© 2019 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 036/19 Zum Insektenschwund in Deutschland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 036/19 Seite 2 Zum Insektenschwund in Deutschland Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 036/19 Abschluss der Arbeit: 4. April 2019 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 036/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zur Methodik der PLOS ONE-Studie 5 3. Zur Kritik an der PLOS ONE-Studie 7 4. Auswahl wissenschaftlicher Literatur zum Insektensterben 9 5. Auswahl Presse-Artikel und allgemeinverständliche Wissenschaftsartikel zur PLOS ONE-Studie 9 6. Zur Biodiversitätsforschung in Deutschland 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 036/19 Seite 4 1. Einleitung In der wissenschaftlichen Zeitschrift PLOS ONE1 ist 2017 eine Publikation zum Insektensterben2 erschienen, die großes mediales Interesse hervorgerufen hat. In der Studie wurde beschrieben, dass in den vergangenen 27 Jahren die Biomasse fliegender Insekten über 75 Prozent zurückgegangen sei. Diese Beobachtung basiert auf einer Datenerhebung des Entomologischen Vereins Krefeld, der über 27 Jahre hinweg spezielle Insektenfallen in insgesamt 63 Naturschutzgebieten aufgestellt und die Masse der darin gefangenen Fluginsekten aufgezeichnet hatte. Sämtliche Standorte befanden sich in Naturschutzgebieten, die Mehrzahl davon in Nordrhein-Westfalen, mehrere auch in Brandenburg sowie Rheinland-Pfalz. Die Publikation ist frei verfügbar und als Volltext inklusive des Begleitmaterials im Internet abrufbar.3 Die Studie wurde kontrovers diskutiert 4. Die Kritik bezog sich unter anderem auf die Auswahl der Standorte (Wechsel der Standorte im Zeitverlauf), die Diskussion um den Referenzzeitraum (je nach Auswahl des Ausgangszeitpunkts unterschiedlich hoher prozentualer Rückgang), eine nicht ausreichende Ursachenforschung und die Beprobungsprozedur. Trotz verschiedener Kritikpunkte ist diese Publikation eine der wenigen Studien, die über einen langen Zeitraum an verschiedenen Punkten alle Fluginsekte erfassen. Zumeist ging es in anderen Studien um regional begrenzte Beobachtungen, nur um einzelne Insektenarten (Schmetterlinge, Hummeln oder Käfer), oder lediglich um Effekte von Pestiziden . Auch basieren die Informationen meist lediglich auf Meldungen aus Landesämtern oder von Vereinen und sind durch kein Verfahren der wissenschaftlichen Begutachtung im Sinne eines Peer-reviewing gelaufen.5 Nach Einschätzung von Wissenschaftlern deuten Daten darauf hin, dass das Insektensterben überall in Europa stattfindet, aber auch in Nordamerika. In der Nahrungskette betroffen seien auch insektenfressende Vögel (Schwalben, Mauersegler, Fliegenschnäpper etc.).6 1 Peer-reviewed naturwissenschaftliche internationale Online-Fachzeitschrift der Public Library of Science (PLOS). PLOSONE nimmt Originalforschungsarbeiten in allen wissenschaftlichen Disziplinen an, auch interdisziplinäre Arbeiten, negative Resultate und Wiederholungsstudien (replication studies). 2016 lag der Impact Factor bei 2,8. 2 Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, Siepel H, Hofland N, Schwan H, et al. (2017) More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLoS ONE 12(10): e0185809. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809 [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 3 https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0185809#pone.0185809.s011 4 Siehe hierzu: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: „Zum Insektenbestand in Deutschland“, WD8 – 3000 – 045/17 vom 5. Dezember 2017. Abrufbar unter: https://www.bundestag .de/blob/536710/b7a6e9774a787a60b5275abd53c6509a/wd-8-045-17-pdf-data.pdf [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 5 Informationen des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig in Bonn. 6 Informationen des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig in Bonn. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 036/19 Seite 5 Der Peer-reviewed Studie in der Zeitschrift PLOS ONE war einige Jahre zuvor (2013) eine Publikation des Entomologischen Vereins Krefeld vorausgegangen7, die ihre Ergebnisse zum Insektenschwund hier bereits (in deutscher Sprache) vorstellen. Diese Veröffentlichung verursachte allerdings zunächst nur eine vergleichsweise geringe mediale Resonanz, wurde aber in einem Feature -Artikel der englischsprachigen Zeitschrift „Science“8 aufgegriffen und im Kontext verschiedener anderer Insektenbeobachtungen allgemein verständlich aufgearbeitet. Gretchen Vogel, die Autorin dieser Publikation, geht auf verschiedene methodische Schwachpunkte ein und stellt auch einzelne Aspekte der Ursachensuche vor. So wird beispielsweise immer wieder der Verdacht geäußert, dass ein wesentlicher Faktor für den Insektenschwund in der Verwendung von Pestiziden liege. Vogel zitiert einen der Autoren der Studie (M. Sorg), der zu bedenken gibt, dass ein Beweis hierfür bislang nicht möglich sei („There is no data on insecticide levels, especially in nature reserves.“9). 2. Zur Methodik der PLOS ONE-Studie Die wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages haben 2017 einen Sachstand mit dem Titel „Zum Insektenbestand in Deutschland“ veröffentlicht.10 Hierin wird in Kapitel 2 („Aktuelle Studie“) auf den methodischen Hintergrund der Studie eingegangen. Insbesondere werden klimatische Faktoren (wetterspezifische Daten) und umgebungsabhängige Faktoren (Landnutzung, Habitatspezifische Daten) diskutiert (Anlage 1). Für die veröffentlichte Studie hatte die Entomologische Gesellschaft Krefeld Biomasse-Daten mit einem standardisierten Protokoll an mehr als 63 Standorten zwischen 1989 und 2016 gesammelt und archiviert. Das standardisierte Sammelprotokoll war ursprünglich mit der Idee konzipiert worden, quantitative Aspekte von Insekten in die Zustandsbewertung der Schutzgebiete zu integrieren und ein Langzeitarchiv aufzubauen, um Rückschlüsse über die lokale Vielfalt für zukünftige Studien zu ziehen. In der vorliegenden Studie betrachteten die Autoren die gesamte Biomasse der fliegenden Insekten (nicht etwa wie häufig beschrieben die Anzahl der Insekten). Für die Studie waren gemäß einer Methode des Entomologen René Malaise (1892-1978) Zelte in freier Landschaft aufgestellt worden mit dem Ziel, dass Insekten sich darin im Flug verfangen und in einer Alkohollösung landen. Alle Fallenpositionen befanden sich in Schutzgebieten, jedoch mit unterschiedlichem Schutzstatus: 37 Standorte lagen innerhalb von Natura 2000-Gebieten, sieben Standorte innerhalb von ausgewiesenen Naturschutzgebieten, neun Standorte innerhalb von 7 Quelle: https://www.boerenlandvogels.nl/sites/default/files/mitt-evk-2013-1.pdf [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 8 Gretchen Vogel: Where have all the insects gone? Feature Artikel in Science 12 May 2017: Vol. 356, Issue 6338, pp. 576-579; DOI: 10.1126/science.356.6338.576 http://science.sciencemag.org/content/356/6338/576 [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 9 Ebd. 10 Anlage 1: Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages: Zum Insektenbestand in Deutschland; WD 8 – 3000 – 045/17 vom 5. Dezember 2017. https://www.bundestag.de/resource /blob/536710/b7a6e9774a787a60b5275abd53c6509a/wd-8-045-17-pdf-data.pdf [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 036/19 Seite 6 Landschaftsschutzgebieten, sechs Standorte innerhalb von Wasserschutzzonen und vier Standorte in geschützten Lebensräumen, die von Regionalverbänden verwaltet wurden. Die meisten Standorte (59%, 37 Standorte) wurden in nur einem Jahr, 20 Standorte in zwei Jahren, fünf Standorte in drei Jahren und einer in vier Jahren untersucht. Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass ihre Daten keine zeitlichen Längsschnitte an einzelnen Standorten darstellten, so dass man keine standortspezifischen Trends ableiten könne. Allerdings erlaubten die Daten eine Analyse „auf einer höheren räumlichen Ebene“, d.h. durch die Behandlung saisonaler Insektenbiomasseprofile als Stichprobe für den Zustand der Entomofauna in Schutzgebieten in Westdeutschland .11 Die häufig zitierten Zahlen von 75-80 Prozent Rückgang der Insektenbiomasse gehen auf folgende Resultate zurück, die in der PLOS ONE Publikation genannt werden: Nach Korrekturen für saisonale Schwankungen und Lebensraumcluster war der jährliche Trendkoeffizient des Basismodells für die Biomasse deutlich negativ. Basierend auf diesem Ergebnis schätzten die Autoren, dass seit 1989 ein starker Rückgang (bis zu 81,6 Prozent) der Biomasse von Luftinsekten im Hochsommer stattgefunden habe. Allerdings sei der Biomasseverlust im Hochsommer im Vergleich zu Beginn und Ende der Saison stärker ausgeprägt, was darauf hindeute, dass die höchsten Verluste auftreten, wenn die Biomasse während der Saison am höchsten sei. Eine saisonal gewichtete Schätzung (für den Zeitraum 1. April bis 30. Oktober) führe zu einem Rückgang von insgesamt 76,7 Prozent über einen Zeitraum von 27 Jahren. Das Muster des Rückgangs sei bei Standorten , die mehr als einmal beprobt wurden, sehr ähnlich, was darauf hindeute, dass der geschätzte zeitliche Rückgang basierend auf dem gesamten Datensatz nicht durch das Stichprobenverfahren verfälscht sei. Eine erneute Schätzung des jährlichen Rückgangs anhand von 26 Standorten , die in mehr als einem Jahr untersucht wurden, ergab eine ähnliche Rückgangsrate (76,2 Prozent).12 Zur Bewertung der Methodik haben sich 2017 vier deutschsprachige Wissenschaftler vom Helmholtz -Zentrum für Umweltforschung (UFZ) Halle, von der Georg-August-Universität Göttingen, von der Universität Hohenheim und von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg geäußert.13 Sie sprechen zwar teilweise von einem „suboptimalen Versuchsdesign“, unterstreichen aber alle die Bedeutung und die grundlegende Gültigkeit der Ergebnisse. Es wird immer wieder betont, dass es weiterer Studien bedarf, um verlässliche Aussagen abzuleiten und den Ursachen nachzugehen. Ein besonderes Problem besteht allerdings darin, dass es sich um Langzeitstudien handelt, die entsprechend geplant und finanziert werden müssen und ggf. im wissenschaftlichen Kontext gar nicht von einem einzigen Wissenschaftlerteam (insbesondere bei Doktorarbeiten) über den gesamten Zeitraum hinweg verfolgt werden. Auch verändert sich u.U. die Sichtweise und Schwerpunktsetzung über den Beobachtungszeitraum hinweg. So bemerkt einer der Mitautoren der PLOS ONE-Studie, Martin Sorg, sie bedauerten zutiefst, dass sie vor 20 oder 30 Jahren nicht mehr 11 Vgl. Materials in Methods Kapitel in Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, Siepel H, Hofland N, Schwan H, et al. (2017) More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLoS ONE 12(10): e0185809. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809 [zuletzt abgerufen am 28. März 2019].. 12 “Results”- Kapitel in PLOS ONE 13 Quelle: https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/research-in-context/details/news/rueckgang-der-insektenbiomasse -um-ueber-75-prozent/ [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 036/19 Seite 7 Fallen aufgestellt hätten. Sie entwickelten nun ein System von automatisierten Überwachungsstationen , von denen sie hofften, dass sie Audioaufnahmen, Kamerafallen, Pollen- und Sporenfilter sowie automatisierte Insektenfallen zu einer "Biodiversitätswetterstation" kombinieren könnten . Anstelle einer manuellen Analyse wollten sie die Insektenproben mittels automatisierter Sequenzierung und genetischer Barcodierung analysieren. Solche Daten könnten helfen, festzustellen , was den Rückgang verursache und wo die Bemühungen, ihn umzukehren, am besten funktionierten .14 3. Zur Kritik an der PLOS ONE-Studie Die Studie wurde auch in der wissenschaftlichen Fachwelt kontrovers diskutiert. Im Folgenden werden einzelne Kritikpunkte aufgegriffen. Standortauswahl Festzuhalten ist, dass auch die Autoren der Studie stets betont haben, dass es sich um Daten spezifischer Regionen handelt und nicht der Anspruch auf Verallgemeinerung erhoben wurde. So betont ein Autor, Martin Sorg, gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung : „Kann man diese Befunde einfach auf das ganze Land übertragen? `Natürlich nicht´, sagt Martin Sorg. Es handle sich um punktuelle Messungen.