© 2017 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 045/17 Zum Insektenbestand in Deutschland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 2 Zum Insektenbestand in Deutschland Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 045/17 Abschluss der Arbeit: 05.12.2017 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Aktuelle Studie 4 3. Rezeption durch das Fachpublikum, vermutete Ursachen und Handlungsempfehlungen 8 4. Die Haltung von Verbänden 16 4.1. Deutscher Bauernverband (DBV) 16 4.2. NABU – Naturschutzbund Deutschland e.V. 18 5. Rückgang des Insektenbestands als Thema im Deutschen Bundestag 19 6. Zu den Auswirkungen des stark rückläufigen Insektenbestands in Deutschland 21 7. Mögliche Gegenmaßnahmen 24 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 4 1. Fragestellung Am 18. Oktober 2017 wurde in der US-amerikanischen naturwissenschaftlichen Online-Fachzeitschrift PLoS ONE eine Studie1 veröffentlicht, in deren Rahmen ermittelt wurde, dass innerhalb der letzten 27 Jahre die Biomasse flugaktiver Insekten in 63 ausgewählten deutschen Naturschutzgebieten um mehr als 75 Prozent abgenommen habe. Die Veröffentlichung fand großes öffentliches Interesse. Die Ergebnisse der Studie sind insoweit beunruhigend, da Insekten für das Funktionieren unseres Ökosystems unverzichtbar sind bei der Bestäubung von Pflanzen, für die biologische Schädlingskontrolle , für den Abbau organischer Massen, für den Nährstoffkreislauf und als Nahrungsquelle für Vögel, kleine Säugetiere oder Amphibien.2 Im Folgenden werden die Studie und ihre Rezeption durch das Fachpublikum und die einschlägigen Verbände sowie die vermuteten Ursachen für den rückläufigen Insektenbestand vorgestellt, gefolgt von einer kurzen Übersicht über die Behandlung des Themas im Deutschen Bundestag. Schließlich werden die möglichen Auswirkungen des schwindenden Insektenbestands in Deutschland und mögliche Gegenmaßnahmen in den Blick genommen. 2. Aktuelle Studie Die aktuelle Studie, die an der niederländischen Radboud Universität Nijmegen in Zusammenarbeit mit dem Entomologischen Verein Krefeld e. V. sowie einem Co-Autoren der britischen University of Sussex in Brighton entstanden ist, wurde unter dem Titel „More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas“ in der Fachzeitschrift PLoS ONE veröffentlicht. Die Datengrundlage der Studie bilden die Erhebungen des Entomologischen Vereins Krefeld e. V., der über viele Jahre die Biomassen flugaktiver Insekten in seiner Region ermittelt hat. Bereits 2013 hatte der Verein im nordrhein-westfälischen Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch einen Rückgang von über 75 Prozent der Biomasse gegenüber 1989 festgestellt und dieses Ergebnis in Eigenregie in seinen Vereinsmitteilungen veröffentlicht.3 1 Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, Siepel H, Hofland N, Schwan H, et al. (2017) More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas, in: PLoS ONE 12(10): e0185809. Im Internet abrufbar unter https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809 [zuletzt abgerufen am 01.12.2017]. Die in PLoS ONE veröffentlichten Beiträge unterliegen einem Peer-Review-Verfahren. 2 Artikel „Dramatischer Insektenschwund in Deutschland“, in: Süddeutsche Zeitung online. Im Internet abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wissen/insektensterben-dramatischer-insektenschwund-in-deutschland- 1.3713567 [zuletzt abgerufen am 29.11.2017]. 3 Sorg, M.; Schwan, H.; Stenmans, W. & A. Muller: Ermittlung der Biomassen flugaktiver Insekten im Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch mit Malaise Fallen in den Jahren 1989 und 2013. In: Mitteilungen aus dem Entomologischen Verein Krefeld Vol. 1 (2013), pp. 1-5. Im Internet abrufbar unter http://80.153.81.79/~publ/mittevk -2013-1.pdf [zuletzt abgerufen am 30.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 5 Für die aktuelle Studie wurden Daten aus den Jahren 1989 bis 2016 erhoben und ausgewertet. Dazu wurden sogenannte „Malaise-Fallen“ an 63 verschiedenen Standorten in geschützten Gebieten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg aufgestellt. Die gesamte Biomasse der nach einem standardisierten Protokoll gefangenen und gewogenen flugaktiven Insekten wurde ermittelt und berücksichtigt. S1 Fig. Map of study area. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809.s006 Insect trap locations (yellow points) in Nordrhein-Westfalen (n = 57), Rheinland-Pfalz (n = 1) and Brandenburg (n = 5), as well as weather stations (crosses) used in the present analysis.4 Von den 63 Fallen-Standorten wurden 37, das entspricht 59 Prozent, in nur einem Jahr beprobt, 20 Standorte in zwei Jahren, fünf Standorte in drei Jahren und ein Standort in vier Jahren. Daraus ergeben sich 96 einmalige Standort-Jahr-Kombinationen von Messungen der saisonalen Biomasse flugaktiver Insekten. Die Autoren weisen darauf hin, dass ihre Daten keine Längsschnittaufzeichnungen an einzelnen Standorten darstellten und zur Ableitung ortsspezifischer Trends ungeeignet seien. Ein längerer, 4 Aus: Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, Siepel H, Hofland N, Schwan H, et al. (2017) More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas, in: PLoS ONE 12(10): e0185809. Im Internet abrufbar unter https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809 [zuletzt abgerufen am 30.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 6 über mehrere Jahre hinweg gehender Fang sei innerhalb der Schutzgebiete unerwünscht, da der Probenahmeprozess selbst einen negativen Einfluss auf die lokalen Insektenbestände haben könnte. Jedoch erlaubten die Daten durch die Behandlung saisonaler Profile von Insektenbiomasse als Stichproben des Zustands der Entomofauna in Schutzgebieten in Westdeutschland eine Analyse auf einer höheren räumlichen Ebene. Mithilfe statistischer Modellanalysen untersucht die Studie, ob sich klimatische Faktoren, Landnutzung und Lebensraumbeschaffenheit auf den Rückgang der Insekten ausgewirkt haben. Hinsichtlich der klimatischen Faktoren wurden unter anderem Tagesdurchschnitte von Lufttemperatur , Niederschlag, Sonnenscheindauer, Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit einbezogen . Die wechselnde Landnutzung in der Umgebung der Fallen wurde anhand von Luftbildern aus den Zeitperioden 1989 bis 1994 und 2012 bis 2015 ausgewertet. Anhand der Zahlen von Kräutern, Büschen und Bäumen wurde die Pflanzenvielfalt des Lebensraums im Umkreis von 50 Metern um die Fallen dokumentiert und nach wissenschaftlichen Methoden analysiert- Ergebnis der Biomassenauswertung ist, dass der Schwund von Fluginsekten im Hochsommer, wenn die Biomasse die höchsten Werte im Jahr erreicht, bis zu 81,6 Prozent gegenüber 1989 beträgt . Auf den gesamten Auswertungszeitraum eines Jahres (1. April bis 30. Oktober) gerechnet, beträgt der Schwund über 27 Jahre hinweg 76,7 Prozent. Während das Wetter im Untersuchungszeitraum die Menge der Insekten-Biomasse kaum beeinflusst hat – lediglich für die im Mittel um 0,5 Grad Celsius gestiegene Temperatur werden positive Auswirkungen angenommen – , spielt die Bodenbeschaffenheit der Umgebung der Fallen eine große Rolle für die Menge der Insekten-Biomasse. Da die jährliche Abnahmerate aber jeweils vergleichbar war, ist der Schwund offenbar nicht an spezifischen Lebensräumen wie Wald, Grasland , Ackerland, Wasser usw. festzumachen. Die Dokumentation der Pflanzenarten, die in unmittelbarer Nähe der Fallen und in der gleichen Fangsaison durchgeführt wurde, zeigt eine deutliche Abnahme des Artenreichtums von Bäumen, Sträuchern und Kräutern im Verlauf des Untersuchungszeitraums. Wider Erwarten beeinflusste aber auch dieser Umstand die Menge der Biomasse nur schwach negativ. Mithilfe der statistischen Modellanalysen wurden folgende Faktoren ermittelt, die sich in der zeitlichen Entwicklung geringfügig positiv auf die Menge der Insekten-Biomasse auswirkten: eine höhere Temperatur, eine große Artenvielfalt von Kräutern, das Stickstoffangebot im Boden und Ackerland. Der Faktor Ackerland mit seinen für die Insekten-Biomasse negativen Auswirkungen kehrte sich im finalen Modell durch eine Abnahme von Ackerland gegenüber anderen Lebensräumen ins Positive. Der Artenreichtum von Bäumen und die Waldausdehnung wirkten sich gemäß der statistischen Modellanalyse geringfügig negativ auf die Insekten-Biomasse aus. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 7 Fig 5. Marginal effects of temporal changes in considered covariates on insect biomass. Each bar represents the rate of change in total insect biomass, as the combined effect of the relevant coefficient (Table 4) and the temporal development of each covariate independently (S2 and S3 Figs).5 doi: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809.g005 Die entscheidenden Faktoren, die die starke Abnahme der Biomasse flugaktiver Insekten von knapp 76 Prozent in deutschen Naturschutzgebieten seit 1989 erklären würden, konnten in der Studie nicht ermittelt werden. Da der Biomasse-Rückgang während der gesamten Vegetationsperiode und unabhängig von der Art des Lebensraums und der Landschaft zu beobachten ist, müsse es sich nach Auffassung der Autoren um großräumige Faktoren handeln, beispielsweise nicht untersuchte Klimavariablen wie längere Dürreperioden oder fehlender Sonnenschein. Auch die Intensivierung der Landwirtschaft mit erhöhtem Pestizidverbrauch und dem Einsatz neuartiger Pflanzenschutzmethoden, ganzjähriger Bodenbearbeitung, verstärktem Einsatz von Düngemitteln, dem Verschwinden von Feldrändern und der Häufigkeit agronomischer Maßnahmen war nicht Gegenstand der Untersuchung und kann eine plausible Ursache sein. Mit 94 Prozent sind fast alle Standorte der Fallen, die für die Studie verwendet wurden, von landwirtschaftlichen Feldern umgeben. 5 Aus: Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, Siepel H, Hofland N, Schwan H, et al. (2017) More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas, in: PLoS ONE 12(10): e0185809. Im Internet abrufbar unter https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809 [zuletzt abgerufen am 30.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 8 Der nachgewiesene Rückgang der Insektenbiomasse ist umso gravierender, als alle für die Untersuchung aufgestellten Fallen in geschützten Gebieten lagen, die gerade Ökosystemfunktionen und Biodiversität erhalten sollen. Auch die Tatsache, dass nicht nur einzelne Arten wie bestimmte Schmetterlinge oder Bienenarten, sondern die Gesamtmenge der fliegenden Insekten betroffen ist, bedeutet eine neue Dimension des Problems. Die Autoren fordern dringend weitere Forschungen zu den Ursachen des Rückgangs und zu seiner geografischen Ausdehnung sowie zu den Auswirkungen des Insektenschwunds auf Ökosysteme und Ökosystemdienstleistungen.6 3. Rezeption durch das Fachpublikum, vermutete Ursachen und Handlungsempfehlungen Die in der Zeitschrift PLoS veröffentlichte Studie ist Gegenstand der „Unstatistik des Monats“ im Oktober 2017. In der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen Prof. Gerd Gigerenzer, Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin , der Statistiker Prof. Dr. Walter Krämer von der Technischen Universität Dortmund und Prof. Dr. Thomas K. Bauer, Vizepräsident des RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung e.V., monatlich aktuell publizierte Zahlen sowie deren Interpretationen.7 In der Unstatistik „Insektensterben die zweite“ vom 27.10.2017 wird zunächst auf die erste „Unstatistik “ zum Thema mit dem Titel „80 Prozent der Insekten sind verschwunden“ vom 31. August 20178 hingewiesen, die sich auf die öffentlichen Reaktionen zur eingangs erwähnten Publikation des Entomologischen Vereins Krefeld über ihre Messungen an zwei Standorten im Orbroicher Bruch 1989 und 2013 bezieht. Im Anschluss wird die in der Zeitschrift PLoS veröffentlichte Studie thematisiert. Ein Kritikpunkt ist, dass keine der 63 Fallen über den gesamten Zeitraum der Erhebung an einem Ort aufgestellt gewesen sei, sondern dass viele Standorte von Jahr zu Jahr gewechselt hätten, wie die Autoren der Studie selbstkritisch angemerkt hatten. An den meisten Standorten sei keine einzige Wiederholungsmessung durchgeführt worden. Weiterhin wird in der „Unstatistik“ die Wahl des Anfangszeitpunkts kritisiert: „Genauso wichtig für die Bewertung der „76 Prozent“ ist aber auch ein allgemeines Prinzip des kritischen Denkens: Jede berichtete Abnahme zwischen zwei Zeitpunkten hängt davon ab, welchen Anfangszeitpunkt man wählt. Dies gilt besonders bei drastisch schwankenden Werten, wie 6 Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, Siepel H, Hofland N, Schwan H, et al. (2017) More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLoS ONE 12(10): e0185809. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809 7 Weiterführende Informationen zur „Unstatistik des Monats“ unter http://www.rwi-essen.de/unstatistik/ [zuletzt abgerufen am 28.11.2017] 8 Giegerenzer, Gerd: „Unstatistik des Monats: 80 Prozent der Insekten sind verschwunden“ vom 31.08.2017. Im Internet abrufbar unter http://www.rwi-essen.de/unstatistik/70/ [zuletzt abgerufen am 28.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 9 bei Börsenkursen und Biomassen von Insekten. Hätte man das Jahr 1991 statt 1989 als Anfangspunkt gewählt, dann wären es statt 76 Prozent weniger Insekten nur etwa 30 Prozent weniger gewesen .“ Ungeachtet dessen solle man über die Ursachen des Rückgangs nachdenken, für die die Studie keine Erklärung liefere, sich aber gleichzeitig fragen, warum mit möglichst erschreckenden Zahlen Panik gemacht werde.9 Der Geschäftsführer und Leiter Naturbildung Berlin der Deutschen Wildtierstiftung, Michael Miersch, verweist auf methodische Schwächen der zugrunde liegenden Krefelder Zählungen für die in der Zeitschrift PLoS veröffentlichte Studie. Wie die Autoren der „Unstatistik“ hebt auch Miersch die recht willkürlich erscheinende Auswahl der Referenzjahre hervor. Dennoch änderten diese Schwächen nichts an der Tatsache des Abnehmens der Insekten insgesamt wie auch der Artenvielfalt. Miersch kritisiert, dass Aktivisten und Lobbies die ernsthafte Suche nach den Ursachen übertönten und nennt beispielhaft die Anti-Glyphosat-Kampagne. Diese verschweige, dass auch Biolandwirte unter anderem mit dem als bienengefährdend eingestuften Gift Spinosad gegen Insekten spritzten. Zudem verbrauche Biolandbau in Relation zu seinen Erträgen doppelt so viel Fläche wie konventioneller Landbau. Die Ursache für den Insektenrückgang sei vielmehr in der Landschaftsveränderung zu suchen, da das Offenland sowohl für Insekten als auch für Vögel in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend unwirtlicher geworden sei. Dies sei vor allem auf die Überdüngung des Grünlandes, speziell mit Gülle, und auf den rasanten Anstieg des Maisanbaus für Biogas zurückzuführen. Als Gegenmaßnahme nennt Miersch die Schaffung von mehr Brachen als Standorte für Wildpflanzen . Die von 1988 bis 2007 durchgeführten Flächenstilllegungen sollten, diesmal aus ökologischen statt aus ökonomischen Gründen, wieder eingeführt werden.10 Fachleute aus den Bereichen Ökologie, Biologie und Zoologie messen der Studie eine große Bedeutung bei, wobei die Landschaftsökologin Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein von der Albert-Ludwigs -Universität Freiburg gleichzeitig Kritik am Erhebungsverfahren der Studie äußert. Prof. Dr. Teja Tscharnke, Agrarökologe an der Georg-August-Universität Göttingen, hält die Studie aufgrund ihres Umfangs und aufgrund von zeitlich weit auseinanderliegenden Messungen am selben Ort für bedeutend, da nun statistische Belege für das Insektensterben vorlägen. Tscharnke hält den Klimawandel als Verursacher des Insektenschwunds für unwahrscheinlich, da Insekten von höheren Temperaturen profitierten. Wie die Autoren der Studie sieht er den 9 Krämer, Walter: „Unstatistik des Monats: Insektensterben die zweite“ vom 27.10.2017. Im Internet abrufbar unter http://www.rwi-essen.de/unstatistik/72/ [zuletzt abgerufen am 28.11.2017] 10 „Michael Miersch zum Insektensterben“, in: Newsletter 44/2017 / DLG. Auf den Internetseiten der DLG – Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft abrufbar unter http://www.dlg.org/insektensterben.html [zuletzt abgerufen am 07.