WD 8 - 3000 - 059/16 (04.08.2016) © 2016 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundes-tages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigten Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. In einer Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 18/6982 vom 2.12.2015, Antwort der Bundesregierung: BT-Drs. 18/7335 vom 22.01.2016) werden die jährlichen gesundheitlichen und ökologischen Kosten, die sich in der EU aus der Verwendung von Stoffen mit endokrinen Disruptoren ergeben „auf mindestens 157 Mrd. Euro beziffert“. Diese Kostenangaben stützen sich auf die Quellen: (1) Trasande et al. (2015): Estimating Burden and Disease Costs of Exposure to Endocrine- Disrupting Chemicals in the European Union. J Clin Endocrinol Metab. 2015 Apr; 100(4): 1245–1255 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4399291/ (2) Health and Environment Alliance (HEAL) Health (2014): HEALTH COSTS IN THE EURO- PEAN UNION - HOW MUCH IS RELATED TO EDCS? http://www.envhealth.org/IMG/pdf/18062014_final_health_costs_in_the_european _union_how_much_is_realted_to_edcs.pdf Zudem liegt seit dem 15.6.2016 eine Folgenabschätzung der Europäischen Kommission zur Festlegung von Kriterien zur Identifizierung endokriner Disruptoren vor.1 Hierin fließen die beiden oben genannten Papiere ein. Auf den Seiten 224-231 findet sich zudem eine Übersicht über relevante Studien zur Kostenabschätzung. Laut Angeben des Umweltbundesamtes sind dabei folgende Studien noch besonders bedeutsam: (3) Olsson, I-M, et al. 2014 The cost of inaction - A Socioeconomic analysis of costs linked to effects of endocrine disrupting substances on male reproductive health, Copenhagen: Nordisk Ministerråd, retrieved from: http://norden.divaportal .org/smash/get/diva2:763442/FULLTEXT04.pdf (4) Rijk et al. (2016): Health costs that may be associated with Endocrine Disrupting Chemicals : An inventory, evaluation and way forward to assess the potential socio-economic impact of EDC-associated health effects in the EU http://www.uu.nl/sites/default/files /rijk_et_al_2016_-report_iras_-_health_cost_associated_with_edcs_3.pdf 1 Im Internet abrufbar unter: http://ec.europa.eu/health/endocrine_disruptors/docs/2016_impact_assessment _en.pdf [zuletzt abgerufen am 9. August 2016]. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Einzelfragen zu endokrinen Disruptoren Kurzinformation Einzelfragen zu endokrinen Disruptoren Fachbereich WD 8 (Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Das Umweltbundesamt schätzt die Bezifferung der ökologischen Kosten (Umweltkosten) wie folgt ein: „Zu den Umweltkosten (d.h. Auswirkungen auf Wildtiere, Biozönosen und Ökosysteme) endokriner Disruptoren gibt es nach Kenntnisstand des UBA bisher nur qualitative Beschreibungen.“2 Zur Regulierung hormonell wirksamer Stoffe innerhalb der EU gibt das Umweltbundesamt die nachfolgenden Informationen: „a) Industriechemikalien (Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) (siehe auch: http://www.reach-info.de/endokrin .htm) Aufgrund ihrer endokrinen Wirkungen in der Umwelt wurden bisher 5 Stoffe bzw. Stoffgruppen als besonders besorgniserregend identifiziert (SVHC = substances of very high concern gemäß Artikel 57f http://echa.europa.eu/candidate-list-table) und auf die Kandidatenliste aufgenommen (vier davon auf Initiative Deutschlands). Dies sind: 4- tert-octylphenol; 4-tertoctylphenol etoxylates; 4-nonylphenol, branched and linear; 4- nonylphenol etoxylates; Bis (2-ethylhexyl)phthalate (DEHP). Wegen endokriner Wirkungen auf den Menschen wurde bisher kein Stoff als SVHC identifiziert. […] Darüber hinaus werden im sogenannten PACT (public activities coordination tool