© 2016 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 – 054/16 Zur Umsetzung des sozialen Menschenrechts auf Teilhabe an wissenschaftlichem Fortschritt gemäß VN-Sozialpakt in Deutschland Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundes-tages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigten Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 – 054/16 Seite 2 Zur Umsetzung des sozialen Menschenrechts auf Teilhabe an wissenschaftlichem Fortschritt gemäß VN-Sozialpakt in Deutschland Aktenzeichen: WD 8 - 3000 – 054/16 Abschluss der Arbeit: 25. Juli 2016 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 – 054/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zum Sozialpakt der Vereinten Nationen 4 3. Das soziale Menschenrecht auf Teilhabe an wissenschaftlichen Fortschritt gemäß Art. 15 des VN- Sozialpakts 5 4. Zum Begriff „wissenschaftlicher Fortschritt“ 6 5. Zur Erwähnung des Menschenrechts auf Teilhabe am wissenschaftlichen Fortschritt laut VN-Sozialpakt im Staatenberichtverfahren 7 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 – 054/16 Seite 4 1. Einleitung Derzeit existieren neun grundlegende internationale Menschenrechtsabkommen. Sie sind alle für die Vertragsstaaten im Gegensatz zu vielen anderen Erklärungen der Vereinten Nationen (VN) völkerrechtlich bindend. Diese sind1: Zivilpakt (ICCPR) Sozialpakt (ICESCR) Anti-Rassismus-Konvention (ICERD) Frauenrechtskonvention (CEDAW) Anti-Folter-Konvention (CAT) Kinderrechtskonvention (CRC) Wanderarbeiterkonvention (ICRMW) Behindertenrechtskonvention (CRPD) Konvention gegen Verschwindenlassen (CPED) In der vorliegenden Dokumentation wird auf den Sozialpakt der Vereinten Nationen (Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte) eingegangen. Es wird der Fünfte Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland dazu vorgestellt und auf die abschließenden Bemerkungen des VN-Sozialpaktausschusses (im Folgenden auch Fachausschuss genannt) vom 20. Mai 2011 (veröffentlich am 12. Juli 2011) eingegangen. Hierbei fokussiert sich die Darstellung auf Artikel 13 und 14 des Sozialpaktes (Recht auf Bildung). 2. Zum Sozialpakt der Vereinten Nationen Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt, ICESCR) vom 16. Dezember 1966 ist am 3. Januar 1976 in Kraft getreten. Von deutscher Seite wurde er durch die Bundesregierung am 9. Oktober 1968 unterzeichnet und die Ratifizierungsurkunde am 17. Dezember 1973 hinterlegt2. Der letzte Staatenbericht (5. Bericht) stammt aus dem Jahr 2008, im Juni 2016 ist der 6. Bericht fällig.3 Um Staatenberichte auswerten zu können, werden Vertreterinnen oder Vertreter der betreffenden Regierung eingeladen, die den Bericht vor dem Fachausschuss erläutern und Fragen in einer öffentlichen Sitzung beantworten. Danach werden „Abschließende Bemerkungen (Concluding Observations, Concluding Comments)“ verfasst, die die durchgeführten Fortschritte anerkennen, bestehende Defizite benennen und Vorschläge für 1 Informationen im Internet abrufbar unter: http://www.institut-fuermenschenrechte .de/menschenrechtsinstrumente/vereinte-nationen/menschenrechtsabkommen/uebersicht/ [zuletzt abgerufen am 14. Juli 2016]. 2 Bundesgesetzblatteintrag: BGBl 1976 II, 428. 3 Laut Informationen des Deutschen Instituts für Menschenrechte wurde der „Fünfte Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland zum UN-Sozialpakt am 6. und 9. Mai 2011 in der 46. Sitzung des Fachausschusses diskutiert […] Am 20. Mai 2011 wurden die Abschließenden Bemerkungen des UN-Sozialpaktausschusses veröffentlicht. Sie enthalten konkrete Handlungsempfehlungen an die deutsche Bundesregierung.“ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 – 054/16 Seite 5 eine bessere Umsetzung des Vertrages formulieren (Empfehlungen). Im Fall des Sozialpaktes stammen die letzten „Abschließenden Bemerkungen zum 5. Bericht“ vom 20. Mai 2011. Es existiert ein erstes Zusatzprotokoll (Individualbeschwerde- und Untersuchungsverfahren) zum Sozialpakt vom 10. Dezember 2008, das am 5. Mai 2013 in Kraft getreten ist. Dieses wurde von Deutschland bislang nicht unterzeichnet.4 Der VN-Sozialpakt „enthält die wichtigsten wirtschaftlichen Rechte (Recht auf Arbeit, Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen, Gewerkschaftsfreiheit, Streikrecht), sozialen Rechte (Schutz der Familie, Mutterschutz, Schutz von Kindern und Jugendlichen, Rechte auf soziale Sicherheit, angemessenen Lebensstandard, Ernährung, Kleidung, Wohnung, Gesundheit, Wasser und Sanitärversorgung) und kulturellen Rechte (Recht auf Bildung, Teilnahme am kulturellen Leben und den Schutz des geistigen Eigentums). Ebenso sind die Forderung nach Gleichstellung der Geschlechter, ein umfassendes Diskriminierungsverbot und das Selbstbestimmungsrecht der Völker aufgeführt.