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 10 landwirtschaftlichen Strukturwandel als wahrscheinlichen Hauptverursacher des Problems, speziell die zunehmende Vorherrschaft von Monokulturen, die sogenannte „ausgeräumte“ Landschaften ohne Brachen, Hecken oder breite Feldränder als Habitate für Insekten erzeuge. Einzelne Schutzgebiete inmitten „ausgeräumter“ Landschaften reichten nicht aus, um die Erholung von Populationen bei größeren Schwankungen, beispielsweise nach extremen Wetterereignissen, zu gewährleisten. Auch die Artenarmut der Ackerflächen, die durch eine Verringerung der Pflanzenvielfalt aufgrund von Überdüngung mit Stickstoff hervorgerufen werde, sei problematisch. Hinzu komme die großflächige Verwendung von Herbiziden, speziell Glyphosat, das zu einem starken Rückgang von Pflanzenarten führe und ebenfalls zu einem Rückgang der Insekten beitrage. Daneben töteten eingesetzte Neonikotinoide Insekten sehr effektiv und veränderten deren Verhalten nachteilig , beispielsweise werde ihre Navigation und Kommunikation untereinander beeinträchtigt.11 Sinnvoll wäre es nach Ansicht Tscharnkes, wenn die landwirtschaftlichen Interessenverbände eine Politik einforderten, die Landwirte sehr viel besser dafür entlohne, dass sie eine nachhaltige Landwirtschaft mit weniger Düngung und Pestizideinsatz betrieben und damit eine Landschaft gestalteten, die Lebensräume für viele Arten biete. Zudem solle beispielsweise das Bundesministerium für Bildung und Forschung Langzeitprogramme zur Erforschung des dramatischen Insektenrückgangs auflegen.12 Die Finanzierung von Langzeitstudien fordert auch Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein, Landschaftsökologin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Daneben hält sie die Forschung nach den Ursachen, die für das Artensterben verantwortlich sind, für ein wichtiges kurzfristigeres Ziel. Sie warnt davor, auf das Vorliegen von Langzeitdaten zu warten, bevor man die Landnutzung ändere, da dies für einige Insektenarten zu spät sein könne. Klein appelliert an die Verbraucher, Lebensmittel zu kaufen, die in für Insekten günstigen Landschaften produziert werden, und regt die Einführung eines Labels für insektenfreundliche Produkte durch die Politik an. Obwohl Klein Kritik am Erhebungsverfahren der Studie äußert – etwa die nur ein- oder zweimalige Beprobung der meisten Fallen-Standorte –, misst sie der Studie aufgrund des ihrer Ansicht nach statistisch klaren Befunds große Bedeutung zu. Ihr Wert liege vor allem darin, dass sie den 11 Interview von Jan Grossarth mit Prof. Dr. Teja Tscharnke: „Das Problem sind die Monokulturen“, in: FAZ online , im Internet abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/agraroekologe-teja-tscharntke-ueber-insektensterben -15256207.html?printPagedArticle=true#void [zuletzt abgerufen am 07.11.2017] 12 Interview von Geraldine Oetken mit Prof. Dr. Teja Tscharnke: „Apokalypse ist schon, dass wir Arten verlieren“, in: Braunschweiger Zeitung vom 24.10.2017. Im Internet abrufbar unter https://www.uni-goettingen .de/de/document/download/a1978fde643b01391515516a608b86e1.pdf/Braunschweiger%20Zeitung,%20Interview ,%2025.10.2017.pdf [zuletzt abgerufen am 07.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 11 Rückgang der Insekten über Jahre hinweg zeige.13 Die Studie sei nicht auf andere Ökosysteme wie Äcker oder Forste übertragbar, da es möglich sei, dass in anthropogen genutzten Ökosystemen die Gesamtbiomasse durch große Schädlingspopulationen hochgehalten werde. Auch sei die Studie nur begrenzt für die Ursachenforschung geeignet.14 Auch Prof. Dr. Johann Wolfgang Wägele, Direktor des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig in Bonn, hebt den großen Wert der Studie aufgrund der ausgewerteten Langzeitdaten hervor. Zum ersten Mal sei ein Datensatz in der vorliegenden Qualität erhoben worden. Wägele ist der Auffassung, dass weder der Klimawandel noch eine Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen für die drastischen Rückgänge des Insektenbestands verantwortlich sind.15 Hinsichtlich der Ursachen gebe es lediglich Hypothesen. Wägele hält die Faktoren Überdüngung, Gülleausbringung und die Anwendung von Pestiziden in der Landwirtschaft für wahrscheinliche Verursacher. Er plädiert für einen Dialog mit den Akteuren, die diese Stoffe einsetzten, und der chemischen Industrie. Darüber hinaus müsse der ökologische Landbau stärker gefördert werden.16 Der Biologe Prof. Dr. Josef Settele, Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle, sieht in der Studie einen Beleg dafür, dass der Schwund bei fliegenden Insekten ein größerflächiges Phänomen sei. Anders als Wägele will Settele das Klima nicht als Faktor ausschließen , da in der Studie nicht alle klimatisch relevanten Faktoren hätten untersucht werden können .17 Er hält die Aussage, dass Wetterveränderungen oder Änderungen der Landnutzung den Gesamt-Rückgang der Insekten nicht erklären könnten, für irreführend. Die Aufschlüsselung von Phänomenen des globalen Wandels nach ihren Ursachen sei grundsätzlich schwierig. 13 Interview mit Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein „Freiburger Forscherin über die Studie zum Insektensterben“, in: Badische Zeitung online, im Internet abrufbar unter http://www.badische-zeitung.de/ratgeber/zischup/freiburger -forscherin-ueber-die-studie-zum-insektensterben [zuletzt abgerufen am 07.11.2017]; Artikel „Ein ökologisches Armageddon", in: Die Zeit Online. Im Internet abrufbar unter http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2017- 10/insektensterben-fluginsekten-gesamtmasse-rueckgang-studie [zuletzt abgerufen am 08.11.2017] 14 Schmitt, Stefan: „Lebt wohl“, in: Zeit Online. Im Internet abrufbar unter http://www.zeit.de/2017/44/insektendaten -forschung-massnahmen [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]; Müller-Jung, Joachim „Wir befinden uns mitten in einem Albtraum“, in: Frankfurter Allgemeine online. Im Internet abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell /wissen/leben-gene/insektensterben-75-prozent-weniger-insekten-in-deutschland-15250672.html [zuletzt abgerufen am 08.11.2017] 15 Baier, Tina: „Dramatischer Insektenschwund in Deutschland“, in: Süddeutsche Zeitung online. Im Internet abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wissen/insektensterben-dramatischer-insektenschwund-in-deutschland -1.3713567 [zuletzt abgerufen am 07.11.2017] 16 Videobeitrag mit Prof. Dr. Johann Wolfgang Wägele „Zahl der Insekten um 75 Prozent gesunken“, in: Frankfurter Allgemeine online. Im Internet abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wissen/zahl-der-insekten-um-75- prozent-gesunken-15255037.html [zuletzt abgerufen am 07.11.2017] 17 Baier, Tina: „Dramatischer Insektenschwund in Deutschland“, in: Süddeutsche Zeitung online. Im Internet abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wissen/insektensterben-dramatischer-insektenschwund-in-deutschland -1.3713567 [zuletzt abgerufen am 07.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 12 Für die Erzielung klarerer Ergebnisse zu den Ursachen des Aussterbens jenseits der Schutzgebiete ist laut Settele die Aufschlüsselung nach Arten der gefangenen Insekten ein Ansatz. An diesem Punkt stoße das Ehrenamt, das bisher enorme Leistungen erbracht habe, an seine Grenzen. Settele fordert den systematischen Aufbau entsprechenden Monitorings als öffentliche Aufgabe mit öffentlichen Geldern.18 Der Zoologe Prof. Dr. Johannes Steidle von der Universität Hohenheim beurteilt die Studie als methodisch sauber und ihre Ergebnisse als schockierend. Die Arbeit zeige flächendeckend für eine große geografische Region Mitteleuropas einen massiven Biomasserückgang für Insekten, so Steidle, was aufgrund der zentralen Rolle von Insekten für das Funktionieren unserer Ökosysteme einem Albtraum gleichkomme.19 Steidle vermutet aufgrund des drastischen Rückgangs bereits an geschützten Standorten eine noch gravierendere Entwicklung in nicht geschützten Ökosystemen .20 Bereits im Oktober 2016 hatten sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der 12. Hymenopterologen -Tagung Stuttgart aufgrund der extremen Rückgänge bei Insekten, insbesondere bei Wildbienen , in einer Resolution mit dem Titel „Resolution zum Schutz der mitteleuropäischen Insektenfauna , insbesondere der Wildbienen“ an die Bundesumweltministerin gewandt.21 Die Forderungen der 77 Forscher sind ein vollständiges Verbot von Insektengiften der Gruppe der Neonikotinoide bis zum wissenschaftlich sauberen Nachweis ihrer Umweltverträglichkeit. Darüber hinaus werden Maßnahmen zur Erhöhung der Strukturvielfalt in der Kulturlandschaft und ein Langzeit-Monitoring von Insekten gefordert mit dem Ziel, gefährdete Bestände zukünftig besser lokalisieren und rechtzeitig Gegenmaßnahmen einleiten zu können.22 18 Müller-Jung, Joachim „Wir befinden uns mitten in einem