© 2016 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 055/16 Zu den Folgen des Brexits für die EU-Klimapolitik Paris Abkommen, Europäischer Emmissionshandel, Effort Sharing, künftige inhaltliche Ausrichtung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 2 Zu den Zu den Folgen des Brexits für die EU-Klimapolitik Paris Abkommen, Europäischer Emmissionshandel, Effort Sharing, künftige inhaltliche Ausrichtung Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 055/16 Abschluss der Arbeit: 30.08.2016 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Der Brexit 5 1.1. Regularien zum Austrittsverfahren 5 1.2. Optionen für Post-Brexit-Modelle 6 1.2.1. Das Modell Norwegen (EWR) 7 1.2.2. Das Schweizer Modell (Sonderabkommen) 7 1.2.3. Das WTO-Modell (WTO-Regeln) 8 1.2.4. Das Kanada-Modell (Freihandelsabkommen) 8 1.2.5. Das Modell Türkei (Zollunion) 8 1.2.6. Das Energiegemeinschafts-Modell 8 1.2.7. Schlussfolgerungen 9 2. Mögliche Auswirkungen des Brexits auf die Ratifizierung und Implementierung des Pariser Klimaabkommens 9 2.1. Stand der Ratifikation 10 2.2. Ratifizierung innerhalb der EU 11 2.3. Herausforderungen und Problematisierungen im Zusammenhang mit dem Paris Abkommen 11 2.3.1. Ist ein EU-Ausschluss von der Erarbeitung der Detailbestimmungen des Abkommens bei `verspäteter` Ratifizierung möglich? 12 2.3.2. Ist die gleichzeitige Ratifizierung von EU und Mitgliedstaaten notwendig? 13 2.3.3. Ist das EU-Minderungsziel beibehaltbar, ist die gänzliche Klärung offener Fragen zur Implementierung (vor allem zur Lastenverteilung) Voraussetzung für eine Ratifizierung sowie zudem zeitnah realistisch? 14 3. Mögliche Auswirkungen des Brexits auf den Europäischen Emissionshandel (und seine Reform) 15 3.1. Varianten der Entscheidung 15 3.1.1. Weitere Mitgliedschaft im EU-EHS 15 3.1.2. „Linkung“ mit dem EU-EHS 16 3.1.3. Gänzlicher Ausstieg aus dem EU-EHS 16 3.2. Problematisierungen 16 4. Mögliche Auswirkungen des Brexits auf das Effort Sharing 17 5. Weiterer möglicher Einfluss des Brexits auf die Energieund Klimapolitik 18 5.1. Erwägungen zur Beeinflussung der inhaltlichen Ausrichtung der Energie- und Klimapolitik einer EU-27 18 5.2. Erwägungen zur künftigen Ausrichtung einer separierten britischen Energie- und Klimapolitik 19 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 4 6. Literatur 21 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 5 1. Der Brexit 1.1. Regularien zum Austrittsverfahren Die knappe Mehrheit der Bevölkerung des Vereinigten Königreiches (VK) hat beim Referendum vom 23. Juli 2016 für einen Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union (EU) gestimmt. Das nun bevorstehende Verfahren zum EU-Austritt regelt der Artikel 50 EU-Vertrag (EUV), der aus der Debatte innerhalb des Verfassungskonvents (für einen – dann gescheiterten - Vertrag für eine Verfassung für Europa) als einseitiges formelles Austrittsrecht hervorging und in die europäischen Verträge eingeführt wurde. Bisher wurde der Artikel noch nie angewandt. Als geordneter Austritt sieht Artikel 50 EUV vor, dass ein Mitgliedstaat zwar einseitig seinen Austritt erklären kann, das Wirksamwerden desselben jedoch [grundsätzlich] an eine vertragliche Einigung mit der EU gebunden ist. Für den Fall, dass eine solche Einigung über die Austrittsmodalitäten nicht zustande kommt, sieht die Vorschrift als ultima ratio eine einseitige und im Detail ungeregelte Beendigung der Mitgliedschaft vor („dirty exit“). Da das Referendumsergebnis für die britische Regierung grundsätzlich nicht rechtsverbindlich ist, ist nun zunächst ein innerstaatlicher förmlicher Austrittsbeschluss des Vereinigten Königreichs (VK) zu fassen, an dem das britische Parlament zu beteiligen ist. Nach Artikel 50 Absatz 2 EUV muss ein Mitgliedstaat, der auszutreten beschließt, seine Absicht dem Europäischen Rat formal mitteilen. Wann die britische Regierung diese Austrittsmitteilung/Austrittsanzeige einreicht 1, kann nicht mit rechtlichen Mitteln erzwungen oder fingiert werden; weder sieht das britische Recht eine Maximalfrist vor, die zwischen Referendumsergebnis und Beschlussfassung über den Austritt liegen darf, noch bestimmt das Europarecht eine Frist, innerhalb derer die Notifizierung des Europäischen Rates erfolgen muss. Mit der förmlichen Notifizierung beginnt das eigentliche Austrittsverfahren mit der zweijährigen Frist für die Verhandlung eines Austrittsabkommens zwischen der EU und dem VK. Die Frist kann durch einen einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates verlängert werden. Während dieser Übergangszeit bleibt das VK Mitglied der EU. EU und VK sind verpflichtet zu verhandeln, müssen aber dabei zu keinem Ergebnis kommen. Der erfolgreiche Abschluss eines Austrittsabkommens ist keine konstitutive Voraussetzung für den Austritt. Falls es innerhalb der (verlängerten ) Frist zu keiner Einigung für ein geordnetes Ausscheiden aus der EU kommt, tritt dann die Beendigung der Mitgliedschaft automatisch ein; die sogenannte sunset clause nach Artikel 50 Absatz 3) würde greifen. Bei den folgenden Verhandlungen über die Einzelheiten des Austritts obliegt es dem Europäischen Rat, einstimmig zunächst Leitlinien für die Austrittsverhandlungen zu beschließen. Dann legt die Europäische Kommission dem Rat eine Empfehlung vor und beantragt die Erteilung eines Verhandlungsmandats“, da diese auf EU-Seite die Verhandlungsführung übernimmt. Der Belgier Didier Seeuws ist bereits als Chefunterhändler bestellt, um die „Brexit Taskforce“ der EU zu leiten . 1 Presseberichten vom August zu Folge, werde im VK von der neuen Premierministerin Theresa May wohl erwogen , die Anzeige frühestens im Herbst 2016 einzureichen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 6 Das Abkommen mit dem VK kann nach Zustimmung des Europäischen Parlaments vom Rat im Namen der EU beschlossen werden. Im Rat ist hierfür eine qualifizierte Mehrheit (also die Zustimmung von mindestens 20 Mitgliedstaaten) erforderlich, im Europäischen Parlament genügt hingegen eine einfache Mehrheit. Es handelt sich um ein bilaterales Abkommen zwischen dem austretenden Mitgliedstaat und der EU (sog. „EU-only“-Abkommen), so dass (anders als bei sogenannten gemischten Abkommen) keine Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten erforderlich ist (wohl aber im VK); der Bundestag hätte ein Stellungnahmerecht. Zur detaillierten Regelung der künftigen weiteren Beziehungen bedarf es eines separat abzuschließenden Wirtschaftsabkommens oder mehrerer Abkommen zu unterschiedlichen Komplexen (s. Kap. 1.2). Bezüglich der Handelsbeziehungen wird ein gemischtes Abkommen erforderlich sein (da aller Wahrscheinlichkeit nach in die Kompetenzbereiche der Mitgliedsstaaten eingegriffen werden wird), das auch die Mitgliedstaaten ratifizieren müssen; wobei in Deutschland ein Zustimmungsgesetz des Bundestages erforderlich sein wird. Diese Verhandlungen dürften aller Voraussicht nach erheblich länger dauern als zwei Jahre. Verwiesen wird hierzu insbesondere auf das Abkommen mit Grönland, dessen Verhandlung nach der Austrittsentscheidung Grönlands im Jahr 1982 weitere drei Jahre in Anspruch genommen hatte. Möglich ist aber auch, dass neben dem Abkommen zunächst eine separate Vereinbarung getroffen wird, die in grober Skizzierung die künftig zu regelnden Handelsbeziehungen umreißt und vorab drängende Fragen klärt. 