© 2020 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 057/20 Tierproduktfreie Milch Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 057/20 Seite 2 Tierproduktfreie Milch Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 057/20 Abschluss der Arbeit: 5. Oktober 2020 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 057/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zum Herstellungsverfahren 4 3. Unternehmen für „tierproduktfreie Milch“ 6 3.1. Perfect Day 6 3.2. New Culture 8 3.3. LegenDairy Foods 8 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 057/20 Seite 4 1. Einleitung Insbesondere für Veganer, Allergiker und Menschen mit verschiedenen Formen einer Milchunverträglichkeit sind Kuhmilchalternativen von Bedeutung. Verschiedene vegane Milchprodukte aus beispielsweise Soja- oder Hafermilch sind derzeit erhältlich. Allerdings unterscheidet sich ihr Geschmack deutlich von Kuhmilch und setzt sich in vielen Nährstoffen anders zusammen. Bei der Herstellung tierproduktfreier Milch wird in Aussicht gestellt, dass diese nicht nur geschmacklich eine vergleichbare Alternative zur herkömmlichen Kuhmilch darstellt, sondern durch die Tatsache, dass die Milch-Komponenten einzeln zusammengemischt werden, auf Unverträglichkeiten eingegangen werden kann. Die öffentliche Diskussion zu derartigen Produkten ist zwiegespalten. Die einen befürworten vor dem Hintergrund wachsender Bevölkerungsernährungsprobleme , Umweltaspekten und/oder ethischer Tierhaltungsdiskussionen die Produktion tierfreier Produkte mit ähnlichem oder gar gleichem Geschmack wie herkömmliche Tierprodukte . Die anderen lehnen die Produkte, die durch den Einsatz gentechnologischer Methoden entstanden sind, grundlegend ab. Derzeit arbeiten verschiedene Unternehmen an der Entwicklung und Vermarktung kuhmilchfreier Alternativen. In der vorliegenden Arbeit werden der Herstellungsprozess sowie drei Unternehmen vorgestellt. 2. Zum Herstellungsverfahren Grundsätzlich ist der Ansatz, genetisches Material in Zellen (z.B. Bakterien) einzuführen und dort Proteine in größerem Maßstab zu produzieren nicht neu. Bereits 1982 wurde gentechnisch hergestelltes Humaninsulin auf den Markt gebracht. Hierzu wurde das genetische Material, das das Hormon kodiert, in das Bakteriengenom eingebracht. Diese produzierten dann das Hormon in großem Maßstab. Verschiedene andere Anwendungsgebiete, beispielsweise Antikrebsmittel, weitere Medikamente und Vitamine folgten. Im Fall tierproduktfreier Milch, wie dies bereits beispielsweise vom US-amerikanischen Unternehmen Perfect Day1 angewandt wird, werden die Gensequenzen für verschiedene Proteine, die sich in der Milch finden, isoliert. Diese sind vier Kaseinproteine und zwei Molkeproteine, die mittels Trägervehikel in Hefezellen eingebaut werden: - a-sl –casein (Kaseinproteine) - a-s2-casein (Kaseinproteine) - β-casein (Kaseinproteine) - κ-casein (Kaseinproteine) 2 - Alpha-Lactalbumin (Molkeprotein) - Beta-Lactoglobulin (Molkeprotein) 1 Internetauftritt des Unternehmens: https://www.perfectdayfoods.com/. 2 Die Angaben finden sich in der Patentanmeldung „Compositions comprising a casein and methods of producing the same“ des Unternehmens. WO 2016/029193 Al vom 25.2.2016: https://patents.google.com/patent /WO2016029193A1/en. