© 2014 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 – 036/14 Wissenschaftliche Zugänge zum Thema Bildungsaufstieg Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 2 Aktenzeichen: WD 8 - 3000 – 036/14 Abschluss der Arbeit: 4.4.2014 Fachbereich: WD 8 für Bildung, Forschung, Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zugänge unterschiedlicher Disziplinen zum Thema Bildungsaufstieg 5 2.1. Soziologische Bildungsforschung / Bildungssoziologie 5 2.2. Pädagogik/ Erziehungswissenschaften 8 2.3. Sozialpsychologie/ Entwicklungspsychologie/ Neurowissenschaften 12 3. Ausblick: Aktuelle Ansätze von Interdisziplinarität 16 4. Literaturverzeichnis 18 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 4 1. Einleitung Eine kontinuierliche und sehr umfängliche wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Bildungsaufstieg bietet im Rahmen der Bildungsforschung die Bildungssoziologie. Gerade in der soziologischen Ungleichheitsforschung existieren diesbezüglich eine Vielzahl an Forschungsarbeiten und Publikationen, die direkt Bezüge zu Thesen, Ergebnissen und Erklärungen für Bildungsaufstiege und/oder ihr Scheitern erlauben oder diese indirekt über die Beschreibung von gesellschaftlichen und bildungsinstitutioneninternen Selektionsprozessen liefern. Da die Bildungssoziologie (auch) selbst ein Teilgebiet der Erziehungswissenschaften – als Leitwissenschaft der Bildungsforschung – ist, sind ihre Ergebnisse ebenso Teil der erziehungswissenschaftlichen Bildungsforschung1. Diese selbst zeichnet sich in den letzten 15 Jahren nicht nur durch einen enormen vor allem bildungspolitischen Bedeutungszuwachs aus, sondern auch durch einen starken leistungsdiagnostischen und Bildungsprozesse (auch international vergleichend ) evaluierenden und empirischen Zugang. Der dabei immer wieder festgestellte Befund, dass schulische Bildungsergebnisse stark von der sozialen (vor allem Bildungs-)Herkunft abhängen und die Durchlässigkeit des Bildungssystems vor allem für sozial oder bildungsbenachteiligte Schichten gerade in Deutschland sehr gering ist, ist Ausgangspunkt für Fragen nach der Beschreibung und (bedingt) der Erklärung von Selektionsmechanismen innerhalb und außerhalb von Bildungsinstitutionen und im Rahmen der Biografieforschung für die Suche nach Bedingungen von erfolgreichen Bildungsaufstiegen über Fallkonstruktionen. Auch die Psychologie bietet als weitere Grundlagenwissenschaft der Bildungsforschung insbesondere in der Sozialpsychologie, der Entwicklungs- und der Neuropsychologie vielerlei Anknüpfungspunkte , um Bildungsaufstiege hemmende oder fördernde Bedingungen zu beschreiben : sei es über die Lerntheorien zu Bildungserwerbsprozessen und die Bedeutung von kognitiven oder neuerdings auch affektiv-motivationalen Faktoren, über die Vorurteils- und Gruppenforschung oder Forschungen zu Spracherwerbs- und Gehirnreifungsprozessen. Sicher sind die drei genannten Disziplinen die bedeutendsten in der Bearbeitung des genannten Themas. Grundsätzlich könnten aber selbstverständlich auch noch weitere Wissenschaftszugänge herangezogen werden, wenn es darum geht, einen Überblick über den wissenschaftlichen Umgang mit dem Thema Bildungsaufstieg zu erstellen. Allen voran wäre dann die Wirtschaftswissenschaft zu nennen, die als Bezugsdisziplin innerhalb der Bildungsforschung (Bildungsökonomie ) zunehmende Bedeutung erfährt (vgl. dazu vor allem Hummelsheim; Timmermann 2010), aber auch die Politik-, die Rechts- oder die Geschichtswissenschaft. 1 Zwar ist die Politikwissenschaft keine Subdisziplin der Erziehungswissenschaft, aber für die Politikwissenschaft gilt, dass bei ihr die Soziologie nicht nur eine Nachbar-, sondern (auch) eine Unterdisziplin darstellt. Auch für die Politikwissenschaft ist die Frage nach Gerechtigkeit und Durchlässigkeit in Bildungssystemen, die Suche nach und die Beschreibung von Wegen hin zu Öffnungsprozessen relevant. Angesiedelt sind sie in der soziologischen Politikwissenschaft sowie z.B. im Rahmen der Demokratie-, politischen Kultur- und Elitenforschung (vgl. dazu u.a. auch Kronenberg 2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 5 2. Zugänge unterschiedlicher Disziplinen zum Thema Bildungsaufstieg 2.1. Soziologische Bildungsforschung / Bildungssoziologie Die Bandbreite dessen, was unter Bildungssoziologie und dem von ihr zu behandelnden Gegenstand verstanden wird, ist sehr breit. Die meisten Soziologen heben hervor, dass die Konturen des Forschungsfeldes in Fragestellungen, Daten und Methoden eher unscharf sind sowie die Theorierichtung pluralistisch. Zudem handele es sich bei der Bildungssoziologie eigentlich um allgemeine Soziologie überhaupt, in der eben die Bildung Ausgangspunkt der Betrachtung ist (vgl. Kupfer2 2011: 10). Als spezifisch kann dann aber sicherlich die theoretische und empirische Untersuchung des Bildungssystems in seinem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang und seiner Institutionalisierung und die der innerhalb der Bildungsinstitutionen vollzogenen Bildungsprozesse gesehen werden (vgl. ebd. 14). Konkret geht die Bildungssoziologie dabei den Fragen nach der Leistungsfähigkeit des Bildungssystems, dessen Integrationskraft, nach Chancengleichheit , nach Ausmaß und Legitimation sozialer Ungleichheit, nach Zugang zu Bildung und ihrem Nutzen, nach Auswirkungen des institutionellen Aufbaus des Bildungssystems auf den einzelnen und das Ganze, nach den Folgen von Bildungsexpansion oder nach dem Stellenwert öffentlicher Aus-/bildung nach (vgl. Allmendinger; Ebner; Nikolai 2010: 47f). Bedeutsam für das Thema Bildungsaufstiege sind (neben den aus der empirischen Bildungsforschung hervorgegangenen Daten zu Messergebnissen von Bildung und ihrer Disparität) vor allem die Bereiche der Ungleichheits- und Mobilitätsforschung innerhalb der soziologischen Bildungsforschung . Über die letzten Jahrzehnte haben diese beiden Bereiche zwar unterschiedliche Aufmerksamkeit erfahren. Doch „bis in die Gegenwart hinein ist dieses Interesse an der Verknüpfung von sozialer Herkunft, Bildung und Statuserwerb [wie es sich in beiden Forschungsbereichen eben ausdrückt] zentraler Bestandteil der Bildungsforschung“ (Kristen 1999: 13). In den sechziger Jahren wurden soziale Ungleichheiten in den Bildungschancen bereits thematisiert . Es ging um das Aufspüren von Barrieren, die die Gleichheit von Bildungs- und Lebenschancen verhinderten. Empirisch wurde dies überprüft über den Zusammenhang von Bildung mit Schicht, Geschlecht und Region. Dass Ungleichheitsmuster in der Schule reproduziert würden , war übereinstimmendes Ergebnis - Schwerpunkt war dabei stets der Blick auf die primäre Sozialisation (vgl. Wenzig 2005). Eine Richtung (u.a. prominent vertreten von Ralf Dahrendorf) hob in der Thematisierung von Chancengleichheit besonders ihre Bedeutung für eine demokratische und aufgeklärte Bürgergesellschaft hervor. Eine andere untersuchte die konstatierten Nachteile von Arbeiterkindern im Bildungssystem im Hinblick auf eine so genannte Ausschöpfung von Begabtenreserven aus den bildungsfernen Sozialschichten3 (vgl. Solga; Becker 2012: 13). Hinzu trat mit Beginn der siebziger Jahre die Erkenntnis, dass die soziale Herkunft nicht nur auf die Bildungsqualifikation/das Ausbildungsniveau wirke, sondern auch massiv auf die erste be- 2 Auch wenn Kupfer mit ihrer Darstellung selbst genau das kritisiert. 