© 2013 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 036/2013 Bildungspolitische Maßnahmen bei Heil- und Pflegeberufe Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 036/2013 Seite 2 Bildungspolitische Maßnahmen bei Heil- und Pflegeberufe Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 036/2013 Abschluss der Arbeit: 01.07.2013 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 036/2013 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 5 2.1. Aktuelle Situation der Pflegeberufe in Deutschland 5 2.2. Qualifikationsprofile 6 2.3. Prognose des zukünftigen Pflegebedarfs 7 2.4. Erweiterung der Kapazitäten und Verbesserung der Ausbildung 9 2.5. Verbesserung der Arbeitsbedingungen 11 2.6. Fazit und Empfehlungen 12 3. Berufsbildungsbericht 2013 12 4. Quellen- und Literaturverzeichnis 14 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 036/2013 Seite 4 1. Einleitung Ende 2011 stellte die EU-Kommission ihren Reformvorschlag zur Anerkennung von Berufsqualifikationen vor. Nach Vorstellung der EU-Kommission sollen alle EU-Staaten die Zulassungsvoraussetzung für Pflegeberufe, wie z.B. Krankenpfleger und Hebammen von zehn auf zwölf Jahre Schulausbildung anheben. Dieses Vorhaben der EU-Kommission trifft in Deutschland auf unterschiedliche Resonanz: „Nach EU-Angaben sind die zwölf Jahre schon heute in 24 Mitgliedsstaaten vorgeschrieben. Nur in zwei Ländern müssten die Regelungen geändert werden, nämlich in Deutschland und in Luxemburg . Auch in Österreich waren bisher zehn Jahre Schulausbildung genug, dort wird das System allerdings bereits umgestellt. Die Idee dahinter: Pflegeberufe sollen aufgewertet, qualifizierteres Personal angeworben werden, auch um dem Pflegenotstand zu begegnen. Das begrüßt etwa der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe. Der Verband hofft allerdings, dass auch weiterhin der Zugang zum Beruf ohne Abitur möglich bleibe, zum Beispiel nach dem Besuch einer berufsvorbereitenden Fachschule. (…) Krankenpfleger und Hebammen müssten in Deutschland dann von 2015 an länger zur Schule gehen. Rückwirkend gelten die Vorschriften nicht: Wer bereits in den Berufen arbeitet, muss die Schuljahre nicht nachholen. Niemand müsse daher fürchten, wegen mangelnder Bildung den Job zu verlieren. Altenpfleger sind von den Plänen nicht betroffen. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), kritisierte den Richtlinien-Entwurf der EU- Kommission: "Mit ihrem Vorschlag wird die Kommission den Fachkräftemangel in Deutschland verschärfen, statt ihn zu bekämpfen." Kritik kam auch von der CDU im Europaparlament. "Für Krankenpfleger und Hebammen etwa gibt es klare und bewährte Standards über die Ausbildungsdauer ", sagte der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab. "Die Kommission muss nachweisen , warum eine Aufstockung der Mindestausbildungsdauer auf zwölf Jahre notwendig sein soll." Die SPD-Europaabgeordnete Evelyne Gebhardt unterstütze die Pläne hingegen. Das Recht jedes EU-Bürgers, in einem anderen EU-Land zu arbeiten, sei "die Antriebsfeder des europäischen Binnenmarkts . Häufig schränken Hürden diese Mobilität allerdings stark ein", sagte sie. Die neue Richtlinie zur Berufsanerkennung sei daher "notwendig, um das volle Potenzial des Binnenmarkts auszuschöpfen". Bislang wechseln deutsche Krankenschwestern derzeit hauptsächlich nach Luxemburg und Österreich - also in EU-Länder mit ähnlichen Zulassungsvoraussetzungen. Die geplanten Reformen sollen für mehr Mobilität sorgen“ (Spiegel-Online Schulspiegel 2011). Nachfolgend werden die verschiedenen fachlichen und politischen Positionen zum Vorhaben der EU-Kommission dokumentiert. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 036/2013 Seite 5 2. