© 2021 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 040/21 Translationale Medizinforschung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 2 Translationale Medizinforschung Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 040/21 Abschluss der Arbeit: 27. Mai 2021 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Begriffliche Abgrenzung 4 2.1. Grundlagenforschung 4 2.2. Wissenstransfer, Wissenschaftstransfer 5 2.3. Angewandte Forschung 5 2.4. Präklinische Forschung 6 2.5. Klinische Forschung 6 2.6. Evidenzbasierte Medizin 7 2.7. Zur Entwicklung des Begriffs „translationale Medizin“ 7 3. Internationale Aspekte der transnationalen Medizin- Forschung 10 3.1. Spezialisierte Wissenschaftliche Zeitschriften 10 3.2. Europäische Gesellschaft für Translationale Medizin (EUSTM) als Beispiel einer Gesellschaften für translationale Medizin 11 3.3. Qualitätsmerkmale translationale Medizin 12 4. Translationale Medizin in Deutschland 13 4.1. Studiengänge in Deutschland 13 4.2. Forschungseinrichtungen in Deutschland 13 5. Literaturauswahl 15 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 4 1. Einleitung Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie werden Erwartungen an die Verfügbarkeit von Impfstoffen , Medikamenten und effizienten Therapien geknüpft. In dieser Situation wird die Frage, wie effizient und rasch Erkenntnisse aus der Forschung in die direkte Anwendung am Menschen zu übertragen sind, besonders diskutiert. Allerdings sind diese Diskussion und die Kritik, dass der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnis in den Praxisalltag zu schleppend verlaufe oder erst gar nicht in einer Praxisanwendung resultiere, nicht neu. Gemeinhin dauert es Jahrzehnte von der (natur-)wissenschaftlichen Erkenntnis bis zu einem praxistauglichen Therapieansatz. Diese Zeitspanne suchte man effizient zu verkürzen und entwickelte verschiedene Forschungsprozesse, die insbesondere den monodirektionalen Charakter des Wissensflusses aufbrechen sollten. Hierbei entstand u.a. der Begriff der „translationalen Medizin “, der erstmals Ende der 1970er Jahre benutzt wurde und in den folgenden Jahrzehnten im Zusammenhang mit einer Effizienzsteigerung verschiedenster Forschungsprozesse immer wieder verwendet wurde. Im Zuge der Debatte um die exakte Definition translationaler Medizin werden verschiedene Forschungs - und Anwendungsprozesse genannt: Wissenstransfer Grundlagenforschung Angewandte Forschung Präklinische Forschung Klinische Forschung evidenzbasierte Medizin u.v.m. Diese Strukturansätze unterscheiden sich teilweise nur geringfügig, teilweise aber auch grundlegend voneinander. In der vorliegenden Arbeit werden einleitend diese Begriffe definiert und voneinander abgegrenzt sowie in Beziehung zum Begriff „translationale Medizin“ gesetzt. Es ist wichtig festzuhalten, dass diese Forschungsprozesse ineinandergreifen und sich ergänzen, d.h. komplementär zu verstehen sind, nicht notwendiger Weise in Konkurrenz zueinander stehen. Beispielsweise erübrigt sich durch einen translationalen Medizinforschungsansatz nicht die Grundlagenforschung, durch die grundlegende biologische Prozessfragen ergründet werden können und darauf aufbauend erst zielgerichtete Fragen formuliert werden. Im weiteren Verlauf konzentriert sich die Arbeit auf „translationale Medizinforschung“. Hierbei wird zunächst auf wissenschaftliche Zeitschriften und die Diskussion um Qualitätskriterien eingegangen , sodann die Situation in Deutschland dargestellt und abschließend eine Auswahl von Publikationen vorgestellt, die zuvor an verschiedenen Stellen der Arbeit zitiert wurden und die sich mit dem Konzept translationaler Forschung aus verschiedenen Perspektiven beschäftigen. 2. Begriffliche Abgrenzung 2.1. Grundlagenforschung In der Grundlagenforschung im engeren Sinne werden Beziehungen zwischen Strukturen und Prozessen möglichst vollständig entschlüsselt. In der Biomedizin beispielsweise werden Hypothesen zu biologischen Abläufen generiert und diese auf ihre Gültigkeit hin überprüft. Damit Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 5 wird Erkenntnis geschaffen. Hierdurch werden die Voraussetzungen für alle nachfolgenden anwendungsorientierten Entwicklungen, medizinischen Anwendungen und technischen Innovationen geschaffen, d.h. diese Erkenntnisse bilden die Grundlage. Die Grundlagenforschung wird vorrangig durchgeführt, ohne sich dabei an einem vermeintlichen praktischen Nutzen zu orientieren. Dadurch führt sie zu allgemeinem Wissen (d.h. grundlegend) und einem besseren Verständnis der Natur und ihrer Gesetzmäßigkeiten. Erst mit Hilfe dieses Wissens stehen Mittel zu Verfügung, die zur Beantwortung einer großen Anzahl wichtiger praktischer Probleme und medizinischer Herausforderungen vonnöten sind. Hauptziel der Grundlagenforschung ist der Erwerb von Wissen, ohne die Verpflichtung, es zu praktischen Zwecken anzuwenden . Das Arbeiten der Grundlagenforschung bringt es mit sich, dass diese im Gegensatz beispielsweise zu translationaler Forschung ihren Resultaten neutral gegenüber steht. 2.2. Wissenstransfer, Wissenschaftstransfer Mit Wissenstransfer wird der (gemeinhin monodirektionale) Prozess der Wissensübertragung von der (Grundlagen-)forschung in die (klinische) Anwendung bezeichnet. In translationalen Forschungsansätzen hingegen wird nicht nur Wissen transferiert bzw. verbreitet, sondern darüber hinaus auch angewandt. Dies bedeutet, dass auch die (erfolgreiche) Anwendung Teil des Forschungsansatzes ist. Um den Nutzen von wissenschaftlich generiertem Wissen für verschiedene Bereiche des Lebens, beispielsweise der Medizin, Wirtschaft und Gesellschaft zu erhöhen und die Verfügbarkeit zu beschleunigen , werden in Deutschland verschiedene Forschungsprojekte gefördert. Zuletzt hat die Bundesregierung am 21. Dezember 2020 eine „Richtlinie zur Förderung von Forschungsprojekten zum Thema Wissenstransfer“ bekanntgegeben.1 In der Erläuterung der Förderziele wird der monodirektionale Charakter dahingehend relativiert, dass aus der Praxis heraus sich Fragestellungen ergeben und den Prozess des Generierens von Wissen beeinflussen: „Eine moderne Perspektive betont dabei, dass die Generierung neuen Wissens kein einseitig gerichteter Prozess von der Wissenschaft in die Gesellschaft ist, sondern die Praxis bereits in Forschungsplanung und -prozess in adäquater Weise miteinbezogen werden sollte. Gesellschaftliche , kulturelle und wirtschaftliche Veränderungen und Entwicklungen produzieren ihrerseits neues Wissen, neue Probleme und Fragen, die die Wissenschaft - z. B. Forschungsrichtungen und Technologieentwicklungen - beeinflussen.