© 2021 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 053/21 Negative SARS-CoV-2-Tests als Voraussetzung für die Teilnahme am schulischen Präsenzunterricht Ein Rechtsprechungsüberblick Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Zusammenfassung 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 053/21 Seite 4 1. Einleitung In mehreren Bundesländern ist die Beibringung einer negativen Testung auf eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 (im Folgenden: Coronatest) Voraussetzung für die Teilnahme am schulischen Präsenzunterricht. Die entsprechenden Regelungen der Infektionsschutzverordnungen der Länder waren Gegenstand von obergerichtlichen Entscheidungen in Baden- Württemberg, Bayern, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein sowie des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg. Die Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe1 hielten in ihren Beschlüssen einhellig an den Regelungen zur testabhängigen Teilnahme am Präsenzunterricht fest. Dieser Sachstand fasst diejenigen gerichtlichen Erwägungen zusammen, welche sich auf den schulischen Bildungsauftrag beziehen. 2. Prozessualer Hintergrund Prozessual lagen den Verfahren Anträge auf Eilrechtsschutz im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens zugrunde. Die Antragstellenden begehrten die vorläufige Aussetzung der jeweiligen Regelungen der Infektionsschutzverordnungen der Bundesländer. Gemäß § 47 Abs. 6 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen , wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Dabei nimmt das Gericht eine summarische (d.h. vorläufige/überschlägige) Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache vor. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag in der Hauptsache voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen , dass der Antrag zulässig und voraussichtlich begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache ausgesetzt werden muss. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag nicht hinreichend abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind dabei die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist.2 Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, die Oberverwaltungsgerichte der Länder Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein sowie das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen betrachteten die Anträge nach summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache als 1 In Baden-Württemberg, Bayern und Hessen wird das Oberverwaltungsgericht als Verwaltungsgerichtshof (VGH) bezeichnet. 2 BayVGH, Beschluss vom 12.4.202120, NE 21.926, zitiert nach juris - Rn. 10 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 053/21 Seite 5 unbegründet.3 Die jeweiligen Regelungen würden auf einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage beruhen und sich voraussichtlich als formell und materiell rechtmäßig darstellen. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg waren die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens in der Hauptsache „allenfalls als offen“ zu bezeichnen. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der angegriffenen Normen drängte sich dem Gericht nicht auf. Die Folgenabwägung ging aber zulasten der Antragstellenden aus.4 Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen -Anhalt und das Sächsische Oberverwaltungsgericht nahmen eine ergänzende Folgenabwägung vor, die zulasten der Antragstellenden ausging.5 Die mit dem weiteren Vollzug der von den Antragstellenden angegriffenen Normen verbundenen Grundrechtsbeeinträchtigungen seien nicht von solchem Gewicht, dass sie das gegenläufige Interesse am Schutz von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen, welche angesichts des derzeitigen Infektionsgeschehens in überaus hohem Maße gefährdet seien, zu überwiegen vermögen und es deshalb angemessen wäre, den Vollzug der streitgegenständlichen Regelung auszusetzen.6 3. Kontext der beanstandeten Regelungen Die angegriffenen Regelungen der Infektionsschutzverordnungen der Bundesländer unterschieden sich hinsichtlich der Art des beizubringenden Tests. So bestand zum Zeitpunkt der hier untersuchten Gerichtsentscheidungen in einigen Bundesländern (z.B. Niedersachsen, Schleswig- Holstein) für die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, einen Selbsttest in vertrauter häuslicher Umgebung mit Unterstützung der Eltern durchzuführen und das Ergebnis von diesen unterzeichnen zu lassen, in anderen Bundesländern (z.B. Bayern, Nordrhein-Westfalen) hingegen nicht. Die Verordnung des Landes Baden-Württemberg räumte die Möglichkeit der Selbsttestung im häuslichen Umfeld nur Grundschülern ein. Der Verordnungsgeber für den Freistaat Sachsen passte seinen Verordnungsinhalt wiederholt an. Während Grundschulkinder zunächst von der testabhängigen Teilnahme am Präsenzunterricht ausgenommen waren, wurden sie später ebenfalls von dieser erfasst. 