3 Letztlich drückt sich eine ähnliche theoretische Dichotomie mit dem Funktionalismus (Verknüpfung von Begabung , Schule, Erwerbstätigkeit) und der Konflikttheorie (bei Öffnung der Bildung muss die Reproduktion der Klassenstruktur über das Bildungssystem selbst erfolgen) als wesentlicher Zugänge der Soziologie zum Stellenwert von Bildung für die Gesellschaft aus (vgl. Allmendinger; Ebner; Nikolai 2010: 50). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 6 rufliche Position und auch auf die spätere berufliche Platzierung insgesamt, also auf die soziale Mobilität (vgl. Wenzig 2005). Gleichzeitig wurde Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre begonnen, über die Möglichkeiten von Schule, kompensatorisch gegen Unterschiede in der sozialen Herkunft wirken zu können, kontrovers zu diskutieren. Dabei wurden die Möglichkeiten von einer `Bildung für alle` oder von Bildungsreformen, die zu mehr Bildungsgleichheit führen sollten, in der theoretischen Auseinandersetzung durch die Soziologie vielfach skeptisch gesehen. Bourdieu sprach von der `Illusion der Chancengleichheit` und sah (wie andere mit ihm) die Wirkung der Schule eher in der Legitimation als im Abbau sozialer Ungleichheit. Auch Soziologen wie unter anderem Boudon sahen direkte sozialpolitische Maßnahmen zum Abbau von Ungleichheit außerhalb des Bildungssystems eher für erforderlich an (vgl. Solga; Becker 2012: 13). Doch bereits Mitte der siebziger Jahre ließ das Interesse an bildungsungleichheitssoziologischer Forschung in Deutschland zunächst nach. Das „weitere institutionelle Getrennthalten der Schullaufbahnen4 mit unterschiedlichen Positionsansprüchen im Beschäftigungssystem“ (ebd.: 14) hatte Bestand. Es folgten schließlich „[..]Studien, die sich vornehmlich mit Fragen der (beruflichen) Qualifikation beschäftigten [oder mit] der Problematik des Qualifikationsbedarfs sowie der Bildungsrendite von Hochschulabschlüssen, vor dem Hintergrund der Hochschulexpansion“ (ebd.) Damit war die Forschung der Bildungssoziologie in den achtziger Jahren (wie bei anderen Disziplinen auch) von einer ökonomischen Betrachtung der Bildung und einer individualisierten Sicht auf Chancen geprägt (vgl. Wenzig 2005) (vgl. dazu auch Bildungsökonomie, Allokationstheorie, Humankapitalansatz , Kosten-Nutzen-Rechnungen, Bildungsrenditen). Mit den neunziger Jahren wurde die Lebensverlaufsperspektive in die Bildungsforschung eingeführt . Mit der Rekonstruktion von Bildungsverläufen von aufeinander folgenden Kohorten wurde die Dynamik der Bildungsexpansion und der Einfluss institutioneller Kontexte und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen auf die individuellen Bildungschancen nachzeichenbar. Auch die Untersuchung von Benachteiligungen ausländischer Kinder und Jugendlicher und später von Kindern und Jugendlicher mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem wurde verstärkt . Wiederentdeckt wurde zudem die Behandlung von Geschlechterunterschieden im Bildungserfolg . Sie wurde jedoch nunmehr mit den Fragen verknüpft, warum Mädchen zwar in den Leistungen erfolgreicher waren, aber dennoch benachteiligt, wenn es darum geht, bei gleicher Leistung gleiche Bildungserfolge und gleiche Erträge für ihre Schul-, Berufs- und Hochschulausbildung zu erreichen. Alle drei Bereiche (die Lebenslaufperspektive, die Benachteiligungen von Kindern mit Migrationshintergrund und die bedingte Thematisierung von Geschlechterunterschieden ) sind nach wie vor in der deutschen Bildungsforschung präsent (vgl. Solga; Becker 2012: 14,16). Daneben wurden vor allem die seit Ende der 1990er Jahre beginnenden internationalen Evaluationsstudien wie TIMSS, PISA, IGLU Grundlage für die bildungssoziologischen Debatten zu Genese und Reproduktion dauerhafter Bildungsungleichheit (vgl. Wenzig 2005), da sie die sozialen Disparitäten in der Bildungsbeteiligung und im Kompetenzerwerb in Deutschland (nun auch für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar) erneut offenlegten. So wurde für Deutschland im inter- 4 Mit der Ausnahme, dass in einigen Bundesländern auch die Gesamtschule als weitere Schulform etabliert wurde . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 7 nationalen Vergleich festgestellt, „dass es bestenfalls einen mittleren Platz .. einnimmt, und zwar ganz gleich, ob man Zertifikate oder Kompetenzen“ maß (Allmendinger; Ebner; Nikolai 2010: 63). Die Verfügbarkeit solcher großen Datensätze (daneben das zum Längsschnitt angewachsene SOEP5 oder die Panelstudien des HIS) führten zu einer zunehmenden quantitativ gerichteten Auseinandersetzung mit dem Thema. Dazu gehörte auch, dass sich mit Hilfe dieser komplexen Datensätze international eine Fachdebatte zur Mobilitätsforschung etablieren konnte (DGS; Krais 2013), in der für Deutschland zumeist eine geringe Bildungsmobilität und ein hohes und stabiles Ausmaß der herkunftsspezifischen Bildungschancen ausgemacht wurde. Auch wenn die Datenlage diesbezüglich nicht eindeutig ist und durchaus differenziert betrachtet werden kann, zeigten und zeigen die Arbeiten in diesem Kontext zunehmend, dass die Unterschiede der Bildungsbeteiligung und des Bildungserfolgs und der -mobilität statistisch gesehen im Wesentlichen auf den elterlichen Bildungsstatus zurückzuführen sind (vgl. Grendl 2012: 22). Anknüpfend an Boudon wurde und wird in der soziologischen Ungleichheitsforschung in der Erklärung von der Mehrheit dieser sich damit (auch empirisch) auseinandersetzenden Arbeiten dabei – mal mehr und mal weniger intensiv dargestellt – davon ausgegangen, […] dass „ungleiche Bildungschancen nach Klassenlage oder sozialer Schichtzugehörigkeit, Migrationsstatus sowie