“ 2 2.3. Angewandte Forschung Der Begriff „Angewandte Forschung“ oder „Angewandte Wissenschaft“ wird in Abgrenzung zur Grundlagenforschung benutzt und bezeichnet wissenschaftliche Disziplinen und Teildisziplinen, die neben ihrem Grundlagenforschungsaspekt einen bedeutenden Schwerpunkt in der praktischen Anwendung haben. Diese kann sich allerdings auf Laborbedingungen beziehen, d.h. noch deutlich entfernt liegen von einer Alltagssituation. Im Zuge der sogenannten angewandten Forschung werden die in der Grundlagenforschung erworbenen Erkenntnisse angewandt, um vollständige Antworten zu praktischen Problemen zu liefern. Angewandte Forschung bezieht sich 1 https://www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-3331.html 2 https://www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-3331.html Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 6 nicht notwendigerweise nur auf medizinische Fragestellungen. Auch handelt es sich im Gegensatz zu Präklinischer und Klinischer Forschung (s.u.) nicht notwendigerweise um eine patientenorientierte Forschung. 2.4. Präklinische Forschung Präklinische Forschung, die teilweise auch als vorklinische Forschung bezeichnet wird, findet im Labor/ bzw. unter Laborbedingungen statt, hat in der Fragestellung aber einen deutlichen klinischen Bezug. Dieser muss in der Angewandten Forschung nicht vorliegen. Präklinische Forschung beinhaltet Untersuchungen beispielweise anhand von Zell- und Tiermodellen, die Eigenschaften menschlicher Erkrankungen nachahmen. So können Erkenntnisse zum biologischen Verhalten von Erkrankungen gewonnen werden. Man kann dadurch, dass man die Wirkung von Substanzen oder Therapieansätzen in Zellkulturen oder in Tierversuche testet, in gewissem Umfang abschätzen, wie Menschen reagieren würden und welchen Risiken sie ggf. ausgesetzt wären. Präklinische Forschung sind Forschungsarbeiten, welche der klinischen Forschung vorgelagert sind. Ebenso bildet das Wissen aus Präklinischer Forschung eine Grundlage für die Formulierung von Forschungszielen der translationalen Forschung. 2.5. Klinische Forschung Auf dem Weg vom biomedizinischen Grundverständnis (Grundlagenforschung und Angewandte Forschung) über vorklinische Laborstudien bis hin zum Versorgungsalltag (Therapieansatz, Anwendung am Patienten) spielen klinische Studien, in denen die Wirksamkeit und die Risiken neuer Verfahren wissenschaftlich an Patienten untersucht werden, eine zentrale Rolle. Da in diesem Schritt Menschen in die Studie einbezogen werden, müssen diese Studien hohe Qualitätsund Sicherheitsstandards erfüllen. Im Rahmen Klinischer Forschung werden Fragen der Wirksamkeit und der Sicherheit neuer Behandlungsmethoden/ Arzneimittel beantwortet und diese mit bereits etablierten Methoden verglichen. Zur begrifflichen Klarstellung wurde im Jahr 1997 in den USA von den „Nationale Institutes of Health“3 eine 3-teilige Definition zur „klinischen Forschung“ herausgegeben. Demnach umfasst klinische Forschung folgende drei Studien-Aufbauten: Patientenorientierte Forschung4 Epidemiologische und verhaltenswissenschaftliche Studien5 3 Zur Erläuterung der NIH (Nationale Institutes of Health) siehe Kapitel 2.7. 4 Forschung, die mit menschlichen Probanden (oder an Material menschlichen Ursprungs wie Gewebe, Proben und kognitiven Phänomenen) arbeitet und bei der ein Forscher direkt mit menschlichen Versuchspersonen interagiert . Ausgenommen von dieser Definition sind In-vitro-Studien, bei denen menschliches Gewebe verwendet wird, das nicht mit einer lebenden Person in Verbindung gebracht werden kann. Folgende Forschungsfragen und Gebiete werden mit dieser Definition erfasst: (a) Mechanismen von menschlichen Krankheiten, (b) therapeutische Interventionen, (c) klinische Studien oder (d) die Entwicklung neuer Technologien. 5 Beobachtungsstudien am Menschen unter realen Umweltbedingungen. Sie unterscheiden sich damit grundlegend von experimentellen Studien, in denen Versuchspersonen zufällig und unter kontrollierten Laborbedingungen einer Exposition ausgesetzt werden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 7 Outcome-Forschung und Forschung im Gesundheitswesen.6 2.6. Evidenzbasierte Medizin In den 1990er Jahren kam zunächst in Amerika der Begriff der evidenzbasierten Medizin auf. Dieser wurde erstmals durch G. Guyatt von der McMaster Universität aus Hamilton, Kanada, für die Medizin eingeführt.7 Sie stützt sich auf die drei Säulen: ärztliche Erfahrung, individuelle Werte und Wünsche der Patienten und der aktuelle Stand der klinischen Forschung. Dabei erfordert jede einzelne der drei Säulen eine eigene wissenschaftliche Absicherung. Hieraus folgt auch, dass für jede einzelne Säule ein eigenes Studiendesign erforderlich ist.8 Diese Säulen stehen zunächst jede für sich und werden abschließend zusammengeführt. Es wird kritisiert, dass auf diese Weise mit der evidenzbasierten Medizin alleine kein Fortschritt in der Entwicklung neuer Anwendungen möglich sei, so dass das Aufkommen der Idee einer translationalen Medizin auch als Versuch gesehen werden könne, die Einseitigkeit des Paradigmas evidenzbasierter Medizin und deren inhärente Geringschätzung von Erkenntnismethoden wie klinischer Beobachtungen, Fallstudien oder Tiermodellen zu überwinden.9 2.7. Zur Entwicklung des Begriffs „translationale Medizin“ Erstmals wurde der Begriff „translational“ im Bereich der Pflegewissenschaften Ende der 1970er Jahre benutzt.10 In diesem Zusammenhang verstand man unter „translational“ noch eine Übersetzung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse in die Pflegepraxis. Erst um das Jahr 2000 herum wurde der Begriff dann in anderer Weise benutzt, insbesondere im Bereich der US-amerikanischen Krebsforschung.11 In den folgenden Jahren nahm die Bedeutung translationaler Forschung deutlich zu. Dies ist auch in der Verwendung des Begriffs „translational“ in wissenschaftlichen Publikationen ablesbar. Während 2014 sich insgesamt 2.413 wissenschaftliche Publikationen in der medizinischen Datenbank Pubmed zum Stichwort „translational medicine“ finden, waren dies 2018 bereits 6.060 und 2020 insgesamt 8.842 Veröffentlichungen.12 Dies lässt sich auch dadurch erklären, dass vielfach ein translationaler Charakter lebenswissenschaftlicher Forschung eingefordert wurde (beispielsweise durch Forschungsfördermittel-bewilligende Institutionen), so 6 Behandlungserfolg aus der Patientenperspektive 7 http://content.time.com/time/subscriber/article/0,33009,1590448,00.html. 8 https://www.hufelandgesellschaft.de/forschung-integrative-medizin/evidenz. 9 Seite 10 in: Leefmann J.: Was ist Translationale Medizin? Zu Begriff, Geschichte und Epistemologie eines Forschungsparadigmas ; in: Lost in Translation? Translationsforschung in den Lebenswissenschaften (Seiten119- 140); Franz Steiner Verlag, August 2019. 