweils betrachteten Produktionssysteme und die Implementierung von Anpassungsmaßnahmen, mit deren Hilfe sich die Folgen des Klimawandels nutzen, vermeiden oder mildern lassen. Während z. B. eine moderate durchschnittliche Erwärmung oder die kontinuierliche Zunahme der atmosphärischen CO2-Konzentration durchaus positive Wirkungen auf die deutsche Pflanzenproduktion haben können, wirken sich besonders extreme Wetterlagen - regional unterschiedlich - meist deutlich negativ auf einzelne Landnutzungs- oder Produktionssysteme aus.“35 Die Gemeinsame Forschungsstelle der EU (Joint Research Centre, JRC) hat in diesem Jahr eine Analyse der Auswirkungen des Klimawandels auf EU-Landwirtschaft bis 2050 veröffentlicht.36 Basierend auf der Modellierung verschiedener Klimaszenarien leiten die Autoren folgende Ergebnisse ab: Der Klimawandel gefährde mittel- bis langfristig die Lebensmittelproduktion. Dies gelte auch für Europa und sei zurückzuführen auf Änderungen der Tagestemperatur, des Niederschlages , des Windes, der relativen Luftfeuchtigkeit und der globalen Strahlung. Es wird konstatiert, 33 Luetzenburg G, Bittner MJ, Calsamiglia A, Renschler CS, Estrany J, Poeppl R. Climate and land use change effects on soil erosion in two small agricultural catchment systems Fugnitz - Austria, Can Revull - Spain. Sci Total Environ. 2020 Feb 20;704:135389. doi: 10.1016/j.scitotenv.2019.135389. PMID: 31810709. 34 Basseur, 2017, Fußnote 2, Seite 184. 35 Ebd. 36 Hristov J. et al. (2020): Analysis of climate change impacts on EU agriculture by 2050; ISBN 978-92-76-10617-3. http://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/handle/JRC119632. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 -064/20 Seite 13 dass Getreideerträge innerhalb der EU zwischen 1% und 22% sinken würden. In Südeuropa würden die Weizenerträge vorrausichtlich um bis zu 49% sinken. In Nordeuropa hingegen könnten einige negative Produktivitätseffekte teilweise durch positive Effekte infolge höherer atmosphärischer CO2-Konzentrationen und sich ändernden Niederschlagsszenarien ausgeglichen werden . Negative Effekte in Südeuropa könnten durch Anpassungsstrategien, Sortenwechsel, Veränderungen der Bewässerungspraktiken für bestimmte Kulturen versucht werden zu begegnen. Allerdings könnten Einschränkungen der nachhaltigen Wasserentnahme zu einem Hindernis für die Erhöhung der Bewässerungsmenge werden. Dies gelte insbesondere für die Mittelmeerländer (insbesondere Spanien, Portugal, Griechenland, Zypern, Malta, Italien und der Türkei), wo die Dauer der Wasserknappheit unter der globalen Erwärmung voraussichtlich zunehmen werde. Allerdings gebe es verschiedene Themenfelder, wie die zunehmende Wasserknappheit in Südeuropa , die Frage nach der Bewässerung, zunehmende Auswirkungen von Hitzewellen und Dürren, die weiter untersucht werden müssten und nicht abschließend geklärt seien.37 In Deutschland werden vereinzelt Argumente angeführt, dass hierzulande ein Klimawandel auch positive Effekte auf die Land- und Forstwirtschaft haben könne. So veröffentlichte das Handelsblatt bereits 2013 eine Reihe möglicher positiver Auswirkungen, zu denen eine Wissenschaftlerin des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) Stellung bezog.38 Eine als positiv gewertete Folge betrifft den Weinanbau: „Der Weinbau in Norddeutschland wird einfacher, sogar gute Rote gedeihen jetzt - einerseits. Andererseits haben es Winzer im sich aufheizenden Mittelmeerraum schwerer und müssen mehr bewässern. Deutsche Weinbauer werden wohl verstärkt Wetterextremen wie Starkregen oder Hagel ausgesetzt sein. Auch wenn in nördlichen Breiten künftig zwei Getreide-Ernten im Jahr möglich werden sollten, stehen dem Ertragsverluste in den Ländern des Südens gegenüber. Der eine Effekt hebt den anderen nicht einfach auf: Afrikanische Kleinbauern werden bei Wegfall ihrer Existenzgrundlage niemals auf dem Weltmarkt das aus den nördlichen Ländern vermehrt angebotene Getreide kaufen können.