© 2020 Deutscher Bundestag WD 8 – 3000 - 034/20, WD 7 - 3000 - 065/20 Zur Standortauswahl bei der Gründung von Ressortforschungseinrichtungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 034/20, WD 7 - 3000 - 065/20 Seite 2 Zur Standortauswahl bei der Gründung von Ressortforschungseinrichtungen Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 034/20, WD 7 - 3000 - 065/20 Abschluss der Arbeit: 16. Juni 2020 Fachbereiche: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Bau- und Stadtentwicklung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 034/20, WD 7 - 3000 - 065/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Anwendbarkeit des Vergaberechts (Fachbereich WD 7) 4 2.1. Allgemeine Voraussetzungen der Anwendbarkeit des Vergaberechts 4 2.2. Der Begriff des öffentlichen Auftrages 5 3. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Anforderungen an die Standortauswahl 6 4. Verfahrensfragen 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 034/20, WD 7 - 3000 - 065/20 Seite 4 1. Einleitung Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) plant die Einrichtung eins „Deutschen Zentrums Mobilität der Zukunft“. Das BMVI hat dabei München als Standort des Zentrums ausgewählt.1 Dies hat im parlamentarischen Raum die Frage nach dem anwendbaren Rechtsrahmen für solche Entscheidungen und die damit verbundene Standortwahl aufgeworfen.2 Nach Auskunft des BMVI in den genannten Antworten befinden sich die Planungen für das Zentrum noch in einem frühen Stadium. Insbesondere ist noch nicht bekannt, in welcher Rechtsform das Zentrum gegründet werden soll und inwieweit das geplante Zentrum einer sogenannten Ressortforschungseinrichtung ähneln wird. Ressortforschungseinrichtungen können in der Regel auf Grundlage eines Bundesgesetzes im Rahmen von Artikel 87 Absatz 3 GG in unterschiedlicher Rechtsform gegründet werden. Die meisten Ressortforschungseinrichtungen sind Behörden, es kommen aber auch Anstalten des öffentlichen Rechts vor. Denkbar wäre beispielsweise auch eine Stiftungsform. Die Organisationsform einer Einrichtung hat keine Auswirkungen auf die grundlegenden rechtlichen Bindungen bei der Gründung einer Forschungseinrichtung bzw. die Anforderungen an die Standortauswahl. Entscheidend ist vielmehr, ob von einer Einrichtung zu übernehmenden Aufgaben dem Gesetzesvorbehaltes nach Artikel 87 Absatz 3 GG unterliegen.3 Für das geplante Zentrum Mobilität der Zukunft kann dies auf der Grundlage der bisher verfügbaren Informationen noch nicht geprüft werden. Soweit im Einzelfall ein Gesetz nach Art. 87 Absatz 3 GG erforderlich ist, muss dieses aber lediglich die Einrichtung der Behörde an sich regeln. Die Standortfrage unterliegt nicht dem Gesetzesvorbehalt, ist also kein notwendiger, wenngleich möglicher, Bestandteil eines Errichtungsgesetzes. Im Folgenden wird die Frage der Behördenorganisation zunächst von der Vergabe öffentlicher Aufträge abgegrenzt. Danach werden kurz inhaltlichen und verfahrensmäßigen Anforderungen für die Auswahl des Standortes einer Ressortforschungseinrichtung im Allgemeinen skizziert. 2. Anwendbarkeit des Vergaberechts (Fachbereich WD 7) 2.1. Allgemeine Voraussetzungen der Anwendbarkeit des Vergaberechts Unter dem Begriff des „Vergaberechts“ wird im Allgemeinen die Gesamtheit derjenigen Regeln und Vorschriften verstanden, die dem Staat, seinen Untergliederungen oder sonstigen öffentli- 1 Antwort des Parl. StS Bilger, PlPr. 19/162, S. 20216, Frage 25; PlPr. 19/159, S. 19785, Fragen 36 und 37. 2 Vgl. etwa die Kleine Anfrage der Fraktion B‘90/DIE GRÜNEN und die Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 19/19278. Eine Kleine Anfrage der Fraktion der FDP (Bundestagsdrucksache 19/19834) ist noch nicht beantwortet. 