10 Johnson, Jean E. (1979): Translating research to practice. In: American Nurses Association (G-135), S. 125–133. 11 Eine der ersten Verwendungen des Begriffs „translational research“ findet ist in einer wissenschaftlichen Übersichts -Publikation zu Krebsforschung aus dem Jahr 1993: Mulshine JL et al.: Scientific basis for cancer prevention . Intermediate cancer markers. Cancer. 1993 Aug 1;72(3 Suppl):978-83. doi: 10.1002/1097- 0142(19930801)72:3+<978::aid-cncr2820721305>3.0.co;2-t. PMID: 8334673. 12 Dies Datenbank ist unter: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/ abrufbar. Gesucht wurde das Stichwort „translational medicine“ über alle Publikationstypen hinweg. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 8 dass die Betonung des Begriffs translationaler Forschung innerhalb der Publikationen sich hierin widerspiegelt. Tatsächlich ist bis heute eine einheitliche Definition „translationaler Forschung“ noch immer schwierig. Im Folgenden werden einige Beispiele aus der Literatur aufgeführt, in denen der Versuch unternommen wurde, dieses Forschungskonzept von bereits bestehenden Konzepten abzugrenzen . (1) Bei der Prägung und Definition des Begriffs spielten die National Institutes of Health (kurz: NIH) eine besondere Rolle. Hierbei handelt es sich um eine Behörde des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums. Die NIH gelten als die wichtigste Behörde für biomedizinische Forschung in den USA. Mit einem Jahresbudget von etwa rund 42 Mrd. US$ (Finanzjahr 2020) sind sie die größte Einrichtung zur Forschungsförderung weltweit. Die NIH umfassen 27 separate Institute und Zentren verschiedener biomedizinischer Disziplinen ; zu ihnen zählen einige sehr renommierte wissenschaftliche Einrichtungen, wie beispielsweise das National Cancer Institute (NCI) und die National Library of Medicine (NLM). Die NIH haben 2007 im Zusammenhang mit der Auslobung des „Institutionellen Preises für klinische und translationale Wissenschaft“13 transnationale Forschung wie folgt umschrieben : „Translationale Forschung umfasst zwei Bereiche der Übersetzung. Der eine ist der Prozess der Anwendung von Entdeckungen, die während der Forschung im Labor und in präklinischen Studien gewonnen wurden, auf die Entwicklung von Versuchen und Studien am Menschen. Der zweite Bereich der Übersetzung betrifft die Forschung, die darauf abzielt, die Übernahme von „Best Practices“ in der Gesellschaft zu fördern. Die Kosteneffektivität von Präventions- und Behandlungsstrategien ist ebenfalls ein wichtiger Teil der translationalen Wissenschaft.“14 (2) In einem 2008 veröffentlichten Kommentar kritisiert S. Woolf, dass translationale Forschung für verschiedene Menschen unterschiedliche Dinge bedeute.15 Im Jahr 2010 publizierten Mitglieder des „Evaluation Committee of the Association for Clinical Research Training (ACRT)“ eine Arbeitsdefinition für translationale Forschung: Translationale Forschung fördere die multidirektionale Integration von Grundlagenforschung, patientenorientierter Forschung und bevölkerungsbezogener Forschung, mit dem langfristigen Ziel, 13 https://grants.nih.gov/grants/guide/rfa-files/RFA-RM-07-007.html. 14 Originalzitat: „Translational research includes two areas of translation. One is the process of applying discoveries generated during research in the laboratory, and in preclinical studies, to the development of trials and studies in humans. The second area of translation concerns research aimed at enhancing the adoption of best practices in the community. Cost-effectiveness of prevention and treatment strategies is also an important part of translational science.“ In: https://grants.nih.gov/grants/guide/rfa-files/RFA-RM-07-007.html. 15 Woolf SH: The meaning of translational research and why it matters. JAMA. 2008 Jan 9; 299(2):211-3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 9 die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern. T116-Forschung (erste Stufe der translationalen Forschung) beschleunige die Bewegung zwischen Grundlagenforschung und patientenorientierter Forschung, die zu neuen oder verbesserten wissenschaftlichen Erkenntnissen oder Versorgungsstandards führe. T217-Forschung (Erkenntnisübertragung von klinischer Studie in Praxis) erleichtere die Bewegung zwischen patientenorientierter Forschung und bevölkerungsbezogener Forschung, die zu besseren Patientenergebnissen, der Implementierung von Best Practices und einem verbesserten Gesundheitsstatus in Gemeinden führe. Mittels sogenannter T3-Forschung werde die Interaktion zwischen laborbasierter Forschung und bevölkerungsbasierter Forschung gefördert, um ein robustes wissenschaftliches Verständnis der menschlichen Gesundheit und Krankheit zu stimulieren .18 (3) In einer Publikation aus dem Jahr 2014 wird von der „European Society for Translational Medicine“ der Versuch unternommen, zu einer einheitlichen Definition beizutragen. Dabei wird unter anderem Wert auf den bidirektionalen Charakter zwischen „Benchside“ und „Bedside“ im Rahmen translationaler medizinischer Forschung wert gelegt. Dies bedeutet , dass Erkenntnisse aus dem Labor in die klinische Anwendung einfließen und ebenso in die andere Richtung, Erkenntnisse und Erfahrungen der klinischen Anwendung die Laborbasierte Forschung beeinflussen und stimulieren. In dieser Arbeit wird hinsichtlich der Definition auf drei Säulen der translationalen Medizin wert gelegt: Benchside, Bedside und Gesellschaft. Das Ziel von translationaler Medizin sei Disziplinen, Ressourcen, Fachwissen und Techniken innerhalb dieser drei Säulen zu kombinieren, um Verbesserungen in Prävention, Diagnose und Therapien abzuleiten.19 Aus diesen Beispielen der Diskussion um eine Abgrenzung von translationaler Forschung von bereits bestehenden Forschungsgebieten wird deutlich, dass nicht nur die Begrifflichkeit selbst umstritten ist. Selbst wenn die Begrifflichkeit klar umschrieben ist, müssten in einem weiteren Schritt auch Evaluationsprozesse, Fortbildungsprogramme und Bewertungsmaßstäbe einheitlich definiert werden. 16 T1: Die erste Stufe der translationalen Forschung (T1) überträgt Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in die klinische Forschung, 17 Die zweite Stufe (T2) überträgt Erkenntnisse aus klinischen Studien oder klinischen Versuchen in die Praxis und in die Gesellschaft, wo die Erkenntnisse die Gesundheit verbessern. 