“5 In Deutschland ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) innerhalb der Bundesregierung federführend für die Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Sozialpakt.6 3. Das soziale Menschenrecht auf Teilhabe an wissenschaftlichen Fortschritt gemäß Art. 15 des VN-Sozialpakts Artikel 15 des Sozialpaktes befasst sich mit dem Recht auf Teilhabe am wissenschaftlichen Fortschritt7: „Artikel 15 (1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden an, a) am kulturellen Leben teilzunehmen; b) an den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung teilzuhaben; c) den Schutz der geistigen und materiellen Interessen zu genießen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen. 4 Informationen des Instituts für Menschenrechte: http://www.institut-fuermenschenrechte .de/menschenrechtsinstrumente/vereinte-nationen/menschenrechtsabkommen/uebersicht/ [zuletzt abgerufen am 14. Juli 2016]. 5 Quelle: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsinstrumente/vereintenationen /menschenrechtsabkommen/sozialpakt-icescr/ [zuletzt abgerufen am 14. Juli 2016]. 6 http://www.bmas.de/DE/Themen/Soziales-Europa-und-Internationales/International/Internationale- Organisationen/vereinte-nationen.html [zuletzt abgerufen am 14. Juli 2016]. 7 Artikel 13 aus „Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ vom 19.Dezember 1966 Bundesgesetzblatt (BGBl) 1976 II, 428: http://www.institut-fuermenschenrechte .de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/ICESCR/icescr_de.pdf [zuletzt abgerufen am 14. Juli 2016]. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 – 054/16 Seite 6 (2) Die von den Vertragsstaaten zu unternehmenden Schritte zur vollen Verwirklichung dieses Rechts umfassen die zur Erhaltung, Entwicklung und Verbreitung von Wissenschaft und Kultur erforderlichen Maßnahmen. (3) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die zu wissenschaftlicher Forschung und schöpferischer Tätigkeit unerlässliche Freiheit zu achten. (4) Die Vertragsstaaten erkennen die Vorteile an, die sich aus der Förderung und Entwicklung internationaler Kontakte und Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet ergeben.“8 4. Zum Begriff „wissenschaftlicher Fortschritt“ Der Begriff „wissenschaftlicher Fortschritt“ ist seit einiger Zeit Gegenstand teils kontroverser Debatten in der Wissenschafts- und Erkenntnistheorie. Zu den besonders bekannten Beispielen zählen Karl Poppers „The Logic of Scientific Discovery“ (1959) und „Conjectures and Refutations“ (1963) sowie Thomas Kuhns „The Structure of Scientific Revolutions“ (1962)9. In einer Sammlung von Studien zur Wissenschafts- und Technikgeschichte beschreibt C. Ulises Moulines die Geschichte der erkenntnistheoretischen Debatte um den Begriff wie folgt10: „Der Begriff des wissenschaftlichen Fortschritts mag in den Augen der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der öffentlichen Meinung im Allgemeinen als ziemlich banaler Begriff erscheinen, da klar zu sein scheint, erstens was jedermann darunter versteht, und zweitens ebenfalls, dass seit einigen Jahrhunderten enorme wissenschaftliche Fortschritte erzielt worden sind […]. Bis in die Mitte der 60er Jahre hinein erschien der Begriff des wissenschaftlichen Fortschritts auch der überwiegenden Mehrheit der Wissenschaftstheoretiker wenn nicht gerade banal, so doch, im Hinblick auf seine faktische Realität, wenig problematisch. […] nach Erscheinen der Schrift ` Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen´ von Thomas Kuhn im Jahre 1962 änderte sich der Akzent der Diskussion […]. Die Arbeiten von Kuhn und Feyerabend hatten einen sehr großen Einfluss auf die Diskussionen über den Charakter der Entwicklung der Wissenschaften. Andere Autoren sind ihrer Betrachtungsweise gefolgt und haben sie sogar noch stärker akzentuiert, unter anderem einige Philosophen, die vom späten Wittgenstein inspiriert waren […].“ 8 Fettung durch den Autor der Dokumentation. 9 Quelle: http://plato.stanford.edu/entries/scientific-progress/ [zuletzt abgerufen am 21. Juli 2016]. 10 Vgl. Rudolf Seising, Menso Folkerts, Ulf Hashagen (Hrsg.): Form, Zahl, Ordnung: Studien zur Wissenschaftsund Technikgeschichte, Franz Steiner Verlag, 2004, ISBN 3515085254, S. 125ff. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 – 054/16 Seite 7 Während auf der einen Seite Wissenschaftler zu dem Schluss kommen, dass ein echter und allgemeiner Begriff des wissenschaftlichen Fortschrittes sinnlos sei11, sagen andere, dass dies weder der Realität noch dem „gesunden Menschenverstand“ entspreche12. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird wissenschaftlicher Fortschritt oftmals mit technologischen Erneuerungen oder naturwissenschaftlich neuen Erkenntnissen gleichgesetzt. Beispielsweise wird im Zusammenhang mit der Diskussion um medizintechnologische Erneuerungen ein Recht auf Teilhabe am Fortschritt angesprochen und ist in diesem Zusammenhang meist mit einer ethischen Debatte über die Grenzen dessen, was eine Gesellschaft für sich verantworten kann, verbunden.13 5. Zur Erwähnung des Menschenrechts auf Teilhabe am wissenschaftlichen Fortschritt laut VN-Sozialpakt im Staatenberichtverfahren Der Fünfte Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 16 und 17 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte umfasst den Berichtszeitraum Ende 1998 (teilweise Mitte 1999) bis Ende 2005 (teilweise Mitte 2006).14 In diesem werden Beschwerden und Empfehlungen aus der Diskussion des vorhergegangenen Vierten Staatenbericht (1999) aufgegriffen. Es wird zwar im Zusammenhang mit der Diskussion um Artikel 15 und die durch den Fachausschuss angemeldete Besorgnis auf Teilhabe am kulturellen Leben und auf das Urheberrecht eingegangen. Das Recht auf Teilhabe am wissenschaftlichen Fortschritt ist aber nicht explizit Gegenstand der Kritik des Fachausschusses und der Darstellung der Bundesregierung. Im Juli 2011 wurden vom Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen die abschließenden Bemerkungen der Prüfung der Staatenberichte nach 11 Ebd., Seite 126. 12 Ebd., Seite 126. 13 Siehe hierzu beispielsweise: Matthias Kettner: Forschungsfreiheit und Menschenwürde am Beispiel der Stammzellforschung, Politik und Zeitgeschichte (B23-24/2004): „Einzelne in politischen Gemeinschaften bzw. diese Gemeinschaften selbst müssen mitbestimmen können, welchen Fortschritt sie wollen bzw. was vom Fortschritt, den andere dafür halten und durchsetzen, sie nutzen wollen - und was nicht. Problematisch ist am Menschenrechts-Artikel 27, dass seine fortschrittsoptimistische Formulierung leicht übersehen lässt, dass wissenschaftlicher Fortschritt nicht per se gut ist (das ist er nur innerhalb der Wissenschaft selbst), sondern erst im Lichte einer Bewertung, die ihre Maßstäbe nicht der Wissenschaft entlehnt, sondern den lebenspraktischen Bedürfnissen der Menschen im Lichte ihrer Vorstellungen vom guten Leben. Das Recht auf Teilhabe am Fortschritt, z.B. am verheißenen Fortschritt der Medizintechnik durch die SZF, wird von uns so blindlings oder aber so umsichtig in Anspruch genommen, wie unbefragt oder aber aufgeklärt unsere Vorstellungen vom guten Leben sind.“ 14 Der Bericht ist im Internet abrufbar unter: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/5-staatenberichtkulturelle -rechte.pdf?__blob=publicationFile&v=2 [zuletzt abgerufen am 18. Juli 2016]. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 – 054/16 Seite 8 Artikel 16 und 17 des Paktes vorgelegt.15 Auch hierin wird lediglich einmal Bezug genommen auf Artikel 15 (Empfehlungspunkt 32). Diese Kritik bezieht sich allerdings nicht auf die Teilhabe am wissenschaftlichen Fortschritt, sondern auf die „uneingeschränkte Ausübung kultureller Rechte“.16 Auf Fragen des Fachausschusses zum fünften deutschen Bericht über die Anwendung des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte antwortete die Regierung der Bundesrepublik Deutschland.17 Die Frage 31 des Fachausschusses bezieht sich zwar auf Artikel 15 des Sozialpaktes, allerdings in Hinblick auf „Teilhabe an und den Zugang zu kulturellen Gütern, Einrichtungen und Aktivitäten seitens der gesellschaftlich schwächsten Gruppen.“ Als Reaktion auf die abschließenden Bemerkungen des VN-Ausschusses für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte hat die Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales am 31. Januar 2012 für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem VN-Ausschuss eine Stellungnahme abgegeben. In dieser Stellungnahme wird auf die Teilhabe an wissenschaftlichem Fortschritt nicht Bezug genommen. - Ende der Bearbeitung – 15 Im Internet abrufbar unter: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/bemerkungen-ausschuss-zum-5- staatenbericht.pdf?__blob=publicationFile&v=2 [zuletzt abgerufen am 18. Juli 2016]. Dokument ohne Datum. 16 Ebd., Seite 9. 17 Im Internet abrufbar unter: http://www.bmas.de/DE/Themen/Soziales-Europa-und- Internationales/International/Internationale-Organisationen/vereinte-nationen.html [zuletzt abgerufen am 18. Juli 2016].