1.2. Optionen für Post-Brexit-Modelle Im Gespräch sind derzeit hauptsächlich fünf (bekannte) Optionen für mögliche Post-Brexit-Beziehungen . Das Modell Norwegen, das Modell Schweiz, das WTO-Modell/Botswana-Modell, das türkische oder das Kanada-Modell. Zusätzlich diskutiert der englische Thinktank Chatham House ein Energiegemeinschaftsmodell. Dabei wird von Chatham House festgestellt, dass das Norwegen- und das Energiegemeinschafts- Modell jeweils am geeignetsten wären, um einen abrupten und gänzlichen Brunch mit der EU- Energie-und Klimapolitik zu verhindern. Beide böten die Kontinuität des Energiemarktzugangs, bei rechtlichen Rahmenbedingungen und Investitionen; jedoch müsste das VK die Mehrheit der europäischen Gesetze akzeptieren, ohne jedoch an deren Gestaltung beteiligt zu sein (wie als EU- Mitglied), so dass insgesamt die Souveränität über die eigene Energiepolitik verringert würde. Nach Analyse von Chatham House böten das Schweizer, das Kanada- und das WTO-Modell hingegen die Möglichkeit einer größeren Souveränität vor allem in den Bereichen „buildings and infrastucture standards as well as state aid“; jedoch würde dies mit einer größeren Unsicherheit bei den Themen Marktzugang, Investitionen und Strompreise `bezahlt` werden. Letzt genannte Modelle würden zudem den britischen Beitrag zum EU-Haushalt verringern oder sogar beseitigen, aber gleichzeitig das VK auch von den EU-Finanzierungsmechanismen abschneiden. (Vgl. Froggatt u.a. - Chatham House – 2016: 2). Allen Brexit-Modellen sei gemein, dass sie den britischen Einfluss auf die internationale Energieund Klimadiplomatie untergraben. So werde das VK keine direkte Rolle mehr mit seinen Vorstellungen in der Diskussion und Aufstellung der 27 EU-Mitgliedsstaaten in den derzeit zu verhandelnden Fragen und bei den Weichenstellungen zur Ausgestaltung der Klima- und Energiepolitik bis 2030 spielen. Und andererseits wird mit dem Verlassen der EU die Bedeutung des VK in der internationalen Wahrnehmung geschwächt, weil das VK ein im Vergleich zu den anderen EU- Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 7 Mitgliedstaaten potenziell weniger verlässlicher Partner in der Klimapolitik würde, indem nationale Rechtsvorschriften allein die Klimapolitik ändern könnten. (Vgl. Froggatt u.a. 2016). 1.2.1. Das Modell Norwegen (EWR) Mit diesem Modell träte das VK dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bei, der bislang den EU-Binnenmarkt auf Norwegen, Island und Liechtenstein ausdehnt. Damit hätte es den vollen Zugang zum Binnenmarkt für Waren und Dienstleistungen und müsste auch die Binnenmarktregeln (insbesondere das Freizügigkeitsprinzip von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Personen ) beachten, könnte aber nicht bei der Gestaltung jener Binnenmarktregeln mitbestimmen. Zudem müsste VK einen Beitrag zum EU-Haushalt (auf fast gleicher Basis wie die EU-Mitgliedsstaaten ) leisten und flankierende Politiken (zu Umwelt, Gesundheit, Sicherheit, Verbraucherschutz und Wettbewerbsregeln) implementieren. Auch die meisten energiepolitischen Regulierungen werden als `EWR-relevant` betrachtet, so dass der Großteil der diesbezüglichen EU-Gesetzgebung (auch zu Industrieemissionen, Erneuerbaren Energien, Energieeffizienz oder der EU- Emissionshandel) zur Geltung gebracht werden müsste. Politikbereiche, die nicht unter das EWR- Abkommen fallen, wären nur Landwirtschaft, Fischerei, Außenpolitik, Handel und Regionalpolitik . Ein solches Modell wird häufig als `Regelung ohne Vertretung` beschrieben. (Vgl. Howard 2016). 1.2.2. Das Schweizer Modell (Sonderabkommen) Bei diesem Modell würde das VK durch zahlreiche für einzelne Wirtschaftssektoren abgeschlossene bilaterale Abkommen am Binnenmarkt teilnehmen. Es wäre Mitglied der Europäischen Freihandelszone (EFTA), aber kein Mitglied des EWR. Das VK müsste ebenfalls (wenn auch weniger) in den EU-Haushalt einzahlen und die Freizügigkeitsregeln beachten. (Vgl. Froggatt u.a. 2016). Die Schweiz-EU-Beziehung basiert auf über hundert bilateralen Sonderhandelsabkommen, die seit 1992 in Blöcken und Sektor für Sektor ausgehandelt wurden. Für die Schweiz gibt es den freien Handel mit Waren, aber nicht bei Dienstleistungen - die Personenfreizügigkeit gilt ebenfalls .2 Die Schweiz ist mit ihrem Modell nicht automatisch an die EU-Gesetze gebunden; sie werden stattdessen als Teil jeder Vereinbarung ausgehandelt. Die Schweiz ist danach an die meisten EU-Richtlinien in Bezug auf Energie und Klima, Landwirtschaft, Fischerei oder Umwelt gebunden . In den europäischen Energiemarkt ist die Schweiz allerdings nicht integriert; seit 2007 verhandelt man aber über ein Abkommen zum Strommarktzugang und seit 2010 über ein umfassenderes Energieabkommen. Mittlerweile gibt es auch eine Vereinbarung über die Beteiligung der Schweiz am Europäischen Emissionshandel - deren Verhandlung allerdings fünf Jahre in Anspruch genommen hat. 2 Für die EU-Seite gilt die Wahrung eben jener Freizügigkeit sogar als so genannte `Guillotine`-Regel für andere EU-Schweizerische Abkommen, falls die Schweiz diesbezüglich, wie 2014 in einer Volksbefragung zur Entscheidung gestellt, Restriktionen für die Freizügigkeit von Personen planen sollte. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 8 Bei Übertragung dieses Beziehungsmodells würde das VK wahrscheinlich einen Teil der Regeln der europäischen Energie- und Umweltpolitik (insbesondere zu Energiemärkten und dem Emissionshandel ) implementieren. (Vgl. Howard 2016). 1.2.3. Das WTO-Modell (WTO-Regeln) Beim WTO-Modell würden im Verhältnis VK-EU nur noch die allgemeinen WTO-Regeln gelten und Zölle würden wieder eingeführt. Dieses Modell wäre eines, das automatisch einträte, wenn es zu keiner Einigung zwischen der EU dem VK und einem bilateralen Abkommen käme oder aber eines, das für einen möglichen Übergangszeitraum einträte, bei dem ein neues VK-EU-Abkommen in der Verhandlung, aber noch nicht in Kraft gesetzt wäre. Bei diesem Modell würde der Handel mit Energiegütern unter den Geltungsbereich des General Agreements on Tariffs and Trade (GATT) und alle energiebezogenen Dienstleistungen (einschließlich des Energietransports und der Verteilung) unter das General Agreement on Trade in Services (GATS) fallen. (Vgl. Froggatt u.a. 2016: 14). 