© 2021 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 037/21 Zu ökologischen Einflüssen durch Rabenvögel und Kormorane Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 037/21 Seite 2 Zu ökologischen Einflüssen durch Rabenvögel und Kormorane Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 037/21 Abschluss der Arbeit: 14. April 2021 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 037/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Auswirkungen von Rabenvögeln auf die Produktivität und das Vorkommen von Vögeln 5 3. Auswirkungen von Kormorane auf die Fischerei in Europa 6 4. Fazit 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 037/21 Seite 4 1. Einleitung Von jeher haben Krähen, Raben und Elstern (Gruppe der Corvidae, Rabenvögel) ein schlechtes Image. Das rührt daher, dass gemeinhin angenommen wird, dass sie stehlen, die Eier anderer Vögel fräßen und dafür verantwortlich seien, dass sich der Bestand anderer Vögel reduziert. Populationskontrollen von Räubern, die Rabenvögel einschließen, werden eingesetzt, um die Fortpflanzungsleistung und die Populationsdichte von Beutetierarten zu erhöhen. Dies geschieht im Zuge von Wildmanagement oder aus Naturschutzgründen.1 Dieser Praxis liegt die Annahme zugrunde, dass das Raubverhalten der wichtige begrenzende Faktor für Beutetierpopulationen sei und durch diese Maßnahme ein Anstieg der Beutetierpopulation erreicht werde.2 Prinzipiell regulieren sich Populationen von Räubern und Beutetieren gegenseitig. Zwar dezimieren in manchen Fällen Räuber eine Beutetierpopulation deutlich, allerdings erholt sich die Beutepopulation wieder ; ein Ausrotten der Beutetierpopulation ist eher untypisch und wäre biologisch nicht sinnvoll. In manchen Fällen ist der Einfluss eines Räubers auf eine Beutepopulation sogar kaum nachweisbar . Über den Bestand von Kormoranen hingegen beklagen sich in neuerer Zeit insbesondere Fischer. Sie würden ihnen den Fischbestand wegfressen. Auf der anderen Seite wird der wachsende Bestand von Kormoranen von Tierschützern als Beleg für erfolgreiche Schutzmaßnahmen gewertet.3 Alle in der Europäischen Union vorkommenden Vogelarten sind durch die EU-Vogelschutzrichtlinie geschützt.4 Rabenvögel sind seit 1994 im Anhang II5 der EU-Vogelschutzrichtlinie als jagdbare Arten geführt. Während im Anhang II/A alle Vogelarten, die in der gesamten EU bejagt werden können, aufgeführt sind, finden sich im Anhang II/B Vogelarten, die in bestimmten Ländern bejagtbar sind, u.a. Corvidae (Rabenvögel). Die Bejagung von Rabenvögeln ist unter anderem in Deutschland erlaubt. Sie unterliegt allerdings bestimmten Regeln (z.B. nicht in der Heimkehrphase und Brutzeit, keine selektiven Fangmethoden). Für die Regelung der Bejagung sind in 1 Butchko, P.H. et al. 1992. Developing a strategy of predator control for the protection of the California Least Tern: a case study. Proceedings of the Vertebrate Pest Conference 15: 29 – 31 und Meckstroth, A.M. et al. 2005. Predator removal and nesting waterbird success at San Francisco Bay, California. Waterbirds 28: 250-255. 2 Holt, A.R., Davies, Z.G., Tyler, C. & Staddon, S. 2008. Meta‐analysis of the effects of predation on animal prey abundance: evidence from UK vertebrates. PLoS ONE 3: e2400. 3 Pressemitteilung des Helmholtzzentrums für Umweltforschung vom 04. Juni 2008: Der Kormoran - die „schwarze Pest“ oder ein Beispiel für erfolgreichen Artenschutz? https://www.ufz.de/index.php?de=35624. 