“ Zudem könnte im Zuge des Klimawandels ein vermehrtes Baumwachstum in der kargen Tundra auftreten. „Doch dadurch wird das alteingesessene Ökosystem dort drastisch verändert. Und im Unterschied zu den tropischen Wäldern ist mehr Bewaldung in nördlichen Breiten nicht unbedingt gut für das Klima: Die Bäume sind dunkler als das bislang vorherrschende Gras, und was dunkler ist, das absorbiert auch mehr Sonnenstrahlung - was die Erderwärmung weiter verstärkt. Dieser sogenannte Albedo-Effekt übertrifft den Nutzen der nördlichen Wälder als Kohlenstoffsenke . Außerdem könnten einzigartige Pflanzen verloren gehen, Tiere ihre Futter- und Brutorte verlieren, Waldbrände häufiger werden.“ Häufig tritt auch das Argument auf, dass die Sahara zum Teil grüner werden könnte, da sich das Niederschlagsmuster ändere. Hierzu bemerkt die Wissenschaftlerin, dass dies örtlich eventuell 37 Ebd. 38 Onlineangebot des Handelsblatt: Die positiven Seiten des Klimawandels; Handelsblatt vom 23.05.2013; im Inter -net abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/technik/energie-umwelt/klima-orakel-die-positiven-seiten -des-klimawandels/8242108.html?ticket=ST-2551185-uDWMZ9tEJcr9cS3eG44w-ap2. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 -064/20 Seite 14 zutreffe. „Allerdings werden wahrscheinlich an anderen Stellen umgekehrt Steppen Wälder ersetzen . Und so ganz sicher ist das mit dem Ergrünen noch nicht, weil Regen und Trockenheit komplexe Phänomene sind.“ Der Klimawandel kann in einzelnen Fällen zu einer Produktionssteigerung im Agrarsektor in nordischen Ländern führen. Dies fordere aber auch im Falle der Steigerung ein effektives Anpassungsmanagement , so die Autorin einer Publikation in der Zeitschrift „Land Use Policy“ aus dem Jahr 201839. Wenn gleichzeitige Herausforderungen nicht angegangen würden, könnten andere Produktivitätsverluste die Gewinne beeinträchtigen. Daher sei die Anpassung an den Klimawandel von entscheidender Bedeutung, um negative Folgen zu vermeiden und Chancen zu nutzen. Der wissenschaftliche Artikel wertet bestehende Literatur aus und zeigt auf, dass für die konkrete Ausgestaltung noch Forschungsbedarf bestehe. In einem 2018 erschienen Übersichtsartikel wird wissenschaftliche Literatur zu Auswirkungen des Klimawandels entlang der gesamten Lebensmittelkette zusammenstellt.40 Hierin heißt es, ein Großteil der Forschung habe sich damit beschäftigt, Möglichkeiten zu finden, die Auswirkungen des Klimawandels in den Agrarsystemen abzumildern. Wesentlich weniger Ansätze hätten sich damit beschäftigt, Chancen im Nahrungsmittelsystem zu untersuchen. Dabei stellen die Autoren Literatur zusammen, die die bestehende Situation analysieren und teilweise Defizite ausführen, für die einzelnen Bereiche entlang der Lebensmittelkette: „Pre-Production“, „Processing and Transportation“, „Consumption“, „Food waste and disposal“. Auf jeder Stufe sei eine Weiterentwicklung in Anpassung der Klimaveränderungsvorgaben erforderlich. Die Autoren konstatieren, dass ein Forschungsansatz für Lebensmittelsysteme dringend erforderlich sei, um potenziellen Synergien zu nutzen und Schlüsselbereiche der zusätzlichen Forschung hervorzuheben, einschließlich einer stärkeren Konzentration auf Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Abschließend diskutieren die Autoren die politischen und finanziellen Möglichkeiten, die erforderlich sind, um Minderungsstrategien in den Lebensmittelsystemen voranzutreiben. 