1.2.4. Das Kanada-Modell (Freihandelsabkommen) Ein weiteres Modell könnte ein eigenes Freihandelsabkommen mit der EU sein - ähnlich dem noch zu ratifizierenden EU-Kanada-Wirtschafts- und Handelsabkommen CETA. In einem solchen vergleichbaren Freihandelsabkommen würde bedingter Marktzugang (kein voller Zugang zum Binnenmarkt) geschaffen; es bestünde keine Arbeitnehmerfreizügigkeit. Nach diesem Modell würde die überwiegende Mehrheit der EU-Gesetze nicht mehr für das VK gelten. Möglich wäre aber, dass Energiemarktregeln übernommen würden (ohne diese mitbestimmen zu können), um der physischen Verbundenheit VKs mit den europäischen Gas- und Strommärkten Rechnung zu tragen. (Vgl. Howard 2016; vgl. Froggatt 2016: 14). 1.2.5. Das Modell Türkei (Zollunion) Ein weiteres Modell wäre eine Zollunion, verbunden mit einer Assoziierungsvereinbarung, bei der neben traditionellen Handelsregelungen auch Regelungen für den Finanz- und Versicherungssektor getroffen würden. Bei der Zollunion mit der Türkei gilt für von außen eingeführte Waren ein gemeinsamer Zolltarif. Dabei wird die Türkei ermutigt, EU-Regulierungsstandards - auch beim Energie- und Umweltsektor - zu übernehmen. 2015 wurden auch die türkischen und europäischen Stromnetze verbunden . Derzeit fließt zwar nur Strom aus Europa in die Türkei, aber die Türkei soll künftig auch Strom in die EU exportieren. Unklar ist noch, ob die EU darauf bestehen wird, dass bei diesem Export der erzeugte Strom EU-Umweltstandards genügen muss. (Vgl. Howard 2016). 1.2.6. Das Energiegemeinschafts-Modell Die 2005 gegründete Energiegemeinschaft ist eine internationale Organisation, die die Integration des Energiemarktes zwischen den 28 EU-Mitgliedstaaten und derzeit acht Nachbarländern voranbringen will. Länder, die den Vertrag ratifiziert haben, sind gefordert, den gesamten auf den Energiebereich bezogenen EU-Rechtsbestand anzunehmen. Mit dem Beitritt VKs zur Energiegemeinschaft würde es den Zugang zum EU-Energiemarkt behalten. Allerdings würde es bedeuten, alle Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 9 energierelevanten EU-Rechtsvorschriften zu übernehmen, ohne an ihrer Gestaltung einschließlich der Klimapolitik mitzuwirken. Die Fristen zur Implementierung der EU-Gesetze sind im Vertrag geregelt oder können durch den EU-Ministerrat bestimmt werden. Als Schwierigkeit könnte sich allerdings erweisen, dass die Energiegemeinschaft eigentlich eingerichtet wurde, um Länder zu unterstützen, deren Energiesektoren sich im Übergang zu einer größeren Marktorientierung befinden. Eine Mitgliedschaft könnte daher für eine hochentwickelte Wirtschaft und einen ebensolchen Energiemarkt nicht angemessen oder sogar nicht offen sein. (Vgl. Froggatt u.a. 2016: 13). 1.2.7. Schlussfolgerungen Unklar ist noch gänzlich, ob die Vereinbarungen über die künftigen Beziehungen auf Grundlage der genannten Modelle getroffen oder ob ein ganz anderes gefunden werden wird. Laut Presseberichten hat sich Theresa May als neue Premierministerin der Briten bei dem Ratstreffen Mitte Juli 2016 dahingehend geäußert, dass London auch ein Abkommen mit der EU anstreben könnte, das in seiner Form bisher noch überhaupt nicht als Modell existiere. Laut Chatham House scheint es jedoch wahrscheinlich, dass bei einem Austritt in irgendeiner Weise harmonisierte Energiemarktregelungen angestrebt werden, da das VK bisher auf den Import von Gas und Strom angewiesen war. Alle in diesem Kapitel zitierten Quellen gehen sicher davon aus, dass die Verhandlungen für ein Abkommen zu den künftigen Beziehungen weit länger dauern könnten als zwei Jahre. 2. Mögliche Auswirkungen des Brexits auf die Ratifizierung und Implementierung des Pariser Klimaabkommens Im Dezember 2015 haben sich 195 Staaten (plus die EU) auf der Klimakonferenz der Vereinten Nationen auf das international rechtlich verbindliche3 „Pariser Übereinkommen“ verständigt. Danach soll der Temperaturanstieg durch den Klimawandel auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung begrenzt und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts eine Treibhausgasneutralität erreicht werden.4 Dazu haben die Staaten ihre nationalen Aktionspläne zur Minderung der Treibhausgasemissionen bis 2030 (INDC, Intended Nationally Determined Contributions) eingereicht. Die EU hat einen gemeinsamen INDC für alle ihre 28 Mitgliedstaaten vorgelegt5, EU-länderspezifische Einreichungen gab es nicht. In der Vorlage des beabsichtigten Minderungsbeitrages der EU ist nicht nur 3 Allerdings ohne mit Sanktionen ausgestattet zu sein. 4 Zudem wurde ab 2020 ein alle zwei Jahre greifender Überprüfungsmechanismus (Transparenz- und Rechenschaftspflicht ) vereinbart, wonach der Erfolg der ergriffenen nationalen Maßnahmen nachgewiesen werden muss, ob die nationalen Maßnahmen zur Emissionsminderung erfolgreich sind, und ab 2023 kontinuierlich stattfindende Fünfjahrestreffen der Vertragsstaaten zur Bestandsaufnahme und dynamischen Anpassung der Ziele. Zur Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsfinanzierung werden die Industriestaaten ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar (beschrieben in der Entscheidung, nicht im Abkommen selbst) bereitstellen. 5 „Als erster großer Wirtschaftsblock hat die EU am 6. März 2015 ihren Klimaplan (d. h. ihren beabsichtigten nationalen Beitrag (INDC)) vorgelegt. Dieser spiegelt die vom Europäischen Rat im Oktober 2014 beschlossenen klima- und energiepolitischen Rahmenvorgaben für 2030 und den „Blueprint“ der Kommission zur Bekämpfung des globalen Klimawandels nach 2020 wider.“ (Europäische Kommission 2016: 2). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 10 das Ziel der Treibhausgasemissionsminderung der gesamten Wirtschaft um mindestens 40 Prozent im Vergleich zu 1990 aufgeführt, sondern auch das konkretisierte Minderungsziel von minus 43 Prozent an Treibhausgaseinsparungen im Vergleich zu 2005 - mittels des Europäischen Emissionshandels bis 2030 - sowie das Minderungsziel von minus 30 Prozent im selben Zeitraum für den Bereich des Nicht-Emissionshandels über die Effort Sharing Decision (vgl. European Commission 2015: 11.) Artikel 4 Absatz 16 des Pariser Übereinkommens sieht bereits vor, dass die EU eine genauere Aufschlüsselung mit einer klar bekannten nationalen Binnendifferenzierung zur Erreichung dieser Ziele vorlegen muss. Diese Vorschläge – insbesondere zur Weiterführung des Emissionshandels in der dann vierten Handelsperiode bis 2030 sowie für die neue Lastenverteilung für die nicht unter den Emissionshandel fallenden Bereiche - zur EU-internen Umsetzung der Paris-Beschlüsse liegen mittlerweile vor und werden derzeit von den EU-Mitgliedstaaten innerhalb der EU-Institutionen beraten. Im April 2016 fand in New York mit den jeweiligen Regierungschefs bzw. ihren hochrangigen Vertretern die feierliche Zeremonie zur Zeichnung des Paris Abkommens - als erstem multilateralen Klimavertrag statt. 