© 2017 Deutscher Bundestag WD 8 - 3000 - 033/17 Einzelfragen zu klimatischen Ereignissen und Folgen in Deutschland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 033/17 Seite 2 Einzelfragen zu klimatischen Ereignissen und Folgen in Deutschland Aktenzeichen: WD 8 - 3000 - 033/17 Abschluss der Arbeit: 21. August 2017 Fachbereich: WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 033/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zu Extremwetterereignissen und Hopfenanbau 4 2. Auswirkungen durch invasive gebietsfremde Arten auf die biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen 6 3. Hitzeeinwirkungen und Gesundheitsbeeinträchtigungen 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 033/17 Seite 4 1. Zu Extremwetterereignissen und Hopfenanbau Extremwetterereignisse im meteorologischen Sinne sind Wetterlagen, die in ihrer Ausprägung oder ihrem Verlauf signifikant von einem Normalzustand abweichen. Sowohl die zu bestimmende Signifikanz als auch der Normalzustand bedürfen einer präzisen Definition. Dabei bedient man sich unterschiedlicher Bezugsgrößen (z.B. Jährlichkeit, gemessen an einer näher zu definierenden Bezugsperiode). Der Begriff der Extremwetterereignisse ist nicht einheitlich definiert; in einer Publikation aus dem Jahre 2004 heißt es umschreibend: „Eine möglichst breite Definition des Begriffes ‚Extremereignis‘ könnte folgendermaßen aussehen: Extremereignisse sind Ereignisse , die stark vom Durchschnitt abweichen und dadurch außergewöhnlich sind. Es hängt nur von der konkreten Anwendung ab, wie stark diese Abweichung tatsächlich sein muss, um ein Ereignis als extrem einzustufen“.1 Der Deutsche Wetterdienst unterteilt seine Warnkriterien in vier Kategorien: Wetterwarnungen (Stufe 1), Warnungen vor markantem Wetter (Stufe 2), Unwetterwarnungen (Stufe 3) sowie Warnungen vor extremem Unwetter (Stufe 4) und gibt dabei konkrete Grenzwerte an.2 Ein Starkregen als Unwetter liegt demnach bei mehr als 25 l/m² in 1 Stunde oder mehr als 35 l/m² in 6 Stunden vor. Verschiedentlich war in den vergangenen Jahren der Presse zu entnehmen, dass Wetterereignisse in Mitteleuropa sich negativ auf die Hopfenernte ausgewirkt haben.3 Inwiefern diese im Einzelnen als „Extremwetterereignisse“ zu bezeichnen sind und im Hinblick auf welche Definition, wird im Rahmen dieser Arbeit nicht untersucht. Insbesondere in den Jahren 2014-2016 wurde von Ernteeinbrüchen besonders nach Hagelunwetter berichtet. Welche Wetterlagen in welcher Region allerdings welche Folgen haben, ist hier im konkreten Fall allenfalls aufgrund von Einzelberichten in den Medien, nicht jedoch anhand vorliegender Daten des Deutschen Wetterdienstes nachvollziehbar. In einer Publikation aus dem Jahre 2014 werden dagegen Wetterauswirkungen auf die Apfel-, Spargel-, und Weinernte untersucht. Die Autoren sprechen davon, dass der Klimawandel sehr 1 Einleitung zu Kapitel 3: „Regionale Entwicklung und Auswirkungen extremer Wetterereignisse am Beispiel Österreich “ in: Steininger, Karl Werner, Steinreiber, Christian, Ritz, Christoph (Hrsg.): Extreme Wetterereignisse und ihre wirtschaftlichen Folgen, Anpassung, Auswege und politische Forderungen betroffener Wirtschaftsbranchen ; 1. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg 2004, ISBN 978-3-540-23477-7. 2 Siehe hierzu: http://www.dwd.de/DE/wetter/warnungen_aktuell/kriterien/warnkriterien.html [zuletzt abgerufen am 20.8.2017]. 