Geschlecht vor allem eine aggregierte Folge [1] individueller, zwischen diesen sozialen Gruppen variierender Leistungen (bezeichnet als primäre Herkunftseffekte) sowie [2] variierender Bildungsaspirationen und -entscheidungen (sekundäre Herkunftseffekte) oder [3] sozialstrukturell unterschiedlicher Kosten- Nutzen-Abwägungen im Lebensverlauf sind“ (Solga; Becker 2012: 15); Ansätze wie u.a. die Theorie der kulturellen Reproduktion von Bourdieu spielten und spielen hingegen im Unterschied zu den 1970er Jahren eine sehr viel geringere Rolle bei der Erklärung der Bildungsungleichheiten6 (vgl. ebd.: 24)7. Außerdem wurden mit Ende der neunziger Jahre die sozialen Ungleichheiten in den Bildungsergebnissen auch verstärkt unter dem Begriff der Bildungsarmut diskutiert. Beide Entwicklungen (die vermehrte Anknüpfung an Boudon in der Erklärung von Bildungsungleichheit und die Debatte unter dem Begriff Bildungsarmut) können als Versuch verstanden werden, einer „Veren- 5 Das Sozio·oekonomische Panel (SOEP) liefert Auswertungen aus Daten aus seit 1984 jährlich durchgeführten repräsentativen Privathaushaltsbefragungen (12.000) in Deutschland zu Einkommensverteilung, Arbeitsmarkt, Sozialpolitik (auch sozialem Kapital) und Lebensqualität. Dabei nimmt das die Daten auswertende DIW Berlin mit dem SOEP als Längsschnittstudie vor allem die Heterogenität der Lebenslagen in den Blick und stellt sie dar. 6 Häufiger wird in Arbeiten für die Entstehung von primären Herkunftseffekten (Boudon) dann aber auf Bourdieu verwiesen, was theorieparadigmatisch problematisch ist und weiterhin offenbart, dass der Mechanismus der Entstehung von primären Herkunftseffekten in der soziologischen Bildungsforschung anscheinend nicht ausreichend erforscht worden ist. 7 Allmendinger geht davon aus, dass aber die Allokationstheorie mit zunehmenden Neugründungen privater Universitäten und der Exzellenzinitiative in Deutschland wichtiger werden wird (vgl. Allemendinger, Ebner; Nikolai 2010: 65). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 8 gung in der Bildungssoziologie auf Chancengleichheit und individuelle Bildungsentscheidungen zu begegnen“ (ebd.: 168). Die Daten zur Chancengleichheit sind im Laufe der Jahre stets neu erhoben und bewertet worden. Im Hinblick auf den sozioökonomischen Status wurde zwar festgestellt, dass sich klar die Kompetenzwerte als auch immer noch die Bildungsbeteiligungsquoten beständig herkunftsabhängig (für Kinder von Beamten, Angestellten und Selbstständigen aber verbessert) darstellten, aber insbesondere die relativen Chancen von Arbeiterkindern, z.B. ein Studium aufzunehmen, weiterhin deutlich am schlechtesten seien. Im Bezug auf das Geschlecht wurde eine klare Entwicklung hin zu Chancengleichheit für Frauen ausgemacht; während sie in den 1960er Jahren noch 37% der Abiturienten und 30% der Studienanfänger stellten, liege ihr Anteil heute bei ca. der Hälfte; auch seien sie mit nur 39%-Anteil an den Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss wesentlich weniger bildungsarm als Männer. Stadt/Land-Disparitäten stellten sich heute nunmehr laut Bildungsforschung weniger dar, nur Unterschiede zwischen den Bundesländern blieben erhalten. So machten in Berlin mehr Kinder Abitur als in Bayern, und in Sachsen-Anhalt habe ein Kind aus der Oberschicht eine 10-mal größere Chance auf das Gymnasium zu gehen als eines aus einer niedrigeren Sozialschicht im Gegensatz zu Brandenburg, wo die Wahrscheinlichkeit nur 4 mal höher sei. Kinder mit Migrationshintergrund hätten nach wie vor geringere Ausbildungschancen und seien an Sonder- und Hauptschulen weit über- und in allen anderen Schulformen unterrepräsentiert , wobei neuere Forschungen den Effekt der Bildungsherkunft hier weit stärker erklärend sehen als den der migrantischen Dimension (vgl. Allmendinger; Ebner; Nikolai 2010: 54-58). Neueste Studien zu den Ungleichheiten in den Bildungschancen beschäftigen sich nun vor allem damit, das jeweilige Ausmaß der primären und sekundären Herkunftseffekte (wie vorangehend schon dargestellt zunehmend bezogen auf die Bildungsherkunft) zu modellieren, weiterhin individuelle Leistungen als Input- und Outputmessungen der Bildungssysteme im Vergleich von Zertifikaten und Kompetenzen darzustellen oder die Gewichte von institutionellen Strukturen und Regelungen des Bildungssystems in den Blick zu nehmen. 2.2. Pädagogik/ Erziehungswissenschaften „Die deutsche Bildungsforschung ist [auch institutionell] von der Pädagogik geprägt, einer seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland einflussreichen Disziplin mit einer spezifischen geisteswissenschaftlichen Tradition. Im Gefolge der großen Debatten um Bildungsreformen und den Ausbau des Bildungswesens um 1970 herum hat die Pädagogik erfahrungswissenschaftliche Elemente aus der Soziologie und der Psychologie aufgenommen. Mit dieser Modernisierung ist es ihr 8 Trotzdem kritisieren Solga und Becker nach wie vor die eher geringe Rückkopplung auf die Theoriebildung als solche durch die Fokussierung auf (alleinig) empirische Arbeiten (vgl. Solga; Becker 2012: 20). Ähnlich kritisch äußert sich auch Kristen, die konstatiert, dass die Erklärungen für das Zustandekommen von Bildungsungleichheiten nach wie vor eher dünn seien und zumeist eher eine Vielzahl von Einflussfaktoren ohne theoretisches Gerüst ausgemacht werde und weiterhin häufig nur die Feststellung, das Ausmaß, die Stabilität und der Wandel von ungleicher Bildungsbeteiligung deskriptiv dargestellt würde (vgl. Kristen 1999:15). Und Krais konstatiert, dass auf die Frage, wie sich diese Bildungsungleichheiten in der Schule und vermittelt über das, was in der Schule geschieht, immer wieder herstellen, wir bis heute nur sehr wenig wissen (vgl. DGS; Krais 2013) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 9 gelungen, ihren Status einer Leitwissenschaft in der Bildungsforschung zu behaupten“ (DGS; Krais 2013). Dabei gilt, ebenso wie bei der soziologischen Bildungsforschung, dass die Problemstellungen und Forschungsfelder der erziehungswissenschaftlichen Bildungsforschung – obwohl und gerade weil sie die Leitwissenschaft der Bildungsforschung ist – nicht eindeutig sind. Zum einem gehören zur Erziehungswissenschaft selbst (spätestens seit den 1960er Jahren) zahlreiche Subdisziplinen und Fachrichtungen; wie eben unter anderem die Bildungssoziologie9, die Pädagogische Psychologie, die Lehr-Lernforschung oder die Interkulturelle Pädagogik10. Und zum anderen scheidet sich die Wissenschaft selbst daran, ob