Albtraum“, in: Frankfurter Allgemeine online. Im Internet abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/insektensterben-75-prozent-weniger-insekten -in-deutschland-15250672.html [zuletzt abgerufen am 08.11.2017] 19 Müller-Jung, Joachim „Wir befinden uns mitten in einem Albtraum“, in: Frankfurter Allgemeine online. Im Internet abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/insektensterben-75-prozent-weniger-insekten -in-deutschland-15250672.html [zuletzt abgerufen am 08.11.2017] 20 Baier, Tina: „Dramatischer Insektenschwund in Deutschland“, in: Süddeutsche Zeitung online. Im Internet abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wissen/insektensterben-dramatischer-insektenschwund-in-deutschland -1.3713567 [zuletzt abgerufen am 07.11.2017] 21 „Resolution zum Schutz der mitteleuropäischen Insektenfauna, insbesondere der Wildbienen“, verfasst von den Teilnehmer/innen der 12. Hymenopterologen-Tagung Stuttgart im Oktober 2016. Im Internet abrufbar unter https://www.uni-hohenheim.de/uploads/media/Resolution_Insektenschutz_Oktober_2016.pdf [zuletzt abgerufen am 08.11.2017] 22 Gemeinsame Pressemitteilung der Universität Hohenheim und des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart vom 28.10.2016 „Alarmstufe Rot – Insektensterben statt Bienentanz: Wissenschaftler fordern Sofortmaßnahmen gegen Artenschwund“. Im Internet abrufbar unter https://www.uni-hohenheim.de/pressemitteilung ?tx_ttnews%5Btt_news%5D=33773&cHash=677ea018c0768c49b0c8d8a79feca8c9 [zuletzt abgerufen am 08.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 13 Die in der Zeitschrift PLoS ONE publizierte Studie hat auch im Ausland Beachtung gefunden. Ein Artikel in der führenden naturwissenschaftlichen US-amerikanischen Fachzeitschrift „Science “ berichtet über die Erhebung der Daten durch den Entomologischen Verein Krefeld und seine bis dato gewonnenen Erkenntnisse. Der Artikel in „Science“ wurde einige Monate vor der Studie veröffentlicht.23 Die Ergebnisse der Studie selbst werden in einem weiteren kurzen Artikel vom 18. Oktober 2017 in der Zeitschrift „Science“ zusammengefasst, jedoch nicht bewertet.24 Gleiches gilt für einen entsprechenden Artikel in der namhaften US-amerikanischen naturwissenschaftlichen Fachzeitschrift „Nature“.25 Auch die New York Times berichtet über die Studie.26 In einem Kommentar vom 14. November 2017 zu ihrer Studie in PLoS ONE nehmen fünf der Autoren der Insektenstudie Stellung zu deren Rezeption in den Medien27 und äußern sich wie folgt: „Im Folgenden erklären wir: Man kann den Rückgang aufgrund der Komplexität des Datensatzes nicht durch eine simple Regression zu den Rohdaten ermitteln. Der ermittelte Trend ist aus allen verfügbaren Daten berechnet worden und ist nicht abhängig von einem bestimmten Startjahr oder Endjahr. Weitere Analysen der Daten bestätigen den Rückgang von mehr als 75% als robuste Berechnung .“28 Zur Herkunft der Daten erläutern die Autoren: „Der Zweck der umfangreichen Probennahme des Entomologischen Vereins Krefeld über fast 30 23 Vogel, Gretchen „Where have all the insects gone?“, in: Science, Vol. 356, Issue 6338 vom 12.05.2017, S. 576 ff. Im Internet abrufbar unter: http://www.sciencemag.org/news/2017/05/where-have-all-insects-gone [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]. doi:10.1126/science.aal1160 24 Vogel, Gretchen „Germany’s insects are disappearing“, in: Science online. Im Internet abrufbar unter http://www.sciencemag.org/news/2017/10/germany-s-insects-are-disappearing [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]. doi:10.1126/science.aar2526 25 Artikel “Flying insects are disappearing from German skies”, in: Nature online. Im Internet abrufbar unter https://www.nature.com/articles/d41586-017-04774-7 [zuletzt abgerufen am 08.11.2017] 26 Artikel „Insect Armageddon“, in: The New York Times online. Im Internet abrufbar unter https://www.nytimes .com/2017/10/29/opinion/insect-armageddon-ecosystem-.html [zuletzt abgerufen am 08.11.2017] 27 Vgl. Artikel „Insektensterben von 76,6 Prozent hält Prüfung stand“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 266 vom 16.11.2017, S. 9. 28 Caspar A. Hallmann, Martin Sorg, Eelke Jongejans, Henk Siepel, Hans de Kroon “From the authors: drawing a line through the raw data gives a wrong estimate of insect decline”, Kommentar der Autoren vom 14.11.2017 zu ihrer Studie “More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas” vom 18.10.2017 in PLoS ONE 12(10). Im Internet abrufbar unter http://journals.plos.org/plosone/article/comment ?id=10.1371/annotation/50f95392-7b52-4d84-b08c-f94c65745bdd [zuletzt abgerufen am 27.11.2017]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 14 Jahre bestand darin, einen qualitativen und quantitativen Überblick über die Diversität fliegender Insekten in deutschen Schutzgebieten zu erhalten. Infolgedessen wurde eine große Vielfalt an Standorten beprobt. Begrenzte Fördermittel und Genehmigungen schränkten die Intensität der Probennahme ein. Folglich wurden nicht alle Lebensraumtypen in allen Jahren beprobt, und in manchen Jahren war es zudem nicht möglich, Proben zu nehmen. Als im Laufe der Jahre Rückgänge auffielen, wurden Standorte zunehmend neu beprobt. Insgesamt wurde ein einzigartiger Datensatz über die Insektenbiomasse mit 1.503 Datenpunkten über eine gesamte Betriebszeit der Insektenfallen von 16.908 Tagen ermittelt. Der Umfang der Daten in Raum und Zeit, basierend auf einer strengen Standardisierung von Probenahme- und Wiegeprotokollen, ermöglicht eine gründliche wissenschaftliche Analyse des Insektenrückgangs. Dies wiederum erlaubt es, eine Gesamtrate des Rückgangs zu berechnen.“29 Über die Zuverlässigkeit der Methodik gibt es unter den Forschern unterschiedliche Auffassungen . Für Johannes Steidle von der Universität Hohenheim spielt die Tatsache, dass an vielen Probestellen nur einmalig Proben genommen wurden, hinsichtlich der Validität der Daten keine Rolle, denn auch eine Teilanalyse der mehrfach beprobten Standorte käme zu demselben Ergebnis wie die Hauptanalyse mit allen Probestellen. Alexandra-Maria Klein von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hält das Versuchsdesign für nicht optimal, denn man habe Datenlücken mit statistischen Modellen ausgleichen müssen. Dies führe zu Unsicherheiten. Ebenfalls nicht optimal sei, dass das Gewicht der Proben nicht als Trockengewicht bestimmt worden sei. Zudem sei ungeklärt, ob die Zahl einzelner Arten möglicherweise sogar gewachsen sei.30 Die statistische Analyse in der Studie wird von den Autoren folgendermaßen beschrieben: „Angesichts der Komplexität der Daten kann man nicht einfach zwischen den Jahresdurchschnittswerten der Rohdaten eine Linie ziehen und so den Rückgang berechnen. Ein Grund dafür ist, dass Habitatcluster nicht in allen Jahren in den gleichen Proportionen vertreten sind. Verschiedene Habitatcluster unterscheiden sich in der Insektenmenge pro Raumeinheit, wobei natürlicherweise feuchtere Grünlandgesellschaften mehr Biomasse enthalten als trockene Sandheiden . Ein weiterer Grund ist die große Variation der Insektenmenge innerhalb jeder Saison (siehe Abb. 2b in der Veröffentlichung). Obwohl die Fallen mindestens einige Monate im Freiland blieben , war die Zeitspanne nicht in allen Jahren für alle Standorte exakt identisch. Dies beeinflusst auch die Jahresmittelwerte der gesammelten Proben. Es existieren solide statistische Techniken, um solche komplexen Daten zu analysieren. Wir haben einen hierarchischen Ansatz gewählt, beginnend mit einem einfachen (Null-)Modell, haben dann zunehmend Faktoren hinzufügt, die die Variation erklären, um mit einem finalen Modell mit Faktoren zu enden, welche die vorliegenden Muster am besten erklären. 29 Ebd. 30 Vgl. Artikel „Zahl der Insekten in Deutschland sinkt deutlich“, in: Spiegel online. Im Internet abrufbar unter http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/insekten-in-deutschland-forscher-bestaetigen-insektensterben-a- 1173525.html [zuletzt abgerufen am 04.12.