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2.1. Aktuelle Situation der Pflegeberufe in Deutschland Das Sondergutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen aus dem Jahr 2012 kommt u.a. zu dem Ergebnis, dass in Zukunft ein Mehrbedarf von medizinischen ausgebildeten Beschäftigten besteht, wie z.B. von Ärzten in ländlichen Kreisen und Gemeinden. „Die Situation der Pflege stellt sich teilweise anders dar. Die Pflegeberufe stehen vor den gleichen gesellschaftlichen Herausforderungen, befinden sich aber in Deutschland in einer schlechteren Ausgangslage und statusschwächeren Position. Hinzu kommt, dass diese zahlenmäßig größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen sich in einer Umbruchsituation befindet, seit – international gesehen mit großer zeitlicher Verzögerung – vor ca. 15 bis 20 Jahren auch hierzulande die Professionalisierung und Akademisierung der Pflege eingeleitet wurde. Nach der Gesundheitspersonalrechnung 2009 sind von den insgesamt 4,74 Millionen Beschäftigen im Gesundheitswesen knapp 1,46 Millionen in der Pflege tätig – 812 000 als Gesundheitsund Krankenpfleger, 258 000 als Gesundheits- und Krankenpflegehelfer und 388 000 als Altenpfleger bzw. Altenpflegehelfer (…), wobei hier der ausgeübte, nicht aber der erlernte bzw. ausgebildete Beruf ausgewiesen ist (…). Die Pflege ist traditionell ein Frauenberuf mit hoher Teilzeitquote. Rund 82 % der Beschäftigten in Pflegeberufen sind weiblich, der Anteil an Teilzeitkräften liegt bei ca. 40 %. Während unter den männlichen Beschäftigten in Pflegeberufen 17 % einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen, sind es unter den weiblichen 44 % (…). Nach den Angaben der Gesundheitspersonalrechnung sind knapp 42 % der Pflegenden (610 000) in Krankenhäusern tätig und knapp 35 % (507 000) in (teil-)stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen. Weitere 107 000 Pflegekräfte sind in Arztund Zahnarztpraxen sowie Praxen sonstiger medizinischer Berufe tätig. 50 000 Pflegekräfte sind bei Rettungsdiensten beschäftigt und 45 000 in Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen. Daneben sind 31 000 in der Verwaltung tätig. Weitere ca. 100 000 Pflegende sind in den Bereichen Gesundheitsschutz und Vorleistungsindustrien sowie sonstigen ambulanten und stationären Einrichtungen beschäftigt (…). Wie Tabelle 2 zeigt, ist auch in den Pflegeberufen in den letzten Jahren die Beschäftigtenzahl insgesamt gewachsen. Bei genauerer Betrachtung wird allerdings sichtbar, dass sich in den verschiedenen Versorgungsbereichen unterschiedliche Entwicklungen vollzogen haben. So hat sich im Krankenhaussektor zwischen 1996 und 2007 – gegenläufig zum Stellenzuwachs bei den Ärzten – ein kontinuierlicher Stellenabbau in der Pflege vollzogen, obschon sie ebenso von der sich dort seit Einführung der DRGs vollziehenden Arbeitsverdichtung betroffen ist und mehr Patienten in gleicher Zeit versorgt werden müssen. Während von 1991 bis 2006 die Fallzahl pro Pflegevollzeitkraft von 44,7 auf 56,2 bzw. um etwa ein Viertel stieg, sank zugleich die Zahl der Pflegevollzeitkräfte um knapp 30 000 bzw. 8 % ... Erst seit 2008 ist ein leichter Personalaufbau zu beobachten: vom Tiefststand mit rund 298 000 Pflegevollzeitkräften im Jahr 2007 auf knapp 304 000 im Jahr 2009 (..). Hingegen ist in der Langzeitversorgung die Zahl der Pflegekräfte in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, was auch auf die Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes im Jahr 1995 zurückzuführen ist, mit dem Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 036/2013 Seite 6 erstmals im Rahmen der Sozialversicherung eine finanzielle (Teil-)Absicherung langandauernder Pflegebedürftigkeit erfolgte. Zugleich hat sich in den stationären (Langzeit-)Pflegeeinrichtungen die Bewohnerzusammensetzung stark verändert, wodurch der Versorgungsbedarf gestiegen und mit anderen fachlichen Anforderungen verbunden ist“ (Sondergutachten 2012: 75f.). (Ebenda: 77) 2.2. Qualifikationsprofile „Insgesamt hat sich die pflegerische Versorgung in den letzten Jahren als „Wachstumsmarkt“ mit