© 2021 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 048/21 Zum Rechtsschutz bei grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 048/21 Seite 2 Umweltverträglichkeitsprüfungen Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 048/21 Abschluss der Arbeit: 26. Mai 2021 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 048/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung 4 3. Weitere Rechtsschutzmöglichkeiten 6 3.1. Bilaterale Abkommen mit der Republik Polen 6 3.2. Verwaltungsverfahren in Polen 7 3.3. Vertragsverletzungsverfahren 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 048/21 Seite 4 1. Einleitung Am 27. April 2015 wurde das „Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die gemeinsame Verbesserung der Situation an den Wasserstraßen im deutsch-polnischen Grenzgebiet (Hochwasserschutz, Abfluss- und Schifffahrtsverhältnisse )“1 in Warschau unterzeichnet. Inhalte des Abkommens sind u.a. die Beseitigung von Schwachstellen zur Gewährleistung stabiler Fahrwasserverhältnisse für die Eisbrecherflotte , eine deutsch-polnische Stromregelungskonzeption für die Grenzoder sowie Ausbaumaßnahmen für die Fahrt von Küstenmotorschiffen zwischen dem Hafen Schwedt und der Ostsee. Die auf der Grundlage dieses Abkommens geplanten Einzelmaßnahmen der Republik Polen mit dem Titel „1B.2 Phase I und Phase II Modernisierungsarbeiten an der Grenzoder im Rahmen des Hochwasserschutzprojekts im Einzugsgebiet der Oder und der Weichsel“ sind Gegenstand einer aktuellen umweltpolitischen Diskussion. Nach Auffassung von Umweltschutzverbänden seien erhebliche Eingriffe in Natur und Landschaft, Verstöße gegen die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und die Wasserrahmenrichtlinie sowie die Gefährdung der Population von Natura 2000-Arten zu erwarten.2 Auch der Ausschuss für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz des Landtages Brandenburg sieht die Ertüchtigung der Oder auf der polnischen Seite des deutsch-polnischen Grenzverlaufs mit Sorge. Es sei zu befürchten, dass negative Auswirkungen auf den ökologischen Strukturreichtum der Oder nicht ausbleiben würden.3 Dieser Sachstand beleuchtet die Möglichkeiten der Einflussnahme des Bundes und des Landes Brandenburg auf die durch die polnische Vertragspartei projektierten Einzelmaßnahmen im Hinblick auf die Einhaltung umweltrechtlicher Rechtsvorschriften. 2. Grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung Ein Vorhaben in Grenznähe, welches erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt des Nachbarstaates haben könnte, unterliegt besonderen Bestimmungen hinsichtlich der Beteiligung an Umweltprüfungen . Auf die von der Republik Polen projektierten Maßnahmen an der Oder dürfte dies mit einiger Wahrscheinlichkeit zutreffen. Den unionsrechtlichen Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Umweltprüfungen bilden die Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und 1 Bekanntmachung im BGBl. 2015 Teil II, S. 845-852, https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl215s0845b.pdf%27%5 D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl215s0845b.pdf%27%5D__1621433432356. 2 Gemeinsame Stellungnahme, Äußerung und Einwendung des Landesbüros anerkannter Naturschutzverbände GbR und des Deutschen Naturschutzrings (DNR), https://www.dnr.de/fileadmin/Positionen/2019-08-UVP-Grenzoder _Stellungnahmen.pdf. 3 Landtag Brandenburg, P-ALUK 7/9, TOP 2.2 „Ausbau der Oder: Stand des Verfahrens auf polnischer Seite und Auswirkungen auf Brandenburg“, https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/starweb/LBB/EL- VIS/parladoku/w7/apr/ALUK/9-005.