WD 8 - 3000 - 044/21 (11. Mai 2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Während der Corona-Pandemie wird zur Beschreibung des Infektionsgeschehens die sogenannte 7-Tage-Inzidenz berechnet und auf ihrer Basis einheitliche Maßnahmen festgelegt. Die Inzidenz lässt sich aus der Angabe der Anzahl der Einwohner und der absoluten addierten Fallzahl der Neuinfektionen innerhalb von sieben Tagen berechnen. Die Angabe „7-Tage-Inzidenz“ dient dazu, dass Regionen mit unterschiedlich vielen Einwohnern statistisch vergleichbar werden. Auf diese Weise ist es möglich einheitliche Grenzwerte festzulegen . Die absoluten addierten Fallzahlen innerhalb von sieben Tagen und die sogenannte 7-Tage- Inzidenz sind somit zwei verschiedene Werte: Erstere zählt alle Neuinfektionen einer Region innerhalb von sieben Tagen; der zweite Wert gibt die Anzahl von Neuinfektionen bezogen auf 100.000 Einwohner an. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes betrug die Einwohnerzahl des Landkreises Sankt Wendel am 31.12.2019 insgesamt 87.007 Personen.1 Die Region Hannover hatte laut Angaben des Landesamtes für Statistik Niedersachsen am 31.12.20219 insgesamt 1.157.115 Einwohner.2 Ausgehend von diesen Einwohnerzahlen bedeutet ein Inzidenzwert von 100 pro 100.000 Einwohner demnach für den Landkreis St. Wendel: 87.007 Personen die Region Hannover: 1.157,115 Personen Ausgehend von diesen Einwohnerzahlen bedeutet ein Inzidenzwert von 165 pro 100.000 Einwohner demnach für den Landkreis St. Wendel: 143,562 Personen 1 https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Regionales/Gemeindeverzeichnis/Administrativ/04- kreise.html. 2 Landesamt für Statistik Niedersachsen, LSN-Online Regionaldatenbank; https://www1.nls.niedersachsen .de/statistik/html/default.asp. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Zur Auswirkung von Landkreisgrößen auf die 7-Tage-Inzidenz Kurzinformation 7-Tage-Inzidenz Fachbereich WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Seite 2 die Region Hannover: 1.909,240 Personen Dies bedeutet: Wenn die Gesamtzahl (d.h. kumulativ, additiv) aller Personen, die im Landkreis St. Wendel wohnen und bei denen innerhalb von 7 Tagen eine Neuinfektion festgestellt wurde, insgesamt 87 Personen überschreitet, wird ein Inzidenzwert von über 100 pro 100.000 Einwohner erreicht; überschreitet er 143 Personen, wird ein Inzidenzwert von über 165 pro 100.000 Einwohner erreicht. Für die Region Hannover hingegen gilt: Wenn die Gesamtzahl (d.h. kumulativ) aller Personen, die in der Region Hannover wohnen und bei denen innerhalb von 7 Tagen eine Neuinfektion festgestellt wurde insgesamt 1.157 Personen überschreitet, wird ein Inzidenzwert von über 100 pro 100.000 Einwohner erreicht; überschreitet er 1.909 Personen, wird ein Inzidenzwert von über 165 pro 100.000 Einwohner erreicht. An diesem Beispiel wird deutlich: Obwohl die die absoluten Infektionszahlen sich in den Regionen aufgrund unterschiedlicher Einwohnerzahl deutlich unterscheiden, wird durch die Berechnung des Inzidenzwertes eine vergleichbare Basis (Grenzwert 100 bzw. 165) geschaffen, so dass nicht für jede Region ein eigener Grenzwert angegeben werden muss. Ein lokaler begrenzter Ausbruch, wie beispielsweise in einem regional angesiedelten Unternehmen in kleineren (d.h. einwohnerzahlärmeren) Landkreisen, wirkt sich verhältnismäßig stärker auf den herkömmlichen 7-Tage-Inzidenzwert aus als in großen Landkreisen (wenn er auch lokal begrenzt bleibt bei gleicher absoluter Infektionszahl wie im großen Landkreis). Dies könnte prinzipiell in der Beschreibung einer geeigneten Infektions-Charaktergröße abgefangen werden. Rein rechnerisch kann man die Auswirkungen eines Clusterausbruchs von beispielweise 1.000 Personen wie folgt veranschaulichen: Angenommen ein 1.000 Personen umfassendes Cluster tritt lokal im Landkreis St. Wedel auf. Das würde bedeuten, dass rund 1,1% der Bevölkerung sich in einem einzigen Clusterevent infizieren. Dasselbe lokal begrenzte Cluster würde in Hannover zu einer Infektion von weniger als 0,1% der Bevölkerung führen (ohne dass andere bereits im Hintergrund bestehende Infektionen in dieser Rechnung berücksichtigt werden). Es stellt sich in diesem reinen Rechen-Beispiel allerdings die Frage, ob nicht gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit eines Clusterausbruchs deutlich höher in einem dicht besiedelten Gebiet ist, und auch Superspreader-Ereignisse mit höherer Wahrscheinlichkeit eine größere Anzahl Personen betreffen, da in dicht besiedelten Regionen wahrscheinlich größere