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 15 Das Nullmodell enthält die saisonale Variation (Tageszahlen) und Habitatcluster. Der vollständige Datensatz erlaubt zuverlässige Berechnungen für diese Effekte, die zusammen bereits 39% der gesamten Variation der Insektenbiomasse erklären. Als nächstes wurde das Jahr als Faktor (und die Interaktion von Jahr zu Tageszahl; Basismodell) hinzugefügt, was zu einer wesentlichen Verbesserung des Modells führte. Dieses Basismodell erklärt 61% der gesamten Variation. Schließlich wurden weitere Faktoren berücksichtigt, wie Wetter, Waldfläche, Ackerfläche (beide in einer Entfernung von 200 m um die Fallen) und die Artenzusammensetzung der Vegetation in unmittelbarer Nähe der Fallen. Wichtig ist auch, dass auch Wechselwirkungen zwischen diesen Faktoren und dem Jahr integriert wurden. Diese Interaktionen erklären einen Teil des Rückgangs über die Jahre hinweg (Abb. 5 in der Veröffentlichung), jedoch in sehr begrenztem Maße. Das finale Modell erklärt 67% der gesamten Variation der Insektenbiomasse (über alle Jahre, Jahreszeiten und Lebensräume). In diesem Modell beträgt der Rückgang 76% über die Zeitspanne von 27 Jahren. Es ist wichtig zu beachten, dass es in dieser Analyse kein Referenzjahr gibt. Das Ziehen einer Linie aus einem Referenzjahr würde die Daten eines einzelnen Jahres überbewerten. Im Gegensatz dazu hat jeder unserer 1503 Datenpunkte gleiches Gewicht bei unserer Analyse der Auswirkungen der im Modell enthaltenen Faktoren. Die Berechnung des jährlichen Rückgangs hängt daher nur in begrenztem Maße vom ersten oder letzten Jahr (oder irgendeinem anderen Jahr) der Messreihen ab.“31 Zur Robustheit der Ergebnisse ihrer Studie erklären die Autoren in ihrem Kommentar: „Es sollte angemerkt werden, dass es keine grundsätzlichen Gründe gibt, Daten aus einem der Jahre wegzulassen, und dies zu tun wäre wissenschaftliches Fehlverhalten. Aus welchem wissenschaftlichen Grund wäre man daran interessiert, die ersten Jahre zu ignorieren? Warum nicht die letzten Jahre ignorieren? Um jedoch alle Zweifel auszuräumen und um die Robustheit der Analyse zu überprüfen, führen wir unsere statistischen Modelle erneut aus, und die Trendberechnungen sind im Ergebnis wie folgt: Jahre 1989 - 2016: Rückgang insgesamt 76,7% - Rückgang in der Mitte des Sommers 81,6% (n = 1503 Datenpunkte, wie in der Publikation) Jahre 1991 - 2016: Rückgang insgesamt 76,8% - Rückgang in der Mitte des Sommers 82,0% (n = 1279 Datenpunkte) Es mag kontraintuitiv erscheinen, dass sich der Trend kaum ändert, wenn die ersten zwei Jahre mit sehr hohen Biomassen nicht berücksichtigt werden. Diese hohen Biomassen sind jedoch keine Ausreißer, sie passen in den Trend, der mit den Folgejahren auf Basis der Daten berechnet 31 Caspar A. Hallmann, Martin Sorg, Eelke Jongejans, Henk Siepel, Hans de Kroon “From the authors: drawing a line through the raw data gives a wrong estimate of insect decline”, Kommentar der Autoren vom 14.11.2017 zu ihrer Studie “More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas” vom 18.10.2017 in PLoS ONE 12(10). Im Internet abrufbar unter http://journals.plos.org/plosone/article/comment ?id=10.1371/annotation/50f95392-7b52-4d84-b08c-f94c65745bdd [zuletzt abgerufen am 27.11.2017]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 16 werden kann. Deshalb ändert sich die Trendberechnung kaum, wenn diese Jahre herausgenommen werden. Wenn die ersten Jahre der Messungen in den allgemeinen Trend passen, könnten wir die Frage stellen, wie der Trend aussehen würde, wenn zusätzlich Daten ab 1980 verfügbar gewesen wären. Die Trendberechnung von 76% könnte durchaus höher ausgefallen sein, wenn ältere Daten hätten einbezogen werden können. Insgesamt zeigen diese zusätzlichen Analysen, dass der starke Gesamtrückgang nicht von den ersten Jahren der Probenahme abhängt. Die Schlussfolgerungen in unserer Publikation sind daher robust. […]32 4. Die Haltung von Verbänden Vonseiten der Forschung wird überwiegend vermutet, dass der landwirtschaftliche Kulturwandel , speziell Monokulturen ohne Habitate für Insekten, Überdüngung und Pestizidausbringung Hauptverursacher des Insektenrückgangs ist. Bewiesen werden konnte dies bislang nicht. 4.1. Deutscher Bauernverband (DBV) Bereits am 17. Juli 2017 hatte der Deutsche Bauernverband eine Pressemeldung herausgegeben, in der er zu der aufkommenden Diskussion zum Insektensterben Stellung nimmt und sich unter anderem auf einen Zeitungsbericht über die Untersuchungen des Entomologischen Vereins Krefeld 33 bezieht. Die in der Zeitschrift „PLoS“ veröffentlichte Studie lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. In dieser Pressemeldung werden die Aussagen des Entomologischen Vereins Krefeld zum Rückgang der Insekten mit der Begründung zurückgewiesen, dass es keine repräsentativen Untersuchungen oder belastbaren Studien über Umfang und Ausmaß von Veränderungen des Insektenbestands gäbe. Es bestehe großer Klärungsbedarf, da flächendeckende Bestandszahlen und systematische Forschungsreihen sowie ein Langzeitmonitoring fehlten. Die Bundesumweltministerin habe zum wiederholten Male die Landwirtschaft für das Insektensterben verantwortlich gemacht, was in dieser Form nicht zu begründen sei. In der Pressemeldung wird kritisiert, dass unter anderem bürokratische Hindernisse den Landwirten die Schaffung insektenfreundlicher Blühstreifen und artenreicher Feldränder erschwerten. Darüber hinaus 32 Ebd. 33 Frey, Andreas „Hat es sich bald ausgekrabbelt?“, in: Frankfurter Allgemeine online vom 23.07.2017. Im Internet abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wissen/insektensterben-hat-es-sich-bald-ausgekrabbelt- 15111642.html [zuletzt abgerufen am 08.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 17 werde – auch vom BMUB – zu wenig gegen den Flächenverbrauch durch Bebauung unternommen .34 Nach Erscheinen der Studie zum Insektensterben in der Zeitschrift PLoS im Oktober 2017 hat der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes mitgeteilt, dass sich voreilige Schlüsse in Richtung Landwirtschaft verbäten, da die Erfassung der Insekten ausschließlich in Schutzgebieten stattgefunden habe. Die Studie selbst betone ausdrücklich, dass es weiteren dringenden Forschungsbedarf zum Umfang und zu den Ursachen des dargestellten Insektenrückgangs gäbe.35 Im März 2017 hatte der DBV ein Positionspapier mit dem Titel „Veränderung gestalten!“ vorgelegt , in dem unter anderem der Schutz von Kulturlandschaft, Boden, Luft und Wasser sowie von Tieren und Pflanzen als Bestandteile des Leitbilds des Deutschen Bauernverbandes genannt werden . In diesem Positionspapier sieht der DBV Handlungsbedarf in verschiedenen Bereichen, die er in Abstimmung mit seinen Mitgliedern und im Austausch und Dialog mit Politik und Gesellschaft angehen werde. Im Positionspapier bekennt sich der Deutsche Bauernverband dazu, den kooperativen Umweltund Naturschutz weiter auszubauen und zu fördern sowie über Demonstrationsbetriebe und Biodiversitätsprojekte praxistaugliche und wirtschaftlich tragfähige Maßnahmen zu entwickeln und zu erproben. Mit diesen Maßnahmen sollten die Betriebe auf kooperativem Wege einen Beitrag zum Natur- und Artenschutz leisten. Weiterhin bekennt sich der DBV dazu, im Rahmen des „Greening“ streifenförmige ökologische Vorrangflächen verstärkt als Pufferstreifen an Gewässern oder Blühstreifen zu nutzen. Für das Greening fordert der DBV eine Reduzierung der Kontroll- und Sanktionsrisiken für die Betriebe und eine Reduzierung der Verwaltung. Darüber hinaus ist der DBV laut seinem Positionspapier bestrebt, bedarfsgerechte Düngung weiter zu verbessern und damit eine optimale Pflanzenernährung zu ermöglichen, sodass eine umweltgerechte und standortangepasste Nährstoffbilanz sichergestellt werde. Auch ein effizienter und verantwortlicher Einsatz von Pflanzenschutzmitteln solle nach Aussage des Positionspapiers bei Minimierung möglicher Risiken durch die Ausbringung gewährleistet werden, wobei der pauschale Einsatz von Glyphosat zur Sikkation nach dem Verständnis des DBV nicht der guten fachlichen Praxis entspreche. Zur Begrenzung von nachteiligen Umweltwirkungen , aus Gründen der Ökonomie und nicht zuletzt des Resistenzmanagements sei eine zu- 34 Pressemeldung des Deutschen Bauernverbandes vom 17.07.2017 „Diskussion zum Insektensterben in einer „Wolke der Unwissenheit““. Im Internet abrufbar unter http://www.bauernverband.de/diskussion-zum-insektensterben -in-einer-wolke-der-unwissenheit [zuletzt abgerufen am 08.11.2017] 35 Artikel „Ein ökologisches Armageddon", in: Die Zeit Online. Im Internet abrufbar unter http://www.zeit.de/wissen /umwelt/2017-10/insektensterben-fluginsekten-gesamtmasse-rueckgang-studie [zuletzt abgerufen am 08.