© 2021 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 038/21 Lärmwirkungsforschung im Bereich extra-auraler Wirkungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 038/21 Seite 2 Lärmwirkungsforschung im Bereich extra-auraler Wirkungen Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 038/21 Abschluss der Arbeit: 21. April 2021 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 038/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Lärmwirkungsforschung im Bereich extra-auraler Wirkungen 4 2.1. Grundlagen 4 2.2. Beispiele wissenschaftlicher Studien zum Thema extra-aurale Lärmwirkung 7 3. Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 038/21 Seite 4 1. Einleitung Die Lärmwirkungsforschung setzt sich zum Ziel, bestehende Wissenslücken zu den konkreten Auswirkungen von Lärm auf den Menschen zu schließen. Die Ergebnisse fließen in Lärmminderungsstrategien und politischer Maßnahmen ein. Die vorliegende Arbeit widmet sich der Frage nach dem aktuellen Stand der Lärmwirkungsforschung hinsichtlich gesundheitlicher extra-auraler Auswirkungen. Dabei wird ein Schwerpunkt auf die Auswirkungen durch Schienenverkehr gelegt. Die direkte Wirkung hoher Schallintensitäten wird als aurale Wirkung bezeichnet. Hohe Schallintensitäten belasten in erster Linie das Gehör , d.h. sie wirken sich direkt, langfristig oder dauerhaft auf das Hörvermögen aus. Neben den auralen Wirkungen treten weitere nicht-gehörbezogene Wirkungen bei den Betroffenen auf. Diese bezeichnet man als "extra-aural". Sie können physiologische Reaktionen, physische und psychische Beeinträchtigungen sowie Leistungsminderungen umfassen. Am häufigsten werden vaskuläre und metabolische sowie psychische Erkrankungen mit Verkehrslärm assoziiert.1 Zudem wird darauf eingegangen, inwiefern rechtlich vorgegebene Grenzwerte die Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung widerspiegeln. Rechtlich ist der Lärmschutz durch das Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundesimmissionsschutzgesetz – BImSchG) geregelt. Die für die Umsetzung wesentlichen (vorwiegend technischen) Einzelheiten sind in Durchführungsverordnungen (Bundes-Immissionsschutzverordnungen, abgekürzt BImSchV) festgelegt. So enthält die nach § 43 BImSchG erlassene Verkehrslärmschutzverordnung Geräuschgrenzwerte zum Schutz der Nachbarschaft, technische Anforderungen an den Bau der Verkehrswege und Vorschriften über den notwendigen Schallschutz an baulichen Anlagen. 2. Lärmwirkungsforschung im Bereich extra-auraler Wirkungen 2.1. Grundlagen Als Lärm wird von einer Geräuschquelle ausgehender Schall bezeichnet, der als störend empfunden wird und/oder den Gesundheitszustand eines Lebewesens beeinträchtigt. Für das menschliche Hörvermögen sind zwei Einheiten von Bedeutung: Die Tonhöhe und die Lautstärke. Die Tonhöhe (Frequenz) wird in der Einheit Hertz (Hz) gemessen. Menschen mit gesundem Gehör verfügen über einen wahrnehmbaren Hörbereich von ca. 20 bis 20.000 Hertz (menschliche Sprache: zwischen 500 und 6.000 Hertz). Die Lautstärke wird in Dezibel (dB) angegeben . Ein normal hörender Mensch empfindet meist eine Schallwelle (einzelnes Schallereignis) ab 80-85 dB als unangenehm, allerdings unterscheidet sich diese Grenze von Mensch zu Mensch.2 1 Vgl. hierzu: R. Heinecke-Schmitt: Verringerung der Lärmbelastungen am Wohnort - Was wurde bisher erreicht? Bundesgesundheitsbl. 2018 · 61: 637 - 644. https://doi.org/10.1007/s00103-018-2735-x Online publiziert: 8. Mai 2018. 2 Vgl. hierzu Information: https://www.hno-aerzte-im-netz.de/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 038/21 Seite 5 Für die Beurteilung von Schallereignissen ist der sogenannte Pegelverlauf wichtig. Hierbei sind folgende Begriffe bedeutsam: Grundgeräuschpegel: Hintergrundgeräusch, der auch ohne die Wirkung der Schallquelle existiert. Maximalpegel oder Spitzenpegel: Maximaler Pegel, der bei dem gegebenen Schallereignis erreicht wird. Mittelungspegel: Stärke und Dauer jedes Einzelgeräusches während eines gegebenen Zeitraumes werden zu einem Wert verrechnet. Beurteilungspegel: „Der Beurteilungspegel ist nach § 3 der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) eine Rechengröße zur Bewertung des Verkehrslärms.