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 048/21 Seite 5 privaten Projekten (UVP-Richtlinie)4 sowie die Richtlinie 2001/42/EG über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (SUP-Richtlinie).5 Artikel 7 der UVP-Richtlinie enthält Bestimmungen zu einer grenzüberschreitenden Umweltprüfung. Darüber hinaus konkretisiert eine Deutsch-Polnische UVP-Vereinbarung die grenzüberschreitende Beteiligung bei Umweltprüfungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen. Diese Vereinbarung wurde zuletzt im Jahr 2018 erneuert.6 Die grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung für das Vorhaben „1B.2 Phase I und Phase II Modernisierungsarbeiten an der Grenzoder im Rahmen des Hochwasserschutzprojekts im Einzugsgebiet der Oder und der Weichsel" wurde mit dem Beschluss Nr. 5/2020 der Regionalen Umweltdirektion Stettin vom 18. März 20207 abgeschlossen. Das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz des Landes Brandenburg hat fristgerecht Widerspruch gegen diesen Beschluss eingelegt. Der Widerspruch rügt die Außerachtlassung der vom Land Brandenburg sowie anderen Verfahrensparteien eingebrachten Einwendungen und Stellungnahmen. Darüber hinaus wirft der Widerspruch dem polnischen Bescheid eine Verletzung der Wasserrahmenrichtlinie sowie eine Verletzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie vor. Die Auswirkungen auf den Zustand des deutschen Teils der Oder und der dortigen Umwelt seien nicht berücksichtigt worden. Das Vorhaben würde zu einer Veränderung der Flussströmungsbedingungen , einer Erhöhung der Flussströmungsgeschwindigkeit, einer Verlagerung der akkumulierten Substrate, einer Freisetzung von angesammelten toxischen Substraten, einer Versandung der Kiesufer, einer Vertiefung der Flusssohle sowie einer Senkung des Wasserspiegels führen. Diese wesentlichen Umweltveränderungen und die damit einhergehenden Auswirkungen auf verschiedene Tierarten seien von der polnischen Behörde nicht berücksichtigt oder untersucht worden. Schließlich sei auch eine Verletzung des im Jahr 2015 unterzeichneten Deutsch- Polnischen Abkommens zu konstatieren. In dem Abkommen hätten beide Länder einstimmig vereinbart , welche Teile der Oder zu beseitigende Schwachstellen aufweisen. Das im polnischen Bescheid angegebene Vorhaben würde nicht mit den in dem Anhang zum Abkommen festgelegten 4 Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 26 vom 28.1.2012, S. 1), geändert durch die Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 (ABl. L 124 vom 25.4.2014, S. 1). https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02011L0092- 20140515&from=EN. 5 Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.6.2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. L 197/30 vom 21.7.2001, S. 30). https://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32001L0042&from=DE. 6 Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über Umweltverträglichkeitsprüfungen und Strategische Umweltprüfungen im grenzüberschreitenden Rahmen. https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger _BGBl&start=//*[@attr_id=%27bgbl219s0671.pdf%27]#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl219s 0671.pdf%27%5D__1614342415827. 7 Beschluss in deutscher Übersetzung abrufbar unter: https://www.gdws.wsv.bund.de/SharedDocs/Downloads /DE/Planfeststellungsverfahren/700_UVP_Polen_Modernisierungsarbeiten_Oder /Deutsch/Juli_2020/Deutsch.html;jsessionid =F1D7929D5A5C0851151D8340B86817CC.live11314?nn=1213602. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 048/21 Seite 6 Kilometern übereinstimmen und somit über den im Abkommen festgelegten Rahmen hinausgehen . Dies gelte insbesondere für die II. Etappe des Vorhabens.8 Mit Bekanntmachung der Generaldirektion für Umweltschutz der Republik Polen vom 1. März 2021 wurde die Frist für die Beendigung des Widerspruchsverfahrens bis zum 30. Juni 2021 verlängert .9 Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Sachstandes stand das Ergebnis des Widerspruchsverfahrens noch aus. 3. Weitere Rechtsschutzmöglichkeiten 3.1. Bilaterale Abkommen mit der Republik