18 Originalzitat: „Translational research fosters the multidirectional integration of basic research, patient-oriented research, and population-based research, with the long-term aim of improving the health of the public. T1 research expedites the movement between basic research and patient-oriented research that leads to new or improved scientific understanding or standards of care. T2 research facilitates the movement between patient-oriented research and population-based research that leads to better patient outcomes, the implementation of best practices , and improved health status in communities. T3 research promotes interaction between laboratory-based research and population-based research to stimulate a robust scientific understanding of human health and disease.“ In: Rubio DM et al.: Defining translational research: implications for training. Acad Med. 2010 Mar; 85(3):470-5. doi: 10.1097/ACM.0b013e3181ccd618. PMID: 20182120; PMCID: PMC2829707. 19 Cohrs, R.J. et al: Translational Medicine definition by the European Society for Translational Medicine; Dezember 2014; New Horizons in Translational Medicine 2(3). DOI:10.1016/j.nhtm.2014.12.002 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 10 Ein wesentliches Problem bei der Forderung, verstärkt auf translationale Forschungsansätze zu fokussieren, ergibt sich aus der Tatsache, dass es für Grundlagenforscher wenig Anreize gibt und sich sogar Probleme ergeben, ihre Forschungsweise umzustellen. Nach Ansicht von Butler würde ein stärker translational ausgerichteter Ansatz nicht nur komplexe regulatorische und patentrechtliche Fragen neben den eigentlichen Forschungsfragen mit sich bringen, sondern erweise sich auch in Hinblick auf die Karriere und den wissenschaftlichen Ruf mitunter unattraktiver.20 3. Internationale Aspekte der transnationalen Medizin-Forschung 3.1. Spezialisierte Wissenschaftliche Zeitschriften Ergebnisse aus Forschungsprojekten, die der translationalen Medizin zuzurechnen sind, erscheinen in unterschiedlichen wissenschaftlichen Zeitschriften. Weitere Fachzeitschriften, die sich ganz konkret auf translationale Forschungsergebnisse spezialisiert haben, sind den vergangenen Jahren neu erschienen. Einige dieser Zeitschriften werden im Folgenden aufgelistet. Für die einzelnen Zeitschriften wird jeweils auch der sog. Impact Faktor angegeben. Mit Hilfe dieses Wertes soll der Einfluss einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift gemessen werden und dadurch Zeitschriften einer Disziplin untereinander bibliometrisch vergleichbar gemacht werden.21 Das „American Journal of Translational Research“22, abgekürzt Am. J. Transl. Res., ist eine wissenschaftliche Fachzeitschrift, die frei zugängig ist und viermal pro Jahr erscheint. Der Impact Factor lag 2019 bei 3,375. Veröffentlicht werden klinische und experimentelle Forschungsarbeiten (peer-reviewed23), allerdings auch Editorials, Übersichtsartikel, medizinische Hypothesen, Leserbriefe und Tagungsberichte zum Thema translationaler Forschung. Die „American Association for the Advancement of Science“ veröffentlicht seit 2009 eine wissenschaftliche Fachzeitschrift namens „Science Translational Medicine“ (kurz Sci. Transl. Med). Sie erscheint derzeit wöchentlich. Es werden verschiedene Publikationsformate veröffentlicht. Forschungsartikel , Technische Kommentare, Übersichtsartikel, Fokus-Artikel und Standpunkt-Artikel unterlaufen einen Begutachtungsprozess. Die Artikel bilden ein breites Spektrum an Forschungsgebieten ab: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Immunologie/ Impfstoffe, Stoffwechsel/ Diabetes / Adipositas, Neurowissenschaften/ Neurologie/ Psychiatrie, Krebs, Infektionskrankheiten, Politik, Verhalten, Bioengineering, chemische Genomik/ Wirkstoffforschung, Bildgebung, angewandte physikalische Wissenschaften, medizinische Nanotechnologie, Drug Delivery, Biomarker, 20 Vgl. hierzu: Butler, D.: Translational research: Crossing the valley of death; Nature 453, 840-842 (2008), doi:10.1038/453840a; https://www.nature.com/news/2008/080611/full/453840a.html. 21 Der Wert wird seit Langem kritisiert und birgt einige Probleme, lässt sich allerdings nicht ohne weiteres durch ein anderes Maß ersetzen. Ein Problem stellt sich dadurch, dass durch unterschiedliche Zitierweisen und Autorenschaft in verschiedenen Disziplinen, z.B. Mathematik, Biologie und Medizin es notwendigerweise zu unterschiedlichen Impact Faktoren kommt. Während in der Mathematik ein verhältnismäßig niedriger Wert bereits eine renommierte Zeitschrift bedeutet, würde derselbe Wert einer medizinischen Zeitschrift nicht als renommiert angesehen werden. Für interdisziplinäre Zeitschriften bedeutet dies, dass je nach Fokussierung ein Impact Factor von beispielsweise 6 als renommiert oder auch niedrig interpretiert werden kann. 22 http://ajtr.org/. 23 Unabhängige Begutachtung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 11 Gentherapie/ Regenerative Medizin, Toxikologie und Pharmakokinetik, Data Mining, Zellkultur, Tier- und Humanstudien, medizinische Informatik und andere interdisziplinäre Ansätze in der Medizin.24 Der Impact Factor der Zeitschrift betrug 2019 16,304. Das „Journal of Translational Medicine“ ist eine peer-reviewed Open-Access-Zeitschrift, die basierend auf Humanexperimenten Forschungsergebnisse publiziert mit dem Ziel, die Kommunikation zwischen Grundlagen- und klinischer Wissenschaft zu optimieren. Es wird ein breites Spektrum medizinisch relevanter Gebiete abgedeckt.25 2017 betrug der Impact Factor 4,197. Die Zeitschrift „Translational Behavioral Medicine“ wurde 2011 gegründet und erscheint vierteljährlich .26 Es handelt sich ebenfalls um eine begutachtete Zeitschrift und widmet sich Themen aus dem Gebiet der Verhaltensmedizin. Sie ist eine von zwei offiziellen Zeitschriften der Society of Behavioral Medicine. 2017 betrug der Impact Factor 2,521. Aus der ehemaligen Zeitschrift „Journal of Laboratory and Clinical Medicine“ entstand die Fachzeitschrift „Translational Research“. In dieser monatlich erscheinenden Zeitschrift werden begutachtete Originaluntersuchungen in den Bereichen der Labor-, klinischer und öffentlicher Gesundheitsforschung veröffentlicht. Der Impact Factor betrug 2019 5,411.27 3.2. Europäische Gesellschaft für Translationale Medizin (EUSTM) als Beispiel einer Gesellschaften für translationale Medizin Die Europäische Gesellschaft für Translationale Medizin (European Society for Translational Medicine, EUSTM) ist eine gemeinnützige, globale Gesundheitsorganisation, deren Hauptziel es ist, die weltweite Gesundheitsversorgung zu verbessern, indem sie die schnelle Umsetzung wissenschaftlicher Entdeckungen in Therapeutika fördert. Um dieses Ziel zu erreichen, unterstützt die EUSTM verschiedene Programme und Initiativen. Beispiele hierfür sind die Academy of Translational Medicine Professionals (ATMP), das Global Clinical & Translational Sciences Consortium (GCTS)28, verschiedene Publikationen (Fachzeitschriften und Bücher), professionelle 24 https://stm.sciencemag.org/site/misc/about.xhtml. 25 Siehe hierzu: https://translational-medicine.biomedcentral.com/about. 