erziehungswissenschaftliche Bildungsforschung in einem engen oder weitem Verständnis gesehen werden soll (vgl. Zedler; Döbert 2010: 24f). Ersteres würde bedeuten, sie vornehmlich als empirische Bildungsforschung aufzufassen, die innerhalb der einzelnen in ihr institutionalisierten Subdisziplinen und von dem zugehörigen Wissenschaftspersonal verfasst wurde. Bei einem weiten Verständnis würde sie sich auf allein durch den Gegenstand – (Gestaltung von) Bildungsprozessen – abgrenzen unabhängig davon, ob dieser z.B. auch aus philosophischer, rechtlicher, psychologischer oder historischer Perspektive betrachtet würde. Heute scheint sich ein stark empirisches Verständnis von (erziehungswissenschaftlicher ) Bildungsforschung durchgesetzt zu haben, dass unter vor allem dieser empirischen Maßgabe Forschung aus den anderen (Sub-)disziplinen einbezieht. In den 1960er und 1970er Jahren gab es in der erziehungswissenschaftlichen Bildungsforschung (ebenso wie in der soziologischen) eine stärkere Anbindung an Theoriedebatten im Rahmen der Fragen nach der sozialen Selektivität des Bildungssystems und derer, wie ein Schulsystem chancengerechter zu gestalten sein könnte. Abgelöst wurde dieser Schwerpunkt in den 70er und 80er Jahren dann durch vielfältige Untersuchungen vor allem zu den Disparitäten des Schulangebots, zur Bildungsbeteiligung und dann schließlich zu Schulerfolgs- und Abschlussquoten sowie deren Einflussfaktoren. Wenn, dann standen eher (auch bei Gerechtigkeitsfragen) Themen der inneren Schulentwicklung auf dem Plan als Themen struktureller Steuerung oder Reformen. Innerhalb der neunziger Jahre rückten nach den Themen, die sich durch den Transformationsprozess in den neuen Bundesländern stellten, wieder die Fragen der Schul-und Unterrichtsforschung in den Vorhergrund - Fragen nach der Qualität der Bildung, der Qualitätsentwicklung, der Autonomie für Schulen sowie der nach Effizienz – während z.B. die Sozialisationsforschung, die auch Selektionsprozesse sowie gezielte Förderung Benachteiligter thematisierte, tendenziell eher in den Hintergrund geriet. An diese Entwicklung knüpfte die internationale Evaluationsforschung Ende der neunziger Jahre an, mit deren Beginn eine klare Orientierung an Outputfaktoren zu Bildungsgängen und Schülerleistungen verbunden war und ist. Den Startschuss stellt dazu die 1. TIMSS-Studie von 1997 dar, die die mathematisch-naturwissenschaftlichen Leistungen der Schüler international maß (es folgten und folgen aktuell fortlaufend PISA- und IGLU-Studien) und Deutschland im Mittelfeld platzierte (vgl. Zedler; Döbert 2010: 26ff). Mit dieser internationalen Evaluationsforschung erfuhr zum einen die (erziehungswissenschaftliche ) Bildungsforschung um das Jahr 2000 einen enormen Aufschwung („wissenschaftsgeschicht- 9 Viele der Lehrstühle der Bildungssoziologie finden sich direkt in den erziehungswissenschaftlichen Fachbereichen . 10 In der auch z.B. Forschung zu Bildungsaufsteigern mit Migrationshintergrund sattfindet. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 10 lich ohne Vergleich“11), was sich sowohl in der politischen Wahrnehmung, verbunden mit einem neuen bildungspolitischen Stellenwert der Bildungsforschung, als auch im deutlich quantitativen Anstieg der Forschungsarbeiten zeigte (bei gleichzeitiger auch international vernetzender Ausrichtung einiger Forschungssegmente). Während im Jahr 1990 knapp 500 Projekt der erziehungswissenschaftlichen Bildungsforschung zugerechnet wurden, waren es 1998 650/bzw.800 und 2006 schon 202012. Und das Gewicht der einzelnen Forschungssegmente verschob sich zugunsten der Bildungssoziologie (1,5% auf 4,2%- Anteil an der Anzahl der nach SOFIS erfassten Bildungsforschungsarbeiten), der Unterrichtsdidaktik (16,1% auf 19,2%), der Forschung im Bildungswesen im Elementarbereich (0,6% auf 2,6%, von 4 auf 52 Projekte), derjenigen im Bildungswesen im tertiären Bereich (7,8% auf 11,3%) und im Sekundarstufen I-Bereich (0,8% auf 2%, aber von 5 auf 40 Projekte) sowie leicht der Sonderpädagogik (4,0% auf 4,8%) und zu Ungunsten der Entwicklungspsychologie (4,0% auf 2,5%), der Jugendsoziologie (4,4% auf 2,5%), der Forschung im Bildungswesen im quartären Bereich (17,2% auf 14,6%) und vor allem der Sozialpsychologie (10% auf 6,2%). Zum anderen erhielten in der Bildungsforschung (wie schon im vorangehenden Kapitel erwähnt) mit den für Deutschland zumeist überraschenden Ergebnissen bei den internationalen Vergleichen die in der Wissenschaft schon lange einschlägig diskutierten Fragen zur sozialen Selektivität und damit auch dieser Teil der soziologischen Bildungsforschung, mit dem auch das Thema der Bildungsaufstiege verknüpft werden kann, verstärkt erstmals wieder (in der Politik und der Öffentlichkeit und rückwirkend auf die Forschung) Aufmerksamkeit (vgl. ebd.: 28-33, 40). So stellte z.B. die IGLU-Studie 2006 die Aspekte der Lesekompetenz von Grundschülern klar in einen Zusammenhang zu ihrem soziokulturellen Hintergrund; die TIMMS-Studie 2007 erklärte die unterschiedlichen mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen auch mit der Teilnahme an vorschulischer Bildung der Grundschüler. Festgestellt wurde immer wieder eine starke Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der Herkunft (vor allem der Bildungsherkunft) bei einer gleichzeitig sinkenden Durchlässigkeit des Bildungssystems für stark bildungsbenachteiligte Kinder (s. dazu auch S. 8 hier). Als Gründe führte und führt die Bildungsforschung zumeist die Struktur des Schulsystems (mit den stark selektiv wirkenden Übergangsentscheidungen), eine unzureichende frühkindliche Sprachförderung und auch eine fehlende ungleichheitssensible Schulpraxis an. Dennoch wurde die Auseinandersetzung über diese festgestellten Disparitäten noch stärker innerhalb der soziologischen Bildungsforschung und auch mit direkterer Anbindung an die Debatten um soziale Ungleichheit geführt (, ausgedrückt auch in einem Fokus auf die Eigenlogik von Bildungsinstitutionen oder in der Betrachtung von sozialstrukturellen Verschiebungen von Bildung) (vgl. DGS; Krais 2013; vgl. auch hier Kapitel 2.1). Im Rahmen der genannten Forschung um Leistungsdiagnostik (auch im Wege von Large Scale Assesments), Evaluation, Lehren /Lernen (neuerdings hier mit dem Ziel neuer Lernwege für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht) und dem daraus resultierenden stark ausgebauten Bereichs des Bildungsmonitorings13 (mit Bildungsstandards und z.B. Vergleichsarbeiten, 11 Zedler; Döbert 2010: 33. 