© 2020 Deutscher Bundestag WD 8 – 3000 - 061/20 Zur In-Ovo-Geschlechtsbestimmung bei Hühnerembryonen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 061/20 Seite 2 Zur In-Ovo-Geschlechtsbestimmung bei Hühnerembryonen Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 061/20 Abschluss der Arbeit: 3. November 2020 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 061/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Endokrinologie 4 3. Molekulargenetik 5 4. Spektroskopie 6 5. Magnetresonanztomografie (MRT) 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 061/20 Seite 4 1. Einleitung In Geflügelwirtschaft werden männliche Küken aus ökonomischen Gründen oftmals aussortiert, während weibliche Küken als Legehennen aufgezogen werden. Nach dem Schlüpfen die Küken nach ihrem Geschlecht zu sortieren und männliche Küken entweder durch Vergasung oder durch Schreddern zu töten, löst seit einiger Zeit kontroverse Debatten aus. Ansätze, die es erlauben, bereits im Stadium des Eies und vor Einsetzen eines Schmerzempfindens zu erkennen, ob es sich um ein männliches oder weibliches Küken handelt, werden derzeit (weiter-)entwickelt und erlauben ein frühzeitiges Aussortieren der Eier. Männliche Eier werden dann zu Futter verarbeitet, während weibliche ausgebrütet werden. Aus Tierschutzgründen ist es wünschenswert, diese Bestimmung möglichst zu einem Zeitpunkt durchzuführen, wenn das Schmerzempfinden noch nicht ausgebildet ist. Um am bebrüteten Ei und bereits vor dem Schlüpfen das Geschlecht des werdenden Huhns bestimmen zu können, sind unterschiedliche Methoden entwickelt worden und es wird laufend nach weiteren Möglichkeiten gesucht. Sie alle verfolgen das Ziel, noch vor dem Einsetzen des Schmerzempfindens beim Embryo das Geschlecht zu ermitteln. Nachfolgend werden vier Methoden benannt. Während zwei Technologien (Endokrinologie und Molekularbiologie) auf einer Analyse der sog. Allantoisflüssigkeit1 basieren, fußt eine dritte Technologie (spektroskopische Ansätze) auf Lichtverfahren. Eine vierte Technologie setzt Magnetresonanztomografie ein. 2. Endokrinologie Die erste marktreife In-Ovo-Geschlechtsbestimmung bei Hühnerembryonen wird von der niederländisch -deutschen Firma SELEGGT seit November 2018 kommerziell angeboten. Der Bestimmungsprozess beruht auf einem patentierten In-Ovo-Geschlechtsbestimmungsverfahren von Almuth Einspanier (Universität Leipzig)2. Das Verfahren wird auf den Internetseiten des Unternehmens beschrieben. Hierbei wird das 8 bis 10 Tage gebrütete Ei aus dem Brutschrank entnommen. Durch einen Sensor ist es möglich zu kontrollieren, ob das Brutei befruchtet ist. Bei allen befruchteten Bruteiern wird mithilfe von Lasern ein Loch in die Bruteischale gebohrt. Daraufhin wird eine geringe Menge der Allantoisflüssigkeit entnommen.3 Nach bisherigen Erkenntnissen hat dies für das Brutei keine negativen Folgen. In der Allantoisflüssigkeit befindet sich bei einem weiblichen Brutei das weibliche Geschlechtshormon Östronsulfat. Mit Hilfe eines patentierten Markers kann nun auf Anwesenheit von Östronsulfat (Farbumschlag) getestet werden. Die Bruteier können gemäß dem Farbumschlag sortiert werden. Anschließend werden männliche Bruteier 1 Allgemein verständliche Definition von Allantois im Lexikon der Biologie, Spektrum-Verlag: „Bei den Sauropsida (Reptilien, Vögel) stellt die Allantois ursprünglich einen embryonalen Harnsack dar und speichert in ihrem Lumen Exkrete in unlöslicher Form (Harnsäure). Mit zunehmender Größe schiebt sie sich zwischen die äußeren und inneren Schichten von Amnion und Dottersack ein, legt sich mit ihrer gefäßreichen Wand innen an das Cho-rion an und dient sekundär als Atemorgan auch dem Gasaustausch durch die poröse Eischale.“ (Quelle: https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/allantois/2159). 2 Veterinär-Physiologisch-Chemisches Institut (Arbeitsgruppe Endokrinologie) der Universität Leipzig. Frau Prof. A. Einspanier ist „SELEGGT Partner“: https://www.seleggt.de/ueber-uns/. 