4 Die Richtlinie über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten (Richtlinie 79/409/EWG) oder kurz Vogelschutzrichtlinie wurde am 2. April 1979 vom Rat der Europäischen Gemeinschaft erlassen. Diese wurde durch die aktuell gültige Richtlinie 2009/147/EG vom 30. November 2009 aufgehoben (am 15. Februar 2010 in Kraft getreten) (konsolidierte Fassung: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:02009L0147- 20190626; Grundfassung: https://eur-lex.europa.eu/eli/dir/2009/147/oj?locale=de.). 5 Der Anhang II listet 81 Vogelarten auf (Stand 2009), von denen einzelne in der gesamten EU geschossen werden dürfen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 037/21 Seite 5 Deutschland die Bundesländer zuständig. In NRW wird beispielsweise durch die Rabenvogelverordnung seit 1994 die Jagd auf Elster und Rabenkrähe und deren Abschuss außerhalb der Brutzeiten ermöglicht. Der Kormoran ist hingegen nicht in Anhang II der jagdbaren Vögel enthalten. Das nationale Artenschutzrecht bietet „Möglichkeiten, Schäden abzuwehren, die von Kormoranen für die kommerzielle Fischwirtschaft ausgehen oder an den Beständen anderer Arten verursacht werden“6. „Eingriffe in die Bestände des Kormorans sind nach § 45(7) BNatSchG bereits zulässig. Derartige Schäden müssen allerdings nachprüfbar belegt werden und ein zumutbares Maß überschreiten. Vor solchen Eingriffen muss klar sein, dass keine Alternativen, wie z. B. eine Vergrämung oder eine veränderte Bewirtschaftungspraxis, bestehen, der Bestand des Kormoran nicht nachteilig beeinflusst wird und wissenschaftlich abgesicherte zielorientierte Erfolgsaussichten bestehen.“7 Die rechtlichen Grundlagen zum Schutz des Kormorans werden in einer Informationsschrift des NABU allgemeinverständlich dargestellt.8 In der vorliegenden Arbeit werden Beispiele aus der wissenschaftlichen Literatur vorgestellt, die der Frage nachgehen, ob der Vorwurf haltbar ist, dass ein umfassender Vogelschutz, der auch Rabenvögel und Kormorane einschließt, letztlich schädlich für den Bestand von anderen Vogelarten sei. 2. Auswirkungen von Rabenvögeln auf die Produktivität und das Vorkommen von Vögeln Der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) e.V. stellt unter Berufung auf wissenschaftliche Studien fest, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Population von Rabenvögel generell wachse. Regional gebe es hierbei Schwankungen, aber im mitteleuropäischen Durchschnitt bliebe der Bestand konstant. Der Eindruck einer Zunahme werde vielmehr dadurch erweckt, weil sie aus ihrem angestammten Lebensraum mehr und mehr verdrängt würden und aufgrund leichterer Nahrungssuche in Siedlungsbereiche zögen.9 Auch der Naturschutzbund, NABU, bestätigt diese Darstellung der stabilen Bestände und einer regionalen Verlagerung in Siedlungsgebiete.10 Neben dem Erscheinungsbild von Rabenvögeln in Siedlungsgebieten wird allerdings auch die Vermutung geäußert, dass sie eine zunehmende Bedrohung für die Existenz anderer Singvögel (ihrer Beutetiere) seien.11 6 https://www.bfn.de/themen/artenschutz/regelungen/vogelschutzrichtlinie.html. 7 Ebd. 8 http://www.nabu-osterode.de/Kormoran-Schutz.pdf. 9 https://www.lbv.de/ratgeber/naturwissen/konflikte-mit-tieren/mythen-und-fakten-zu-rabenvoegeln/. 10 https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/artenschutz/rabenvoegel/. 11 https://www.focus.de/wissen/natur/umwelt-kraehen-im-kreuzfeuer_aid_186364.