© 2019 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 040/19 Zum Insektensterben in Europa Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 2 Zum Insektensterben in Europa Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 040/19 Abschluss der Arbeit: 9. Mai 2019 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zum Rückgang von Bestäuberarten in Europa 5 3. Zur Ableitung einer Statistik zum Wild- und Honigbienen- Bestand in Europa 8 3.1. Auswahl einzelner wissenschaftlicher Studien zum Bestand von Bestäubern in Europa 9 3.2. Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) 12 4. Das EPILOBEE consortium 15 5. Zu ausgestorbenen Insektenarten 16 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 4 1. Einleitung Im Zusammenhang mit dem in der Öffentlichkeit seit einiger Zeit diskutierten Insektensterben wird insbesondere der Rückgang von Bienenarten kontrovers debattiert. Bienen sind sehr wichtige Bestäuber; sie machen ein Drittel aller Bestäuber aus.1 Zudem werden Honigbienen seit Jahrtausenden als Quelle für Honig und Bienenwachs gehalten. Die Ursachen des Rückganges des Insektenbestandes im Allgemeinen sind nach derzeitigem Kenntnisstand vielfältig. Es werden eine Reihe signifikanter Korrelationen angegeben, die - im Zusammenwirken mit verschiedenen anderen Faktoren - mit zunehmend hoher Wahrscheinlichkeit einen deutlichen Rückgang der Insektenartenvielfalt bewirkt haben. Wissenschaftlich gilt es als erwiesen, dass global betrachtet ein allgemeiner Biodiversitätsverlust stattfindet.2 Zu den diskutierten Ursachen zählen unter anderem der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, die Zerstörung von Lebensräumen und verschiedene Aspekte des Klimawandels. Im April dieses Jahres hat eine australische Forschergruppe einen Übersichtsartikel publiziert3, in dem die Autoren auf die Ursachen des zunehmenden Artenverlustes weltweit eingehen. Sie konstatieren, dass über 40 Prozent der Insektenarten vom Aussterben bedroht seien, wobei Schmetterlinge, Hautflügler (darunter Bienen) und Käfer am stärksten betroffen seien. Die Wissenschaftler machen den Verlust von Lebensräumen durch die Umstellung auf intensive Landwirtschaft als Hauptursache für den Rückgang aus. Agrochemische Schadstoffe, invasive Arten und der Klimawandel seien weitere Ursachen. In der wissenschaftlichen Zeitschrift PLOS ONE4 ist 2017 eine Publikation zum Insektensterben5 erschienen, die großes mediales Interesse hervorgerufen hat. In der Studie wurde beschrieben, dass in den vergangenen 27 Jahren die Biomasse fliegender Insekten über 75 Prozent zurückgegangen sei. Die Darstellung dieser Studie sowie die wissenschaftliche und öffentliche Diskussion 1 J. Ollerton, R. Winfree, S. Tarrant: How many flowering plants are pollinated by animals? Oikos, 120 (2011), Seiten 321-326. 2 Siehe hierzu u.a. https://www.bmu.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt /biologische-vielfalt-international/weltbiodiversitaetsrat-ipbes/ [zuletzt abgerufen am 6. Mai 2019]. 3 FranciscoSánchez-Bayo und Kris A.G. Wyckhuys: Worldwide decline of the entomofauna: A review of its drivers ; Biological Conservation, Volume 232, April 2019, Pages 8-27, im Internet abrufbar unter: https://www.sciencedirect .com/science/article/pii/S0006320718313636#! [zuletzt abgerufen am 6. Mai 2019]. 4 Peer-reviewed naturwissenschaftliche internationale Online-Fachzeitschrift der Public Library of Science (PLOS). PLOSONE nimmt Originalforschungsarbeiten in allen wissenschaftlichen Disziplinen an, auch interdisziplinäre Arbeiten, negative Resultate und Wiederholungsstudien (replication studies). 2016 lag der Impact Factor bei 2,8. 5 Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, Siepel H, Hofland N, Schwan H, et al. (2017) More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLoS ONE 12(10): e0185809. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809 [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 5 hierzu ist Gegenstand verschiedener Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages.6 Daher wird auf diese Studie in der vorliegenden Arbeit nicht eingegangen. Im vorliegenden Sachstand wird auf wissenschaftliche Belege für den Rückgang von Bienenarten in Europa eingegangen, auf die Problematik der Ableitung einer einheitlichen und ausreichend einfachen statistischen Darstellung und auf die Darstellung ausgestorbener Bienenarten in der „Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands“. 