177 Staaten6, unter ihnen alle 28 EU-Mitgliedstaaten inklusive Großbritannien wie auch die EU (vertreten durch den EU-Kommissionsvizepräsidenten Sefcovic und die niederländische Umweltministerin Dijksma) haben das Klimaschutzabkommen gezeichnet und ihre Ratifikationsabsicht bekundet. Unabhängig von einer EU-Mitgliedschaft müsste das Vereinigte Königreich als eigenständiger Vertragspartner daher nun den eigenen Ratifikationsprozess anstrengen. Bindend ist das Abkommen für Großbritannien aber erst mit der Ratifikation. Das Pariser Abkommen sieht allerdings eine befristete Rücktrittsklausel vor.7 Das Abkommen tritt 30 Tage nach der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden von 55 Vertragsstaaten , die 55 Prozent der globalen Emissionen verursachen, in Kraft. 2.1. Stand der Ratifikation Bisher haben 23 Vertragsstaaten ihre Urkunden inklusive ihrer nationalen Klimaschutzpläne, ihrer NDC (Nationally Determined Contribution) hinterlegt, die bisher für 1,08 Prozent der Emissionen verantwortlich sind. Dabei handelt es ich vor allem um kleinere, besonders vom Klimawandel betroffene Inselstaaten wie Belize, die Malediven oder die Fiji-Inseln, aber auch Länder wie Norwegen, Peru oder zuletzt Ende Juli Kamerun haben ihre ersten NDC´s eingereicht. (Vgl. United Nations 2016). China, mit 20 Prozent der globalen Emissionen, und die USA (18 Prozent) haben bereits angekündigt , dass sie noch vor dem Herbst dieses Jahres die Ratifizierung abschließen wollen. Kanada (2 6 Das Abkommen liegt seit dem 22. April für ein Jahr weiterhin zur Zeichnung aus. 7 Artikel 28 Absatz 2 des Übereinkommens besagt, dass eine Vertragspartei jederzeit nach Ablauf von drei Jahren nach dem Zeitpunkt, zu dem dieses Übereinkommen für sie in Kraft getreten ist, durch eine gerichtete schriftliche Notifikation von diesem Übereinkommen zurücktreten kann. Der Rücktritt ist dann nach einem Jahr wirksam . (United Nations; FCCC 2015: 32). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 11 Prozent) und Argentinien (knapp 1 Prozent) sowie die G7-Staaten wollen das Abkommen ebenfalls noch in diesem Jahr ratifizieren. (Stand Juni 2016) Damit könnte ein Inkrafttreten noch in diesem Jahr in den Bereich des Möglichen oder sogar des Wahrscheinlichen rücken. 2.2. Ratifizierung innerhalb der EU Da es sich um ein gemischtes Abkommen handelt, das Zuständigkeiten der Union und der Mitgliedstaaten berührt, muss es sowohl von der Union wie auch den Mitgliedstaaten ratifiziert werden . Innerhalb der Europäischen Union gibt es auf EU-Ebene ein Legislativverfahren, das die Zustimmung des Rates und des Europäischen Parlamentes umfasst. Zusätzlich müssen die einzelnen Mitgliedstaaten den Vertrag nach ihren nationalen Verfahrensregeln ratifizieren. Die Europäische Kommission hat ihren Vorschlag für die Ratifizierung bereits vorgelegt, ebenso am 20. Juli 2016 den bis dato noch ausstehenden Legislativvorschlag zur Lastenteilung, in dem die nationalen Beiträge der Mitgliedstaaten (für die Sektoren, die nicht unter den Emissionshandel fallen) zur Erreichung des EU-Reduktionsziels von mindestens 40 Prozent bis 2030 festgelegt werden. (Vgl. Europäische Kommission 2016) Zum Ratifizierungsprozess gibt es innerhalb der EU unterschiedliche Vorstellungen. Während Frankreich für eine Ratifizierung in diesem Jahr wirbt, verknüpfen andere Mitgliedstaaten wie Polen die Ratifizierung mit der (endgültigen) Entscheidung über die Lastenteilung, die nach aktuellem Stand in diesem Jahr nicht zu erwarten ist. Einige Länder halten es für realistisch, den gesamten Prozess innerhalb der EU bis 2018 abzuschließen , andere drängen auf Lösungen, die eine Ratifizierung durch die EU noch deutlich schneller möglich machen. Ungarn hat das Abkommen bereits Ende Mai 2016 ratifiziert, ebenso hat Frankreich am 15. Juni 2016 das nationale Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen. Zwar haben die meisten Mitgliedstaaten den Prozess entweder mit unklarer zeitlicher Perspektive oder noch gar nicht begonnen, doch gibt es einige, deren nationalen Ratifizierungsverfahren bereits mit dem Ziel der Ratifikation bis Ende 2016/Anfang 2017 laufen. Dazu gehören Luxemburg, Dänemark, Zypern, Lettland, die Tschechische Republik, Estland und Portugal sowie Deutschland. (Stand Juni 2016) Das Bundeskabinett hat am 6. Juli den Gesetzentwurf zur Ratifizierung des Paris Abkommens beschlossen . Mit der noch ausstehenden Zustimmung des Bundestages wird das Abkommen dann in Deutschland ratifiziert sein. Die Bundesregierung geht vom Abschluss des Verfahrens nach Art. 59 Abs. 2 GG bis November 2016 aus. (Vgl. Bundesregierung 2016). 2.3. Herausforderungen und Problematisierungen im Zusammenhang mit dem Paris Abkommen Diskutiert werden unterschiedliche Auswirkungen des Brexits auf die Ratifizierung des Paris Abkommens innerhalb der EU bzw. welche Herausforderungen sich durch den Brexit für die EU ergeben . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 12 Dazu gehört zum einen die Befürchtung, dass die EU nicht mehr an der Ausgestaltung der Detailregelungen zum Paris Abkommen beteiligt sein könnte, wenn das Paris Abkommen deutlich vor einer Ratifizierung durch die EU in Kraft treten werde. Dazu gehört zum anderen das Aufwerfen der Problematik, ob das gesetzte Klimaziel so weiter erhalten werden kann/soll - da mit der Formulierung des Klimaziels ja bereits eine Lastenverteilung vorgesehen war, die Großbritannien miteinbezogen hat. Sollten daher Änderungen vorgenommen werden, bliebe abzuwarten, wie sich die Einigung auf (neue?) mitgliedstaatliche Ziele gestalten wird. Davon nicht gänzlich unabhängig zu betrachten ist die kontrovers diskutierte Frage, wie die Ratifikation durch die EU erfolgen kann: ob gleichzeitig, nach oder sogar vor den nationalen Ratifikationen der EU-Mitgliedstaaten . Inwieweit die genannten Herausforderungen zum Tragen kommen, hängt natürlich auch davon ab, was das VK in Bezug auf die Ratifizierung plant. Zu unterscheiden wäre danach die Möglichkeit , dass das VK mit einer Ratifizierung des Paris Abkommens noch vor dem Brexit - der wahrscheinlich nicht vor 2019 zu erwarten wäre - als Teil der EU-28 einverstanden ist. Die andere Möglichkeit wäre, eine Linkung der Systeme (in der Lastenverteilung und beim Emissionshandel ) anzustreben und sich über das Instrument einer Joint-Fullfillment-Vereinbarung eng an die Umsetzung der EU zu binden (die Ratifizierung könnte dann auch als EU 27+1 erfolgen). Möglich wäre hingegen auch, dass das VK bereits jetzt aus übergeordneten politischen Motiven eine eigenständige Ratifizierung (ohne als Teil der EU aufzutreten) vorsieht. (Vgl. z.T. Geden 2016: 1). In allen Fällen müssten für das VK die NDC als vorgesehene Treibhausgasminderungsverpflichtung bis 2030 eingereicht werden: als EU-28, als EU-27+1 (ähnlich wie Norwegen und die Schweiz, die sich schon an die EU „gelinkt“ haben) oder eben als VK. Dabei besteht die theoretische Möglichkeit, dass in letzterem Fall das VK sein Ambitionsminderungsniveau absenken könnte. Ein solches Vorhaben ist nicht wahrscheinlich, da Großbritannien bisher immer zu den größten Klimaschutzverfechtern innerhalb der EU gehörte. Vor allem Länder wie die USA, China, Indien und auch die EU würden zudem wohl ein verringertes Ambitionsniveau des VK mit öffentlicher Kritik bis hin mit einzuführenden Grenzsteuern sanktionieren (vgl. Froggatt 2016: 24). 