“15 Alexandra-Maria Klein (Professorin für Naturschutz und Landschaftsökologie, Albert-Ludwigs -Universität Freiburg) gibt zu bedenken, dass „In der Studie […] allerdings die meisten Standorte nicht wiederholt beprobt [wurden] und die Autoren […] das suboptimale Versuchsdesign mit entsprechenden statistischen Modellen ausgleichen [haben] müssen und offen diskutiert [haben].“16 Johannes Steidle (Fachgebietsleiter Tierökologie, Institut für Zoologie, Universität Hohenheim) hingegen betont, die Tatsache, dass an vielen Probestellen nur einmal Proben genommen wurden, spiele für die Validität der Daten keine Rolle. Dies zeige eine Teilanalyse der 26 Probestellen – ebenfalls schon eine hohe Zahl – mit mehrfacher Probennahme. Sie komme zum selben Ergebnis wie die Hauptanalyse mit allen Probestellen.17 In der „Unstatistik des Monats“ im August und Oktober 2017 wird auf Publikationen rund um die Messungen der Studie im Orbroicher Bruch eingegangen.18 Während die Autoren 14 Quelle: https://www.sciencemag.org/news/2017/05/where-have-all-insects-gone [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 15 Quelle: https://www.faz.net/aktuell/wissen/insektensterben-hat-es-sich-bald-ausgekrabbelt-15111642.html [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 16 https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/research-in-context/details/news/rueckgang-der-insektenbiomasse -um-ueber-75-prozent/ [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 17 Ebd. 18 Quelle: http://www.rwi-essen.de/unstatistik/70/ und http://www.rwi-essen.de/unstatistik/72/ [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 036/19 Seite 8 in ihrer August 2017-Ausgabe die Aufarbeitung in den Medien kritisieren und konstatieren „Manche Medien und Politiker haben all dies ignoriert und suggeriert oder einfach behauptet, dass 80 Prozent aller Insekten in ganz Deutschland verschwunden seien. Das zeigt die Studie eben nicht. Wir kennen keine verlässliche Zahl für Deutschland und man bräuchte mehr Langzeitstudien wie jene in Krefeld“ kritisieren sie in der Oktober 2017- Ausgabe auch die Tatsache, dass an den meisten Standorten keine Wiederholungsmessungen vorgenommen worden seien. Sie betonen allerdings auch, dass dies die Autoren der Studie bereits selbstkritisch angemerkt hätten. Anfangszeitpunkt und Referenzjahrwahl In der bereits erwähnten Unstatistik des Monats Oktober 2017 wird neben der fehlenden Wiederholungsmessungen auch bemängelt, dass jede berichtete Abnahme zwischen zwei Zeitpunkten davon abhinge, welchen Anfangszeitpunkt man wähle. So sei die Angabe von rund 76 Prozent nur in Hinblick auf ein bestimmtes gewähltes Referenzjahr gültig. Auf den Internetseiten der Zeitschrift PLOS ONE werden verschiedene Aspekte des Artikels diskutiert und von den Autoren direkt kommentiert. Auch hier wird der Kritikpunkt der Wahl des Referenzjahres aufgegriffen. Die Autoren argumentieren und begründen, dass der ermittelte Trend aus allen verfügbaren Daten berechnet worden sei und nicht von einem bestimmten Startjahr oder Endjahr abhängig sei. Zudem zeigten weitere Analysen der Daten, dass der Rückgang von „mehr als 75%“ eine robuste Schätzung sei. Die detaillierte Argumentation ist frei verfügbar im Internet abrufbar.19 Weitere Methodenkritik Alexandra-Maria Klein kritisiert ein „suboptimales Versuchsdesign“. Insbesondere konstatiert sie: „Das Gewicht der Proben wurde nicht als Trockengewicht bestimmt, was methodisch nicht optimal ist. Trotzdem beweist die Studie eindeutig einen drastischen Rückgang der Fluginsekten in Naturschutzgebieten. Welche Insektengruppen und Arten betroffen sind, ob es sich um bedrohte Arten handelt und ob es auch Arten gibt, die zugenommen haben, sollte nun in weiteren Schritten untersucht werden.