3 BayVGH, Beschluss vom 12.4.202120, NE 21.926, zitiert nach juris - Rn. 12; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.4.2021, 1 S 1204/21, zitiert nach juris - Rn. 151; OVG Bremen, Beschluss vom 20.4.2021, 1 B 180/21, zitiert nach juris - Rn. 33; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 19.4.2021, 13 MN 192/21, zitiert nach juris - Rn. 20; OVG NRW, Beschluss vom 22.4.2021, 13 B 559/21, zitiert nach juris - Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt , Beschluss vom 16.4.2021, 3 R 94/21, zitiert nach juris - Rn. 32; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 29.4.2021, 3 MR 23/21, zitiert nach juris - Rn. 11; Sächsisches OVG, Beschluss vom 19.3.2021, 3 B 81/21, zitiert nach juris - Rn. 14. 4 OVG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 12.4.2021, OVG 11 S 48/21, zitiert nach juris - Rn. 17, 29; OVG Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 15.4.2021, OVG 11 S 51/21, zitiert nach juris - Rn. 16, 24. 5 OVG NRW, Beschluss vom 22.4.2021, 13 B 559/21, zitiert nach juris - Rn. 112; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.4.2021, 3 R 94/21, zitiert nach juris - Rn. 65; Sächsisches OVG, Beschluss vom 19.3.2021, 3 B 81/21, zitiert nach juris - Rn. 64 f. 6 So beispielhaft OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.4.2021, 3 R 94/21, zitiert nach juris - Rn. 65. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 053/21 Seite 6 Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof und das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen äußerten in ihren Beschlüssen keine rechtlichen Bedenken gegen den Ausschluss der Selbsttestung von Schülerinnen und Schülern im häuslichen Umfeld. Die Gerichte vertraten die Auffassung , dass eine solche Selbsttestung voraussichtlich nicht gleich wirksam wäre, weil sie nicht wirksam zu kontrollieren sei. Unabhängig von etwaigen Manipulationsmöglichkeiten, die sich im häuslichen Bereich ergeben könnten, würde der in der Schule durchgeführte Test die bessere Gewähr dafür bieten, dass er tatsächlich, regelmäßig und ordnungsgemäß durchgeführt wird.7 4. Erwägungen mit Bezug auf den Bildungsauftrag 4.1. Keine Testpflicht im Rechtssinne Die Gerichte betonten, dass Testungen bzw. die Erbringung von Testnachweisen freiwilliger Natur seien.8 Durch die streitgegenständlichen Regelungen werde keine Testpflicht im Rechtssinne statuiert, weil die Erfüllung der Testung nicht erzwungen werden könne. Vielmehr treffe die Schülerinnen und Schüler die Obliegenheit, ein entsprechendes negatives Testergebnis vorzuweisen , um am Präsenzunterricht teilnehmen zu können.9 Obliegenheiten würden keinen Erfüllungsanspruch begründen; die Befolgung sei Gebot des eigenen Interesses, da die oder der Betroffene bei ihrer Nichtbefolgung rechtliche Nachteile erleide.10 Eine gänzlich freiwillige Testung stelle zwar ein milderes, aber nicht gleich geeignetes Mittel dar. Bei freiwilligen Testungen sei gerade nicht gewährleistet, dass sich alle auf dem Schulgelände befindlichen Personen einem Schnelltest unterzogen haben und dieser ein negatives Testergebnis aufweist.11 4.2. Milderes Mittel im Vergleich zu Schulschließungen Durch die Einführung von Zugangsbeschränkungen als gegenüber einer Schließung milderes Mittel solle erreicht werden, den Schülerinnen und Schülern möglichst weitgehend ein Bildungsangebot in Präsenzform zu ermöglichen, zugleich aber alle betroffenen Schülerinnen und Schüler sowie an der Schule tätiges Personal bestmöglich vor einer Infektion mit dem Coronavirus SARS- CoV-2 zu schützen. Die Zugangsbeschränkung diene daher gerade der Verwirklichung des Bildungsanspruchs aller Schülerinnen und Schüler. Schulschließungen könnten zu schwerwiegenden Einschränkungen und Belastungen betroffener Kinder und Familien führen sowie die Bildungsgerechtigkeit erheblich beeinträchtigen. Dies seien nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs tragfähige Erwägungen, um im Rahmen einer Abwägungsentscheidung den besonderen schulischen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler sowie auch des schulischen 7 BayVGH, Beschluss vom 12.4.2021, 20 NE 21.926, zitiert nach juris - Rn. 22; OVG NRW, Beschluss vom 22.4.2021, 13 B 559/21, zitiert nach juris - Rn. 79. 