3.8. Personen- und Güterverkehr, Tourismus, Migration Infolge des Klimawandels wird prognostiziert, dass es in einigen Weltregionen zu einer Minderung der Landproduktivität und -bewohnbarkeit sowie der Ernährungs- und Wassersicherheit komme. Damit sind demografische, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen des Klimawandels verbunden durch eine Erhöhung der Migration. Neben der Migration hat der Klimawandel auch Auswirkungen auf das Reisen und das Krankheitsrisiko durch veränderte Krankheitserreger. In einem Übersichtsartikel, der 2019 im „Journal of travel medicine“ erschienen ist, wird wissenschaftliche Literatur zur Frage der Auswirkungen des Klimawandels auf Migration und Reisen 39 L. Wirehn: Nordic agriculture under climate change: A systematic review of challenges, opportunities and adaptation strategies for crop production; Land Use Policy Vol.77, September 2018, Seiten 63-74; https://www.sciencedirect .com/science/article/abs/pii/S0264837717308293 40 M. T. Niles et al.: Climate change mitigation beyond agriculture: a review of food system opportunities and implications ; Renewable Agriculture and Food Systems; Volume 33, Special Issue 3, Juni 2018, Seiten 297- 308;https://www.cambridge.org/core/journals/renewable-agriculture-and-food-systems/article/climate-changemitigation -beyond-agriculture-a-review-of-food-system-opportunities-and-implications /1A441CC574E74E8F29FEBD284CE92945. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 -064/20 Seite 15 und damit verbunden auch Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheitspraxis zusammengetragen .41 Obwohl Migration bisher kein wesentlicher Treiber für Ausbrüche übertragbarer Krankheiten gewesen sei, müssten die Gesundheitsbehörden sicherstellen, dass wirksame Screening- und Impfprogramme für übertragbare Krankheiten vorhanden seien. Das Bevölkerungswachstum in Verbindung mit der sozioökonomischen Entwicklung führe zu einer Erhöhung der Reisetätigkeit und einer Ausweitung des Tourismus. Gleichzeitig seien aufgrund des Klimawandels viele gemäßigte Regionen (insbesondere einkommensstarke Länder), für die Übertragung von durch Vektoren übertragenen Krankheiten geeignet. Dies biete Möglichkeiten für den Import von Vektoren und Krankheitserregern aus endemischen Gebieten, die zu Fällen oder Ausbrüchen übertragbarer Krankheiten führen könnten. Mit derartigen Krankheiten sei die Gesundheitsbranche hierzulande möglicherweise nicht vertraut.42 In der Zeitschrift „Environmental Science and Pollution Research“ ist 2019 ein Artikel zur Abschätzung der Bedeutung von Klimaveränderungen auf internationale Touristenströme erschienen .43 In diesem Artikel wird die Rolle des Klimawandels für die Touristenströme nach Malta, Zypern (Norden) und Zypern (Süden) untersucht. Zeitreihenanalysen ergeben, dass sich der Klimawandel zu einer Zunahme ausländischer Touristenströme in diese Inselstaaten führt. In diesem Papier werden auch die Folgen für den Gesamtenergieverbrauch im Zuge der Aufnahme ausländischer Touristen in Malta und Zypern untersucht. Dabei zeigt sich, dass Energieeffizienzmaßnahmen in kleinen Inselstaaten von wesentlicher Bedeutung sind. Langfristig wird allerdings im Kapitel, das sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf den Tourismus im bereits zitierten Fachbuch zu Klimawandel in Deutschland befasst, zu bedenken gegeben, dass die möglichen Effekte des Klimawandels auf die touristische Nachfrage auf lange Sicht regional verschieden und einschneidend ausfallen können. Sie würden vor allem die Zielgebietsentscheidungen und den Reisezeitpunkt betreffen, z. B. wegen der Verschiebung von Schneegrenzen im Winter, unbekömmlicher Sommerhitze