“3 In die Angabe des Beurteilungspegels bei Schienenwegen gehen verschiedene Variablen ein: Art, Länge und Geschwindigkeit eines Zuges, Fahrbahnart und Schallminderungstechniken am Gleis sowie topografische Faktoren wie Bodenerhebungen, Schallschutzwände oder Abschirmung durch bauliche Anlagen Berücksichtigung. In Deutschland wird unterschieden zwischen der Lärmvorsorge (bei Planung) und der Lärmsanierung (im Bestand). Bei der Planung von Neu- und Ausbau von Schienenwegen müssen laut 16. BImSchV bei Überschreitung folgender Beurteilungspegel Lärmvorsorgemaßnahmen getroffen werden4: 3 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Lärmschutz im Schienenverkehr; April 2019; https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/E/laermschutz-im-schienenverkehr-broschuere .pdf?__blob=publicationFile, Seite 10. 4 Darstellung entnommen aus Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Lärmschutz im Schienenverkehr ; April 2019; https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/E/laermschutz-im-schienenverkehr -broschuere.pdf?__blob=publicationFile. Seite 20. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 038/21 Seite 6 Einheitliche Lärmsanierungswerte für den Straßen- und Schienenverkehr wurden wie folgt festgelegt 5, d.h. Werte, oberhalb derer eine Sanierung notwendig wird: 5 Ebd., Seite 25. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 038/21 Seite 7 Zudem ist die Erstellung von Lärmkarten gemäß der Umgebungslärmrichtlinie der Europäischen Union in einem regelmäßigen Abstand von fünf Jahren vorgesehen. Im Bereich der Schienenwege ist hierfür das Eisenbahn Bundesamt (EBA) zuständig. Hierbei wird die Lärmbelastung an Haupteisenbahnstrecken und innerhalb von Ballungsräume sowie an allen anderen Eisenbahnstrecken des Bundes kartiert.6 Eine detailliertere allgemeinverständliche Einführung in die akustischen Grundlagen von Schallwirkungen bietet eine Informationsbroschüre des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur.7 2.2. Beispiele wissenschaftlicher Studien zum Thema extra-aurale Lärmwirkung In der Meta-Datenbank zu biomedizinischen Publikationen, PubMed8, finden sich Studien zu Lärmwirkung, mitunter zum Thema „extra-auraler Lärmwirkungen“. Im Zeitraum der letzten fünf Jahre wurden international lediglich zwei Arbeiten zum Stichwort „extra aural noise“ gefunden. Die Bezeichnung „extra-aural“ wird allerdings häufig im Titel und Abstract bzw. auch der gesamten Studie nicht verwendet. So findet sich beispielsweise zum Stichwort „Schiene und Lärm“ (Rail and Noise) u.a. eine Meta- Analyse im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation, die den Begriff extra-aural nicht benutzt, allerdings einen Überblick über Umgebungslärm und kardiovaskuläre und metabolische Effekte infolge von Lärm bietet. Diese Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Straßenverkehrslärm die Häufigkeit koronarer Herzkrankheiten ab 50 dB(A) um 8 % pro 10 dB(A) Zunahme erhöhe.9 Im Vergleich zu Straßen- und Fluglärm wurden nur wenige bereits existierende Studien gefunden, die die Auswirkungen von Schienenverkehrslärm untersuchten. Die Assoziation zwischen Schienenverkehrslärm und der Prävalenz der Herzerkrankungen war nicht signifikant. Eine weitere Studie aus dem Jahr 2019, die im Deutschen Ärzteblatt erschienen ist, geht der Frage nach kardiovaskulären Auswirkungen von Lärm nach und konstatiert, dass Verkehrslärm, insbesondere Fluglärm, ein wichtiger kardiovaskulärer Risikofaktor sei, der bisher noch nicht 6 Abrufbar im Internet unter: http://laermkartierung1.eisenbahn-bundesamt.de/mb3/app.php/application/eba. 7 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Lärmschutz im Schienenverkehr; April 2019; https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/E/laermschutz-im-schienenverkehr-broschuere .pdf?