© 2020 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 039/20 Aspekte der Biodiversität und CO2-Speicherung in Grünlandsystemen Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 039/20 Seite 2 Aspekte der Biodiversität und CO2-Speicherung in Grünlandsystemen Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 039/20 Abschluss der Arbeit: 13. August 2020 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 039/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Begriffliche Abgrenzung 5 3. Biodiversität in verschiedenen Nutzungssystemen 8 4. CO2-Speicherung in verschiedenen Nutzungssystemen 10 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 039/20 Seite 4 1. Einleitung Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU wurde 1962 eingeführt. Hiermit zählt sie zu den ältesten Politikfeldern der EU. Die GAP fußt auf zwei Förderungssäulen: Die erste Säule umfasst Direktzahlungen an die Landwirte, die zweite Säule beinhaltet gezielte Förderprogramme für die nachhaltige und umweltschonende Bewirtschaftung und die ländliche Entwicklung. Die Förderleitlinien der GAP werden zumeist in siebenjährigem Rhythmus beschlossen und orientieren sich an den Haushaltsplänen der EU. Die aktuell laufende Förderperiode 2014-2020 hat u.a. Änderungen für den Erhalt von Grünland mit sich gebracht: „Das Dauergrünland hat in der neuen EU-Verordnung Nr. 1307/20131 eine erweiterte Definition erhalten, welches die Mitgliedsstaaten bemächtigt , künftig auch solche beweidbaren Flächen, auf denen Gras und krautige Futterpflanzen nicht überwiegen, in die Förderkulisse der ersten Säule einzubeziehen, sofern diese Flächen Teil etablierter lokaler Praktiken sind. Weiter erlaubt es die neue Definition von Dauergrünland, auch mit Büschen oder Bäumen durchsetzte Flächen, die beweidet werden, als förderfähig anzuerkennen , wenn Gras und andere krautige Futterpflanzen überwiegen. Diese Voraussetzungen sind maßgeblich, um verpflichtende Umweltziele erreichen zu können.“2 Vor dem Hintergrund der 2020 erneut anstehenden Reformrunde der GAP und der gemeinhin als besonders wichtig erachteten Rolle des Grünlandes für den Natur- und Klimaschutz3, stellt sich die Frage, inwiefern Grünland zur Biodiversitätssteigerung und zur CO2-Senkung einen Beitrag leistet. In einer 2019 erschienenen und durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) geförderten Studie zu „Auswirkungen der neuen Rahmenbedingungen der Gemeinsamen Agrarpolitik auf die Grünland-bezogene Biodiversität“4 wird festgestellt, dass trotz der Maßnahmen bei den Grünland -Lebensraumtypen und bei den Grünland-Arten weiterhin erhebliche Missstände beständen. So sei laut „Rote Liste gefährdeter Biotoptypen“5 für nur rund zehn Prozent der Grünland-Biotoptypen kein Risiko angegeben, dass die Existenz dieser Lebensräume bedroht sei. Insgesamt stehe es um Grünlandareale im Vergleich zu denen anderer Landnutzungssysteme vergleichsweise schlechter. Die Mitgliedsstaaten einschließlich Deutschlands hätten die Optionen, die sich aktuell geboten hätten, nur begrenzt genutzt. Auch der Wissenschaftliche Beirat für Biodiversität und Genetische Ressourcen beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft weist in einer Stellungnahme 2018 darauf hin, dass vor dem Hintergrund des Rückgangs der Vielfalt der 1 Im Internet abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013R1307&from=DE [14. Juli 2020]. 2 Bundesamt für Naturschutz: Grünland-Report, Juli 2014. Im Internet abrufbar unter: https://www.bfn.de/fileadmin /MDB/documents/presse/2014/PK_Gruenlandpapier_30.06.2014_final_layout_barrierefrei.pdf. [8. Juli 2020]. 3 Ebd., Seite 24. 4 Schoof, N., Luick, R., Ackermann, A., Baum, S., Böhner, H., Röder, N., Rudloph, S., Hötker, H. & Jeromin, H. (2019): Auswirkungen der neuen Rahmenbedingungen der Gemeinsamen Agrarpolitik auf die Grünland-bezogene Biodiversität. BfN-Skript 540: 234 Seiten. 