3 Presse-Beispiele aus Deutschland, Österreich und der Schweiz: https://www.welt.de/politik/deutschland/article 145457545/Klimawandel-macht-deutsches-Bier-teurer.html; http://www.t-online.de/leben/reisen/deutschland /id_81841566/hopfenanbaugebiet-hallertau-wo-das-bier-waechst.html ; http://www.suedkurier.de/region /bodenseekreis-oberschwaben/friedrichshafen/Hagel-hinterlaesst-Narben-bei-Obst-und-Gemuese-Bis-zu- 150-000-Euro-Umsatzverlust;art372474,9348383; https://www.landbote.ch/region/andelfingen/Zahl-der-Sturmschaeden -massiv-nach-oben-korrigiert/story/17601043; https://www.meinbezirk.at/leibnitz/lokales/hagel-vernichtete -auch-20-tonnen-hopfen-d1849447.html; http://www.focus.de/wissen/klima/wird-unser-bier-teurerklimawandel -deutsche-muessen-mit-fatalen-folgen-rechnen_id_4893910.html; http://www.mz-web.de/burgenlandkreis /agrarbetrieb-in-rehmsdorf-nach-schwerem-unwetter-ist-teil-der-hopfenernte-verloren-24817094. Internetlinks zuletzt abgerufen am 20.8.2017. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 033/17 Seite 5 wahrscheinlich dafür verantwortlich sei, dass es zu einer merklichen Veränderung der Häufigkeit , Intensität, räumlichen Verteilung, Dauer und des Timings von sogenannten „Extremwetterereignissen “ kommen werde. Allerdings seien auch neue Extrema zu erwarten:4 „Mittels einer Analyse der seit 1945 erschienenen Fachliteratur untersuchten wir mögliche Auswirkungen von Extremwetterereignissen auf das Auftreten von Schaderregern (Unkräuter, Schadinsekten und Pflanzenkrankheiten) bei Wein, Hopfen, Apfel und Spargel. Die allgemeine Definition eines Extremwetterereignisses ist, dass Werte auftreten, die ober- oder unterhalb der jeweiligen Schadschwellen am oberen bzw. unteren Ende des Messbereiches der beobachteten Werte dieser Variablen liegen (IPCC). Trotz zahlreicher offener wissenschaftlicher Fragen ist davon auszugehen , dass der Klimawandel mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Anstieg bzw. einer Veränderung der Häufigkeit, Intensität, räumlichen Verteilung, Dauer und des Timings von Extremwetterereignissen sowie zum Auftreten neuartiger Extrema führen wird. Nach Auswertung aller Ergebnisse unserer Sekundäranalysen ist der Schluss zu ziehen, dass es enorme Wissenslücken gibt. Es konnten nur 13 relevante Arbeiten gefunden werden. Diese wenigen Arbeiten beschäftigen sich mit dem Einfluss von Sturm, Hagel, Überflutung, Trockenheit und Starkregen auf Apfel (10 Publikationen), Spargel (2 Publikationen) oder Wein (1 Publikation). Somit ist es nicht möglich , gut abgesicherte Vorhersagen zu den zukünftigen Auswirkungen von Extremwetterereignissen auf Schaderreger und Erträge abzuleiten. Die Forschung muss unbedingt intensiviert werden, um mehr Primärdaten und belastbare Ergebnisse zur Verfügung zu haben.“ In einem durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderten Forschungsvorhaben („Agrarrelevante Extremwetterlagen“ 2013-2014) wurden „regional differenzierte Änderungen agrarrelevanter Extremwetterlagen in Deutschland und deren Auswirkungen auf die Landwirtschaft einschließlich Sonderkulturen und Forstwirtschaft“ untersucht.5 In Hinblick auf den Anbau von Hopfen ergeben sich in dieser Studie folgende Resultate: Exemplarisch für den Hopfenanbau wurden Befragungen zur Relevanz von Extremwetterlagen im größten Anbaugebiet „Hallertau“ durchgeführt. Für den Hopfenanbau ist hier der Faktor extreme Dürre am bedeutendsten, „gefolgt von Hagel, Trockenheit, Hitze und Sturm. Die höchsten Schadenspotenziale resultieren aus Überschwemmung/Staunässe und Hagel. Im Vergleich zu Apfel und Wein sind Frostschäden im Hopfenanbau eher von geringer Bedeutung“.6 Die Ergebnisse stützen sich auf Ertragszahlen aus den Jahren 2000 bis 2012.7 „Mechanische Beschädigungen durch Hagel können im Hopfen an den neuaustreibenden Bodentrieben , den Blättern, den Hopfenreben sowie den Blüten und Dolden auftreten (Portner 2009; Expertenbefragung LfL Bayern 2014). Auch im Hopfen ist der Schädigungsgrad erheblich vom Entwicklungsstadium abhängig. Je später das Hagelereignis eintritt, desto höher ist der Schaden 4 Quelle: https://link.springer.com/article/10.1007/s10343-014-0323-z [zuletzt abgerufen am 20.8.2017]. 