__blob=publicationFile. 8 PubMed ist eine englischsprachige textbasierte Meta-Datenbank. Sie bietet Referenzen auf (bio-)medizinische Artikel im gesamten Bereich der nationalen medizinischen Bibliothek der Vereinigten Staaten. 9 Kempen EV et al: WHO Environmental Noise Guidelines for the European Region: A Systematic Review on Environmental Noise and Cardiovascular and Metabolic Effects: A Summary. Int J Environ Res Public Health. 2018 Feb. 22; 15(2):379. doi: 10.3390/ijerph15020379. PMID: 29470452; PMCID: PMC5858448. In dieser Arbeit wurden 600 Referenzen zu Studien über die Auswirkungen von Straßen-, Schienen- und Fluglärm sowie von Windkraftanlagen auf das kardio-metabolische System ausgewählt, die zwischen Januar 2000 und August 2015 veröffentlicht wurden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 038/21 Seite 8 ausreichend untersucht worden sei. Um die Bevölkerung vor den gesundheitsschädlichen Auswirkungen von Lärm zu schützen, seien präventive Maßnahmen erforderlich.10 Im Folgenden werden die zwei in PubMed im Zeitraum der letzten fünf Jahre verzeichneten Studien zum Stichwort „extra aural noise“ vorgestellt. Hierbei handelt es sich um Arbeiten aus Deutschland und Österreich, so dass es auch nicht die Einschränkung gibt, dass Lärm in einem anderen Kulturkreis anders empfunden werden könnte. In einer deutschen Arbeit aus dem Jahr 2018, die im „Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz“ erschienen ist,11 werden Lärmwirkungsaspekte am Beispiel des Verkehrslärms diskutiert. Dabei werden vier Wirkungsfelder unterschieden, auf die im Folgenden eingegangen wird: (1) Lärmbelästigung: Als Lärmbelästigung wird ein bewusstes Urteil als Reaktion betroffener Menschen auf die Einwirkung von Lärm bezeichnet. Die Autoren der Arbeit weisen darauf hin, dass Lärmbelästigung typische Merkmale psychischer Stressreaktionen zeige und daher gesundheitsrelevant sei, da sie als lärmspezifischer Ausdruck fehlender Stressbewältigung und des Mangels an psychischem Wohlbefinden die Gesundheitsdefinition der WHO (Weltgesundheitsorganisation ) berühre. Anhand von Re-Analysen von Studiendaten seien generalisierte Expositionswirkungsfunktionen , bezogen auf den Tag-Abend-Nachtpegel für die Belästigung durch Flug-, Straßen - und Schienenverkehrslärm ermittelt worden. Diese seien in der EU-Umgebungslärmrichtlinie , Annex III berücksichtigt worden, um auf dieser Basis die Zahl der Lärmbelästigten innerhalb eines Betrachtungsraumes berechnen zu können. Daraus ginge hervor, dass Fluglärm bei gleichem Tag-Abend-Nachtpegel zu einem höheren Anteil an Lärmbelästigten als Straßenverkehrslärm und dieser wiederum zu einem höheren Anteil als Schienenverkehrslärm führe. Seit Ende der 1990er-Jahre durchgeführte Studien zeigten allerdings, dass sich die Expositionswirkungsbeziehungen zur Verkehrslärmbelästigung veränderten und z. B. der Belästigungsunterschied zwischen Straßen- und Schienenverkehrslärm zugunsten der Bahn nicht immer und überall gelte. (2) Schlafstörungen: Aus der Analyse von Feldstudien, in denen physiologisch erfasste Schlafparameter in Bezug zum ereignisbezogenen Maximalpegel von Verkehrsgeräuschen gesetzt werden, seien folgende Schlussfolgerungen zu ziehen: Die Aufwachwahrscheinlichkeiten durch ereignisbezogene Maximalpegel von Straßen- und Schienenverkehrsgeräuschen unterschieden sich kaum und lägen höher als die Aufwachwahrscheinlichkeit durch Flugzeuggeräusche. Ein Vergleich von Feldstudiendaten zur Wirkung des nächtlichen Flug- bzw. Schienenverkehrslärms auf polysomnographisch12 gemessene Aufwachreaktionen ergebe, dass der 10 Hahad O et al.: The Cardiovascular Effects of Noise. Dtsch Arztebl Int. 2019 Apr 5; 116(14):245-250. doi: 10.3238/arztebl.2019.0245. PMID: 31092312; PMCID: PMC6541745. 