26 https://academic.oup.com/tbm. 27 https://www.sciencedirect.com/journal/translational-research. 28 Das „Global Clinical & Translational Sciences Consortium“ (GCTS) ist eine Initiative der Europäischen Gesellschaft für translationale Medizin. „Das Konsortium bietet eine globale Plattform zur Erleichterung der Vernetzung und Interaktion zwischen Interessengruppen, die im Gesundheitsbereich am Krankenbett, am Arbeitsplatz und in der Gemeinde tätig sind, um qualitativ hochwertige Programme und Initiativen für die translationale Medizin zu entwickeln und bereitzustellen, mit dem allgemeinen Ziel, die Gesundheitsversorgung der Weltbevölkerung zu verbessern. Die Mitgliedschaft im Konsortium steht Forschungsgruppen, klinischen Abteilungen und Abteilungen, akademischen Institutionen, Pharma- und Biotech-Unternehmen offen“. (https://eutranslationalmedicine .org/gcts-consortium) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 12 Zertifizierungs- und Diplom-Programme, Trainingskurse und Akkreditierungsprogramme, Bildungsressourcen -Zentren und Konferenzen.29 Sitz der EUSTM ist Wien, Österreich. Eine umfassende Einleitung in die Arbeitsweise translationaler Medizin publizierte die EUSTM 2015 in Form eines Fachbuchs: Translational Medicine: Tools and Techniques (Editor Aamir Shahzad).30 Auch Regulierungsprozesse in den USA, der EU, Japan und China werden in diesem Buch thematisiert . 3.3. Qualitätsmerkmale translationale Medizin Die Messung der Qualität translationaler Medizin wird noch mehr als in den klassischen Lebenswissenschaften kontrovers debattiert. Der interdisziplinäre Charakter translationaler Medizin, die wechselseitige Struktur (benchside, bedside, community) und vergleichsweise lange Zeitspannen, bis Erfolg oder Misserfolg valide abschätzbar sind, sind drei Gründe, weswegen die Messung der Qualität der translationalen Forschung schwierig ist. Gerade für Forscher, die an neuen Vertragsbewilligungen, Projekten, eigenen Stellenverhandlungen und der wissenschaftlichen Reputation (gemeinhin gemessen an Publikations -Impact) arbeiten, stellen lange Zeitspannen ein Hindernis dar. Auf der anderen Seite ist es für Begutachtende auch schwierig, aussichtsreiche Projekte zu identifizieren und zu bewilligen . Auf diese Problematik wurde vielfach hingewiesen.31 Klassischerweise werden in den Lebenswissenschaften Publikationen in Form von Impact Faktoren32 (und Kollaborationen) als Maß für Qualität in erster Instanz herangezogen. Dabei ist die adäquate Messung von Qualität in wissenschaftlichen Bereichen, in denen es ganz wesentlich auf Kollaborationen und interdisziplinäres Arbeiten ankommt, schwerer als in Gebieten, die ohne fachübergreifende Zusammenarbeiten wirken. Obwohl kollaborative Forschungsansätze auch abseits translationaler Forschung nicht mehr neu sind, ist die Messung von Leistungen in Teamwissenschaften nach wie vor schwierig. Eine Publikation, die 2019 in Journal of Clinical and Translational Science erschienen ist, widmet sich dieser Problematik.33 Die Autoren stellen fest, dass, obwohl Modelle der Zusammenarbeit bereits entwickelt worden seien, im Allgemeinen keine aussagekräftigen, zuverlässigen und gültigen Messungen von Kooperationen durchgeführt werden könnten oder in die Praxis übernommen worden seien. Diese Einschränkung mache es schwierig, die Eigenschaften und Auswirkungen von Forschungsteams über Studien hinweg zu vergleichen oder die wichtigsten Bereiche für Interventionen zu identifizieren. Um die Wissenschaft der Teamforschung voranzubringen, leiten die Autoren Empfehlungen für die Entwicklung von Messgrößen für die Qualität der Zusammenarbeit und der Ergebnisse ab: 44 Maße für die Qualität der Forschungszusammenarbeit; 89 Maße für die Ergebnisse der Forschungszusammenarbeit. 29 https://eutranslationalmedicine.org/about-us. 30 https://www.elsevier.com/books/translational-medicine-tools-and-techniques/shahzad/978-0-12-803460-6 31 https://www.nature.com/news/2008/080611/full/453840a.html. 32 Zu Impact Faktoren siehe 3.1. 33 https://www.cambridge.org/core/journals/journal-of-clinical-and-translational-science/article/measuring-quality -and-outcomes-of-research-collaborations-an-integrative-review/24E05EE248A01E8E0589A98039AE858D. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 13 Das Problem der Qualitätsmessung zeigt sich auch am Beispiel der Bestrebungen der NIH, die translationale Medizin zu stärken und auszubauen. An NIH wurde eigens eine Kommission eingesetzt , die beraten soll, wie die Zentren für klinische und translationale Forschung34 evaluiert werden sollen. Dabei sollen die Karrierewege der Forscher verfolgt werden und so ihre Produktivität anhand von Patenten, klinischen Studien und Kooperationen mit der Industrie gemessen werden.35 4. Translationale Medizin in Deutschland 4.1. Studiengänge in Deutschland Zahlreiche Hochschulen in Deutschland bieten Studiengänge oder Module an, die translationale Medizin zum Inhalt haben. In Würzburg beispielsweise bietet die Medizinische Fakultät als Ergänzung zum Studium der Humanmedizin bzw. Zahnmedizin „Translational Medicine“ an.36 In Leipzig wird ab Oktober 2021 der berufsbegleitende Studiengang Master of Science Clinical Research and Translational Medicine angeboten. Hierbei soll insbesondere Medizinern und Naturoder Lebenswissenschaftlern ermöglicht werden, fundiertes Wissen im Bereich der Planung und Durchführung klinischer Studien zu erwerben. „Schwerpunkte liegen auf den regulatorischen Anforderungen in der klinischen Forschung, sowie dem Clinical Trail Design und der Biometrie .“37 4.2. Forschungseinrichtungen in Deutschland Sowohl an Universitäten wie an nichtuniversitären Forschungseinrichtungen existieren zahlreiche Forschungsgruppen, die sich spezifisch translationaler Forschung widmen. Am Max Delbrück Zentrum (Berlin) existieren beispielsweise die folgenden Einrichtungen: ECRC: Experimental and Clinical Research Center38 34 Clinical and Translational Science Centers, kurz: CTSCs, insgesamt 60 Zentren waren vom NIH gegründet worden um translationale Medizinansätze zu stärken. 35 https://www.nature.com/news/2008/080611/full/453840a.html. 36 https://www.med.uni-wuerzburg.de/studium/tmed/studium/. 37 https://www.studieren-studium.com/studieren/Clinical_Research_Translational_Medicine_Master_Universitaet _Leipzig_113366. 38 „Das Experimental and Clinical Research Center (ECRC) ist ein Zentrum für translationale Medizin auf dem Campus Buch, das seit seiner Gründung 2007 von MDC und Charité gemeinsam betrieben wird. Das Zentrum bietet einmalige Bedingungen für die Patienten-orientierte Forschung, für klinische Studien in einer forschungsorientierten Umgebung und für die Ausbildung klinischer Forscher. Es verfügt über mehrere Hochschulambulanzen , eine Station, die eigens für die klinische Forschung ausgelegt ist, und Forschungslabore.