2. Zum Rückgang von Bestäuberarten in Europa Zum Rückgang von Hummelarten existieren einige europäische Studien. Der erste Bericht über den Status von 18 Hummelarten in Großbritannien, der einen numerischen Ansatz auf einem nationalen Kartennetz verwendet, weist rückläufige Trends für sieben Arten seit den 1960er Jahren nach. Dabei sind starke Rückgänge der Arten Bombus humillis, B.ruderatus, B.subterraneus und B. sylvarum in den südlichen und zentralen Teilen Englands zu verzeichnen.7 Eine Analyse der für derartige Rückgänge verantwortlichen Kausalfaktoren, die Daten über acht einheimische Hummeln und Informationen über deren Verbreitung verwendete, ergab, dass die Arten, für die der stärkste Rückgang festgestellt wurde, Wirtspflanzen-Spezialisten waren. So wurden Hummeln , die auf Grasland und Ackerlandblumen lebten, am stärksten betroffen, insbesondere drei Arten: B. humillis, B. ruderatus und B. subterraneus.8 In Dänemark sind die „long-tongued“ Hummelarten seit den 1930er Jahren, vor allem während der Rotkleeblütenzeit, zurückgegangen, während die „short-tongued“ Arten davon nicht betroffen waren. Fünf der ursprünglich 12 Arten , die acht Jahrzehnte zuvor vorhanden waren, fehlten, alle „long-tongued“ Arten und die einst häufigen B. distinguendusisis sind heute gefährdet. Lediglich für B. pascuorum ergab sich kein Rückgang, was damit erklärt werden könnte, dass diese Art möglicherweise eine Nische, die andere Arten hinterließen, besetzte.9 Eine größere Studie mit 60 Arten und Unterarten von Hummeln in Mitteleuropa ergab, dass 48 Arten in den letzten 136 Jahren deutlich zurückgegangen sind, wobei 30 Prozent von ihnen als bedroht angesehen werden und vier davon ausgestorben 6 Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages: Zum Insektenschwund in Deutschland, WD 8 - 3000 - 036/19; Sachstand vom 1. April 2019. Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages: Zum Insektenbestand in Deutschland, WD 8 - 3000 – 045/17; Sachstand vom 5. Dezember 2017. Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages: Zum Rückgang der Biomasse fliegender Insekten in Europa; WD 8 - 3000 - 048/18; Dokumentation vom 20. Juni 2018. 7 P.H. Williams: The distribution and decline of British bumble bees (Bombus Latr.), J. Apic. Res., 21 (1982), Seiten 236-245. 8 D. Goulson, M.E. Hanley, B. Darvill, J.S. Ellis, M.E. Knight: Causes of rarity in bumblebees; Biol. Conserv., 122 (2005), Seiten 1-8. 9 Y.L. Dupont, C. Damgaard, V. Simonsen: Quantitative historical change in bumblebee (Bombus spp.) assemblages of red clover fields, PLoS One, 6 (2011), Seite e25172. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 6 sind.10 Einer der deutlichsten Rückgänge in Europa ereignete sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zeitgleich mit der Ausweitung der landwirtschaftlichen Intensivierung.11 Auch die Häufigkeit von Bestäubern in schwedischen Rotkleefeldern ging seit 1940 dramatisch zurück, wobei nur zwei seltene Arten stabil blieben, während zwei „short-tongued“ Arten heute die Landschaft dominieren: B. terrestris und B. lapidarius.12 Für Wildbienen wird geschätzt, dass sie mindestens 20% der Bestäubung in der landwirtschaftlichen Produktion erbringen.13 Ihre Populationen sind weitgehend abhängig von der Nahrungsspezialisierung , wobei allerdings ein begrenztes Nahrungsangebot und Lebensraumressourcen für das Nisten zur Verfügung stehen.14 So sind 34% der 105 Bienenarten bei Krakau (Polen) „selten“ und bevorzugen feuchte Wiesen gegenüber anderen Graslandschaften.15 Unter Verwendung historischer Aufzeichnungen auf einem 10 km-Raster wurden für die Zeit nach 1980 Rückgänge bei 52 Prozent der Wildbienenarten in Großbritannien und für 67 Prozent der Arten in den Niederlanden beobachtet, während ein Anstieg des Artenreichtums nur in 10 Prozent der britischen Beobachtungspunkte und 4 Prozent der niederländischen Beobachtungspunkte festgestellt wurde. Rückläufige Arten waren in allen Fällen Lebensraum- und Ernährungsspezialisten, univoltine16 und Sedimentarten, von denen Einzelbienen am stärksten betroffen waren.17 In Europa ergab eine Bewertung von 1.965 Arten Bienenarten, dass 77 Arten bedroht und sieben von ihnen stark gefährdet sind, darunter drei endemische Arten: Ammobates dusmeti, Andrenalabiatula und Tomada sicilensis. Da jedoch die Populationstrends für 57 Prozent der Arten unbekannt sind, wurden 9,2 Prozent der europäischen Bienenarten als rückläufig eingeschätzt.18 10 A. Kosior, W. Celary, P. Olejniczak, J. Fijal, W. Król, W. Solarz, P. Plonka: The decline of the bumble bees and cuckoo bees (Hymenoptera: Apidae: Bombini) of Western and Central Europe; Oryx, 41 (2007), Seiten 79-88. 11 Quelle:_https://reader.elsevier.com/reader/sd/pii/S0006320718313636?token =8C51878B273B978DBFE24F126371F92199A778C76BDC9691349ABE5CF66C13EF9CA2E6FDBA6FCB4AD C3001EC4EE214DD [zuletzt abgerufen am 6. Mai 2019]. 12 R. Bommarco, O. Lundin, H.G. Smith, M. Rundlöf: Drastic historic shifts in bumble-bee community composition in Sweden; Proc. R. Soc. B Biol. Sci., 279 (2012), Seiten 309-315. 13 J.E. Losey, M. Vaughan: The economic value of ecological services provided by insects; Bioscience, 56 (2006), Seiten 311-323. 14 T.A.H. Roulston, K. Goodell: The role of resources and risks in regulating wild bee populations, Annu. Rev. Entomol ., 56 (2011), Seiten 293-312. 15 D. Moron, H. Szentgyorgyi, M. Wantuch, W. Celary, C. Westphal, J. Settele, M. Woyciechowski: Diversity of wild bees in wet meadows: implications for conservation; Wetlands, 28 (2008), Seiten 975-983. 16 eine Generation pro Jahr. 17 J.C. Biesmeijer, S.P.M. Roberts, M. Reemer, R. Ohlemuller, M. Edwards, T. Peeters, A.P. Schaffers, S.G. Potts, R. Kleukers, C.D. Thomas, J. Settele, W.E. Kunin: Parallel declines in pollinators and insect-pollinated plants in Britain and the Netherlands; Science, 313 (2006), Seiten 351-354. 