http://echa.europa.eu/addressing-chemicals-of-concern/substances-of-potential-concern /pact) derzeit 26 Stoffe mit Verdacht auf ihre endokrine Wirksamkeit gelistet, für die mögliche Risikomanagementoptionen geprüft werden. Derzeit sind 67 Stoffe mit Anfangsbesorgnis auf endokrine Wirksamkeit zur Stoffbewertung im Aktionsplan der Gemeinschaft (Community Rolling Action Plan, CoRAP http://echa.europa.eu/information-on-chemicals/evaluation/community-rolling-actionplan /corap-table) vorgesehen. Dem UBA bekannte nationale Regulierungen endokrinschädigender Stoffe: o Frankreich: Verbot von Bisphenol A (BPA ) in Lebensmittelverpackungen für Kinder von 0-3 Jahren (seit Januar 2013; ab 2015 in Kraft) o Dänemark: Verbot von BPA in Lebensmittelkontaktmaterialien für Kinder von 0-3 Jahren; Verbot von vier Weichmachern, den Phthalaten DEHP, DBP, BBP und DIBP, die unter anderem in Zahnbürsten oder Duschvorhänge zu finden sind, wurde im Jahre 2012 verabschiedet, aber 2014 wieder aufgehoben, Dänemark hat nun vorgeschlagen, diese vier Phthalate als endokrine Disruptoren in das REACH System aufzunehmen; Verbot von Phthalaten in Spielzeug und Kinderpflegeprodukten für Kinder unter drei Jahren; Verbot von Parabenen in Kosmetika für Kinder o Belgien: Verbot von BPA in Lebensmittelverpackungen für Kinder von 0-3 Jahren o Österreich: Seit 2010 ist BPA in Schnullern und Beißringen verboten“ o Schweden: BPA in Lebensmittelverpackungen für Kinder von 0-3 Jahren verboten ; Verbot Schwedens von BPA in der Sanierung von Trinkwasser-leitungen 2 Informationen des Umweltbundesamtes vom 5. August 2016. Fettung durch den Autor. Kurzinformation Einzelfragen zu endokrinen Disruptoren Fachbereich WD 8 (Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 (ab 1. September 2016). Danach sollen andere Methoden für die Sanierung verwandt werden als die Verwendung von 2-Komponenten-Epoxidharzlinern basierend auf BPA. b) Biozide (Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten) Das „historische“ Beispiel TBT (Regulierung, d.h. Verbot, VOR Inkrafttreten der Verordnung ): Einer der bestuntersuchtesten Zusammenhänge zwischen einem Biozid und seiner nachteiligen Wirkung auf das endokrine System wildlebender Tiere stellt das bei marinen Schnecken (u. a. Nucella lapillus) beobachtete Imposex-Phänomen, d. h. die Ausbildung männlicher Geschlechtsorgane bei weiblichen Tieren, dar. Diese geschlechtliche Umwandlung wird nachgewiesenermaßen durch Tributylzinn (TBT) verursacht . TBT fand in den 1970er Jahren weltweite Anwendung als Biozid, u. a. als Zusatzmittel in Schiffsanstrichen (Antifouling), um einen Periphyton-Bewuchs des Rumpfes zu verhindern und konnte auf diese Weise in aquatische Ökosysteme gelangen . Dies führte dazu, dass die hormonell gesteuerte Geschlechtsausbildung vieler Mollusken erheblich gestört wurde, mit der Folge, dass sterile Intersex- bzw. Imposex- Formen auftraten, was wiederum einen weltweiten Rückgang von Schnecken- und Austernpopulationen in küstennahen Gewässern verursachte. Seit dem 1. Januar 2003 sind TBT-haltige Schiffsanstriche in den Mitgliedsländern der Internationalen Schifffahrts -Organisation (IMO) verboten. 2008 trat ein weltweites Verbot in Kraft. Das „historische“ Beispiel DDT (Regulierung, d.h. Verbot, VOR Inkrafttreten der Verordnung ): Ein weiteres historisches Beispiel für ein endokrinwirksames Biozid stellt das Pestizid DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) dar, welches u.a. als Insektizid zur Malariabekämpfung eingesetzt wurde. Das Inverkehrbringen von DDT sowie entsprechenden Zubereitungen, die DDT freisetzen oder enthalten, ist gemäß Chemikalienverbotsverordnung (ChemVerbotsV) in Deutschland verboten. Dies gilt ebenfalls in Ländern , die das Stockholmer