3 Hermes, in Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Auflage 2018, Art. 87 GG, Rn. 19, 71: Keine Anwendung z.B. auf die erwerbswirtschaftliche Betätigung des Bundes oder wenn der Bund die Verwaltungskompetenz bereits aufgrund speziellerer Normen besitzt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 034/20, WD 7 - 3000 - 065/20 Seite 5 chen Auftraggebern ganz bestimmte Vorgehensweisen beim Einkauf von Gütern oder bei der Inanspruchnahme sonstiger Leistungen am Markt mittels eines entgeltlichen Vertrags vorschreiben .4 Wesentlicher Teil dieses Regelungsregimes ist unter anderem das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)5, in dessen 4. Teil – den §§ 97-184 GWB – die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen näher ausgestaltet ist. Danach sind öffentliche Aufträge und Konzessionen insbesondere im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren zu vergeben, wobei die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit zu wahren sind (vgl. § 97 Abs. 1 GWB). 2.2. Der Begriff des öffentlichen Auftrages Maßgeblich für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der §§ 97 ff. GWB ist das objektive Vorliegen eines öffentlichen Auftrages.6 § 103 Abs. 1 GWB definiert diesen als entgeltlichen Vertrag zwischen (öffentlichen) Auftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Die Anwendung des GWB-Vergaberechts kann dabei durch den bloßen Willen und/oder die irrige Annahme des Auftraggebers oder durch eine Parteivereinbarung weder begründet, noch umgangen werden.7 Im Fall von durch Bundesministerien neu gegründeten Forschungseinrichtungen dürfte das Vergaberechtsregime mithin keine Anwendung finden. Das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags ist hier bereits nicht erkennbar. So fehlt es entgegen § 103 Abs. 1 GWB insbesondere an einer insoweit erforderlichen Auswahl eines bestimmten Unternehmens, welches als Vertragspartner agieren soll, um eine bestimmte Leistung zu erbringen oder Waren zu liefern. Ein vergaberechtlicher Wettbewerb zwischen potenziell für eine Vergabeentscheidung in Betracht kommenden (konkurrierenden) Unternehmen oder eine diesbezügliche Auswahlentscheidung dürfte daher im Fall einer solchen Gründung durch ein Bundesministerium nicht stattfinden. Einzig in Betracht kommender Wettbewerb wäre insoweit ein solcher der konkret in Rede stehenden Standorte bzw. wirtschaftlichen Regionen. Auch dies dürfte jedoch aus den oben genannten Erwägungen keinen vergaberechtlich relevanten Vorgang darstellen.8 4 Vgl. etwa Ziekow, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Auflage 2018, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen , Einleitung, Rn. 1. 5 GWB: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 25. März 2020 (BGBl. I S. 674) geändert worden ist, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/gwb/BJNR252110998.html (letzter Abruf: 03. Juni 2020). 6 Vgl. Stein, in: BeckOK Vergaberecht, 15. Edition, Stand: 30. Mai 2019, § 103 GWB, Rn. 1. 7 Vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 17. Juni 2016, Az.: 7 Verg 2/16, Rn. 51, BeckRS 2016, 12548. 8 Vgl. auch Bundestagsdrucksache 19/19278 vom 18. Mai 2020, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Stefan Gelbhaar (u.a.) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, S. 3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 034/20, WD 7 - 3000 - 065/20 Seite 6 3. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Anforderungen an die Standortauswahl Ein allgemeiner Gesetzesvorbehalt für die Organisation der Verwaltung besteht nicht.9 Die Entscheidung über den Standort einer (nachgeordneten) Bundesbehörde liegt in der Regel in der verwaltungsrechtlichen Organisationsbefugnis des jeweiligen Bundesministeriums, in dessen Zuständigkeitsbereich die Behörde geschaffen werden soll. Bei der Organisation der öffentlichen Gewalt gelten die aus dem Rechtstaatsprinzip fließenden allgemeinen objektiv-rechtlichen Prinzipien. Zu diesen Grundsätzen gehört der allgemeine Gleichheitssatz in Form des Willkürverbotes.10 Dieses setzt jedoch nur eine weite Grenze und verpflichtet ein Bundesministerium vor allem zu einer sachlichen Begründung seiner Standortentscheidung . Auch unter föderalen Gesichtspunkten ergeben sich keine weitergehenden