in Mittelmeerregionen oder potenzieller Zerstörung tourismusrelevanter Angebote in Küstennähe.44 3.9. Städte Die Auswirkungen des Klimawandels innerhalb der Städte sind sehr vielfältig und unterscheiden sich von anderen Landnutzungsformen (z.B. ländliche Regionen). Infolge der hohen Bevölkerungs - und Infrastrukturdichte sind Städte insgesamt anfälliger gegenüber verschiedenen Klimafolgen . Bereits im Kapitel 2.1 wurde auf Auswirkungen der Änderung von Luftqualitätsparame- 41 Semenza JC, Ebi KL. Climate change impact on migration, travel, travel destinations and the tourism industry. J Travel Med. 2019 Jun 11;26(5):taz026. doi: 10.1093/jtm/taz026. PMID: 30976790; PMCID: PMC7107585. 42 Ebd. 43 Katircioglu S, Cizreliogullari MN, Katircioglu S. Estimating the role of climate changes on international tourist flows: evidence from Mediterranean Island States. Environ Sci Pollut Res Int. 2019 May;26(14):14393-14399. doi: 10.1007/s11356-019-04750-w. Epub 2019 Mar 13. PMID: 30868454. 44 Basseur, 2017, Fussnote 2, Seite 240. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 -064/20 Seite 16 tern eingegangen. So müssen Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen beispielsweise die urbane CO2-Bilanz verbessern infolge dessen weiter ansteigenden Lufttemperaturen und zunehmende Starkniederschläge begegnet werden könnte.45 Hinzu kommt, dass steigende Ozonkonzentrationen die zunehmende Verbreitung allergener Pollen begünstigen.46 In einer Studie, die 2019 in der Zeitschrift „International Journal of Environmental Research and Public Health“ erschienen ist47, wird der Frage nach zukünftigen Hitzewellen in den europäischen Hauptstädten London, Luxemburg und Rom basierend auf der Analyse von Klimaindikatoren nachgegangen. Sollte es zu einer Häufung und Intensivierung von Hitzewellen in Europa kommen, hätte dies erhebliche negative Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit. Anhand von zwei Klimawandelszenarien wurde in der Arbeit die Häufigkeit und Intensität von Hitzewellen für die drei Städte48 mittels Untersuchung von Klimaindizes49, wie Tageswerte der minimalen und maximalen Lufttemperaturen sowie tägliche Niederschlagsmengen untersucht. Der Schwellenwert für die Definition von Hitzewellen wird auf der Grundlage eines Bezugszeitraums von 30 Jahren für jede der drei Städte berechnet. Änderungen der projizierten Lufttemperatur zwischen einem Referenzzeitraum (1971-2000) und drei zukünftigen Zeiträumen (2001-2030 in naher Zukunft , 2031-2060 in der mittleren Zukunft und 2061-2090 in der fernen Zukunft) sind für alle drei Städte und beide Emissionsszenarien statistisch signifikant. Für die verschiedenen Hitzewellenindizes konnten erhebliche Ähnlichkeiten festgestellt werden. Dies wirkt sich direkt auf das Risiko der exponierten Bevölkerung aus und könnte sich auch negativ auf die Ernährungssicherheit und die Wasserversorgung auswirken. 3.10. Wirtschaft Dass der Klimawandel auch Auswirkungen auf die Wirtschaft haben wird, liegt auf der Hand. Damit betrifft dies auch das menschliche Wohlbefinden. Extremwetterereignisse sind ein Beispiel direkt ersichtlicher Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit allerdings auch auf die Wirtschaft und nachfolgend wiederum auf das menschliche Wohlbefinden. Die Bezifferung des wirtschaftlichen Ausmaßes des Klimawandels ist von zahlreichen Faktoren abhängig, insbesondere auch durch seinen langfristigen Charakter von den ergriffenen Anpassungsstrategien. „Eine vollständige Erfassung und Modellierung dieser Veränderungsprozesse in der Natur und im Handeln 45 Basseur, 2017, Fußnote 2, Seite 233. 46 Ebd. 47 Junk J, Goergen K, Krein A. Future Heat Waves in Different European Capitals Based on Climate Change Indicators . Int J Environ Res Public Health. 