18 A. Nieto, S.P.M. Roberts, J. Kemp, P. Rasmont, M. Kuhlmann, M.G.a. Criado, J.C. Biesmeijer, P. Bogusch, H.H. Dathe, P.D.l. Rúa, T.D. Meulemeester, M. Dehon, A. Dewulf, F.J. Ortiz-Sánchez, P. Lhomme, A. Pauly, S.G. Potts, C. Praz, M. Quaranta, V.G. Radchenko, E. Scheuchl, J. Smit, J. Straka, M. Terzo, B. Tomozii, J. Window, D. Michez: European Red List of Bees; Publications Office of the European Union, Luxembourg (2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 7 Für kultivierte Honigbienenvölker wird weltweit von Krankheiten berichtet, in Nordamerika, Europa 19 und Australien20 auch in vergleichbarer Größenordnung von ca. 1 Prozent pro Jahr. Während Parasiten und Krankheiten der naheliegende Treiber der Verluste zu sein scheinen, wurden synthetische Pestizide von Anfang ebenfalls diskutiert.21 Die neue Generation von Pestiziden, insbesondere Neonikotinoide und Fifonil, beeinträchtigen nachweislich das Immunsystem der Bienen22, so dass eine Infektanfälligkeit wahrscheinlicher wird.23 Zudem sterben die Insekten infolge viralen oder anderen Patho-Gene.24 Auch die Nahrungsaufnahme ist betroffen25 ebenso wie die Fortpflanzungsleistung,26 so dass auf lange Sicht die Lebensfähigkeit ganzer Kolonien gefährdet ist.27 Bei der Bewertung von Pflanzenschutzmitteln hat sich immer wieder gezeigt, dass es außerordentlich wichtig ist, nicht nur den Wirkstoff selber, sondern seine Begleitstoffe sowie den gesamten Prozess (ggf. ein darauffolgendes Ausbringen einer weiteren Chemikalie, zB. eines Fungizids ) in seiner summarischen Wirkung zu betrachten.28 Insgesamt wird die Lage für Honigbienen als nicht so dramatisch wie für Wildbienen beschrieben, da zum einen sie durch Imker kultiviert werden und daher einige widrige Faktoren abgefangen werden könnten, zum anderen sie 19 S.G. Potts, S.P.M. Roberts, R. Dean, G. Marris, M.A. Brown, R. Jones, P. Neumann, J. Settele: Declines of managed honey bees and beekeepers in Europe; J. Apic. Res., 49 (2010), Seiten 15-22. 20 J. Gibbs: Neonicotinoids in Australia (2013); (The Australasian Beekeeper) 21 J. Ellis: The honey bee crisis; Outlooks Pest Manag., 23 (2012), Seiten 35-40 Seiten 22 G. Di Prisco, V. Cavaliere, D. Annoscia, P. Varricchio, E. Caprio, F. Nazzi, G. Gargiulo, F. Pennacchio: Neonicotinoid clothianidin adversely affects insect immunity and promotes replication of a viral pathogen in honey bees; Proc. Natl. Acad. Sci., 110 (2013), Seiten 18466-18471. Und C. Vidau, M. Diogon, J. Aufauvre, R. Fontbonne, B. Viguès, J.L. Brunet, C. Texier, D.G. Biron, N. Blot, H. El- Alaoui, L.P. Belzunces, F. Delbac: Exposure to sublethal doses of fipronil and thiacloprid highly increases mortality of honeybees previously infected by Nosema ceranae; PLoS One, 6 (2011), Article e21550. 23 M. Alburaki, S. Boutin, P.-L. Mercier, Y. Loublier, M. Chagnon, N. Derome: Neonicotinoid-coated Zea mays seeds indirectly affect honeybee performance and pathogen susceptibility in field trials; PLoS One, 10 (2015), Article e0125790. 24 A. Brandt, K. Grikscheit, R. Siede, R. Grosse, M.D. Meixner, R. Büchler: Immunosuppression in honeybee queens by the neonicotinoids thiacloprid and clothianidin; Sci. Rep., 7 (2017), Seite 4673. 25 N. Desneux, A. Decourtye, J.-M. Delpuech: The sublethal effects of pesticides on beneficial arthropods; Annu. Rev. Entomol., 52 (2007), Seiten 81-106. 26 G. Kairo, Y. Poquet, H. Haji, S. Tchamitchian, M. Cousin, M. Bonnet, M. Pelissier, A. Kretzschmar, L.P. Belzunces , J.-L. Brunet: Assessment of the toxic effect of pesticides on honey bee drone fertility using laboratory and semifield approaches: a case study of fipronil; Environ. Toxicol. Chem., 36 (2017), Seiten 2345-2351. 27 J.S. Pettis, N. Rice, K. Joselow, D. vanEngelsdorp, V. Chaimanee: Colony failure linked to low sperm viability in honey bee (Apis mellifera) queens and an exploration of potential causative factors; PLoS One, 11 (2016), Article e0147220. 28 Persönliche Auskunft Biozentrum der Universität Würzburg. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 8 insgesamt größer und weniger anfällig (zB. für die Wirkung verschiedener Pflanzenschutzmittel) sind.29 Zuletzt hat eine Studie des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), die auf den Internetseiten der DLR als Studien-Report veröffentlicht worden war, eine Diskussion zum Beitrag des Betriebs von Windenergieanlagen am Insektenschwund hervorgerufen.30 Eine deutschsprachige Zusammenfassung wurde vom DLR ebenfalls veröffentlicht.31 Eine Publikation in der Wissenschaftlichen Zeitschrift „Biodiversity and Conservation“ befindet sich derzeit im Begutachtungsprozess .32 In der Studie des DLR haben die Forscher die Wechselwirkungen von Fluginsekten und Windparks untersucht. „Die in der Studie angestellte Modellrechnung gibt Hinweis darauf, dass die Größenordnung der betroffenen Fluginsekten relevant für die Stabilität der Fluginsektenpopulation sein und damit den Artenschutz und die Nahrungskette beeinflussen könnte.“ Laut der Modellrechnung beziffern die Wissenschaftler „die heute in Deutschland potenziell gefährdeten Insektenmengen mit etwa 24.000 t pro Jahr, und die beim Durchqueren der Rotoren entstehenden Verluste mit mindestens 1.200 t pro Jahr bzw. etwa 5-6 Mrd. Insekten pro Tag während der warmen Saison.