Polen Das „Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die gemeinsame Verbesserung der Situation an den Wasserstraßen im deutsch-polnischen Grenzgebiet (Hochwasserschutz, Abfluss- und Schifffahrtsverhältnisse)“ aus dem Jahr 2015 verweist in Artikel 11 auf das Erfordernis grenzüberschreitender Umweltverträglichkeitsprüfungen . Darüber hinaus enthält das Abkommen keine weiteren umweltrechtbezogenen Abreden. Das in Artikel 15 des Abkommens vorgesehene Prozedere bei Meinungsverschiedenheiten dürfte allein prozedurale Aspekte, nicht aber die Einhaltung materiellen europäischen oder nationalen Umweltschutzrechts zum Gegenstand haben.10 Gerügt werden könnten die fehlende Berücksichtigung materieller Einwendungen sowie Übersetzungsfehler im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung. Auch der Einwand, dass ein Teil der projektierten Maßnahmen über das Abkommen, insbesondere über die Festlegungen in der Anlage zu dem Abkommen („Liste der Schwachstellen in der Grenzoder aus deutscher und aus polnischer Sicht“), hinausgehen , könnte in diesem Zusammenhang eingebracht werden. Gemäß Artikel 15 des Abkommens werden Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung oder Anwendung des Abkommens, soweit möglich, in dem gemäß Artikel 14 bestellten Gemeinsamen Ausschuss oder über Gespräche zwischen den zuständigen Behörden der Vertragsparteien gütlich beigelegt. Gelingt eine solche gütliche Beilegung nicht, so wird die Meinungsverschiedenheit einem in Artikel 15 näher bestimmten Schiedsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Artikel 23 der „Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über Umweltverträglichkeitsprüfungen und Strategische Umweltprüfungen im grenzüberschreitenden Rahmen“ betrifft die Beilegung von Meinungsverschieden- 8 Widerspruch abrufbar unter: https://mluk.brandenburg.de/sixcms/media.php/9/Oderausbau%20- %20MLUK%20Bbg%20Widerspruch%20v.%2013.8.2020%20gegen%20poln.%20Umweltbeschluss%20- %20DE.pdf. 9 Bekanntmachung in deutscher Übersetzung abrufbar unter: https://www.gdws.wsv.bund.de/SharedDocs/Downloads /DE/Planfeststellungsverfahren/700_UVP_Polen_Modernisierungsarbeiten_Oder/20210630_Fristverlaengerung _Widerspruchsverfahren_deutsch.pdf;jsessionid =F1D7929D5A5C0851151D8340B86817CC.live11314?__blob=publicationFile&v=2. 10 Vgl. Rietzler, Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung bei ausländischen Vorhaben im Lichte der Espoo-Konvention , NVwZ 2015, 483 (489): „Die Konvention vermittelt der betroffenen Vertragspartei kein Vetorecht. Die Ursprungspartei muss sich bei ihrer Entscheidung nicht an die vorgebrachten Vorschläge oder an das Ersuchen der betroffenen Vertragspartei halten, es besteht - kennzeichnend für die UVP im Allgemeinen - lediglich eine Berücksichtigungspflicht.“ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 048/21 Seite 7 heiten hinsichtlich ungeklärter Fragen über die Auslegung oder Anwendung dieser Vereinbarung . Vorliegend ist die grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung bereits abgeschlossen . Auch hier könnten eine unzureichende Würdigung der von deutscher Seite eingebrachten Einwände oder Ungenauigkeiten in der Übersetzung der Einwände gerügt werden. Gemäß Artikel 23 Absatz 1 werden Meinungsverschiedenheiten der Arbeitsgruppe für Umweltverträglichkeitsprüfungen und Strategische Umweltprüfungen im grenzüberschreitenden Rahmen zur Klärung vorgelegt. Ist dort eine Klärung nicht zu erzielen, werden die ungeklärten Fragen der Deutsch-Polnischen Kommission für die nachbarschaftliche Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes vorgelegt. Darüber hinaus verweist Artikel 23 Absatz 2 auf die Streitschlichtungsregelung des Artikels 15 des Espoo-Übereinkommens. Danach sollen die betroffenen Vertragsparteien insbesondere versuchen, einen Streit im Verhandlungswege oder unter Rückgriff auf eine andere, für die Streitparteien annehmbare Streitbeilegungsmethode beizulegen. 