8 OVG Bremen, Beschluss vom 20.4.2021, 1 B 180/21, zitiert nach juris - Rn. 45. 9 BayVGH, Beschluss vom 12.4.2021, 20 NE 21.926, zitiert nach juris - Rn. 14; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 29.4.2021, 3 MR 23/21, zitiert nach juris - Rn. 64. 10 OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30.4.2021, 3 MR 25/21, zitiert nach juris - Rn. 42. 11 OVG Bremen, Beschluss vom 20.4.2021, 1 B 180/21, zitiert nach juris - Rn. 41. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 053/21 Seite 7 Personals Rechnung zu tragen.12 Vergleichbare Erwägungen stellten auch andere Oberverwaltungsgerichte in ihren hier untersuchten Entscheidungen an.13 Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg sei der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Antragstellenden zwar von einigem Gewicht. Es sei ihnen verwehrt, am Präsenzunterricht sowie der Not- und Nachmittagsbetreuung teilzunehmen, wenn sie nicht den Nachweis eines negativen Coronatests erbringen. Hierdurch entgingen ihnen die für ihre Entwicklung förderlichen direkten Sozialkontakte zu Lehrern und Mitschülern. Auch die Wissensvermittlung durch Fernunterricht könnte sich für die Antragstellenden als nachteilig erweisen, wenn ihre Klassenkameraden allesamt im Präsenzunterricht unterrichtet würden. In die Abwägung einzustellen seien aber auch die Interessen der Mitschülerinnen und Mitschüler daran, am Präsenzunterricht in einer möglichst sicheren Umgebung teilnehmen zu können. Wenn die Antragstellenden hierzu keinen Beitrag leisten möchten, können sie nach Ansicht des Gerichts ohne Rechtsfehler auf die Inanspruchnahme des Fernunterrichts verwiesen werden.14 4.3. Kein Ausschluss vom Unterrichtsangebot Schülerinnen und Schüler, welche einen Test nicht durchführen wollen oder können, würden nach Auffassung der Gerichte nicht vom Unterrichtsangebot ausgeschlossen. Vielmehr können sie - und müssen dies zur Erfüllung der Schulpflicht letztlich auch - am Distanzunterricht und Distanzlernen teilnehmen.15 Die Frage, inwieweit und unter welchen Bedingungen Unterrichtsformen aus der Ferne, auch mithilfe digitaler Angebote, insbesondere für jüngere Kinder geeignet sind und zu Lernerfolgen führen können, habe zuvörderst der Verordnungsgeber bzw. der Träger der öffentlichen Bildungsangebote zu beantworten. Es bestehe grundsätzlich kein Anspruch auf bestimmte Lerninhalte . Dass die Fortführung des Distanzunterrichts betreffend diejenigen Schülerinnen und Schüler , die ihrer Testobliegenheit nicht nachkommen möchten, aufgrund der in den vergangenen Monaten gewonnenen Erfahrungen völlig unvertretbar sein könnte, sei nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gegenwärtig nicht zu erkennen.16 12 BayVGH, Beschluss vom 13.4.2021, 20 NE 21.1032, zitiert nach juris - Rn. 19 ff. Zur Beibringung eines Tests als gegenüber dem Ausschluss vom Präsenzbetrieb mildere Maßnahme vgl. OVG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 12.4.2021, OVG 11 S 48/21, zitiert nach juris - Rn. 24. 13 VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.4.2021, 1 S 1204/21, zitiert nach juris - Rn. 158; OVG Bremen, Beschluss vom 20.4.2021, 1 B 180/21, zitiert nach juris - Rn. 34; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 19.4.2021, 13 MN 192/21, zitiert nach juris - Rn. 52; OVG NRW, Beschluss vom 22.4.2021, 13 B 559/21, zitiert nach juris - Rn. 112; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.4.2021, 3 R 94/21, zitiert nach juris - Rn. 61; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 29.4.2021, 3 MR 23/21, zitiert nach juris - Rn. 82; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30.4.2021, 3 MR 25/21, zitiert nach juris - Rn. 43, 55. 14 VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.4.2021, 1 S 1204/21, zitiert nach juris - Rn. 172 ff. 15 Vgl. beispielhaft BayVGH, Beschluss vom 13.4.2021, 20 NE 21.1032, zitiert nach juris - Rn. 24; OVG Sachsen- Anhalt, Beschluss vom 16.4.2021, 3 R 94/21, zitiert nach juris - Rn. 60. 16 BayVGH, Beschluss vom 16.4.2021, 20 NE 21.1036, zitiert nach juris - Rn. 31. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 053/21 Seite 8 Dass ein Distanzlernen gerade für Schülerinnen und Schüler im Grundschulbereich zu einem Präsenzunterricht nicht in jeder Hinsicht qualitativ gleichwertig ist, veranlasse nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt keine andere rechtliche Bewertung hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Testobliegenheit.17 Dieser Bewertung stehe auch nicht entgegen , dass eine vollumfängliche Betreuung durch Lehrkräfte wie zu Zeiten der Schulschließungen (Notbetreuung, vollständiger Distanzunterricht) nicht erfolgt bzw. die Schülerinnen und Schüler ihre Lernzeit zu Hause verbringen und (nur) mit Lernaufgaben versorgt werden. Dies sei mit Blick auf die begrenzte Kapazität an Lehrkräften weder anders möglich noch stehe zu befürchten , dass die damit verbundenen Nachteile nicht durch konkrete Lernangebote an die Schülerinnen und Schüler in einem noch hinnehmbaren Maß ausgeglichen werden können.18 Bekannt sei, dass Distanzunterricht angesichts der vorhandenen sachlichen und persönlichen Mittel am jeweiligen Schulort unterschiedlich ausgestaltet sei und sich - gerade auch im Grundschulbereich - in bloßen Lernangeboten (Aufgabenstellungen) erschöpfen könne.19 4.4. Recht auf schulische Bildung Die Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe beleuchteten in ihren Entscheidungen auch das von den Antragstellenden vorgebrachte Recht auf schulische Bildung insbesondere im Hinblick auf dessen Verankerung in den jeweiligen Landesverfassungen. Im Ergebnis erkannte kein Gericht eine Rechtsverletzung aufgrund der testabhängigen Teilnahme am Präsenzunterricht . Es dürfte nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen schon kein Eingriff in das Recht der Eltern auf Erziehung und Bildung ihrer Kinder in der Schule (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG; Art. 8 Abs. 1 Satz 2 LV NRW20) und das entsprechende Recht ihrer Kinder (Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 8 Abs. 1 Satz 1 LV NRW) vorliegen. Diese Rechte würden lediglich einen Anspruch auf Teilhabe an den vorhandenen öffentlichen Bildungseinrichtungen und -angeboten bzw. auf Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen unter zumutbaren Bedingungen begründen. Die Bestimmung der Voraussetzungen für den Zugang zu den Schulen gehöre hingegen zum staatlichen Gestaltungsbereich.21 17 OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.4.2021, 3 R 94/21, zitiert nach juris - Rn. 61. 18 OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21.4.2021, 3 R 97/21, zitiert nach juris - Rn. 61; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30.4.2021, 3 MR 25/21, zitiert nach juris - Rn. 54. 19 OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21.4.2021, 3 R 97/21, zitiert nach juris - Rn. 61. 20 Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen (LV NRW) vom 28.6.1950, die zuletzt durch das Gesetz vom 30.6.2020 (GV. NRW. S. 644) geändert worden ist. https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_text_anzeigen ?v_id=2320020927105939563. 21 OVG NRW, Beschluss vom 22.4.2021, 13 B 559/21, zitiert nach juris - Rn. 101 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 053/21 Seite 9 Auch nach Ansicht des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts liege der gerügte Verstoß gegen das Recht auf Bildung voraussichtlich nicht vor. Die Verfassung des Freistaates Sachsen (SächsVerf)22 erkenne in Art. 7 Abs. 1 das Recht eines jeden Menschen auf Bildung als Staatsziel an, welches subjektive Rechte nicht vermittele. Im Übrigen sei das Recht auf chancengleiche Schulbildung aus Art. 102 Abs. 1 SächsVerf in Verbindung mit Art. 29 Abs. 2 SächsVerf nicht verletzt. Soweit in diesem Zusammenhang auch das Recht auf eine möglichst ungehinderte Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der Schule und damit der Anspruch der Schülerinnen und Schüler auf eine Entfaltung ihrer Befähigungen im Rahmen schulischer Ausbildung und Erziehung nach Art. 2 Abs. 1 GG angesprochen sei, bestünden ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass die angegriffene Norm unwirksam sein könnte. Das angesprochene Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler bestehe eben nur „im Rahmen“ der vorgesehenen Ausbildung, wonach bei dem geschilderten Infektionsgeschehen Schülerinnen und Schüler vom Präsenzunterricht ausgeschlossen werden können, die sich nicht auf das Corona-Virus testen lassen wollen. Auch soweit die durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 verkündete Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) in Rede stehe, die mit Art. 26 AEMR ein Recht auf Bildung anspricht, gelte nichts anderes.23 Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg prüfte eine Verletzung des Rechts auf Bildung aus Art. 11 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg (LV)24. Es könne