Gruppen sich treffen als in dünn besiedelten. Eine konkrete Angabe, wie sich ein Clusterausbruch in verschiedenen Landkreisen auswirkt, hängt somit von zahlreichen Faktoren ab, so dass eine pauschale Beantwortung nicht möglich ist. Zudem kann auch bei typischen lokal begrenzten Ausbrüchen oftmals erst im Nachhinein festgestellt werden, dass das Ereignis tatsächlich lokal begrenzt geblieben ist. Ist ein Infektionsereignis tatsächlich begrenzt, wird der Inzidenzwert auch schnell wieder sinken. Würden hingegen aufgrund einer falschen Vermutung keine Maßnahmen ergriffen, wäre bis zum Erkennen des Irrtums wertvolle Zeit verloren. Kritik an der alleinigen Verwendung der Sieben-Tage-Inzidenz wurde geäußert, da in diesem Wert die Anzahl durchgeführter Tests ebenso wie der Anteil bereits Geimpfter und die tatsächliche Belastung sowie die Kapazitäten der Intensivstationen nicht berücksichtigt werden. Dies ist im Prinzip zur Bewertung des Schweregrads des Infektionsgeschehens wichtig. Kurzinformation 7-Tage-Inzidenz Fachbereich WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Zudem ergibt sich das Problem, dass in kleinen Landkreisen beispielsweise einzelne Personengruppen (z.B. ältere Menschen) überrepräsentiert sind und demzufolge durch ihr erhöhtes Risiko allein aufgrund des Alters eine hohe Inzidenz in der Schwere anders zu beurteilen ist. Des Weiteren ist zu beachten, dass sich Flächenlandkreise mit dünner Besiedlung in ihrem Infektionscharakter von dichter besiedelten unterscheiden. Zwar ist in dünn besiedelten Flächenlandkreisen ggf. eine erhöhte Mobilität zu verzeichnen, auf der anderen Seite ist die Ausbreitungsgefahr eines Infektionsausbruchs in einem definierten Gebiet des Flächenlandkreises anders zu bewerten als in einem kompakten und dicht besiedelten Gebiet. Das bedeutet, in den herkömmlichen 7-Tage-Inzidenzwert fließt zwar die Einwohnerzahl ein, nicht aber die Fläche. Vor diesem Hintergrund wurde im parlamentarischen Verfahren die Verwendung einer sogenannten gewichteten Sieben-Tage-Inzidenz vorgeschlagen.3 Dabei soll die Angabe der gewichteten Inzidenz aus mehreren Größen bestehen: (1) 7-Tage-Inzidenz (wie bereits beschrieben) (2) Positivenquote: „Die Positivenquote bezeichnet den Anteil der positiven Befunde (Nachweis einer akuten SARS-CoV-2-Infektion) an der Gesamtzahl der durchgeführten Tests. Eine niedrige Quote zeigt, dass sehr sensitiv getestet wird und auch Personen mit leichten Symptomen erfasst werden. Die Positivenquote ist also ein Maßstab für die Breite der Teststrategie.“4 (3) Impffortschritt: Steigt die Anzahl der bereits (vollständig) geimpften Personen, sinkt gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit für eben diese Personen zu erkranken und das SARS- CoV-2-Virus weiterzugeben. Zudem ist zu beachten, in welchen Altersgruppen und Risikogruppen welche Durchimpfungsrate bereits erreicht wurde, da so der Inzidenzwert eine andere Aussagekraft hat. (4) Freie und belegte Behandlungskapazitäten in der Intensivmedizin von etwa 1.300 Akut- Krankenhäusern in Deutschland: Die Schwere der Pandemie orientiert sich daran, in welchem Ausmaß Behandlungskapazitäten noch verfügbar sind. Da die schwer erkrankten Personen allerdings erst nach einer Zeit nach einer Infektion in der Intensivmedizin ankommen , handelt es sich hierbei um eine zeitverzögerte Größe gegenüber der 7-Tage-Inzidenz und der Positivenquote. (5) Charakter des Infektionsgeschehens: Mit dieser noch zu definierenden Größe soll der Charakter des Infektionsgeschehens in der Weise beschrieben werden, dass Infektionscluster erkennbar sind, isolierte Ausbrüche wie diejenigen in Sammelunterkünften oder Unternehmensinterne Ausbrüche erfasst werden oder aber Infektionsgeschehen durch Familienfeiern , Kindertagesstätten oder Schulen benannt werden. Indem diese Größen gleichzeitig angegeben und im Einzelfall bewertet werden, ist der Pandemieverlauf im Prinzip genauer zu beurteilen. Der Vorschlag enthält allerdings nicht die konkrete 3 Vergleiche hierzu Änderungsantrag der FDP, Seite 7ff in: Drucksache 19/28732 vom 20. April 2021; https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/287/1928732.pdf. 4 https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste_Diagnostik.html. Kurzinformation 7-Tage-Inzidenz Fachbereich WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Seite 4 Ausformulierung dieser Größen und das Ableiten geeigneter mathematisch-statistischer Methoden , um eine verallgemeinerungsfähige Kennzahl zu ermöglichen. Diese müssten noch erarbeitet werden. ***