deutlichem Beschäftigungsanstieg erwiesen. Allerdings lässt dies noch keine Schlussfolgerung über die Bedarfsgerechtigkeit der Personal- und Versorgungssituation in den verschiedenen Bereichen der Pflege zu. Es zeigt sich im Gegenteil, dass die Fachkräfteentwicklung schon heute nicht mit der Expansion und Veränderung des bevölkerungsbezogenen Bedarfs Schritt hält und sich erneut ein Pflegenotstand manifestiert. (…) Zusätzlich zum steigenden Bedarf an Fachkräften hat sich mit dem demografischen Wandel auch die Qualität des Bedarfs geändert, so dass auch die Qualifikation des Personals veränderungsbedürftig ist. Dass zwischen einer angemessenen Personalausstattung sowie Qualifikation der Mitarbeiter und einer guten Ergebnisqualität ein enger Zusammenhang besteht, ist international inzwischen vielfach belegt (…) und wird auch durch hiesige, bislang deskriptive Forschungsergebnisse bestätigt (…). So zeigt etwa das „Pflege-Thermometer“ 2009, dass die Pflege durch die Arbeitsverdichtung und die schwierige Personalsituation im Krankenhaussektor den eigenen professionellen Anspruch nicht mehr realisieren kann. Die Folgen sind u. a. unzureichende Patientensicherheit und Ergebnisqualität, ebenso ein Attraktivitätsverlust des Berufs (…). Die Ursachen für die schwierige Personalsituation in der Pflege sind vielfältig. Infolge des demografischen Wandels haben sich die Anforderungen und die erforderlichen Qualifikationsprofile Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 036/2013 Seite 7 verändert. So sind in der Altenpflege heute oftmals Qualifikationen aus der Krankenpflegeausbildung und umgekehrt, in der Krankenpflege zunehmend Qualifikationen aus der Altenpflegeausbildung erforderlich (…). In der ambulanten und stationären Langzeitversorgung werden zudem vermehrt klinische Spezialkompetenzen benötigt. Generell ist in der Pflege inzwischen der Bedarf an spezieller pflegewissenschaftlicher Expertise gestiegen. Verstärkt wird dies durch die berechtigte Forderung nach Evidenzbasierung pflegerischen Handelns, die bislang zumeist auf insuffiziente Voraussetzungen stößt (fehlende Verwissenschaftlichung, unzureichender Ausbau der Pflegeforschung etc.). Auch die bestehenden Ausbildungen haben mit diesen Veränderungen nicht Schritt gehalten; entsprechende Reformen zur Weiterentwicklung der Pflegeberufe kommen nur mühsam voran. Als Konsequenz steigt daher die Dissonanz zwischen erworbenen Qualifikationen und realen Anforderungen im Pflegealltag, und damit einhergehend auch die Unzufriedenheit mit den bestehenden Arbeitsbedingungen, die sich aus Sicht der Pflege deutlich verschlechtert haben (..). Gesundheitsprobleme, Burn-Out und Attraktivitätsverlust der Pflegeberufe sind die Folge. Hinzu kommt, dass auch in der Pflege eine veränderte Einstellung in der persönlichen Bedeutungszumessung von beruflichen Anforderungen gegenüber Freizeit und Familienfreundlichkeit der Lebensgestaltung zu beobachten ist (Ebenda: 77f.). 2.3. Prognose des zukünftigen Pflegebedarfs „Zur Prognose des künftigen Fachkräftebedarfs in der Pflege liegen ebenfalls mehrere Studien vor (…). Durchgängig zeigen sie, dass es unter Beibehaltung der heutigen Strukturen in der Pflege in Zukunft zu einem beträchtlichen Personalmangel kommen wird“ (Ebenda: 81). Da die Studien von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen, sind die Studien schwer vergleichbar und mit statistischen Unsicherheiten belastet. Die wesentlichen Ergebnisse der drei Studien bis zum Projektionszeitraum 2025 sind in der nachfolgenden Tabelle dargestellt. Trotz eingeschränkter Vergleichbarkeit der Studien fallen größere Unterschiede zwischen den Berechnungen der verschiedenen Studien deutlich auf. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 036/2013 Seite 8 „Der Fachkräftebedarf in der Pflege hängt auch von der künftigen Machbarkeit und Präferenz für bestimmte Versorgungsarrangements ab. Das betrifft besonders die pflegerische Langzeitversorgung , bei der Substitutions- und Ergänzungseffekte zwischen professionell erbrachter Dienstleistung und der Pflege durch Angehörige (informelle Pflege) auftreten. In verschiedenen Studien wird diskutiert, dass die informelle Pflege aufgrund demografischer, sozioökonomischer und kultureller Veränderungen künftig abnehmen wird. Ein sinkendes familiäres Pflegepotenzial ist beispielsweise aufgrund der zunehmenden Erwerbsbeteiligung von Frauen, der gestiegenen Mobilität und räumlichen Distanz zwischen den Generationen sowie der sich schon heute abzeichnenden wachsenden Präferenz, professionelle Dienste einzubinden, zu erwarten (..). Andererseits zeigt sich, dass durch Hinzunahme von ambulanten Diensten häusliche Pflegearrangements mit Beteiligung von Familienangehörigen stabilisiert werden können (..). Da die Betreuungsrelation in der stationären Pflege doppelt so hoch wie in der ambulanten Pflege ist, wirkt sich die Entscheidung zwischen professioneller ambulanter und stationärer Pflege erheblich auf den tatsächlichen Bedarf an Fachkräften aus. In verschiedenen Studien wurden diese Auswirkungen einer veränderten Inanspruchnahme der Leistungen Pflegegeld, ambulante sowie stationäre Pflegeleistungen quantifiziert. Tabelle 4 zeigt eine vergleichende Übersicht der Studienergebnisse zur Entwicklung des Gesamtbedarfs an Beschäftigten in SGB XI-Einrichtungen nach unterschiedlichen Modellannahmen und –varianten“ (Ebenda: 83f.). Die nachfolgende Tabelle zeigt den Personalbedarf bis zum Jahr 2050 auf. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 036/2013 Seite 9 (Ebenda: 84). 2.4. Erweiterung der Kapazitäten und Verbesserung der Ausbildung „Für den pflegerischen Bereich bestehen folgende Handlungsoptionen: Angesichts der beschriebenen Entwicklung besteht eine der vordringlichen Aufgaben darin, die Zahl an Fachkräften in der Pflege zu erhöhen und dazu eine entsprechende Erweiterung der Ausbildungskapazitäten einzuleiten. In allen Bereichen der Pflege, vor allem aber in der stationären und ambulanten Langzeitversorgung werden künftig mehr Fachkräfte benötigt. Allerdings ist es mit quantitativen Maßnahmen allein nicht getan. Vielmehr sind differenzierte Ausbildungskonzepte erforderlich, wie sie seit langem diskutiert und gefordert werden1. Das ist umso mehr zu unterstreichen, als sich im Zuge des demografischen und epidemiologischen Wandels und des medizinischtechnischen Fortschritts in vielen Bereichen der Pflege die Aufgaben und Verantwortungen stark verändert haben und neue adäquate Qualifikationsprofile erforderlich sind. Die derzeit bestehende Diskrepanz beeinträchtigt auch den Wettbewerb2, denn die Profilierung der Versorgungseinrichtungen ist ohne entsprechend qualifiziertes Personal nicht realisierbar. Notwendig ist daher, die Ausbildungssituation anzugehen3 und dafür Sorge zu tragen, dass die Pflege in der Praxis künftig zu einem evidenzbasierten Handeln gelangen kann. Hierfür muss die Professionalisierung und Akademisierung der Pflege forciert und auch der Ausbau an grundständigen und dualen Studiengängen, die praktische Ausbildung und Hochschulqualifizierung auf Bachelorniveau miteinander verbinden, vorangetrieben werden. Sie sind international seit langem üblich4, und halten in Deutschland erst jetzt, noch mit Modellstatus versehen, Einkehr in die 1 Robert Bosch Stiftung (Hrsg.) (2001): Pflege neu denken: zur Zukunft der Pflegeausbildung, Stuttgart: Schattauer. DGP (Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft) (2006): Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft zu ausgewählten Aspekten der Umstrukturierung von pflegebezogenen Studiengängen zu Bachelor - und Masterstudienangeboten aus pflegewissenschaftlicher Sicht. Twenhöfel, R. (2011): Die Altenpflege in Deutschland am Scheideweg. Medizinalisierung oder Neu¬ordnung der Pflegeberufe? Baden-Baden: Nomos. 