2.3.1. Ist ein EU-Ausschluss von der Erarbeitung der Detailbestimmungen des Abkommens bei `verspäteter` Ratifizierung möglich? Nach aktuellem Stand ist es - wie bereits dargestellt - nicht mehr unwahrscheinlich, dass das Paris Abkommen noch in diesem Jahr und sogar bereits bis zur nächsten VN-Klimarahmenkonferenz im November (7.-13.11.) 2016 in Marrakesch in Marokko in Kraft treten könnte. – Dafür müssten aber bis Mitte Oktober die doppelten 55-Prozent-Schwellen für die Inkraftsetzung des Abkommens erreicht werden. Würde dieses theoretische Szenario Realität, dann würde die Marrakesch-Konferenz zur Vertragsstaatenkonferenz werden, bei der dann nur die Vertragsstaaten ein Mitspracherecht besäßen. - Dass die EU aber - aller eventuellen Möglichkeiten für eine doch schnelle Ratifizierung zum Trotz - bis zum November das Abkommen ratifiziert haben wird, scheint eher ausgeschlossen. Daher wird zum Teil angemerkt, dass die Gefahr bestünde, dass die EU zunächst kaum in der Lage sein würde, die Gestaltung der Detailregeln für die Umsetzung des neuen globalen Klimaregimes , die dann in Marrakesch oder spätestens bei der nächsten darauffolgenden Klimakonferenz von den Vertragsstaaten gesetzt würden, zu beeinflussen. (Vgl. Geden 2016: 4). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 13 Das BMUB erklärt, dass diese Befürchtung unbegründet sei, weil im Juni 2016 bereits die Absprache in den Nebenorganen zum Paris Abkommen getroffen worden sei, dass allen Staaten unabhängig von der Ratifizierung weiterhin ein Mitspracherecht bei den Detailregelungen eingeräumt werden soll. Bisher tage beispielsweise die APA, die Ad-hoc-Working Group on the Paris Agreement , als Vorbereitungsgremium zur Umsetzung des Abkommens. Diese könnte unter Umständen auch nach der Ratifizierung weiter tagen und zuständig für die Klärung der Detailregelungen werden; da dort alle Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention mitspracheberechtigt sind, würden so alle Staaten an der Ausgestaltung der Detailregelungen beteiligt werden können. Andere Gremienlösungen seien aber auch denkbar. 2.3.2. Ist die gleichzeitige Ratifizierung von EU und Mitgliedstaaten notwendig? Zur Frage, wie die Abfolge der Ratifizierung innerhalb der EU erfolgen soll und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, gibt es unterschiedliche Auffassungen und Hinweise. Oliver Geden von der SWP geht davon aus, dass die EU das Abkommen erst ratifizieren kann, wenn alle Mitgliedstaaten den nationalen Prozess abgeschlossen haben. Und auch die nationale Ratifizierung werde ihrerseits zum Teil an bereits abgestimmte Implementierungsregelungen geknüpft . So habe Polen deutlich gemacht, „dass es die nationale Ratifikation erst vollziehen wird, wenn die polnischen Verpflichtungen im Rahmen der EU geklärt sind – … [wenn also] die Verhandlungen über die neue EHS-Richtlinie und die mitgliedstaatlichen Ziele in den Nicht-EHS- Sektoren abgeschlossen sind.“ (Vgl. Geden 2016: 3). Auch die Juristischen Dienste des Rates kommen zu dem Schluss, dass die Ziele für die nationalen Umsetzungen der Klimaziele bereits gemeinsam mit der Ratifizierung des Abkommens beschlussfähig und abgestimmt vorliegen sollten. Begründet wird das damit, dass sich beim gemischten Abkommen die Bindung eben erst durch die Ratifizierung beider Seiten ergebe. Daher sei eine Ratifizierung des Abkommens vor dem Erlass weiterer Rechtsvorschriften zwar möglich, empfohlen werde aber , dass sie grundsätzlich gemeinsam und koordiniert erfolgen sollte, damit sichergestellt werde, dass die Union und die Mitgliedstaaten in der Lage sind, ihre Verpflichtungen auch tatsächlich verbindlich zu erfüllen. Während es die Auffassung gibt, dass die EU und die Mitgliedstaaten die Ratifizierungsurkunden gleichzeitig hinterlegen sollten, sieht das BMUB auch die Möglichkeit, dass die EU (mit oder ohne das VK: als EU-28 oder sogar als EU-27+1) ihre Ratifizierungsurkunde ohne die vorangehende zwingende Ratifizierung der einzelnen Mitgliedstaaten hinterlegt. So sei es theoretisch möglich, dass man auch innerhalb der EU schon jetzt in den Institutionen kläre, wie die NDC (für die EU-28 oder EU-27+1) aussehen sollen und dass man die konkrete Aufschlüsselung zur NDC im darauf folgenden Jahr beim VN-Klimarat nachreichen werde. Bedeutsam sei bei einem solchen Weg jedoch, dass die Gesamtratifizierung nur nicht gegen den Willen eines Mitgliedstaates auf Grund des Rechtsprinzips der loyalen Zusammenarbeit in den Außenbeziehungen erfolgen dürfe. Auch eine sehr schnelle Ratifizierung sei so - bei politischem Willen- machbar. Es gäbe durchaus völkerrechtliche Verträge, bei denen die EU ihre Ratifikationsurkunde vor denen der einzelnen Mitgliedstaaten hinterlegt habe, zum Beispiel bei der Klimarahmenkonvention. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 14 2.3.3. Ist das EU-Minderungsziel beibehaltbar, ist die gänzliche Klärung offener Fragen zur Implementierung (vor allem zur Lastenverteilung) Voraussetzung für eine Ratifizierung sowie zudem zeitnah realistisch? Theoretisch könnte von einigen Mitgliedstaaten der Wunsch formuliert werden, das EU-Emissionsminderungsziel von 40 Prozent bis 2030 (gegenüber dem Basisjahr 1990) zu korrigieren, wenn mit Großbritannien der zweitgrößte Emittent Europas die Union verlassen will/wird. „Bei einer exakten Neukalkulation müsste das EU-Klimaziel numerisch abgesenkt werden, weil die Briten im Klimaschutz bislang weit mehr erreicht haben als der EU-Durchschnitt.[8] Für den Klimaschutz -Vorreiter EU wäre es jedoch mit einer problematischen Symbolik verbunden, ein Post- Brexit-Klimaziel von 38 oder 39 Prozent festzulegen. Wird hingegen das 40-Prozent-Ziel beibehalten , so müssten die Anstrengungen in der EU-27 verstärkt werden.