3 Diese kann momentan frühestens am 8. Tag entnommen werden (Informationen SELEGGT vom 28.10.2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 061/20 Seite 5 aussortiert und zu Futtermittel weiter verarbeiten. Weibliche Bruteier hingegen werden im Brutschrank weiter bebrütet. Dabei ist es nicht notwendig, das Loch in der Schale wieder zu verschließen , die innere Eimembran als Abschluss genügt. Am 21. Bruttag schlüpfen dann lediglich weibliche Küken.4 Die Methodik wurde 2013 in der Zeitschrift Theriogenology5 unter dem Titel „Sexing domestic chicken before hatch: a new method for in ovo gender identification“ publiziert. 3. Molekulargenetik Der Einsatz einer molekulargenetischen Methode zur In-Ovo-Geschlechtsbestimmung basiert darauf , dass männliche und weibliche Hühner unterschiedliche Geschlechtschromosomen besitzen. Mittels PCR-Technologie kann dieser genetische Unterschied durch Analyse der Allantoisflüssigkeit sichtbar gemacht werden. Laut wissenschaftlicher Einschätzung6 lässt sich Allantois ab Tag 9 zu nahezu 100% gewinnen. Ein Verfahren, das im Anschluss der Entnahme eine PCR-Analyse durchführt, wird von der Firma Plantegg7 derzeit weiterentwickelt.8 Der Lebensmittelkonzern Aldi teilte mit, ab „Ende 2020 sollen ALDI Kunden die ersten Eier kaufen können, für deren Produktion die neue Methode zum Einsatz kommt.“9 Bis zum Jahr 2022 wollen Aldi Süd und Nord deutschlandweit bei der Produktion ihrer Boden-, Freiland- und Bio-Eiern komplett auf das "Plantegg"-Verfahren umsteigen.10 Die Methodik an sich beruht auf einer Amplifikation geschlechtsspezifischen Materials mittels Echtzeit-PCR (Real-Time-PCR, RT-PCR).11 Darauf folgend kann männliches von weiblichem genetisches Material unterschieden werden. Laut Aussage des Unternehmens ist derzeit ein Durchsatz 4 Quelle: https://www.seleggt.de/ueber-uns/. 5 Weissmann A, Reitemeier S, Hahn A, Gottschalk J, Einspanier A. Sexing domestic chicken before hatch: a new method for in ovo gender identification. Theriogenology. 2013 Aug;80(3):199-205. doi: 10.1016/j.theriogenology .2013.04.014. Epub 2013 May 29. PMID: 23726296. Impact Factor der Zeitschrift 2019: 2.094. 6 Informationen durch Prof. Dr. A. Einspanier. 7 https://www.plantegg.de/. 8 Patent: Method for gender identification in domestic chicken WO2017076957A1 (Martin Christian WeigelKarsten Hofmann-PeikerMichael Kleine). 9 https://www.planton.de/dokumente/Pressemitteilung-ALDI.pdf. 10 https://www.chip.de/news/Eier-bei-Aldi-Discounter-stellt-Produktion-komplettum _182825195.html#:~:text=Aldi%20S%C3%BCd%20und%20Nord%20haben,Biotech%2DUnternehmens %20Planton%20umsteigen%20wird. 11 Vervielfältigung des genetischen Materials wird in Echtzeit mit Hilfe von Farbstoffen, die mit der Menge des amplifizierten genetischen Materials zunimmt, beobachtet. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 061/20 Seite 6 von 3.000 Eiern pro Stunde möglich. Die Entnahme der zu analysierenden Flüssigkeit wird momentan mittels SELEGGT Methodik (siehe oben) durchgeführt. Daher ist sie nach derzeitigem Technikstand frühestens an Tag 8 einsetzbar. 4. Spektroskopie Die Firma Agri Advanced Technologies GmbH (AAT) arbeitet momentan an der Einführung zweier verschiedener Geschlechtsbestimmungsverfahren, dem Raman-spektroskopischen Verfahren und der hyperspektralen Messtechnik12. Beide Verfahren nutzen Licht zur Bestimmung des Geschlechts im Ei. Die hyperspektrale Messtechnik ist nicht invasiv, erlaubt einen hohen Durchsatz , aber funktioniert nur bei braunen Hühnern ab dem 13. Bebrütungstag des Bruteis.13 Laut Meldung des Unternehmens vom 3. August 2020 ist dieses Verfahren als vollautomatisierte Version nun praxisreif.14 Details zur hyperspektralen Methodik finden sich in einer wissenschaftlichen Publikation aus dem Jahr 2017.15 Eine spezifische Hühnersorte weist eine geschlechtsspezifische Unterscheidung in ihrer Federfarbe auf: die weiblichen Eintagsküken haben braune Daunenfedern und die Männchen gelbe. Mittels hyperspektraler Kamera wird transmittiertes Licht im Spektralbereich von 400 nm bis 1.000 nm gesammelt. Um die Daten zu analysieren, werden gängige Methoden wie Hauptkomponentenanalyse und lineare Diskrimination verwendet. In der wissenschaftlichen Arbeit wurde eine Genauigkeit der Geschlechtsbestimmung für 14-Tage-alte Embryonen von ca. 97% bestimmt. Die Geschlechtsbestimmung mittels des Raman16-spektroskopischen Verfahrens lässt sich bereits vor dem 7. Bebrütungstag einsetzen. „Dabei wird zuerst die Luftkammer im Ei detektiert, die Schale dann mit einem CO2-Laser perforiert und der Schalendeckel abgehoben. Nachdem das Geschlecht bestimmt wurde, wird die Schale wieder verschlossen.