5 Stand 2017 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 039/20 Seite 5 Habitate und der Vielfalt der Arten Schritte zur Erhaltung von Grünland und Wäldern unternommen werden müssten und sich dies in einer Neuausrichtung der GAP widerspiegeln müsse.6 In der vorliegenden Arbeit werden wissenschaftliche Quellen zusammengetragen, die der Frage der Biodiversität in Grünland-Systemen im Vergleich zu anderen Beweidungssystemen und in Abhängigkeit von den hierauf weidenden Tieren beleuchten. Zudem werden Quellen zur CO2- Speicherung in verschiedenen Beweidungsformen aufgeführt. Es wurden keine Übersichtsarbeiten gefunden, die Diversitätsbefunde mit der Düngungsfrequenz bzw. -art und der darauf gehaltenen Tierart quantitativ vergleichend untersucht haben. 2. Begriffliche Abgrenzung Grünland und Ackerland Als Grünland werden im Allgemeinen sowohl Flächen bezeichnet, die als Weiden oder Wiesen genutzt werden, als auch solche, die mit Pflanzenbeständen versehen sind. Grünland unterscheidet sich vom sogenannten Ackerland dahingehend, dass die jährliche Bodenbearbeitung und Ansaat entfällt. Das Bundesamt für Naturschutz hat im Juli 2014 einen „Grünland-Report“ veröffentlicht, in dem der aktuelle Stand von Grünlandflächen in Deutschland sowie Handlungsfelder und Empfehlungen thematisiert werden.7 In diesem Bericht wird der Begriff „Grünland“ spezifischer wie folgt umschrieben: „Nach ökologischen Kriterien umfasst Grünland alle dauerhaften Pflanzengemeinschaften aus Kräutern und Gräsern, die natürlich oder durch Nutzung des Menschen entstanden sind. Zum Grünland gehören gedüngte und ungedüngte Wiesen und Weiden zur Futtergewinnung, aber auch Mähwiesen zur Biomasse und Einstreugewinnung, sowie Naturschutzflächen wie Feuchtgrünland, Magerrasen und Streuobstwiesen.“ Hinsichtlich der Dünung bestehen gemäß Düngeverordnung Obergrenzen, in welchem Umfang gedüngt werden darf.8 6 Wissenschaftlicher Beirat für Biodiversität und Genetische Ressourcen beim BMEL, 2018: Für eine gemeinsame Agrarpolitik, die konsequent zum Erhalt der biologischen Vielfalt beiträgt. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats für Biodiversität und Genetische Ressourcen beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft , 36 Seiten. 7 [BfN 2014]: Bundesamt für Naturschutz: BfN Grünland-Report: Alles im Grünen Bereich? Juli 2014; Seite 4; im Internet abrufbar unter: https://www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/presse/2014/PK_Gruenlandpapier _30.06.2014_final_layout_barrierefrei.pdf [7. Juli 2020]. 8 Siehe hierzu: https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/pflanzenbau/ackerbau/duengung.html [14. August 2020]. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 039/20 Seite 6 Nutzungsformen: Dauergrünland und Wechselgrünland Als sogenanntes Dauergrünland werden Wiesen- oder Weideflächen bezeichnet, die dauerhaft keiner anderen Nutzung zugeführt werden. Dabei zählen Grasanbauflächen auf Ackerland ebenso nicht zu Dauergrünland, wie auch Flächen, auf denen Obst den Hauptnutzungsanteil darstellt. Im Gegensatz hierzu wird Grünland, das nur wenige Jahre als Weide (Wechsel- oder Ackerweide) oder zur Gewinnung von Heu und im Wechsel mit einjährigen Ackerfrüchten genutzt wird (Wechselwirtschaft) als Wechselgrünland bezeichnet. Im bereits erwähnten Grünland-Report des BfN wird auf den Begriff „Dauergrünland“ wie folgt eingegangen: „Neben dem Begriff ‚Grünland‘ wird auch häufig von ‚Dauergrünland‘ gesprochen. Beides ist nicht notwendig identisch, denn ‚Dauergrünland‘ ist ein Begriff aus der Landwirtschaft und folgendermaßen definiert: Dauergrünland umfasst Flächen, die durch Einsaat oder durch Selbstaussaat zum Anbau von Gräsern oder anderen Grünfutterpflanzen genutzt und mindestens fünf Jahre nicht als Acker genutzt werden.