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 057/20 Seite 5 Die Zellen produzieren in großen Tankanlagen die Milchproteine, die danach aufgereinigt und isoliert werden.3 Hauptbestandteile der Milch sind zwar Wasser, Milchzucker und Fett, aber daneben enthält Milch weitere Substanzen. Tatsächlich finden sich mehrere hundert Proteine in konventioneller Kuhmilch. Dass nur wenige Proteine für die „künstliche Milch“ ausreichen, liegt laut der Firma „Perfect Day“ daran, dass hinsichtlich des Geschmackerlebnisses andere entbehrlich seien.4 Eine biologisch detailliertere Darstellung des Herstellungsprozesses ist in wissenschaftlichen Zeitschriften gemäß Recherchen, die im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit durchgeführt wurden, nicht publiziert worden. Weder auf den Internetseiten des Unternehmens selbst noch auf den Internetseiten der FDA sind nähere Darstellungen des Herstellungsprozesses zu finden. In der Patentanmeldung (WO 2016/029193 Al5) vom 25. Februar 2016 zur Zusammensetzung Kasein enthaltender Verbindungen und Methoden für deren Herstellung ist eine detaillierte Darstellung der verschiedenen künstlichen Milchprodukte6, u.a. auch eine Auflistung der eingesetzten genetischen Vehikel (Expressionsplasmide) für die Produktion der Proteine (Tabelle 10) enthalten .7 Die genaue Zusammensetzung verschiedener Milchprodukte gemäß patentiertem Herstellungsprozess finden sich in Tabellen 11ff. der angegebenen Patentanmeldung. In der nachfolgenden Grafik aus der Patentanmeldung, in der ein Herstellungsprozess schematisch dargestellt wird, findet sich auf der linken Seite der Produktionsschritt, der das Einbringen genetischen Materials in Hefezellen beschreibt:8 3 Ute Neubauer: Milch aus dem Labor; Neue Zürcher Zeitung vom 22.10.2014; https://www.nzz.ch/wissenschaft /medizin/milch-aus-dem-labor-1.18408215. 4 Ryan Panya: Don’t have a cow: Making milk without the moo. New Scientist vom 25.6.2014. https://www.newscientist.com/article/mg22229750-400-dont-have-a-cow-making-milk-without-the-moo/. 5 Kasein enthaltende Zusammensetzungen und Methoden für deren Herstellung: „Compositions comprising a casein and methods of producing the same“: https://patentscope.wipo.int/search/en/detail .jsf?docId=WO2016029193&tab=PCTBIBLIO. 6 https://patentscope.wipo.int/search/en/detail.jsf?docId=WO2016029193. 7 Ebd., Seite 99. 8 Ebd., Seite 138: „Figure 1 represents a flow diagram representative of an exemplary process to produce synthetic milk substitute.“ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 057/20 Seite 6 3. Unternehmen für „tierproduktfreie Milch“ 3.1. Perfect Day Perfect Day, Inc. ist ein Lebensmitteltechnologieunternehmen mit Sitz in Emeryville, Kalifornien. In diesem Unternehmen werden Verfahren zur Herstellung von Milchproteinen, einschließlich Kasein und Molke, durch Fermentation in Mikroflora anstelle der typischen Extraktion von Protein aus Kuhmilch entwickelt. Die Firma wurde am 28. April 2014 unter dem Namen „Muufri“ von Isha Datar (Biotechnologin), Ryan Pandya (Chemie- und Bioingenieur) und Perumal Gandhi (Bio- und Biomediziningenieur) gegründet und im Jahr 2016 in „Perfect Day“ umbenannt.9 9 Siehe hierzu: https://www.new-harvest.org/perfect_day_foods. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 057/20 Seite 7 Zunächst lag der Fokus der Arbeit auf der Herstellung von Milchprodukten wie Käse und Joghurt für den Einzelhandel. Ende 2017 gab das Unternehmen bekannt, dass es Verhandlungen mit der Lebensmittelindustrie gebe, um ihr hergestelltes Protein in bereits bestehende Lebensmittelproduktionslinien einbinden zu können (Business-to-business Unternehmen).10 Ein Jahr später, im November 2018 wurde eine Entwicklungsvereinbarung mit Archer Daniels Midland11 bekanntgegeben .12 Am 11. Juli 2019 wurde das erste Produkt, ein Eis aus nicht-tierischem Molkenprotein, auf dem Markt angeboten. Die Einführung war auf eine begrenzte Anzahl von 1.000 Dreierpakete zu je 60 US-Dollar beschränkt, die ausschließlich über die Website