“20 Analyse weiterer relevanter Faktoren (Cofounding Factors) Josef Settele konstatiert in einer Stellungnahme zu der Studie: „Die Autoren konnten nicht alle klimatisch relevanten Faktoren einschließen. Nach ihrer eigenen Aussage sind noch weitere Analysen nötig. Daher kann das Klima als wichtiger Faktor nicht ausgeschlossen werden. Die vereinfachte Darstellung, dass Wetterveränderungen oder Änderungen der Landnutzung den Gesamt-Rückgang nicht erklären können, ist zumindest irreführend. […] Es ist grundsätzlich schwierig, Phänomene des globalen Wandels nach ihren Ursachen 19 Quelle: https://journals.plos.org/plosone/article/comment?id=10.1371/annotation/50f95392-7b52-4d84-b08cf 94c65745bdd [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 20 Quelle: https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/research-in-context/details/news/rueckgang-der-insektenbiomasse -um-ueber-75-prozent/ [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 036/19 Seite 9 aufzuschlüsseln. Zum Beispiel können klimatische Effekte auf der Landschaftsebene, wie höhere Temperaturen, in Kombination mit erhöhtem Stickstoffeintrag zu dichterer Vegetation und dadurch kühlerem Mikroklima führen, was Effekte kaschieren kann. […] Da in die Analysen nur die vorliegenden bzw. von den Autoren recherchierten Umweltdaten einfließen konnten, sind andere Effekte auch nicht feststellbar. Beispielsweise werden nur die Flächenanteile von Wäldern, Äckern, Grünland etc. analysiert, nicht aber die räumliche Verteilung – also, ob eine große bzw. viele kleine Flächen desselben Vegetationstyps vorhanden sind. Letztere hat aber starken Einfluss auf die Landschaftsstruktur (Randbereiche , Hecken etc.).“21 In Hinblick auf die Erhebung umfangreicherer Langzeitdatensätze sei noch auf ein weiteres Problem hingewiesen: Laut Aussagen des Wissenschaftlers Josef Settele brauche man für die Erzielung klarerer Ergebnisse zu den Ursachen des Aussterbens jenseits der Schutzgebiete umfangreichere Datensätze. Man benötige eine genauere Aufschlüsselung der Arten und ihrer Ansprüche. Das sei im Kontext der vorliegenden Arbeit nicht zu leisten gewesen und somit den Autoren auch nicht vorzuwerfen. Dafür benötige man Fachpersonal und an diesem Punkt stoße das Ehrenamt , das bisher enorme Leistungen erbracht habe, an seine Grenzen. Er fordert den systematischen Aufbau entsprechenden Monitorings als öffentliche Aufgabe mit öffentlichen Geldern.22 4. Auswahl wissenschaftlicher Literatur zum Insektensterben Neben der erwähnten PLOS ONE-Studie sind in den vergangenen Jahren zahlreiche wissenschaftliche (peer-reviewed) Publikationen zum Rückgang der Anzahl der Insektenarten sowie zur Anzahl von Insekten innerhalb einer Art erschienen. Eine Arbeit der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2018 trägt eine Reihe dieser Veröffentlichungen zusammen und fasst die Ergebnisse jeweils kurz zusammen. Diese Arbeit findet sich als Anlage zu der vorliegenden Arbeit (Anlage 2).23 5. Auswahl Presse-Artikel und allgemeinverständliche Wissenschaftsartikel zur PLOS ONE- Studie In Anlage 3 findet sich eine Auswahl von Presseartikeln, die im Such-Zeitraum Mai 2017 bis 28. März 2019 in der deutschsprachigen Presse zu den Stichwörtern „Insekten“ und „Krefeld“ und „Biomasse“ erschienen sind. 21 Ebd. 22 Müller-Jung, Joachim „Wir befinden uns mitten in einem Albtraum“, in: Frankfurter Allgemeine online. Im Internet abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/insektensterben-75-prozent-weniger-insekten -in-deutschland-15250672.html [zuletzt abgerufen am 08.11.2017] 23 Anlage 2: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Zum Rückgang der Biomasse fliegender Insekten in Europa; WD 8 - 3000 - 048/18 vom 20. Juni 2018. Im Internet abrufbar unter: https://www.bundestag .de/resource/blob/565012/dbe480eb0a2e488771f4b002f8d3b6cb/wd-8-048-18-pdf-data.pdf [zuletzt abgerufen am 25. März 2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 036/19 Seite 10 Im populärwissenschaftlichen Magazin „Spektrum“ sind mehrfach Artikel zum Insektensterben in Europa erschienen: In einem Kommentar mit dem Titel „Insektensterben und keiner will es gewesen sein“ vom 24. Juli 2017 geht Daniel Lingenhöhl auf verschiedene Kritikpunkte der Publikation zu Insektenschwund im Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch ein und widmet sich unterschiedlichen Aspekten der Ursachensuche.24 Christian Schwägerl hat am 2. März 2018 in Spektrum einen Artikel mit dem Titel „Was wir über das Insektensterben wissen - und was nicht“ publiziert. Auch er beschreibt Schwächen der Studie und nennt mehrere allgemein diskutierte Ursachen zum Insektenschwund.25 Am 29. November 2018 ist wiederum von Daniel Lingenhöhl ein Artikel unter dem Titel „Der globale Insektenzusammenbruch“ in Spektrum erschienen. Hier geht er auf die Tatsache ein, dass mittlerweile weitere Befunde weltweit darauf hindeuten, dass es einen Rückgang bestimmter Insektenarten gibt.26 6. Zur Biodiversitätsforschung in Deutschland In Deutschland werden durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zahlreiche Projekte gefördert mit dem Ziel, „die Wissenslücken über den Artenverlust schließen und Maßnahmen zum Erhalt, der Verbesserung und nachhaltigen Nutzung der Biodiversität entwickeln .“27 Im Februar 2019 wurde eine neue „Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) vorgestellt. Eine Broschüre hierzu ist im Internet frei verfügbar.28 „Die Schwerpunkte der Initiative bauen auf den Empfehlungen eines Kreises renommierter Biodiversitätsforscherinnen und –forscher auf („Frankfurter Erklärung “29). Für die „Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt“ stellt das BMBF in den kommenden Jahren 200 Millionen Euro zur Verfügung. Die Initiative ist im BMBF-Rahmenprogramm 24 Daniel Lingenhöhl: Insektensterben - und keiner will es gewesen sein; Kommentar vom 24.07.2017; spektrum; https://www.spektrum.de/kolumne/insektensterben-und-keiner-will-es-gewesen-sein/1484979 [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 25 Christian Schwägerl: Was wir über das Insektensterben wissen - und was nicht; Wissen 02.03.2018; spektrum; https://www.spektrum.de/wissen/es-gibt-wenig-daten-aber-das-insektensterben-ist-eindeutig-besorgnis-erregend /1548199 [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 26 Daniel Lingenhöhl: Der globale Insektenzusammenbruch; Kommentar vom 29. November 2018. spektrum; https://www.spektrum.de/kolumne/der-globale-insektenzusammenbruch/1611020 [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 27 Quelle: https://www.bmbf.de/de/biodiversitaet-forschung-fuer-die-artenvielfalt-343.html [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 28 Quelle: https://www.bmbf.de/upload_filestore/pub/Forschungsinitiative_zum_Erhalt_der_Artenvielfalt.pdf [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 29 Quelle: http://www.senckenberg.de/root/index.php?page_id=19052&preview=true [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 036/19 Seite 11 Forschung für Nachhaltige Entwicklung (FONA) angesiedelt und trägt zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) sowie zur Hightech-Strategie 2025 der Bundesregierung bei.“30 In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass es ein Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung (NeFo) gibt, das durch das BMBF gefördert wird. Dieses Netzwerk „versteht sich seit seiner Etablierung 2009 als eine Plattform zur Unterstützung und Vernetzung der Biodiversitätsforschung in Deutschland sowie zur Intensivierung des Dialogs mit gesellschaftlichen Akteuren , insbesondere aus der Politik.“31 Ökosystem-Monitoring zählt zu einem der Schwerpunktthemen des Bundesamtes für Naturschutz (BfN). Vor dem Hintergrund der Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt32 der Bundesregierung und der Naturschutzoffensive 202033 hat „das BfN in Zusammenarbeit mit interessierten Bundesländern in 2015 eine Machbarkeitsstudie erstellen lassen. Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen, dass sich mittels einer Kompletterhebung der Biotoptypen auf den bundesweit repräsentativen Stichprobenflächen die Kernziele und Fragen eines Ökosystem-Monitorings sinnvoll bearbeiten lassen. […] Mit dem Ressortforschungsplan 2016 wurde daher ein Forschungsund Entwicklungsvorhaben zum Ökosystem-Monitoring auf den Weg gebracht. Inhalt ist die vollständige Konzeptentwicklung sowie die Erprobung des Ökosystem-Monitorings.“34 Innerhalb der Leibniz-Gemeinschaft wurde ein „Leibniz-Verbund Biodiversität“ (LVB) gegründet . „Ziel einer initialen Netzwerkphase war es, eine gemeinsame Plattform für die Verbundpartner zu schaffen, um Kompetenzen und Ressourcen zu bündeln und die Biodiversitätsforschung in der Leibniz-Gemeinschaft stärker nach außen zu vernetzen. Seither werden laufende Aktivitäten und Projekte der Mitgliedseinrichtungen in interdisziplinäre Diskussionsprozesse eingebracht und gemeinsame Handlungsfelder identifiziert. […] Das aktuell im Vordergrund stehende Ziel ist die strategische Weiterentwicklung des LVB mit Schwerpunkt auf der Umsetzung von innovativen interdisziplinären Verbundforschungsprojekten. Unter Beteiligung unserer Mitgliedseinrichtungen und externer Partner werden auf nationaler und internationaler Ebene Fragestellungen von besonderer gesellschaftlicher Relevanz bearbeitet. […] Die Ergebnisse aus der Verbundforschung sollen der evidenzbasierten Politikberatung dienen und werden für die breite Öffentlichkeit aufbereitet. Der Diskurs zwischen Wissenschaft, politischen Entscheidungsprozessen und Zivilgesellschaft soll durch verschiedene Formate (z. B. Beratungs- und Serviceleistungen, Bürgerdialoge) angeregt werden. Zudem soll die Wertschätzung und Übernahme von Verantwor- 30 Quelle: https://www.bmbf.de/de/artenvielfalt-schuetzen---globale-herausforderung-angehen-8012.html [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 31 Quelle: http://www.biodiversity.de/nefo/ [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 32 Quelle: https://www.bmu.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/allgemeines -strategien/nationale-strategie/ [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 33 Quelle: https://www.bmu.de/publikation/naturschutz-offensive-2020-fuer-biologische-vielfalt/ [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. 34 Quelle: https://www.bfn.de/themen/monitoring/oekosystem-monitoring.html [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 036/19 Seite 12 tung für die Biodiversität in der Gesellschaft gestärkt werden, insbesondere durch die Unterstützung von Citizen Science Initiativen, die Bürger in den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn einbeziehen.“35 *** Anlagenverzeichnis Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages: Zum Insektenbestand in Deutschland; WD 8 – 3000 – 045/17 vom 5. Dezember 2017. Im Internet abrufbar unter: https://www.bundestag .de/resource/blob/536710/b7a6e9774a787a60b5275abd53c6509a/wd-8-045-17-pdf-data.pdf [zuletzt abgerufen am 28. März 2019]. Anlage 1 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Zum Rückgang der Biomasse fliegender Insekten in Europa; WD 8 - 3000 - 048/18 vom 20. Juni 2018. Im Internet abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/565012/dbe480eb0a2e488771f4b002f8d3b6cb/wd-8- 048-18-pdf-data.pdf [zuletzt abgerufen am 25. März 2019]. Anlage 2 Auswahl von Presseartikeln, die im Such-Zeitraum Mai 2017 bis 28. März 2019 in der deutschsprachigen Presse erschienen sind zu den Stichwörtern „Insekten“ und „Krefeld“ und „Biomasse “. Die Merkliste ist abrufbar unter: http://prarchiv.bundestag.btg/PressDok/index.html;sessionid =43171D654AC50BB478ECA01C? Anlage 3 35 Quelle: https://www.leibniz-verbund-biodiversitaet.de/ [zuletzt abgerufen am 28. März 2019].