5 Siehe Abschlussbericht: http://www.agrarrelevante-extremwetterlagen.de/fileadmin/dam_uploads/Extremwetterlagen /Publikationen/Veroeffentlichungen/Thuenen_Report_30_Internet.pdf [zuletzt abgerufen am 20.8.2017]. 6 Ebd., Seite 256. 7 Ebd., Seite 99. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 033/17 Seite 6 für die Pflanze und den Ertrag, da Ausgleichsmaßnahmen immer schwieriger werden. Verletzte und zerstörte Hopfenreben "bluten" und reagieren mit mehrwöchigem Wachstumsstillstand. Man unterscheidet drei Kategorien der Schädigung: leichte Schäden (Blattverletzung und einzelne Kopfabschläge), mittlere Schäden (Kopfabschläge, Blattverluste, leichte Rebenverletzungen) und schwere Schäden (Reben ganz oder weitestgehend zerstört). Infolge der Beschädigungen und entstandenen Wunden an den Pflanzen kommt es häufig zu erhöhten Raten der Infektion mit Peronospora humuli. Je nach Zeitpunkt können Verluste zwischen 20 und 90 % entstehen und Folgekosten für das Anleiten und Andrehen neuer junger Bodentriebe, vor allem zusätzliche Personalkosten , und erhöhten Pflanzenschutzmittelaufwand anfallen.“8 Ein höheres Risiko wird der Entwicklungstendenz in Hinblick auf Trockenheit und Hitze beigemessen.9 2. Auswirkungen durch invasive gebietsfremde Arten auf die biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen Sogenannte gebietsfremde Arten sind im Gegensatz zu einheimischen oder indigenen Arten Tieroder Pflanzenarten, die sich durch den Einfluss des Menschen in einem Gebiet angesiedelt haben . Eine derartige Ansiedlung kann beabsichtigt (z.B. durch Nutzpflanzen) oder unbeabsichtigt (z.B. durch Ballastwassereinschleppung) erfolgen. Tatsächlich können sich nur wenige der eingebrachten Arten dauerhaft in der „neuen“ Natur etablieren, zumeist sind ähnliche Klimabedingungen erforderlich.10 Veränderungen im Klima einer Region wirken sich auf alle Arten in der betroffenen Region aus. „Allerdings reagieren gebietsfremde Arten häufig besser auf veränderte klimatische Bedingungen, da sie oft über eine hohe Anpassungskapazität und ein großes Ausbreitungspotenzial verfügen. Sie profitieren von Lebensraumveränderungen und gehören somit in vielen Fällen zu den Gewinnern des Klimawandels.“11 Beispiele gebietsfremden Arten unserer Region sind: der Zierbaum Paulownie (Paulownia tomentosa); das Großblütige Heusenkraut (Ludwigia grandiflora); die Kolchische Lorbeerkirsche (Prunus laurocerasus) und die Hanfpalme (Trachycarpus fortunei). Seit einigen Jahren wird bereits auf mögliche Bedrohungen durch gebietsfremde invasive Arten hingewiesen. Im Newsletter Natura 2000 der Abteilungen LIFE und Natur & biologische Vielfalt der Generaldirektion für Umwelt (GD Umwelt) der Europäischen Kommission wurde bereits 2008 in einem Schwerpunkt-Heft auf die Herausforderungen, die sich durch diese neuen Arten ergeben, eingegangen.12 8 Ebd., Seite 104. 9 Ebd., Seiten 108 und 117. 10 Quelle: https://www.bfn.de/0302_neobiota.html [zuletzt abgerufen am 20.8.2017]. 11 Quelle: https://neobiota.bfn.de/klimawandel.html [zuletzt abgerufen am 20.8.2017]. 