12 Daten angegeben nach Datenbank SOFIS; GESIS-IZ Sozialwissenschaften, Bonn. 13 Das mittlerweile zu einem Systemmonitoring ausgebaut wird (also zur dauerhaften indikatorengestützten Beobachtung ). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 11 aber auch internationalen OECD-Berichten als weiteren Vergleichsrahmen) in Deutschland erhielten in den letzten Jahren vor allem Messkonzepte und -verfahren Gewicht. Dabei kam dem Begriff der Kompetenz (erweitert dann auch in sprachwissenschaftlichen sowie sozialisationstheoretischen Zusammenhängen oder um funktional-pragmatische Kompetenzkonzepte aus der Psychologie) und der Entwicklung von Kompetenzmodellen zur Erfassung individueller Lernergebnisse sowie zur Bilanzierung von Bildungsprozessen eine zentrale Bedeutung zu. Es ging um `reading literacy, mathematical literacy, science literary` - bisher verbunden mit der Messung von Wissen und Können noch fast ausschließlich im Schulbereich. Was zur Folge hatte und hat, dass die Bedeutung von sozioökonomischem, kulturellem, geschlechtlichem oder migrativem Hintergrund im Zusammenhang mit den Bildungsergebnissen ebenso wie die Analyse von institutionellen Bedingungen (Qualität der Lernumgebung, Regelung von Übergängen, Zuordnung von Bildungsgängen u.a.) bisher noch vor allem aus dem Schulbereich allein abgeleitet wird (vgl. Zedler; Döbert 2010: 35). In den Erziehungswissenschaften war und ist sowohl die Verständigung über die Relevanz von drei zu entwickelnden Kernkompetenzen (Sachkompetenz, Selbstkompetenz und Sozialkompetenz ) wie auch der Kompetenzbegriff in der Beschreibung der Ziele von schulischer und beruflicher Bildung (sowie auch der Bildungsaufstieg als solcher als gelungene soziale Integration verstanden wird) mehr oder minder unumstritten; als problematisch wird höchstens die Erfassung der die Motive, die Affekte oder die Qualität sozialer Handlungen betreffenden Kompetenzen gesehen. Vereinzelt wird hingegen jedoch in der Soziologie kritisch auf eben jene (auch in der soziologischen Bildungsforschung selbst) Verwendung der Kompetenzmaße statt Noten oder Bildungsabschlüsse verwiesen, die dann nämlich auch das Ausblenden von deren konflikttheoretischen Dimensionen beinhalte (vgl. Solga; Becker 2012). Kritisch wird von einigen Erziehungswissenschaftlern insgesamt jedoch angemerkt, dass sowohl diese Anerkennung und die Wahrnehmung der empirischen Bildungsforschung vor allem im Hinblick auf Effizienz und Effektivität von Bildungseinrichtungen als auch die Tatsache, dass in den nächsten Jahren die Output-Daten zu Bildungsergebnissen noch zunehmen werden, zu einer Verengung der erziehungswissenschaftlichen Bildungsforschung führen könnten. So drohten die pädagogischen Aspekte bei der schulbezogenen empirischen Bildungsforschung, die Fragen nach der Verwendungstauglichkeit schulisch erworbener Qualifikationen oder die längerfristige Entwicklung von Qualifikationsbedarfen vernachlässigt zu werden (vgl. Zedler; Döbert 2010: 34, 40). Sinnvolle erweiterte Zugänge durch die Erziehungswissenschaft könnten sich zum Thema Bildungsaufstieg zukünftig vor allem auch durch ihren Status als Handlungs- neben dem der Reflexionswissenschaft ergeben. Gerade die Sozialpädagogik geht davon aus, dass sozialpädagogisches Handeln präventiv, intervenierend und korrigierend sein kann und vertritt die Hypothese, dass auch der Erwerb inkorporierten kulturellen Kapitals (vgl. Bourdieu mit der Erklärung von Bildungsbenachteiligung durch bereits vorausgesetztes kulturelles Kapital in der Schule) durch sozialpädagogische Maßnahmen förderbar ist. Vorschläge, wie demnach Bildungs- und Erziehungspraxis sinnvoll zu gestalten sind, um Selektionsprozesse zu minimieren oder zu verhindern sowie Bildungsaufstieg zu befördern, hielte so auch der Bereich der Unterrichtsforschung und Schulpädagogik bereit. Inwiefern diese Erkenntnisse (flächendeckend) gerade von der soziologischen Bildungsforschung aufgegriffen werden oder sie zunehmend Eingang in die laufenden interdisziplinären Forschungsvorhaben finden, bleibt abzuwarten. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 12 Dieses praktische Wissen um erfolgreiche Förderung könnte aber ebenfalls bereits in naher Zukunft durch die aktuell sehr beachteten Forschungsarbeiten zu biografischen Fallkonstruktionen von gelungenen Bildungsaufstiegen bereitgestellt und in der Bildungsforschung stärker rezipiert werden. Bisher wird hier vor allem auf die gemeinsame Erfahrung eines notendigen Bezugsgruppenwechsels als Voraussetzung für Bildungsaufstieg verwiesen und das unbedingte Vorhandensein von jeweils sozialen Paten (vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung; El-Mafaalani 2014; Grendl 2012; Urbatsch 2011)14. Daraus abgeleitet könnten künftig klar formulierte praktische Unterstützung oder fördernde Rahmenbedingungen zum Abbau von Ungleichheit und zur Ermöglichung von Bildungsaufstiegen noch grundlegender diskutiert werden. 2.3. Sozialpsychologie/ Entwicklungspsychologie/ Neurowissenschaften Wie bei der Soziologie (und der Erziehungswissenschaft sowieso) handelt es sich auch bei der Psychologie um eine Grundlagenwissenschaft der Bildungsforschung. Unterschiedliche Teildisziplinen der Psychologie (wie die Sozialpsychologie, die Entwicklungspsychologie, die differenzielle oder die biologische Psychologie/Neuropsychologie) befassen sich aus unterschiedlicher Perspektive auch mit den Fragen, ob und wie Bildung erworben wird (also mit Lern- und Leistungsentwicklungen ) sowie mit den Bedingungen von Bildungsprozessen (z.B. der notwendigen Struktur von Persönlichkeitsmerkmalen). Dabei definiert sich die Psychologie aber noch stärker als empirische Wissenschaft als die Pädagogik und wird daher häufig auch als ihre empirische Grundlagenwissenschaft verstanden (vgl. Götz; Frenzel; Pekrun 2010: 71f). Inwiefern die Psychologie Anknüpfungspunkte für die soziologische Bildungsforschung schafft, ist differenziert zu betrachten. Einige Wissenschaftler befinden aber, dass sich die Psychologie zumindest der sozialen Ungleichheitsforschung weitgehend verschließt (vgl. El-Mafaalani; Wirtz 2011: Absatz 3). Ging man in der Lernpsychologie in der Mitte des letzten Jahrhunderts im Rahmen behavioristischer Lerntheorien noch davon aus, dass Lernen vor allem auf Grund von Reizen, Beobachtung und dann folgenden Verhaltensreaktionen erfolge (also konditionierbarer Verhaltensformung), spielen aktuell eher kognitiv-konstruktivistische Lerntheorien (Lernen als aktiver Konstruktionsprozess , in dem