3.2. Verwaltungsverfahren in Polen Die Prozessvoraussetzungen eines nationalen Verwaltungsverfahrens in der Republik Polen richten sich nach polnischem Recht.11 Die Klagemöglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland oder des Landes Brandenburg vor einem polnischen Gericht können hier nicht abschließend beurteilt werden. In der deutschen Rechtsordnung bestimmt sich die Klagebefugnis in einem Verwaltungsstreitverfahren nach § 42 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach ist eine Klage nur zulässig, wenn die Klägerin/der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in ihren/seinen Rechten verletzt zu sein. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) bejahte die Klagebefugnis niederländischer Grenznachbarn einschließlich der Grenzgemeinden der Niederlande, welche sich vor deutschen Verwaltungsgerichten gegen eine Konversionsgenehmigung und die mit ihr einhergehenden grenzüberschreitenden Lärmimmissionen zur Wehr setzten.12 Dem Rechtsstreit lag die Öffnung eines auf Bundesgebiet gelegenen, grenznahen ehemaligen Militärflugplatzes für die zivile Nutzung zugrunde . Die klagenden Gemeinden rügten insbesondere Verstöße gegen europäisches Umweltrecht und verwiesen auf die Betroffenheit ihrer Erholungsfunktion durch den Lärm. Nach Auffassung des BVerwG lasse sich dem Luftverkehrsrecht - ebenso wie dem sonstigen Umweltrecht - nicht entnehmen, dass grenzüberschreitende Wirkungen unbeachtlich oder mit anderen Maßstäben zu messen wären.13 In einer anderen Entscheidung bejahte das BVerwG die Klagebefugnis eines in den Niederlanden wohnenden niederländischen Staatsbürgers vor den deutschen Verwaltungsgerichten hinsichtlich einer atomrechtlichen Genehmigung.14 11 So auch OVG des Saarlandes, Urteil vom 23.9.1997, 8 M 10/93, zitiert nach juris - Rn. 94: „Sowohl aus der Sicht des Völkerrechts als auch des Europarechts muss die Klägerin als ausländische Gemeinde das Prozessrecht der Bundesrepublik Deutschland so hinnehmen wie es ist.“ 12 BVerwG, Urteil vom 16.10.2008, 4 C 3/07, zitiert nach juris - Rn. 16. 13 Ebenda, Rn. 51. 14 BVerwG, Urteil vom 17.12.1986, 7 C 29/85, zitiert nach juris - Leitsatz. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 048/21 Seite 8 Die Einhaltung umweltrechtlicher Rechtsvorschriften kann grundsätzlich nicht im Klagewege erreicht werden, wenn es an der Geltendmachung einer Verletzung in eigenen subjektiven Rechten fehlt. Eine solche Klage ist nach deutschem Prozessrecht als unzulässig abzuweisen. So lehnte beispielsweise das Verwaltungsgericht Osnabrück die Klagebefugnis einer niederländischen Gemeinde ab, welche vermeintliche Verstöße gegen verfahrens- und materiell-rechtliche Vorschriften aufzählte, ohne dass erkennbar wurde, inwieweit damit zugleich eine Verletzung ihrer eigenen Rechte verbunden sei.15 Mit dem Prüfungsmaßstab im Falle grenzüberschreitender Umweltbelastungen einer genehmigungsbedürftigen Anlage im deutschen Grenzgebiet befasste sich das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG).16 In dem zugrundeliegenden Fall wandte sich ein Niederländer gegen die Genehmigungen zur Errichtung und zum Betrieb mehrerer Windkraftanlagen im deutschen Grenzgebiet. Nach Auffassung des OVG gebiete das völkerrechtliche Territorialprinzip, dass eine deutsche Behörde vor Erteilung einer Genehmigung lediglich prüft, ob das Vorhaben mit dem in der Bundesrepublik Deutschland geltenden öffentlichen Recht übereinstimmt. Dagegen sei nicht Gegenstand des Genehmigungsverfahrens, ob die dem ausländischen Nachbarn nach dem Recht seines Staates gewährleisteten Rechte gewahrt sind. Die deutsche Rechtsordnung ist hinsichtlich der klageweisen Geltendmachung umweltrechtlicher Rechtsverstöße ohne als Klägerin oder Kläger selbst in subjektiven Rechten verletzt zu sein, restriktiv. Wie sich die Rechtslage nach polnischem Recht darstellt, vermag hier nicht beurteilt zu werden. 