“ https://www.mdc-berlin.de/de/content/translationale-medizin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 14 BIH: Berlin Institute of Health39 DZHK: Deutsche Zentrum für Herz-Kreislaufforschung40 Des Weiteren beteiligt sich das MDC an drei der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung . „Neben der Partnerschaft mit dem DZHK arbeitet das MDC im Rahmen des POF-Programms der Helmholtz-Gemeinschaft "Erkrankungen des Nervensystems" eng mit dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) zusammen. Derzeit baut das Institut seine Beteiligung am Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) aus, eine Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ).“41 Laut einer Pressemeldung der Fraunhofer-Gesellschaft vom 2. Februar 2021 hat Berlin 30 Millionen Euro für den Aufbau eines überregionalen Fraunhofer-Instituts für translationale Medizin und Pharmakologie bereitgestellt. Das Institut soll auf dem Charité Campus Benjamin Franklin entstehen und einen Allergologie-Schwerpunkt haben. Die Fraunhofer-Gesellschaft hat in den vergangenen Jahren bereits verschiedene Projektgruppen zu translationaler Medizin eingerichtet. Innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft stellt Gesundheitsforschung ein wesentliches Betätigungsfeld dar. Demzufolge finden sich moderne Ansätze wie beispielsweise der translationalen Medizin in verschiedenen Instituten.42 Das Fraunhofer-Institut für Translationale Medizin und Pharmakologie , ITMP, wurde als eigenständiges Institut mit Forschungsschwerpunkt der Erforschung und Entwicklung innovativer Wege zur Früherkennung, Diagnose und Therapie von Erkrankungen in Folge gestörter Funktionen des Immunsystems am 1. Januar 2021 gegründet. Es ist mit drei Standorten in Deutschland vertreten: Frankfurt am Main (Pharmakologie und klinischen Studien ), Hamburg (Identifizierung pharmakologisch aktiver Substanzen mittels Screening-Methoden ) und Göttingen (Neuroinflammation und Nanomikroskopie).43 39 „Aufbauend auf dem Erfolg des ECRC gründeten MDC und Charité 2013 gemeinsam das Berliner Institut für Gesundheitsforschung (Berlin Institute of Health, BIH), um ihre Zusammenarbeit in der translationalen Medizin zu institutionalisieren. Das BIH ist eine einmalige Einrichtung in Deutschland, die einen Rahmen für fächerübergreifende Forschung bietet und damit translationale Forschung entscheidend voranbringen soll. Das Ziel ist eine beschleunigte Übertragung von Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung in die medizinische Praxis mit Hilfe systemischer Ansätze.“ https://www.mdc-berlin.de/de/content/translationale-medizin. 40 „Das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislaufforschung (DZHK) ist 2011 unter maßgeblicher Federführung des MDC gegründet worden. Die Expertise des MDC in der Herz-Kreislaufforschung – sowohl im Grundlagen-, als auch im präklinischen Bereich fließt dabei in ein deutschlandweites Konsortium ein. Das DZHK ist eines von sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, in denen deutschlandweit Helmholtz-Forschungszentren, Universitätskliniken und medizinische Fakultäten zusammenfinden. Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler steuern Expertise und Techniken zu dem Konsortium bei und arbeiten dafür mit zahlreichen Partnern zusammen. Das MDC ist daher in einer optimalen Position, um die Herz-Kreislaufforschung national und weltweit entscheidend voranzutreiben.“ https://www.mdc-berlin.de/de/content/translationale-medizin. 41 https://www.mdc-berlin.de/de/content/translationale-medizin. 42 https://www.fraunhofer.de/de/presse/presseinformationen/2021/januar-2021/neues-fraunhofer-institut-fuertranslationale -medizin-und-pharmakologie-itmp.html. 43 https://www.itmp.fraunhofer.de/de/institut.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 15 5. Literaturauswahl Butler, D.: Translational research: Crossing the valley of death; Nature 453, 840-842 (2008), doi:10.1038/453840a; https://www.nature.com/news/2008/080611/full/453840a.html. In einem Nachrichtenartikel (News-Feature) in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Nature erschien 2008 der Artikel „Translational research: Crossing the valley of death“. Der Autor geht in diesem Artikel der Frage nach, ob die National Institutes of Health (NIH) prinzipiell in der Lage seien, die bestehende Kluft zwischen biomedizinischen Forschern auf der einen Seite und Patienten , die auf Fortschritte für ihre gesundheitlichen Probleme hoffen, auf der anderen Seite zu schließen. Immerhin stehe NIH nicht etwa für ein nationales biomedizinisches Institut sondern für eine Institution der Gesundheit und verfolge das Ziel, grundlegenden Wissenserwerb zu fördern und diesen auch anzuwenden, um Krankheitsprobleme zu reduzieren. Allerdings erscheine es so, als werde der Anwendungsauftrag vernachlässigt. Dieses Phänomen sei allerdings nicht auf das NIH beschränkt und lasse sich weltweit beobachten. Ein Problem liege darin, dass klinische und biomedizinische Forscher nicht ausreichend kommunizierten. Inzwischen sei diese Problematik erkannt worden und es gebe verschiedene Ansätze, dieses Problem zu beheben. Beispielsweise gebe es ein Konsortium von 60 klinischen und translationalen Wissenschaftszentren an Universitäten und medizinischen Zentren in den USA, die sich jährlich etwa 500 Millionen US- Dollar für translationale Ansätze teilten (1-2% des NIH Jahres-Budgets). Allerdings sei die Definition von translationaler Forschung nicht einheitlich. Teilweise sei translationale Forschung nur ein „Rebranding“, nämlich klinische Forschung und Entwicklung unter einem anderen Namen. Es müsse weiter gedacht werden und dies auch zu einer Neuausrichtung von Ausbildung, Forschung und Infrastruktur führen. Problematisch sei auch, dass es für Grundlagenforscher wenig Anreize gebe, sich aus der bisherigen Forschungsweise heraus zu bewegen. Neben dem Aspekt, dass es sich um komplexe regulatorische und patentrechtliche Fragen neben den eigentlichen Forschungsfragen handele, bestehe auch ganz konkret die Gefahr, dass die eigene Karriere Schaden nehme, weil es sich nicht um eine Art von Forschung handele, die nicht in den Top-Journalen veröffentlicht werde, gar nicht veröffentlicht werde und für Bewerbungen innerhalb der Forschung eher hinderlich sei. Zudem sei es schwierig, Ergebnisse und Erfolge der translationalen Forschung zu messen; dies sei nicht durch die herkömmliche Publikationszählweise adäquat abgedeckt. Da die Entwicklung von Medikamenten bis zu 20 Jahre dauern könne, werde sich der resultierende Einfluss