des Unternehmens vertrieben wurden. Diese waren innerhalb weniger Stunden ausverkauft. Seitdem ist das Eis allerdings nicht mehr auf dem Markt verfügbar. Die Firma plant derzeit keine allgemeine Einführung, sondern fokussiert vielmehr auf die Entwicklung neuer Produkte. Am 19. November 2020 kündigte die Firma eine Erweiterung des Portfolios an: Ausgehend von den bereits existierenden Milchprodukten sollen Michfette hergestellt werden. Es ist geplant, einen marktfähigen Prototyp bis Ende 2020 zu entwickeln, so dass eine Markteinführung 2021 erfolgen könne.13 Im Jahr 2016 meldete das Unternehmen ein Patent (WO 2016/029193 Al, vom 25. Februar 2016) zur Zusammensetzung Kasein enthaltender Verbindungen und Methoden für deren Herstellung an. 2019 hat Perfect Day eine Zulassung bei der Food and Drug Administration (FDA) beantragt. Die Unbedenklichkeit eines Stoffes als Lebensmittelzusatzstoff wird in den USA durch die FDA im Zuge einer sog. GRAS notice (Generally Recognized As Safe) erteilt. Am 25. März 2020 bescheinigte die FDA, dass basierend auf denen Ihnen vorliegenden Darstellungen β –lactoglobulin, das durch die Firma in Trichoderma reesei (Schlauchpilz-Art) zur Verwendung als Proteinquelle in Lebensmitteln in Mengen von bis zu 35% hergestellt werde, als „GRAS“ eingestuft werde.14 In den Antragsunterlagen lege Perfect Day zudem dar, dass T. reesei selbst als nicht toxigen, nicht pathogen und nicht allergen gelte. Die Firma argumentiere, dass β –lactoglobulin, das durch Fermentation produziert wird, identisch sei mit dem in Kuhmilch enthaltenen Protein. Somit könne es bei Personen mit Milchallergien beim Verzehr zu einer Milcheiweißallergie führen. Abgesehen davon gebe es keine bekannten Nebenwirkungen. 10 Elaine Watson: Perfect Day in talks with food industry partners to commercialize animal-free dairy ingredients; 19.12.2017; foodnaviagtor-usa.de: https://www.foodnavigator-usa.com/Article/2017/12/19/Perfect-Day-in-talkswith -food-industry-partners-to-commercialize-animal-free-dairy-ingredients. 11 ADM; Getreide und Ölsaaten verarbeitendes US-amerikanisches Unternehmen. 12 Lana Bandoim: Perfect Day partners with ADM to make milk without cows. 16.11.2018; Forbes: https://www.forbes.com/sites/lanabandoim/2018/11/16/perfect-day-partners-with-adm-to-make-milk-withoutcows /. 13 https://www.foodingredientsfirst.com/news/flora-based-fat-perfect-day-expands-to-develop-vegan-milk-lipids .html. 14 „Based on the information that Perfect Day provided, as well as other information available to FDA, we have no questions at this time regarding Perfect Day’s conclusion that -lactoglobulin is GRAS under its intended conditions of use. This letter is not an affirmation that -lactoglobulin is GRAS under 21 CFR 170.35.“(https://www.fda.gov/media/136751/download). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 057/20 Seite 8 3.2. New Culture Das Unternehmen New Culture wurde 2018 in San Francisco von Matt Gibson15 und Inja Radman 16 gegründet.17 Es ist nach dem 2014 gegründeten Unternehmen Perfect Day, das zweite Startup Unternehmen in den USA, das sich der künstlichen Produktion von Milchprodukten widmet und somit Alternativen zu veganen Produkten anbieten möchte. In einem Interview in der New York Times vom 2. August 2019 erläutert die Mitgründerin Inja Radman, veganer Käse schmecke einfach nicht. Das liege, wie man als Wissenschaftler wisse, daran, dass die geschmackvermittelnden Proteine in diesen Produkten fehlten. 