“9 Eine umfassende und allgemein verständliche Darstellung zu Grünland, ihrer Entwicklung sowie dem Innovations- und Forschungsbedarf findet sich in einer Darstellung des Fachforums Grünland innerhalb der Deutschen Agrarforschungsallianz (DAFA). Diese ist ein Zusammenschluss der wichtigsten Landwirtschaft-wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland.10 Hierin wird die grundlegende Problematik des Erhalts von Grünland wie folgt dargestellt: „Die Bedeutung des Grünlands für die Landwirtschaft war über Jahrzehnte gegenüber der des Ackerlandes rückläufig. Das galt insbesondere für intensive Produktionsverfahren wie die Milchwirtschaft, die zunehmend mit energiereicheren Futtermitteln (Kraftfutter) und dem ertragsstarken und gut technisierbarem Silomais anstatt mit Gras betrieben wurde. Inzwischen ist jedoch für das Intensivgrünland mit der steigenden weltweiten Nachfrage nach Agrarrohstoffen und der zusätzlichen Attraktivitätssteigerung landwirtschaftlicher Nutzflächen durch das EEG eine deutliche Wertsteigerung verbunden. Diese Wertsteigerung der Flächen erhöht den Druck, hohe Erträge bei sehr guter Futterqualität zu realisieren. Im Gegensatz dazu ist bei extensiv bewirtschaftetem Grünland, das aus der Sicht des Natur- und Umweltschutzes besonders wertvoll ist, eine hinreichende Rentabilität der landwirtschaftlichen Produktionsverfahren vielfach nicht gesichert. Der Attraktivitätsverlust des extensiven Dauergrünlands für die Landwirtschaft wurde bzw. wird in seiner Wirkung u.a. durch Natur- und Umweltschutz motivierte Bewirtschaftungsauflagen und Schutzgebietsausweisungen verstärkt. Die Bewirtschaftung v.a. des extensiven Dauergrünlands war 9 [BfN 2014], Seite 4. 10 Weiterführende Informationen finden sich im Internet unter: https://www.dafa.de/foren/fachforum-gruenland/ [8. Juli 2020]. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 039/20 Seite 7 und ist für viele Landwirte wirtschaftlich wenig attraktiv, so dass umbruchfähiges Grünland oftmals in Ackerland verwandelt und nichtumbruchfähiges Grünland aufgeforstet oder aufgegeben wurde.“11 Nutzungsintensität: Intensive Systeme und Extensive Systeme Unter Extensivgrünland12 werden laut Darstellung des Infodienstes Landwirtschaft – Ernährung – Ländlicher Raum des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden- Württemberg 13 Wiesen verstanden, die 1-2-schürig sind, deren natürliche Bodenverhältnisse und die standortstypische spontane Wiesenvegetation nicht gezielt verändert werden, bei denen auf den Einsatz von mineralischem Stickstoff und Gülle, aber auch auf Pestizide verzichtet wird. Zudem sind „die Nutzungshäufigkeit und die Nutzungstermine mit der Regenerationsfähigkeit und den Fortpflanzungsmöglichkeiten der für Wiesen typischen Pflanzen- und Tierarten vereinbar“.14 Demgegenüber steht die mäßig intensive Wiesen-Nutzung, die sich dadurch auszeichnet, dass die natürlichen Standorteigenschaften und die spontane Wiesenvegetation infolge von Düngung oder anderen gezielten Maßnahmen nicht irreversibel verändert werden. „Die Nutzungshäufigkeit und die Nutzungstermine sind mit der Regenerationsfähigkeit und den Fortpflanzungsmöglichkeiten der meisten für Wiesen typischen Pflanzen- und Tierarten vereinbar. Die mechanischen Wirkungen der Nutzung führen nicht zu Störungen der Pflanzendecke, sondern erhalten eine dem Nährstoff- und Wasserangebot des Bodens entsprechende geschlossene krautige Vegetation .