11 R. Heinecke-Schmitt et al.: Verringerung der Lärmbelastungen am Wohnort - Was wurde bisher erreicht? Bundesgesundheitsbl . 2018 · 61:63 - 644. https://doi.org/10.1007/s00103-018-2735-x Online publiziert: 8. Mai 2018. 12 Schlafmedizinisches Verfahren zur Diagnostik von Schlafstörungen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 038/21 Seite 9 ereignisbezogene Maximalpegel von Güterzuggeräuschen mit einer höheren zusätzlichen, lärmbedingten Aufwachwahrscheinlichkeit assoziiert sei als die Maximalpegel von Flugzeug- und Personenzuggeräuschen. Die auf Maximalpegel von Flugzeug und Personenzuggeräuschen bezogenen Kurven der zusätzlichen Aufwachwahrscheinlichkeit unterschieden sich nicht statistisch signifikant voneinander. (3) Kognitive Leistung von Kindern: Die Auswirkungen von Lärm auf kognitive Leistungen bei Kindern sind in der Vergangenheit im Wesentlichen anhand der Wirkung von Fluglärmeinwirkungen untersucht worden . Hierbei habe sich anhand der Auswertung an verschiedenen Standorten gezeigt, dass bei Schulkindern im Alter von 7 bis 10 Jahren mit zunehmendem Fluglärm tagsüber bzw. während der Unterrichtszeit die Leseleistung abnehme. (4) Erkrankungsrisiken: Für Verkehrslärm wurden Assoziationen mit kardiovaskulären Erkrankungsrisiken gezeigt . Als Erklärung wird angenommen, dass diese durch Stresswirkung infolge von Umgebungslärm bedingt werden. Hinsichtlich der Intensität wird dabei festgestellt, dass neuere Untersuchungen bereits bei niedrigen bis moderaten Geräuschpegeln (unterhalb von 55 dB) einen Anstieg von kardiovaskulären Erkrankungsrisiken sähen, aber eine kritische Schwelle dabei derzeit kaum auszumachen sei. In einer Flughafenstudie sei zudem ein Zusammenhang zwischen Lärm und Depression aufgezeigt worden. In einer anderen Studie sei ein Zusammenhang zwischen Verkehrslärm und Depression gezeigt worden, wonach das Depressionsrisiko bei einer Straßenverkehrslärmbelastung von mehr als 55 dB gegenüber der Referenzgruppe mit einer Belastung von weniger oder gleich 55 dB erhöht gewesen sei. Des Weiteren deuteten neuere Ergebnisse darauf hin, dass nicht nur die Dauerlärmbelastung eine Rolle spiele, sondern auch zusätzlich Maximalpegel und die Zahl der Lärmereignisse bei der Analyse von Gesundheitsrisiken des Umgebungslärms betrachtet werden sollten.13 Ebenso sollten Maße, die die Unstetigkeit eines Lärmverlaufs berücksichtigten, beachtet werden und nicht nur der Mittelwert der Lärmeinwirkung. In einer österreichischen Arbeit aus dem Jahr 201614 werden in einer Laborstudie extra-aurale Effekte untersucht, die durch 20 Minuten Straßen- und 20 Minuten Schienenverkehrslärm mit gleicher Lautstärke (75 dBA) induziert wurden. 13 Laut TA Lärm dürfen „einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen […] die Immissionsrichtwerte am Tage um nicht mehr als 30 dB(A) und in der Nacht um nicht mehr als 20 dB(A) überschreiten.“ (https://www.verwaltungsvorschriften -im-internet.de/bsvwvbund_26081998_IG19980826.htm.) 14 E. Gallsch et al.: Road and Rail Traffic Noise Induce Comparable Extra-aural Effects as Revealed During a Shortterm Memory; TestNoise Health. 2016 Jul-Aug; 18(83): 206 - 213. doi: 10.4103/1463-1741.189243: 10.4103/1463- 1741.189243. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 038/21 Seite 10 In der Studie wurden insgesamt 54 Probanden in zwei Gruppen eingeteilt: 28 hoch und 26 niedrig belästigte gesunde Personen, die durch einen Verkehrsbelästigungstest ermittelt worden waren . Zur Kontrolle der Aufmerksamkeit führten alle Probanden während der Lärmexposition einen nicht-auditiven Kurzzeitgedächtnistest durch. Die Probanden durchliefen drei Testphasen: Straßenlärm, Schienenlärm und keine Lärmeinwirkung (Ruhewirkung). Gemessen wurden die Herzfrequenz (HR), der systolische Blutdruck (sBP), der gesamte periphere Widerstand (TPR15) sowie drei weiter Variablen, davon zwei kardiologische Variablen (PEP und HF) und der Speichelstress-Biomarker Alpha-Amylase (sAA). Im Vergleich zur Ruhewirkung stiegen Herzfrequenz und systolischer Blutdruck tendenziell gegen Ende der Lärmexposition an, die kardiologischen Variablen nahmen ab, der Speichelstress- Biomarker nahm zu. Es wurden keine Unterschiede zwischen Schienenlärm und Straßenlärm gefunden, was darauf hindeute, dass beide Lärmstressoren vergleichbare extra-aurale Effekte induzierten. Während der Ruhewirkung zeigte sich, dass bei der hoch-genervten Untergruppe eine kardiologische Variable und erhöhte TPR-Werte feststellbar waren. Die Autoren weisen darauf hin, dass in einigen europäischen Ländern ein Konsens darüber bestehe , dass Schienenlärm weniger störend sei als Straßenlärm. Deshalb sei teilweise beschlossen worden, dass es den Betreibern von Schienenfahrzeugen erlaubt sei, einige Dezibel von den gemessenen Schallemissionen abzuziehen. Diese aktuelle Studie zeige jedoch vergleichbare extraaurale Effekte für Straßen- und Schienenlärm, was mit den Ergebnissen einer früheren Studie übereinstimme. In Deutschland wurde der „Schienenbonus“ 2015 bzw. 2019 abgeschafft: „Der Schienenbonus von 5 dB(A) darf in Folge des Elften Gesetzes zur Änderung des BImSchG vom 03.07.2013 in Planfeststellungsverfahren an Schienenwegen nicht mehr berücksichtigt werden. Für Eisenbahnen gilt dies seit dem 01.01.2015, für Straßenbahnen ab dem 01.01.2019.“16 Aus diesen Studien ergibt sich, dass noch Forschungsbedarf besteht hinsichtlich der definierten Lärmwirkungsgröße, oberhalb derer Einschränkungen verschiedener Art bei Menschen zu erwarten sind. In diese Größe sollten die Beschreibungen der Unstetigkeit eines Lärmverlaufs einfließen . Insgesamt gibt es Hinweise darauf, dass selbst bei vergleichsweise niedrigen Geräuscheinwirkungen (55 dB) bereits Einschränkungen beschrieben wurden. 3. Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR Am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR wurde ein Programm „Verkehr“ eingerichtet , das zu den wichtigsten institutionell geförderten Verkehrsforschungseinrichtungen in Europa zählt. Die Forschungsthemen am DLR (Verkehr) umfassen unter anderem die gesamte Wirkungskette des Schienenverkehrslärms von der Schallentstehung über die Ausbreitung bis hin zur 15 Strömungswiderstand im Körperkreislauf. Dieser summiert sich aus den einzelnen Gefäßwiderständen. 16 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Lärmschutz im Schienenverkehr; April 2019; https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/E/laermschutz-im-schienenverkehr-broschuere .pdf?__blob=publicationFile; Seite 71. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 038/21 Seite 11 Lärmwirkung.17 Am Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik werden Auswirkungen neuer Mobilitätskonzepte auf die Lärmbelastung der Menschen untersucht.18 Unter Mitwirkung des DLR entstand 2013 der „Bericht zur Situation der Lärmwirkung in Deutschland“. Erarbeitet wurde der Bericht vom „Forschungsverbund Leiser Verkehr“.19 Die Autoren weisen darauf hin, dass der derzeitige, wissenschaftlich noch nicht fundierte Stand des Wissens über Lärmwirkungen je nach Blickwinkel unterschiedliche Bewertungen und Einschätzungen zulasse. Daher bestehe noch Forschungsbedarf, um einen fundierten Beitrag zur Konflikt beladenen Debatte zwischen vom Lärm Betroffenen und Betreibern zu bieten (Stand 2013). Eine ähnlich umfassende bewertende Studie der Verkehrslärmbelastungswirkung in Deutschland neueren Datums konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht gefunden werden. Ergänzend zu den bereits in den neueren wissenschaftlichen Arbeiten erwähnten Auswirkungen weisen die Autoren darauf hin, dass es noch immer eine Wissenslücke