18 Während Perfect Day ein Zulieferer für Zutaten sein möchte, fokussiert das Lebensmittel-Start-up New Culture auf der mikrobiellen Fermentation zur Herstellung von Kasein, um bestimmten Milchendprodukten, wie Mozzarella-Käse seine klassische dehnbare Textur zu verleihen. Bislang ist noch kein Produkt auf dem Markt erhältlich. Matt Gibson hat ein vorläufiges Patent für den Produktionsprozess von New Culture angemeldet und prognostiziert, dass es drei Jahre dauern könnte, bis seine Produkte auf den Markt kommen (Stand der Meldung: Juni 2019).19 3.3. LegenDairy Foods Das erste europäische Start-up Unternehmen für „künstliche Milch“, Legendairy Foods, wurde 2019 von Raffael Wohlgensinger20 und Britta Winterberg21 in Berlin gegründet. In Zusammenarbeit mit der Universität Graz hat LegenDairy Foods ein Verfahren entwickelt, mittels dessen Milcheiweiße Casein und Molkenprotein künstlich produziert werden sollen. Auch diese Methodik basiert auf dem Einbringen der die Proteine (Kasein, Molkeproteine) kodierenden Gensequenzen in Hefezellen. Als ersten Schritt, hat das Unternehmen vor, an der Entwicklung eines Mozzarella -Käses zu arbeiten. Noch für dieses Jahr rechnet die Firma mit einem Prototyp.22 Für eine 15 Genetik und Mikrobiologie. 16 Molekularbiologin. 17 Sally Ho: Got Milk? These 6 microbial fermented alt dairy startups are changing the industry. 3.9.2020; Green Queen: https://www.greenqueen.com.hk/got-milk-these-6-microbial-fermented-alt-dairy-startups-are-changingindustry /. 18 “Vegan cheese is just terrible” she said. “As scientists, we know why it doesn’t work. It doesn’t have the crucial dairy proteins.” In: Knvul Sheikh: Got Impossible Milk? The Quest for Lab-Made Dairy. 2.8.2019; New York Times: https://www.nytimes.com/2019/08/02/science/lab-grown-milk.html. 19 Elaine Watson: „Real“ cheese … without cows? New Culture makes mozzarella with milk proteins via microbial fermentation. 24. Juni 2019: https://www.foodnavigator-usa.com/Article/2019/06/24/Real-cheese-without-cows- New-Culture-makes-mozzarella-with-milk-proteins-via-microbial-fermentation. 20 Studium Management, Business Administration. 21 Biologin, Pflanzenpathologin. 22 Lisa Ksienrzyk: Dieses Berliner Start-up will Käse im Labor herstellen; Welt vom 2.7.2019: https://www.welt.de/wirtschaft/gruenderszene/article196209251/Legendairy-Foods-Berliner-Start-up-will-Kaese -im-Labor-herstellen.html. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 057/20 Seite 9 Marktreife dauere es noch weitere zwei Jahre.23 Damit liegt das Unternehmen nicht nur mit dem Endprodukt, sondern auch mit der anvisierten Marktreife auf vergleichbarem Kurs wie das USamerikanische Unternehmen New Culture. Allerdings gibt Gibson an, das Unternehmen überlege aufgrund der strengen EU-Regulierungen für neuartige Lebensmittel auf den asiatischen oder amerikanischen Markt statt auf den europäischen Markt zu gehen.24 Im Zuge der Recherchen zu der vorliegenden Arbeit konnte keine Patentanmeldung gefunden werden und detaillierte Herstellungsprozessangaben nicht ermittelt werden. Inwiefern sich der Herstellungsprozess von demjenigen von Perfect Day unterscheidet, konnte somit nicht untersucht werden. Im selben Jahr wie LegenDairy Foods (2019) wurden zwei weitere Unternehmen gegründet, die sich zum Ziel setzen, Alternativen für konventionelle Kuhmilchprodukte anzubieten. Dies ist zum einen die britische Firma Better Dairy (gegründet von Jevan Nagarajah und Christopher Reynolds in London) sowie das israelische Unternehmen Remilk (gegründet von Aviv Wolff und Ori Cohavi in Tel Aviv).25 *** 23 Ebd. 24 Ebd. 25 Sally Ho: Got Milk? These 6 microbial fermented alt dairy startups are changing the industry. 3.9.2020; Green Queen: https://www.greenqueen.com.hk/got-milk-these-6-microbial-fermented-alt-dairy-startups-are-changingindustry /.