12 Quelle: http://ec.europa.eu/environment/nature/info/pubs/docs/nat2000newsl/nat25_de.pdf [zuletzt abgerufen am 20.8.2017]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 033/17 Seite 7 Ausgewählte Beispiele: - potenzielle Ausrottung des Europäischen Nerz (Mustela lutreola) durch den Bestand des Amerikanischen Nerz (Mustela vison), - toxische Alge Caulerpa taxifolia im Mittelmeerraum, - ökologische Schäden durch die Zebramuschel (Dreissena polymorpha), die Wasserleitungen von Kraftwerken verstopft und mit einheimischen Muschelpopulationen konkurriert, - eingeschleppte Schwarzkopfruderente (Oxyura jamaicensis) konkurriert mit heimischer Weißkopfruderente (Oxyura leucocephala), - Saft des Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum) verursacht schmerzhafte Quaddeln , - beifußblättriges Traubenkraut (Ambrosia artemisiifolia) kann Asthma- und Heuschnupfenanfälle auslösen, - eingeschleppter Roter Amerikanischer Sumpfkrebs (Procambarus clarkii) verdrängt in Europa heimische Sumpfkrebse, - amerikanische Grauhörnchen (Sciurus carolinensis) verdrängen einheimische Eichhörnchenbestände (Sciurus vulgaris), - Rotwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta elegans) verdrängt einheimische Wasserschildkröten. Die EU finanziert ein Forschungsprojekt zur genaueren Beschreibung und Kartierung invasiver gebietsfremder Arten in Europa (Delivering Alien Invasive Species Inventories for Europe – DAI- SIE)13. Demzufolge kommen in ländlichen Gebieten, Wasserstraßen und der maritimen Umwelt Europas mehr als 10.000 gebietsfremde Arten vor. „Obwohl nicht alle diese Arten invasiv sind, wird geschätzt, dass bis zu 15% davon eine potenzielle Gefahr für die europäische Artenvielfalt darstellen. Seit 1950 hat sich pro Jahr im Schnitt mehr als eine Art angesiedelt – und bislang zeichnet sich kein Rückgang dieser Entwicklung ab.“14 Neben den ökologischen Auswirkungen haben invasive Arten aber auch Einfluss auf die menschliche Gesundheit. „Die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus), die über den Handel mit gebrauchten Autoreifen nach Europa gelangte, wird mit der Übertragung von über 20 humanpathogenen Erregern, wie Gelbfieber und Denguefieber, in Verbindung gebracht. Gebietsfremde Pflanzen wie Traubenkräuter (Ambrosia sp.) und der Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum) können Allergien, Hautreizungen und Verbrennungen hervorrufen. Invasive Arten sind ebenfalls 13 Quelle: http://www.europe-aliens.org/default.do [zuletzt abgerufen am 20.8.2017]. 14 Quelle: http://www.efsa.europa.eu/de/topics/topic/invasive-alien-species [zuletzt abgerufen am 20.8.2017]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 033/17 Seite 8 an der Verbreitung von Viren wie dem Grippevirus und HIV beteiligt.“15 Tatsächlich werden derzeit die wirtschaftlichen Schäden durch gebietsfremde Arten europaweit auf mindestens 12 Milliarden Euro jährlich geschätzt.16 2013 ist eine Publikation erschienen, in der verschiedene Umweltforscher und Klimafolgenforscher zu „Auswirkungen und Handlungsoptionen für den Naturschutz in Mitteleuropa“ vor dem Hintergrund des Klimawandels Stellung beziehen.17 In Hinblick auf biologische Invasionen konstatieren die Wissenschaftler, dass auf der gesamten Welt biologische Invasionen eine der wichtigsten Ursachen für den Verlust von biologischer Vielfalt darstellten. Vergleicht man allerdings die Situation in Mitteleuropa mit anderen Regionen der Erde, seien hier die ökologischen Auswirkungen weniger dramatisch. Derzeit sei kein Fall bekannt, in dem eine heimische Art lediglich durch invasive gebietsfremde Arten ausgestorben sei. Allerdings sei in manchen Fällen eine solche Entwicklung längerfristig zu befürchten. Als Beispiel wird hierbei die von nordamerikanischen Flusskrebsen auf