“17 Für dieses Verfahren kann allerdings bislang kein Markteinführungsdatum genannt werden. Die Methodik der Geschlechts- 12 Europäische Patentierung: EP 2 890 973 B1 (Spektroskophotometrische Analyse der Federfarbe von embryonalen Küken). Internationales Patent WO2017/017277A1 (Verfahren und Vorrichtung zur Einbringung einer Öffnung in die Kalkschale im Bereich des Stumpfen Pols von bebrüteten Vogeleiern mit Embryo) 13 https://www.agri-at.com/produkte/in-ovo. 14 https://www.agri-at.com/presse/15-pressemitteilungen-in-ovo/80-hyperspektrale-messtechnik-zur-geschlechtsbestimmung -im-ei-ist-praxisreif. 15 Göhler D, Fischer B, Meissner S. In-ovo sexing of 14-day-old chicken embryos by pattern analysis in hyperspectral images (VIS/NIR spectra): A non-destructive method for layer lines with gender-specific down feather color. Poult Sci. 2017 Jan 1;96(1):1-4. doi: 10.3382/ps/pew282. Epub 2016 Sep 2. PMID: 27591278. 16 Spektroskopisches Verfahren, benannt nach dem benannt nach dem indischen Physiker C. V. Raman. 17 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 061/20 Seite 7 bestimmung mittels der Raman-Spektroskopie wurde 2016 in einer wissenschaftlichen Publikation einer Dresdener, Leipziger und litauischen Arbeitsgruppe dargestellt.18 Die Wissenschaftler stellen dar, wie mittels Raman-Spektroskopie eine Bestimmung des Ovo-Geschlechts des Haushuhns am Tag 3,5 der Eierinkubation ermöglicht werden kann. Sie konstatieren, dass die Genauigkeit bei 90% liege und auf Analyse der in den extraembryonalen Gefäßen zirkulierenden Blutspektren beruhe. Diese Bestimmung funktioniert unter Laborbedingungen. Bislang stellt allerdings für die marktreife Umsetzung das vergleichsweise große Loch, das in die Eischale gebohrt werden muss ein Umsetzungsproblem dar. Daher ist nicht absehbar, ob eine Markteinführung möglich ist. Auch ein französisches Unternehmen (Tronico)19 sowie ein kanadisches Unternehmen (Hypereye)20 arbeiten an der Entwicklung spektroskopischer Methoden zur Geschlechtsbestimmung im Ei. 5. Magnetresonanztomografie (MRT) An der Technischen Universität München forschen zwei Gruppen (Munich School of BioEngineering und Biotechnologie der Reproduktion) an der Geschlechtsbestimmung im Hühnerei mittels MRT (Magnetresonanztomographie). Mittels MRT sind die Wissenschaftler neben der Geschlechtsbestimmung auch in der Lage festzustellen, ob ein Ei befruchtet wurde oder nicht. Bereits 2018 haben sich die verantwortlichen Wissenschaftler in einer Pressemitteilung21 zu dem Verfahren geäußert. Ihre Methodik wurde Ende 2017 patentiert.22 Laut Informationen der Forschergruppe werden derzeit Messreihen geplant, um die bisherigen Daten weiter zu validieren. Hierdurch ergibt sich die Grundlage für den Bau eines Prototyps. MRT ist eine Technologie, die in der medizinischen Diagnostik seit langer Zeit zur Darstellung von Struktur und Funktion der Gewebe und Organe im Körper eingesetzt wird. Im Gegensatz zur Röntgenanalyse wird keine Röntgenstrahlung oder andere ionisierende Strahlung erzeugt, sondern vielmehr magnetische Felder aufgebaut. Die Methodik ist nicht-invasiv und kann nach derzeitigem Entwicklungsstand am 5. Tag der Entwicklung angewandt werden.23 *** 18 Galli R, Preusse G, Uckermann O, Bartels T, Krautwald-Junghanns ME, Koch E, Steiner G. In Ovo Sexing of Domestic Chicken Eggs by Raman Spectroscopy. Anal Chem. 2016 Sep 6;88(17):8657-63. doi: 10.1021/acs.analchem .6b01868. Epub 2016 Aug 22. PMID: 27512829. 19 https://www.quechoisir.org/actualite-bien-etre-animal-une-technique-pour-eviter-le-broyage-des-poussins-males -n65939/. 20 https://www.canadianpoultrymag.com/hypereye-a-game-changer-30033/. 21 Pressemitteilung der Technischen Universität München vom 28.06.2018: Durchbruch bei Suche nach Alternative zum Kükentöten; https://www.tum.de/nc/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/34775/. 22 Automatisierte Nicht-invasive Bestimmung des Geschlechts eines Embryos und der Fertilität eines Vogels. europäische Patentnummer EP3483619A1 (https://data.epo.org/gpi/EP3545326A1-AUTOMATED-NONINVASIVE- DETERMINING-THE-SEX-OF-AN-EMBRYO-OF-AND-THE-FERTILITY-OF-A-BIRD-apos-S-EGG) Priority: 13. November 2013. 23 Persönliche Informationen Technische Universität München, Biotechnologie der Reproduktion.