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 037/21 Seite 6 Eine Gruppe Wissenschaftler aus Südafrika, Spanien und Frankreich sind in einer Studie der Frage nachgegangen, welche wissenschaftlichen Hinweise es darauf gibt, dass Rabenvögeln das Vorkommen und die Vermehrung ihrer Beutetierarten negativ beeinflussen.12 In der Arbeit wurden 42 Studien zusammengetragen, in denen Populationsparameter der Gattung Corvus und der Elster Pica pica untersucht wurden. Die Populationsparameter der studierten Beutetierarten waren entweder abundanzbezogen (Anzahl, Nestdichte) oder produktivitätsbezogen (Nesterfolg, Brutgröße). In den Studien wurden entweder experimentell Rabenvögel entfernt und der Effekt untersucht oder aber Korrelationen zwischen Rabenvögelvorkommen und Beutetierarten angesehen. Bei der gemeinsamen Betrachtung aller Studien wurde in 81 % der Fälle kein negativer Einfluss von Rabenvögeln auf die Abundanz oder Produktivität von Beutetierarten festgestellt. Negative Auswirkungen wurden eher beobachtet, wenn man sich die Produktivität, nicht die Abundanz ansah. Bei experimentellen Studien, in denen Vogelarten entfernt wurden, beobachtete man folgendes : Entfernt man lediglich die Rabenvogelarten, hat dies seltener einen positiven Einfluss auf die Produktivität von Beutetierarten, als wenn man Rabenvögel zusammen mit anderen Räubern entfernt. Dies wird dadurch erklärt, dass bei Entfernung von lediglich Rabenvögeln kompensatorische Effekte zum Tragen kommen (z.B. haben andere Räuber einen Vorteil). Insgesamt haben Krähen eher einen negativen Einfluss auf die Produktivität der Beutetiere als Elstern, aber es wurden keine Unterschiede in Bezug auf die Beutetierdichte festgestellt. Die Autoren schließen aus diesen Beobachtungen, dass Rabenvögel zwar einen negativen Einfluss auf Vogelarten haben können, ihr Einfluss aber insgesamt gering sind und eher die Produktivität als die Abundanz betreffen. Diese Ergebnisse deuteten darauf hin, dass es in den meisten Fällen unwahrscheinlich ist, dass Vogelpopulationen allein durch Rabenvogelräuber begrenzt werden. 3. Auswirkungen von Kormorane auf die Fischerei in Europa Fischer setzen sich schon lange dafür ein, dass der Bestand von Kormoranen begrenzt wird. Da es sich um einen typischen Zugvogel handelt, der im Nord- und Ostseeraum brütet und im Mittelmeerraum überwintert, sollten Regelungen EU-weit getroffen werden, was schwierig zu erzielen ist, da die einzelnen Länder unterschiedliche Praktiken verfolgen.13 12 C.F. Madden et al.: A review of the impacts of corvids on bird productivity and abundance; International Journal of Avian Sciences; Volume157, Issue1; Januar 2015; S. 1-16. 13 Vgl. Pressemitteilung des Helmholtzzentrums für Umweltforschung vom 04. Juni 2008: Der Kormoran - die „schwarze Pest“ oder ein Beispiel für erfolgreichen Artenschutz? https://www.ufz.de/index.php?de=35624. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 037/21 Seite 7 In den letzten 40 Jahren wurde eine stetige und weltweite Zunahme der Anzahl dieser Vögel beobachtet .14 Hierfür werden unterschiedliche Gründe genannt, u.a. das Verbot von DDT (Dichlorphenyltrichorethan ).15 Seit Anfang der 2010er Jahre hat sich die Zahl der Kormorane in einigen europäischen Regionen (beispielsweise Niederlande, Belgien) allerdings stabilisiert oder sogar verringert (Norwegen, Schweden, Polen, Kroatien, Ungarn, Donaudelta-Region).16 Die Brutbestandsentwicklung des Kormorans in Schleswig-Holstein (1982-2013) zeigt eine vergleichsweise stabile Anzahl seit der Mitte der 1990er Jahre.17 Kolonieanzahl-Daten aus Bayern zeigen einen stabilen Bestand seit ca. 2010.18 In einer Studie, die 2016 in der Fachzeitschrift „Hydrobiologia“ erschienen ist, untersuchen die Wissenschaftler ökologische Folgen der Ausbreitung