solcher Bemühungen auf die Medikamentenpipeline erst mit der Zeit zeigen. Am NIH wurde daher ein Gremium eingesetzt, dass an Evaluationsmaßstäben arbeiten soll. Zumindest sollten auch Patente , klinische Studien und Kooperationen mit der Industrie gezählt werden. Wesentlich sei auch, dass die Patienten einen Nutzen in dieser Art der Forschung sähen (und sie unterstützten). Leefmann J.: Was ist Translationale Medizin? Zu Begriff, Geschichte und Epistemologie eines Forschungsparadigmas; in: Lost in Translation? Translationsforschung in den Lebenswissenschaften (Seiten119-140); Franz Steiner Verlag, August 2019. J. Leefmann hat im August 2019 in einem Sammelband zum Thema „Lost in Translation? Translationsforschung in den Lebenswissenschaften“ einen Artikel zum Begriff, der Geschichte und Epistemologie veröffentlicht. In diesem Artikel geht er insbesondere auf die historische Entwicklung des Forschungsansatzes sowie den verschiedenen Bemühungen zur Definition ein und weist in diesem Zusammenhang Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 16 darauf hin, dass translationale Forschung disziplinübergreifend sei und darum eine Vielfalt von Definitionen der Begriffe „translationaler Forschung“ bzw. „translationaler Medizin“ existierten. Darum ständen auch verschiedene Autoren dem Versuch einer kohärenten Definition im Sinne einer Angabe notwendiger und hinreichender Bedingungen kritisch gegenüber und hielten sie für wenig zielführend. Zudem grenzt er aus methodischer Sicht translationale Forschung von Grundlagenforschung ab, indem er feststellt, dass der methodische Schwerpunkt der Grundlagenforschung auf der Konstruktion von Experimenten liege, mit deren Hilfe Vorhersagen getestet würden. Ein erfolgreicher Test liefere dann Gründe für die Annahme oder Ablehnung der eingangs formulierten Hypothese. Der methodische Schwerpunkt der translationalen Forschung hingegen liege auf der Entdeckung neuer Möglichkeiten zur Manipulation pathologischer Prozesse in biologischen Systemen und stehe damit den im Forschungsprozess erzielten Resultaten anders als die Grundlagenforschung nicht neutral gegenüber. Weil nicht die Begründung von Hypothesen, sondern die Identifikation von Interventionsmöglichkeiten im Mittelpunkt stehe, verfahre die Translationsforschung vergleichsweise unsystematisch. Rubio DM et al.: Defining translational research: implications for training. Acad Med. 2010 Mar;85(3):470-5. doi: 10.1097/ACM.0b013e3181ccd618. PMID: 20182120; PMCID: PMC2829707. Bereits 2010 erschien in der Fachzeitschrift „Academic Medicine“ ein Artikel, in dem der Versuch unternommen wird, translationale Forschung zu definieren. Zur Formulierung spezifischer Programmziele und Kompetenzziele bei der Ausbildung und dem Studium, ist es nötig, dass dieses Berufsfeld klar definiert ist. Mitglieder des Evaluierungskomitees der „Association for Clinical Research Training“ (ACRT)44 haben in dieser Publikation die bestehenden Definitionsansätze von translationaler Forschung überprüft und eine operationale Definition vorgeschlagen, die im Ausbildungsrahmen verwendet werden soll. In diesem Artikel postulieren die Autoren, dass translationale Forschung die multidirektionale und multidisziplinäre Integration von Grundlagenforschung, patientenorientierter Forschung und bevölkerungsbezogener Forschung fördere, mit dem langfristigen Ziel, die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern . Die Autoren argumentieren, dass der Ansatz zur Gestaltung und Bewertung des Erfolgs von translationalen Ausbildungsprogrammen flexibel gehalten werden müsse. Zentral sind drei Komponenten translationaler Forschung, die sich untereinander bedingten. Wichtig ist dabei zu beachten, dass alle Interaktionen notwendiger Weise bidirektional sind: 44 ACRP unterstützt Fachleute der klinischen Forschung beispielsweise in Form von Aus- und Weiterbildung und Zertifizierung. ACRP wurde 1976 gegründet und ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Washington, DC. Sie hat derzeit mehr als 13.000 Mitglieder in mehr als 70 Ländern. https://acrpnet.org/ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 17 Cohrs, R.J. et al.: Translational Medicine definition by the European Society for Translational Medicine; Dezember 2014; New Horizons in Translational Medicine 2(3). DOI:10.1016/j.nhtm.2014.12.002 2014 erschien in der Fachzeitschrift New Horizons in Translational Medicine“ ein Artikel zu Definitionsbemühungen der „European Society for Translational Medicine“ (EUSTM). In dieser Arbeit wird besonderer Wert auf die Bidirektionalität der translationalen Medizin zwischen benchside (Labor) und bedside (Patient) und community gelegt. Bislang sei in verschiedenen Bereichen translationale Medizin betrieben worden und der Begriff verwendet worden, ohne eine klare Definition zu haben. Allerdings erachten die Autoren es als dringend erforderlich, dass es eine klare, konsensfähige Definition gebe. Die verschiedenen existierenden Definitionen spiegelten die Vielfalt der institutionellen translationalen Forschungs- und Einsatzprogramme wider. In der Arbeit definieren die Autoren (Vertreter der EUSTM) translationale Medizin als einen interdisziplinären Zweig des biomedizinischen Bereichs, der von drei Hauptsäulen getragen werde: benchside, bedside und community. Ziel der translationale Medizin sei es, Disziplinen, Ressourcen, Expertise und Techniken innerhalb dieser Säulen zu kombinieren, um Verbesserungen in der Prävention, Diagnose und Therapie zu fördern . Dementsprechend sei translationale Medizin ein hochgradig interdisziplinäres Feld mit dem Ziel, das globale Gesundheitssystem zu verbessern. Dembe AE et al.: The translational research impact scale: development, construct validity, and reliability testing. Eval Health Prof. 2014 Mar;37(1):50-70. doi: 10.1177/0163278713506112. In der Fachzeitschrift „Evaluation & the Health Professions“ wurde 2014 ein Übersichtsartikel zur Wirkung von translationaler Forschung veröffentlicht. Diese Publikation stellt einen Versuch dar, Bewertungsmaßstäbe für translationale Forschung abzuleiten und demonstriert zugleich, wie umfassend und schwierig eine derartige Messbarkeit ist: Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 18 Im Artikel wird die Entwicklung eines Instruments zur Identifizierung und Messung der Wirkung biomedizinischer Forschung für die medizinische Praxis und Bevölkerungsgesundheit vorgestellt . Dies ist der sog. „Translational Research Impact Scale“ (TRIS), in den 72 Wirkungsindikatoren einfließen, die durch Expertenbefragungen abgeleitet wurden. In weiteren Arbeiten müsse die Anwendbarkeit dieser Indikatoren weiter getestet werden. Sie lassen sich in Untergruppen einteilen, die nach Eingaben, Aktivitäten, Auswirkungen, kurz-, mittel-, langfristigen Wirkungen zu unterscheiden sind und sich teilweise untereinander bedingen: Thonon, F. et al.: Identifying potential indicators to measure the outcome of translational cancer research: a mixed methods approach. Health Res Policy Sys 13, 72 (2015). https://doi.org/10.1186/s12961-015-0060-5 Am 3. Dezember 2015 erschien ein Forschungsartikel in „Health Research Policy and Systems“ zur Identifizierung potenzieller Indikatoren zur Messung der Ergebnisse der translationalen Krebsforschung. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 19 Da biomedizinische Forschungsergebnisse evaluiert werden müssten, sollen mit dieser Arbeit Indikatoren entwickelt werden, mittels derer die Auswirkungen der translationalen Krebsforschung messbar sind. Dabei standen Interviews mit Wissenschaftlern im Vordergrund. Zunächst sei es schwierig gewesen, eine gemeinsame Definition für translationale Forschung abzuleiten , da der genaue Umfang und die Grenzen dieser Forschung, die Bedeutung von Multidisziplinarität und Zusammenarbeit für den Erfolg der translationalen Forschung und die Nachteile, mit denen die translationale Forschung in den derzeitigen Bewertungssystemen konfrontiert seien, divergierten. Die Autoren leiteten aus den Befragungen ein Set von 18 Indikatoren ab, darunter vier, die besonders geeignet schienen, den Einfluss der translationalen Krebsforschung auf die Forschung im Gesundheitswesen zu messen (Anzahl der identifizierten Biomarker, Generierung von klinischen Leitlinien, Zitierung von Forschung in klinischen Leitlinien und Zitierung von Forschung in Leitlinien für das öffentliche Gesundheitswesen). Die Testung der Indikatoren soll in weiterer Forschung erfolgen. Battaglia, M. et al.: Improving the Translational Medicine Process: Moving Patients From “End- Users” to “Engaged Collaborators”, Frontiers in Medicine, Vol. 6, 2019, https://www.frontiersin .org/article/10.3389/fmed.2019.00110. Im Mai 2019 erschien in der Zeitschrift „Frontiers in Medicine“ eine Arbeit vierer Wissenschaftler aus Italien, den USA, den Niederlanden und der Schweiz. Ausgehend von der Problematik, dass translationale Medizin sich häufig als ineffizienter Forschungsansatz erweise (Gesundheitsfortschritt im Verhältnis zu aufgewendeten finanziellen Mittel und Personalaufwand), wird ein stärker patientenzentrierter Ansatz vorgeschlagen. Tatsächlich sehe die Praxis weitgehend so aus, dass selbst in der translationalen Medizin, der Patient als „Endverbraucher“ und „Datenlieferant“ gesehen werde und ein Rückfluss in die Forschungsfragen nicht oder unzureichend stattfinde. Weder für Kliniker noch für Wissenschaftler gebe es einen klaren Prozess, wie eine Entdeckung effizient zu einem zugelassenen Medikament führe. Die hohe Misserfolgsquote klinischer Studien in Phase II/III sei ressourcenraubend und führe zu Frustration (bei Mediziner, Wissenschaftlern und Patienten). Teilweise könne der hohe Misserfolg klinischer Studien auf ein unzureichendes Studiendesign zurückgeführt werden. Allerdings sei inzwischen auch klar, dass selbst das Scheitern einzelner Studien sowohl den Forschern als auch den Gesundheitssystemen zugutekomme , indem sie z.B. Erkenntnisse über Krankheitstheorien lieferten und die Grenzen bewährter Medikamente aufzeigten. Vor dem Hintergrund der Kritik, die eine aktivere, autonomere und damit zentrierte Rolle für den Patienten und weniger Arztdominanz fordert, wurde von der US-amerikanischen National Academy of Medicine (NAM)45 als Teil der Strategie zur Verbesserung der Qualität der Gesundheitsversorgung in den USA die sog. Shared Decision Medicine (SDM) eingeführt. SDM soll unter Einbeziehen der Patienten sicherstellen, dass diese nicht mehr und nicht weniger von der 45 1970 als Institute of Medicine (IOM) gegründet; Teil der „National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine “ (Dachorganisation für die drei US-amerikanische Wissenschaftsakademien) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/21 Seite 20 Versorgung erhalten, die sie benötigen und selbst wünschen. Allerdings, so wird kritisiert, fehlten klare Anleitungen, wie SDM in der Routinepraxis durchgeführt werden könne. Ein anderer Ansatz, den Patienten die Wissenschaft näher zu bringen, ist der "Plan S". Verschiedene europäische Länder haben eine Open-Access-Initiative vorgestellt: es soll verpflichtend sein, dass die von den jeweiligen beteiligten Ländern geförderten Wissenschaftler ab 2020 die daraus resultierenden Arbeiten sofort nach der Veröffentlichung frei zugänglich machen müssten. Die wissenschaftlichen Arbeiten sollen mit einer liberalen Veröffentlichungslizenz versehen werden , die es jedem erlaubt, die Arbeit herunterzuladen, zu lesen oder anderweitig weiterzuverwenden . Des Weiteren werden zwei spezifische Beispiele vorgestellt, in denen durch Elterninitiativen translationale Medizinanstrengungen vorangetrieben worden waren. Eine davon sind Entwicklungen zur Krankheit Duchenne-Muskeldystrophie: Duchenne-Muskeldystrophie DMD ist die häufigste, tödlich verlaufende genetische Krankheit, die im Kindesalter diagnostiziert wird. Familien, die die Diagnose erhalten, befinden sich in einem Wettlauf mit der Zeit. Sie warten auf neue Erkenntnisse und wissenschaftliche Durchbrüche . Bis heute werden Steroide eingesetzt, um den Verfall zu verlangsamen, aber es gibt keine Heilung für DMD. Betroffene Eltern gründeten 1994 das Parent Project Muscular Dystrophy (PPMD), um Ansätze zu entwickeln, den Verlauf der Krankheit zu verändern und DMD letztendlich zu beenden. Zusammen mit dem National Institutes of Health (NIH) wurden Wissenschaftler geschult und die allgemeine Wahrnehmung für die Bedeutung dieser Krankheit so erweitert, dass 2001 der Muscular Dystrophy CARE ACT in den USA in Kraft trat. Durch dieses Gesetz wurden die Investitionen der NIH in die Muskeldystrophie-Forschung stark erhöht (von ca. 17 Mio. US Dollar auf über 750 Mio. US Dollar). 2019 gab es mehr als 40 laufende klinische Studien, während es 1999 nur eine Studie in den USA gab. Außerdem investierten 2019 mehr als 45 pharmazeutische Unternehmen in die Entwicklung von Medikamenten gegen DMD. PPMD arbeitet zur Zeit mit der FDA an der Entwicklung eines Master-Protokolls, um den Zugang zu Studien in der gesamten Duchenne-Gemeinschaft zu ermöglichen, was möglicherweise zu Kombinationstherapien führen könnte. Die Autoren konstatieren, dass ein wesentlicher initialer Aspekt in spezifischen Aufklärungsprogrammen liege. Hierdurch werden Patienten (in diesem Fall Eltern), Ärzte und Wissenschaftler in einen gemeinsamen Entscheidungsfindungsweg eingebunden. Initiiert wurde der Prozess in diesem Beispiel von Patienten (Eltern). ***