“33 Von Seiten des DLR wird allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „die Studie […] weder den Schluss [zieht], dass die Windenergie Hauptverursacher des Insektenschwunds ist, noch dass sie daran unbeteiligt ist. Die Studie empfiehlt eine empirische Überprüfung der in der Studie theoretisch berechneten Verluste, um die Zusammenhänge von Insektenmigration und Windparkbetrieb besser verstehen und zeitnah Maßnahmen zur Überwachung und Vermeidung von Insektenschlag entwickeln und umsetzen zu können.“34 3. Zur Ableitung einer Statistik zum Wild- und Honigbienen-Bestand in Europa Verschiedene Originalstudien zum Bestand einzelner Wild- und Honigbienenarten widmen sich grundsätzlich unterschiedlichen Fragestellungen. Zudem untersucht jede Studie nicht nur ganz unterschiedliche Bienenarten, sondern auch unterschiedliche klimatische Zonen zu verschiedenen Versuchsaufbauten und Fragestellungen. Nachfolgend werden zunächst Inhalte einer Auswahl von Studien aufgeführt, anhand derer erkennbar wird, wie unterschiedliche Ergebnisse, 29 Persönliche Auskunft Biozentrum der Universität Würzburg. 30 Quelle: https://www.dlr.de/tt/Portaldata/41/Resources/dokumente/st/FliWip-Final-Report.pdf [zuletzt abgerufen am 15. Mai 2019]. 31 Quelle: https://www.dlr.de/tt/Portaldata/41/Resources/dokumente/st/et_1810_10_3_Trieb_BCDR_51- 55_ohne.pdf [zuletzt abgerufen am 15. Mai 2019]. 32 Trieb, F.; Gerz, T.; Geiger, M.: Insect decline and wind farms – is there a problem for wildlife conservation? Biodiversity and Conservation (2018) im Review. 33 Franz Trieb, Thomas Gerz und Matthias Geiger: Modellanalyse liefert Hinweise auf Verluste von Fluginsekten in Windparks; ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 68. Jg. (2018) Heft 11. 34 Quelle: https://www.dlr.de/dlr/desktopdefault.aspx/tabid-10176/372_read-32941/#/gallery/33841 [zuletzt abgerufen am 15. Mai 2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 9 teilweise auch in der Öffentlichkeit diskutiert, zustande kommen. Danach wird die umfangreiche Studie des Weltbiodiversitätsrates (IPDES) aus dem Jahr 2016 vorgestellt, in der weltweit gesammeltes umfangreiches Datenmaterial ausgewertet wurde. 3.1. Auswahl einzelner wissenschaftlicher Studien zum Bestand von Bestäubern in Europa Biesmeijer, J.C. et al. (2006): Parallel declines in pollinators and insect-pollinated plants in Britain and the Netherlands. Science. 2006 Jul 21;313(5785):351-4. DOI: 10.1126/science.1127863 Obwohl vielfach Besorgnis über den Rückgang der Bestäubungsleistungen geäußert wurde, ist wenig über den genauen Prozess für die meisten Bestäubergemeinschaften bekannt. In der vorliegenden Arbeit werden Bienen- und Schwebfliegen in Großbritannien und den Niederlanden untersucht . Die Autoren finden Hinweise auf einen Rückgang der lokalen Bienenvielfalt in beiden Ländern (vor und nach 1980), wobei jedoch unterschiedliche Trends bei Schwebfliegen beobachtet wurden. Je nach Kolonie und Standort waren Bestäuberrückgänge bei Habitat- und Blumenspezialisten , bei univoltinen Arten (eine Generation pro Jahr) und/oder bei Nichtmigranten am häufigsten . In Verbindung mit diesem Nachweis haben sich die Auskreuzungen von Pflanzenarten, die auf die abnehmenden Bestäuber angewiesen sind, im Vergleich zu anderen Pflanzenarten verringert . Insgesamt deuten diese Ergebnisse auf einen kausalen Zusammenhang zwischen dem lokalen Aussterben funktionell verbundener Pflanzen- und Bestäuberarten hin. Fliszkiewicz, Monika et al. (2012): Influence of winter temperature and simulated climate change on body mass and fat body depletion during diapause in adults of the solitary bee, Osmia rufa (Hymenoptera: Megachilidae); Environ Entomol. 2012 Dec; 41(6):1621-30. doi: 10.1603/EN12004. In dieser Studie wird der Einfluss eines simulierten Klimawandels auf das Körpergewicht und die Erschöpfung der Fettreserven während der Diapause bei der europäischen Einzelbiene Osmia rufa L. (Hymenoptera: Megachilidae) untersucht. Von September bis März wurden Insekten (Weibchen ) aufgezogen und aus Freilandnestern gesammelt. Eine Kohorte von Weibchen wurde für Analysen sofort gewogen und seziert, während eine andere Kohorte vor der Analyse einer simulierten wärmeren Temperatur (15°C für 7 Tage) ausgesetzt wurde. Ein allmählicher Rückgang der Körpermasse und des Fettgehalts wurde mit sinkenden Temperaturen von September bis Januar bei weiblichen Bienen unter natürlichen Bedingungen festgestellt. Die Temperatur stieg von Januar bis März allmählich an, mit einem weiteren Rückgang der Körpermasse und des Fettgehalts. Der Fettkörperentwicklungsindex fiel von fünf im September bis Oktober (≈ 89% Individuen) auf vier für den Zeitraum von November bis Februar (≈ 84% Individuen) und weiter auf drei im März (95% Individuen) vor der Entstehung. Die simulierte wärmere Wintertemperatur führte ebenfalls zu einem ähnlichen Rückgang des Körpergewichts und des Fettgehalts, jedoch nahmen Körpergewicht und Fettgehalt schneller ab. Der Index der Fettkörperentwicklung sank im Dezember bei der Mehrheit der Tiere auf drei und setzte sich auf diesem Niveau bis März fort. Insgesamt deuten diese Daten auf eine frühere Erschöpfung der Fettreserven unter simulierten Klimabedingungen hin, die die Entwicklung der Eierstöcke und die reproduktive Fitness bei O. rufa beeinflussen können. Jachuła, Jacek et al. (2017): Validation of floral food resources for pollinators in agricultural landscape in SE Poland. J Sci Food Agric. 