die Situation, die Umwelt und auch die individuellen Bedingungen bedeutsam sind) eine Rolle, um den Erwerb von Wissen zu erklären. Nach dem Modell Pekruns wirkten innerhalb eines Bildungserwerbsprozesses distrale Prägungen (Wertekulturen, Politik, Wirtschaft, Bildungswesen) auf die Bedingungen in der proximalen /engsten Umwelt der Individuen (Instruktion und Simulation; Autonomiegewährung versus Kontrolle; Erwartungs-, Ziel- und Bewertungsstrukturen; Verhaltensrückmeldungen und - konsequenzen), die wiederum zusammen mit den genotypischen/veranlagungsbedingten Bedingungen auf die Variablen der individuellen Bildungsvoraussetzungen wirkten. Letztere setzten 14 Zudem ist 2014 noch mit der Publikation einer Studie „3 Generationen Bildungsaufsteiger“ am Fachbereich Allgemeine Erziehungswissenschaften an der Universität Gießen zu rechnen, in der drei verschiedene Generationen (1950er, 1970er, 1990 Jahre) biografisch nach Ost und West untersucht werden, inwiefern das Gesellschaftssystem und die damit verbundenen bildungspolitischen Maßnahmen auf der einen Seite mit den habituellen und familialen Dispositionen auf der andern Seite zusammenwirken. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 13 sich dabei aus Intelligenz, Vorwissen und Metakognition sowie aus Emotion, Motivation und Volition/Willenskraft zusammen (vgl. Götz; Frenzel; Pekrun 2010: 80). Bedeutsam ist dabei, dass die aktuelle Forschung zu Lerntheorien neben den kognitiven Voraussetzungen vor allem auch affektiv-motivationale Faktoren als notwendige Bedingungen für systematischen Wissenserwerb ausgemacht: also Emotionen, Interesse und Motivation. Zum Beispiel konnte gezeigt werden, dass die Selbsteinschätzungen zu den eigenen Leistungsmöglichkeiten von Schülern auf Grundlage von Erfolgs- und Misserfolgsrückmeldungen und ihrer subjektiven Interpretation erfolgten, wobei diese ihrerseits wiederum direkten Einfluss auf die Emotionsund Motivationsbildung nehmen. Dennoch hat die Bildungsforschung bisher wenig mit der psychologischen Emotionsforschung der letzten Jahrzehnte zusammengearbeitet (empirisch untersucht ist daher bisher vor allem nur die leistungsmindernde Wirkung von Prüfungsangst), um grundsätzlich mehr über fördernde und hemmende Lern- und Leistungsemotionen zu erfahren; ableitbar ist bisher nur eher offensichtlich Naheliegendes: „Emotionen wie Lernfreude, Ärger, Leistungshoffnung, Angst, [Hoffnungslosigkeit] oder Langeweile usw. [können] zum einen [positiv /negativ] motivationsbildend wirken, zum anderen aber auch kognitive Ressourcen (z.B. Aufmerksamkeit ) sowie Lern- und Problemlösestile beeinflussen und damit entscheidend auf Vorgänge des Wissenserwerbs einwirken“ (ebd.: 82). In Bezug auf die Bedeutung von Interesse für den Wissenserwerb hat diese junge Forschungsrichtung bis dato belegt, dass Interesse eindeutig zu einer tieferen Verarbeitung von Lernmaterial führt und Motivation eine hohe Relevanz ifür den Bildungserwerb hat – mangels geeigneter diagnostischer Untersuchungsmethoden konnten bisher aber noch keine Aussagen dazu getroffen werden, wie hoch genau diese Relevanz sei (vgl. ebd.) – im Gegensatz zu den kognitiven Bildungsbedingungen. Für die kognitiven Bildungsbedingungen ist sich die Psychologie einig, dass Intelligenz, Vorwissen und – neuerdings mit erwähnt – metakongnitives Wissen (Wissen zum eigenen Lernverhalten und zu Möglichkeiten der Optimierung) eine Rolle spielten. Andere Modelle nennen die drei Bereiche: genetische Faktoren (allgemeine Intelligenz), domänenspezifische Wissenssysteme und unterschiedliche Lernerfahrungen (vgl. Spitzer 2007). Allen empirischen Ergebnissen zufolge liegen die Ursachen interindividueller Unterschiede für die kognitiven Bildungsbedingungen in einer Mischung aus sowohl genetischen wie auch Umweltfaktoren (z.B. Förderung, Schulbesuch, ökonomische Ressourcen der Familie). Die psychologische Forschung konstatiert, dass für den schulischen Wissenserwerb jedoch die Intelligenz von Schülern der beste Einzelprädikator ist („mit durchschnittlichen Korrelationen um r=50“). Bei kumulativen Lernvorgängen übernehme hingegen „das bereichsspezifische Vorwissen die Rolle als erklärungsmächtigster direkter Prädikator“. Intelligenzentwicklung und schulischer Wissenserwerb seien nach gegenwärtigem Kenntnisstand wechselseitig verflochten: Intelligenz nehme „Einfluss auf den individuellen Wissenserwerb; Unterricht und Wissenserwerb aber wirk[t]en sich ihrerseits positiv auf die Intelligenzentwicklung aus“ (vgl. Götz; Frenzel; Pekrun 2010: 81). Andere Forscher gehen hingegen davon aus, dass der IQ zwar um 20-25 % um den Wert schwanken kann, der durch eine genetische Ausstattung prädisponiert sei, dass jedoch Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 14 zahlreiche Studien belegen konnten, dass der IQ dann spätestens ab dem Schulalter bis ins hohe Erwachsenenalter sehr stabil sei (vgl. Spitzer 200715). In Bezug auf die Ausbildung eines notwendigen Lernstils verweist die aktuelle Forschung auf das selbstregulierte Lernen, was als Kernkompetenz eines am Output orientierten Bildungswesens ausgemacht werden könne. Um diese Kernkompetenz zu entwickeln, seien eine Vielzahl an aufeinander abgestimmten Teilfähigkeiten kognitiver, emotionaler und motivational-volitionaler Art notwendig: u.a. müssten jeweils selbst Lernziele definiert werden können, das Vorwissen und der Lernstand analysiert werden, emotionale Dispositionen müssten vorhanden sein, die es erlauben , diese Ziele affektiv zu verankern, es bedürfe Fach- und Verfahrenswissens zu Lerntechniken sowie motivationale Fähigkeiten zur Wertschätzung des resultierenden Lerngewinns müssten vorhanden sein (vgl. Götz; Frenzel; Pekrun 2010: 74-77). Auch dieser Befund zu den Lernprozessen und hier im Speziellen den Fähigkeitsvoraussetzungen für einen derzeit erfolgreichen Lernstil) beschreibt indirekt einen klaren, wenn auch nicht allein bestimmenden, aber dennoch wirkende Selektionsmechanismen für Kinder mit bildungsferner Herkunft innerhalb des Schulsystems – sowohl im boudonschen Sinne primärer Herkunftseffekte als auch im bourdieuschen Sinne eines wirkmächtigen Ausschlusses über fehlenden Habitus/kulturelles Kapital. Wie genau die Unterrichts- und Sozialumwelten auf die Lernprozesse wirkten, wird unterschiedlich bearbeitet. Häufig wurde in der Psychologie eher von einem Primat familiärer Sozialisation ausgegangen – wohingegen die Soziologie und Teile der Erziehungswissenschaften stärker das schulische Bildungswesen selbst als