des Kormorans.19 Quantitative Veränderungen in der Zusammensetzung eines Ökosystems haben erwartungsgemäß weitreichende Folgen verschiedenster Art (dies kann teilweise positiver Art oder auch negativer Art sein). Die Autoren stellen fest, dass die Umwelteinflüsse von Kormoranen sehr komplex sind und zu verschiedenen Veränderungen im Ökosystem führen können. Die Anwesenheit dieser Vögel sollte bei der ökologischen Bewertung und Überwachung berücksichtigt werden. Sie umfassen nicht nur die Konkurrenz um das Fischangebot, sondern auch Veränderungen in der Zusammensetzung der Biomasse , Zusammensetzung der Bodenchemie und mikrobiologische Zusammensetzungen. In einer wissenschaftlichen Arbeit, die am 20. Februar 2013 in der Fachzeitschrift “Journal of Ornithology “ erschienen ist, wird der Frage nachgegangen, ob Bekämpfungsmaßnahmen zur Begrenzung der Kormoranpopulationen, die in Großbritannien ergriffen wurden, erfolgreich waren .20 Der Beobachtungszeitraum umfasst dabei die Jahre 2001 bis 2009. Tatsächlich erwiesen sich die ergriffenen Bekämpfungsmaßnahmen als ungeeignet, die nationalen Populationstrends wurden durch sie nicht beeinflusst. Offensichtlich sind Kontrollmaßnahmen reaktiv, d.h. verursachen u.a. kompensierende Effekte, oder nicht-tödliche Maßnahmen führen gar zu einer größeren Ausbreitung von Kormoranen. Die Autoren empfehlen, dass im Zuge weitergehender Forschung untersucht werden sollte, inwieweit tödliche und nicht-tödliche Kontrollmaßnahmen21 14 z.B.: van Eerden, M. R. et al., 2012. Cormorant and the European Environment: Exploring Cormorant Ecology on a Continental Scale. COST Action 635 Final Report I: 126. 15 Vgl. hierzu: D.E. Chamberlain et al.: Licensed control does not reduce local Cormorant Phalacrocorax carbo population size in winter; J Ornithol (2013) 154:739–750; DOI 10.1007/s10336-013-0938-3. 16 Bregnballe, T. et al.: Breeding numbers of Great Cormorants Phalacrocorax carbo in the Western Palearctic, 2012/2013. IUCN-Wetlands International Cormorant Research Group Report. Scientific Report from DCE-Danish Centre for Environment and Energy No. 99 (2014). 17 https://schleswig-holstein.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/kormoran/lebensweise/02730.html. 18 https://www.lfu.bayern.de/natur/kormoran_management/index.htm. 19 Klimaszyk, P. et al.: The complexity of ecological impacts induced by great cormorants. Hydrobiologia 771, 13- 30 (2016). https://doi.org/10.1007/s10750-015-2618-1 20 D.E. Chamberlain et al.: Licensed control does not reduce local Cormorant Phalacrocorax carbo population size in winter; J Ornithol (2013) 154:739–750; DOI 10.1007/s10336-013-0938-3. 21 Prinzipiell kann man Maßnahmen anwenden, die den Tod der Vögel herbeiführen, oder aber sie nur verdrängen , oder an der Verbreitung/Vermehrung hindern. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 037/21 Seite 8 die gewünschten Auswirkungen auf das Raubverhalten von Kormoranen auf Fische haben und damit dazu beitragen, den Konflikt zwischen Kormoranen und Fischerei zu lösen. 4. Fazit Die dargestellten Beispiele der Rabenvögel- und Kormoranpopulationen belegen, dass selbst wenn der Entschluss besteht, einzelne Vogelpopulationen zu begrenzen, die ergriffenen Maßnahmen wohldurchdacht werden müssen. Das gezielte Töten bestimmter Raubvogelarten führt nicht notwendigerweise zu einer Einschränkung der Räuberpopulation und schon gar nicht zu einem Anwachsen der Ziel-Beutetierpopulation, da offensichtlich zahlreiche weitere Faktoren und kompensierende Prozesse zu beachten sind. ***