2018 May; 98(7):2672-2680. doi: 10.1002/jsfa.8761. Epub 2017 Nov 28. DOI: 10.1002/jsfa.8761 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 10 Die richtige Bewirtschaftung der Bienenweiden gilt als wichtiger Faktor für die Vielfalt der Bestäuber und die Erhaltung der Populationsgröße. In der vorliegenden Studie wurden die florale Zusammensetzung und Vielfalt, das Blühspektrum und die Verfügbarkeit von Nahrungsressourcen in natürlichen und künstlichen Lebensräumen in vier ländlichen Gemeinden im Lubliner Hochland , Südpolen, bewertet. Der Mangel an Nektar- und Pollenressourcen in der Agrarlandschaft Südpolens ist offensichtlich. Daher wird davon ausgegangen, dass die Schaffung von Nahrungsnischen für Bestäuber ebenso notwendig ist wie die Schaffung bzw. Ergänzung von Bienenweiden, um einen Beitrag zur Bienenvielfalt zu liefern. Jacques et al. (2017): A pan-European epidemiological study reveals honey bee colony survival depends on bee-keeper education and disease control, PLoS One. 2017; 12(3): e0172591. doi: 10.1371/journal.pone.0172591 Die Autoren gehen auf den Aspekt ein, welche Auswirkungen das Wissen der Imker und der Imkereipraxis auf Honigbienenpopulationen haben. Mittels eines standardisierten Überwachungsnetzes für 5.798 Bienenstöcke in zwei aufeinander folgenden Jahren wurde die Sterblichkeit von Honigbienenvölkern in 17 europäischen Ländern quantifiziert. Die Daten zeigen, dass die Überwinterungsverluste zwischen 2% und 32% lagen und dass hohe Sommerverluste auf hohe Winterverluste folgen. Multivariate Analysen zeigten, dass Hobby-Imker mit kleinen Bienenstöcken und wenig Erfahrung in der Imkerei die doppelte Wintersterblichkeitsrate im Vergleich zu professionellen Imkern hatten. Außerdem zeigten Honigbienen, die von professionellen Imkern gehalten wurden, nie Anzeichen von Krankheiten, im Gegensatz zu Bienenstöcken von Hobby-Imkern, die Symptome einer bakteriellen Infektion und eines starken Varroa-Befalls hatten. Die Autoren interpretieren die Daten in der Weise, dass der Imkerhintergrund und die Imkereipraxis als Hauptursache für den Verlust von Honigbienenvölkern zu nennen sei. Dies ist unter Wissenschaftlern allerdings umstritten. Mendoza-García, Marian et al. (2018): Patterns of flower visitor abundance and fruit set in a highly intensified cereal cropping system in a Mediterranean landscape. Agriculture, Ecosystems & Environment Volume 254, 15 February 2018, Pages 255-263. https://doi.org/10.1016/j.agee.2017.12.001 Vor dem Hintergrund der intensiven Agrarlandschaft wird der Rückgang der Bestäuberzahlen häufig auf den Verlust natürlicher Lebensräume zurückgeführt. Mehrere Studien zeigen jedoch - so die Autoren, dass bestimmte massenblühende Kulturen, wie z.B. Raps, das Muster der Bestäuberhäufigkeit auf Feld- und Landschaftsebene verändern können. Diese Studien konzentrierten sich hauptsächlich auf Bienen; Informationen über die Wirkung von Raps-Kulturen auf andere Taxa fehlen. In der Arbeit werden die Häufigkeit von Bienen und anderen (Nicht-Bienen-) Blütenbesuchern und die Fruchtmenge von insektenbestäubten Zielpflanzen (Raphanus sativus und Onobrychis viciifolia) am Rande von Raps- und Getreidefeldern in Landschaften mit unterschiedlicher Dichte von nicht bestellten Lebensräumen (Landschaftsstruktur) untersucht. Das Vorhandensein von Raps-Kulturen und Wildblumenressourcen an den Feldrändern hatte unterschiedliche Auswirkungen auf den Reichtum an Bienen und Nicht-Bienenblütenbesuchern. Der Bienenreichtum wurde durch Raps-Kulturen verstärkt, ging aber in komplexen Landschaften zurück. Andererseits hing der Reichtum an Nicht-Bienenblütenbesuchern von der Landschaftsstruktur ab, insbesondere von der Lage der Getreidefelder. Trotz der zahlreichen und vielfältigen Bestäubergemeinschaften, die von Raps-Kulturen und Wildblumenressourcen angezogen werden, wurde das Fruchtset nur Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 11 für generalistische insektenbestäubte Pflanzenarten verbessert, da die Konkurrenzprozesse für Bestäuber spezielle Pflanzenarten betreffen. Die Autoren konstatieren, dass die Einbeziehung von Raps-Kulturen und die Erhaltung der Wildblumenressourcen in Agrarumweltmaßnahmen in Betracht gezogen werden sollten, um die Bestäubungsleistungen in Agrarlandschaften zu verbessern, die stark von Getreidefeldern dominiert werden. Ollerton, Jeff et al. (2014): Extinctions of aculeate pollinators in Britain and the role of large-scale agricultural changes. Science 12 Dec 2014: Vol. 346, Issue 6215, pp. 1360-1362 DOI: 10.1126/science .1257259 Anhand historischer Aufzeichnungen haben die Autoren die Aussterberate von Bienen- und Blumenwespenarten in Großbritannien von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute ermittelt. Die schnellste Phase des Aussterbens scheint mit den Veränderungen in der Agrarpraxis seit den 1920er Jahren zusammenzuhängen, vor der Intensivierung der Landwirtschaft (die oft als wichtigster Treiber für den Verlust der biologischen Vielfalt in Großbritannien genannt wurde). Die Verlangsamung der Aussterberate ab den 1960er Jahren kann auf den vorherigen Verlust der empfindlichsten Arten und/oder wirksame Schutzprogramme zurückzuführen sein. Rundlöf, Maj et al. (2015): Seed coating with a neonicotinoid insecticide negatively affects wild bees. Nature. 