“ Die Lastenverteilung müsste ganz neu verhandelt werden und würde wahrscheinlich zu zeitverzögernden „Verteilungskämpfen “ führen. (Geden 2016: 3). Das BMUB sieht hingegen keine Notwendigkeit der Korrektur des EU-Minderungsambitionsniveaus . Sehr wohl sei das Modell EU-27+1 mit den so unverändert umzusetzenden Implementationsüberlegungen und Zuteilungen denkbar. Aber auch eine Verteilung des britischen Minderungsanteils auf (die) andere(n) EU-Mitgliedstaaten würde keineswegs zu zusätzlichen großen Lasten für die anderen Mitgliedstaaten führen (vgl. dazu Kapitel 4). Wie vorangehend erwähnt, sieht das BMUB die Möglichkeit, schon jetzt (vor dem Brexit) einen NDC der EU-28 oder aber der EU27+1 zu formulieren und einzureichen, der noch keine abgestimmte Aufschlüsselung der nationalen Minderungsverpflichtungen enthalten müsste. Wie gerade schon beschrieben, wäre es dabei nicht notwendig, unbedingt eine neue Verteilung zu verhandeln oder das Ziel nach unten zu korrigieren. Die Minderungszusage für die EU-27+1 könnte bei minus 40 Prozent belassen werden; das VK könnte die vorgeschlagene Lastenverteilung mittragen und sich - wie zum Beispiel Island, das sich in der zweiten Phase des Kyoto-Protokolls an die EU mit seinem Minderungsziel angeschlossen hat - an die EU linken. Wie ebenfalls vorangehend beschrieben, sehen andere in der Einigung auf die nationalen Minderungsverpflichtungen die Voraussetzung für die EU-weite, aber auch zum Teil nationale Ratifizierung des Paris Abkommens. Gerade die Einigung auf die differenzierten mitgliedstaatlichen Reduktionsziele wird aber von fast allen Beobachtern als die wahrscheinlich schwierigste Herausforderung im Zusammenhang des Brexits mit dem Paris Abkommen gewertet. Auch wenn nicht alle genutzten Quellen dieser Arbeit deshalb von einem Hemmnis für die Ratifizierung ausgehen, so schließt die Mehrheit dennoch, dass dieser Umstand einer möglicherweise vorgeschalteten Einigung auf Reduktionsziele zu einer (deutlichen) Verzögerung der Ratifikation des Paris Abkommens durch die EU führen werde. (Vgl. u.a Geden 2016 sowie Wetzel 2016). Gegebenenfalls könnten einige Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang auch nochmals die Frage neu diskutieren wollen, inwieweit das Ambitionsniveau der Minderung (also dann mehr als 40 Prozent) ausreicht . Denn einige Mitgliedstaaten wünschen sich ein ambitionierteres Vorgehen der EU, weil sie die EU-Ziele als nicht ausreichend erachten, um damit das Zwei-Grad-Ziel noch einzuhalten. 8 Großbritannien liegt mit einer Emissionsreduktion von 34 Prozent (1990-2014) über dem EU-Durchschnitt (minus 24 Prozent) und auch über dem bisher erreichten Ziel Deutschlands von minus 28 Prozent. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 15 Würde dies neu verhandelt werden, könnten daraus tatsächlich (nochmalige?) Verzögerungen für eine neu abgestimmte Lastenverteilung erwachsen. 3. Mögliche Auswirkungen des Brexits auf den Europäischen Emissionshandel (und seine Reform) Das Verfahren zur Neuausrichtung des Europäischen Emissionshandels (EU-EHS) ab 2021 ist bereits 2015 eingeleitet worden. Aktuell wird der Richtlinienvorschlag im Europäischen Rat und den drei zuständigen Ausschüssen des Europäischen Parlaments (Umwelt, Industrie und Entwicklung ) beraten. Im Oktober tagt der Umweltrat, für Dezember wird der Abschluss der Beratungen im federführenden Umweltausschuss erwartet, die Abstimmung im Europäischen Parlament soll im Februar 2017 sein. Grundsätzlich sind vor allem Verzögerungen bei den jetzt noch laufenden Verhandlungen zur vierten Handelsperiode des Europäischen Emissionshandelssystems, das knapp die Hälfte der EU-weiten Emissionen reguliert, durch den Brexit denkbar, aber es ist wohl eher nicht davon auszugehen, dass der Brexit die Verhandlungen deutlich schwieriger macht. Bei einem Brexit (ohne weitere Beteiligung des VKs am Emissionshandel) wäre davon auszugehen , dass hauptsächlich lediglich die Zertifikatsobergrenze neu kalkuliert und verknappt werden müsste. Strittig könnte sein, welche Menge an Zertifikaten man schließlich aus dem System nimmt. Würde das VK jedoch weiterhin (in welcher Form auch immer) am Emissionshandel teilnehmen , wäre eher nicht mit (bedeutenden) Umstellungen zu rechnen. Drei Optionen sind denkbar, ob oder wie sich das VK am Emissionshandel (weiterhin) beteiligt. Die Entscheidung wäre vorab grundsätzlich durch das VK selbst zu treffen. 3.1. Varianten der Entscheidung 3.1.1. Weitere Mitgliedschaft im EU-EHS Das VK könnte auch ohne EU-Mitgliedschaft Mitglied im EU-EHS bleiben - ebenso wie Island (über eine Joint-Fullfillment-Vereinbarung) und Norwegen (als Staat des EWR) ohne EU-Mitgliedschaft am Emissionshandel teilnehmen. Für diese Option spräche, dass Großbritannien immer ein bedeutender Unterstützer des EU-ETS war. Obwohl das VK auch bei einem solchen Modell Einfluss auf die Gestaltung des EU-ETS verlieren würde, bliebe innerhalb des Landes die Stabilität der regulatorischen Rahmenbedingungen für Unternehmen gewahrt, was ein starkes Argument für den Verbleib im EU-ETS sein könnte. (Vgl. Richstein 2016: 1). Dabei könnte naheliegen, dass dieses Modell nur gewählt würde, „wenn sich das Königreich auch zumindest dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) anschließt. Damit aber müssten sich die Briten zahlreichen EU-Normen unterordnen und hohe Mitgliedsgebühren zahlen [siehe Kapitel 1.2.1]. Überdies dürften sowohl die weitere Teilnahme am EHS [als auch das Level der Klimaschutzambitionen insgesamt, s. dazu auch Kapitel 5.2] von der Zusammensetzung der künftigen britischen Regierung abhängen. Nach Einschätzung britischer Analysten ist unter den Brexiteers Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 16 und EU-Skeptikern des Königreichs der Anteil von Klimaskeptikern besonders hoch.“ (Wetzel 2016). 3.1.2. „Linkung“ mit dem EU-EHS Die zweite Möglichkeit wäre ein separater Emissionshandel Großbritanniens, der mit dem EU- EHS verbunden, also gelinkt, würde. Dies ist das Modell, das für die Schweiz derzeit (nach nun abgeschlossenen Verhandlungen) anstrebt wird. „Beiden Optionen ist gemein, dass ein gemeinsamer CO2 -Preis in Europa bestehen bleiben würde, was unter anderem den Stromhandel zwischen der EU und Großbritannien vereinfachen würde.“ (Richstein: 1). 3.1.3. Gänzlicher Ausstieg aus dem EU-EHS Als dritte Variante könnte das VK komplett aus dem Emissionshandel aussteigen (oder ein eigenes , aber ungelinktes Emissionshandelssystem oder ein gänzlich anderes Klimaschutzinstrument zur Emissionsminderung wählen). Doch selbst wenn „Großbritannien komplett aus dem EU-Emissionshandel aussteigt, wird dieser weiter bestehen. Allerdings müsste der bisherige Emissionsdeckel um die wegfallenden Emissionen von Europas zweitgrößter Volkswirtschaft korrigiert werden (, so dass sich auch die auszugebende Zertifikatemenge ändern würde). Wie genau diese Anpassung stattfinden könnte und welche Auswirkungen dies auf die langfristige Preisentwicklung des EU-ETS hätte, ist bisher unklar .“ (Richstein: 1). Das BMUB geht davon aus, dass diesbezüglich keine Verwerfungen zu erwarten wären, da es sich bei der Änderung der Emissionsmenge, auf deren Grundlage dann die Zertifikate- Ausgabemenge berechnet wird, um eine Art Parallelverschiebung handeln werde. 