© 2015 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 052/2015 Gesundheitliche Auswirkungen von Infraschall-Emissionen durch Windkraftanlagen Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 052/2015 Seite 2 Gesundheitliche Auswirkungen von Infraschall-Emissionen durch Windkraftanlagen Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 052/2015 Abschluss der Arbeit: 01.07.2015 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung 227 - 34613 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 052/2015 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die Machbarkeitsstudie des Umweltbundesamtes 4 2.1. Aufbereitung des Standes des Wissens über Infraschallauswirkungen auf den Menschen 4 2.2. Notwendige Fragestellungen zum Infraschall 5 3. Fazit 7 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 052/2015 Seite 4 1. Einleitung Im Jahr 2014 veröffentlichte das Umweltbundesamt eine „Machbarkeitsstudie zu Wirkungen von Infraschall“. In dieser Studie wird die Entwicklung von Untersuchungsdesigns für die Ermittlung der Auswirkungen von Infraschall auf den Menschen durch unterschiedliche Quellen vorgeschlagen . Die eingehendere Beschäftigung mit Infraschall war notwendig geworden, da seit einigen Jahren Bürgerinnen und Bürger vermehrt über Beeinträchtigungen durch Infraschall oder sog. Brummtonphänomene klagen. Diese werden sowohl durch identifizierbare technische Anlagen als auch durch unbekannte Lärmquellen verursacht. Bei anlagenbedingten Immissionen treten neben Infraschalleinwirkungen auch tieffrequente Schallimmissionen im Hörbereich auf. Aufgrund der großen Wellenlänge von Infraschallphänomenen von mehreren Metern und der äußerst geringen Abnahme von Infraschall über den Abstand gibt es auch zahlreiche Fälle von nicht identifizierbaren Infraschallimmissionen. 2. Die Machbarkeitsstudie des Umweltbundesamtes „Die Bewertung und Beurteilung von tieffrequenten Geräuschen erfolgt derzeit in Deutschland nach der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) in der Fassung von 1998 zusammen mit der DIN 45680 „Messung und Bewertung tieffrequenter Geräuschimmissionen in der Nachbarschaft“ von 1997. Diese Regelungen berücksichtigen nur Geräuschanteile, die eine definierte (mittlere) Hörschwelle überschreiten. Jedoch wird zunehmend in der Öffentlichkeit auf das als unzureichend erlebte Schutzniveau bei tieffrequenten Immissionen Bezug genommen und eine stärkere Begrenzung gefordert. Die mögliche enge kausale Bindung von akustischer Wahrnehmbarkeit (Hörschwelle) und Belästigungserleben muss dahin gehend überdacht werden, dass es Personen mit abgesenkter Hörschwelle gibt. Gerade bei tiefen Frequenzen ist die Dynamik zwischen gerade wahrnehmbaren Geräuschen und der Schmerzschwelle im Vergleich zu den mittleren Frequenzen des Hörbereichs geringer. Es ist deshalb zu vermuten, dass bei Personen mit abgesenkter Hörschwelle bereits Belästigungen auftreten können, obwohl die mittlere Hörkurve noch nicht überschritten wird. Dabei ist derzeit noch weitgehend ungeklärt, welche extraauralen Wirkmechanismen zusätzlich zu einer Lästigkeit führen können“. 2.1. Aufbereitung des Standes des Wissens über Infraschallauswirkungen auf den Menschen Der Ausgangspunkt der Untersuchung war eine eingehende Literaturrecherche. Hierfür wurden alle Literaturquellen herangezogen, die relevante Information versprachen. Über das Internet wurden fachspezifische Datenbanken wie PubMed und Medline abgefragt, die Datenbestände wissenschaftlicher Verbände aus der Akustik, von nationalen und internationalen Konferenzen und von Verlagen durchsucht. Zudem wurde über das Internet in Suchmaschinen mittels Stichworten recherchiert. Dabei wurden auch Foren von Bürgerinitiativen, Beiträge von Verbänden und Presseberichte ausgewertet. Der zusätzliche Informationsgewinn war allerdings beschränkt, da häufig bereits Bekanntes zitiert wird, die angegebenen Quellen oft nicht nachvollziehbar sind oder Meinungen dargestellt werden. Darüber hinaus wurde in Universitätsbibliotheken recherchiert . Konnten über das Internet zumeist nur Kurzfassungen von Beiträgen heruntergeladen werden , so wurden über die Bibliotheken ausschließlich Volltext-Fassungen bezogen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 052/2015 Seite 5 Die Recherche reicht zurück bis in das Jahr 1950. In den frühen Veröffentlichungen stand meist die direkte physische Wirkung von tieffrequentem Schall und Infraschall im Mittelpunkt, die in der Regel mit Schalldruckpegeln oberhalb von 100 dB verbunden ist. Untersuchungen mit niedrigeren Pegeln waren dagegen selten und konzentrierten sich auf die Frage nach der Hörschwelle. Betrachtet man einige exemplarische Untersuchungsergebnisse, wird deutlich, dass Infraschall ab gewissen Pegelhöhen vielfältige negative Auswirkungen auf den menschlichen Körper haben kann. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass viele der negativen Auswirkungen von Infraschalleinwirkungen die Bereiche Herz-Kreislaufsystem, Konzentration und Reaktionszeit, Gleichgewichtsorgane , das Nervensystem und die auditiven Sinnesorgane betreffen. Probanden klagten häufig über Schwindel- und Unbehaglichkeitsempfindungen bei Infraschallexposition. Ein Vergleich der Untersuchungsergebnisse hat gezeigt, dass negative Auswirkungen von Infraschall im Frequenzbereich unter 10 Hz auch bei Schalldruckpegeln unterhalb der Hörschwelle nicht ausgeschlossen sind. Die ersten negativen Auswirkungen wurden bereits bei Schalldruckpegeln von ca. 75 dB festgestellt, wobei die Effekte auch aus Schallanteilen über der Hörschwelle (> 20 Hz) resultieren können. Für eine negative Auswirkung von Infraschall unterhalb der Wahrnehmungsschwelle konnten bislang keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse gefunden werden, auch wenn zahlreiche Forschungsbeiträge entsprechende Hypothesen postulieren. Im Vergleich dazu beträgt die in den meisten Regelwerken des Lärmschutzes angewendete A-Frequenzbewertung ca. 70 dB bei 10 Hz. Der Immissionsrichtwert der TA Lärm von 25 dB(A) ist im Innenraum nachts noch zulässig, somit kann ein unbewerteter Schalldruckpegel von 95 dB nach der derzeitigen Rechtslage im Aufenthaltsraum einer Wohnung noch zulässig sein (ausgenommen sind Einzeltöne), die deutlich über den ersten beobachteten Infraschalleffekten bei ca. 75 dB liegen. 2.2. Notwendige Fragestellungen zum Infraschall Aus einer Gesamtauswertung der erfassten Literaturstellen und Veröffentlichungen, ergeben sich wesentliche Fragestellungen und Unzulänglichkeiten im Hinblick auf den Infraschall: - In der Literatur wird beschrieben, dass die Schwankungsstärke einen deutlichen Einfluss auf den Grad der Belästigung hat. Nimmt sie zu, nimmt die Belästigung zu. Dabei ist nicht allein das Maß der Pegelschwankung (Modulationsgrad), sondern auch die Frequenz der Pegelschwankung (Modulationsfrequenz) relevant. Dieser Einfluss wird in den bestehenden Verfahren zur Beurteilung der Belästigung von tieffrequenten Geräuschen und Infraschall entweder gar nicht oder nur ansatzweise berücksichtigt. Hier besteht ein konkreter Ansatz für eine Verbesserung, da viele störende Geräuschsituationen eine deutliche Schwankung oder sogar Impulshaltigkeit aufweisen. - Es fehlen Untersuchungen zu Wirkungsmechanismen in denen die Verbindung von Infraschall , tieffrequenter Schall und Hörschall einbezogen wird. Dabei wären in enger Zusammenarbeit von Medizinern und Akustikern entsprechende akustische Szenarien messtechnisch zu erfassen oder zu generieren, um praktische Problemfälle zu erforschen. - Vielfach wird unterstellt oder beruht sogar auf eigenen Erfahrungen, dass man sich scheinbar an gewisse Dinge auf Dauer gewöhnen kann, so auch an Lärm, wenn er zum Beispiel nicht zu Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 052/2015 Seite 6 laut ist (Habituation). Im Allgemeinen tritt jedoch ein Gewöhnungseffekt nur scheinbar auf und ist oft das Resultat einer Verdrängungsstrategie. Eine solche Strategie scheint aber bei tiefen Frequenzen nur schwer möglich zu sein, denn mit steigender Dauer der Exposition nimmt die Empfindlichkeit zu (Sensibilisierung). Das wirft die Fragen auf: Gibt es dazu ein physiologisches Korrelat, das diesen Vorgang verstehen lässt? Gibt es eine Möglichkeit, diese Sensibilisierung auszuhalten oder sogar wieder rückgängig zu machen? - Wird der Vorgang der Sensibilisierung verstanden, ist vielleicht auch erklärbar, warum nur ein gewisser Anteil der Bevölkerung sehr empfindlich reagiert? In sämtlichen Untersuchungen fehlt eine Erklärung, wodurch sich diese besonders belästigende Wirkung ergibt. Besteht ein direkter Einfluss auf mentale Prozesse? Von der Beantwortung dieser Frage hängt im Wesentlichen ab, welche