2015 May 7;521 (7550):77-80. doi: 10.1038/nature14420. In dieser Studie wird gezeigt, dass eine häufig verwendete Insektizid-Saatgutbeschichtung in einer blühenden Pflanze schwerwiegende Folgen für Wildbienen haben kann. Die Autoren stellen fest, dass die Samenbeschichtung mit Elado, einem Insektizid, das eine Kombination aus dem Neonikotinoid Clothianidin und dem nicht-systemischen Pyrethroid β-Cyfluthrin enthält, auf Rapssamen , reduzierte Wildbienendichte, solitäres Bienennest und Hummelkoloniewachstum und -vermehrung unter Feldbedingungen sich auswirkt. Daher kann ein solcher insektizider Einsatz ein erhebliches Risiko für Wildbienen in Agrarlandschaften darstellen, und der Beitrag von Pestiziden zum weltweiten Rückgang der Wildbienen dürfte unterschätzt worden sein. Das Fehlen einer signifikanten Reaktion in Honigbienenvölkern deutet darauf hin, dass die gemeldeten Pestizidwirkungen auf Honigbienen nicht immer auf Wildbienen extrapoliert werden können. Winfree, Rachael et al. (2009): A meta-analysis of bees' responses to anthropogenic disturbance. Ecology. 2009 Aug;90(8):2068-76. Hier wird eine Meta-Analyse vorgestellt, um abzuleiten, wie Bienen, die wichtigste Gruppe von Bestäubern, von menschlichen Störungen wie Lebensraumverlust, Beweidung, Abholzung und Landwirtschaft betroffen sind. Die Autoren verwenden 130 Effektgrößen aus 54 veröffentlichten Studien, die den Bienenreichtum und/oder den Artenreichtum als Funktion der menschlichen Störung aufzeichnen. Sowohl der Bienenreichtum als auch der Artenreichtum waren signifikant und wurden durch Störungen negativ beeinflusst. Das Ausmaß der Auswirkungen war jedoch nicht groß. Darüber hinaus war die einzige Störungsart, die einen signifikant negativen Effekt hatte (den Verlust und die Fragmentierung des Lebensraums), nur in Systemen statistisch signifikant, in denen nur noch sehr wenig natürlicher Lebensraum vorhanden ist. Daher wäre es verfrüht, Rückschlüsse auf den Verlust von Lebensräumen zu ziehen, der den weltweiten Rückgang der Bestäuber verursacht hat, ohne vorher zu beurteilen, inwieweit die vorhandenen Studien den Zustand der globalen Ökosysteme repräsentieren. Zukünftige Rückgänge der Bestäuber scheinen angesichts der Prognosen einer zunehmenden Landnutzungsänderung wahrscheinlich. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 12 Woodcock, Ben A. et al. (2016): Impacts of neonicotinoid use on long-term population changes in wild bees in England. Nature Communications volume 7, 12459 (2016) doi:10.1038/ncomms12459. In dieser Studie wird der Frage nach den Auswirkungen der Verwendung von Neonikotinoiden auf Bienenvölker nachgegangen. Es sind Hinweise auf ein erhöhtes Aussterben der Population als Reaktion auf die Verwendung von Neonikotinoid-Saatgut bei Raps ableitbar. Arten, die auf Raps fressen (und Raps bestäuben), profitieren von der Deckung dieser Kultur, wurden aber im Durchschnitt dreimal so stark von der Exposition gegenüber Neonikotinoiden betroffen wie Nicht-Pflanzenfresser . Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass subletale Effekte von Neonikotinoiden zu einem Verlust der biologischen Vielfalt der Bienen führen könnten. Einschränkungen bei der Verwendung von Neonikotinoiden können den Bienenvölkerrückgang verringern. 3.2. Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) Der Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) ist ein zwischenstaatliches Gremium mit der Aufgabe der wissenschaftlichen Politikberatung zum Thema biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen. „IPBES wurde 2012 gegründet und der Sitz des Sekretariats befindet sich in Bonn. Aktuell sind 132 Mitglied von IPBES. Das Gremium sammelt weltweit wissenschaftliche Daten, analysiert diese und zeigt politische Handlungsoptionen zum Schutz der biologischen Vielfalt auf. IPBES selbst führt keine eigenen Forschungsarbeiten durch. Kernaufgabe von IPBES ist die Erstellung von Berichten über den aktuellen Zustand und Wissensstand zu Biodiversität und Ökosystemleistungen . Dafür nominieren die IPBES-Mitgliedsstaaten Expertinnen und Experten zur Erstellung der IPBES-Berichte. […] Vom 29. April bis 04. Mai 2019 fand die siebte Plenarsitzung von IPBES (IPBES-7) auf Einladung Frankreichs am Sitz der UNESCO in Paris statt. Zu IPBES-7 trafen sich insgesamt 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter Regierungsvertreter aus 104 der aktuell 132 IPBES-Mitgliedstaaten, Vertreter von wissenschaftlichen Einrichtungen, von Nichtregierungsorganisationen und andere Interessensvertreter (Stakeholder). Im Mittelpunkt der Sitzung stand der Globale