3.2. Problematisierungen Insbesondere drei Fragen könnten im Zusammenhang mit dem Ausstieg (sowie auch im Zusammenhang mit einer Linkung bei einem eigenen britischen System) eine Rolle spielen: 1. Während im Jahr 2015 die Emissionen Großbritanniens weniger als 10 Prozent der europäischen Gesamtemissionen stationärer Einrichtungen betrugen, waren es 2005 noch 11,6 Prozent. „Sollten daher frühere Jahre (beispielsweise die Jahre 2008 bis 2011, die zur Berechnung des gemeinsamen Deckels herangezogen wurden) zur Anpassung des Emissionsdeckels benutzt werden , könnte ein Ausscheiden Großbritanniens sogar zu einer Verknappung der verfügbaren Zertifikate und damit zu einem Anstieg des CO2-Preises führen.“ (Vgl. Richstein: 1). 2. Es ergibt sich zum anderen die Frage, wie im VK mit den heute noch von britischen Firmen gehaltenen Zertifikaten umgegangen werden wird. Würden die Unternehmen (den Überschuss der/die) Zertifikate bereits vor Abschluss der Brexit-Verhandlungen abstoßen? Da Großbritannien „nach Deutschland der zweitgrößte Treibhausgasemittent in der EU ist“, bestünde dabei die Gefahr, dass „die CO2-Preise unter einer wahren Flut überzähliger Berechti- Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 17 gungsscheine kollabieren [würden]. Für Industriebetriebe in ganz Europa gäbe es danach [weniger ] finanziellen Anreiz, in CO2-sparende Effizienztechniken zu investieren: Der Kauf britischer Emissionsberechtigungen“ wäre preiswerter. (Wetzel 2016). Als Möglichkeit, einem solchen Szenario entgegen zu wirken, könnte überlegt werden, dass die Regierung des VKs eventuell Zertifikate zurückkauft (Vgl. Richstein 2016: 1). 3. Es könnte nach Angaben des BMUB möglich werden, dass sich die zur Verfügung stehende Auktionsmenge für die verbleibenden EU-Staaten und Teilnehmer am EU-EHS bei wirtschaftlich schwächeren Ländern leicht verändert. Bisher werden von der Auktionsmenge der Zertifikate 12 Prozent an die wirtschaftlich schwächeren EU-EHS-Mitglieder umverteilt.9 Daher könnte ein Wegfall des VKs, da es bisher zu den `Gebern ` gehörte, zu einer insgesamt geringeren Umverteilungsmenge - sofern die 10 Prozent erhalten blieben - und in der Folge zu weniger absoluten Mengen bei den Begünstigten - vorrangig osteuropäischen Ländern - führen. Oder aber bisherige `Geber´ (wie Deutschland) müssten einen größeren Anteil ihrer Auktionsmenge zur Verfügung stellen, um den Status Quo zu erhalten. Grundsätzlich sei aber ohnehin zunächst abzuwarten, ob das bisher vorgesehene Zahlengerüst im EHS bestehen bleiben oder angepasst werden wird, wenn das VK austritt. Theoretisch könnten sowohl der Anteil an der Versteigerung (nach dem Kommissions-Richtlinienvorschlag wären das 57 Prozent inkl. Modernisierungsfonds), die 10 Prozent Umverteilung wie auch die zwei Prozent Anteil am Cap10 für den Modernisierungsfonds geändert werden. 4. Mögliche Auswirkungen des Brexits auf das Effort Sharing „Politisch komplexer ist die Entscheidung über eine Verordnung zu mitgliedstaatlich differenzierten Zielen für die Nicht-EHS-Sektoren (»Effort Sharing«).“ (Geden 2016:3). Der nach monatelangen Beratungen am 20. Juli 2016 von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag zur Lastenverteilung der Minderungsverpflichtungen mit verbindlichen Jahreszielen für die einzelnen Nationalstaaten für ihre nicht unter den Emissionshandel fallenden Sektoren (vor allem Verkehr, Landwirtschaft, Bau) sieht in Abhängigkeit vom BIP pro Kopf ein breit aufgestelltes Minderungstableau vor. Der Vorschlag wird noch vom Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten zu beraten sein. Derzeit ist vorgesehen: Luxemburg und Schweden -40 Prozent, Dänemark und Finnland -39 Prozent, Deutschland –38 Prozent, Polen und Ungarn sieben Prozent, Tschechien -14 Prozent, Slowakei -12 Prozent, Rumänien -zwei Prozent, Bulgarien null Prozent. Großbritannien soll demnach seine Emissionen (bis 2030 gegenüber 2005) um 37 Prozent senken. 9 Ab der vierten Handelsperiode wären dann nunmehr noch 10 Prozent Umverteilung vorgesehen; zusätzlich gäbe es den Modernisierungsfonds. 10 Das EU-EHS bildet ein sogennates Cap-and-Trade-System. Dabei wird von der Politik eine Obergrenze (Cap) festgelegt, wie viel Treibhausgasemissionen pro Handelsperiode von den emissionshandelspflichtigen Anlagen ausgestoßen werden dürfen. Eine entsprechende Menge an Emissionsberechtigungen wird den Anlagen dann entweder kostenlos zugeteilt oder sie müssen die notwendige Menge ersteigern. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 18 (Vgl. European Commission 2016). Damit liegt dieser Beitrag deutlich über dem von der gesamten EU-28 zu erbringenden Durchschnitt von 30 Prozent. Da noch nicht klar ist, ob das VK in die Lastenteilungsentscheidung einbezogen werden will (durch ähnlich denkbare Modelle eines Joint-Fullfillments wie auch möglicherweise beim EU- EHS), müssten bei einer Beibehaltung des Gesamt-CO2-Minderungsziels der EU11 die verbleibenden EU-Mitglieder (alle oder nur einzelne) die nationalen Klimaziele noch einmal erhöhen. Als möglicherweise nicht unbedeutend könnte sich dabei erweisen, dass sich mit einem Brexit und dem „ Wegfall“ einer der „Klimaschutzvorreiter der EU“ „das Stimmenschwergewicht in Richtung Osten (verschiebt). „Kohleländer wie Polen oder Tschechien könnten mit noch größerem politischen Gewicht“ (Wetzel 2016) auf die `Übernahme` der zusätzlichen Minderungsverpflichtungen durch allein west- und nordeuropäische Länder drängen oder gar eine gänzlich neue Lastenverteilung anstreben. Dies wäre dann „nicht allein auf volkswirtschaftliche, sondern auch auf innenpolitische Erwägungen zurückzuführen. Die polnische Regierung hat bereits erklärt , sie halte das ihr zugedachte Reduktionsziel von 7 Prozent für zu anspruchsvoll.“ Es bleibt abzuwarten, „inwieweit [verbleibende] klimapolitische Vorreiter wie Deutschland bereit sein werden, zusätzliche Lasten (notfalls auch nur mit einigen anderen oder allein) zu schultern, damit der Verhandlungsprozess beschleunigt wird.“ (Geden 2016: 3). Insgesamt wäre die Differenz der vom VK erbrachten 37 Prozent zu 30 Prozent als EU-Durchschnittsemissionsminderung dann von anderen Mitgliedsstaaten zusätzlich zu erbringen. Das BMUB beziffert die einzelnen nationalen Erhöhungen als Folge daraus jedoch als sehr überschaubar . Sollte der britische Anteil neu verteilt werden, werde die zusätzlich zu erbringende Emissions -Einsparleistung Deutschlands bei unter 0,5 Prozent liegen. 