3.3. Vertragsverletzungsverfahren Die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 258 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) obliegt der Europäischen Kommission. Ein einklagbarer Anspruch auf Einleitung und Durchführung eines solchen Verfahrens existiert nach ständiger Rechtsprechung nicht.17 Ebenso wenig besteht eine Verfolgungspflicht der Kommission. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Kommission insoweit über ein Ermessen verfügt.18 Eine parlamentarische Anfrage vom 1. Juli 2020 betreffend den Ausbau der Oder durch die Republik Polen19 beantwortete die Europäische Kommission am 31. August 2020 wie folgt: 15 VG Osnabrück, Urteil vom 30.1.2004, 2 A 69/02, zitiert nach juris - Rn. 15. 16 OVG Lüneburg, Beschluss vom 1.8.2011, 12 LA 297/09, zitiert nach juris - Leitsatz u. Rn. 4. 17 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Karpenstein, 71. EL August 2020, AEUV Art. 258 Rn. 21. 18 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Karpenstein, 71. EL August 2020, AEUV Art. 258 Rn. 14. 19 Anfrage zur schriftlichen Beantwortung an die Kommission vom 1.7.2020, https://www.europarl.europa .eu/doceo/document/E-9-2020-003892_DE.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 048/21 Seite 9 „Es liegt in erster Linie in der Verantwortung der Mitgliedstaaten, das EU-Recht umzusetzen und dafür zu sorgen, dass die Umweltziele, zu denen auch die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) und der Habitat-Richtlinie gehören, erreicht werden. […] Die Kommission war nicht an Gesprächen zwischen den polnischen und den deutschen Behörden über die Entwicklung des Oder-Projekts beteiligt. Derzeit liegen der Kommission keine Informationen darüber vor, dass Teile des Projekts gegen das EU-Umweltrecht verstoßen. Die Kommission vertraut darauf, dass die zuständigen Behörden für die ordnungsgemäße Anwendung des EU-Rechts sorgen werden. Sollte es Hinweise auf einen Verstoß geben, wird die Kommission in Betracht ziehen, sich mit den deutschen und polnischen Behörden in Verbindung zu setzen, um sich einen vollständigen Überblick über den Sachverhalt zu verschaffen, und, falls erforderlich, die ihr zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um die Einhaltung der Rechtsvorschriften zu gewährleisten.“20 Gemäß Artikel 259 AEUV kann auch jeder Mitgliedstaat den Gerichtshof der Europäischen Union anrufen, wenn er der Auffassung ist, dass ein anderer Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat. Aufgrund der Wächterrolle der Kommission darf dieses Klagerecht jedoch erst dann ausgeübt werden, wenn die Kommission zuvor Gelegenheit hatte, sich ihrerseits mit dem in Frage stehenden Vertragsverstoß zu befassen.21 In der Praxis spielte dieses zwischenstaatliche Vertragsverletzungsverfahren bisher kaum eine Rolle. Von den wenigen aufgrund von Artikel 259 AEUV anhängig gewordenen Verfahren hat eine noch geringere Zahl den EuGH erreicht bzw. wurde von ihm entschieden. Die praktisch geringe Bedeutung des Artikels 259 AEUV geht auf politische Rücksichtnahmen zurück. Auf dem Gebiet der Vertragsverstöße überlassen die Mitgliedstaaten das Feld vorzugsweise der Europäischen Kommission .22 Nach alledem bestünde für die Bundesrepublik Deutschland nur die Möglichkeit, sich im Wege eines informellen Verfahrens durch Hinweise, Anregungen und Erinnerungen an die Europäische Kommission zu wenden und diese auf mögliche Verstöße gegen das Umweltrecht der Union aufmerksam zu machen. *** 20 Schriftliche Antwort im Namen der Kommission vom 31.8.2020, https://www.europarl.europa .eu/doceo/document/E-9-2020-003892-ASW_DE.html. 21 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Karpenstein, 71. EL August 2020, AEUV Art. 259 Rn. 1. 22 Ebenda, Rn. 6 f.