2019 Oct 17; 16(20):3959. doi: 10.3390/ijerph16203959. PMID: 31627393; PMCID: PMC6843467. 48 Durch die Auswahl London, Luxemburg und Rom wurden die eine nördliche, eine zentrale und eine südliche Stadt einbezogen. 49 Das Expertenteam der Kommission für Klimatologie (CCI) der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) zu sektorspezifischen Klimaindizes (ET-SCI) entwickelte ein international koordiniertes Set von Kernklima Indizes, um Veränderungen in Klimaextremen zu erkennen: Int. J. Environ. Res. Public Health 2019, 16, 3959, Seite 2. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 -064/20 Seite 17 von Staaten, Unternehmen und Haushalten über die nächsten Jahrhunderte ist nicht machbar und wird auch in Zukunft nicht erreicht werden.“50 Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) hat bereits 2012 ein Positionspapier zu „Anpassungsstrategien in der Klimapolitik“ publiziert.51 Die Autoren verweisen in einem Unterkapitel darauf, dass neu entwickelte Technologien zur Anpassung an den Klimawandel deutschen Unternehmen Chancen auf dem Weltmarkt eröffneten. Neue Anpassungsstrategien seien weltweit erforderlich. Allerdings bestehe noch Bedarf bei der Gewinnung von Informationen über konkrete Klimafolgen und Wirkungszusammenhänge, die für die Privatwirtschaft wichtig seien.52 In dem Positionspapier werden Empfehlungen an verschiedene Adressaten: Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft gerichtet. Für den Bereich „Politik“ wird darauf hingewiesen , dass „ein Großteil der Anpassungsmaßnahmen […] insbesondere die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften betreffen. Diese müssen in der Lage sein beziehungsweise in die Lage versetzt werden, angemessen auf die damit verbundenen Herausforderungen zu reagieren. […] Anpassungsmaßnahmen müssen insbesondere auf die Beherrschung der Extreme, von Trockenperioden und Überschwemmungen etwa, ausgerichtet sein. Sicherheitsvorschriften, Regelund Planungswerke für die verschiedenen Wirtschaftssektoren sind auf ihre Gültigkeit und Sinnhaftigkeit unter Klimawandelbedingungen zu prüfen. […] Anpassungsmaßnahmen müssen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Nachhaltigkeit systemisch und nicht nur sektoral geprüft werden .“53 In Hinblick auf die Forderungen gegenüber der Wissenschaft wird festgehalten, dass es absolut erforderlich sei, „baldmöglichst belastbares, regionen- und sektorspezifisches Wissen zur Verfügung stellen zu können.“ Zudem wird gefordert, dass die Bereiche Wissenschaft und Bildung durch Anpassung der Lehrpläne einbezogen würden. Schließlich sei auch weitergehendes Wissen zu den Auswirkungen auf die Gesundheit erforderlich.54 Defizite sehen die Autoren im Bereich der Wirtschaft insbesondere darin, dass sich zwar abzeichnet, dass sich „viele Marktchancen für innovative Unternehmen“ bieten könnten, allerdings seien hierzu „auch gesamtgesellschaftliche Finanzierungsmodelle“ erforderlich. Besonders betroffen seien die Wirtschaftssektoren : Küstenschutz, Forst-, Land-, Fischereiwirtschaft, Tourismus und Stadtentwicklung.55 Abschließend wird für den Sektor „Gesellschaft“ ein „strukturierter Dialog von Politik, Wissenschaft , Wirtschaft und Gesellschaft unter Einbeziehung der relevanten Stakeholder, insbesondere regionaler Akteure“ gefordert.56 *** 50 Basseur, 2017, Fußnote 2, Seite 262 f. 51 Acatech: Anpassungsstrategien in der Klimapolitik; September 2012; im Internet abrufbar unter: https://www.acatech.de/wp-content/uploads/2018/03/acatech_POSITION_Klimawandel_WEB.pdf. 52 Ebd., Seite 4f. 53 Ebd., Seite 30. 54 Ebd. Seite 30f. 55 Ebd., Seite 31. 56 Ebd., Seite 31.