heimische Arten übertragene Krebspest angeführt. Invasive Neobiota tragen aber auch hier zur Gefährdung seltener Arten bei, in Deutschland stellten sie für 4% der in den Roten Listen verzeichneten Pflanzenarten eine Gefährdungsursache dar.18 In einer aktuell erschienenen Publikation des Springer-Verlages zum Klimawandel in Deutschland wird in einem Kapitel auf die (möglicherweise auch indirekten) Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität sowie auf Ökosystemveränderungen eingegangen. Aus ihrer Literatur -Analyse schließen die Autoren: „Sehr wahrscheinlich wird der Klimawandel neue Ökosysteme hervorbringen und damit Funktionen und Dienstleistungen von Ökosystemen für den Menschen verändern. Dadurch werden Lebensgemeinschaften wichtiger Stoff- und Energiekreisläufe stärker beeinflussen. Da mehrere anthropogene Triebkräfte die Biodiversität gefährden, ist der Klimawandel nur ein – aber besonders wichtiger – Faktor der aktuellen Biodiversitätskrise. Wenn sich Krankheitserreger und ihre Überträger stärker ausbreiten, berührt das den Menschen ebenso wie die Veränderung von Ökosystemen, wenn sich deren Leistungen und ihre Produktivität verringern .“19 3. Hitzeeinwirkungen und Gesundheitsbeeinträchtigungen Die Betrachtung von Zusammenhängen zwischen Temperatur und Gesundheitsbeeinträchtigungen findet seit der europaweiten Hitzewelle 2003 vermehrt Beachtung. Inzwischen untersuchen Wissenschaftler an verschiedenen Institutionen vermehrt Zusammenhänge und versuchen Kausalzusammenhänge abzuleiten zwischen Temperaturanstiegen und unterschiedlichen klinischen 15 Quelle: http://www.efsa.europa.eu/de/topics/topic/invasive-alien-species [zuletzt abgerufen am 20.8.2017]. 16 Quelle: https://www.eea.europa.eu/de/highlights/invasive-arten-wachsendes-problem-fuer [zuletzt abgerufen am 20.8.2017]. 17 F. Essl, W. Rabitsch (Hrsg.): Biodiversität und Klimawandel, Springer Spektrum 2013. 18 Ebd., Seite 67. 19 Seite 158 in Guy P. Brasseur, Daniela Jacob, Susanne Schuck-Zöller (Hrsg.): Klimawandel in Deutschland; Springer Berlin Heidelberg, 2016; ISBN 3662503964. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 033/17 Seite 9 Symptomen, insbesondere im Bereich der Herz-Kreislauferkrankungen und Atmungserkrankungen . Weltweit lässt sich ein zeitlich korreliertes erhöhtes Auftreten von Sterbefällen und starken Temperaturanstiegen feststellen (selbstverständlich je nach Klimazone in unterschiedlichen Temperaturspektren ). Diese Beobachtung gilt auch unabhängig von Klimawandel-Prozessen, wird aber durch eine Klimawandel-bedingte Temperaturerhöhung und mit zunehmender Anzahl und Intensität von Hitzewelle immer bedeutsamer und rückt so stärker in den Fokus gesundheitspolitischer Überlegungen. Mit vergleichsweise hohen Temperaturen sind auch andere gesundheitsrelevante Komponenten verbunden (Ozonbelastung, sekundäre Feinstaubpeaks, erhöhte Sonneneinstrahlung und weniger Wind beispielsweise). Die nachfolgende Grafik verdeutlicht verschiedene Komponenten, die für den menschlichen Wärmehaushalt von Bedeutung sind, die Lufttemperatur ist lediglich eine, allerdings eine vergleichsweise einfach zu erfassende Kenngröße. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 033/17 Seite 10 Quelle: Seite 54 in: Kowarik, I.; Bartz, R.; Brenck M. (Hrsg.): Ökosystemleistungen in der Stadt, Naturkapital Deutschland, Berlin, Leipzig 2016. Eindeutig belegbar ist für verschiedenste Städte, dass ab einer bestimmten Temperatur das Mortalitätsrisiko gravierend ansteigt und dass dies für Menschen höheren Alters von besonderer Bedeutung ist. Im Folgenden wird beispielhaft für Berlin die Kurve der Hitzebelastung (mittlere Tagestemperatur , graue Linie) und Anzahl täglicher Sterbefälle (rote Linie) dargestellt. Quelle: Hitzebelastung und Sterbefälle 2010 in Berlin, Wilfried Endlicher: Das Stadtklima und dessen Besonderheiten unter dem besonderen Aspekt des Klimawandels, Vortrag 2. Fachsymposium „Stadtgrün“ 11. - 12. Dezember 2013 in Berlin-Dahlem. Es existiert ein deutlicher Zusammenhang zwischen Tagesdurchschnittstemperatur und Mortalitätsrisiko (Logarithmus des relativen Sterberisikos20). Trägt man die mittlere Tagestemperatur gegen das Mortalitätsrisiko ab, so ist festzustellen, dass das Risiko zu sterben bis zu einem je nach geografischem Ort unterschiedlichen Minimalwert absinkt und dann oberhalb dieses kritischen 20 Lag 0-1: Versterben am Tag nach dem Temperaturwert. Hitzewelle Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 033/17 Seite 11 Wertes sehr stark ansteigt. Es ist noch darauf hinzuweisen, dass oftmals Hitzewellen ein Absinken der Mortalitätskurve im Nachgang eines Hitzepeaks nach sich ziehen. Dieses Absinken tritt aber zum einen nicht immer auf und ist nicht derart ausgeprägt wie das vorherige Ansteigen. Vergleicht man das Sterberisiko in verschiedenen Altersgruppen, so stellt man fest, dass in den Altersgruppen (1) unter einem Jahr (2) 1-14 Jahre und (3) 15-44 keine Korrelation zwischen einer Durchschnittstemperatur und dem Sterberisiko besteht. In den Altersgruppen (4) 45-64 Jahre, (5) 65-74 Jahre sowie (6) über 75 Jahre existiert jenseits eines kritischen Temperaturwertes (für Berlin ca. 17-18,6°C) ein deutlicher Anstieg des Sterberisikos:21 Zu beachten ist, dass sich die Temperaturmessungen fast ausschließlich auf Außenraummessungen beziehen und zu Innenräumen wenige Forschungsergebnisse existieren. Gerade ältere und 21 Quelle: Wilfried Endlicher: Das Stadtklima und dessen Besonderheiten unter dem besonderen Aspekt des Klimawandels , Vortrag 2. Fachsymposium „Stadtgrün“ 11. - 12. Dezember 2013 in Berlin-Dahlem; im Internet abrufbar unter: https://www.julius-kuehn.de/media/Institute/GF/_FS_Stadtgruen/2/FS-2-Stadtgruen_1.1_Endlicher _Stadtklima_Klimawandel.pdf [zuletzt abgerufen am 20.8.2017]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 8 - 3000 - 033/17 Seite 12 kranke Menschen halten sich in Innenräumen auf, für diese existieren in Deutschland vergleichsweise selten Klimatisierungen. Da sich das Risiko besonders für ältere Menschen ergibt, ist diese Problematik vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ebenfalls ein relevantes Thema. In einer aktuellen Studie, die in der Zeitschrift The Lancet Planetary Health journal erschienen ist, werden die gesundheitlichen Auswirkungen von Temperaturanstiegen in Europa untersucht .22 Die Autoren stellen hierin fest, dass ihren Analysen nach wetterbedingte Katastrophen zukünftig (Prognose für 2100) etwa zwei Drittel der europäischen Bevölkerung jährlich betreffen könnten. Im Vergleich dazu waren in der Referenzperiode (1981-2010) nur 5% betroffen. Tatsächlich gehen die Wissenschaftler davon aus, dass insbesondere in Südeuropa wetterbedingte Todesopfer der größte Umweltrisikofaktor werden könnten. Diese projizierten Veränderungen seien im Wesentlichen auf die globale Erwärmung zurückzuführen, insbesondere durch einen Anstieg der Häufigkeit der Hitzewellen. *** 22 Giovanni Forzieri, Alessandro Cescatti, Filipe Batista e Silva, Luc Feyen: Increasing risk over time of weatherrelated hazards to the European population: a data-driven prognostic study, Lancet Planet Health 2017; 1: e200– 08; im Internet abrufbar unter: [zuletzt abgerufen am 20.8.2017].