“15 In intensiven Systemen etwa für die Milcherzeugung stelle laut Fachforum Grünland das Grünland Futterenergie und -protein in einem Umfang bereit, der Milchleistungen von 10.000 kg je ha und Jahr ermöglicht. Auf ertragsstarken Standorten und bei optimiertem Management würden Flächenleistungen von bis zu 13.000 kg Milch pro ha ausschließlich aus Grünlandfutter gemessen . Dabei könnten die flächenbezogenen Deckungsbeiträge diejenigen vieler ackerbaulicher Kulturen übertreffen.16 Extensive Systeme findet man beispielsweise in der Mutterkuhhaltung. Hier 11 Dafa: Fachforum Grünland. Grünland innovativ nutzen und Ressourcen schützen; 12/2015, im Internet abrufbar unter: https://www.dafa.de/wp-content/uploads/FF_Gruenland.pdf [8. Juli 2020]. 12 Extensivgrünland ist nicht mit „extensiviertes Grünland“ zu verwechseln. Hierbei handelt sich um ein sich wandelndes Gebiet, das sich zwar durch Reduzierung von Nutzungshäufigkeit und Düngung auszeichnet, allerdings teilweise noch nicht als Extensivgrünland zu bezeichnen ist. 13 Infodienst Landwirtschaft – Ernährung – Ländlicher Raum des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden- Württemberg: Extensivgrünland oder artenreiches Grünland der mäßig trockenen bis mäßig feuchten Standorte; Internetressource: http://www.landwirtschaftbw .info/pb/,Lfr/3650826_3651464_2304248_2311917 [8. Juli 2020] 14 Ebd. 15 Ebd. 16 Dafa: Fachforum Grünland. Grünland innovativ nutzen und Ressourcen schützen; 12/2015, im Internet abrufbar unter: https://www.dafa.de/wp-content/uploads/FF_Gruenland.pdf [8. Juli 2020]. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 039/20 Seite 8 kann man nicht die flächenmässigen Erträge erzielen wie man es auf ackerbaulich genutzten Flächen erreicht. Allerdings könnten einzelne tierindividuelle Leistungen (Lebendmassezunahmen) in ähnlicher Weise ausfallen, wie bei intensiveren Systemen. 3. Biodiversität in verschiedenen Nutzungssystemen Da in extensiven Beweidungssystemen einige Bereiche stärker als andere Bereiche von Tieren genutzt werden, sind in den stärker beanspruchten Arealen Pflanzen recht kurz, und es entstehen Mosaike unterschiedlicher Lebensräume. In Bereichen, die kaum genutzt werden, wachsen die Pflanzen sehr hoch und können Samen bilden. Dies passiert auf intensiven Weiden nicht. Diese Struktur hat zur Folge, dass extensive Weidesysteme eine hohe Artenvielfalt aufweisen. Über ein Drittel der in Deutschland beheimateten Pflanzenarten und über die Hälfte der bedrohten Rote-Liste-Arten kann man potenziell auf Grünlandflächen finden. Im Global Biodiversity Assessment des United Nations Environment Programme 1995 wird festgestellt, dass ein Großteil der domestizierten Pflanzen ursprünglich aus Grünlandregionen stamme.17 Direkt sichtbare positive Auswirkungen der biologischen Vielfalt durch Grünland betreffen (1) Bestäubung und Habitatbereitstellung , (2) Verminderung von Bodendegradation und Erosion und (3) Gewässerregulierungen und -qualität. Zu diesen Punkten finden sich detailliertere Darstellungen in der bereits zitierten Publikation des Fachforums Grünland.18 In einer wissenschaftlichen Arbeit, die 2014 publiziert wurde, wird von den Ergebnissen eines Langzeitexperiments (2002–2011) berichtet, in dem drei Weideintensitäten untersucht wurden (eine mäßige Beweidung (MC), milde Beweidung (LC) und sehr milde Beweidung (VLC)). Das Experiment wurde in einem mäßig artenreichen Grasland am Rande des Solling-Hochlandes in Niedersachsen durchgeführt. Es wurden Heuschrecken und Schmetterlinge in den Jahren 2002–2004 und erneut in den Jahren 2010 und 2011 gezählt. Die Diversitätsmaße der Heuschrecken (Artenvielfalt und -menge) wurden erheblich von der Weideintensität beeinflusst. Die Häufigkeit stieg in der LC von 2002 bis 2011 stärker an als in der MC-Behandlung. Die Reaktion des Schmetterlingsartenreichtums auf die Weideintensität variierte zwischen den Jahren. Die Daten von 2010 und 2011 zeigten keinen Vorteil der niedrigsten Weideintensität (VLC) im Vergleich zur Behandlung mit mittlerer Weideintensität (LC) in beiden Insektengruppen. Aus den Beobachtungen