2 RWI (Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung) (2011): Pflegeheim Rating Report 2011: Boom ohne Arbeitskräfte? Essen. Stationärer Pflegemarkt im Wandel. Gewinner und Verlierer 2020, Mannheim. 3 Die Gesundheitsfachberufe im Akademisierungsprozess, in: Matzick, S. (Hrsg.), Qualifizierung in den Gesundheitsberufen: Herausforderungen und Perspektiven, Weinheim/München: Juventa: 195-212. 4 Neue Aufgabenzuschnitte, Arbeitsteilungen und Kooperationsformen , in: Schaeffer, D. und Wingenfeld, K. (Hrsg.): Handbuch Pflegewissenschaft. Neuausgabe, Weinheim: Juventa: 661-679. I Swiss Research Agenda for Nursing (SRAN): Die Entwicklung einer Agenda für die klinische Pflegeforschung in der Schweiz, Pflege 21: 252-261. BBT (Bundesamt für Berufsbildung und Technologie) (2010): Politischer Steuerungs- und Koordinations-bedarf zur Umsetzung der Bildungssystematik und zur Sicherstellung eines bedarfsorientierten Bildungsangebotes bei den Pflegeberufen auf Ebene Bund und Kantone (Bericht im Auftrag des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements , EVD), Bern. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 036/2013 Seite 10 Hochschullandschaft. Der Rat empfiehlt (…), diese Entwicklung aktiv zu fördern5. Zugleich sind künftig größere Anstrengungen notwendig, um eine bundesweit einheitlichere und international anschlussfähigere Studiengangsstruktur herzustellen. Derzeit existiert eine große Varianz an Studiengangskonzepten, weil jede Hochschule das Modell realisiert, welches sie für attraktiv hält – eine Praxis, die für eine produktive Entwicklung des Fachkräftepotenzials verbesserungswürdig erscheint. Erforderlich ist es außerdem, die sich anschließende Studiengangsebene in den Blick zu nehmen und verstärkt Masterstudiengänge einzurichten, die für qualifizierte Funktionen und Rollen in der Pflege qualifizieren (Advanced Nurse Practitioner, Clinical Nurse Specialist)6. Sie sind in vielen Ländern bereits fester Bestandteil der Hochschullandschaft und werden auch hier seit langem gefordert, weil spezialisierte Pflegekompetenzen in vielen Praxisfeldern dringlicher werden (z. B. Patientenedukation, Schnittstellen- oder Entlassungsmanagement, Prozesssteuerung u. a.)7. Zum anderen ist ein Ausbau der Kapazitäten in der dreijährigen Berufsausbildung notwendig. Doch sind auch dabei neue Schritte gefragt. So ist die in vielen Modellversuchen erprobte Integration der Ausbildung von Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege sowie Altenpflege überfällig und sollte zügig durch das geplante Pflegeberufegesetz umgesetzt werden. Nicht weniger wichtig ist die weitere Qualifizierung der so genannten low qualified, der Helfer- und Assistenzberufe in der Pflege. Letztlich sollte es gelingen, die horizontale und vertikale Durchlässigkeit des (Aus-)Bildungssystems in der Pflege zu erhöhen. Erforderlich ist es außerdem, Fort- und Weiterbildungsangebote auszubauen und sie an die voranschreitende Ausdifferenzierung der Pflege anzupassen. Benötigt werden Konzepte zum lebenslangen Lernen, welche als Bestandteil der Qualitätsentwicklung etabliert werden sollten, denn die Kenntnis des aktuellen Stands des wissenschaftlichen Fortschritts und der vorliegenden empirischen Erkenntnisse sind nicht nur Voraussetzung für die Sicherung einer bedarfsge- 5 Wissenschaftsrat (2011): Arbeitsprogramm des Wissenschaftsrates (vom 08. Juli 2011), www.wissenschaftsrat.de/ arbeits bereiche-arbeitsprogramm/medizin/ (Stand 30.09.2011). Gesundheitsforschungsrat (2010): Beschluss Gesundheitsfachberufe, 27. Sitzung des Gesundheitsforschungsrats am 3. Februar 2010. www.gesundheitsforschung-bmbf.de/_media/27_Gesundheitsfachberufe_Beschluss.pdf (Stand 30.09.2011). Agenda Pflegeforschung für Deutschland, Halle. Gesundheitsfachberufe. Auf akademischen Wegen, Deutsches Ärzteblatt 107(9): A386-390. Landtag NRW (Hrsg.) (2005): Situation und Zukunft der Pflege in NRW: Bericht der Enquête-Kommission des Landtags Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. 