gebe, in welchem Ausmaß unterschiedliche Lärmschutzmaßnahmen das Empfinden von Lärmbelästigung und Störungen (z. B. Kommunikations- oder Schlafstörungen) verminderten. Techniker gingen meist davon aus, dass eine bauliche oder betriebliche Maßnahme, die die akustische Belastung der Anwohner in einer gegebenen Höhe reduziere, auch die Belästigungswirkung um ein entsprechendes Maß reduziere . Während es dafür bei bestimmten Schallschutzmaßnahmen - etwa Lärmschutzwänden an Bundesautobahnen - auch Anhaltspunkte gebe, die wissenschaftlich belegt seien, sei dies in anderen Fällen fraglich, beispielsweise hinsichtlich der Wirksamkeit von Lärmschutzfenstern. Überdies werde in der Literatur gelegentlich darauf verwiesen, dass bestimmte organisatorische Maßnahmen, die zu einer Verringerung der Häufigkeit lauter Ereignisse führten, von der Bevölkerung positiver bewertet würden als die Verminderung des äquivalenten Dauerschallpegels um wenige dB. Es fehle allerdings eine methodisch akzeptable Evaluationsstudie, die verschiedene Lärmschutzmaßnahmen in ihrer Wirksamkeit miteinander vergleiche.20 Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Rechtsprechung und Ergebnissen der Lärmwirkungsforschung wird festgehalten: „Die Rechtsprechung ist auf Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung in zahlreichen Prozessen angewiesen, in denen geräuschintensive Vorhaben zu beurteilen sind, die staatlicher Zulassung bedürfen. Es handelt sich meist um besonders bedeutsame Großvorhaben im Bereich der Verkehrswege (insbesondere Straßen, Straßenbahnen und Eisenbahnen, Flughäfen oder Wasserstraßen). Nur zum Teil sind für die Errichtung oder den Betrieb solcher Verkehrswege in Gesetzen oder Rechtsverordnungen verbindliche Grenzwerte festgelegt, wie dies für Fluglärm nunmehr im Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (Fassung der Bekanntmachung vom 31. Oktober 2007, BGBl. I S. 2550) geschehen ist. Auch damit ist einer jahrzehntelangen Forderung von Betreibern wie Betroffenen 17 https://verkehrsforschung.dlr.de/de/verkehrsforschung/schienenverkehr-schienenfahrzeuge/schienenverkehrslaerm . 18 https://www.dlr.de/as/desktopdefault.aspx/tabid-4702/7791_read-66997/. 19 Forschungsverbund Leiser Verkehr Geschäftsstelle im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt: Bericht zur Situation der Lärmwirkungsforschung in Deutschland; März 2013; https://environmentalnoise.zeusgmbh .de/pdfs/Bericht_Laermwirkungsforschung_lang.pdf. 20 Ebd., Seite 15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 038/21 Seite 12 nur zum Teil entsprochen worden, gilt dieses Gesetz doch nur für bestimmte große Flugplätze (§ 2 Abs. 2, § 13 Abs. 1 FluglärmG, § 8 Abs. 1 LuftVG). Wo verbindliche Grenz- oder Reaktionswerte fehlen, müssen sie in den Verwaltungsverfahren im Blick auf das einzelne Vorhaben entwickelt und in den nachfolgenden Gerichtsverfahren überprüft werden. […] Oft kann es nur darum gehen, ob dem Gutachter, der meist schon im Verwaltungsverfahren vom Vorhabenträger im Einvernehmen mit der Behörde ausgewählt worden ist, trotz abweichender Auffassungen anderer Wissenschaftler zu folgen ist. […] Die wissenschaftliche Absicherung der Ergebnisse in der Lärmwirkungsforschung entspricht von daher nicht nur einem Wunsch der Rechtsprechung, sondern ist vor allem ein verfassungsrechtliches Desiderat. Gefordert ist die Erarbeitung gesicherter Erkenntnisse über Relationen zwischen Geräuschbelastungen und physischen oder psychischen Wirkungen auf den Menschen, die nach rechtlichen Maßstäben einer Bewertung als hinnehmbar oder aber als unzumutbar zugänglich sind und im letztgenannten Fall Reaktionen der Rechtsordnung (wie z.B. die Gewährung von Schallschutz) auslösen müssen. Diese Erkenntnisse dienen zugleich der Überprüfung gesetzlich festgelegter Grenzwerte, was ebenfalls Aufgabe der Rechtsprechung ist.“21 *** 21 Ebd., Seite 69f.