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 18 rückhaltende Nutzung von Pflanzenschutzmitteln nach dem Motto „so viel wie nötig und so wenig wie möglich“ geboten. Dabei diene entsprechend der Vorgabe des Nationalen Aktionsplans Pflanzenschutz36 das „notwendige Maß“ als Orientierung.37 4.2. NABU – Naturschutzbund Deutschland e.V. Der NABU berichtet ausführlich über die Studie und bewertet ihre Ergebnisse dahingehend, dass sich nun nicht mehr die Frage stelle, ob die Insektenwelt in Schwierigkeiten stecke, sondern wie das Insektensterben zu stoppen sei. Laut NABU unterlägen Naturschutzgebiete, die in Deutschland überwiegend eine Fläche von weniger als 60 Hektar haben, durch ihre Insellage und langen Außengrenzen einer starken Beeinflussung durch ihre Umgebung. Dies beträfe auch den Eintrag von Pestiziden oder Nährstoffen. Es läge nahe, dass durch diese Praktiken der intensiven Landwirtschaft eine massive Beeinträchtigung des Erhaltungszustands vieler Schutzgebiete – und damit auch der Insekten – stattfände. Die Studienergebnisse werden vom NABU als repräsentativ für alle Offenlandbiotope des deutschen Tieflands und somit als überregional bedeutsam eingeschätzt. Es handele sich deshalb beim Insektenrückgang wahrscheinlich um ein flächendeckendes Problem. Als Schlussfolgerung aus der Studie ergeben sich für den NABU die folgenden Forderungen: Schutzgebietsmanagement muss Landwirtschaft mit einbeziehen Pestizidverbot in Schutzgebieten Risiken des Pestizideinsatzes müssen drastisch minimiert werden Etablierung eines bundesweiten Insekten- und Biodiversitätsmonitorings.38 Bekannte Ursachen seien laut NABU Stickstoffeintrag, Grünlandumbruch, Wegfall von Brachen, großflächige Mahd, Überweidung/Wegfall der Beweidung und Lichtverschmutzung. Hinzu kämen ein verbreiteter Einsatz von hochwirksamen und langlebigen Insektiziden und Herbiziden, wodurch auch Schutzgebiete und ihre nähere Umgebung betroffen würden. Zusammenfassend wird vom NABU die intensive Landwirtschaft als mutmaßlicher Hauptverursacher für den drastischen Rückgang des Insektenbestands verantwortlich gemacht. 36 „Nationaler Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“ der Bundesregierung vom 15. Mai 2013, im Internet abrufbar unter http://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Broschueren/Nationaler- AktionsplanPflanzenschutz.pdf?__blob=publicationFile [zuletzt abgerufen am 09.11.2017] 37 Deutscher Bauernverband: Positionspapier "Veränderung gestalten", März 2017. Im Internet abrufbar unter http://www.bauernverband.de/mediaarchiv/grab_pic_chris.php?id=669388 [zuletzt abgerufen am 08.11.2017] 38 NABU: „Wissenschaftler bestätigen dramatisches Insektensterben“. Im Internet abrufbar unter https://www.nabu.de/news/2017/10/23291.html [zuletzt abgerufen am 08.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 19 Die NABU-Bundesvertreterversammlung fordert die neue Bundesregierung in ihrer Resolution vom 5. November 2017 auf, eine Reihe konkreter Maßnahmen gegen den weiteren Insektenrückgang zu ergreifen.39 5. Rückgang des Insektenbestands als Thema im Deutschen Bundestag Am 13. Januar 2016 hat der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit des Deutschen Bundestages ein öffentliches Fachgespräch zum Thema "Ursachen und Auswirkungen des Biodiversitätsverlustes bei Insekten" durchgeführt. Eingeladene Sachverständige waren Prof. Dr. Thomas Schmitt, Direktor des Senckenberg Deutschen Entomologischen Instituts, Josef Tumbrinck, Vorsitzender des NABU Nordrhein-Westfalen, Prof. Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Halle – UFZ, Department Biozönoseforschung sowie Prof. Dr. Teja Tscharntke von der Georg-August-Universität Göttingen, Department für Nutzpflanzenwissenschaften, Agrarökologie. Alle Sachverständigen haben in ihren Beiträgen Forderungen an die Politik formuliert.40 In folgenden Bundestagsdrucksachen neueren Datums geht es um die Themen Rückgang des Insektenbestands und Erhaltung von Biodiversität41: Drucksache 18/13568 vom 13.09.201742 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Steffi Lemke, Harald Ebner, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/13418 – Verlust von Artenreichtum in der Agrarlandschaft Drucksache 18/13560 vom 12.09.201743 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Steffi Lemke, Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/13289 – 39 NABU: „Dramatischen Insektenrückgang umkehren – wichtige Weichenstellungen vornehmen: Resolution der NABU-Bundesvertreterversammlung 2017“. Im Internet abrufbar unter https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen /insekten-und-spinnen/insektensterben/23400.html [zuletzt abgerufen am 08.11.2017] 40 Weiterführende Informationen zum öffentlichen Fachgespräch zum Thema "Ursachen und Auswirkungen des Biodiversitätsverlustes bei Insekten" unter http://www.bundestag.de/ausschuesse/ausschuesse18/a16/Oeffentliche _Anhoerungen/oeffentliches-fachgespraech-73-sitzung-insekten [zuletzt abgerufen am 27.11.2017] 41 Zu den Ursachen und Auswirkungen des Biodiversitätsverlusts bei Insekten siehe auch die Ausarbeitung des Fachbereichs WD 8: WD 8-088/15 vom 6. Januar 2015 42 Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/135/1813568.pdf [zuletzt abgerufen am 09.11.2017] 43 Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/135/1813560.pdf [zuletzt abgerufen am 09.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 20 Klimawandel und Biodiversität Drucksache 18/13142 vom 18.07.201744 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Steffi Lemke, Harald Ebner, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN – Drucksache 18/12859 – Insekten in Deutschland und Auswirkungen ihres Rückgangs Drucksache 18/11700 vom 28.03.201745 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Drucksache 18/10971 – Biodiversität schützen ‒ Taxonomische Forschung ausbauen Drucksache 18/9710 vom 16.09.201646 Unterrichtung durch die Bundesregierung Strategie der Bundesregierung zur vorbildlichen Berücksichtigung von Biodiversitätsbelangen für alle Flächen des Bundes Drucksache 18/7705 vom 25.02.201647 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Steffi Lemke, Harald Ebner, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/7492 – Rückgang von Bestäuber-Insekten, insbesondere Wildbienen48 44 Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/128/1812859.pdf [zuletzt abgerufen am 09.11.2017] 45 Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/117/1811700.pdf [zuletzt abgerufen am 09.11.2017] 46 Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/097/1809710.pdf [zuletzt abgerufen am 09.11.2017] 47 Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/077/1807705.pdf [zuletzt abgerufen am 09.11.2017] 48 Zu Bienen, ihrer Gefährdung und ihrem Schutz siehe auch die Ausarbeitung des Fachbereichs WD 5: WD 5- 031/16 vom 21. April 2016. Im Internet abrufbar unter http://www.bundestag .de/blob/424128/4769a9eae533c00dcaad1ab8479e9f82/wd-5-031-16-pdf-data.pdf [zuletzt abgerufen am 09.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 21 Drucksache 18/3764 vom 16.01.201549 Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss ) gemäß § 56a der Geschäftsordnung, Technikfolgenabschätzung (TA) Inwertsetzung von Biodiversität 6. Zu den Auswirkungen des stark rückläufigen Insektenbestands in Deutschland Insekten sind für das Funktionieren unseres Ökosystems unverzichtbar. Dies gilt vor allem für die Bestäubung von Pflanzen, aber auch für die biologische Schädlingskontrolle in Forst- und Landwirtschaft sowie für den Abbau organischer Massen.50 Eine erfolgreiche natürliche Schädlingsbekämpfung durch Insekten wie Schlupfwespen kann nach Ansicht der Bundesregierung zu einer Reduktion der Verwendung von Insektiziden führen, wobei daraus gegebenenfalls finanzielle Vorteile für die Landwirtschaft resultieren könnten, und sich zudem positiv auf die Bodenfauna auswirken. Auch die Rolle der Insekten und anderer Gliederfüßler bei der Humusbildung und dem Erhalt der Bodenfruchtbarkeit sei von zentraler Bedeutung . Zudem werde die Fruchtentwicklung der angebauten Kulturpflanzen und Obstbestände bei einem hohen Vorkommen bestäubender Insekten aufgrund einer besseren Bestäubung gefördert. Neben dem hohen Verlust an Biodiversität sieht die Bundesregierung im Rückgang der Insekten große ökonomische Risiken durch eine deutliche Abnahme der von Insekten erbrachten Ökosystemdienstleistungen . Das gelte vor allem für den Rückgang der Erträge aus dem Obst- und Gemüseanbau sowie dem Ackerbau, wenn die Bestäubungsleistung von Insekten ausfalle.51 Als Futterlieferant stehen Insekten am untersten Ende der Nahrungskette, sodass ihr signifikanter Rückgang direkte Auswirkungen nicht nur auf Vögel, sondern auf weitere Tierklassen wie Amphibien , Reptilien und Säugetiere hat.52 49 Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/037/1803764.pdf [zuletzt abgerufen am 09.11.2017] 50 Vgl. Internetseiten des NABU „Auf der Kippe - Warum Insekten gefährdet sind – und mit ihnen das ganze Ökosystem “ unter https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/balkon-und-garten/naturschutzim -garten/insekten/22696.html [zuletzt abgerufen am 30.11.2017] 51 Vgl. Bundestagsdrucksache 18/13142 vom 18.07.2017: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Steffi Lemke, Harald Ebner, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/12859 – Insekten in Deutschland und Auswirkungen ihres Rückgangs, S. 6 f. Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/128/1812859.pdf [zuletzt abgerufen am 29.11.2017] 52 Vgl. Internetseiten des NABU „Auf der Kippe - Warum Insekten gefährdet sind – und mit ihnen das ganze Ökosystem “ unter https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/balkon-und-garten/naturschutzim -garten/insekten/22696.html und Baier, Tina „Das Insektensterben bedroht unsere Lebensgrundlagen“, in: Süddeutsche Zeitung online. Im Internet abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wissen/biologie-das-insektensterben -bedroht-unsere-lebensgrundlagen-1.3734633 [jeweils zuletzt abgerufen am 29.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 22 Bei zahlreichen Vogelarten, für die Insekten die Hauptnahrungsquelle sind, wurden bereits signifikante Rückgänge verzeichnet. So hat der NABU errechnet, dass in Deutschland innerhalb von zwölf Jahren 12,7 Millionen Brutpaare verloren gegangen seien, was einem Rückgang von 15 Prozent entspräche. Ausgewertet wurden die von der Bundesregierung im Jahr 2013 an die EU gemeldeten Bestandsdaten der Jahre 1998 bis 2009. Mit neueren Zahlen sei erst 2019 zu rechnen. Der NABU sieht einen direkten Zusammenhang zwischen dem Vogelrückgang und dem signifikanten Rückgang der Insekten, den die Studie in der Zeitschrift PLoS ONE belegt habe, da nahezu alle betroffenen Arten zumindest ihre Jungen mit Insekten fütterten.53 Auch die Bundesregierung sieht – neben beeinträchtigenden Lebensraumverschlechterungen – im Insektenrückgang eine Ursache für die Verringerung von Vogelpopulationen und -arten. Sie bezieht sich dabei ebenfalls auf Auswertungen des nationalen EU-Vogelschutzberichts 2013. Für den Rückgang von Insekten macht die Bundesregierung einen Komplex unterschiedlicher Faktoren als mögliche Verursacher aus. Zu diesen Faktoren zählten das Vorhandensein von Habitaten , das Nahrungsangebot, die Veränderung und das Vorhandensein von landschaftlichen Strukturen wie Säume, Hecken oder gestufte Waldränder. Daneben hätten die Nutzungsweise und Bewirtschaftung der Landschaft, das Vorliegen von Schadstoffen, zu denen auch Pflanzenschutzmittel zählten, sowie die Fragmentierung der Landschaft, Jahreswitterung und Klimaänderungen einen wesentlichen Einfluss auf Insektenpopulationen. Auch Naturschutzgebiete als Bestandteile der Gesamtlandschaft seien vor negativen Einflüssen nicht sicher.54 Als die bedeutendste Schlüsselfunktion in allen terrestrischen Ökosystemen gilt die Blütenbestäubung , da sie durch das Zusammenspiel von Pflanzen und Tieren bei Fortpflanzung und Ernährung die biologische Vielfalt erhält. So werden weltweit über 85 Prozent aller Pflanzen durch Tiere bestäubt. Diese Pflanzen und die Tiere, die sich von ihnen ernähren, sind direkt von der Blütenbestäubung abhängig. Als Ökosystemdienstleistung ist Blütenbestäubung von ebenso großer Wichtigkeit für die weltweite Kulturpflanzenproduktion und die Ernährungssicherung des Menschen. Sie beeinflusst etwa 35 Prozent der weltweiten Kulturpflanzenproduktion. Vor allem die Wildbienen mit 30.000 bekannten Arten, andere Hautflügler sowie die über 150.000 Fliegenarten sorgen für die Bestäubung vieler Blütenpflanzen, aber auch Schmetterlinge 53 Artikel „Nabu: Zahl der Vögel geht stark zurück“, in: Frankfurter Allgemeine online. Im Internet abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/tiere/nabu-zahl-der-voegel-geht-stark-zurueck-15253587.html [zuletzt abgerufen am 08.11.2017] 54 Vgl. Bundestagsdrucksache 18/13142 vom 18.07.2017: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Steffi Lemke, Harald Ebner, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/12859 – Insekten in Deutschland und Auswirkungen ihres Rückgangs, S. 6 ff. Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/128/1812859.pdf [zuletzt abgerufen am 29.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 23 und Käfer sowie einige Vogel- und Säugetierarten. Einige bestäubende Tierarten sind spezialisiert auf eine Pflanzenart oder Gattung, andere nutzen verschiedenste Blütenpflanzenarten.55 Um reibungslos funktionieren zu können, benötigt das Ökosystem viele verschiedene Bestäuber. Die in Deutschland vorkommenden über 560 Wildbienenarten haben eine hohe Bedeutung, da beispielsweise Honigbienen nicht in der Lage sind, alle Pflanzenarten zu bestäuben. Ein Hinderungsgrund kann die Größe sein, da manche Blüten so klein sind, dass eine Honigbiene dort nicht landen kann. Für andere Blütenarten ist beispielsweise der Rüssel der Honigbiene zu kurz. Im Gegensatz zu den Wildbienen fliegen Honigbienen zudem bei Regen und Wind nicht aus – es findet dann keine Bestäubung statt. Ein Sterben der für die Bestäubung passenden Wildbienen, Fliegen oder Falter hätte zur Folge, dass auch diese Pflanzen sterben. Deshalb ist jede einzelne Art wichtig. 56 Die biologische Vielfalt kann nur dann erhalten werden, wenn auch das Überleben der Blütenbestäuber – in möglichst vielen Arten – gesichert ist. Laut dem Bundesamt für Naturschutz beläuft sich nach Schätzungen der gesamte ökonomische Wert durch die Ökosystemdienstleistung Blütenbestäubung auf 153 Milliarden Euro pro Jahr.57 Ersetzbar wäre diese Ökosystemdienstleistung nach Einschätzung des Biologen Prof. Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle nur bis zu einem gewissen Grad, beispielsweise durch die Einbringung aktiv vermehrter Bestäuber wie Honigbienen. Blütenbestäubung werde beispielsweise in China zum Teil auch durch Menschen vorgenommen. Der Arbeitsaufwand , die benötigte Manpower und damit auch die Kosten für eine Bestäubung durch den Menschen wären immens hoch und hätten dennoch eklatante Ausfälle zur Folge. Eine 55 Vgl. Internetseiten des Bundesamts für Naturschutz: „Blütenbestäuber und Biodiversität“ unter https://www.bfn.de/0326_bestaeuber.html; „Bestäubung als Ökosystemdienstleistung“ unter https://www.bfn.de/themen/bluetenbestaeuber-und-biodiversitaet/oekosystemdienstleistung.html und „Artenvielfalt der Blütenbestäuber“ unter https://www.bfn.de/themen/bluetenbestaeuber-und-biodiversitaet/artenvielfalt .html [jeweils zuletzt abgerufen am 28.11.2017] 56 Vgl. Baier, Tina „Das Insektensterben bedroht unsere Lebensgrundlagen“, in: Süddeutsche Zeitung online. Im Internet abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wissen/biologie-das-insektensterben-bedroht-unsere-lebensgrundlagen -1.3734633 [zuletzt abgerufen am 28.11.2017]. 57 Vgl. Internetseiten des Bundesamts für Naturschutz: „Blütenbestäuber und Biodiversität“ unter https://www.bfn.de/0326_bestaeuber.html und „Bestäubung als Ökosystemdienstleistung“ unter https://www.bfn.de/themen/bluetenbestaeuber-und-biodiversitaet/oekosystemdienstleistung.html [jeweils zuletzt abgerufen am 28.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 24 Grundnahrungsmittelsicherheit wäre in diesem Fall laut Settele wahrscheinlich nicht mehr gegeben , ein Zusammenbruch des Systems wäre letztlich nicht in irgendeiner vorstellbaren Weise reversibel .58 Der NABU nennt Schätzungen, nach denen ein Totalverlust an Bestäubern zu Ernteeinbrüchen um bis zu 90 Prozent führen könne. Er beziffert den jährlichen Marktwert der Produktion bestäuber -abhängiger Kulturpflanzen noch weitaus höher als das Bundesamt für Naturschutz, nämlich auf bis zu 500 Milliarden Euro, mit steigender Tendenz. Daran könne die Wichtigkeit bestäubender Insekten für die menschliche Ernährung abgelesen werden.59 Das Bundesamt für Naturschutz äußert sich hinsichtlich der Ökosystemdienstleitung Blütenbestäubung eindeutig: „Kein Mensch wäre in der Lage, diese Dienstleistung zu ersetzen – auch nicht mit modernster Technik!