6 Advanced nursing practice (ANP), Bern: Advanced nursing practice: an integrative approach , Philadelphia: W.B. Saunders. 7 Vom Konzept zur klinischen Realität: Desiderata und Perspektiven in der Forschung über die technikintensive häusliche Versorgung in Deutschland, Pflege & Gesellschaft 15(4): 314-329. Bewältigung komplexer Medikamentenregime bei chronischer Krankheit im Alter: Förderung des Selbstmanagements als Aufgabe der Pflege. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 44(1): 6-12. Developing a Nurse-Led Education Program to Enhance Self-Care Agency in Leg Ulcer Patients, Nursing Science Quarterly (NSQ) 21: 150-155. Neue Aufgabenzuschnitte, Arbeitsteilungen und Kooperationsformen , in: Schaeffer, D. und Wingenfeld, K. (Hrsg.): Handbuch Pflegewissenschaft. Neuausgabe, Weinheim: Juventa: 661-679. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 036/2013 Seite 11 rechten und qualitativ hochwertigen Versorgung, sondern stellen auch einen wichtigen Wettbewerbsfaktor dar“ (Ebenda: S. 91f.). 2.5. Verbesserung der Arbeitsbedingungen „Darüber hinaus ist es notwendig, die Arbeitsbedingungen in der Pflege auf den Prüfstand zu stellen und zu verbessern sowie neue Modelle der Arbeitsorganisation zu entwickeln und zu implementieren . So ist es empfehlenswert, Primary Nursing oder Case Management stärker unter arbeitsorganisatorischen Gesichtspunkten zu betrachten und umzusetzen, denn beide Konzepte ermöglichen einerseits, die steigende Zahl an gering qualifizierten Beschäftigten in der Pflege zu supervidieren und andererseits, die Qualität ihrer Tätigkeit zu sichern und damit die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Zugleich können sie die Patientenorientierung verbessern, indem Pflegebedürftige eine für sie zuständige Ansprechperson erhalten. Gleichwohl sind solche Konzepte nur dann erfolgreich, wenn, diesen umfangreicheren Aufgaben entsprechend, eine niedrigere Arbeitslast (Fallzahlen/case load) – etwa wie in den USA – realisiert werden kann. Doch auch in anderer Hinsicht sind die Arbeitsbedingungen in der Pflege veränderungsbedürftig. Wie bereits dargestellt, ist die Berufsverweildauer mancherorts recht gering, nimmt die Arbeitsunzufriedenheit (vor allem im Krankenhaus) zu und ist der Krankenstand bei den Pflegekräften in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen überdurchschnittlich hoch (…). Die Gründe für die erhöhte Berufsunfähigkeit in den Pflegeberufen liegen neben altersbedingten, körperlichen Beeinträchtigungen auch in den hohen psychosozialen Belastungen u.a. durch aufgabenunangemessene Arbeitsbedingungen begründet (…). Nicht weniger wichtig sind neue Modelle der Kooperation, sei es professionsintern oder professionsübergreifend . Dazu gehören der Ausbau von multiprofessionellen Teamstrukturen, neue Aufgaben- und Verantwortungsteilungen und vor allem gleichwertige, weniger hierarchische Formen der Zusammenarbeit – eine Forderung, die sich an den in Deutschland nach wie vor recht starren Hierarchien und dem Machtgefüge der Gesundheitsprofessionen sowie an den nicht festgelegten Zuständigkeitsbereichen reibt. Doch ohne dies zu verändern und die Position der Pflege im Gefüge der Gesundheitsprofessionen zu stärken, ist die Realisierung von Teamstrukturen nicht möglich, es wird schwierig sein, die Pflege aus der ihr attestierten „Gratifikationskrise“ (…) herauszuführen. Seit langem werden der Pflege ein niedriger Status und eine geringe gesellschaftliche Wertschätzung attestiert. Auch gelten die Pflegeberufe als „Sackgassenberufe“ mit geringen Aufstiegsmöglichkeiten, schlechter Bezahlung und schwierigen Arbeitsbedingungen (z.B. Schichtdienst bis zum Berufsende). Hier sind die Imagekampagnen vergangener Jahre allein nicht ausreichend, vielmehr sind die zugrundeliegenden Probleme anzugehen, um die Attraktivität der Pflegeberufe zu erhöhen8. Außerdem ist auf eine Verbesserung der Vergütung, des Arbeitsklimas und der Partizipationsund Mitsprachemöglichkeiten hinzuwirken und auf Arbeitsverhältnisse, die mit dem Wandel der Lebensentwürfe im Einklang stehen. 