Bindungen. Artikel 36 Absatz 1 Satz 1 GG sieht vor, dass bei den obersten Bundesbehörden Beamte aus allen Ländern in angemessenem Verhältnis zu verwenden sind. Die Regelung betrifft jedoch nur die Herkunft der Beamten, nicht die Verteilung der Behördenstandorte auf die Bundesländer. Anhaltspunkte für eine analoge Anwendung sind nicht ersichtlich.11 Die politische Empfehlung der Unabhängigen Föderalismuskommission aus dem Jahr 199212, dass die Ansiedlung von neuen Bundeseinrichtungen grundsätzlich in den neuen Bundesländern erfolgen solle, hat keinen Niederschlag in einer verfassungsrechtlichen Regelung gefunden. 4. Verfahrensfragen Die Auswahl des Standortes von Forschungseinrichtungen, die im Zuständigkeitsbereich eines Bundesministeriums geschaffen werden, liegt nach dem Ressortprinzip (Artikel 65 Satz 2 GG) in der Zuständigkeit und Verantwortung dieses Bundesministeriums. Dies folgt aus der Ressortleitungsbefugnis , die unter anderem die Sachentscheidungskompetenz in allen Angelegenheiten des Geschäftsbereiches sowie die Organisationsgewalt umfasst.13 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Artikel 86 Satz 2 GG. Danach regelt die Bundesregierung , soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, die Einrichtung von Bundesbehörden. Zu 9 Grundlegend bereits Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 2. unveränderte Auflage 1998, S. 89 ff. 10 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand: 90. EL Februar 2020, Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 117. 11 So auch WD 3, Verfassungsrechtliche Gründe für die Einrichtung von Bundesbehörden in den neuen Bundesländern ?, WD 3 - 3000 - 072/19. https://www.bundestag.de/resource /blob/645738/4b09a417f9a9a9092119d0bd413ab30c/WD-3-072-19-pdf-data.pdf. 12 Vgl. dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Ältestenrates, Bundestagsdrucksache 12/2853. 13 Allgemein zum Ressortprinzip Oldiges/Brinktrine, in Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 65 GG, Rn. 21. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 034/20, WD 7 - 3000 - 065/20 Seite 7 diesen zählen unabhängig von der konkreten Organisationsform auch die Ressortforschungseinrichtungen . Aus der Vorschrift ergibt sich jedoch nach ganz überwiegender Ansicht nur eine ergänzende Befugnis der Bundesregierung, keine ausschließliche Aufgabenzuweisung an diese.14 Wenn die Bundesregierung eine Entscheidung trifft, bindet diese auch den Bundesminister und schränkt insoweit seine Organisationsbefugnis ein. Eine Befassung der Bundesregierung ist daher bei der Standortauswahl für Ressortforschungseinrichtungen nicht erforderlich. Etwas anderes kann gelten, wenn eine Forschungseinrichtung von mehreren Ressorts getragen werden soll (vgl. etwa zu Beilegung von Meinungsverschiedenheiten § 9 GOBReg). Eine parlamentarische Mitwirkung an der Standortauswahl durch ein Bundesministerium ist nicht zwingend vorgesehen. Der Gesetzgeber kann jedoch die Einrichtung von Bundesbehörden regeln bzw. muss dies im Anwendungsbereich von Artikel 87 Absatz 3 GG auch, wobei „Einrichtung “ auch die Wahl des Behördensitzes umfassen kann.15 Zudem greifen die allgemeinen Kontrollrechte des Bundestages. Bedarf die Gründung einer Ressortforschungseinrichtung der Schaffung bzw. Erhöhung eines entsprechenden Haushaltstitels, ergibt sich aus dem Budgetrecht des Bundestages eine mittelbare Mitwirkungsmöglichkeit. Diese bezieht sich haushaltsverfassungsrechtlich jedoch nur auf das „Ob“ der Mittelbewilligung, nicht auf die Standortauswahl an sich. *** 14 Stellvertretend Hermes, in Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Auflage 2018, Art. 86 GG, Rn. 58, 52., zur parallelen Frage bei Art. 86 Satz 1 GG siehe auch BVerwG, NVwZ 1985, 497 (498). 15 Hermes (Anm. 13), Art. 86 Rn. 60. Beispiele für gesetzliche Regelungen zur Organisation von Ressortforschungseinrichtungen sind das „Neuordnung der Ressortforschung im Geschäftsbereich des BMELV-Gesetz“, BGBl. 2007 I 2930 und das Bundesamt für Naturschutz-Gesetz.