nach Auffassung des Gerichts offenbleiben, ob überhaupt ein Eingriff in den Schutzbereich vorliegt. Jedenfalls stehe das aus Art. 11 Abs. 1 LV abgeleitete Teilhaberecht auf Bildung unter dem Vorbehalt der staatlichen Ausgestaltung, dessen Anforderungen nicht höher seien als die Schranken, die Art. 2 Abs. 1 GG25 aufstellt. Die Antragstellenden würden mit ihrer diesbezüglichen Rüge im Ergebnis nicht durchdringen.26 Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht wies darauf hin, dass die testabhängige Teilnahme am Präsenzunterricht gerade der Verwirklichung des Rechts auf Bildung nach Art. 4 Abs. 1 der Niedersächsischen Verfassung (NV)27 diene, indem Präsenzunterricht bei deutlicher Reduktion 22 Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27.5.1992 (SächsGVBl. S. 243), die durch das Gesetz vom 11.7.2013 (SächsGVBl. S. 502) geändert worden ist. https://www.revosax.sachsen.de/vorschrift/3975-Saechsische-Verfassung #a29. 23 Sächsisches OVG, Beschluss vom 19.3.2021, 3 B 81/21, zitiert nach juris - Rn. 57. 24 Verfassung des Landes Baden-Württemberg (LV) vom 11.11.1953, die zuletzt durch Gesetz vom 26.5.2020 (GBl. S. 305) geändert worden ist. http://www.landesrecht-bw.de/jportal /?quelle=jlink&query=Verf+BW&psml=bsbawueprod.psml&max=true&aiz=true-. 25 Das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG wird insbesondere durch die verfassungsmäßige Ordnung begrenzt, worunter alle Rechtsnormen fallen, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehen. Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit müssen ihrerseits dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. 26 VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.4.2021, 1 S 1204/21, zitiert nach juris - Rn. 183. 27 Niedersächsische Verfassung vom 19.5.1993, die zuletzt durch Gesetz vom 10.12.2020 (Nds. GVBl. S. 464) geändert worden ist. http://www.voris.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsvorisprod.psml?showdoccase =1&doc.id=jlr-VerfNDV3Art57&doc.part=X. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 053/21 Seite 10 des Infektionsrisikos in der Schule überhaupt erst ermöglicht werde.28 Diese Erwägung führte auch das Sächsische Oberverwaltungsgericht im Hinblick auf das Staatsziel aus Art. 7 Abs. 1 SächsVerf an.29 Dass ein Distanzlernen gerade für Schülerinnen und Schüler im Grundschulbereich zu einem Präsenzunterricht nicht in jeder Hinsicht qualitativ gleichwertig ist, stelle deren Recht auf Bildung nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt nicht in Frage.30 Die Alternative zu der Öffnung der Schulen unter Durchführung regelmäßiger Selbsttestungen wäre die vollständige Schließung der Schulen. In diesem Fall wären sämtliche Schülerinnen und Schüler auf den Distanzunterricht beschränkt. Gemessen an diesen für die Erfüllung des staatlichen Bildungsauftrags noch gravierenderen Folgen für die Allgemeinheit der Schülerinnen und Schüler seien die mit einem Ausschluss vom Präsenzunterricht verbundenen Beeinträchtigungen der Beschulungsqualität von denjenigen Schülerinnen und Schülern, die sich keinen regelmäßigen Selbsttests unterziehen, als zumutbar hinzunehmen.31 5. Zusammenfassung Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Sachstandes lagen von neun Oberverwaltungsgerichten bzw. Verwaltungsgerichtshöfen Entscheidungen zur testabhängigen Teilnahme am Präsenzunterricht von Schulen vor. Kein Gericht äußerte durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Regelung in der jeweiligen Landesverordnung. Insbesondere bleibe nach Auffassung der Gerichte die Gewährleistung des Bildungsauftrages auch bei einem Verweis auf Distanzunterricht und Distanzlernen im Kern erhalten. Die damit unweigerlich einhergehenden Beeinträchtigungen seien von den Schülerinnen und Schülern, welche sich keiner SARS-CoV-2-Testung unterziehen möchten, sowie deren Eltern hinzunehmen. Die auf eine vorläufige Aussetzung der Regelungen gerichteten Eilverfahren hatten allesamt keinen Erfolg. Der Ausgang der Normenkontrollverfahren in der Hauptsache bleibt abzuwarten. Angesichts der bisher eindeutigen und einhelligen Judikatur sind jedoch bislang keine Ansatzpunkte für von den Eilverfahren abweichende Entscheidungen zu erkennen. *** 28 Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 19.4.2021, 13 MN 192/21, zitiert nach juris - Rn. 65. 29 Sächsisches OVG, Beschluss vom 19.3.2021, 3 B 81/21, zitiert nach juris - Rn. 62. 30 OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21.4.2021, 3 R 97/21, zitiert nach juris - Rn. 60. 31 Ebenda.