wurde geschlossen, dass die Weideintensität von Rindern einen Einfluss auf die räumliche Anordnung der Grasstruktur der Weide hat ebenso wie auf die Häufigkeit von Heuschrecken und Schmetterlingen. Die weniger mobilen Heuschrecken profitierten von milder Beweidung. Für die 17 McNeely J A, Gadgil M, Leveque C, Padoch C and Redford K 1995 Human influence on biodiversity. In Global Biodiversity Assessment. Ed. UNEPs. pp 715-821. Cambridge University Press, Cambridge. Siehe hierzu auch Seite 26 in: Dafa: Fachforum Grünland. Grünland innovativ nutzen und Ressourcen schützen; 12/2015, im Internet abrufbar unter: https://www.dafa.de/wp-content/uploads/FF_Gruenland.pdf [8. Juli 2020]. 18 Ebd. Seiten 26 – 28. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 039/20 Seite 9 Anzahl der Schmetterlinge war insbesondere unterschiedlich hohes Gras und das Vorkommen spezifischer Nektarpflanzenarten wichtig.19 Es stellt sich die Frage, welche Tiere am besten geeignet sind, um das Grünland zu beweiden. Milchkühe haben den Nachteil, dass der Aufwand für eine derartige Haltung gemessen am Milchpreis zu hoch ist (so dass man hier eher intensiv wirtschaftet). Laut Bundesinformationszentrum Landwirtschaft werden rund 70 Prozent aller Milchkühe in Deutschland in offenen Laufställen gehalten.20 Je nach Herdengrößen bedeutet eine Weidenhaltung einen enormen Mehraufwand . Sie müssten mehrfach täglich in den Melkstand getrieben und dann wieder auf der Weide verteilt werden. Zudem wiegen die Kühe durch das Kraftfutter mehr, geben mehr Milch, sinken allerdings auch schneller in Grünlandflächen ein.21 Schafe und Ziegen werden auch für Extensivgrünland genutzt und haben auch sehr positive Einflüsse auf die Biodiversität. Dabei ist zu beachten, dass sie viel selektiver Futter auswählen können , da sie z.B. auch einzelne Blätter abbeißen können. Diesen Erfolgt erzielt man mit Rinder nicht, weil sie nicht beißen, sondern Futter mit Zunge und Kauleiste abrupfen. Pferde sind auch geeignet, können Pflanzen aber sehr tief verbeißen. Zur Haltung von Schafen und Pferden auf Grünland-Arealen wird vom Fachforum Grünland konstatiert: „Die Schafhaltung wird vor allem auf pflegebedürftigen (z.B. Deiche, Naturschutzgebiete ) und ggf. weniger produktiven Grünlandstandorten betrieben. Bei gut einer Million Mutterschafen mit Nachzucht kann mit einem Grünlandbedarf bis zu 200.000 ha kalkuliert werden. Die Grünlandverwertung durch Schafe spielt somit nur eine geringe Rolle. Allerdings hat die Schafbeweidung eine große naturschutzfachliche Bedeutung beim Erhalt der Vegetation extensiver Grünlandstandorte und dem Küstenschutz (Deichpflege). […] Ein relevanter Grünlandverwerter ist das Pferd, insbesondere auch für strukturreiche biodiverse Aufwüchse. In Deutschland gibt es rund 1,1 Mio. Pferde, die im Wesentlichen als Freizeit- und Sportpferde eingesetzt werden. Rund die Hälfte der Pferde wird auf landwirtschaftlichen Betrieben gehalten. Eine tiergerechte Haltung von Pferden setzt als Richtwert eine Grünlandfläche pro Tier von rund 0,5 ha voraus, die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen nennt eine Fläche von 1 ha pro Großpferd. Insgesamt benötigt die Pferdehaltung bei tiergerechter Unterbringung demnach ca. 500.000 ha bis 1 Mio. ha Grünlandfläche und damit einen beachtlichen Teil der ca. 4,6 Mio. ha Dauergrünland in Deutschland. An einigen Standorten werden im Wesentlichen kleine oder in Streulage befindliche Grünlandflächen in Nutzung gehalten und vor der Sukzession bewahrt. In 19 J.S. Jerrentrup et al.: Grazing intensity affects insect diversity via swardstructure and heterogeneity in a longterm experiment; Journal of Applied Ecology 2014, 51, 968–977; doi: 10.1111/1365-2664.12244. 20 https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-verstehen/wie-arbeiten-tierhalter/haltungsformen-fuer-milchkuehe [12. August 2020]. 