Übereinkommen (POP-Konvention) aus dem Jahr 2004 ratifiziert haben. c) Pflanzenschutzmittel (Verordnung 1107/2009/EG „über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln“) „Historische Beispiele“ (Regulierung, d.h. Verbot, VOR Inkrafttreten der Verordnung) sind u.a. DDT/DDE (s.o.) und weitere Organochlor-Pestizide (z.B. Chlordan, Dieldrin, Toxaphen, Methoxychlor, Dicofol, Acetochlor), Atrazin, Vinclozolin, Fenarimol. Eine umfassende Übersicht über die in der EU nicht mehr genehmigten endokrinschädigenden Wirkstoffe findet sich in der o.g. von der Europäischen Kommission veröffentlichen Folgenabschätzung (http://ec.europa.eu/health/endocrine_disruptors /docs/2016_impact_assessment_en.pdf ) in Tabelle 3 auf den Seiten 215-216. Ebenfalls vor Inkrafttreten der Verordnung wurden bereits Nonylphenolethoxylate wegen ihrer endokrinen Wirksamkeit als Beistoffe in Pflanzenschutzmitteln in DE/EU verboten. Im EU-Wirkstoffprogramm gemäß Verordnung 1107/2009/EG werden fortlaufend neue oder zur Wiedergenehmigung anstehende Wirkstoffe in einem gemeinschaftlichen Verfahren auf ihre Gesundheits- und Umweltauswirkungen bewertet. Die Umsetzung des endokrinen Ausschlusskriteriums im Rahmen der Wirkstoffprüfung ist für den Bereich Kurzinformation Einzelfragen zu endokrinen Disruptoren Fachbereich WD 8 (Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung) Wissenschaftliche Dienste Seite 4 Naturhaushalt / Nichtzielorganismen – im Gegensatz zur menschlichen Gesundheit (hier liegen Interim- Kriterien vor) – bis dato wegen des Fehlens EU-abgestimmter Kriterien zur Identifizierung nicht möglich. Ungeachtet dessen hat die das EU-Wirkstoffverfahren organisierende EFSA in 2014 initiiert, dass die im Prüfbereich Naturhaushalt / Nichtzielorganismen vorliegenden Hinweise für endokrinschädigende Eigenschaften explizit adressiert und in den Bewertungsberichten dokumentiert werden. Im Herbst 2015 hat EFSA seine Bewertungsberichte „Conclusions“ rückwirkend bis 2014 auf Erfüllung der Human-Interim-Kriterien und weitere Evidenzen für endokrinschädigende Eigenschaften analysiert und in einem zusammenfassenden Bericht veröffentlicht (http://www.efsa.europa.eu/en/supporting/pub/867e). Die dort betrachteten 36 chemisch-synthetischen Wirkstoffe sind natürlich keine zufällige Auswahl aus den ca. 350 in der EU genehmigten Wirkstoffen, dennoch liefert die Analyse einen Hinweis auf zumindest die Anzahl unter „endokrinem Verdacht“ stehenden Wirkstoffe: EFSA hat für 14 der 36 betrachteten Wirkstoffe einen "endocrine concern" identifiziert (Human - Interim-Kriterien und/oder sonstige Evidenz, überwiegend aus Säugerstudien, z.T. aber auch Hinweise aus Vogel und Fisch); dies entspricht einer Quote von 39%.“ In der bereits zitierten Folgeabschätzung der Europäischen Kommission3 wird basierend auf den Ergebnissen einer „Screening-Studie“ vom Joint Research Center (JRC) eine Abschätzung von potenziell vom endokrinen Ausschlusskriterium betroffenen Pflanzenschutzmittel- und Biozid- Wirkstoffen angegeben. Das Resultat für insgesamt vier von der Kommission für die Analyse vorgegebenen Optionen für Kriterien zur Identifizierung von endokrinschädigenden Eigenschaften findet sich in Kapitel 5.2.4 „Von den 347 untersuchten PSM-Wirkstoffen wurden – je nach Option – 11 bis 82 vom Ausschlusskriterium betroffen (entspricht 3 – 24 % der Gesamtzahl); von den 98 untersuchten Biozid-Wirkstoffen waren es 2 bis 26 Wirkstoffe (entspricht 2 – 26 % der Gesamtzahl ).“5 ENDE DER BEARBEITUNG 3 Im Internet abrufbar unter: http://ec.europa.eu/health/endocrine_disruptors/docs/2016_impact_assessment _en.pdf [zuletzt abgerufen am 9. August 2016]. 4 Informationen des Umweltbundesamtes vom 5. August 2016. 5 Ebd.