Sozialisationsinstanz betrachteten. Einig ist man sich mittlerweile , dass die Peer-Gruppe, die sich auch durch intime und emotionale Beziehungen auszeichnet und von sozialer Orientierung und Haltgebung geprägt ist, neben der Familie eine wichtige Sozialisationsinstanz bei der Persönlichkeitsentwicklung und damit auch für Bildungsprozesse darstellt (vgl. Götz; Frenzel; Pekrun 2010: 84ff). Eine Möglichkeit einer Anleihe in der Sozialpsychologie für die Bedeutung der sozialen Unterrichtswelt auf Lernprozesse und Bildungsergebnisse findet sich unter anderem in der Theorie der Self-fulfilling Prophecy, wenn man die Hypothese zugrunde legt, dass Lehrer gegenüber sozial benachteiligten Kindern tendenziell geringere Leistungserwartungen haben als gegenüber Kindern aus bildungsnahen/höheren Schichten. Danach beeinflusst die Erwartung einer Person darüber , wie ihr Gegenüber ist, ihren Umgang mit dieser Person derart, dass das Gegenüber sich diesen Erwartungen entsprechend verhält und erst deshalb die ursprüngliche Erwartung erfüllt (vgl. Aronson; Wilson; Akert 2008: 66, s. dazu auch hier S. 12 zur Rolle der Motivation). Zudem wurde bereits in der Ausgangsstudie von Rosenthal/Jacobson aus dem Jahr 1968 (und danach noch in weiteren Wiederholungen dieses Experiments) nachgewiesen, dass sich beispielsweise die bloße Annahme eines Lehrers über das besondere Talent eines Schülers signifikant positiv auf dessen Leistungen auswirkt (vgl. ebd.: 19).16 15 An gleicher Stelle wird aber auch auf Ergebnisse aus Studien mit Heimkindern verwiesen, bei denen große Fortschritte hinsichtlich ihrer intellektuellen Fähigkeiten festgestellt wurden, nachdem sie in Familien mit einem größeren Maß an Bildungsstimulierung lebten. 16 Allein die einfache Tatsache, dass die Lehrer von diesen Schülern eine bessere Leistung erwarteten (weil ihnen vorher gesagt wurde, dass diese besonders talentiert seien), führte zur meßbaren Verbesserung der Leistung dieser Schüler. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 15 Ebenso beachtenswert sind in diesem Zusammenhang die Forschungen zu Auswirkungen von Vorurteilen und Stereotypen in Form von Diskriminierung, negativer Selbsteinschätzung und geringem Selbstwertgefühl der Betroffenen.17 Außerdem kann die Sozialpsychologie Erklärungsansätze für Hemmnisse beim Bildungsaufstieg über die Gruppenforschung liefern. So kann zum einen beim Lehrpersonal selbst eine `Eigengruppenbevorzugung` im Sinne einer Milieugruppenbevorzugung zulasten sozial benachteiligter Kinder auftreten (wobei zur positiven Selbst- Abhebung Mitgliedern von Fremdgruppen deutlich negativere Eigenschaften zugeschrieben werden ) (vgl. Fischer; Asal; Krueger 2013: 120ff.). Und zum anderen spielt die Gruppenbildung dann eine Rolle, wenn man eine schicht-/milieuspezifische Habitustransformation zum Zweck des Bildungsaufstiegs als Erfordernis annimmt, so wie neuere Forschungen zu erfolgreichen Bildungsaufstiegen dies nahelegen (vgl. El-Mafaalani, Aladin 2012/2014). So könnte das grundlegende Bedürfnis des Menschen nach Zuneigung und Akzeptanz den Einzelnen auch zur Konformität mit dem Verhalten einer/seiner Gruppe drängen und so die soziale Mobilität (und die laut der Forschung dafür notwenige Bezugsgruppen-Transformation) über den normativ sozialen Einfluss des Herkunftsmilieus sozial benachteiligter Kinder behindern. Gerade die Entwicklungspsychologie und zum Teil auch die Neuropsychologie bieten darüber hinaus wichtige Erkenntnisse, um sowohl familiäre als auch (vor-)schulische Faktoren für bisher bildungshemmende oder -benachteiligende Aspekte als auch künftig fördernde und unterstützende für Chancengerechtigkeit und schließlich die Ermöglichung von Bildungsaufstiegen ausmachen zu können. Die Säuglingsforschung der letzten 50 Jahre hat vor allem zu den Erkenntnissen geführt, dass Lernen bereits lange vor der Geburt beginne, kleine Kinder zum Lernen emotionale Stabilität durch nahe Bezugspersonen erfahren müssten, Säuglinge bereits ab einem Jahr Lehr- Lernkontexte interpretieren könnten, und Kinder, die in den ersten Lebensjahren vielfältigen sozialen Kontakten mit anderen Kindern ausgesetzt waren, ein höheres Maß an Sozialkompetenz aufwiesen als Kinder ohne entsprechendes Umfeld (vgl. Pauen 2012: 9-11). Einigkeit scheint darin zu bestehen, dass speziell der Spracherwerb in den ersten Lebensjahren entscheidend für spätere Bildungsprozesse ist. Dabei sei der Spracherwerb auch von notwendiger Bedeutung für die spätere Fähigkeit der Bildung von Begriffskategorien (also von Kategorisierungsprozessen aufgenommener Informationen und ihrer Verknüpfung). Während lange Zeit in der Entwicklungspsychologie noch Fragen nach der prägenden Wirkung früher Beziehungspersonen dominant waren (vgl. Pauen 2012: 12), treten zunehmend auch Fragen nach dem Einfluss weiterer Umweltreize auf Lernprozesse (und Gehirnentwicklungsprozesse ) in den Fokus.18 17 Die Auswirkungen von Stereotypen (verallgemeinernde Annahme über eine Gruppe von Menschen) und Vorurteilen (feindselige oder negative Einstellung aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit) sind insbesondere im Bereich des Rassismus und des Sexismus gut erforscht. So zeigten Studien u.a., dass Annahmen zu geringem Talent im Bereich der Geschlechterstereotype auch klar zu negativer Selbsteinschätzung führten; oder dass allein schon Angst davor, ein Stereotyp zu erfüllen, zur Stereotypanpassung führen kann (vgl. Aronson; Wilson; Akert 2008: 425-443). 18 Dabei bildet sich die noch junge Disziplin der Entwicklungsneuropsychologie heraus. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 16 Beide Subdisziplinen diskutieren aktuell darüber, ob man davon ausgehen kann, dass spezifische Erfahrungen in zeitlich begrenzten Entwicklungsabschnitten einen besonders großen und prägenden Lerneffekt haben bzw. auch die Gehirnreifung als solche überhaupt erst begünstigen (sensible Phasen/Perioden) und somit zu Art und Ausmaß der Ausprägung notwendiger Fähigkeiten und Verhaltensweisen beitragen. Das gelte dann auch in besonderem Maße eben für den Bereich der Sprachentwicklung, die vor allem im zweiten Lebensjahr mit einer Wortschatzexplosion einhergehen sollte (vgl. Schneider; Lindenberger 2012: 46f.). Zum Teil wird in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass es sogar bestimmter Umweltbedingungen bedürfe, damit bestimmte Anlagen sichtbar werden könnten (vgl. Pauen 2012: 9). Die Neuropsychologie konstatiert , dass wichtige Regionen des Gehirns (wie das Frontalhirn, in dem die Metakompetenzen ausgebildet werden) in ihrer Ausbildung in besonderem Maße durch das soziale Umfeld beeinflussbar sind. Damit seien Fähigkeiten wie z.B. strategische, Problemlöse-, Handlungs-, Konzentrations - oder Frustrationskompetenz „nicht angeboren oder gar zufällig“, sondern lägen „in der Hand derer, die das Umfeld des jungen Menschen gestalten“ (Hüther 2012: 16). Die Art der Vernetzung über komplexe Verschaltungsmuster innerhalb des Frontalhirns (vor allem in der Phase 3-6 Jahre) und die Verbindung mit den anderen Regionen im Gehirn und die spätere Benutzung des Gehirns hingen von der Beschäftigung und diese wiederum maßgeblich von der Anregung, die erhalten werde, ab. Zudem könne die moderne Hirnforschung inzwischen nachweisen, dass nicht nur die mangelnde Anregung oder Vernachlässigung, sondern auch „Ängste, Stress, Überreizung und äußerer Druck die Herausformung komplexer Verschaltungen im kindlichen Gehirn ebenso“ behinderten (ebd.: 19). Beide Forschungsdisziplinen legen nahe, dass vor allem Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen von sehr frühen vorschulischen Bildungsangeboten über Anregungen, die dort innerhalb der sensiblen Phasen erfolgen können, beim Spracherwerb und der weiteren (Meta- )Fähigkeitsentwicklung deutlich profitieren könnten (vgl. Pauen 2012: 9). 3. Ausblick: Aktuelle Ansätze von Interdisziplinarität Die Bildungsforschung als solche versteht sich bereits als interdisziplinär arbeitende Forschung. Dennoch kann festgestellt werden, dass erst mit Beginn der 2000er Jahre sich die Ansätze von tatsächlich fachübergreifender, auch im Sinne von institutsübergreifender Interdisziplinarität verstärken und eine bisher oftmals unzureichende Verknüpfung hergestellt wird. Ganz aktuelle Beispiele für diese von vorneherein klar auf Interdisziplinarität angelegten Großprojekte innerhalb der Bildungsforschung, von denen auch weitere direkte oder indirekte Erkenntnisse zu einen Bildungsaufstieg hemmenden Selektionsprozessen bzw. ihn fördernden Aspekten erwartet werden können, sind: das seit 2005 laufende DFG-Projekt "Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Selektionsentscheidungen im Vorschul- und Schulalter" (BiKS), bei dem Wissenschaftler aus Pädagogik, Psychologie und Soziologie fast 4.000 Kinder in Längsschnittstudien auf ihrem Bildungsweg begleiten. 2013 sind erste Ergebnisse zur Lesekompetenzentwicklung (BiKS 2013) und zur Einschulung erschienen; das Projekt läuft unter BiKSplus fort. Dabei soll nun die Langzeitentwicklung des vorangehend betrachteten Längsschnitts individuell begleitet (dann 8-18) werden. Untersucht werden sollen „individuelle Persönlichkeitsmerkmale , Kompetenzüberzeugungen und Interessenstrukturen sowie die Frage, in welchem Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 17 Umfang sich Bildungsaspirationen und -entscheidungen durch die Entwicklung dieser Faktoren erklären lassen. BiKSplus ist es somit möglich, nicht nur abschließend getroffene studien- und berufsbezogene Bildungsentscheidungen zu untersuchen, sondern viel mehr auch die diesen Entscheidungen vorangehenden Prozesse adäquat abzubilden und zu erklären “ (Universität Bamberg 2014), das 2008 gestartete Nationale Bildungspanel (NEPS) als größtes sozialwissenschaftliches Forschungsprojekt, das jemals in Deutschland durchgeführt wurde, bei dem ungefähr 60.000 Personen aus verschiedenen Altersgruppen teilnehmen und rund 100.000 Personen befragt werden. Mehr als 200 Forscher unterschiedlichster Forschungsrichtungen erheben die Längsschnittdaten nach 6 Studien-Themenschwerpunkten (zu Kleinkindern, Kindergartenkindern, Schülern, Auszubildenden, Studierenden und Erwachsenen), um erstmals Bildungsprozesse und Kompetenzentwicklung in Deutschland beginnend von früher Kindheit bis ins hohe Erwachsenenalter hinein untersuchen zu können. Seit 2012 läuft die Studie „Bildung von Anfang an“ mit 7 Monate alten Kleinkindern und deren Eltern: Da vielfach Studien darauf verweisen, dass frühkindliche Entwicklung als der zentrale Wegbereiter des Bildungserwerbs angesehen wird, soll es Ziel dieser Studie sein, die Wissenslücke zu schließen, welche Faktoren genau die Entwicklung von Kleinkindern wie beeinflussen und welche Förderung am besten ist. 2010 begann die Erhebung zu „Frühe Bildung und Schule“ mit 4-jährigen Kindern, deren Eltern, Erzieherinnen und Erziehern sowie Kindergartenleitungen – alle Kinder sind mittlerweile in die Grundschule übergewechselt. Dabei sucht die Studie Antworten darauf, a) wann und wie sich verschiedene Fähigkeiten bei Vor- und Grundschulkindern entwickeln , b) welche Rolle die verschiedenen Lernumwelten Familie, Kindergarten und Grundschule für die Entwicklung der Kinder spielen, c) von welchen Faktoren individuelle und bildungsbezogene Entscheidungen abhängen und wie sich diese im Lebensverlauf verändern, d) in welchem Ausmaß in diesem Alter soziale und ethnische Ungleichheiten vorhanden sind und schließlich e) inwiefern Kinder in diesem Alter bereits von ihrer Bildung profitieren (vgl. zu allen Studiendesigns NEPS-Studie 2014), das von 2012-2017 angelegte DFG Schwerpunktprogramm "Education as a Lifelong Process ", das 17 Forschungsprojekte aus fünf unterschiedlichen Disziplinen zusammenfasst, um die NEPS-Daten hinsichtlich individueller Bildungskarrieren über den Lebenslauf hinweg mit Bezug auf den familiären Hintergrund, Bildungseinrichtungen, Arbeitsplätze und private Lebensereignisse auszuwerten. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 8 - 3000 – 036/14 Seite 18 4. Literaturverzeichnis Allmendinger, Jutta; Ebner; Christian; Nikolai, Rita (2012). Soziologische Bildungsforschung. In: Tippelt, Rudolf; Schmidt, Bernhard (Hrsg.). Handbuch Bildungsforschung (47-71). 3. durchgesehene Auflage. Wiesbaden. Aronson, Elliot; Wilson, Timothy D.; Akert, Robin M. (2008). Sozialpsychologie. 6. aktualisierte Auflage. München. BiKS; Pfost, Maximilian; Artelt, Cordula ; Weinert, Sabine (Hrsg.) (2013). The Development of Reading Literacy from Early Childhood to Adolescence. Empirical Findings from the Bamberg BiKS Longitudinal Studies (Schriften aus der Fakultät Humanwissenschaften der Otto-Friedrich- Universität Bamberg, Bd. 14). Bamberg. DGS Sektion Bildung und Erziehung; Krais, Beate (2013). Steckbrief Bildungssoziologie. Perspektiven und Fragestellungen der Soziologie der Bildung und Erziehung. Internetseite. http://www.bildungssoziologie.de/steckbrief.html [16.3.2014]. 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