21 https://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/bauern-lassen-ihre-kuehe-nicht-mehr-auf-die-weidenid 13153351.html [12. August 2020]. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 039/20 Seite 10 der Nähe von Ballungsräumen kann die Pferdehaltung erheblich zur Grünlandnutzung beitragen und große, zusammenhängende Areale einnehmen, die das Grünlandbild dieser Region insgesamt prägen.“22 In einer aktuell im April 2020 erschienenen wissenschaftlichen Publikation wird der Frage der Auswirkung des Weidessystems auf die Vegetation im Vergleich von Pferde- und Rinderhaltung eingegangen.23 Die Wissenschaftler beobachteten eine höhere Anzahl von Pflanzenarten und mehr Indikatorarten mit hohem Naturwert auf kontinuierlich von Pferden begrasten Koppeln im Vergleich zu Rinderweiden. Auf Rinderwiesen findet man einen höheren Futterwert. Pferdeweiden waren unter anderem stresstoleranter. Allgemein wird empfohlen, dass es für den Erhalt der Artenvielfalt auf Grünlandflächen von Vorteil ist, wenn Vieh in niedrigen Besatzraten24 gehalten wird. Die Datenlage hinsichtlich der Auswirkungen der Weideintensität auf die Pflanzenvielfalt ist allerdings widersprüchlich. Eine Publikation aus dem Jahr 2019 zeigt anhand einer Simulationsarbeit, dass die höchste Artenvielfalt bei mittlerer Weideintensität beobachtet werden kann.25 In einer ebenfalls 2019 erschienenen Studie wird auch der Frage des Verhältnisses von Weideintensität und biologischer Vielfalt nachgegangen , allerdings unter Berücksichtigung der Auswirkung von Fleckenbildung auf den Weiden .26 Die Autoren der Arbeit haben die Pflanzenvielfalt für drei verschiedene Weidenfleckentypen in Niedersachsen untersucht (niedriger Fleckenbesatz, mittlerer und hoher). Dabei wird festgestellt , dass nicht die Weideintensität, sondern der Patch-Typus (Fleckenbildung, fleckenhafte Beweidung) ausschlaggebend ist. Eine kleinflächige Fleckenbildung war dabei vorteilhafter für die biologische Vielfalt. Die Nährstoffbodenkonzentration hatte dabei keinen Einfluss. Diese Befunde sind dahingehend von Bedeutung, dass für den Erhalt der biologischen Vielfalt in einem Beweidungsmanagement auch die strukturelle Heterogenität einer Weide beachtet werden sollte, und nicht nur die Weideintensität im Vordergrund stehen sollte. 4. CO2-Speicherung in verschiedenen Nutzungssystemen Es ist bekannt, dass Grünland einen Beitrag für den Kohlendioxid-, Lachgas- und Methan-Austausch zwischen Atmosphäre und Biosphäre leistet. Laut zweier Publikationen aus dem Jahr 22 Dafa: Fachforum Grünland. Grünland innovativ nutzen und Ressourcen schützen; 12/2015, im Internet abrufbar unter: https://www.dafa.de/wp-content/uploads/FF_Gruenland.pdf [8. Juli 2020]. Seiten 22f. 23 A. Schmitz: Effect of Grazing System on Grassland Plant Species Richness and Vegetation Characteristics: Comparing Horse and Cattle Grazing; Sustainability 2020, 12, 3300; doi:10.3390/su12083300. 24 Anzahl der Tiere pro Landeinheit über einen festgelegten Zeitraum. 25 Pulungan, M.A., Suzuki, S., Gavina, M.K.A. et al. Grazing enhances species diversity in grassland communities. Sci Rep 9, 11201 (2019). https://doi.org/10.1038/s41598-019-47635-1; https://www.nature.com/articles/s41598- 019-47635-1 [13.August 2020]. 26 B. Tonn: Grazing‐induced patchiness, not grazing intensity, drives plant diversity in European low‐input pastures ; J Appl Ecol. 2019;56:1624–1636. DOI: 10.1111/1365-2664.13416. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 039/20 Seite 11 2001 sind die Formen des Managements, der Bodentyp und die klimatischen Bedingen wesentliche Faktoren für die Kohlenstoffbindung (und Lachgasemission).27 In einer Studie aus dem Jahr 2000 wird festgestellt, dass rund 34% des insgesamt in terrestrischen Systemen befindlichen organischen Kohlenstoffs in Grünland gespeichert ist.28 Eine belastbare Klimabilanzierung ist schwerlich zu erstellen. Sie hängt von einer Vielzahl Faktoren ab und kann je nach Ort, Management und beachteten Faktoren sehr variabel ausfallen. Zwei Studien aus den Jahren 2004 und 2007 gehen der Frage der Bilanzierung von Treibhausgasen in europäischen Grünlandsystemen nach. Sie betonen die großen Unsicherheiten in Bezug auf Ausmaß und Nichtlinearität der Veränderungen des Kohlenstoffbestands im Boden in landwirtschaftlichen Grünlandschaften ebenso wie anderen Treibhausgasemissionen auf Weidewiesen.29 Wichtig ist auch zu beachten, was konkret bilanziert wird: pro Tier, pro kg Produkt oder pro Fläche . Dies unterscheidet sich oftmals auch zwischen Ländern: während Deutschland häufig pro Tier bilanziert, wird in der Schweiz eine Größe pro Fläche angegeben. Ob Grünland oder Wald mehr Kohlenstoff bindet, ist umstritten.30 Vergleicht man allerdings Grünland mit Ackerland, bindet Grünland mehr Kohlenstoff. Bei der Angabe von Klimabilanzierungen ist zudem zu beachten , ob es sich um die Angabe von CO2 oder um CO2-Äquivalente handelt, die andere Treibhausrelevanten Stoffe mit einschließen. Im Folgenden werden Quellen wiedergegeben, die sich der Betrachtung von Kohlenstoff selbst in verschiedenen Systemen widmen. In einem bereits 1998 erschienen Artikel wird auf die Schwierigkeiten bei der Beurteilung von Grünland als Kohlenstoffsenke eingegangen. Im Grünland sei Kohlenstoff besonders im Boden gespeichert und daher große Mengen des gespeicherten Kohlenstoffes bei Messungen oberhalb der Erde nicht sichtbar.31 In einer Metaanalyse aus dem Jahr 2002 wird gezeigt, dass im Boden unterhalb von Grünland mehr Kohlenstoff zu finden ist als im Waldboden. Besonders ausgeprägt ist dieser Befund im Vergleich zu Nadelwäldern.32 In einer Studie aus dem Jahr 2018 wurde an- 27 Conant R T, Paustian K and Elliott E T 2001 Grassland management and conversion into grassland: Effects on soil carbon. Ecological Applications 11, 343-355. Follett R F, Kimble J M and Lal R 2001 The potential of US grazing lands to sequester soil carbon. In The Potential of US Grazing Lands to Sequester Soil Carbon. Eds. R F Follett, J M Kimble and R Lal. pp 401-430. CRC Press, Chelsea, MI. 28 White, R.P., Murray, S., Rohweder, M., (2000): Pilot analysis of global ecosystems - Grassland ecosystems. World Resources Institute, Washington D.C. 29 J.F. Soussana et al.: Carbon cycling and sequestration opportunities in temperate grasslands; Soil Use and Management (2004) 20, 219±230. J.F. Soussana et al.: Full accounting of the greenhouse gas (CO2, N2O, CH4) budget of nine European grassland sites; Agriculture, Ecosystems and Environment 121 (2007) 121–134 30 Persönliche Informationen vom 2. Juli 2020: Grünland und Futterbauwissenschaften an der Universität Rostock. 31 J.M.O Scurlock et al.: The global carbon sink: a grassland perspective; Global Change Biology (1998) 4, 229–233. 32 L.B. Guo: Soil Carbon Stocks and land use change: a meta analysis; Global Change Biology (2002) 8, 345-360. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 039/20 Seite 12 hand von Modellierungsexperimenten demonstriert, dass kalifornisches Grünland widerstandsfähigerer auf Klimaveränderungen reagiert als Wälder.33 Dies führt dazu, dass teilweise Grünland als zuverlässigere Kohlenstoffsenke angesehen wird. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass sich Ergebnisse aus den USA nicht ohne weiteres auf europäische Systeme übertragen lassen, da in den USA der Anteil von C4-Gräsern höher ist und diese auf Trockenstress anders reagieren. *** 33 P. Dass et al.: Grasslands may be more reliable carbon sinks than forests in California; Environ. Res. Lett. 13 (2018) 074027.