Bericht zum Zustand der Natur. Mit dem Bericht existiert nun ein weltweit akzeptierter wissenschaftlicher Sachstand, der verdeutlicht, wie schlecht es um die biologische Vielfalt und die Leistungen der Ökosysteme steht. Der Bericht macht die Dringlichkeit deutlich , mit der es gilt, die Haupttreiber für die Zerstörung der Natur und den Verlust der biologischen Vielfalt auf allen gesellschaftlichen Ebenen anzugehen. Kernaussagen des Berichtes sind: Die biologische Vielfalt und die Leistungen von Ökosystemen wie Nahrung, sauberes Wasser und Medizin sind für das Überleben der Menschheit essenziell. Dennoch verschlechtert sich ihr Zustand dramatisch: Das Artensterben ist heute mindestens Dutzende bis Hunderte Male größer als im Durchschnitt der letzten zehn Millionen Jahre. 75 Prozent der Landoberfläche und 66 Prozent der Meeresfläche sind stark verändert. Über 85 Prozent der Feuchtgebiete sind verloren gegangen. Die negative Entwicklung ist auf zahlreiche direkte Treiber wie beispielsweise Landnutzungsänderungen , Umweltverschmutzung und Klimawandel zurückzuführen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 13 Indirekte Treiber, also soziale und politische Rahmenbedingungen, bieten wichtige Ansatzpunkte für Maßnahmen auf allen gesellschaftlichen Ebenen.“35 Im Jahr 2016 hat ipbes einen umfangreichen Bericht unter dem Titel „The assessment report on pollinators, pollination and food production“ veröffentlicht.36 Ein Kapitel, in dem der Status und eine Abschätzung zukünftiger Trend von Bestäubern vorgestellt wird, geht im Einzelnen auf die Beschreibung des Bestandes von Wildbienen und kultivierten Honigbienen ein.37 Hierbei wird im Kern festgestellt: Viele Wildbienen zeigten in ihrer Häufigkeit, ihrem Vorkommen und ihrer Vielfalt rückläufige Trends. Dies gelte auf lokalen und regionalen Skalen, wie sie in Nordwesteuropa und Nordamerika erfasst wurden. Der Verlust von Bestäubern zeige negative Auswirkungen auf die Vermehrung von Wildtieren und Pflanzen. Die Auswertungen der Roten Liste der „International Union for Conservation of Nature“ (IUCN) zeigten, dass 16,5 Prozent der Wirbeltierbestäuber vom globalen Aussterben bedroht sind (bei den Inselarten stiegen sie auf 30 Prozent). Es gebe keine globalen Bewertungen der Roten Liste speziell für Insektenbestäuber. Regionale und nationale Bewertungen deuteten jedoch auf eine hohe Gefährdung einiger Bienen und Schmetterlinge hin. Ein großes Problem sei, dass die Landschaften zerstückelt seien und nicht genügend zusammenhängende zu bestäubende Gebiete existierten. Zudem wird festgestellt, dass es einen Verlust an indigenem Wissen zu nachhaltigen Bienenbewirtschaftungsmethoden gebe. Die Zahl der bewirtschafteten Honigbienenstöcke nehme weltweit zu, obwohl der saisonale Kolonieverlust in einigen europäischen Ländern und in Nordamerika hoch sei. Eine Kommerzialisierung, Massenzucht , Transport und Handel mit Bestäubern außerhalb ihrer natürlichen Grenzen habe dazu geführt , dass Krankheitserregern und Parasiten eingeführt werden konnten und es teilweise zu einem regionalen Aussterben einheimischer Bestäuberarten kam. Der Rückgang der Ernteerträge sei auf einen lokalen Rückgang der Bestäubervielfalt zurückzuführen. In dem Bericht wird eine Datenauswertung angegeben, aus der hervorgeht, dass – nach einem Einbruch in den 90er Jahren – insgesamt die Anzahl der kultivierten Honigbienenkolonien weltweit steigt:38 35 Quelle: https://www.bmu.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/biologische -vielfalt-international/weltbiodiversitaetsrat-ipbes/ [zuletzt abgerufen am 9. Mai 2019]. 36 Der Bericht sowie Zusammenfassungen sind im Internet unter https://www.ipbes.net/assessment-reports/pollinators abrufbar [zuletzt abgerufen am 9. Mai 2019]. 37 Ebd., Seite 249 ff. 38 Ebd., Seite 269. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 14 Betrachtet man allerdings einzelne Länder im Detail, kann man feststellen, dass beispielsweise für Deutschland eine rückläufige Tendenz festzustellen ist.39 Dies wird häufig mit dem „Aussterben des Imkerberufes“ in Verbindung gebracht. 39 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 15 4. Das EPILOBEE consortium Vor dem Hintergrund, dass zu einer umfangreichen Bewertung des Insektensterbens, und insbesondere des Bienensterbens vergleichbare Daten in jedem europäischen Land unter vergleichbarer Methodik erhoben werden müssen, war die französische Agentur für Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz und Arbeitsschutz (ANSES) beauftragt worden, das europäische Projekt EPILOBEE (pan-European epidemiological study on honeybee colony losses) zu koordinieren40. Zwei Jahre lang wurden Daten über die Sterblichkeit von Bienenvölkern, das Vorhandensein der wichtigsten Infektions- und Parasitenkrankheiten und die damit verbundenen Risikofaktoren gesammelt (2012- 2014). Die nationalen Protokolle, die dabei angewendet wurden, basieren auf Richtlinien des Referenzlabors für Honigbienengesundheit der Europäischen Union (EURL). Die Sterblichkeitsrate der Winterkolonien reichte von 3,2% bis 32,4% und von 2,4% bis 15,4% im Laufe des Jahres; die Rate der saisonalen Koloniesterblichkeit (2013) von 0,02% auf 10,2% hat sich im zweiten Jahr 40 EPILOBEE ist ein von der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten kofinanziertes und in 17 Mitgliedstaaten umgesetztes Programm zur aktiven Überwachung der Bienensterblichkeit. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 16 des Programms nicht drastisch verändert.41 Auf den Seiten der Europäischen Union sind Details und grafische Darstellungen abrufbar.42 5. Zu ausgestorbenen Insektenarten Rote Listen gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze haben das Ziel - die Öffentlichkeit über die Gefährdungssituation der Arten zu informieren, - ein Gutachten zur Argumentationshilfe für raum- und umweltrelevante Planungen anzubieten , - notwendigen Handlungs- und Forschungsbedarf im Bereich des Naturschutzes aufzuzeigen , - eine Datenquelle für gesetzgeberische Maßnahmen und die Erstellung von Roten Listen auf anderen Ebenen (international) bereitzustellen und - dienen nicht zuletzt der Überprüfung des Erfüllungsgrades der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt.43 Rote Listen gefährdeter Tiere existieren sowohl auf nationaler Ebene wie auf EU-Ebene. Einsehbar ist die Europäische Liste unter: http://ec.europa.eu/environment/nature/conservation/species/redlist/index_en.htm [zuletzt abgerufen am 6. Mai 2019]. In Deutschland sind vor allem die Roten Listen des Bundes und der Bundesländer von Bedeutung . Zuständig ist das Bundesamt für Naturschutz (BfN), das die Roten Listen der gefährdeten Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands basierend auf wissenschaftlichen Fachgutachten herausgibt . Die aktuelle Ausgabe stammt aus dem Jahr 2009: https://www.bfn.de/themen/rote-liste/veroeffentlichungen.html [zuletzt abgerufen am 6. Mai 2019]. Die Roten Listen müssen regelmäßig überprüft und fortgeschrieben werden. Hierzu bemerkt das BfN: „Um die Faktoren zu analysieren, welche die Effektivität des Erstellungsprozesses für Rote Listen beeinflussen, hat das Bundesamt für Naturschutz (BfN) im Rahmen des Projektes ´Erstellung der Roten Listen 2020 – Vorbereitungsphase (2011-2015)` eine detaillierte Potential,- Struktur - und Bedarfsanalyse bei der Freien Universität Berlin in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse dieser aktuellen Studie sollen als Basis dienen, um den Rote-Liste-Erstellungsprozess zu optimieren 41 Laurent, Marion et al. (2017), Euroreferences 2 March 2017, Internetressource: https://euroreference.anses.fr/sites /default/files/17%2003%20ED%20ER%2002%202_LAURENT.pdf [zuletzt abgerufen am 6. Mai 2019]. 42 Quelle: https://ec.europa.eu/food/animals/live_animals/bees/study_on_mortality_en [zuletzt abgerufen am 6. Mai 2019]. 43 Diese Informationen sind im Internet abrufbar unter: https://www.bfn.de/0322_rote_liste.html [zuletzt abgerufen am 6. Mai 2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 17 und Ansätze zu entwickeln, wie die erkannten Defizite behoben werden können.“44 Auf den Internetseiten des BfN ist die Rote Liste gemäß Ausgabe aus dem Jahr 2009 abrufbar.45 Unter der Gruppe der „Bienen“ finden sich 561 Einträge. Als „ausgestorben“ sind 39 Einträge markiert: 44 Quelle: https://www.bfn.de/themen/rote-liste.html [zuletzt abgerufen am 6. Mai 2019]. 45 Quelle: https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/roteliste/Dokumente/Rote_Liste_D.zip [zuletzt abgerufen am 6. Mai 2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 040/19 Seite 18 *** NAME BESTAND_AKTUELLLETZTER_NACHWEIS Ammobatoides abdominalis (Eversmann, 1852) ex 1959 Andrena barbareae Panzer, 1805 ex 1952 Andrena lepida Schenck, 1861 ex 1974 Andrena morio Brullé, 1832 ex 1961 Andrena nanaeformis Noskiewicz, 1925 ex 1948 Anthidium melanurum Klug, 1832 ex 1899 Anthophora borealis Morawitz, 1864 ex 1958 Anthophora crassipes Lepeletier, 1841 ex 1973 Anthophora fulvitarsis Brullé, 1832 ex 1964 Bombus alpinus (Linnaeus, 1758) ex 1924 Bombus cullumanus (Kirby, 1802) ex 1960 Bombus mesomelas Gerstäcker, 1869 ex 1956 Colletes caspicus Morawitz, 1874 ex 1936 Colletes floralis Eversmann, 1852 ex 1909 Dasypoda suripes (Christ, 1791) ex 2001 Eucera alticincta (Lepeletier, 1841) ex 1926 Eucera cineraria Eversmann, 1852 ex 1954 Halictus sajoi Blüthgen, 1923 ex 1924 Hylaeus pilosulus (Pérez, 1903) ex 1929 Lasioglossum breviventre (Schenck, 1853) ex 1931 Lasioglossum corvinum (Morawitz, 1876) ex 1930 Megachile bombycina Radoszkowski, 1874 ex 1898 Megachile maackii Radoszkowski, 1874 ex 1869 Melitta wankowiczi (Radoszkowski, 1891) ex 1958 Melitturga clavicornis (Latreille, 1806) ex 1959 Nomada bluethgeni Stöckhert, 1943 ex 1953 Nomada italica Dalla Torre & Friese, 1894 ex 1955 Nomada mauritanica Lepeletier, 1841 ex 1818 Nomada nobilis Herrich-Schäffer, 1839 ex 1941 Nomada pulchra Arnold, 1888 ex 1892 Nomada trapeziformis Schmiedeknecht, 1882 ex 1954 Osmia foveolata (Morawitz, 1868) ex 1942 Osmia lepeletieri Pérez, 1879 ex 1953 Panurginus labiatus (Eversmann, 1852) ex 1912 Pseudapis femoralis (Pallas, 1773) ex 1936 Stelis franconica Blüthgen, 1930 ex 1949 Stelis nasuta (Latreille, 1809) ex 1965 Thyreus histrionicus (Illiger, 1806) ex 1953 Xylocopa iris (Christ, 1791) ex 1957