5. Weiterer möglicher Einfluss des Brexits auf die Energie- und Klimapolitik 5.1. Erwägungen zur Beeinflussung der inhaltlichen Ausrichtung der Energie- und Klimapolitik einer EU-27 Dass ein Brexit das bisherige Gleichgewicht unter den übrigen Mitgliedstaaten in der europäischen Energie- und Klimapolitik beeinflussen wird, gilt als wahrscheinlich. Bei keinem der bisher diskutierten Post-Brexit-Optionen bliebe dem VK ein gestaltender Einfluss auf die EU-Energie - und Klimapolitik. Unklar wird sein, wie weit die Gewichtsverlagerungen gehen werden, also wie sehr sich die inhaltliche Ausrichtung dieses Politikfeldes langfristig durch einen Wegfall eines der bedeutendsten Klimaschutzverfechter, aber auch Erneuerbare-Energien-Skeptikers verschieben dürfte. „Großbritannien zählt zu den wenigen Mitgliedstaaten, deren Position in der Energie- und Klimapolitik der EU seit vielen Jahren konstant ist. […] Klimapolitisch plädierte das Vereinigte Königreich gemeinsam mit Deutschland und anderen nordwesteuropäischen Mitgliedstaaten stets für ehrgeizige Emissionsminderungsziele und eine aktive Rolle der EU in der internationalen Klimapolitik.“ (Geden 2016: 2). So war Großbritannien der einzige große Mitgliedstaat, der 11 Theoretisch könnte natürlich auch über dessen Absenkung, aber unter politischem Ansehensverlust, diskutiert werden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 19 bereits 2014 ein höheres EU-Klimaziel für 2030 forderte (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung, Naturschutzring 2016: 2) und dem das „mindestens“ vor dem 40-Prozent-Minderungsziel der EU zuzuschreiben ist. Auch die „heutige Ausgestaltung des europäischen Instrumentenmixes hat London maßgeblich mitbeeinflusst.“ Dabei setzen die „Briten seit langem primär auf marktbasierte Instrumente. Nachdem Initiativen für eine EU-weite CO2-Besteuerung gescheitert waren, wurde auf britisches Bestreben das EU-Emissionshandelssystem eingeführt, dessen größte Verfechter bis heute in London zu finden sind. Bei der Gestaltung des EU-Energiebinnenmarktes trat Großbritannien frühzeitig und beständig dafür ein, die Strom- und Gasmärkte europaweit zu liberalisieren – inklusive starker Eingriffsmöglichkeiten der Kommission über den Hebel des Wettbewerbsrechts sowie der Schaffung unabhängiger Regulierungsbehörden. […] In den vergangenen Jahren formulierte London zudem vermehrt Souveränitätsvorbehalte hinsichtlich der Gestaltung des nationalen Energiemixes . Dies richtete sich nicht nur gegen zusätzliche Detailvorgaben seitens der EU, sondern auch gegen eine stärker koordinierende Rolle der Kommission in den Querschnittsbereichen von Klima- und Energiepolitik (»Europäische Energie-Governance«). Bei den Verhandlungen über den Politikrahmen bis 2030 konnte Großbritannien zusammen mit den Mitgliedstaaten Ostmitteleuropas sowohl verbindliche nationale Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energien verhindern als auch eine quantitative wie qualitative Abschwächung des Energieeffizienz-Ziels [von mindestens 27 Prozent] erreichen.“ (Geden 2016: 2). So kann zum einen befürchtet werden, dass Koalitionen ohne Großbritannien als EU-Mitglied für einem ambitionierteren Klimaschutz schwieriger innerhalb der EU zu realisieren sein werden, und dass Staaten, die für moderate Klimaschutzziele fechten, deshalb stärker werden, weil sie einen großen Gegenspieler verlieren. Andererseits sehen etwa die Heinrich-Böll-Stiftung und der Naturschutzring neue Chancen im Bereich der Energiepolitik, wonach künftig eine „progressive EU-Energiepolitik nicht mehr durch den britischen Mythos von der Brüssler Regulierungswut“ in Bezug etwa auf Erneuerbare Energien so leicht „verhindert“ werde. (Vgl. Heinrich-Böll-Stiftung, Naturschutzring 2016: 3). Im Gegenzug fürchtet das VK, dass die EU ohne das VK den Schwerpunkt für ihre Energiepolitik von (technologieneutralen) Marktmechanismen hin zu schwächeren kollektiven Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion verlagern könnte. (Vgl. Froggatt u.a. 2016: 2). 5.2. Erwägungen zur künftigen Ausrichtung einer separierten britischen Energie- und Klimapolitik Trotz der vorangehend beschriebenen international prominenten Rolle des VKs als ambitionierten Klimaschutzverfechters gibt es auch Stimmen, die durch einen Brexit Großbritanniens Bemühungen in diese Richtung in Frage gestellt sehen. Dazu führt zum einen der Umstand, dass direkt mit dem Amtsantritt Theresa Mays das Klimathema im Ministeriumsneuzuschnitt eine neue Zuordnung erfahren hat. So wurde aus dem bisherigen `Department of Energy and Climate Change` das `Department for Business, Energy and Industrial Strategy`. Zwar sei mit Greg Clarke kein Klimaskeptiker zuständiger Minister geworden , dennoch signalisiere der Zuschnitt, dass der Klimaschutz wohl künftig auch noch verstärkt von Großbritannien vor allem in den kompatiblen Rahmen ihrer (marktorientierten und technologieneutralen ) Industrie- und Energieförderung gestellt werden wird. (Vgl. z.T. IWR 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 20 Da Großbritannien bei einem Brexit nicht mehr an die europäischen Energiemixvorgaben und Klimaziele wie auch an die europäischen Umweltschutzgesetze gebunden wäre, befürchten vor allem Umweltschützer und Verbände, dass Umweltschutzmaßnahmen künftig vermehrt zu Gunsten der Industrie aufgeweicht werden könnten. Auch Europaabgeordnete wie Jo Leinen haben sich diesbezüglich schon besorgt gezeigt.12 Gerade die aktuell neu erteilten Lizenzen der britischen Regierung für die Untertage-Vergasung (von Meeresboden-Kohleflözen)13 werden in diesem Zusammenhang als besonders kritisch erachtet, da diese „Technologie das Grundwasser gefährdet und giftige Schadstoffe, aber vor allem die Treibhausgase CO2 und Methan“ erzeuge, die so in die Atmosphäre gelangten und den Klimawandel eher noch vorantreiben würden.14 (Odenwald 2016) - Ende der Bearbeitung - 12 So befürchtet Jo Leinen, dass die „Briten bei einem Brexit in [eine nicht klimaschutzförderliche] Sektoralpolitik für die Zementindustrie, für die Stahlindustrie und für die Chemieindustrie zurückfallen“ würden (Leinen zit. nach Greenpeace Magazin 2016). 13 Dabei soll die Kohle im Untergrund in ein Synthesegas umgewandelt werden, das Methan, Kohlenmonoxid, Wasserstoff sowie Wasserdampf und Kohlenlendioxid enthält. Aus den brennbaren Bestandteilen lässt sich über Tage dann Strom erzeugen. 14 Die Regierungen von Schottland und Wales verhängten ein Moratorium über die UTG – bis zur Klärung aller offenen (umwelt- und klimaschädlichen) Wirkungen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 055/16 Seite 21 6. Literatur Bundesregierung (2016). Im Kabinett beschlossen. Klimaabkommen von Paris wird Gesetz. Artikel vom 6. Juli 2016. Berlin. https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2016/07/2016- 07-06-ratifizierung-pariser-klimaabkommen.html [Stand 22.8.2016]. Europäische Kommission (2016). Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat. Nach Paris: Bewertung der Folgen des Pariser Übereinkommens - Begleitunterlage zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung des im Rahmen des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen geschlossenen Pariser Übereinkommens im Namen der Europäischen Union. COM (2016) 110 final vom 2. 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