8 Die Ausdifferenzierung neuer Berufe, die veränderte Muster der Arbeitsteilung und des Aufgabenzuschnitts im Versorgungsgeschehen ermöglichen, z. B. „Advanced Nurse Practitioner“ oder „Clinical Nurse Specialists“, dürften ebenfalls dazu beitragen, die Attraktivität der Pflegeberufe zu erhöhen. Ähnliches gilt für die Forderung der Akademisierung. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 036/2013 Seite 12 Angesichts der gesundheitlichen Belastungen ist darüber hinaus eine – umfassend verstandene – Gesundheitsförderung der Mitarbeiter geboten. (…) Speziell die sich in den kommenden Jahren ergebende Zunahme des Anteils an älteren Beschäftigten, wie sie sich bereits heute in der Altenpflege abzeichnet, bedarf größerer Beachtung und erfordert intensivere Anstrengungen zur Schaffung altersgerechter Arbeitsbedingungen. Ähnlich wie in der ärztlichen Versorgung ist auch in der Pflege für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf Sorge zu tragen. Dabei ist zu bedenken, dass zunehmend mehr Berufstätige mit der Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen konfrontiert werden, diese aber oftmals noch schlechter mit der Erwerbstätigkeit zu vereinbaren ist als die Kinderbetreuung (etwa bei einer betreuungsintensiven Demenz). Mit dem Pflegezeitgesetz und dem Familienpflegezeitgesetz wurden jüngst die Modalitäten der Arbeitsfreistellung und -reduzierung verbessert Schließlich sind weitere Studien zum Thema Fachkräftemangel, aber auch zu den Arbeitsbedingungen in der Pflege, notwendig – Themen, die in der noch recht jungen Pflegeforschung bislang nur rudimentär bearbeitet wurden. So wird nicht ausreichend zwischen den verschiedenen Pflegeberufen und Qualifikationsstufen in der Pflege unterschieden und nicht hinreichend berücksichtigt , dass der demografische Wandel, und mit ihm der Bedarf an Pflegekräften, regional sehr unterschiedlich ausfällt“ (Ebenda: S. 92f.). 2.6. Fazit und Empfehlungen „Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in Zukunft – sollten nicht erhebliche Anstrengungen zu einer Umkehrung der dargestellten Entwicklungen führen – ein ausgeprägter Mangel an Fachkräften im Gesundheitswesen zu erwarten ist, der einen (Qualitäts-)Wettbewerb innerhalb der Leistungsbereiche und an den Sektorengrenzen erheblich erschweren würde. (…) Erforderliche Maßnahmen in der Pflege sind, ähnlich wie bei den Ärzten, auf die Bereiche Erweiterung der Ausbildungskapazitäten auf beruflicher und akademischer Ebene, Arbeitsbedingungen und -klima, Wertschätzung sowie vor allem auf die Schaffung einer angemessenen Personalausstattung (quantitativ und qualitativ) zu richten, um Zeitdruck und Arbeitsverdichtung, Über- und Unterforderung abzubauen. Für beide Bereiche gilt, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert werden sollte. Nicht zuletzt ist aus Sicht des Rates – neben Studien zum Thema Fachkräftemangel , die den Bedarf differenziert erfassen – eine kontinuierliche Gesundheitsberufe- Berichterstattung (Kennzahlen der Ausbildung, der Nachfrageentwicklung und der Beschäftigtenzahlen der Gesundheitsberufe über die Berichterstattung des Statistischen Bundesamte hinaus ) erforderlich, um frühzeitig Mangel- oder auch Überversorgungstendenzen feststellen und entsprechend reagieren zu können“ (Ebenda:S. 93f.) 3. Berufsbildungsbericht 2013 Im Berufsbildungsbericht 2013 wird der Vorstoß der EU-Kommission sehr viel differenzierter und in weiten Teilen auch kritischer betrachtet. „Die Anforderungen an die Arbeit der Pflegefachkräfte verändern sich. Die gegenwärtige Orientierung der spezialisierten Ausbildungen der Pflegeberufe am Lebensalter der zu