Qualität ein Schutz gegen tieffrequenten Schall und Infraschall haben muss. - Inwieweit eine Verbindung zu anderen medizinischen Phänomenen besteht ist bislang nicht geklärt. Eine Hypothese ist, dass durch tieffrequenten Schall und Infraschall neuronale Prozesse verursacht werden, die bei einem mehr oder minder leichten Anstoß durch einen akustischen Stimulus ein andauerndes ´Eigenleben` entwickeln. - Unklar ist, ob die Wahrnehmungen von Infraschall rein akustischer Natur sind? Multimodale Stimulanz ist keine Seltenheit. Die Wirkungen modal verschiedener Reize können sich gegenseitig verstärken. Vibration in Kombination mit tieffrequentem Schall oder Infraschall kann besonders bei den Führern eines Verkehrsmittels (z. B. LKW, Bus) zu Störungen führen. In der Literatur wird diese Problematik nur vereinzelt behandelt. - Eine im Zusammenhang mit Infraschall häufig untersuchte Geräuschquelle sind Windenergieanlagen . Die Veröffentlichungen zeigen, dass die Erfassung von Abstrahlung und Ausbreitung der Geräusche von Windenergieanlagen mit Unsicherheiten behaftet sind, die eine fundierte Geräuschprognose erschweren. Mit wachsender Höhe der Windenergieanlagen durchschneiden die Rotorblätter ein stärker variierendes Windprofil. Es ist daher fraglich, ob das Abstrahlungs- und Ausbreitungsmodell für kleinere Windenergieanlagen auf moderne, große Anlagen übertragbar ist. Aufgrund theoretischer Betrachtungen von Strömungsakustikern ist nicht davon auszugehen. Ein erweitertes Wissen über die genannten Vorgänge wäre aber nicht nur eine notwendige Voraussetzung für eine bessere Immissionsprognose. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten auch Hinweise für eine bessere Lärmminderung von Windenergieanlagen liefern. - Defizite zeigen sich auch in der Literatur im Hinblick auf einen Schutz gegen tieffrequenten Schall und Infraschall. Die physikalischen Gegebenheiten von ausgeprägt tieffrequenten Schallen erschweren einen wirksamen Lärmschutz. Sollen effektive bauliche Schallschutzmaßnahmen getroffen werden, so ist der Aufwand bezüglich eingesetzter Massen oder Volumina umgekehrt proportional zu den Frequenzen. Bei tieffrequentem Schall oder sogar bei Infraschall bedeutet dies in der Regel einen kaum realisierbaren Aufwand. Eine Lösung des Problems bei Frequenzen unterhalb von 100 Hz könnte in der Anwendung der aktiven Lärmminderung liegen, wie in verschiedenen Veröffentlichungen gezeigt wird. Dabei werden die Abstrahlungs- oder Ausbreitungsbedingungen durch aktive Systeme – bestehend aus Sensor (z. B. Mikrofon), Signalverarbeitung und Aktor (z. B. Lautsprecher) - verändert. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 052/2015 Seite 7 Als Ergebnis der Literaturrecherche liegt eine Datenbank mit ca. 1.200 Beiträgen vor. Die Beiträge sind nach Schlüsselwörtern und Relevanzkriterien abgelegt. Aus Gründen des Urheberrechtes ist es nicht möglich, die Datenbank mit den Volltexten öffentlich zugänglich zu machen. Eine Version , die zumindest die Quellenhinweise und – soweit vorhanden – Kurzfassungen enthält, wurde aber auf einem öffentlich zugänglichen Server abgelegt. Nähere Details zur Datenbank können auf der Webseite zu dem Forschungsvorhaben http://www.infraschallstudie.de abgerufen werden“1. 3. Fazit Die Studie des Umweltbundesamtes bietet eine gute Grundlage zur Erforschung möglicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch Infraschall. Die dabei aufgestellten Fragestellungen sollten in den zukünftigen Forschungsvorhaben berücksichtigt werden. Des Weiteren sollten auch die Forschungsergebnisse ausländischer Wissenschaftler zur Auswirkung von Infraschall auf die menschliche Gesundheit berücksichtigt werden. In Dänemark z.B. besteht de facto ein Baustopp für Windkraftanlagen, da zunächst die Wirkung von Infraschall auf den Mensch besser erforscht werden soll.2 1 Umweltbundesamt (2014). Machbarkeitsstudie zu Wirkungen von Infraschall. Entwicklung von Untersuchungsdesigns für die Ermittlung der Auswirkungen von Infraschall auf den Menschen durch unterschiedliche Quellen . http://www.umweltbundesamt.de/publikationen/machbarkeitsstudie-zu-wirkungen-von-infraschall 2 DÄNISCHE DEBATTE. Macht der Infraschall von Windkraftanlagen krank? In: Die Welt vom 02.03.2015. http://www.welt.de/wirtschaft/energie/article137970641/Macht-der-Infraschall-von-Windkraftanlagen -krank.html