“60 7. Mögliche Gegenmaßnahmen Sowohl das Bundesamt für Naturschutz als auch das Umweltbundesamt fordern einen tiefgreifenden Wandel in der Landwirtschaft. So verlangt das Umweltbundesamt eine Minimierung des Pestizideinsatzes, dessen extensiver Einsatz ökologisch nicht nachhaltig sei und die Tier- und Pflanzenwelt gefährde. Die Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz fordert eine Kehrtwende in der Agrarpolitik. Sie plädiert dafür, Subventionen an „gesellschaftliche Leistungen“ zu knüpfen und Landwirte stärker für ein naturverträgliches Wirtschaften zu fördern.61 Der im Juni 2017 vom Bundesamt für Naturschutz vorgelegte Agrar-Report 2017 mit dem Titel „Biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft“62 zeige nach eigenen Angaben, dass die Situation in allen Bereichen der Agrarlandschaft alarmierend sei, was sich besonders deutlich bei Vögeln und Insekten zeige. Der Agrar-Report 2017 belege ein Versagen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union und deren nationaler Umsetzung im Hinblick auf den Erhalt der Biodiversität . 58 Vgl. Settele, Josef, Wortprotokoll der 73. Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit : Öffentliches Fachgespräch zu dem Thema "Ursachen und Auswirkungen des Biodiversitätsverlustes bei Insekten" vom 13. Januar 2016, S. 7 f. Im Internet abrufbar unter http://www.bundestag .de/blob/416200/27ef1e1f3f6a34d1a9374f8702249dbf/protokoll-18-73-data.pdf [zuletzt abgerufen am 28.11.2017] 59 Vgl. Internetseiten des NABU „Kleine Tierchen mit großer Leistung – Warum Insektenbestäubung lebenswichtig ist“ unter https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/balkon-und-garten/naturschutz-imgarten /insekten/22683.html [zuletzt abgerufen am 29.11.2017] 60 Internetseiten des Bundesamts für Naturschutz: „Blütenbestäuber und Biodiversität“ unter https://www.bfn.de/0326_bestaeuber.html [zuletzt abgerufen am 28.11.2017] 61 Vgl. Bethge, Philip „Sommer der Stille“, in: Der Spiegel, Nr. 36 vom 2.9.2017, S. 102 62 Im Internet abrufbar unter https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/landwirtschaft/Dokumente/BfN-Agrar-Report _2017.pdf [zuletzt abgerufen 30.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 25 Die Anforderungen des Bundesamts für Naturschutz an eine zukunftsfähige GAP sind eine konsequente Ausrichtung von Zahlungen an die Landwirtschaft am Gemeinwohlprinzip nach dem Grundsatz "Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen" sowie die Schaffung von Anreizen für eine naturverträgliche, standortangepasste und damit nachhaltige Bewirtschaftung, die Sicherung von ökologischen Leistungen eingeschlossen. Dazu müssten der administrative Aufwand drastisch reduziert und die Kontrollregelungen vereinfacht werden. Außerdem fordert das Bundesamt für Naturschutz die Sicherstellung eines Mindestmaßes an Biodiversität auch in Intensivregionen , wozu unter anderem die konsequente Einhaltung eines zu optimierenden ordnungsrechtlichen Rahmens führen solle.63 Auch der Weltbiodiversitätsrat IPBES nennt eine Reihe von Gegenmaßnahmen, um dem weltweiten Verlust von Biodiversität zu begegnen. IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) wurde 2012 von der Staatengemeinschaft gegründet, um die politischen Entscheidungsträger zuverlässig mit unabhängigen und glaubwürdigen Informationen über den Zustand und die Entwicklung der Biodiversität zu versorgen. Es handelt sich um ein zwischenstaatliches Gremium zur wissenschaftlichen Politikberatung hinsichtlich biologischer Vielfalt und Ökosystemleistungen. Die Kernaufgabe von IPBES ist die Erstellung von Berichten durch internationale Wissenschaftler und Experten über den aktuellen Zustand und den Wissensstand von Biodiversität und Ökosystemleistungen weltweit. Darüber hinaus soll IPBES Handlungsoptionen zum Schutz der biologischen Vielfalt aufzeigen. Die Berichte des IPBES bilden insbesondere eine Wissens- und Entscheidungsgrundlage für das „Übereinkommen zur Biologischen Vielfalt – CBD (Convention on Biological Diversity)“ der Vereinten Nationen.64 2016 hat IPBES den Bericht „The assessment report on pollinators, pollination and food production “ vorgelegt. In der Zusammenfassung für Entscheidungsträger bestätigt IPBES sowohl den Rückgang von Bestäubern als auch deren Wichtigkeit nicht nur für das menschliche Leben.65 Die vorgenannten Ursachen für den Rückgang der Bestäuber sieht auch IPBES und nennt darüber hinaus Umweltverschmutzung, invasive gebietsfremde Arten und Krankheitserreger als Risiko- 63 Vgl. Pressemitteilung des Bundesamtes für Naturschutz vom 20.07.2017 „BfN-Präsidentin fordert Kehrtwende in der Agrarpolitik“. Im Internet abrufbar unter https://www.bfn.de/presse/pressemitteilung .html?no_cache=1&tx_ttnews%5Btt_news%5D=6101&cHash=5e8894acf6f963b681df1920de8d3bd7 [zuletzt abgerufen am 30.11.2017] 64 Vgl. Internetseiten des BMUB „Weltbiodiversitätsrat IPBES“ unter https://www.bmub.bund.de/themen/naturbiologische -vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/internationales-eu/weltbiodiversitaetsrat-ipbes/ [zuletzt abgerufen am 30.11.2017] 65 Vgl. Summary for policymakers of the assessment report of the Intergovernmental Science-policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) on pollinators, pollination and food. Intergovernmental Science- Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES), 2016. ISBN: 978-92-807-3568-0, Job number: DEW/1990/NA. Im Internet abrufbar unter https://www.ipbes.net/sites/default/files/downloads/pdf/spm_deliverable _3a_pollination_20170222.pdf [zuletzt abgerufen am 30.11.2017] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 045/17 Seite 26 faktoren. Explizite Zusammenhänge zwischen einzelnen Faktoren und der Abnahme der Bestäuber herzustellen sei aufgrund der Komplexität und der Verfügbarkeit von Daten nur begrenzt möglich, jedoch deute eine Fülle weltweiter individueller Fallstudien auf einen häufigen negativen Einfluss dieser Faktoren auf die Bestäuber hin. Der Bericht gibt eine Reihe von Handlungsempfehlungen als Gegenmaßnahmen an. Als eine Schlüsselstrategie benennt IPBES eine nachhaltigere Landwirtschaft, die Wiederherstellung von Habitaten und eine Rückgängigmachung bereinigter Landschaften, beispielsweise durch Herstellung unbewirtschafteter Blühstreifen an Feldrändern mit ausgedehnten Blütezeiten. Landwirte sollten für einen bestäuber-freundlichen Landbau belohnt werden.66 Diese Maßnahme findet in der EU bereits Anwendung in Form des „Greening“. Die Umsetzung des Konzepts unterliegt jedoch starker Kritik aus unterschiedlichen Richtungen, etwa vonseiten des Bundesamts für Naturschutz, des NABU oder des Deutschen Bauernverbands. Der Effekt der – allein für Deutschland – 1,5 Milliarden Euro teuren Maßnahme für den Naturschutz sei fast gleich null.67 Der IPBES-Bericht nennt als weitere Maßnahmen gegen den Rückgang der Bestäuber die Förderung ökologischen Landbaus und die Reduzierung des Pestizideinsatzes.68 *** 66 Vgl. ebd., S. 12 67 Vgl. Bethge, Philip „Sommer der Stille“, in: Der Spiegel, Nr. 36 vom 2.9.2017, S. 101; Internetseiten des NABU- Baden-Württemberg „NABU-Studie zur Agrarpolitik – warum? Förderungspolitik muss sich ändern“ unter https://baden-wuerttemberg.nabu.de/natur-und-landschaft/landwirtschaft/aktuelles/21517.html; Pressemeldung des Deutschen Bauernverbandes vom 17.07.2017 „Diskussion zum Insektensterben in einer „Wolke der Unwissenheit “. Im Internet abrufbar unter http://www.bauernverband.de/diskussion-zum-insektensterben-in-einerwolke -der-unwissenheit [jeweils zuletzt abgerufen am 30.11.2017] 68 Vgl. Summary for policymakers of the assessment report of the Intergovernmental Science-policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) on pollinators, pollination and food. Intergovernmental Science- Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES), 2016. ISBN: 978-92-807-3568-0, Job number: DEW/1990/NA, S. 29 ff, Tabelle SPM 1. Im Internet abrufbar unter https://www.ipbes.net/sites/default/files /downloads/pdf/spm_deliverable_3a_pollination_20170222.pdf [zuletzt abgerufen am 30.11.2017]. Zu weiteren Maßnahmen gegen den Rückgang der Bestäuber siehe auch ebd., S. 24 ff.