Pflegenden entspricht nicht mehr den Anforderungen an eine zeitgemäße professionelle Pflege. Eine Orientierung an den Anforderungen der Versorgungsbereiche ist aber weiterhin geboten. Spezifische Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 036/2013 Seite 13 Qualifikationen in der Akutversorgung im Krankenhaus (einschließlich der Pädiatrie), der ambulanten pflegerischen Versorgung und der stationären Altenhilfe sind weiterhin erforderlich. Die Eckpunkte der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des Entwurfs eines neuen Pflegeberufegesetzes vom 1. März 2012 bieten nur in Teilbereichen sinnvolle Lösungen zur Weiterentwicklung der Pflegeberufe an. Die vorgeschlagene generalistische Ausbildung gefährdet die Qualität der Ausbildung in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege sowie in der Altenpflege, setzt die Berufsfähigkeit bei erfolgreichem Abschluss der Ausbildung aufs Spiel und geht am Bedarf des Arbeitsmarkts vorbei. Die Veränderungen in der Akutversorgung erfordern beispielsweise viel mehr ein höheres Maß an Spezialisierung. Zu befürchten wären bei der Einführung einer „generalistischen Pflegefachkraft“ Kurzausbildungen in den Pflegeberufen mit hohem Spezialisierungsgrad . Unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen ist die berufspolitisch richtige Forderung nach einer breiter angelegten (generalistischen) Ausbildung kaum realisierbar. Eine in großen Teilen im Krankenhaus stattfindende betriebliche Ausbildung ist für Einrichtungen der Altenhilfe als Ausbildungsträger nicht attraktiv. Es droht ein erneuter Ausbildungsplatzabbau in der Altenpflege . Die Gruppe der Arbeitnehmer/-innen spricht sich deshalb für eine dreijährige Ausbildung mit einer zweijährigen einheitlichen Grundausbildung und anschließender einjähriger Schwerpunktsetzung in allgemeiner Pflege, Kinderkrankenpflege oder Altenpflege mit unterschiedlichen Berufsabschlüssen aus. Die vorgeschlagene Einführung einer akademischen Erstausbildung greift den Ergebnissen der Modellversuche vor. Zudem wird die Frage nicht überzeugend beantwortet, für welche besonderen Tätigkeiten die akademisch qualifizierten Pflegekräfte eingesetzt werden sollen. Da die Anforderungen an die Pflegearbeit steigen, bedarf es einer qualifizierten Ausbildung auch im Pflegebereich mindestens auf dem Niveau eines anerkannten Berufsbildungsabschlusses. Die Gruppe der Arbeitnehmer/-innen spricht sich daher gegen Ausbildungsberufe unterhalb des Niveaus einer dreijährigen Fachausbildung aus. Die Absolvent/-innen einer Assistenzausbildung sind in weit höherem Maße von Arbeitslosigkeit betroffen als Pflegefachkräfte. Um dem wachsenden Fachkräftebedarf gerecht zu werden, wäre eine breit angelegte dreijährige Pflegeausbildung mit Schwerpunkt in der ambulanten Pflege auf Grundlage des Berufsbildungsgesetzes eine sinnvolle Alternative zu den landesrechtlich geregelten Assistenzausbildungen. Ein wichtiger Punkt ist die Wiedereinführung der Förderung des dritten Umschulungsjahres in der Altenpflege durch die BA, da hierüber vielen Menschen eine berufliche Perspektive eröffnet werden kann“ (Deutscher Bundestag 2013: 81). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 8 - 3000 - 036/2013 Seite 14 4. Quellen- und Literaturverzeichnis Deutscher Bundestag (2012). Unterrichtung durch die Bundesregierung. Sondergutachten 2012 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Wettbewerb an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Gesundheitsversorgung. Drucksache 17/10323. Berlin, 10. 07. 2012 Deutscher Bundestag (2013). Unterrichtung durch die Bundesregierung. Berufsbildungsbericht 2013. Drucksache 17/13650. Berlin, 17. 05. 2013 Spiegel-Online Schulspiegel (2011). EU-Pläne: Krankenpfleger erst nach zwölf Schuljahren. 19.12.2011. http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/eu-plaene-krankenpfleger-erst-nachzwoelf -schuljahren-a-804727.html